Zum Interpretieren von Architektur
Konkrete Interpretationen

13. Jg., Heft 1, Mai 2009

 

___Anna M. Eifert-Körnig
Darmstadt
  Der Block Beuys – Ein überliefertes Ereignis als Interpretation von Architektur

 

    Die Sanierung des Darmstädter Museums und die Folgen

Dem Hessischen Landesmuseum Darmstadt stehen umfangreiche Umbauarbeiten bevor. Der im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigte und nach dem Krieg nur notdürftig wiedererrichtete Bau von Alfred Messel[1] aus der Wende zum  zwanzigsten Jahrhundert muss von Grund auf saniert und durch einen Neubau erweitert werden. Ziel ist es, die vielfältigen denkmalerischen Qualitäten des Baus zu erhalten und ihn an heutige Anforderungen anzupassen. Neben den vielen technischen, logistischen und wirtschaftlichen Entscheidungen ist diese Aufgabe gewiss auch eine Interpretationsleistung im engsten Sinne des Wortes: Verstehen und Auslegen zugleich, Bedeutungen (d. h. Konzepte, Funktionen, Imaginationen) sinngemäß bewahren und weiterzutradieren ebenso, wie diese zeitgemäß zu erweitern und umzudeuten.

Dass allerdings eine Aufgabe, die sich ursprünglich als eine notwendige pragmatische Machbarkeitsprobe ankündigte, sich zu einer heftigen Grundsatzdebatte entwickeln würde, war in dieser Form nicht abzusehen. Die perspektivische Planung von Nutzung, Bewahrung und Präsentation der Exponate ist eine Herausforderung, die eine Reflexion über das eigene Tun ebenso voraussetzt wie über das aktuelle Kunstverständnis. Denn Sammeln, Erhalten und Tradieren von Kunstwerken, gehören zunächst zu der Grundverantwortung eines Museums. Leitvorstellungen wie etwa die von Originalität, Werk und Authentizität werden wiederum im Umgang mit Kunst aktuell austariert. Dies insbesondere dann, wenn die Beschaffenheit der Objekte konzeptionell auf Veränderung angelegt ist. Dient etwa die konservatorische Intervention vorrangig dazu, die Materialität der Werke zu erhalten, oder sollte ihr Ziel in der sinngemäßen Bewahrung der Werkidee liegen? Häufig geht es bei den Entscheidungen  – wie im konkreten Fall auch  – weniger um die problematische Haltbarkeit der Materialien als vielmehr um die inhaltlichen und konzeptionellen Implikationen derselben.

Auslöser der aktuellen Auseinandersetzung im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt ist die dort fest installierte Ausstellung von Joseph Beuys, der so genannte „Block Beuys“. Es handelt sich hierbei um eine der letzten authentischen Installationen, die vom Künstler eigenhändig in sieben Räumen des Landesmuseums in den Jahren zwischen 1967 und 1970 eingerichtet wurden. Es war das gemeinsame Anliegen des Sammlers Karl Ströher und des Künstlers, die umfangreiche Sammlung der Werke möglichst geschlossen zu erhalten und der Öffentlichkeit zu präsentieren. Beuys betrachtete den Block als eine Art „Werkstatt“, er nahm dort immer wieder kleine Veränderungen vor, um „optimale Konstellationen“ zu schaffen. Gerade diese Einmaligkeit des Ortes, geprägt von der Spur des Künstlers, kommt heute aus Betrachtersicht einer intensiven Werkerfahrung gleich.

Von den Baumaßnahmen sind nun unweigerlich auch diese einzigartigen Räume betroffen. Es verwundert daher nicht, mit welch großem Interesse in Fachkreisen wie auch in der Öffentlichkeit die Frage nach dem Fortbestand der Installation und deren geplanter Neupräsentation in den wiedereröffneten Räumen des Museums verfolgt wird. Darüber zu spekulieren, wie Beuys heute zu seinen Räumen stehen und wie er mit der vorhandenen Situation umgehen würde, ist gewiss ebenso sinnlos, wie ihn in seinem Tun angesichts der anstehenden Aufgaben nachahmen zu wollen. Es ist jedoch die Aufgabe eines Museums, das Werk möglichst authentisch zu bewahren, zu restaurieren bzw. zu tradieren.

Bei einem ortsgebundenen, vom Künstler eigenhändig eingerichteten Environment, gestaltet sich die Werkdefinition insbesondere in Bezug auf die räumlich-gestalterische Abgrenzung schwierig. Die gegenwärtige Debatte fokussiert sich auf die Frage, was zum Werk gehört und was als architektonische Hülle zu betrachten sei, wo also die Grenze zwischen Kunst und Architektur liege. Die Sanierungsarbeiten können nicht vorgenommen werden, ohne dass in den architektonischen Rahmen der Installation eingegriffen werde. Wie können die Umbauarbeiten vonstatten gehen, ohne dadurch in die Werkintention einzugreifen? Welchen Anteil dieser zu sanierende Umraum an der Gesamtinstallation hat und welche Lösungswege sich bei dem unvermeidbaren Eingriff abzeichnen, ist unterdessen keine rein konservatorische, sondern eine das Beuyssche Werk betreffende Grundsatzfrage.

Argumentiert wurde in der aktuellen Debatte vorrangig aus der Sicht des Werkes. Architektonische Gesichtspunkte wurden in diesem Zusammenhang nur unter pragmatischen Machbarkeitsaspekten in Betracht gezogen. Unter dem Druck der öffentlichen Aufmerksamkeit wurde der Block kürzlich aus der ursprünglichen Finanzplanung herausgenommen, um ohne Termindruck nach optimalen Lösungen suchen zu können. Eine sehr erfreuliche Entwicklung freilich, in Anbetracht der Einmaligkeit des Werkes und der unwiderruflichen Folgen der getroffenen Entscheidungen. Zu hoffen ist unterdessen, dass die Fragen der Angemessenheit bezüglich des historischen Baus und des ursprünglichen Museumskonzeptes des Architekten Alfred Messel weiterhin Bestand des Findungsprozesses um den Block Beuys bleiben.

Folgt man der Argumentation, dass der Block Beuys seine Einmaligkeit gerade durch die architektonische Verortung erhält, so erscheint es notwendig, tiefer gehend nach den räumlichen und architektonischen Gegebenheiten zu suchen, welche für Beuys bei der Einrichtung dieses Werkensembles besonders prägend waren. Bekanntlich hat sich der Künstler bei seinen Aktionen und Ausstellungen generell auf die vorgefundenen räumlichen Bedingungen bewusst eingelassen. Die ausgestellten Exponate, die in verschiedenen Aktionen wiederholt Verwendung fanden, wurden durch die veränderten Handlungs- und Ausstellungszusammenhänge stets in ihren Bedeutungen erweitert, differenziert und überschrieben. Dies legt die Schlussfolgerung nahe, dass der architektonische Rahmen im Sinne eines raum-zeitlichen Kontextes bei Beuys sinnstiftende Funktion besitzt.

Für den zukünftigen Umgang mit dem Block Beuys gilt deshalb vorrangig zu klären, was sich durch die geplanten und unvermeidlichen Baumaßnahmen in seinem Sinngehalt verändert. Die bisherige konservatorische Position bezog sich auf eine möglichst behutsame Erhaltung des gesamten Ensembles. Mit den anstehenden Umbauarbeiten wird die bisher parallel verlaufende Zeitschiene zwischen Installation und umgebendem Raum durchtrennt. Aus konservatorischer Sicht wird sich somit der Werkcharakter grundlegend verändern, so dass eine neue konservatorische Strategie notwendig wird. Im weiteren Umgang scheint ein Perspektivenwechsel notwendig, der nicht nur den Block für sich, sondern das gesamte architektonische Gefüge berücksichtigt.

Unterdessen erscheint aus Sicht der Architektur durchaus die Frage berechtigt, inwiefern die Erhaltung des Blocks auf Kosten der Architektur geschehen kann. Muss der Bau seine Autonomie aufgeben und damit in dienender Funktionalität sich gänzlich der ausgestellten Kunst unterordnen bzw. sich von ihr instrumentalisieren lassen? Lässt sich eine solche Vorgehensweise möglicher Weise aus dem Museumskonzept heraus rechtfertigen? Sollten der umgebende Raum und die Ausstellungsobjekte in ihrer gegenseitigen Bedingtheit gesehen werden?

