Zum Interpretieren von Architektur
Konkrete Interpretationen

13. Jg., Heft 1, Mai 2009

 

___Matthias Korn
Berlin
  Ein bescheidener Vorschlag zum Kennenlernen von Architektur: Destruieren.
Gordon Matta-Clarks Building Cuts.

 

   

„... das destruktive Element wird in der Kunst zu sehr vernachlässigt.“
Piet Mondrian, An Interview (1943)

Zur Rettung gehört der feste, scheinbar brutale Zugriff.“
Walter Benjamin, Passagen-Werk (Werke V/I, 592)
 

Jeder Interpret ist zunächst einmal ein Vermittler. Doch zur Vermittlung bedarf es einer intimen Kenntnis des zu Vermittelnden. Voraussetzung des Interpretierens von Architektur – so meine Ausgangshypothese – ist somit das genaue Kennenlernen eines Gebäudes, ein Prozess, den ich anhand der Arbeiten des Künstlers Gordon Matta-Clark exemplifizieren möchte. Dessen Werk in einem Kompendium über das Interpretieren von Architektur vorzustellen stellt sicher eine eher unorthodoxe, wenngleich vielleicht gewinnbringende Annäherung an den Umgang mit Architektur dar. Schenkt man Yve-Alain Bois Glauben, fungiert Matta-Clark unter Architekturstudierenden immerhin als eine Art Säulenheiliger[1]. Im Zusammenhang seines Œuvres wird besonders zwei Aspekten Aufmerksamkeit zu schenken sein: zum einen der Infragestellung von Architektur in ihrer damaligen Form zu Beginn der Siebziger Jahre, zum anderen der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der Annäherung an ein Gebäude überhaupt. Beide Fragen sollen anhand seiner Arbeit Splitting aus dem Jahr 1974 näher erörtert werden.

Ich möchte zeigen, wie Matta-Clark sich einem Gebäude nähert, welche besonderen Wahrnehmungsweisen ihm dabei zur Verfügung stehen und wie das zu unserem eigenen Interpretieren von Architektur beitragen kann. Das scheinen insofern besonders bedrängende Fragen, als schon der Impuls zu diesem Kompendium eine gewisse Unsicherheit gegenüber dem Gegenstand Architektur vermuten lässt, wie sie denn 'richtig' zu interpretieren sei. Ein Impuls, der sich vielleicht aus der Erfahrung dessen speist, was Anthony Vidler – angelehnt an Freud – das 'architektonische Unheimliche' (The Architectural Uncanny) genannt hat.
[2] Sein Befund bezieht sich dabei auf das vage Gefühl einer fundamentalen Unsicherheit, das uns mit dem Beginn der Moderne generell und im Besonderen bei der Betrachtung von Architektur beschleicht: Es ist ein Gefühl, sich beim Anblick von Gebäuden, die uns eigentlich ein Heim sein sollten, nicht mehr heimisch zu fühlen. Das Unheimliche verweist uns also gerade an etwas, das durch ein Fehlen des Heimischen charakterisiert ist.[3]

Ziel meines Aufsatzes ist es, einen alternativen Weg zur Annäherung an Architektur auszuarbeiten, dem es gelingt, die empfundene Unheimlichkeit zu überwinden und damit gleichzeitig eine mögliche Form der Interpretation von Architektur in den Blick zu bekommen, die auf denjenigen Wahrnehmungsprozessen fußt, die vornehmlich in künstlerischen Schaffensprozessen Anwendung finden.



Für eine Erotik der Architektur?

In ihrem Essay Against Interpretation aus dem Jahre 1964 greift Susan Sontag den zeitgenössischen akademischen Umgang mit Literatur und Kunst an. Dieser bestehe darin, die sinnlichen Qualitäten von Kunst zugunsten eines angenommenen Inhalts, sei er Botschaft des Autors, Spiegelbild seiner Psyche oder Ausdruck des Klassenkampfes zu vernachlässigen und so den formalen und beunruhigenden, gesellschaftskritischen Aspekten der Werke nicht gerecht zu werden. Sie schließt ihren Essay mit dem vehementen Appell: "Statt einer Hermeneutik brauchen wir eine Erotik der Kunst.
"[4] Auch heute noch liegt die sinnliche Präsenz von Werken der Kunst – von einigen rühmlichen Ausnahmen einmal abgesehen – sicher nicht im primären Fokus der Interpreten, so dass Sontags Kritik wenig an Aktualität eingebüßt zu haben scheint.

Kunst verweist nicht mehr auf ein allgemein Gesellschaftliches wie sie das noch vor der Moderne getan hat: sie ist erklärungsbedürftig geworden und das gilt im gleichen Maße für die Architektur. Sontags Anspruch nach mehr Sinnlichkeit auch im Kontext von Architektur zu erheben, scheint jedoch zunächst widersinnig, ist doch gerade der Raum, den Architektur entstehen lässt, ausnahmslos sinnlich – und nur sinnlich – erfahrbar, und geht es doch in deren Hermeneutik gerade um die formalen Lösungen des zu interpretierenden Gebäudes. Und was wäre wohl, bleibt man in dieser Analogie, der Inhalt von Architektur? Und doch muss diese Frage gestellt werden angesichts der empfundenen Distanz eines Unheimlichen, das uns moderne Architektur vermittelt, und architektonischer Lösungen, die dem Bewohner zwar ein Dach über dem Kopf, aber kein 'Wohnen' im eigentlichen Sinne bieten. Aber wo wäre demnach die von Sontag eingeforderte Erotik der Architektur zu suchen? Eine Antwort darauf soll durch die genuin artistische Herangehensweise Gordon Matta-Clarks an das Gebäude als Material für seine Building Cuts gegeben werden. Die vermeintlich sinnlichen Qualitäten von Gebäuden – soviel als Ausblick – lassen sich auf ganz unterschiedliche Weisen wahrnehmen: bewusst, analytisch und intellektuell oder unbewusst, aus einer Praxis heraus, sei sie die der Bewohner, sei sie die eines Künstlers.



