Die Zukunft
der Architekturvermittlung

11. Jahrgang
Doppelheft 1-2
Februar 2007
   

 

___Claus Dreyer
Detmold
  Semiotische Aspekte der Architekturvermittlung
   

Architekturvermittlung findet immer im Rahmen kommunikativer Verhältnisse statt, ganz gleich, ob es dabei um Architektur als Ware, Gebrauchsgegenstand, Event, Medium, Erinnerungsspeicher, Kunstwerk oder gar kulturelles Symbol geht. Wann immer durch oder über Architektur kommuniziert wird, findet eine Vermittlung von Zeichen statt, die Bedeutungen tragen und interpretiert werden müssen. Die Semiotik versucht, die jeweiligen Zeichen oder Zeichenkomplexe, mit denen oder durch die Architektur Bedeutungen überträgt und vermittelt, ebenso zu beschreiben und zu interpretieren, wie die Zeichenprozesse, in denen oder durch die über Architektur kommuniziert wird. In einer schematischen Übersicht, die sich an das Kommunikationsmodell von Shannon und Weaver (1949) anlehnt, hat Martin Krampen versucht zu zeigen, welche Faktoren am architektonischen Kommunikationsprozess beteiligt sind:
 

1.      Sender: Architekt, Bauherr oder Unternehmer;

2.      Kodes und Lexikon: die funktionalen, gesetzlichen, konstruktiven, gestalterischen und ökonomischen Regeln, nach denen ein Gebäude entworfen wird;

3.      Signal: die Gesamtheit der Zeichnungen, Pläne, Modelle und geschriebenen Erläuterungen für den architektonischen Entwurf;

4.      Kanal: die Baustelle;

5.      Physisches Signal: das realisierte Gebäude als Verkörperung des Entwurfs;

6.      Rauschen: Umwelteinflüsse, die die Wahrnehmung und das Erscheinungsbild des Gebäudes beeinflussen;

7.      Empfänger: Nutzer oder Betrachter;

8.      Botschaft: architektonischer Raum einschließlich der raumbildenden und -gliedernden Elemente;

9.      Kodes und Lexikon des Empfängers: funktionale, gesetzliche, konstruktive, gestalterische und ökonomische Erwartungen;

10.  Semantisches Rauschen: Vorurteile des Empfängers;

11.  Empfänger als Kollektiv: die Stadt als Kommunikationssystem;

12.  Bedeutung der Botschaft: die vom architektonischen Objekt denotierten Funktionen und konnotierten Interpretationen (nach Krampen, 1979).


Architekturvermittlung hätte alle Faktoren dieses Schemas zu berücksichtigen und abzuarbeiten, aber im Folgenden sollen als architektonische Zeichen im engeren Sinne Gebäude und ihre Elemente betrachtet werden, die im Kommunikationsschema nach Krampen als „Physisches Signal“ bezeichnet werden. Sie werden insbesondere durch ihre Formen charakterisiert, die aus der konstruktiven Verwendung von Materialien und Techniken resultieren. Durch Analyse und Interpretation der konstruktiv realisierten Formen wird die Bedeutung der architektonischen Zeichen herausgearbeitet und zur Diskussion gestellt. Ein einfaches Modell des architektonischen Zeichens kann folgendermaßen skizziert werden (vgl. dazu im größeren Zusammenhang Dreyer, 2003a):
 

                                                               
 

Der Begriff der Form in der Architektur ist äußerst komplex und umfasst mehrere Levels, wie z. B. (vgl. auch dazu Dreyer 2003a):
 

1.      Elemente als Zeichen: Dach, Wand, Fenster, Säulen, Räume usw.

2.      Gebäudetypen als Zeichen: Palast, Kirche, Kaufhaus, Museum, Verwaltung, Fabrik usw.

3.      Sozio-kulturelles Umfeld als Zeichen: Stadt, Region, Epoche (Stil), Sub- oder Sonderkultur usw.


Eine umfassende Gebäudeinterpretation hätte alle Levels abzuarbeiten und zu einer umfassenden Bedeutungskonstitution zusammenzufügen. Die vorliegenden methodischen Ansätze beziehen sich vorwiegend auf jeweils ein Level der architektonischen Form oder bevorzugen Sonderaspekte der architektonischen Kommunikation.