In der aktuellen Debatte darüber, was zum eigentlichen Werk und was zur Architektur gehört, bleibt oft unklar und unreflektiert, welches Verständnis von Architektur den einzelnen Lösungsvorschlägen zu Grunde gelegt wird. Eine gelungene Entscheidung setzt jedoch voraus, im Vorfeld Konsens darüber zu erzielen, was mit Architektur gemeint ist, wenn von ihr gesprochen wird.

Wie es im Folgenden aufgezeigt wird, liegen den einzelnen Vorschlägen durchaus divergierende Vorstellungen über Bedeutung und Funktion von Architektur zu Grunde. Das Werkverständnis vom Block Beuys ist jedoch grundsätzlich davon abhängig, welcher Begriff von Architektur bei der Werkanalyse jeweils impliziert wird. In einem ersten Schritt soll deshalb genauer untersucht werden, von welchem Architekturbegriff bei den einzelnen Vorschlägen zur Neuinstallierung des Blocks ausgegangen wird. Anschließend soll nach Beuys’ Verständnis von Architektur gefragt werden, um Aufschluss darüber zu erhalten, welche Rolle die Architektur in formaler wie in konzeptioneller Hinsicht bei der Werkgenese spielte und inwiefern diese ein konstitutives, sinnstiftendes Element der Installation bildeten.


Überlegungen zur Neuinstallierung des Block Beuys nach der Wiedereröffnung des HLMD

Es können im Wesentlichen vier unterschiedliche kuratorische Positionen im Umgang mit dem Block Beuys ausgemacht werden. Bis auf einen Vorschlag geht man immer davon aus, dass die Position der Exponate, sowie der Vitrinen samt Inhalt unverändert bleibt. Am heftigsten gestritten wird um die Veränderungen bezüglich des architektonischen Rahmens der Ausstellung. Insbesondere die Raumkubatur, die Wandbespannung und der Teppichboden stehen zur Disposition. Notwendig wird der Eingriff durch die unvermeidliche Erneuerung der Haus- und Klimatechnik und des Brandschutzes. Maßnahmen also, die nur einen eingeschränkten Gestaltungsraum bieten. Bekanntlich war Beuys von den Gegebenheiten der ursprünglich nur als Provisorium gedachten Räume nicht sehr angetan. Er akzeptierte diese jedoch zunächst und soll gar im Verlaufe der Jahre den Veränderungen der nicht farbbeständigen Textilbespannung eine gewisse Ästhetik abgewonnen haben. Inwiefern der gegenwärtige Braunton als Ausdruck der werkimmanenten Prozesshaftigkeit zu interpretieren sei, oder ob diese Farbverschiebung nur eine werkfremde, weil nostalgische „Retro-“ oder gar „Gammelästhetik“ (Johannes Stüttgen) begünstige, bildet den Fokus der Meinungsverschiedenheiten.

Nahe liegend erscheint der Vorschlag, eine „rekonstruierende“ Wiederherstellung der ursprünglichen räumlichen Situation vorzunehmen, so wie sie Beuys 1970 vorfand. Gemeint ist damit vor allem die Neubespannung der Wände mit der Jutetapete in der ursprünglichen Farbe, die Erhaltung des Teppichbodens, der Raumkubatur, der Gitter der Lüftungsschächte, d.h. des gesamten Raumeindrucks. Die technischen Erneuerungen sollten so kaschiert werden, dass sie die optische Gesamtwirkung nicht beeinträchtigen. Während der architektonische Rahmen bei dieser Lösung annähernd den Eindruck der Ausgangssituation zurückerhalten würde, blieben die Exponate der Installation, d. h. die Material- und Farbbeschaffenheit der zumeist anfälligen organischen Stoffe in ihren gegenwärtigen Zustand unverändert.

In Frage käme auch eine Neugestaltung der architektonischen Hülle im Block. Diese vom Museum bevorzugte Variante möchte sich im Wesentlichen an anderen Ausstellungen von Beuys orientieren, in denen die Sammlungsbestände präsentiert worden waren. Auch hier soll die Konstellation der Exponate unverändert bleiben. Erneuert werden sollen jedoch die Wand- und die Bodengestaltung sowie evtl. Teile der Raumkubatur. Besonders problematisch erweist sich der Umgang mit dem stark verschmutzten grauen Teppichboden im ersten Raum, auf dem eine von Künstlerhand gezogene gelbe Linie sich befindet. Eine mögliche Überlegung besteht darin, den stark verschmutzten Teppichboden durch Estrich zu ersetzen. Ebenfalls entfernt werden soll die stark vergilbte und stellenweise beschädigte bzw. sich wellende Jutebespannung. Die Wände sollen stattdessen weiß gestrichen werden. Da die Wandbespannung auf einem Rahmen befestigt ist, welcher sich in 10 cm Abstand vor dem eigentlichen Mauerwerk befindet, ist es fraglich, inwiefern sich die Größe des Raumes tatsächlich verändern wird. Es besteht auch die Überlegung, die aus haustechnischen Gründen überflüssig gewordene Dachschräge in den Kabinetten zu begradigen und die die Wandgestaltung stark prägenden Lüftungsschächte zu entfernen. Entstehen soll eine stimmige Raumsituation, welche jedoch die Ablösung der Ausstellung von der umgebenden Architektur deutlich markiert.

Denkbar wäre auch eine radikale Neugestaltung der Sammlung, welche die ursprüngliche Installation als Konsequenz der anstehenden veränderten Bedingungen radikal aufbricht. Für diese Position erscheint bei der Veränderung des Umraums die positionelle Beibehaltung der Aufstellungsexponate nicht schlüssig und daher auch nicht sinnvoll. Folgerichtig sei vielmehr, die Sammlung in einer neu konzipierten Ausstellung, womöglich in gänzlich neuer Umgebung aufzustellen.

Schließlich besteht die deutliche Forderung, den gesamten Block samt Jutebespannung, Bodenbelag und Kubatur unberührt zu lassen bzw. im jetzigen Zustand möglichst behutsam zu konservieren. Hierdurch soll der Block in seiner ursprünglichen Erscheinungsform belassen bleiben, um „die letzte Hand des Künstlers“ zu bewahren und nachvollziehbar zu machen. Auch in das Eigenleben, d. h. in die zeitliche Dimension des Werkes soll nicht aktiv eingegriffen werden.

Bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass die ersten beiden Vorschläge die Zusammengehörigkeit des architektonischen Rahmens und der Exponate nicht für zwingend halten. Die beiden letzten Varianten proklamieren hingegen – trotz ihrer diametral entgegengesetzten Schlussfolgerungen – gerade die konstitutive Einheit von Ort und Ausstellung. Die beiden Positionen kommen zu unterschiedlichen Einschätzungen der Frage, inwiefern die Installation als ein eigenständiges Werk  betrachtet werden kann. Ob dem Block in seiner Ganzheit eine eigenständige Werkqualität zugeschrieben wird, hängt letztlich davon ab, welcher Stellenwert der künstlerischen Aktion selbst, d. h. der eigenhändigen Einrichtung der Ausstellung durch Beuys, beigemessen wird. Die unterschiedlichen Ansätze sind auf die unterschiedliche Auslegung der ursprünglichen Werkintention zurückzuführen. Steht die Bewahrung des Blocks als Handlungsraum im Vordergrund, so wird die temporäre Ereignishaftigkeit des Blocks hervorgehoben.

Anders gestalten sich die verschiedenen Positionen, wenn es um den konservatorischen Umgang mit dem Block geht. Die Meinungen unterscheiden sich darin, wie man mit dem vorhandenen Werk als Raum-Körper-Gefüge verfahren soll. Unter diesem Aspekt stehen sich die restaurativen und konservierenden Ansätze näher. Ihre Intention richtet sich auf den Erhalt der gesamten Raumqualität, weil sie den Raum vorrangig als Wahrnehmungsraum betrachten. Für eine solche Lösung nehmen sie Unstimmigkeiten und Brüche aus der Sicht der Werkgenese durchaus in Kauf. Jene Positionen, die sich für die Raumveränderung aussprechen, richten ihre Aufmerksamkeit auf die Objektqualität der einzelnen Exponate und deren Beziehungsverhältnisse untereinander. Den umgebenden Raum betrachten sie als einen eher indifferenten, ästhetisch-geometrischen Ausstellungsraum.