Gordon Matta-Clarks Weg zur Destruktion

Gordon Matta-Clark (*1943 - †1978), Sohn des surrealistischen Malers Roberto Matta und Anne Clark, studiert an der School of Architecture in Cornell, Ithaka, New York, ohne sich dort jedoch besonders für sein Fach zu interessieren. Erst diverse Möglichkeiten, sich außerhalb des vorgegebenen Rahmens des Studiums künstlerisch zu betätigen, wecken seinen Ehrgeiz und seine Tatkraft. Bei einem Workshop mit führenden Land Art-Künstlern wie Robert Smithson oder Dennis Oppenheim assistiert er dem letzteren bei dessen Arbeit Beebe Lake Ice Cut in Ithaka, New York, bei der beide im Winter 1969 mithilfe von Motorsägen Rinnen in eine teilweise zugefrorene Seeoberfläche schneiden
[5].

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Abbildung 1:
Gordon Matta-Clarks's participation with Oppenheim, 1969

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Abbildung 2:
Pipes, 1971

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Abbildung 3:
A W-Hole House
(Entwurfsskizze), 1973
 
  In Boston legt Matta-Clark für eine Ausstellung die Gasleitung hinter einer Galeriewand frei und dokumentiert per Fotografie das damit verbundene, sich hinter den Wänden befindliche Rohrgedärm, das von der Straße bis in den Keller führt (Pipes, 1971).

In Manhattan öffnet er den Boden einer Galerie, um den Raum darunter von den enormen Gravitationskräften des Gebäudes zu befreien und pflanzt einen Kirschbaum in das Loch (Cherry Tree, 1971). In der South Bronx sägt er Löcher in Wände und Boden eines verlassenen Hauses, die Ausblicke in die danebenliegenden Zimmer und das darunter liegende Geschoss erlauben (Bronx Floors, 1972). In Italien schließlich schneidet er die Spitze des Dachfirstes eines Gebäudes mit viereckigem Grundriss sowie Teile aus dessen zentraler innerer Wandstruktur aus, um die Gesamtanlage des Gebäudes von Innen auf einen Blick erfahrbar zu machen ('A W-Hole House', 1973).

Alle diese Arbeiten der frühen Siebziger Jahre arbeiten bereits mit dem für Matta-Clark so charakteristischen radikalen Destruktionsgestus. Diese wie die in der Folge entstehenden so genannten Building Cuts zählen sicher zu Matta-Clarks berühmtesten Arbeiten.[6] Dabei ist die Geste der Destruktion jedoch kein Zerstören der vorgegebenen Struktur, sondern ist vom lateinischen de-struere mit der Bedeutung abschichten, abtragen abgeleitet. Es geht somit um ein – ganz analog zum dem diesem Aufsatz vorangestellten Benjamin-Motto – gewalttätiges, aber darin behutsames Entfernen von Oberflächenschichten, um die bestehende Struktur zu verändern und dadurch andere Sichtweisen zu ermöglichen. In diesem Sinne ist Matta-Clarks Anliegen zu verstehen, wenn er sagt:

"I do not want to create a totally new supportive field of vision, of cognition. I want to reuse the old one, the existing framework of thought and sight."[7]

Dabei sind es im Besonderen die sozialen Bedingungen der Bewohner, die ihn interessieren:

"By undoing a building there are many aspects of the social conditions against which I am gesturing: [...] to open a state of enclosure which had been preconditioned not only by physical necessity but by the industry that profligates suburban and urban boxes as a context for insuring a passive, isolated consumer a virtually captive audience."[8]

Matta-Clark zielt somit auf die Befreiung des Bewohners aus seiner in abgeschlossenen Boxen passiven, isolierten und konsumorientierten Gefangenschaft und fügt hinzu:

"The fact that some of the buildings I have dealt with are in Black ghettos [South Bronx; Englewood, New Jersey (Splitting), M.K.] reinforces some of this thinking, although I would not make a total distinction between the imprisonment of the poor and the remarkably subtle self-containerization of higher socio-economic neighborhoods."[9]

Gegen die erzwungene wie selbst gewählte Containerisierung proklamiert Matta-Clark einen Zugang, der die räumliche Betrachtung durch eine zeitliche modifiziert und ergänzt. Fokus seiner Arbeiten sei eine

"perpetual metamorphosis, a model for peoples' constant action on space as much as in the space that surrounds them. Buildings are fixed entities in the minds of most the notion of mutable space is virtually taboo – even in one's own house. People live in their space with a temerity that is frightening. Home owners generally do little but maintain their property. It's baffling how rarely the people get involved in fundamentally changing their place by simply undoing it."[10]

 


"Das Haften am Ich macht das Leben undurchsichtiger. Ein Augenblick der Selbstvergessenheit,
und alle Trennwände werden eine nach der anderen transparent [...]
Die Seele verwandelt sich dann wirklich in einen Vogel
."
Philippe Jaccottet, Fliegende Saat (1954)
 