Dass die architektonische Form die Funktion eines Gebäudes bezeichnet, ist in der Moderne zur Trivialität geworden und nach der Funktionalismusdebatte zu einem erschöpfenden Ergebnis gekommen: Nicht, dass ein Gebäude seine Funktion bezeichnet, sondern wie es das tut, ist interessant und bedarf der Interpretation (vgl. Berndt u. a., 1968). Hier sollen folgende ausgewählte Ansätze in der neueren Architektursemiotik kurz vorgestellt und an einem spektakulären Gebäude aus der jüngsten Vergangenheit beispielhaft erprobt werden (vgl. auch dazu ausführlich Dreyer 2003a):
 

1.      Architektonische Zeichen als Bestandteil eines „expressiven Systems“;

2.      Architektur als Symbol;

3.      Architektur als Sprache oder Kode;

4.      Architektur als (Massen-)Medium.


Ad 1: In seinem Buch über Architekturinterpretation hat Bonta (1979) vorgeschlagen, architektonische Formen als bedeutungsvoll anzusehen, wenn sie eine Position in einem System vergleichbarer, aber unterschiedlicher oder kontrastierender Elemente besetzen („expressive systems“). Die Vergleichbarkeit der Elemente ergibt sich aus den jeweiligen Kontexten, in denen der Vergleich angestellt wird („frame of reference“), und die formal, funktional, typologisch, biografisch, technologisch, historisch o. ä, sein können:
 

-          situativer Kontext,

-          ähnliche Elemente bei anderen Gebäuden,

-          Gesamtwerk eines Architekten,

-          Zusammenhang mit einer Schule,

-          historischer Zusammenhang usw.


Die Bedeutung der Elemente resultiert aus der kontrastierenden Position in einem „expressiven System“ vergleichbarer Zeichen in einem bestimmten Kontext, zum Beispiel:
 

-          ornamentierte vs. unornamentierte Fassadengestaltung

-          horizontale vs. vertikale Fassadengliederung.


Sowohl durch Wechsel der „expressiven Systeme“ wie durch Wechsel des vergleichbaren Kontexts können die architektonischen Elemente als Zeichen völlig unterschiedliche Bedeutungen erhalten. An einschlägigen Beispielen aus der neueren Architekturgeschichtsschreibung kann Bonta seinen Ansatz plausibel machen und zeigen, dass ebenso wie die Bauformen auch die „expressiven Systeme“ und die Vergleichskontexte einem permanenten Wandel und Weiterentwicklungsprozess unterworfen sind, der Neuinterpretationen möglich macht und manchmal zu einem völligen Paradigmenwechsel im Architekturverständnis führt (das Entstehen und Verschwinden von „kanonischen“ Interpretationen).

Ad 2: Die Deutung von Architektur als ein kulturelles Symbol (semiotisch gesehen eine spezielle Art von Zeichen; vgl. Dreyer 2003b) hat eine lange Tradition, die in der allgemeinen Kunstgeschichte und in der philosophischen Kunsttheorie verbreitet ist. Aus der neueren Architekturtheorie sind drei sehr unterschiedliche Ansätze zu nennen, die den weiten Spielraum der symboltheoretischen Interpretation verdeutlichen können.
 

-          Christian Norberg-Schulz (1963) fordert eine „strukturelle Ähnlichkeit“ zwischen den architektonischen Formen und den zugrunde liegenden Ideen für einen Entwurf. Die Ähnlichkeit zwischen formalen und ideellen Strukturen muss in der Architekturanalyse präzise herausgearbeitet und sorgfältig in einem kulturellen Kontext gedeutet werden können, ehe von einem Symbol gesprochen werden darf.

-          Robert Venturi hat ein umfassendes Plädoyer für die Verwendung von konventionellen, alltäglichen oder kommerziellen Symbolen in der Architektur vorgelegt („Learning from Las Vegas“: Venturi, Scott Brown & Izenour, 1972), die am Beispiel der Werbeplakate entlang großer Einkaufs- oder Vergnügungsmeilen orientiert sind; er erhofft sich dadurch eine größere Verständlichkeit und Anpassungsfähigkeit für die architektonische Zeichensprache, insbesondere, wenn zwischen funktionalem Bauwerk und dekorativem Zeichenträger deutlich getrennt wird.