Architektur als Wahrnehmungsraum, als Handlungsraum und als Denkraum

Je nach Position wird die Grenze zwischen architektonischem Rahmen und der Ausstellung deshalb unterschiedlich gezogen, weil die Architektur mit unterschiedlichen Bedeutungen konnotiert wird.

Bei der restaurativen Herangehensweise wird die Architektur auf den unmittelbaren Umraum als einschließender Innenraum reduziert. Ein solcher Kastenraum umgibt den Block wie eine schützende Höhle, die zugleich die Existenz des hermetisch umschlossenen Werkensembles sichert. Ein Raumvolumen wird postuliert, das nur nach Innen abstrahlt, dem Werk zugehörig ist und keine Eigenqualitäten aufweist. Die Materialität, die Akustik und die haptische Wahrnehmung schaffen um den Betrachter ein energetisches Feld. Er fühlt sich in dieser immersiven Eigenwelt eingebunden. Seine Erwartung an die Architektur als Schutz und Geborgenheit bietend wird erfüllt. Nicht nur der Raum, auch die Exponate sowie der Betrachter scheinen in der Gesamtheit des Werkes aufzugehen. Durch die Gewissheit, in einem evokativen Raum zu verweilen und die Spur und Wirkung des Künstlers spüren zu können wird ein mysthisch-auratischer Raum erlebt. Das Werk wird als ein auratischer Wahrnehmungsraum gedeutet, der sich durch energetische Kräfteverhältnisse organisiert.

Neben dieser sphärischen Raumqualität konzentriert sich dieser Interpretationsansatz an die formalen, ja plastischen Qualitäten der Räume. Er hat insofern eine gestalterische Wirkung, als er in seiner Kubatur positive und negative Ausformungen zeigt, welche bestimmte haptische und optische Eigenschaften der „Inneneinrichtung“ bedingen. Wand, Decke und Boden sind Raumgrenzen, die den Raum hermetisch umschließen und nur in formaler Hinsicht eine Bedeutung haben. Obwohl die Vertreter dieser Konzeption gerade deshalb für diese Lösung plädieren, weil sie hierdurch das Eigenleben des Werkes, d. h. dessen fortschreitende Entfaltung bzw. seinen Verfall gewahrt wissen wollen. Diesen Anspruch auf Prozessualität beschränken sie allerdings nur auf die Binnendynamik des Blocks selbst, um hierdurch das Werk in seiner Objekthaftigkeit und gegenwärtigen Erscheinung zu wahren. Der Geschichtlichkeit als Gesamtzusammenhang schreiben sie offensichtlich keine Relevanz zu. Ebenso lassen sie den architektonischen Gesamtkontext als Sinn erweiternde Deutungsebene außer Acht. Unreflektiert bleiben selbst die baulichen Funktionszusammenhänge. Würde man etwa die vergilbte und Falten werfende Tapete tatsächlich in dem jetzigen Zustand konservieren, die darunter liegende Schichten jedoch aus konservatorischen Gründen erneuern, bzw. entfernen, dann würde dieser Zustand zum reinen Formalismus verkommen. Der Faltenwurf der Tapete ist nämlich dadurch bedingt, dass unter der Jutebespannung eine Papierschicht belassen wurde, die sich von der Trägerfläche löst. Ähnliche Einwände ließen sich hinsichtlich der Raumkubatur oder der Lüftungsschächte vortragen, die durch die notwendig veränderte Haustechnik ihre ursprüngliche Funktion verlieren würden und nur aus formalen Überlegungen heraus belassen blieben.

Ein durchaus weiter gefasstes Verständnis von Architektur prägen jene Protagonisten, welche die Abgrenzung der sieben Räume des Blocks nicht mit dem Werkrahmen im konstitutiven Sinne gleichsetzen wollen. Ihre Argumente machen die Schwachstellen der konservativen Richtung überdeutlich. Bekanntlich entschied sich Beuys ganz bewusst für die Räume im zweiten Stock des Museums. Dass diese sich unmittelbar über der Naturwissenschaftlichen Abteilung befinden, sind für Beuys ebenso von großer Bedeutung gewesen, wie die Tatsache, dass in diesen Räumen früher die mittelalterlichen Altäre untergebracht waren. Auch die damalige Nachbarschaft zu Andy Warhols Ausstellung war explizit erwünscht. Er sah sich dort wohl auch symbolisch an der Nahtstelle zwischen Wissenschaft und Kunst, um deren gegenseitiges Durchwirken er sich programmatisch bemühte. Diese Verortung seiner Sammlung in einem Ideengehäuse, das im HLMD auch Ansätze eines Universalmuseums erkennen lässt, entsprach seiner Vorstellung offensichtlich so sehr, dass er den Umzug in den eigens für diese Sammlung errichteten Neubau stets ablehnte.

Die Annahme scheint also vor diesem Hintergrund nicht unbegründet, die Grenzen zwischen Block und Architektur mithilfe eines Architekturverständnisses zu suchen, das den Gesamtbau als einen lebendigen Organismus zur Einklammerung der Installation setzt. Aus dieser Sicht würde die konservatorische Isolierung des Blocks zu kurz greifen, ihn von den wandelnden Bauprozessen abschneiden und um einen wichtigen Sinnzusammenhang berauben. Der Block ist vielmehr als ein Teil dieses lebendigen Gesamtorganismus zu betrachten, dessen unmittelbare Raumgrenzen in ihren durchlässigen und verbindenden Qualitäten wahrzunehmen sind. Nach diesem Verständnis haben die Veränderungen der Teile ebenso Auswirkungen auf die anderen Teilorganismen wie auf das Ganze und umgekehrt. Wird der Bau saniert, umgebaut und auch konzeptuell verändert, so bleibt dies selbst dann nicht ohne Wirkung auf den Block, wenn man ihn unverändert lässt. Die Einrichtung des Blocks ist als eine gestalterische Reaktion auf die einst vorherrschenden räumlich-architektonischen sowie konzeptuellen Gegebenheiten des Museums entstanden und von Beuys mehr als eine Laborsituation, denn als ein abgeschlossenes Werk verstanden worden. Beuys hat zu seinen Lebzeiten immer wieder Veränderungen im Block vorgenommen. Zum einen, weil die Konstellationen sich verschoben, zum anderen aber auch, weil sich seine Sicht auf diese immer neu formierte. Sowohl für ihn als auch für den Betrachter sollte er einen situativen Handlungsraum bieten, der aus der Interaktion lebt. Würde in einer lebendig sich verändernden Umgebung der Block als einziger Teil unverändert bleiben, würde er erstarren und nur auf der formalen Ebene Erinnerungen an den Block bewahren. Ein offener Umgang mit dem Block kann zwar in der letzten Konsequenz die Auflösung des Blocks als Gesamtinstallation bedeuten. Im Hinblick auf die Authentizität des Werkes kann dies jedoch folgerichtiger erscheinen als eine vortäuschende Rekonstruktion, die allerdings den Zerfall ebenfalls impliziert.

Als eine radikale, aber in dieser Logik doch folgerichtige Alternative zeigt sich schließlich der Vorschlag, die Installation als solches aufzulösen und die Exponate als das zu betrachten, was sie ursprünglich waren: Teile einer angekauften umfangreichen Sammlung. Wie alle andere Objekte eines Museums ihres ursprünglichen Sinnzusammenhangs beraubt sind, und je nach Ausstellungskontext aufs Neue gedeutet werden, können auch diese Werke ihrer Musealisierung nicht entfliehen.

Neben den verschiedenen Auffassungen von Architektur als Raumorganisation bringen die dargestellten Lösungsvorschläge auch ein abweichendes Verständnis von der Wertigkeit des Baus im Verhältnis zum Werk zum Ausdruck. Soll die Symbiose als Gesamtheit bewahrt werden? Dieser Ansatz behandelt beide Seiten als gleichrangig. Hat die Architektur nur eine dienende Funktion? Bei diesem Verständnis werden architektonisch wichtige Aspekte erst gar nicht berücksichtigt, nur die Authentizität des Werkes ist von Belang. Wird die Architektur als Museumsbau und Ausstellungsstätte in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestellt und werden die Exponate vorrangig als Sammlungsbestände angesehen, dann werden pragmatische museale, d. h. baufunktionale Gesichtspunkte vorrangig in Betracht gezogen.


