Zum Interpretieren von Architektur
Konkrete Interpretationen
13. Jg., Heft 1, Mai 2009




     
Konzeption, Redaktion und Kurator:   Eduard Heinrich Führ
Organisation, Lektorat und Layout:   Ehrengard Heinzig
   
   


Editorial




Heidi Helmhold   De-Territorialisierung. Die Humanwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln aus der Sicht ihrer Nutzerinnen und Nutzer
Claus Dreyer   Interpretation von Architektur als semiotisches Programm –
Zu Gregor Schneiders Cube in Hamburg 2007
Andrzej Piotrowski   Bauen als unbefangene Darstellung
Sven Martensen & Anne Gelderblom   Architektur als das Einschreiben sozialer Choreographien in den Raum
   

Sokratis Georgiadis   Metamorphosen der menschlichen Figur in der griechischen Architektur und ihre Deutung
Henrik Hilbig   „Wege zu einem neuen Baustil...“
Interpretation zwischen Deutung und Handeln am Beispiel anthroposophischer Architekten zwischen 1925 und 1939
Ulrike Seeger   Architektur der Wege –
Neue Wege der Architekturinterpretation am Beispiel des Stuttgarter Hauptbahnhofs
Sabine Brinitzer   Über die Komplexität des Interpretierens von „Organischer Architektur“
   

Alban Janson   Zeigen und Entziehen.
Die Villa Müller in Prag von Adolf Loos
Christine Neuhoff   Die Villa Tugendhat von Mies van der Rohe –
Kanon und Autobiographie
Ulrike Sturm   ‚Against Interpretation’
oder eine Begegnung mit dem Bauhausgebäude in Dessau
Lukas Zurfluh   Der ‚fließende Raum’ des Barcelona-Pavillons –
Eine Metamorphose der Interpretation?
   

Silke Langenberg   Geplante Gestaltung – gebauter Prozess.
Architektur der 1960er und 1970er Jahre
Matthias Korn   Ein bescheidener Vorschlag zum Kennenlernen von Architektur: Destruieren.
Gordon Matta-Clarks Building Cuts
Zeuler R. Lima   Das Gegenteil vom Gegenteil:
Ein anderer Modernismus nach Lina Bo Bardi
   

Christine Neuhoff   Der Mythos von Vals
Jan Pieper   Kritische Annäherung an die Peripherie der Architektur
Jörn Köppler   Interpretation und ästhetische Erfahrung, diskutiert am Beispiel der Niederländischen Botschaft in Berlin von OMA / Rem Koolhaas
Ryszard Sliwka   Sublime Phänomene:
Anmerkungen zur Horizont-Architektur
Ryszard Sliwka   Genetische Architektur
Anna M. Eifert-Körnig   Der Block Beuys –
Ein überliefertes Ereignis als Interpretation von Architektur
Katharina Lehmann   Der gebaute Raum in seiner Wirkung für Rezeption und Wahrnehmungserfahrung
Fred Truniger   Bilder akkumulieren –
Eine filmische Deutung der englischen Landschaft






abstracts:

   


   
 
___Heidi Helmhold
Köln
 
De-Territorialisierung. Die Humanwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln aus der Sicht ihrer Nutzerinnen und Nutzer

Fakultäten sind Teil eines Zuschreibungsgefüges wissenspolitischer Machtstrukturen. Ihre Lokalisierung auf dem Campus und ihre architektonische Codierung sind das Ergebnis diskursiver Praxen, die Festschreibungen über ihre jeweilige Modernität oder Alterität treffen. Die gegenwärtige Wissenschaftskultur in Deutschland ist mit einem dynamisierten Konstruktionsprozess befasst, der hierarchisierte Oppositionen von Exzellenz-Nichtexzellenzen entstehen lässt. Diese beschleunigten Prozesse bilden sich auch an jeweiligen Universitätsstandorten ab. Ich werde im Folgenden das Raumdispositiv einer (nichtexzellenten) Wissenslandschaft – die Humanwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln – vorstellen, die schon durch mehrfache Umbenennungen eine Rede von Alterität führt: Pädagogische Akademie in den 1950er Jahren, Pädagogische Hochschule ab 1965, Erziehungswissenschaftliche Fakultät ab den 1980er Jahren und Humanwissenschaftliche Fakultät seit 2006.
Meine These ist, dass Architektur zur bloßen Behälterraumaddition rückgebaut wird, wenn ihre Nutzer nicht mehr als Akteure an den Zuschreibungsperformanzen ihres Hauses beteiligt sein können. Wird eine Fakultät von Ministerium und Universitätsleitung marginalisiert und in einem permanenten Raster materieller Zwänge gehalten, ist nicht nur die Bausubstanz als physisches äußeres Haus gefährdet, sondern geht damit auch eine Zerrüttung des wissenskulturellen inneren Hauses einher. Eine Arbeit am kulturellen und sozialen Körper findet nicht mehr statt. Damit schwinden identifikatorische Prozesse, die durch Handlungen am und im architektonischen Material als körperliche und soziale Wirklichkeit überhaupt erst konstruiert werden. Räumliche Verinselungen, Eskapismen, Refugien oder Homogenisierungen führen diese De-Territorialisierungen sequentiell zur Exklusion, Ghettoisierung und wissenschaftskulturellen Verwahrlosung.