Ich-Destruktion als Bedingung der Möglichkeit von Kunst

Matta-Clarks phänomenal beschriebener destruktiver Gestus des Ein-, Aus-, und Durchschneidens verweist jedoch auch auf einen innerpsychischen Prozess, der im Werk nicht repräsentiert, aber mit Hilfe der Wahrnehmungspsychologie als Ich-Destruktion, d. h. im Sinne eines Abschichten des Ichs, beschrieben werden kann. Dem Menschen stehen zwei relativ gut voneinander unterscheidbare Perzeptionssweisen zur Verfügung, wie sie der Wahrnehmungspsychologe und Psychoanalytiker Anton Ehrenzweig in seinem Buch The Hidden Order of Art bereits 1967 beschrieben hat.[11] Ehrenzweig unterscheidet eine analytische Wahrnehmung, die einzelne Objekte vor ihrem Hintergrund differenziert wahrnimmt und die besonders für unsere alltäglichen Verrichtungen von großem Nutzen ist, von einer synkretistischen Wahrnehmung, die diese Unterscheidung nicht trifft, sondern bei der die Aufmerksamkeit frei schwebend über das Gesehene hinwegläuft und dedifferenzierend dessen Gesamtstruktur auf einen Blick erfasst. Beide Wahrnehmungsweisen spielen in den künstlerischen Schaffensprozess hinein, wobei die letztere darin betont wird. Während die analytische Wahrnehmung einen Prozess der Bewusstwerdung darstellt und dort zu finden ist, wo man – psychoanalytisch betrachtet – den Sekundärprozess verortet, d. h. im Ich, findet die synkretistische Wahrnehmung sich im Primärprozess, dem ausgewiesenen Bereich des Unbewussten. Dieser Bereich gilt in der klassischen Darstellung durch Freud als relativ unstrukturiert, kennt das Unbewusste doch keinerlei Widersprüche und unterscheidet nicht einmal zwischen unterschiedlichen Zeitebenen.[12] Doch ist das Unbewusste nicht strukturlos, sondern in Wirklichkeit nur undifferenziert und seine Struktur kann – aber eben nur synkretistisch – wahrgenommen werden, wenn das Ich seine bewussten Vorstellungen zerstreut und alles dedifferenzierend in gleicher und gleichzeitiger Gültigkeit wahrnimmt. Der Eindruck von Chaos bei der Betrachtung des Unbewussten entsteht auch nur insofern, so Ehrenzweig, als unser enges analytisches Oberflächenbewusstsein dessen weiter umgreifende Struktur gerade nicht erfassen kann. Die synkretistische Sehweise ist in ihrer Charakteristik dabei durchaus mit dem Hören vergleichbar – für uns von Interesse in Analogie zu Schellings klassischem Topos von "der Baukunst als erstarrter Musik"[13] –, einer Wahrnehmungsform, die nicht-fokussierend den Umraum auf integrale Weise in sich aufnimmt. Da im kreativen Prozess die Möglichkeit der einzuschlagenden Wege – analytisch betrachtet – unendlich groß ist, wählt das unbewusste Prüfen, wie Ehrenzweig es nennt, aus dieser großen Zahl aus und ent-scheidet (sic) sich, d.h. es hebt die Trennung zwischen Künstlersubjekt und Objekt auf und akzeptiert unmittelbar – man kann auch sagen: intuitiv – bestimmte Lösungsangebote. Dabei wird der Wahrnehmungsprozess zentriert und gestützt durch die Berührung des eigenen Selbst, wenn Matta-Clark – in Anlehnung des Konzeptes des Selbst bei C. G. Jung, das dieser gerade als Nicht-Ich beschreibt – konstatiert, dass seine Arbeit "a constant concern with the center of each structure" gewesen sei. Alle Building Cuts seien "direct exercises in centering and recentering" gewesen, bei denen er an das herangegangen sei, was er als das Herz der räumlich-strukturellen Konstante ("the heart of the spatial-structural constant") angesehen habe. Dieses Herz jedes Gebäudes steht während des Arbeitsprozesses in unmittelbarer Beziehung zu einer inner-personenhafte Geste ("an inner-personal gesture"), die Matta-Clarks mikroskopisches Selbst mit dem Ganzen verbindet ("by which my microcosmic self is related to the whole").[14] Diese Verbindung findet jedoch jenseits der analytisch-bewussten Wahrnehmungsweisen statt. Sie ist eher ein diffuses Gefühl als konkret in Worte zu fassen.

Wie mir Jane Crawford, die Witwe Matta-Clarks, in einem persönlichen Gespräch mitteilte, hat dieser Splitting immer als eine seiner gelungensten Arbeiten angesehen. Diesem persönlichen Gefühl des Gelingens wird im Verlaufe meines Aufsatzes weiter nachzugehen sein.

Matta-Clarks Freilegung des Gasrohrgedärms in seiner oben kurz beschriebenen Arbeit Pipes weist uns zumindest allegorisch den Weg hin zu dieser viszeralen, d. h. aus den Eingeweiden kommenden Herangehensweise. Gelingt dabei im Prozess des Hervorbringens das Umschalten von analytischer zu synkretistischer Wahrnehmung, überführen die Handlungen des Künstlers das so ausgewählte Material im Modus eines organisch Ganzen in die Realität. Die Arbeit erscheint als Totalität. Dieser Idealtypus stellt so etwas wie die conditio sine qua non aller kreativen Prozesse dar.



322 Humphrey Street, Englewood, New Jersey, 1974

Diese wahrnehmungstheoretischen Präliminarien waren nötig, um verstehen zu können, auf welche Weise sich Matta-Clark einem Haus nähert. Wohlgemerkt – uns allen stehen diese beiden Wahrnehmungsweisen für die Betrachtung der Welt zur Verfügung. Anhand einer 'dichten Beschreibung' (Clifford Geertz) des Prozesses von einer seiner berühmtesten Arbeiten – Splitting aus dem Jahr 1974 – wird im Folgenden das oben theoretisch umschriebene und von Matta-Clark selbst formulierte Programm der Destruktion als Verbindung von Selbst und Material an seiner konkreten Praxis exemplifiziert.