Das Problem der Ungleichzeitigkeit

Die ortsgebundene Einrichtung der Installation erscheint zunächst als eine künstlerische Auseinandersetzung mit den räumlichen Gegebenheiten. Die konservatorischen und architektonischen Erwägungen richten sich verständlicher Weise deshalb auf den Block in seiner stofflich-plastischen Erscheinung. Die gegenwärtige Situation macht offenkundig, dass das eigentliche Problem sich nicht auf der Werkebene des Raum-Körper-Verhältnisses befindet. Erst in seiner Eigenschaft als Aktions- bzw. Ereigniskunst erweist sich der museale Umgang mit dem Block als konfliktbehaftet. Mit der künstlerischen Aktion von Beuys fand nicht nur eine räumliche, sondern auch eine zeitliche Verankerung der Installation in der Architektur statt. Das Werk nach der Wiedereröffnung des Museums in dieser Komplexität zu präsentieren, ist eine das Selbstverständnis der Museumspraxis betreffende Aufgabe.

Die Architektur ist von einem ambivalenten Anspruch bestimmt. Ihr Bestreben ist es, auf der Grundlage einer temporären Dynamik der Zweckbestimmtheit eine statisch-tektonische Formbeständigkeit zu erschaffen. Nicht nur die Installation, auch die Architektur ist also schon für sich genommen durch beide Faktoren definiert: durch ihre Objekthaftigkeit und ihre Prozessualität. Gerade diese Gemeinsamkeit macht die gegenseitige intermediale Erweiterung bzw. Reflexion zwischen den beiden Gattungen so spannend. Wie schon gezeigt wurde, erst durch die Verschaltung beider zeitlichen Stränge in der Werkdefinition kann die Homogenität des Blocks in seiner Gesamtheit gewährleistet werden. Durch den jetzt notwendig gewordenen Eingriff in den Bau wird die in diesem Zusammenhang bisher wenig beachtete temporäre Eigendynamik der Architektur offenkundig und für das Werkverständnis relevant. Die bisher parallel verlaufende Zeitschiene zwischen Exponaten und Umraum wird nunmehr gegenläufig: Der Entwicklung, d.h. Modernisierung des historischen Museumsbaus strebt eine „Entschleunigung“ durch die Konservierung des Werkes entgegen. Ein Ablösungsprozess beginnt, der sich als Autonomiebestrebung andeutet und die lieb gewonnene Interpretation vom Block Beuys als Gesamtkunstwerk relativiert.

Die vorgestellten Alternativen im zukünftigen Umgang mit dem Block deuten an, dass es wohl kaum eine Lösung geben wird, welche das Werk in seiner raum-zeitlichen Komplexität überliefern kann. Die verschiedenen Positionen können nur unterschiedliche Aspekte des Blocks erhalten. Für den weiteren konservatorischen Umgang mit dem Block bedarf es zunächst in zwei Fragen eines Konsenses. Zum einen über das Architekturverständnis von Beuys: Inwiefern stimmt das jeweils den einzelnen Vorschlägen zugrunde gelegte eigene Verständnis von Architektur mit dem implizierten Architekturverständnis von Beuys überein? Zum anderen über das Selbstverständnis eines Museums: Kann und soll das Museum auf die konzeptuellen, temporären Aspekte des Werkes seine konservatorischen Anstrengungen richten oder besteht seine Aufgabe in der restaurativen Objekterhaltung?


Ausstellung als Kunstwerk

Auf den konkreten Ort in formaler und in inhaltlicher Hinsicht Bezug zu nehmen, einen Ort zu gestalten, Spuren zu hinterlassen, an etwas Teil zu haben, sich auf etwas einzulassen – dies sind Aspekte, die für Architekten wie Künstler stets aus einer doppelten Motivation entspringen: das Bedürfnis nach der eigenen Verortung und nach der Offenlegung des genius loci. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, verfolgt auch Beuys diese Intentionen bei der räumlichen Verankerung seiner Werke. Ob die „Selbstinszenierung“ im musealen Kontext damit erschöpfend begründet ist, soll im Weiteren geklärt werden.

Im Fluxus wurde die Frage der Objekthaftigkeit und das Problem der Ephemerisierung des Werkes schon zu einem früheren Zeitpunkt erörtert als in der Architektur. Die Ereignishaftigkeit und Flüchtigkeit, die nach heutigen architekturkritischen Überlegungen ein „Ende der Architektur“ ankündigt, stellte auch für die Fluxuskünstler der 70er Jahre ein Dilemma dar. Ähnlich wie in der Architektur etwa Virilio oder Eisenman für die Notwendigkeit des Bauens plädieren und Architektur an ihrer realen Ausführung und Gestaltwerdung messen lassen wollen, beharrte auch Beuys nach seinen Fluxuserfahrungen zunehmend auf der Rückbindung seiner temporären Aktionen auf die Objektbildung. Wie jedoch Form ohne die Finalität des Objekthaften, als temporäre Konstellation zu fassen sei, blieb eine grundlegende Kernfrage seines theoretischen und künstlerischen Schaffens. Gestaltwerdung nicht als Erstarrung, sondern als Energie- und Zeitkonzentrat zu denken, bietet auch einen wichtigen Zugang zum Verständnis seiner in-situ-Installationen.

Beuys war es früh bewusst geworden, dass Fluxus nicht museal tradierbar ist. Wie es noch weiter unten aufgezeigt wird, lehnte er – im Gegensatz zu einigen Fluxuskünstlern – ein  Wirken im musealen Kontext keineswegs ab. Unbefriedigend ist für ihn jedoch, dass die Ausstellungsstücke, die zum Instrumentarium seiner Aktionen gehörten, nicht in der Vollständigkeit das wiedergeben können, was in den Aktionen intendiert war. Die Objekte und Materialien evozieren zwar das Geschehen als Relikte. Sie sind jedoch nicht autonom, vielmehr verweisen sie bloß auf ein vergangenes Ereignis. Mit dem eigenhändigen Aufbau einer Ausstellung und einer räumlichen Verankerung versucht  Beuys dieses Dilemma zu umgehen. Er schafft durch diese Handlung einen neuen raum-zeitlichen Rahmen und verleiht somit den Objekten eine neue Kohärenz im Gesamtgefüge der Ausstellung. Mit der Synthese aus Ereignis (des Ausstellens) und dauerhaftem Bestand der Exponate schafft er eine neue Werkebene: Die Aktion des Ausstellens selbst wird zum Werk; das Aufbauen der Ausstellung ist das eigentliche Objekt, das in einer Aktion als Handlungsritual entsteht.

In der neuen raum-zeitlichen Konstellation werden die ausgestellten Exponate in einen veränderten Sinnzusammenhang eingebunden. Als Relikte behalten sie aber auch ihren Verweischarakter auf all die früheren Aktionen, in denen sie engesetzt waren. Indem Beuys seine Objekte in verschiedenen Aktionen und Ausstellungen immer wieder aufs Neue einsetzte, deutete er nicht nur den jeweiligen Ort aus. Er erweiterte bzw. differenzierte auch die Konnotationen seiner Objekte beständig. Durch die Verschiebungen und Neuordnungen verändert sich die Referenzialität der Exponate, so dass immer neue Lesarten entstehen. Der Symbolgehalt der Relikte generiert sich durch den veränderten zeit-räumlichen Kontext, es findet eine Komplexitätssteigerung statt.

Aus den temporären flüssigen Bewegungsprozessen der früheren Aktionen wird jedoch durch die Installierung der dauerhaften Ausstellung im Block ein zunehmend erstarrtes, statisches Objektgefüge, dessen Kohärenz nunmehr durch die simultanen Wirkkräfte zwischen den Objekten und dem Raum gewährleistet wird. Sofern Beuys die Ausstellung als eigenständige künstlerische Handlung vollzieht, schafft er durch die singuläre Konstellation der Exponate eine vorläufige Finalität. Er fährt hierbei aber das Aktionistische nur soweit zurück, dass die Exponate als formale Konstellation auch unmittelbarer Ausdruck seiner gestalterischen Handlungen erscheinen können. Im Block fallen im Sinne eines räumlich-plastischen Gebildes Aktion und Skulptur zusammen. (Die adäquate Metapher für die Ereignishaftigkeit des Werkes ist weniger die einer Momentaufnahme. Angemessener erscheint vielmehr die eines Stand-Bildes eines angehaltenen Videos.)