Artikel in Deutsch

 
___Claus Dreyer
Detmold
 
Interpretation von Architektur als semiotisches Programm –
Zu Gregor Schneiders „Cube“ in Hamburg 2007

Interpretation von Zeichen und Zeichenkomplexen ist eine Hauptaufgabe der angewandten Semiotik. In der Architekturwissenschaft ist es besonders der Zusammenhang von Form, Funktion und Bedeutung eines Bauwerks, dessen „Lesbarkeit“ und „kommunikative Kapazität“ durch die Interpretation deutlich gemacht werden soll. Folgende Fragestellungen werden dabei üblicherweise bearbeitet:
Welche Zeichen und Zeichenkomplexe kommen in einem Werk vor, was bedeuten sie, und zu welchen „Diskursfeldern“ gehören sie?
Welche „Codes“ können identifiziert werden, in welcher Kombination oder Mischung tauchen sie auf, und was bezeichnen sie?
Können die einzelnen Zeichen und „Codes“ als „kulturelle Symbole“ gedeutet, einem speziellen „Symbolmilieu“ (Norberg-Schulz) zugeordnet und in einer Gesamtinterpretation integriert werden?
Am Beispiel von Gregor Schneiders schwarzem „Cube“ in Hamburg 2007 werden diese Interpretationsansätze vorgeführt. Dabei zeigt sich, dass es vor allem die dialektische Mischung und Durchdringung von sakralen, ästhetischen und alltäglichen Zeichen und Codes ist, die dieses temporäre Bauwerk zu einem Symbol des gegenwärtigen multikulturellen Diskurses machen.

Artikel in Deutsch

 
___Andrzej Piotrowski
Minneapolis
 
Bauen als unbefangene Darstellung
Reduzierende Kategorien und konzeptionelle Gegensätzlichkeiten, wie beispielsweise Kunst im Vergleich zur Wissenschaft, oder Kreativität im Vergleich zur Notwendigkeit, zielen darauf ab, den architektonischen Diskurs neu zu strukturieren. Sie verschaffen den Eindruck einer klaren Unterscheidung und logischer Argumente. Die Gestaltung und das Verständnis von Architektur waren hingegen schon immer viel komplexer und epistemologisch chaotischer, als diese Wendungen auszudrücken vermögen.
Mein Beitrag wird die These aufstellen, dass die gebaute Umwelt schon immer dazu ermutigt hat, gemeinsame kulturelle Gedanken zu verwenden. Obwohl ihnen das Gesamtverständnis fehlt, geben Architekten und Baumeister Gesinnungen und Denkweisen Raum, die die verbalen Diskurse noch nicht bereit sind zu artikulieren.
Um diese Meinung zu bekräftigen, wird sich mein Beitrag auf die Königskapelle im polnischen Lublin konzentrieren, ein kleines gotisches Bauwerk, das mit russisch-byzantinischen Gemälden geschmückt ist. Da dieses Bauwerk mit symbolischen Konflikten durchsetzt ist, wird es meist als provinzielles und unperfektes Beispiel behandelt. Ich hingegen werde zeigen, dass man von dieser Art Architektur lernen kann.

Artikel in Englisch

 
___Sven Martensen &
Anne Gelderblom

London, Hamburg
 
Architektur als das Einschreiben sozialer Choreographien in den Raum

Die Interpretation von Architektur kann ebenso wie diese selbst nur schwerlich ohne den Körper gedacht werden. Um genaueren Aufschluss über den Vorgang der Architekturinterpretation zu erhalten, versuchen wir mit unserem Beitrag daher eine Antwort auf die Frage zu finden, wie die Beziehung zwischen den menschlichen Bewegungen und unserer gebauten Umwelt beschrieben werden kann. Unsere These ist dabei, dass sich der (gestaltete) architektonische Raum und die Bewegungen unserer Körper – im Hinblick auf ihre Form – gegenseitig beeinflussen.
Dieser reziproken Beziehung ist immer auch eine soziale Bedeutung zugeschrieben. Soziale Ordnungen und Strukturen schreiben sich in die Architektur und die Bewegungen ein und drücken sich in diesen aus. Indem sie durch unsere Bewegungen immer wieder aufs Neue interpretiert werden, sind diese sozialen Ordnungen und Zuschreibungen – ebenso wie die Architektur – Veränderungsprozessen unterworfen. Mit unseren Bewegungen stellen wir eine Beziehung zu unserer Umgebung her (Alkemeyer 2003) und verleiben uns die „Strukturen der sozialen Ordnung [...] vermittels der Verlagerungen und Bewegungen des Körpers“ ein (Bourdieu 1991).

Artikel in Deutsch

 


   
 
___Sokratis Georgiadis
Stuttgart
 
Koren und Antefixe. Metamorphosen der menschlichen Figur in der griechischen Architektur und ihre Deutung

Der „menschliche Maßstab“ ist seit jeher eine der grundlegenden Prämissen einer humanistischen Architekturauffassung, die zu ihrer Legitimation sich gern der von Vitruv überlieferten anthropomorphen Begründung der Säulenproportionen bedient. Eine von den gängigen, der vitruvschen Matrix verpflichteten Anachronismen befreite Archäologie der Kontexte, in denen die menschliche Figur in architektonischer Funktion zur Anwendung kam, lässt jedoch die anthropomorphen Analogieschlüsse des römischen Theoretikers als Zuordnungen post factum erscheinen. Ein Gang durch das Labyrinth der Interpretationen aber auch der literarischen Überlieferung und des vorhandenen materiellen Bestandes zeigt in den belegbaren Fällen aus archaischer und klassischer Zeit, in denen die menschliche Gestalt nicht in der abstrahierten Form der Säule sondern in figürlicher Darstellung architektonisch eingesetzt wurde, dass die Übertragung des menschlichen Maßstabs auf die Architektur mitnichten das Motiv der einschlägigen Praxis bildete. Die Fluchtlinien der Untersuchung stoßen vielmehr auf den Horizont uralter Mythen, die von den Machtkämpfen chthonischer und himmlischer Kräfte um die Vorherrschaft über Welt und Menschen handelten und den Rohstoff für eine Mannigfaltigkeit von Kulthandlungen und Ritualen bereitstellten, die sich als die wichtigsten Form generierenden Faktoren der Architektur als ihr Gefäß und Hintergrund erweisen.