-          In völligem Gegensatz dazu formuliert Daniel Libeskind (1995) eine architektonische Symbolkonzeption, die im Zusammenhang mit dem Bau seines „Jüdischen Museums“ in Berlin entstanden ist: Für ihn ist ein architektonisches Symbol ein singuläres Zeichen ohne Präzedenz, das aber insofern mit dem kollektiven Gedächtnis verbunden ist, als in ihm etwas Unbewusstes, Unsichtbares, Unvorstellbares, Unsagbares oder „Werden-Wollendes“ zum Ausdruck kommt, das erst mit der Realisierung des symbolischen Architekturzeichens erkannt und interpretiert werden kann.


Es wäre eine wichtige Aufgabe von Architekturvermittlung, den symbolischen Charakter von architektonischen Objekten herauszuarbeiten oder kritisch zu überprüfen.

Ad. 3: Von einer „Sprache der Architektur“ zu reden, hat wie die Verwendung des Symbolbegriffs eine lange Tradition (vgl. Victor Hugos schönes Kapitel über das „Buch von Stein“ im „Glöckner von Notre-Dame“, 1832). In der neueren Architekturtheorie hat sich die Sprachanalogie unter semiotischer Perspektive auf den Aspekt der „Kodes“ konzentriert, der in Analogie zu ähnlichen Phänomenen aus Nachrichtentechnik, Verkehr, Mode und Jargon übernommen wird.

Unter einem Kode wird ein System oder Teilsystem von Zeichen verstanden, das einen geregelten Zusammenhang von Zeichen untereinander, Zeichen und Bedeutung, Bedeutung und Interpretation besitzt und dessen Zusammenhangsregeln auf gesellschaftlichen Konventionen oder einem normativen Fundament beruhen. Kodes können eine sehr weite oder enge Verbreitung haben, sie können „restringiert“ oder „elaboriert“ sein und eine hohe Komplexität oder eher schlichte Form haben. In einer bestimmten Ausprägung haben sie eine starke Affinität zu den Erscheinungsformen eines „Stils“.

In der Architekturtheorie sind insbesondere zwei Ansätze sehr wirksam gewesen und auch weiterhin verbreitet:
 

-          Umberto Eco (1972) unterscheidet zwischen einer ganzen Reihe von verschiedenen Kodes, die in der Architektur zur Anwendung kommen: Entwurfskodes, Darstellungskodes und Konstruktionskodes, die auch noch jeweils in einen Anwendungs- und einen Lektürekode unterteilt werden müssen. Ohne diese Kodes genauer zu bestimmen und ihre Regeln offen zu legen, führt Eco eine weitere Unterscheidung ein: die zwischen syntaktischen und semantischen Kodes. Die semantischen Kodes tragen wesentlich zur Bedeutungskonstitution bei, indem sie a) Funktionen denotieren, und b) Bedeutungen konnotieren, das heißt bestimmte Weisen der Ausübung und Interpretation der Funktionen vermitteln, und c) typologische Gattungen (wie Villa, Schule, Bahnhof) und räumliche Typen (wie Labyrinth, Rotunde, Zentralbau) artikulieren.

-          Noch einflussreicher war Charles Jencks (1977), der zunächst diverse „Sprachen“ der Gegenwartsarchitektur identifizierte (die aber eigentlich auch nach seinem Ansatz als Kodes zu bezeichnen wären): traditionalistische, avantgardistische, technologische, naturanaloge („organische“), regionalistische, kommerzielle, historische/historizistische, individuelle usw., um dann zu seiner viel beachteten These zu gelangen, dass das Signum der „postmodernen“ Architektur die „doppelte Kodierung“ sei, nämlich die gleichzeitige Kombination von elitären und populären Kodes in hybriden architektonischen Gebilden. Damit konnte er wesentliche Aspekte zur Erhellung, Verbreitung und Kritik der postmodernen Architektur beitragen.


Die Identifizierung, Analyse und Interpretation von solchen architektonischen Kodes könnte ein weiteres wichtiges Arbeitsfeld der Architekturvermittlung sein (vgl. dazu als Beispiel Dreyer, 2001).