Gewöhnlich wird der Raum als der Garant für die Singularität der Installationen herausgestellt.[2] Die Neukonstellation der Elemente setzt die Auseinandersetzung mit dem gegebenen Raum in formaler wie in konzeptioneller Hinsicht stets voraus. In der einzigartigen Interferenz zwischen Architektur und Plastik erscheinen jene qualitativen und räumlichen Differenzen, welche die Signatur des Werkes ausmachen.[3] Diese Korrelation von räumlichen und qualitativen Differenz wird angesichts der unterschiedlichen Fassungen der Installationen von entscheidender Bedeutung. Räumliche Gegebenheiten wie Oben Unten, Nähe Ferne, Winkel oder Parallelität  verstärken oder vermindern die Unmittelbarkeit der Dinge und der Substanzen sowie die mit ihnen verknüpften Assoziationen bzw. Empfindungen. „Dabei wandelte sich nicht der Sinn des Ensembles, wohl aber die Wirkung, bzw. die Modalitäten der Wahrnehmung.“[4]

Beuys ging es bei seiner Aktion im Hessischen Landesmuseum Darmstadt gewiss nicht um die Ausschließlichkeit seiner Handlung, eher um die Einmaligkeit des Ereignisses. Wird also der Raum zum Garanten für die Singularität des Bedeutungszusammenhangs und der Objektkonstellationen erhoben, so ist die künstlerische Spur der Aktion der unbedingte Garant für das Werkhafte des Blocks überhaupt. Sobald diese verlöscht, ist der Block als eigenständiges und kohärentes Werk gefährdet. Was bleibt, sind die um eine neue Bedeutungsschicht erweiterten Relikte als Erinnerungsstücke.

Diese Synthese, die den Block als ein Environment interpretieren lässt, ist eine instabile Konstellation. Sie hat nur so lange Bestand, bis die Ereignishaftigkeit durch die „letzte Hand des Künstlers“ gewährleistet ist. Das Hier und Jetzt des Werkes wird als gedehnter Augenblick erfahren. Dessen Zeitraum ist nur so lange von Dauer, so lange für die Gleichzeitigkeit der Ereignisse gebürgt ist. Vor diesem Hintergrund sollen im nächsten Schritt die beiden Aspekte – der Objektcharakter und der ephemere Charakter des Blocks – weiter in den Blick genommen werden.


Die zeit-räumliche Interferenz von Plastik und Architektur im Block Beuys

Objekthaftigkeit – Plastik und Baugestalt

Intermedialität – wie sie etwa im Block Beuys durch die Reflexion von Architektur und Plastik gegeben ist – zielt auf die mediale Differenz und fragt nach dessen sinnstiftenden Qualitäten. Die Interferenz zwischen Architektur und Plastik erweist sich vor diesem Hintergrund insbesondere wegen der gestalterischen Nähe der beiden Gattungen als besonders spannend: Weniger deren Mittel – Raum, Körper, Volumen, Dimension und Material etwa – als deren jeweiliger Verwendungs- und Gebrauchszusammenhang spezifiziert sie. Das Wechselspiel zwischen Kunstraum und Realraum macht deren Grenzen durchlässig und kaum definierbar; ihre gestalterischen Elemente bleiben in Ihrer Funktion und Bedeutung unbestimmt. Der Betrachter-Benutzer wird herausgefordert, im Vollzug der haptisch-mentaler Aneignung des Raumes selber eine (temporäre und situative) Zuordnung vorzunehmen.
Ohne an dieser Stelle auf die weit reichende Theorie der Plastik bei Beuys einzugehen, kann die Nähe seines Verständnisses zur Architektur als den Inbegriff von Gestaltung und Strukturierung des menschlichen Lebensraumes hervorgehoben werden.

„Ich habe jetzt in Neapel im Museum Capodimonte, in diesem Bourbonenschloß, einen großen Raum gemacht. Also eine Skulptur, die sich als Raumerlebnis darstellt. Dabei handelt es sich nicht um eine Figur, sondern um eine Konstellation von Raumteilen. Man kann fast sagen, es ist eine Skulptur, die eine Nähe zur Architektur hat. …“[5]

Aufschlussreich schildert Beuys in dieser Aussage seine plastische Herangehensweise an ortsgebundene Projekte. Die Plastik ist für ihn aus gestalterischer Hinsicht nicht mehr vorrangig ein fest gefügter Körper als viel mehr ein umgebendes Raumvolumen, aufnehmendes Gefäß oder eine schützende Höhle. Aber vor allem ist die Idee des Plastischen bei Beuys eine Lebensmetapher, die sich in Gestalten der Verdichtung, Ausdehnung und Isolation, d. h. als Bewegung und Zeitlichkeit der menschlichen Existenz und der gesamten Natur konkretisiert. Wie er am Beispiel des Kehlkopfs, der die Luft zur Sprache modelliert, verdeutlicht, sollte die plastische Gestaltung weniger das Sichtbare abbilden. Vielmehr geht es um die Gestaltwerdung von Kräften, Bewegungen und Substanzen, die im Raum anderweitig zu erfassen sind. Klang oder Stimme durchdringen etwa den Raum, sie formen aber die Materie nicht, sind flüchtig, aber gestaltend.

Beuys schafft plastische, „begehbare“ Bilder  also, die aber keine Abbildung der sichtbaren Wirklichkeit anstreben. Seine Bildschöpfung will vielmehr  unsichtbare, kaum wahrnehmbare Konstellationen, Energiefelder und Kräfteverhältnisse zur Erscheinung bringen. Der Raum und dessen architektonischen Elemente werden mit vielschichtigen Qualitäten aufgeladen: Substanz-, Form- und Erscheinungsqualitäten greifen ineinander. Die Substanzqualität des Fettes als dynamisches Energiepotential oder des Kupfers als Leiter von Energie. Die massive, statische Erscheinungsqualität des Filzes, der wärmespeichernd, isolierend und bewahrend wirkt. Schließlich die  Bedeutungsqualität etwa der einfachen geometrischen Präsentationen von Filzwinkeln, Fett- oder Filterecken. Ihre bedeutungsvollen Substanzen und ihr symbolischer Formausdruck leben durch die Nichteindeutigkeit bzw. Mehrfachlesbarkeitt der ikonographischen Inhalte.

Vor diesem Hintergrund ist es nahe liegend, dass bei der Ausdifferenzierung und Transformation der realen räumlichen Situation alle Gegebenheiten des spezifischen Ortes eine Rolle spielen. Die haptische Raumwirkung der materiellen Ausstattung ebenso wie die Kubatur der Räume, die Lichtverhältnisse gleichermaßen wie die Farbwirkungen, die Akustik nicht minder als die Wegführung oder die Anordnung der Räume. Gerade in diesem Zusammenhang gewinnen die textile Wandbespannung und der Teppichboden, sowie die Reihung der Kabinetträume und ihre abgeschrägten Decken im Block eine so große Bedeutung. Im jetzigen Zustand umhüllt die nachgedunkelte Jutebespannung die Objekte und verstärkt den Eindruck der begehbaren Plastik in deren organischer Gesamtheit. Der Besucher wird von diesem Environment hermetisch umschlossen, so dass die Architektur als geometrischer oder funktionaler Raum in seiner Wahrnehmung gänzlich zurücktritt. Das Werk absorbiert oder eliminiert gar den statischen architektonischen Raum. Er wird nur als neutrale Hülle eines immersiven Wahrnehmungsraumes vorausgesetzt.  Der Betrachter betritt eine isolierte sphärisch-mysthische Welt.

Die plastische Aneignung des architektonischen Raumes setzt den Doppelcharakter der beiden Gattungen voraus. Architektur wie Plastik sind Form gewordenes Material und als solches Objekt und Zeichen zugleich. Eine Säule oder eine Schwelle ist Objekt und somit Präsenz und Zeichen/Bild, das heißt Abwesenheit zugleich. Beuys setzt  bei dieser Unentscheidbarkeit der plastisch-räumlichen Qualitäten an und nimmt eine Bedeutungsverschiebung vor. Die architektonischen Elemente werden durch die plastische Gestaltung überzeichnet und mit Bedeutung aufgeladen.[6] Diese weisen über die faktische Präsenz der Funktionalität von Raumelementen wie Schwelle, Ecke, Wand oder Decke hinaus. Beuys legt durch seine Installationen bisher verborgene Qualitäten der Räume (Axialität, Linearität, Proportionen) offen bzw. macht diese bewusst. Der raumbildenden Kraft der Ausstellungsobjekte ist ebenfalls deren Objekthaftigkeit und Bildhaftigkeit immanent. In deren Interferenz mit dem umgebenden Raum werden gewohnte Formen gestört, verfremdet, gesteigert oder überboten. Die plastisch-gestalterische Ausdeutung und Überschreibung von Stellen und Orten unterläuft zwar den gebauten geometrischen Raum in seiner funktionellen Beständigkeit. Nicht jedoch in seiner Objekthaftigkeit. Es findet eine Materialisierung von unsichtbaren Wirkkräften und Konstellationen in der Installation statt, die Ungebautes und Unbaubares mit entstehen lassen.