Artikel in Deutsch

   
___Henrik Hilbig
Dresden
 
„Wege zu einem neuen Baustil...“ Interpretation zwischen Deutung und Handeln am Beispiel anthroposophischer Architekten zwischen 1925 und 1939

Juan Pablo Bontas Untersuchung „Über Interpretation von Architektur“ beschrieb den Prozess der Kanonisierung von Architektur-Bedeutung im wesentlichen aus dem Blickwinkel einer festen Trennung zwischen bestehenden baulichen Tatsachen und der nachträglichen sprachlichen Bedeutungszuschreibung durch die Kritik. Geringe Aufmerksamkeit wurde auf die Architekten selber gelegt. Dies ist umso erstaunlicher, als sie es sind, die im praktischen Handeln vorrangig für das Umsetzen von Vorstellungen, von Bedeutungen in Bauwerke zuständig sind.
Dieser mehrschichtige Übersetzungsprozess aus Bedeutungszuweisung und praktischem Handeln, d.h. Entwerfen soll an einem heute kaum beachteten Thema der Baugeschichte dargestellt werden: der ersten anthroposophischen Architektengeneration nach Rudolf Steiner. In einem relativ eng begrenzten Deutungs- und Handlungskollektiv wurde auf der teilweise disparaten sprachlichen wie bildlichen Grundlage des Werks Rudolf Steiners in Auseinandersetzung mit den alltäglichen Anforderungen durch Bauherren, Gesetze, Grundstückszwänge eine (kanonische) Formensprache entwickelt, die heute – im Gegensatz zu den Bauten Steiners – durchaus als Einheit empfunden werden kann.

Artikel in Deutsch

 
___Ulrike Seeger
Stuttgart
 
Architektur der Wege – Neue Wege der Architekturinterpretation
am Beispiel des Stuttgarter Hauptbahnhofs

Bei der Interpretation historischer Architektur, die ihre Argumente aus der Planungs- und Baugeschichte, der vergleichenden Analyse des Baus und im 20. Jahrhundert zudem aus kommentierenden Selbstzeugnissen der Architekten bezieht, werden Wegeführung und Raumfolge nur selten als Quelle zum Verständnis der Bauten herangezogen. Der Hauptfokus liegt im Allgemeinen auf der Fassade und den einzelnen, architektonisch gegliederten Innenräumen. Am Beispiel des Stuttgarter Hauptbahnhofs, der 1914-1928 durch Paul Bonatz und Friedrich Eugen Scholer errichtet wurde, soll exemplarisch die Wegeführung und Inszenierung der Räume als Raumfolge analysiert werden. Hier ist die leitmotivische Kontrastierung von Menschenmaß und Übermaß herauszuarbeiten, die in ihrer effektvollen Spannung ein expressionistisches Gestaltungsmoment darstellt. Gleichzeitig zeichnet sich der Bau durch eine funktionale, die Raumbedürfnisse der Reisenden berücksichtigende Wegeführung aus. Dass in dieser Hinsicht Bonatz und Scholer wichtige Anregungen durch das Gutachten eines erfahrenen Eisenbahngeheimrates aus Berlin empfangen haben, wird in der auf Künstlerpersönlichkeiten fixierten Architekturgeschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts allerdings gerne ignoriert.

Artikel in Deutsch

 

   
___Sabine Brinitzer
Kaiserslautern
 

Über die Komplexität des Interpretierens von „Organischer Architektur“

In diesem Beitrag werde ich auf der Grundlage meiner wissenschaftlichen Forschungen exemplarisch die Interpretation „Organischer Architektur“ anhand der Analyse der Schriften, Entwürfe und Bauten von Hugo Häring, Erich Mendelsohn, Hans Scharoun und Alvar Aalto aufzeigen. Da ihre Positionen jeweils auf dem theoretischen Fundament einer unterschiedlichen Interpretation der Natur basieren, ihre Entwürfe wiederum daraus resultierende, spezifische Interpretationen einer Bauaufgabe darstellen und ihre nachfolgenden schriftlichen Interpretationen realisierter Werke nicht nur insgesamt komplexe „Parameter“ bilden, stellt sich auch vor allem die Forderung einer Interpretation als kritische Revision.

Artikel in Deutsch

 


   
 
___Alban Janson
Karlsruhe
 
Zeigen und Entziehen.
Die Villa Müller in Prag von Adolf Loos

Eine Form der Interpretation ist die genaue Beschreibung des Wechselspiels von Architektur und Raumerfahrung. Hier geht es um die Villa Müller in Prag (Architekt Adolf Loos) als Gegenstand des konkreten Erlebens. Im Vordergrund steht jenes Ziel der Architektur, umfassende Situationen zu schaffen, in denen die beteiligten Personen selbst mitspielen. Diese Situationen können nicht über datierbare Fakten oder zähl- und messbare Eigenschaften des Gebauten verstanden werden, sondern nur über die vor Ort erlebten Wechselwirkungen von Raum und Bauwerk einerseits mit dem konkreten Handeln und der realen Bewegung andererseits. Da aber der spezielle Zweckzusammenhang eines partikularen Interesses die Wahrnehmung wieder einengen und vieles verdecken würde, werden hier vorzugsweise sehr allgemeine Handlungszusammenhänge berücksichtigt: Ankommen, Eintreten, Hinaufsteigen, Zirkulieren, Sich-Niederlassen, Hinausblicken etc. Auch wenn Architektur in der Regel beiläufig erlebt wird, lassen sich die Wirkungsweisen der architektonischen Mittel nur durch geschärfte Wahrnehmung auf allen Sinnesebenen aufdecken und beschreiben. Manchmal verlangt der sprachliche Ausdruck dafür leicht überspitzte Formulierungen.