Ad 4: Seit geraumer Zeit gibt es in der Architektursemiotik auch Ansätze, um Architektur als „Massenmedium“ zu begreifen (de Fusco, 1967; Dreyer, 1997). Hierbei wird Architektur in einer Reihe mit Fernsehen, Film, Rundfunk, Internet, Presse, Sport, Werbung und Entertainment gehen, die als Medien der gesellschaftlichen Kommunikation in der Massenkultur das öffentliche Bewusstsein prägen. Architektur verkörpert dabei ein nicht-sprachliches und manchmal multimediales Zeichensystem, das durch Verwendung plastischer, räumlicher und virtueller Bilder mehrdeutige Botschaften vermittelt, die große Mengen von Adressaten erreichen und im Rahmen der Massenkultur oft nivellierende und manipulierende Wirkungen entfalten, aber auch kreative und innovative Impulse für eine aktuelle Umweltgestaltung geben können.

In jüngster Zeit sind u. a. die folgenden drei Betätigungsfelder für eine multimediale Architektur bedeutsam geworden:
 

-          Themenarchitektur, die sich der Methode des „Theming“ bedient, um „narrative“ Räume für Erlebniswelten in Einkaufsgalerien, Freizeitparks oder Wellness-Zentren zu gestalten;

-          Markenarchitektur oder „Corporate Architecture“, die versucht, das Erscheinungsbild von Firmen und Institutionen auf Messen und Ausstellungen, in Museen und „Showrooms“, aber auch in Verkaufs- Verwaltungs- und Produktionsanlagen mit architektonischen Mitteln zum Ausdruck zu bringen;

-          Eventarchitektur, die mit Mitteln der Szenografie Großveranstaltungen aller Art wie Popkonzerte, Sportwettkämpfe, Kirchentage, Kunstmessen, Parteitage, Opern- und Theateraufführungen usw. räumlich inszeniert.


Die Vermittlung unterschwelliger Botschaften mit architektonischen Mitteln findet in diesen Feldern auf besonders massive Weise statt und erreicht eine breite Öffentlichkeit. Diese relativ neuen Erscheinungen sind bisher noch wenig systematisch untersucht worden und stellen eine neue Herausforderung für die semiotische Analyse und Interpretation dar (vgl. dazu ohne semiotisches Instrumentarium beispielhaft Piper, 2006). Im Folgenden möchte ich an einem spektakulären neuen Gebäude einige der oben vorgestellten semiotischen Ansätze erproben (wobei hier die einzelnen Analysen nur angedeutet, aber nicht durchgeführt werden können): der „Akademie der Künste“ in Berlin von Behnisch und Partnern aus dem Jahre 2005.
 

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Abbildung 1
Behnisch und Partner:
Akademie der Künste:
Fassade, Berlin 2005

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Abbildung 2
Behnisch und Partner:
Akademie der Künste:
Foyer, Berlin 2005

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Abbildung 3
Behnisch und Partner
Akademie der Künste
Treppenhaus, Berlin 2005
 
 

Zunächst sollen einige signifikante Elemente bestimmt werden, die in einem „expressiven System“ (nach Bonta) positioniert werden müssten, um anschließend in einem Referenzkontext interpretiert werden zu können. Signifikante Elemente (Zeichen) und „expressive Systeme“ sind:
 

-          Kubische Grundform zum Pariser Platz (System: Grundformen der Architektur);

-          Glas-/Stahl-Fassade (System: Fassaden heute);

-          Treppenlandschaft mit Stegen, Brücken, Rampen und Passage im Foyer (System: Foyers mit Treppenläufen und -landschaften);

-          Glas als dominierendes Material: Glaswände, Glasdach, Verspiegelungen, farbiges Glas (System: Baumaterialien heute);

-          Standort als situativer Kontext und historischer Ort: Pariser Platz mit Passage zur Behrensstraße und zum Holocaust-Mahnmal (System: andere Bauten am Pariser Platz; Bauten mit historischem Bezug in Berlin).


Nach Positionierung der jeweiligen Elemente in einem angemessenen „expressiven System“ könnte eine Interpretation im Rahmen von Referenzkontexten stattfinden. Solche wären:
 

-          Neue Glashäuser,

-          Dekonstruktivistische Architektur,

-          Behnisch-Werke,

-          Neue Berliner Architektur,

-          Historische Berliner Plätze,

-          Kulturbauten heute.


Auch wenn der Gang der Interpretation mit semiotischen Mitteln nur angedeutet werden kann, lässt sich zeigen, wie eine umfassende Bedeutungskonstitution zustande kommen kann.