Die Zufriedenheit mit seiner Arbeit A W-Hole House in Genua im Jahr 1973 ließ in Matta-Clark den Wunsch aufkommen, auf diese Weise auch ein Haus in den Vereinigten Staaten zu bearbeiten. Holly Solomon, die zusammen mit ihrem Mann Horace Solomon Galeristen Matta-Clarks waren und eine Reihe seiner Arbeiten mäzenatisch unterstützen, erinnert sich noch gut an dessen Stimme zu jener Zeit am Telefon: "Holly, I need a house."
[15] Und die Solomons hatten ein Haus. Es lag in Englewood, New Jersey, war Teil einer ehemals von Schwarzen bewohnten Vorortsiedlung, die der Grundstücksspekulation zum Opfer gefallen und nun für den Abriss projektiert war. Matta-Clark blieben nicht mehr als zehn Wochen Zeit[16].


 

I have chosen not isolation from social conditions,
but to deal directly with social conditions [...]
Gordon Matta-Clark, Typewritten statement[17]
 

Die Generierung der Idee zu Splitting

Wie Thomas Crow anhand von Anstreichungen in Büchern über Alchemie aus Matta-Clarks Handbibliothek gezeigt
hat, war dieser "[…] fascinated by the idea of invisible forces far exceeding the awareness and strength of the individual ego."[18] Diesen Typ von Wahrnehmung, der über das enge, analytische Bewusstsein des Ich weit hinauszugehen vermag, habe ich oben bereits beschrieben. Matta-Clark selbst hat vereinzelt darauf hingewiesen, dass es gerade eine erweiterte Perspektive war, die zu seinen Ideenfindungen beitrug: "Confronting the house with the space around it so that internal changes also became strong external images."[19] Es geht in diesem beinahe programmatisch formulierten Satz zum einen um die ausgedehnte und integrale Wahrnehmung des Kontextes, zum anderen darum, die daraus entstehenden inneren Veränderungen in ein äußeres Bild zu übertragen. Nach seiner Arbeit in Genua war eine der ersten – nahe liegenden – Ideen, das Haus in der Humphrey Street aufzuschneiden:

Liza Béar: "Did you have a project in mind beforehand?"
Gordon Matta-Clark: "It took me a couple of weeks to decide between different ideas I had. […] Originally what I wanted to do was just to take a cut out of it, cut through the whole thing, but there was very little that would have been showing by just cutting. And it seemed that once you'd cut, something should be made of each half."
[20]

Matta-Clark bereitet also zunächst das Haus vor. Mit Freunden leert er die einzelnen Zimmer und bringt alle alten Einrichtungsgegenstände und anderen Hausrat in den Keller. Im Zeitraum dieser Wochen macht sich Matta-Clark Gedanken über die Ausmaße eines Schnittes. Dokument dieser Beschäftigung sollen einige Linienzeichnungen gewesen sein.

"[…] I was […] very interested in how breaking through the surface creates repercussions in terms of what else is imposed upon a cut. That's a simple idea, and it comes out in some line drawings that I'd been doing."[21]

Matta-Clarks Zeichnungen aus der Zeit der frühen Siebziger Jahre sind uns seit der großen Ausstellung über sein zeichnerisches Werk in Wien zugänglich, die mehr als 600 Werke umfasste.[22] Bei einigen von ihnen besteht die Möglichkeit, sie konkreten Projekten zuzuordnen. Der Großteil jedoch ist undatiert und ohne Bezeichnung geblieben und im Katalog vom Herausgeber als "vectors", "energy forms" oder "arrows" betitelt worden. Sie zeigen Matta-Clarks intensive Beschäftigung mit unsichtbaren Energie- und Kraftströmen. Zu Splitting gibt es bisher in der Literatur keinerlei konkrete Zuordnung von Zeichnungen, auch wenn es nach den oben von Matta-Clark gemachten Äußerungen Vorarbeiten in Form besagter line drawings geben müsste.



Zeichnen und Skizzieren als Erkenntnisform

Bevor ich auf einige konkrete Zeichnungen Matta-Clarks näher eingehen werde, möchte ich noch einige Worte über die Praxis des Zeichnens und die damit verbundenen mentalen Leistungen verlieren.

Bereits seit Vasari geht das Zeichnen bzw. Skizzieren in der theoretischen Betrachtung über das, durch einen intellektuellen und gleichzeitig körperlichen Akt der Führung der Hand, mimetische Übertragen der Realität auf das Blatt hinaus. Zeichnen fungiert mit den Worten Karen-Edis Barzman als "a cognitive process, moving from perception of sensible particulars to knowledge of universal things that cannot be seen".
[23] Vasari selbst beschreibt das Disegno folgendermaßen:

"Weil er aus dem Verstand [intelletto] kommt, ist das Disegno [die Zeichnung] der Vater unserer drei Künste Architektur, Bildhauerei und Malerei. Es entwirft, auf der Grundlage der Anschauung vieler Einzelgegenstände, eine universale Anschauung [giudicio universale]. Diese entspricht einer wohlproportionierten Grundform oder Idea aller Naturgegenstände. […] Und aus diesem Gedanken heraus ist das Disegno entstanden: etwas wird im Geist aufgefasst und dann mit Hilfe der Hände zum Ausdruck gebracht."[24].

Wie Pamela Lee in ihrem Artikel über das Zeichnen bei Matta-Clark konstatiert, ist die Linie somit "ein Mittel oder Verfahren, dessen sich der Intellekt bediente, um den Gegenstand zu erkennen."[25] Was hier selbstredend auf die figürliche Zeichnung bezogen ist, ließe sich problemlos auch für die abstrakte Skizze sagen.