Artikel in Deutsch

 

 
___Christine Neuhoff
Berlin
 
Die Villa Tugendhat von Mies van der Rohe – Kanon and Autobiographie

Dieser Artikel stellt zwei verschiedene Realitäten von Mies van der Rohes Villa Tugendhat gegenüber: auf der einen Seite die Villa als Kanon moderner Architektur, auf der anderen Seite die Villa als Schauplatz verschiedener gelebter Autobiografien. Ich werde untersuchen, inwiefern diese Realitäten einander entsprechen, sich ergänzen und widersprechen.
Im Rahmen dieser Untersuchung werden drei Ziele verfolgt: zunächst werde ich durch die Gegenüberstellung der Entstehung des Kanons ‚Villa Tugenhat‘ im Europäischen sowie im Amerikanischen Kontext den Prozess der Kanonbildung untersuchen und die Elemente heraus arbeiten, welche den Kanon begründen. Aufbauend hierauf zeige ich, dass der Kanon hauptsächlich durch Fotografien begründet wurde und nicht durch das Haus selbst; das Leben der Familie Tugendhat sowie die bewegte Geschichte des Hauses nach 1938 hatten keinen Einfluss auf den Kanon. Schließlich erläutere ich die Rolle des Architekturkritikers in Bezug auf die parallel existierenden Realitäten ein und desselben Gebäudes.

Artikel in Englisch

 
___Ulrike Sturm
Cottbus
 
‚Against Interpretation‘
oder eine Begegnung mit dem Bauhausgebäude in Dessau

Als Susan Sontag in den 1960er Jahren mit ihrem Aufsatz ‚Against Interpretation‘ Aufsehen erregte, zog sie gegen eine Haltung zu Felde, die ihres Erachtens dem Kunstwerk seine Lebendigkeit und damit die Fähigkeit zu bewegen raubte. Im Blick hatte sie dabei vor allem die Literaturkritik, aber auch die Kritik bildender Kunst, die sie als Instrument des Übersetzens von ambivalenten und vor allem sinnlichen Gebilden in einen Übertext sah, der das Kunstwerk auf einen verstehbaren Inhalt reduzierte. Sie plädierte für einen anderen Umgang mit Kunstwerken, eine Art sympathetischer Beschreibung anstelle einer Übersetzung in verständnisfähige Inhalte.
Bei der Überlegung, welche Rolle der Interpretation bei der Architektur zukommen könnte, fällt auf, dass es auch hier eben jene Architekturkritiker gibt, die ein Bauwerk als Träger einer Bedeutung interpretieren – beispielsweise die Cottbuser Bibliothek als Sinnbild für ein neues mediales Zeitalter, eingekleidet in die auf Glas applizierten Alphabete der zu Ende gehenden Ära des Buchdrucks. Hinzu kommen bei der Architekturkritik im Allgemeinen zwei Perspektiven, die eher der von Sontag geforderten Beschreibung zuzuordnen wären: eine Erläuterung von Lage und formalem Aufbau des Gebäudes, das heißt eine strukturelle Beschreibung, und die Sicht derjenigen, die das Gebäude benutzen.
In diesem Beitrag soll keine Kritik der Architekturkritik versucht, sondern der Frage nachgegangen werden, welchen Stellenwert die drei genannten Arten, ein Gebäude zu „interpretieren“, beim Entwerfen besitzen und was dabei jeweils mit „Interpretation“ gemeint ist. Anhand von Beispielen soll die These erhärtet werden, dass die symbolische Interpretation einem Gebäude nur sehr eingeschränkt gerecht wird, dass aber die Beschreibung/Interpretation von Architektur, ‚wie sie ist‘ und wie sie genutzt und erlebt wird, erkennen lässt, was ‚gute‘ von ‚schlechter‘ Architektur unterscheidet. Bei dieser Art des Interpretierens handelt es sich also nicht um eine ‚theoretische‘, sondern um eine ‚praktische‘ Fähigkeit, die für den Entwurf genauso wesentlich ist wie für die Kritik.

Artikel in Deutsch

 
___Lukas Zurfluh
Zürich
 
Der ‚fließende Raum‘ des Barcelona-Pavillons – Eine Metamorphose der Interpretation?

Der Beitrag beschäftigt sich anhand einer Text- und Diskursanalyse mit der Rezeption und Interpretation der konkreten Raumqualität des Barcelona-Pavillons nach dessen Rekonstruktion im Jahr 1986. Dabei werden zwei Aspekte betont: Einerseits die Bedeutung der Möglichkeit der konkreten Raumerfahrung für die Rezeption, andererseits das Verständnis von Interpretation als sich stetig verändernden diskursiven Prozess.
Die Rekonstruktion des Barcelona-Pavillons hat zu einer Differenzierung und Erweiterung der zuvor fest geschriebenen Interpretation geführt. An die Stelle der Umschreibung ‚fließend‘ tritt eine Fülle von Charakterisierungen, deren Gemeinsamkeit sich auf einer Metaebene finden lässt: Die besprochenen Positionen beschreiben den Raum in Analogie zu unterschiedlichen Aggregatzuständen von Flüssigkeiten: von fest über flüssig zu gasförmig. Diese vermeintlich widersprüchlichen Interpretationen können dabei als Ausdruck einer sich fortlaufenden verändernden Wahrnehmung desselben Mediums verstanden werden, als eigentliche Metamorphosen von Rezeption und Interpretation. Sie können uns zu einem Verständnis von Interpretation führen, das nicht länger an einer endgültigen Festschreibung interessiert ist, sondern am Dialog von verschiedenen, sich verändernden Möglichkeiten der Rauminterpretation.