Was sich hier insgesamt abzeichnet, ist ein Begriff von Plastik, der mit der europäischen Kunstgeschichte bricht, da ihr entscheidendes Kriterium, nämliches konstantes Erscheinungsbild, ausgehöhlt, jedoch nicht völlig durch ein anderes, etwa das des Prozesshaften, ersetzt wird.“[7]


Temporalität und Architektur

Wie schon angedeutet, stellen die Objekthaftigkeit und der Anspruch auf Flexibilität bzw. Zweckerfüllung in der Architektur ein grundlegendes Dilemma dar. Diesen Aspekt des Transitorischen und Fluiden sieht man oft im Prozess des Gebrauchs eingelöst. So fordert etwa Bernard Tschumi dazu auf, Architektur als einen Ort der Konfrontation von Raum und Handlung zu betrachten. Architektur soll sich nach dieser Auffassung temporär in der handlungsorientierten Aneignung und im Erleben von Architektur ereignen. Die Nähe dieser Position zum Aktionsraum des Künstlers ist nicht zu übersehen. Als eine besondere Form der Nutzung ist die künstlerische Aneignung des Raumes im Block Beuys zu betrachten. Architektur wird hierbei nicht nur aufgebrochen und umgestaltet. Sie wird ästhetisch erweitert und mit zusätzlichen Bedeutungen aufgeladen. Zeitliche Vorgänge der künstlerischen Aktion verwandeln sich in einen Ereignisraum. Diese Transformation wird in der Installation habhaft und für weitere Reflexion greifbar.

Um dieses begehbare Bild für sich zu erschließen, ist der Betrachter aufgefordert, sich den Raum optisch, haptisch und intellektuell anzueignen. Erst in der sukzessiven  Werkrezeption setzen sich für den Besucher Strukturen frei, erst in der Bewegung werden Positionen, Distanzen und Nähen im Raum situiert. Diese Geometrie des gelebten Raumes „befindet sich in permanenter Umbildung und hat nur ambulante Größen.“[8] Im Wesentlichen konstituiert sich dieser phänomenologische Raum durch Tempo und Dynamik der Interaktion. Dabei greifen Mensch, Empfindung, Atmosphäre, Ding, Stoff und Wissen ständig ineinander. „Die sichtbare und messbare Ausdehnung von Körpern ist nicht identisch mit den durch sie erzeugten Räumen.“[9] Die Objekthaftigkeit als Gegenüber ist jedoch für diese Raumerfahrung ebenso notwendig vorausgesetzt wie die Leiberfahrung des Betrachters / Benutzers.

Der Lebensraum, in dem ein Mensch wohnt, sich bewegt und orientiert, ist für andere Menschen wesentlich unsichtbar. … Wir sehen nicht die Raumkorridore und spezifischen Engpässe, die Stellen, die Angst machen und die Stellen, die wieder weiter machen. … wir sehen nicht die Binnenräume der Menschen mit ihren persönlichen Landkarten.“[10]

Begreift man die Interferenz zwischen Architektur und Plastik im Block Beuys als einen objekthaften Ereignisraum, so folgt er der Formlogik eines im Allgemeinen unsichtbaren, aber empfundenen phänomenlogischen Raumes. Der Betrachter begegnet im Block Beziehungen, Nähen, Horizonten, Hürden, Fluchtwegen – Irrwege eines imaginären Raumes wie diese sich für Beuys darstellten. Die Nicht-Eindeutigkeit architektonischer Elemente, die unauflösliche und deshalb sinnstiftende Differenz zwischen dem temporären und statischen Charakter der Installation ermöglicht erst dem  Betrachter die Interaktion mit einer phänomenologischen Architektur. Diese beansprucht freilich keine Allgemeingültigkeit, sondern macht deren Offenheit und Unausschöpflichkeit deutlich. In der Aktion der Interpretation wird die fest gefügte Form immer wieder aufgebrochen und neu generiert. Es finden Parallelprozesse statte, im Sinne von Beuys – Begriffs- und Metapherbildungen durch Reflexion und Wahrnehmung, Denken und Erleben, Begreifen und Erfahren, Funktion und Gebrauch, Aneignung und Absonderung.

Phänomenologisches Raumverständnis setzt einen immersiven Raum voraus, der sich nicht als fester Raumkörper manifestiert. Der Cocooning-Effekt dieser selbstbezüglichen Binnenwelt muss sich jedoch gerade aus Sicht von Beuys Werkverständnis als unbefriedigend erweisen. Den Block als einen hermetischen Mikrokosmos ohne Anbindung an Referenzwelten zu interpretieren bleibt mit Beuys’  Auffassung von Kunst als Welterkenntnis daher unvereinbar. Wie gezeigt, sind die Räume von Beuys – bedingt durch den ausgeführten Doppelcharakter eines begehbaren Bildes – gleichermaßen als Wahrnehmungs- und als Denkräume zu begreifen. Mit dem Block hat er gerade diese Metapher des Kunstraumes als Werkstatt  oder Laborsituation eindringlich geprägt. Eine konservatorische Lösung, die zu einer einseitigen Verschiebung der Raumkonzeption führt, wäre dem Block nicht angemessen.

Eine Neugestaltung des Umraumes (etwa weiß gestrichene Wände und Estrichboden) würde zwar die Raumwahrnehmung grundlegend verändern. Dies auch dann, wenn die Objekte und Vitrinen unverändert positioniert bleiben. Insbesondere würde sich der Raumcharakter im phänomenologischen Sinne anders darstellen. Der Raum würde jedoch ein Stück weit auch seinen ebenfalls implizierten Charakter als Denkraum zurück gewinnen.  Insbesondere die Mehrdeutigkeit der Objektbezüge untereinander (das Dazwischen der Dinge) sowie die ikonographische Komplexität der autonomen Objekte würde durch eine solche Präsentation deutlicher zur Geltung kommen.


Das Kunstwerk als Museumskonzept

Ein künstlerisches Konzept der räumlichen Verortung würde bei Beuys zu kurz greifen, wollte man es ausschließlich auf die formalen Aspekte des geometrischen Raums beziehen. Gegen ein Werkverständnis, das den Block Beuys nur als einen phänomenologischen Innenraum interpretiert, spricht nicht nur die schon angedeutete immersive Selbstbezüglichkeit. Nicht minder würde damit auch das Museum als Reflexionsebene im Sinne eines besonderen programmatischen Ortes bzw. einer gesellschaftlichen Institution außer Betracht bleiben. Allein der Standort der für den Block ausgewählten Räume widerspricht einem so eng ausgelegten Architekturverständnis. Wie schon weiter oben angesprochen, befindet sich der Block als Gelenkstelle über der naturwissenschaftlichen Abteilung im ersten Stock und in der direkten Nachbarschaft zu Andy Warhols Werken. Hierdurch verdeutlichte Beuys die Selbstwahrnehmung seines Schaffens als Scharnier zwischen Kunst und Wissenschaft. Eine wahrlich symbolträchtige Verortung, die er trotz Mängel der Räume nicht aufgeben wollte. Um also Aufschluss über Beuys' Verständnis über den architektonischen Rahmen des Blocks zu bekommen, erscheint es nahe liegend danach zu fragen, auf welche Weise und aus welcher Intention heraus die Darmstädter Installation mit dem Ort als Museum in Interaktion tritt.

Hinlänglich bekannt sind Beuys' Äußerungen darüber, wie er Museum versteht, welche Funktion er dieser Institution zuschreibt und wo er sich selbst verortet wissen möchte. Nicht nur, dass er den musealen Umgang mit seinen Werken frei stellt. Auch seine Bereitschaft und Absicht, diese Institutionen für die Umsetzung seiner Ideen in Anspruch zu nehmen, werden unmissverständlich artikuliert. Sein ausgeprägtes Geschichtsverständnis verdeutlicht zusätzlich seine Position zum Museum als einen Ort des kulturellen Gedächtnisses in einer Gesellschaft.