Denn Skizzen, so Vasari,

"nennen wir eine erste Form von Zeichnungen, die man anfertigt, um eine Art und Weise der Haltungen [des menschlichen Körpers, M.K.] und eine erste Komposition des Werks zu finden. […] Der künstlerische f u r o r  bringt sie auf die Schnelle mit der Feder […] hervor, allein um den Geist zu irgendeinem Einfall anzuregen, und deshalb nennt man sie Skizzen."[26]

Skizze ist abgeleitet vom italienischen schizzo, Spritzer, Fleck. Skizzen stehen in einem dialektischen Verhältnis zum Verstand. Nicht nur bespritzen sie diesen mit einer möglichen Anregung, sondern umgekehrt sind sie – relativ schnell ausgeführt – Spritzer noch vager mentaler Vorstellungen, die der Künstler, einmal auf dem Papier erschienen – mit den Worten Ehrenzweigs – unbewusst prüfen und in der Folge als Projektionen der Psyche entweder akzeptieren oder verwerfen kann. Skizzieren steht somit in engem Kontakt zu den unbewussten Schichten des Selbst und vermag im besten Falle, diesen eine manifeste bildliche Form zu verleihen. Vielleicht nicht ganz uninteressant ist die Art und Weise, wie Matta-Clark diese Skizzen hervorgebracht hat. Wie die Künstlerin Mary Heilman sich erinnert, arbeitete Matta-Clark "[e]ven when he was making drawings, […] in a state of frenzy. His face would get determined … and he'd do a little devil dance. He'd take colored pencils, dig in, press real hard and fast, and would scribble along. I loved those writing pieces. He would do that automatic writing in a way that was otherworldly, mysterious."[27] Das bei den Surrealisten als Zugang zum Unbewussten favorisierte automatische Schreiben wird hier auf das Skizzieren übertragen. Für das analytische Bewusstsein kann diese Form der Hervorbringung nur unverständlich sein. Wie Pamela Lee scharfsinnig formuliert, versuchte Matta-Clark "statt Dinge, die im Wandel begriffen sind, darzustellen, dem Wandel selbst eine Form zu geben"[28]. Darüberhinaus, und ungleich wichtiger, arbeiten seine Zeichnungen "mit Darstellungsverfahren, um Situationen sichtbaren Ausdruck zu verleihen, die über keinerlei anschauliche Referenz verfügen"[29]. In diesem Sinne sind sie visionär. Für Matta-Clark selbst gaben diese Skizzen "clues to certain kinds of spatial ideas"[30], Hinweise, die er in Form seiner Building Cuts teilweise verwirklichen sollte.

Es ist an der Zeit, das bisher Zusammengetragene zu resümieren:
Matta-Clark versucht erstens, unsichtbare Kräfte wahrzunehmen, die das Ich-Bewusstsein übersteigen. Er versucht zweitens, durch Hereinnahme der kontextuellen Umstände des Hauses in seinen Reflexionsprozess dessen innere Veränderungen zu spüren und diese in ein äußeres Bild zu überführen. Drittens hat er bereits unterschiedliche Erfahrungen mit dem Handwerk des Destruierens in anderen Arbeiten gemacht. Viertens schließlich ist das Medium seiner Reflexion das Zeichnen.

Anhand einiger weniger Zeichnungen werde ich nun eine mögliche Entwicklungslinie zu rekonstruieren versuchen, die von den gegebenen Charakteristiken des Hauses mit besonderer Rücksicht auf dessen Kontext über die zeichnerische Ausformulierung der Idee hin zur Ausführung von Splitting führt.

Meine Vermutung geht somit dahin, dass es sich bei einem Teil des umfangreichen Konvoluts abstrakter Vektor-, Energie- und Kraftlinienzeichnungen um konzeptionelle Vorarbeiten zu Splitting handelt.



Die Skizzen zu Splitting

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Abbildung 4:
Untitled (arrows) 1973-74, divergierende Linien an einem Ort

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Abbildung 5:
Untitled (arrows) 1973-74,
sich verzweigende, vektorielle Energielinien

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Abbildung 6:
Untitled (arrows), 1973-74, Entwurfsskizze, befreite Energielinien
 
  Die erweiterte Wahrnehmung des Hauses samt seiner Geschichte der durch Grundstücksspekulation vertriebenen Bewohner, so meine These, lassen Matta-Clark etwas Unsichtbares spüren: divergierende Kräfte, die mit der Vertreibung der Bewohner das Haus durchziehen, Spannungen innerhalb des Gebäudes, deren Darstellung ihm durch vektorielle Kraft- und Energielinien im Zeichenprozess zu verbildlichen gelingt. (Abbildung 4)

"The shadows of the persons who lived in there were still pretty warm."
[31] Diese Veränderung des Hauses durch die nur noch in Schattenform anwesenden Menschen wird im Folgenden eine bedeutende Rolle spielen. Matta-Clarks sich selbst gestellte Aufgabe war es, diese "internal changes in strong external images" zu überführen, wie es oben programmatisch hieß. Hier nähern wir uns dem entscheidenden Schritt des Kennenlernens. Bilden die vektoriellen Energielinien in der Abbildung 4 noch chaotisch durcheinanderlaufende Bewegungen ab, zeigen sich in Abbildung 5 bereits Tendenzen, wie sich diese Kräfte zu massiven Strömen ordnen. Die zunächst von links unten kommenden Kraftlinien teilen sich im Verlauf der Überquerung des Blattes immer mehr auf, um schließlich in der rechten oberen Ecke in zwei verschiedene Richtungen auseinanderzudriften. Übertragen wir diese Driftbewegung auf das Haus in der Humphrey Street, würde das bedeuten, dass Matta-Clark diese unsichtbaren, kaum spürbaren inneren Spannungen wahrgenommen und in eine visuelle, skizzenhafte Form überführt hat.

Der Entwicklung eines Durcheinanders von Kräften hin zu relativ geordneten, auseinanderlaufenden Energieströmen folgt - in meiner imaginierten Entwicklungslinie - eine Zeichnung, die auf verblüffende Weise geradezu als eine illustrative Vorzeichnung zu Splitting erscheint (Abbildung 6).