Artikel in Deutsch

 


   
 
___Silke Langenberg
Zürich
 
Geplante Gestaltung – gebauter Prozess
Architektur der 1960er und 1970er Jahre

Die Debatte um die Qualität der in den 1960er und 1970er Jahren entstandenen Bauten ist noch immer relativ wenig differenziert. Die großmaßstäbliche Architektur und die oft serielle Herstellung erschließt sich rein gestalterischen Analysen nur schwer. Für Verständnis und Umgang mit den ‚Bauten der Boomjahre’ scheinen andere Bewertungsmaßstäbe notwendig, als bei Gebäuden früherer Jahrzehnte – denn ihre historische Bedeutung liegt eben auch im ‚Phänomen der Masse’, der architekturgeschichtliche Wert zum Teil in der Prozessorientierung der architektonischen Konzepte selbst.
Die Kenntnis der die Planung und Konstruktion wesentlich beeinflussenden Strategien zur Optimierung der Planung und Rationalisierung des Bauprozesses scheint grundlegend für jede Interpretation der in den 1960er und 1970er Jahren entstandenen Bauten zu sein. Verschiedene architektonische Konzepte und Planungstheorien sollen vorgestellt und ihre Bedeutung nach heutigem Kenntnisstand neu bewertet werden.

Artikel in Deutsch

 
___Matthias Korn
Berlin
 
Ein bescheidener Vorschlag zum Kennenlernen von Architektur: Destruieren. Gordon Matta-Clarks Building Cuts

Der Artikel handelt von der etwas unorthodoxen Verfahrensweise, Architektur durch Zerschneiden kennen zu lernen. Dieser Prozess soll generell als alternative Möglichkeit verstanden werden, sich einem Gebäude zu nähern. Ich werde mich dabei auf Gordon Matta-Clarks künstlerischen Schaffensprozess konzentrieren, bei dem dessen Arbeitsmaterial, das aus verlassener Architektur besteht, eine prominente Rolle spielt. Ich untersuche die Entstehung eines seiner berühmtesten Werke, Splitting, von den ersten abstrakten Vorzeichnungen über die Idee bis hin zu deren letztgültiger Ausführung. Ich werde zeigen, welche besonderen Interessen Matta-Clark zu Splitting führten und welche Erfahrungen bzw. welche besonderen Wahrnehmungsweisen die Voraussetzung für die Generierung der Idee waren, ein Haus durchzuschneiden. Dabei liegt Matta-Clarks Leistung in der Herstellung eines besonders engen Kontaktes zu dem Haus. Der Schnitt befreit innere, unsichtbare Spannungen im Haus, die von Matta-Clark unbewusst wahrgenommen wurden, genauso wie er im Laufe des Prozesses dessen inneres Selbst berührt.

Artikel in Deutsch

 
___Zeuler R. Lima
Saint Louis
 
Das Gegenteil vom Gegenteil
Ein anderer Modernismus nach Lina Bo Bardi

Dieser Beitrag empfiehlt eine Reflexion der Vorstellung anderer Modernismen, die in der modernen Architekturtheorie immer mehr Akzeptanz erfährt. Im Mittelpunkt unserer theoretischen und empirischen Analyse steht das Schaffen der italienisch-brasilianischen Architektin Lina Bo Bardi, insbesondere zwei Häuser, die sie in den 1950er Jahren entwarf. Die Hypothese, die den Kern dieses Beitrages bildet, ist die Feststellung, dass die Trennung von zentralen und marginalen Bereichen architektonischer Werke eine problematische Struktur ist, um den Modernismus weltweit zu analysieren. Die Vorstellung anderer Modernismen impliziert eigentlich die Beschränktheit des Begriffs des kritischen Regionalismus. Da Lina Bo Bardi sowohl in Italien als auch in Brasilien gearbeitet hat, setzte sie sich mit ästhetischen Verbünden und hybriden Praktiken über diese hierarchische Unterteilung hinweg. Dieser gegenseitige Austausch und Einfluss zwischen den verschiedenen Realitäten stellt eine eher nuancierte Beziehung dar, wobei die Andersartigkeit als eine interne und nicht nur externe Bedingung für künstlerische und kulturelle Erscheinungsformen gesehen wird.
Dieser Beitrag basiert auf zwei theoretischen Aussagen. Zum einen analysieren wir Lina Bo Bardis Schwierigkeiten mit der Form des Modernismus, die sich auf die Diskussion des Anthropologen Nestor García-Canclini über hybride Kulturen bezieht. Zum anderen analysieren wir ihr Konzept der Moderne, das inhaltlich an die These des Anthropologen Timothy Mitchell angelehnt ist, der die Moderne als eine verletzbare Inszenierung der Geschichte definiert. Als Ausländerin mit entscheidenden politischen Verbindungen war Lina Bo Bardi die am meisten spaltende Andersartige im Mainstream der brasilianischen Architektur. Ihr Leben und ihre Arbeit entfalteten sich zwischen zwei Kontinenten und verschmolzen Rationalismus und Volkskultur. Da sie den avantgardistischen Ideen der Bewegung der Moderne treu blieb, übte sie Kritik, indem sie eine Alternative zur kosmopolitischen, von Le Corbusier geprägten Richtung der brasilianischen Architektur empfahl.
Lina Bo Bardis Werk zweifelte die traditionelle Zweiteilung zwischen Rationalismus und alltäglicher Improvisation an. Ihr Ziel, die Volkskultur in ihre Konzeption des Modernismus einzubringen, entstand im Kontext des italienischen Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg und wurde zu einer politischen Kritik an der Ungleichheit der sozialen und kulturellen Modernisierung in Brasilien. Ihr Werk repräsentiert eher eine Reflexion des Modernismus und der Moderne als eine Reflexion der Bedeutung von Tradition und Volkstümlichem. Trotz ihres Konflikts fühlte sich Lina Bo Bardi dem Vertrauen darauf verpflichtet, dass die Rolle der Architekten nicht darin besteht, sich vom Design abzuwenden, sondern darin, sich in ästhetische, soziale und politische Aushandlungen zu begeben. Des Weiteren vermittelte sie zwischen beginnendem und auslaufendem Modernismus und zeigte somit, dass Ursprung, Platz und Form der Moderne nicht einfach und nicht festgelegt sind.
Ambivalenz und Doppeldeutigkeit sind Charakteristika, die unschwer mit Lina Bo Bardis Werk in Verbindung gebracht werden können, was aber trotz seines Anspruchs auf Universalität auch für den Modernismus gilt. Anstatt die Unterschiede abzugrenzen und aufzuheben, warf ihr Werk ein Schlaglicht auf die Instabilitäten in den Werken der Moderne und im Verhältnis zwischen den verschiedenen kulturellen Bedürfnissen, Werten und Formen.