Beuys’ Bestreben war es bekanntlich, eine Balance zwischen wissenschaftlicher und künstlerischer Welterkenntnis, zwischen rationaler Vernunft und einer intuitiven Gesamtschau der Dinge herzustellen. Hierbei schrieb er der Kunst – im Sinne des erweiterten Kunstbegriffs - eine Integrationsfunktion zu. Sinngemäß lehnte er das Museum als einen Ort ästhetischer Betrachtung entschieden ab. Vielmehr sollte es universal bzw. universitär organisiert sein und einen interdisziplinären Zusammenhang zwischen allen Tätigkeitsfeldern der Menschen herstellen.

Das Museum könnte auch das erste Modell einer permanenten Konferenz für diese kulturellen Fragen sein.“[11]

Aus dieser Sicht kam ihm das Konzept des Hessischen Landesmuseum, wie sich dies auch in der Architektur des historischen Baus von Alfred Messel niederschlägt, durchaus entgegen. Das aus der herzoglichen Sammlung hervorgegangene Museum, das verschiedene nunmehr spezialisierte Abteilungen unter einem Dach vereinigt, zeigt Reminiszenzen eines Universalmuseums. Die Verzahnung von mythischen und wissenschaftlichen Formen der Weltaneignung, die hierbei zum Vorschein kommt, korrespondierte durchaus mit Beuys Kunstverständnis. Nicht minder auch der Anspruch, das Museum als einen Ort des Staunens und Bildens zu betrachten. Das Museum als ein Sinnbild von Welt- und Lebenszusammenhängen, als neuen Tempel zu verstehen, wird von Beuys mehrfach explizit thematisiert. Auch der Block kann durchaus als eine Metapher und programmatische Spiegelung der Institution Museum betrachtet werden: Weltbau, realer Raum und Kunstraum greifen hier in ihren Objekthaftigkeit und Bildhaftigkeit ineinander.

Sofern die Aktion (des Ausstellens) selbst das künstlerische Werk ist, so kann gesagt werden, dass dieses Werk das Museum als solches thematisiert: Es ist eine Selbstreflexion der eigenen Musealisierung und der Selbstverortung im Systemgefüge. Im Ergebnis begegnen wir im Block der Imagination eines idealen Museums im Sinne von Beuys’ erweitertem Kunstbegriff. Die Relikte früherer Aktionen werden im Block in einen neuen Sinnzusammenhang gestellt, vergleichbar mit den Exponaten eines Museums im Allgemeinen. Auch dort sind die Objekte aus ihren ursprünglichen Funktionszusammenhängen gelöst (etwa die mittelalterlichen Altäre) und als Gegenstand ästhetisch-kognitiver Rezeption präsentiert. Die Auswahl und Ordnung der Ausstellungsstücke sowie die Positionierung des Betrachters (Besucherführung) sind wesentlich vom Erkenntnisinteressen der jeweiligen Zeit abhängig und insofern stets Ausdruck des eigenen Interpretationsansatzes der Zeit. Der Block evoziert die Metapher einer Wunderkammer. Er ist eine Referenz an das unmittelbare Nebeneinander von Gegenständen der Naturalien und Artificialia mit dem Trend, diese in verschiedenen Ordnungen zu erfassen. Nicht die geschichtliche Rückwendung ist jedoch mit dieser Bildschöpfung des Museums von Beuys beabsichtigt.  Vielmehr sucht er nach Gegenbildern zu Utopien.

Ein Zukünftiges kann ich nicht nehmen, weil das in den Menschen keine Bilder hervorruft. Und eine ‚Science-fiction’-Spekulation, die nichts anderes ist als ein Fahrstuhlprinzip mit gegenwärtigen Mitteln, das ist mir zu banal. Ich nehme also etwas Ursprüngliches, um das Zeitbewusstsein zu provozieren. Aber nicht, um zu sagen, wir müssten wieder dahin zurück, sondern gerade das darüber hinausgreifende, auf die Gesellschaft bezogene Zukunftsprinzip hängt ja damit zusammen: die Menschen sollen provoziert werden.“[12]

Ist die visuelle Referenz im historischen Vorbild der Wunderkammer gegeben, so entwirft Beuys in der inhaltlichen Ausrichtung des Blocks ein eigenes weiter führendes Modell. Dies lässt sich – wie im Folgenden gezeigt werden soll - insbesondere in der Positionierung des Betrachters im Ausstellungsraum verdeutlichen. Beuys ließ die Vitrinen des Blocks nicht eigens anfertigen. Diese sind ein Sammelsurium aus Depots des Senckenbergmuseums in Frankfurt und der naturwissenschaftlichen Abteilungen aus Museen in Wiesbaden und Darmstadt. Vitrinen[13] ermöglichen (im Gegensatz zu Kabinettschränkchen etwa) durch ihre allseitig transparente Wände einen ständigen Zugang und eine Verbindung zu den anderen Vitrinen bzw. Objekten im Raum. Sie haben zugleich eine schützende wie trennende, eine isolierende wie verbindende Funktion. So geben die Vitrinen zwar eine Binnenordnung aber keine strenge Logik der dort zusammengefügten Exponate vor. Diese kann der Betrachter durch die Zusammenschau der anderen Vitrinen und Bilder im Raum erweitern und relativieren. Durch die Mehrdeutigkeit der Objekte wird eine unbestimmte, aber keineswegs beliebige Ordnung erzeugt. Die Kontingenz der lose vorgegebenen Anordnung relativiert die Bedeutung und Zuschreibung von einzelnen Objekten und fordert zur simultanen Wahrnehmung auf. Der Betrachter ist aufgefordert, zwischen den eng aufgestellten Objekten und Vitrinen immer neue Routen zu legen und sich in labyrinthischen Systemen eigene Strukturen zu erfinden.[14] In der Überlagerung der formalen Präsenz, der vielfältigen sinnlichen Qualitäten und der symbolischen Bedeutungen droht jede Ordnung sich in Vorläufigkeit aufzulösen.

„Die Vitrine, die Installation und das Museum werden als Organismus betrachtet, der sich erweitert, altert, verändert. Der Betrachter wandelt durch die Zwischenzellräume; je länger er sich mit den Zellen beschäftigt, umso leichter erfolgt der Stoffwechsel; Beziehungen können aufgebaut werden.“[15]

Dem Betrachter wird in diesem losen Gefüge des Systems eine aktive, Sinn generierende Rolle zugedacht. Die temporäre Finalität der Beuysschen Aktion wird durch die individuelle Erschließung und Aneignung der Ausstellung aufgebrochen und neu zusammengefügt. Um sich in dieser Überflut der Reize nicht zu verlieren, muss der Betrachter sich stets behaupten, immer wieder innehalten und Position beziehen. Anders formuliert, er muss sich fortwährend zwischen immersiven und reflexiven Betrachtungsweisen bewegen.

Führt man sich das Konzept des historischen Museumsbaus von Alfred Messel vor Augen, so werden hierzu, trotz formaler Analogien, wesentliche konzeptionelle Unterschiede deutlich. Messels Ziel ist es gewesen, einen architektonischen Rahmen zu schaffen, welcher die ursprünglichen historischen Lebenszusammenhänge der Sammlungsbestände evoziert. Eine Art Ereigniswelt sollte geschaffen werden, die der Präzisierung von Bedeutungen diente. So problematisch sich dieses Konzept im Laufe der Zeit für ein lebendiges Museum auch erwiesen hat, so gilt der Messelbau dennoch als ein frühes progressives Beispiel, das dem neuen Bildungsanspruch des Museums im 19. Jahrhundert Rechnung trägt. Während in Messels Konzept das Museum die Werke interpretiert bzw. dem Betrachter deren gültige Bedeutungen vermitteln will, versteht Beuys das Museum als ein Ort der temporären Konstellationen und als interaktiven Handlungsraum der Sinngenerierung – eben als Ort der permanenten Konferenz.[16]

Erörtert das Museum im herkömmlichen Sinne die Kunst, so scheint die Kunst im Falle des Blocks das Museum zu thematisieren. Ist damit die Musealisierung des Museums oder dessen Aufhebung durch Kunst beabsichtigt? Wie im letzten Abschnitt aufgezeigt werden soll, handelt es sich keineswegs nur um eine rhetorische Frage. Festgehalten werden kann aber jetzt schon:  Eine Lesart des Block Beuys, die den architektonischen Rahmen nicht nur als konkreten Raumbezug versteht, sondern als Gesamtorganismus des Museums interpretiert, eröffnet einen neuen Zugang zum Werk. Der unmittelbare Wahrnehmungsraum im Block wird um einen weit reichenden Denk- und Handlungsraum erweitert.