Die zu beiden Seiten weglaufenden Pfeile suggerieren fliehende Kräfte, die, wieder übertragen auf das Haus, nur durch seine äußere Hülle noch zusammengehalten werden und durch einen vertikalen Schnitt befreit werden könnten. Ganz offensichtlich schien Matta-Clark diese Skizze zu gefallen: die Idee war geboren, das Haus in der Humphrey Street in der Mitte zu teilen und daraufhin aufzuspalten.



Die Ausführung von Splitting

Mit der Generierung der konzeptuellen Idee zu Splitting ist die Arbeit des Kennenlernens jedoch noch nicht abgeschlossen. Der im Konzept entstandene enge Kontakt zwischen dem Herzen des Hauses mit Matta-Clarks eigenem Selbst soll bei der Ausführung des Durchsägens dabei weiter betrachtet werden, denn wenn dieser enge unbewusste Kontakt wirklich besteht, muss sich im Zuge der Ausführung an Splitting ein für den Künstler spürbarer gemeinsamer Gefühls- und Handlungsraum zwischen seinem Selbst und dem Herz des Hauses einstellen.

In aufwendiger wochenlanger Handarbeit wird das Haus mit handlichen elektrischen Bausägen durch zwei parallele, sich im Abstand von einigen Zentimetern befindliche Schnitte in der Mitte geteilt. Dabei werden nicht nur die Außenwände samt Festerrahmen zersägt, sondern auch das Dach, der Boden der Zimmer sowie die sich im Haus befindliche Holztreppe samt ihres Geländers. Schließlich setzen Matta-Clark und seine Helfer am hinteren Teil des Hauses vier schwere mechanische Hebeböcke unter der Gesamtkonstruktion an, entfernen die oberste Schicht des Steinsockels der einen Haushälfte bzw. schneiden deren Steine schräg zu und lassen den hinteren Teil des Hauses dann langsam und gleichmäßig ab, bis er auf seinem neuen Fundament zum Liegen kommt. Die Folge dieser Arbeit ist die Spaltung und Öffnung des gesamten Hauses vom Boden bis zum Dach. Zuletzt wird der noch bestehende Spalt zwischen Holzkonstruktion und Steinsockel wieder zugemauert.
 
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Abbildung 7:
View of Splitting in progress

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Abbildung 8:
Splitting, Color photograph

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Abbildung 9:
View of Splitting, Innenansicht

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Abbildung 10:
Splitting, Schnittkante, Collage
  Der ganze Arbeitsprozess war dabei äußerst spannungsgeladen. "I knew I could cut it in half easily enough, but wasn't sure, I could set it back on its foundations. It was suspense-packed up to the last minute."[32] Doch die Konstruktion des Hauses agierte wie geplant, "responding to the jacks and lowering process without a groan. She came down like a dream."[33] Der Absenkungsprozess als solcher eröffnete Matta-Clark dabei "new insights into what a house is, how solidly built, how easily moved". Und überglücklich konstatiert er schließlich: "It was like a perfect dance partner. I can't wait to do it again [...]."[34] (Abbildung 8) Die oben angesprochene dialektische Verbindung von Künstlerselbst und Herz des Hauses führt dazu, dass beide, wie in einem gemeinsamem Tanz, die gleiche Bewegung ausführen und dabei eine Form von Befreiung erleben. Das lässt sich an Matta-Clarks Freude ablesen. Doch Befreiung wovon? Von dem uns allen auferlegten Zwang, ein Individuum zu sein, das sich einer Welt in Distanz gegenübersieht. Von der Statik dieses rationalen Weltverhältnisses, dem ein dynamisches entgegengestellt wird. Von den ökonomischen Interessen, die eine gewachsene Gemeinschaft auseinander reißt.

In einem kurzen zweiseitigen theoretischen Text beschreibt Matta-Clark selbst sein Gefühl der Befreiung beim Destruktionsprozess alter Häuser durch den Schnitt: "What a relief to see old joints cracked free!"
[35]

Durch den Schnitt werden in der Folge zudem eine ganze Reihe von visuellen Informationen über das Haus zugänglich. Das Haus, nun lichtdurchflutet, beginnt, seinen Charakter zu ändern und wieder eine gewisse Faszination auf den Betrachter auszuüben (Abbildung 9). Man sieht hinaus in den Garten, in den Himmel.

Matta-Clark interessiert sich jedoch weniger für die entstandenen Ein- und Ausblicke, die der Spalt nun gewährt, als für das Aussehen der Schnittkante:

"Of course, there are visual consequences to cutting, certainly to removal, but it was kind of the thin edge of what was being seen that interested me as much, if not more than, the views that were being created."[36]

Im Kontext seiner Arbeit A W-Hole House in Genua spricht Matta-Clark davon, dass diese dünne Kante den "autobiographic process of its making"[37] offenlege. Es sind diese freigelegten und zerteilten Schichten des Hauses ("the layering, the strata, the different things that are being severed"), die offenbaren, wie eine gleichförmige Oberfläche überhaupt entsteht ("how a uniform surface is established."[38]) (Abbildung10).

Liza Béars Frage, was denn "the most complicated physical operation" bei Splitting gewesen sei, weicht Matta-Clark indirekt aus und wendet sie auf das in unserem Kontext wichtige Kennenlernen des Gebäudes als schwierigstes Moment der gesamten Arbeit:

"The hardest part of the whole project was getting to know the building. It seemed to take cutting through it with a chain saw to get to know it. Once the heavy slow process was performed on the surfaces, then the other ideas were simple. I mean, the more dynamic aspects of the piece happened quite easily. […] It gets so easily reduced to a simple sketch or summarized in a couple of notes."[39]

Matta-Clarks skizzenhafte Vorzeichnungen stellten somit vielleicht zwar den wichtigsten Teil des Kennenlern-Prozesses dar, der jedoch erst durch die intensive dreiwöchige und körperlich anstrengende Arbeit am Haus ergänzt und zum Abschluss gebracht werden konnte.