Artikel in Englisch

 


   
 
___Christine Neuhoff
Berlin
 

Der Mythos von Vals

Dieser Beitrag hinterfragt den weit verbreiteten Brauch, Peter Zumthors Bad in Vals für seine Ortsverbundenheit und seine Materialität zu würdigen, und fragt stattdessen:
Könnte es sein, dass nicht der spezifische Ort und die Materialität des Bades gewürdigt werden, sondern der Effekt des Ortes und der Effekt der taktilen Materialität?
Könnte es sein, dass nicht das Bad selbst, sondern der photographische Effekt des Bades, die Photogenität des Bads, Gegenstand der Kritiken ist?
Mit diesem Beitrag möchte ich zeigen, dass die Positionierung von Peter Zumthors Bad in einem diskursiven Kontext mit den Arbeiten von Mies van der Rohe, Roland Barthes, Walter Benjamin, Robin Evans und Heinrich Wölfflin die Affinität des Bades mit der Photographie und seine Wirkungsweisen auf visueller Ebene offenbart. Das Thermalbad dient als Fallbeispiel, um Effekte von Photographie, insbesondere die Photogenität von Architektur zu identifizieren.

Artikel in Englisch

 
___Jan Pieper
Aachen
 

Kritische Annäherung an die Peripherie der Architektur

Die Architektur-Avantgarde gleicht allmählich einem Geheimbund. Wer sich mit ihr einlassen will, braucht offenbar Kenntnisse der Philosophie, der Mathematik und der Naturwissenschaften – und eine gewisse Begeisterung für die Anwendung fortgeschrittener Software. Ob die Architektur dadurch gewinnt, bleibt offen. Angesichts dieser hermeneutischen Herleitungen paraphrasieren viele Kommentare nur (wohl-)meinend die Merksätze, die ihnen die Architekten mitgeben. Jan Pieper, Professor für Baugeschichte und Denkmalpflege an der RWTH Aachen, nennt die Voraussetzungen für seine Kritik an der Zufälligkeit der Formen und setzt sich systematisch mit dem spektakulären Daimler-Benz-Museum auseinander. Und siehe da, der Lack ist ab.

Artikel in Deutsch

 
___Jörn Köppler
Berlin
 
Interpretation und ästhetische Erfahrung, diskutiert am Beispiel
der Niederländischen Botschaft in Berlin von OMA / Rem Koolhaas

In dem Essay soll auf Grundlage der von Kant definierten ästhetischen Urteilskraft dargestellt werden, dass die Betrachtung und Erfahrung ästhetischer Gegenstände, wie beispielsweise jene von Bauten, aus Perspektive des ästhetischen Urteils immer und unweigerlich in einer übergreifenden Sinnreflexion mündet. In dieser Reflexion wird dabei nach dem möglichen positiven Bezug des einzelnen Gegenstandes zu einem objektiv-naturhaften Sinnganzen gefragt. Nach Kant können wir gar nicht anders, als im ästhetischen Urteil auf dieses sinnhafte Ganze zu reflektieren, da dieses die Struktur jener Erkenntnisform selbst beschreibt und nicht etwa eine zu diskutierende Erkenntnis an sich, womit so gesehen jede Interpretation von Architektur unter ein a priori der Sinnreflexion gestellt wäre. Das allerdings birgt heute ein erhebliches Störungspotential in sich, scheint doch modernem Denken und damit auch dem modernen Bauen genau dieses sinnhaft gefügte Ganze etwas nur noch Problematisches geworden zu sein.
Hieße das dann aber, dass alle ästhetischen Urteile über moderne Gegenwartsarchitektur mangels eines positiven Sinnbezuges scheitern müssten und also nur eine nicht-sinnhafte Welt sich in dieser entfaltet zeigt? Dargestellt werden soll anhand eines Fallbeispieles der Gegenwart, der Niederländischen Botschaft von OMA / Rem Koolhaas in Berlin, dass der Charakter des Nicht-Sinnhaften tatsächlich ein wesentlicher Bestandteil des Mainstreams der Gegenwartsarchitektur ist, was ästhetisch manifest wird in deren Wiederholung des Prinzips des abstrakten Bauens der Klassischen Moderne; damit würden sich die in aller Regel eher negativen Urteile der Nicht-Architekten über solche moderne Gegenwartsarchitektur erklären, die sich vom ästhetischen Prinzip der Abstraktion geleitet zeigt, ist doch die Erfahrung einer nicht-sinnhaften Wirklichkeit gleichbedeutend mit einem Ausschluss des eigenen geistigen Wesens aus dieser Wirklichkeit, da eben dieses Geistige des Subjekts immer nach dem Sinn bzw. nach der Kongruenz der subjektiven Ideen zum Sinn mit der Wirklichkeit sucht. Diese Frage aber nach der Vereinbarkeit des Freiheitsbegriffes (des Subjektes) und des Naturbegriffes (der Wirklichkeit) war es, deren für den Menschen unabdingbare Auflösung Kant allein in der begriffslosen ästhetischen Erfahrung als möglich ansah, konkret in der Erfahrung des Momentes der Schönheit der Natur, womit er den modernen Aporien der rein begrifflichen Erkenntnis ihre Spitze nahm, der wir jedoch ungeachtet dessen bis heute anhängen mit dem Ergebnis eben der scheinbaren Sinn-Aporie der Gegenwart.
Abschließend soll darauf hingewiesen sein, dass der positiv mögliche Schluss auf ein objektiv-naturhaftes Sinnganzes im Moment der Schönheit sowohl Ausgangspunkt einer nach Sinn fragenden, kritischen Architekturinterpretation, als auch eines denkbaren, sinnbestimmten Bauen sein kann, womit sich also eine Perspektive der Beheimatung des nach Sinn fragenden Menschen ergäbe.