Das Dilemma der musealen Präsentation von Aktionskunst

Diese Interpretation vom architektonischen Rahmen des Blocks stellt die Frage nach der Authentizität des Werkes, um die eine konservatorische Lösung bestrebt ist, neu. Es findet unter diesem Gesichtspunkt eine inhaltliche Verschiebung der Werkdefinition statt. Von den formalen Qualitäten des Blocks verlagert sich die Bedeutung des Werkes auf dessen performativen Momente.

Erst mit der Sanierung des Landesmuseums wird die Ereignishaftigkeit des Blocks, aber auch der temporäre Charakter der Architektur einmal mehr ins Bewusstsein gerufen. Die bisher aufgeschobene Auseinandersetzung mit der Frage, wie das Museum als Institution mit dem Problem der temporalen Aspekte von Kunst umzugehen hat, kann nicht weiter hinausgezögert werden. Die von Beuys hergestellte Gleichzeitigkeit, die als Garant der Homogenität des Werkes gilt, kann nicht weiter gewahrt bleiben. Die Ästhetik des Ereignisses verweigert sich bewusst und nachdrücklich ihrer Wiederholbarkeit und mithin auch Reproduzierbarkeit: Das Ereignis widersetzt sich seiner Iterierbarkeit und damit auch Zeichenhaftigkeit.[17] Das Dilemma der Ereigniskunst im musealen Umgang brachte Dieter Mersch treffend auf den Punkt:

Ereigniskunst ist eigentlich geschichtslose Kunst – sie lässt sich nicht tradieren. (…) Um dagegen geschichtlich zu werden, bedürfen die Ereignisse wiederum jener Dokumentationen und Reproduktionen, die ihrem Wesen widersprechen.[18]

Die modernen Museen gleichen Tempeln, die noch einmal zu konservieren trachten, was nicht mehr zu konservieren ist. Das überlieferte Ereignis bezieht sich auf eine verschwundene Gegenwart: Ihm eignet eine wesentliche Abwesenheit.[19]

Der Block Beuys vertieft dieses Dilemma dadurch, dass sich das ereignishafte Werk nicht nur formal, sondern auch thematisch gegen das Museale richtet. Der künstlerischen Intention nach verwandelte Beuys eine Institution der Geschichtlichkeit durch die raum-zeitliche Verzahnung seines Werkes mit dem Museumsgeschehen in einen Ort der Geschichtslosigkeit, – in einen ‚Schauplatz einer permanenten Konferenz’. In letzter Konsequenz intendiert er die Selbstaufhebung des Museums in seinem herkömmlichen Sinne: Entweder indem es an seinem konservatorischen Auftrag scheitert, oder weil es sich im Sinne von Beuys einer Innovation unterzieht.

Die Identitätskrise der Institution Museum scheint sich nicht nur in der Kunst, sondern auch in der Museumsarchitektur niederzuschlagen. Als Interpretationsraum scheint sie endgültig überholt oder überfordert; als „bespielte“ Ereigniswelt wiederum, sich zu selbstgewiss. Das Museum stellt sich selbst zur Schau, wie die provokante Antwort des Stararchitekten Philip Johnsons auf die Frage nach der Funktion von Gherys Guggenheim Museum in Bilbao als Kunstmuseum deutlich macht: „When a building is as good as this, fuck the art.“[20]

Sofern dies die Antwort auf die Selbstfindungskrise des Museums bleibt, so müsste sich in Anlehnung an Philip Johnson die „an-architektonische Subskription“ des Block Beuys deuten: „When art is as good as this, fuck the museum.“

Das reproduzierte Ereignis ist allemal Farce.“[21] Dieser Satz gibt eine düstere Diagnose für alle restaurativen bzw. konservativen Ansätze in einem neu sanierten Museumsbau. Für welche Lösung man sich schließlich auch entscheiden wird, es wird ein Teil des heutigen Werkes unvermeidbar verloren gehen. Wünschenswert wäre eine Lösung anzustreben, welche den temporären Charakter des Blocks in seinen ganzen Konsequenzen widerspiegelt: „Etwas geschah einmal: Es ist vorbei.“[22]

 



Literatur:

Baier, Franz Xaver: Der Raum. Prolegomena zu einer Architektur des gelebten Raumes, Köln 2000.

Dreyer, Claus: Über das Interpretieren von Architektur, in: Wolkenkuckucksheim Jg. 2, H. 2. (1997),
/openarchive/wolke/deu/Themen/972/Dreyer/dreyer_t.html.

Eifert-Körnig, Anna M., Unheimliche Architektur, Bauen am Rande der Objekthaftigkeit, in: Das unendliche Kunstwerk, von der Bestimmtheit des Unbestimmten in der ästhetischen Erfahrung, hg. von Gerhard Gamm, Eva Schürmann, Hamburg 2007, S. 265-286.

Fundstücke, Von den Anfängen des Museums bis zu seiner Wiedereröffnung nach dem Zweiten Weltkrieg, Ausstellungskatalog Hessisches Landesmuseum Darmstadt 2006.

Haks, Frans (Hg.): Beuys, Joseph: Das Museum, ein Gespräch über seine Aufgaben, Möglichkeiten, Dimensionen, Wangen 1993.

Mersch, Dieter: Ereignis und Aura. Radikale Transformation der Kunst vom Werkhaften zum Performativen, in: Kunstforum, Bd. 152 (2000), S. 94-103.

Thönges-Stringaris, Rhea: Mythos – und aus ihm heraus, Am Beispiel des „Palazzo Regale“ von Joseph Beuys, in: Die unsichtbare Skulptur, Zum erweiterten Kunstbegriff von Joseph Beuys, hg. von Stephan von Borstel, d. FIU Kassel, Stuttgart 1989, S. 11-24.

Turian, Ines: Die Vitrineninstallation des Beuys-Komplexes im Hessischen Landesmuseum Darmstadt, in: Joseph Beuys – der erweiterte Kunstbegriff, Texte und Bilder zum Beuys-Block im Hessischen Landesmuseum Darmstadt, hg. von Matthias Bleyl, Darmstadt 1989, S. 85-92.

Zweiter, Armin: „Prozesse entlassen Strukturen, die keine Systeme sind“, Anmerkungen zu einigen raumbezogenen Arbeiten von Joseph Beuys, in: Joseph Beuys, Skulpturen und Objekte, hg. von Heiner Bastian, München 1988, S. 69-88.


 


 

Anmerkungen:
 

[1] Vgl. Fundstücke, Ausstellungskatalog HLMD 2007.

[2] Zweite 1988, S. 74.

[3] S. 75.

[4] S. 74.

[5] Joseph Beuys, in: „Vorwärts“ vom 1.2.1986, S. 19, zit nach: Thönges-Stringaris 1989, S. 12.

[6] Eifert-Körnig 2007, S. 283.

[7] Zweite  1988, S.78.

[8] Baier, 2000, S. 20.

[9] A.a.O., S. 29.

[10] A.a.O., S. 29.

[11] Beuys; Haks 1993, S. 53.

[12] Zit. nach , Zweite 1988, S.83.

[13] Vgl. Turian 1989, S.87ff.

[14] Vgl. A.a.O, S. 90f.

[15] S. 92, ebd

[16] Aufschlussreich wäre auch die grundlegenden Unterschiede des Block Beuys zu weiteren Museumskonzepten – z. B. zu der weißen Zelle der Galerieräume der 1970er Jahre oder zur black box der multimedialen Installationsräume oder zu den ephemeren Ereignis- und Erlebniswelten heutiger Museumslandschaften – zu erarbeiten.

[17] Mersch 2000, S. 102.

[18] A.a.O.

[19] A.a.O.

[20] Zit. nach: Dreyer 1997, S. 8.

[21] A.a.O.

[22] A.a.O.


 


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