Der Schnitt als solcher geht dabei über die Arbeit an Splitting weit hinaus und würde unser Verständnis von Privatheit grundlegend verändern:

"It would be very interesting translating cuts like this into still usable or inhabited places. It would change your perceptions for a while, and it certainly would modify privacy a great deal. You'd have to live on or as far away from the line as possible."[40]

Matta-Clark zielt auf eine Art von "psychic alteration",[41] die er zunächst bei sich selber wahrnimmt. Seine künstlerische Verfremdungsarbeit, die unsere eigene Entfremdung gegenüber dem Wohnen sichtbar zu machen weiß, ist somit eine produktionsästhetische Stellungsnahme zum generellen Umgang mit Architektur.

"The issue is change" beginnt Matta-Clark in einem frühen unveröffentlichten Interview, "but then rather than using a machine or device of technology to demonstrate change, I prefer that it becomes a mental experience and purely mind consciousness." [42]

Zeit und damit Veränderung in das Werk zu integrieren, zielt somit nicht auf eine bloße Illustration des Intendierten, sondern versucht, tiefer anzusetzen: bei den eigenen Wahrnehmungs-, Schaffens- und Erfahrungsprozessen und bei den Veränderungen, die die Arbeit im Betrachter auszulösen vermag.

Im Kontext des Interpretierens von Architektur ist dabei besonders von Interesse, dass es die Architektur selbst ist, die, lässt man sich auf sie ein, das Vokabular für eine andere Wahrnehmung vorgibt:

"Dealing with the building as a clear, recognizable object, and distortions of that object as a direct train of thought in which the building's structure provides the vocabulary. If it weren't recognizable, it would be hard to use it. It works for me in direct progression to the amount I get to know it. The more I know a particular place and structure … the more I want to bow it."[43]

Im Gegensatz zu Matta-Clark ist es dem Interpreten sicher nicht darum zu tun, das Objekt zu verändern. Aber es geht ihm im besten Falle darum, die intime Kenntnis eines Gebäudes zu erlangen, sie weiterzugeben und für ein zukünftiges Bauen herauszustellen: und so für andere nutzbar zu machen.

Es ist evident, dass Matta-Clark mit Häusern arbeitet, die bereits eine Geschichte haben. Sie haben ihren Nutzen zum gegebenen Zeitpunkt aus welchen Gründen auch immer bereits überdauert. Was an seiner Arbeitsweise jedoch deutlich wird, ist die Integration des Faktors Zeit. Dabei geht es in unserem Kontext weniger darum, die Statik des Gebäudes aufzubrechen und es, wie in Splitting geschehen, in einem kinetischen Performanceakt zu Kunst zu machen, sondern es geht darum, die Zeit für eine bestimmte Dauer fließen zu lassen, bevor wichtige Ent-scheidungen (sic) getroffen werden. Nur durch ein allmähliches, auf synkretistischen Wahrnehmungsweisen beruhendes Kennenlernen lässt sich eine Verbindung zum Gebäude und dessen immateriellem, unsichtbaren Kontext aufbauen und auf diese Weise die zu ihm empfundene unheimliche Distanz überbrücken.

Der amerikanische Architekt Bruce Goff hat, wie in Heinz Emigholz' Dokumentarfilm Goff in der Wüste berichtet wird, Raum und Zeit des Ortes, an dem seine zukünftigen Gebäude entstehen sollten, in seinen Arbeitsprozess integriert, indem er vor den ersten Planungsschritten auf dem noch leeren Baugrund ein Zelt aufschlug und dort einige Tage vor Ort verbrachte, um das zukünftige Umfeld in seine Reflexionen aufnehmen zu können.
[44] Vielleicht sollte das - im Sinne einer Erotik der Architektur - jenseits des intellektuellen Umgangs zum Standard auch für das Interpretieren von Gebäuden werden. Wie wir jetzt wissen: Das Kennenlernen ist das Schwierigste.


 




Literaturverzeichnis:

 

Sontag, Susan: Gegen Interpretation (1964), in: dies., Kunst und Antikunst, München 1980.

Barzman, Karen-Edis: Perception, Knowledge, and the Theory of Disegno in Sixteenth-

Century Florence, in: From Studio to Studiolo, hg. v. Larry J. Feinberg, Seattle/ London 1991, 37-48.

Bois, Yve-Alain: Threshole, in: Bois, Yve-Alain und Krauss, Rosalind E.: Formless. A User's Guide, New York 1997.

Breitwieser, Sabine (Hg.): Reorganizing structure by drawing through it: Zeichnung bei Gordon Matta-Clark, Wien/ Köln 1997.

Crow, Thomas: Gordon Matta-Clark, in: Gordon Matta-Clark, hg. von Corinne Diserens, New York, N.Y., 2003, 7-132.

Diserens, Corinne (ed.): Gordon Matta-Clark, New York, N.Y. 2003.

Ehrenzweig, Anton: Ordnung im Chaos. Das Unbewußte in der Kunst, München 1974.

Ehrenzweig, Anton: The Hidden Order of Art, London 1967.

Emigholz, Heinz: Goff in der Wüste, Filmgalerie 451, Stuttgart/ Berlin 2003.

Freud, Sigmund: Das Unbewusste (1915), in: ders.: Gesammelte Werke Bd. X, Ffm

             1999, 264-303.

Freud, Sigmund: Das Unheimliche (1919), in: ders.: Gesammelte Werke Bd. XII, Ffm

 1999, 227-268.