Artikel in Deutsch

 
___Ryszard Sliwka
Cambridge, Ontario (CA)
 
Sublime Phänomene:
Anmerkungen zur Horizont-Architektur

Dieser Beitrag untersucht die Grenzen in der Interpretation von Architektur, insbesondere im Bezug auf den Horizont. Zwei kürzlich von David Adjaye erbaute Pavillons formen diese Diskussion. Einer der Pavillons wurde von Adjaye entworfen, um die Installation your dark horizon zu beherbergen, die von Olafur Eliasson auf einer Insel der Venezianischen Lagune als Teil der Biennale von 2006 errichtet wurde. Der andere Pavillon basiert auf einem Plan, den Adjaye vor Kurzem umsetzte, um dem Horizont zwischen dem Himmel und dem See Genezareth besonderen Ausdruck zu verschaffen. Diese beiden Werke teilen interessante Gemeinsamkeiten mit dem ‚Horizont der Sehnsucht’, den Le Corbusier in seinen letzten Projekten geschaffen hatte, insbesondere mit dem Grabstein für sich und seine Frau in Roquebrune, wo er durch eine dem Meer zugewandte Platzierung den Horizont des Mittelmeers mit in die Gestaltung einfließen ließ.
Andere Aspekte des Horizont-Themas werfen weitere Fragen auf. In einem Vergleich dieser Beispiele möchte ich einige der Schlüsselfragen hinsichtlich der Konzepte der Immanenz, der Transzendenz und der Kapazität architektonischer Objekte skizzieren, die diese Grenzen hervorrufen. In der sublimen Darstellung von Landschaft und Horizont verwebt Caspar David Friedrich in seinem Gemälde „Der Mönch am Meer“ (1809-1810) künstlerische, kulturelle, ökonomische, politische und religiöse Einflüsse auf komplizierte Art und Weise miteinander. Er steht somit am Ausgangspunkt der Diskussion, da dies ein Werk ist, das die Abhandlung des Sublimen von Edmund Burke aus dem 18. Jahrhundert und die daraus resultierende Zustimmung zu Immanuel Kants These in diesem Fachgebiet als Teil seiner „Kritik der Urteilskraft“ (1790) zum Ausdruck bringt.
Ferner kann die beunruhigende Anekdote der Ölsardinenbüchse, zumindest gemäß ihres Autors Jacques Lacan, dahin ausgeweitet werden, die Wahrnehmungsmechanismen, die in die Diskussion des Sublimen involviert und in den letzten Jahren in künstlerischen Diskursen aufgetreten sind, in psychoanalytischer Hinsicht zu erklären.
Sowohl Adjaye als auch Eliasson vertrauen auf phänomenologische Beschreibungen, die fest in jede transzendentale Diskussion des Horizonts in einer Welt der Immanenz eingebettet sind. Für Le Corbusier entsteht die Signifikanz des Horizonts aus seinen Schriften und Gemälden; somit agiert er in einer kryptischen persönlichen Mythologie, die ihn mit den alten Griechen und dem Gedankengut der Alchemie verbindet. Auf der anderen Seite beschränken sich sowohl Eliasson als auch Adjave auf eher zurückhaltende und profan konkrete Beschreibungen ihrer Installationen. Dies steht in einem eigenartigen Kontrast zu den außergewöhnlichen atmosphärischen und zeitlichen Effekten, die zusammen mit den Sehnsüchten und Offenbarungen erschaffen wurden, die die Erfahrung des Werkes auslösen.
Obwohl das Horizont-Thema in allen drei Werken hinsichtlich des Sublimen diskutiert werden kann, scheint jeder der drei Autoren eine andere Erfahrung zu haben. In meinem Fazit mutmaße ich, dass nicht nur ein einziges spezifisches Gefühl in die Erfahrung des Sublimen eingebunden ist, sondern ein breites Spektrum unterschiedlicher Gefühle bei verschiedenen Gelegenheiten beteiligt ist. Tatsächlich mag der soziale und kulturelle Kontext des Sublimen einen signifikanten Einfluss auf unsere Erfahrung haben. In jedem Fall ist ein Aspekt in der Erfahrung des Sublimen die Grenzerfahrung, die uns an unser bewusstes Menschsein bindet, eine Tatsache, die wir alle verstehen.

Artikel in Englisch

 
___Ryszard Sliwka
Cambridge, Ontario (CA)
 

Genetische Architektur

Mit der Liste der vom Aussterben bedrohten Arten haben die Kräfte der Globalisierung der Umwelt in den letzten Jahrzehnten eine bedeutend höhere Sensibilität gegenüber der Wildnis erreicht. Dennoch ist das Verständnis für unseren Platz in der Welt bei der Erschaffung unserer gebauten Welt abhängig von der Neubewertung unserer Beziehung zur Wildnis.
Die Genetische Architektur, ein Ausdruck, der seit Mitte der 1990er Jahre verwendet wird, könnte eine solche Abkehr von einer strikt auf den Menschen fokussierten Voreingenommenheit bezeichnen.
Sie beinhaltet eine bestimmte Designsensibilität, die von der Entwicklung organischer Systeme inspiriert wurde, und hat viele Ähnlichkeiten mit evolutionären, aufstrebenden, morphogenetischen und kosmogenen Ansätzen in der Gestaltung sowie mit Biokonstruktivismus, Bionik oder Biomorphismus. Die Entstehung dieser Strategie bildet insbesondere unter der jüngeren Architektengeneration, wie beispielsweise 3deluxe group, Herault-Arnod und anderen, die spekulative Basis für diesen Beitrag und geht auf die Frage der Genetischen Architektur im Bezug auf das Verständnis und die Integration der Wildnis als kulturelle Zielsetzung ein.

Artikel in Englisch

 
___Anna-M. Eifert-Körnig
Darmstadt
 
Der Block Beuys –
Ein überliefertes Ereignis als Interpretation von Architektur

Das Hessische Landesmuseum Darmstadt wird saniert. Davon ist auch der Block Beuys betroffen, der vom Künstler zwischen 1967 und 1970 eigenhändig eingerichtet wurde. Für den weiteren konservatorischen Umgang mit dem Block Beuys ist zu klären, was zum Werk und was zur architektonischen Hülle gehört. Der Beitrag zeigt, dass die einzelnen Lösungsvorschläge den Begriff der Architektur bei Beuys sehr unterschiedlich deuten. Ist mit dem architektonischen Rahmen des Werkes eine Hülle gemeint, oder ist darunter das Museum als Bauorganismus bzw. als Institution zu verstehen? Der Umgang mit dem Werk ist ein anderer, wenn das ‚Environment’ als Wahrnehmungsraum, als Handlungsraum oder als Denkraum interpretiert wird.
Das Problem der Objekthaftigkeit und der Ereignishaftigkeit ist der Architektur und der Aktionskunst gemein. Beuys' künstlerische Aktion ist eine besondere Form der Nutzung von Architektur. Diese verwandelt den realen Raum in einen Kunstraum. Die raum-zeitliche Verzahnung des Museums mit dem ereignishaften Werk erweist sich als eine Provokation, die am Selbstverständnis eines Museum rührt.

Artikel in Deutsch

 
___Katharina Lehmann
Lüneburg
 
Der gebaute Raum
in seiner Wirkung für Rezeption und Wahrnehmungserfahrung

Eine anwendungsorientierte ästhetische Rationalität kann Aufschluss darüber liefern, wie sich Architektur decodierend interpretieren lässt und ein Wahrnehmungsgehalt ihrer selbst zutage fördert, der Ebenen der Betrachtung erschließbar macht, die über die bloße Alltagsbetrachtung nicht zugänglich sind.
Zur Veranschaulichung wird das Werk Totes Haus Ur von Gregor Schneider herangezogen, das mit seinen zerschnittenen Räumlichkeiten Architektur im extremen Sinn verkörpert und eine Wahrnehmungspraxis besonders deutlich exerzierbar macht. Darauf bezogen wird veranschaulichend die ästhetische Wahrnehmungspraxis Martin Seels im ersten Teil, im zweiten Teil der Ansatz der Falte von Gilles Deleuze für ein ästhetisches Interpretieren von Architektur erläutert.

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___Fred Truniger
Zürich
 
Bilder akkumulieren –
Eine filmische Deutung der englischen Landschaft

Die in der vorliegenden Ausgabe von Wolkenkuckucksheim gestellte Frage nach der Interpretation von Architektur rührt an den Umstand, dass die Welt mit unterschiedlichen Mitteln repräsentiert werden kann: Interpretation ist eine mit (Be-)Deutungen aufgeladene Repräsentation eines mehr oder weniger objektivierbaren oder durch stringente Argumentation vertretbaren, subjektiven Standpunktes.
Gemeinhin bedient sich die Interpretation der Sprache. Sie stellt dank jahrhundertelanger philosophischer und literarischer Verfeinerung ihrer Mittel das präziseste Instrumentarium zur Repräsentation dar, das zur Verfügung steht. In der Sprache denkt der Mensch, in ihr lernt er sich von Kindheit an auszudrücken und eng verbunden mit den (Denk-)Möglichkeiten, die sie ihm bietet, entwickelt sich sein Weltbild als Konstruktion aus Bedeutungen. Doch Sprache ist nicht alles, und nicht alles lässt sich von ihr erfassen.
Dagegen möchte ich einige Überlegungen zum Film als eine Form visueller Interpretation vorstellen: Im Film Robinson in Space (GB 1997) widmet sich der britische Filmemacher und Architekt Patrick Keiller der zeitgenössischen Landschaft Englands. Durch zeitliche und geografische Verdichtung führt der Film sichtbar vor Augen, was in der realen Topografie aus verschiedenen Gründen leicht übersehen wird.

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