Lee, Pamela: Dazwischenzeichnen/ Drawing in between, in: Breitwieser 1997, 18-32

Moure, Gloria (ed.): Gordon Matta-Clark: Works and Collected Writings, Barcelona 2006.

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Vorlesungen über Philosophie und Kunst, 1802/1803.

Sussman, Elisabeth (ed.): Gordon Matta-Clark: "You are the measure", New Haven 2007.

Vasari, Giorgio: Einführung in die Künste der Architektur, Bildhauerei und Malerei (1586). Berlin 2006.

Vidler, Anthony: unHEIMlich. Über das Unbehagen in der modernen Architektur, Hamburg 2001 (engl. Ausgabe: The Architectural Uncanny: Essays in the Modern Unhomely. Cambridge/ London 1992).

 



Abbildungsnachweis:
 

Abbildung 1:
Gordon Matta-Clark assists Dennis Oppenheim during the making of Beebe Lake Ice Cut, Ithaca, New York, 1969
in: Diserens 2003, 24

Abbildung 2:
Pipes, 1971,
b/w photographs and pipe, Coll.
Los Angeles County Museum of Art, Los Angeles (installed at Holly Solomon Gallery, New York City, 1994)
in: Diserens, 2003, 51

Abbildung 3:
A W-Hole House: Roof Top Atrium and Datum Cut, 1973, pencil and black ink
on paper
in: Breitwieser 1997, 230, Nr. 652

Abbildung 4:
Untitled (Arrows) 1973-74, pencil, black ink and markers on paper
in: Breitwieser 1997, 128, Nr. 181

Abbildung 5:
Untitled (Arrows) 1973-74, pencil, black ink and markers on paper
in: Breitwieser 1997, 128, Nr. 180

Abbildung 6:
Untitled (Arrows) 1973-74, Different colored ink, colored pencils and markers
on paper
in: Breitwieser 1997, 129, Nr. 183.

Abbildung 7:
View of Splitting in progress, Photographie, s/w, 1974
in: Sussman 2007, 27.

Abbildung 8:
Splitting, Color photograph, 1974
in: Diserens 2003, 81, Nr. 98

Abbildung 9:
Splitting, View of Splitting, b/w photograph 1974
in: Diserens 2003, 83, Nr. 101

Abbildung 10:
Collage, Color photographs, 1974
in: Moure 2006, 159

 

 

Vermerk:

Werke Gordon Matta-Clark © VG Bild-Kunst, Bonn 2009



 



Anmerkungen:

[1] Bois 1997, 191. Bois spricht von "cult figure".

[2] Vidler 2002.

[3] Freud 1919.

[4] Sontag 1964, 18.

[5] Crow 2003, 25. Vgl. Oppenheims Erinnerung an diese Zusammenarbeit in Diserens 2003, 191.

[6] Crow 2003 gibt einen guten Überblick über die Chronologie von Matta-Clarks Gesamtœuvre.

[7] Matta-Clark1976 (Interview with Donald Wall Mai 1976), in: Diserens 2003, 185.

[8] Matta-Clark (Interview with Donald Wall, Mai 1976), in: Diserens 2003, 182.

[9] ebd., 182.

[10] ebd., 185.

[11] Ehrenzweig 1967.

[12] Freud 1915, 286.

[13] Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Philosophie der Kunst (1802/1803), Darmstadt 1976.

[14] Alle Zitate Matta-Clark 1976 (Interview mit Donald Wall, Mai 1976), in: Diserens 2003, 182.

[15] Holly Solomon, Interview zitiert nach: Crow 2003, 74.

[16] Die Zeitangaben variieren leicht. Matta-Clark bekam das Haus irgendwann im März 1974 zur Verfügung gestellt, arbeitete dann aber zunächst einen Monat nicht daran. Vgl. sein Statement in: Moure 2006, 170 (Interview mit Liza Béar, 21. Mai 1974).

[17] Matta-Clark, Gordon Matta-Clark's Building Dissections, Typewritten statement, undated, in: Moure 2006, 132.

[18] Crow 2003, 44.

[19] Gordon Matta-Clark: Work with abandoned structures (typewritten statement, ca.1975) in: Moure 2006, 142.

[20] ebd.

[21] Moure 2006, 166.

[22] Vgl. Breitwieser 1997.

[23] Barzman 1991.

[24] Vasari: 1568, hier zitiert nach Lee 1997, 21, in: Breitwieser 1997.

[25] Lee 1997, 21.

[26] Vasari: 1568, 104.

[27] Heilman hier zitiert nach: Breitwieser 1997, 11.

[28] Lee 1997, 23.

[29] Lee 1997, 24.

[30] Matta-Clark 1970 (unveröffentlichtes Interview mit Cindy Nemser am 20. Juli und 21. September 1970), in: Sussman 2007, 16.

[31] Matta-Clark 1974 (Interview mit Liza Béar, Mai 1974), in: Moure 2006, 173.

[32] Matta-Clark 1974, in: Moure 2006, 170.

[33] Matta-Clark 1974, in: Moure 2006, 175.

[34] Matta-Clark 1974, in: Moure 2006, 175.

[35] Matta-Clark: Work with abandoned structure, ca.1975, in: Moure 2006, 141.

[36] Matta-Clark 1974, in: Moure 2006, 167.

[37] Matta-Clark 1976, in: Diserens 2003, 184.

[38] Matta-Clark 1974, in: Moure 2006, 167.

[39] Matta-Clark 1974, in: Moure 2006, 176.

[40] Matta-Clark 1974, in: Moure 2006, 167.

[41] Matta-Clark 1974, in: Moure 2006, 174.

[42] Matta-Clark 1970, in: Sussman 2007, 16.

[43] Matta-Clark 1974, in: Moure 2006, 177.

[44] Emigholz 2003.



 


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