Ein weiterer Ansatz könnte darin bestehen, die architektonischen Kodes zu bestimmen, mit denen das Gebäude formal artikuliert wird. Dazu könnte auf dem Material und den Ergebnissen der vorigen Analyse aufgebaut werden. Hier sollen nur (mit allem Vorbehalt) Thesen über die angewandten Kodes aufgestellt werden:
 

-          „Klassische Moderne“ vermittelt Seriosität;

-          „Postmoderne“ (Fassadengliederung nach historischen Motiven) wirkt fortschrittlich;

-          „Dekonstruktivismus“ beansprucht Zugehörigkeit zur Avantgarde;

-          „Kreative Rekonstruktion“ beinhaltet einen Hang zum Konservativen.


Es wäre zu zeigen, dass die genannten Kodes hier wirklich auftauchen und miteinander so gemischt werden, dass eine Mehrfachkodierung im Sinne von Jencks entsteht, und damit ein charakteristisches Merkmal der „postmodernen“ Architektur eingelöst würde.


Ein weiterer Schritt wäre, danach zu fragen, ob es sich bei dem Gebäude um ein kulturelles Symbol im Sinne von Norberg-Schulz handelt. Dazu müsste eine „strukturelle Ähnlichkeit“ zwischen der Bauaufgabe, den Entwurfsideen des Architekten und der formalen Struktur des realisierten Gebäudes gezeigt werden können. Die Ergebnisse aus den Analysen der vorhergehenden Untersuchungen würden das Material für diesen Arbeitsschritt bereitstellen. Da hier nur ein methodischer Ansatz gezeigt werden soll, beschränken wir uns auf einige Äußerungen des Architekten zu seinem Entwurf (Behnisch, 2005) und den Kommentar eines Architekturführers (Krüger, 2005), sowie auf die Stellungnahmen von zwei Nutzern des ausgeführten Gebäudes (Raue, 2006, und Schmidt, 2006). Dabei kommt es zu einem auffälligen Gegensatz der Interpretationen:
 

-          Einerseits wird das Gebäude als Ausdruck von Freiheit, Spiel und Tanz gesehen (Behnisch), das vermittels Transparenz, Offenheit und Kreativität gegen das Pathos der schweren Steine steht (Krüger);

-          andererseits wird das Gebäude als sinnleer, funktionswidrig, akommunikativ, exhibitionistisch, chaotisch und konzeptlos beschrieben (Raue, Schmidt), so dass es weder der Arbeit noch der Repräsentation dienen könne.


Dieser offensichtliche Widerspruch legt nahe, dass die ideelle Umsetzung der Bauaufgabe durch den Architekten in die formale Struktur des realisierten Gebäudes zumindest nicht so angekommen ist, wie es intendiert war, aber vielleicht kann man gerade, entgegen der Absicht des Architekten, das Gebäude zum Symbol eben dieser Widersprüchlichkeit erklären, die dem Zustand unserer gegenwärtigen kulturellen Situation entspricht und ihm Ausdruck verleiht. Eine eingehende und gründliche Analyse müsste diese Interpretation überprüfen.

In diesem Beitrag sollten einige typische Instrumente und Methoden der Architektursemiotik gezeigt und ihre Relevanz für eine Architekturvermittlung herausgestellt werden, der es auch darum geht, den ideellen Gehalt von Architektur zu erschließen und kommunikativ zu verbreiten. Dazu müsste sich die Architekturvermittlung auch auf die Ergebnisse der Architekturwissenschaft wie Baugeschichte und Architektursemiotik stützen, die allerdings selbst ihre Arbeiten einer größeren Öffentlichkeit zugänglich machen müssten. Ein idealtypisches Schema dieses Zusammenhangs zwischen Architekt, Architektur, Wissenschaft und Vermittlung könnte am Beispiel des Fernsehjournalismus folgendermaßen aussehen:


 

 



Literatur:

Behnisch, G. (2005). Was uns auf der Seele brennt. Interview in DER SPIEGEL 20/2005, S. 142-144.

Berndt, H., Lorenzer, A. & Horn, K. (1968). Architektur als Ideologie. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

Bonta, J. P. (1979). Architecture and its interpretation. London: Lund Humphries.

De Fusco, R. (1972) Architektur als Massenmedium. Anmerkungen zu einer Semiotik der gebauten Formen. Gütersloh: Bertelsmann.

Dreyer, C. (1997). Architecture as a Mass Medium? In W. Nöth (Ed.), Semiotics of the Media. State of the Art, Projects and Perspectives (S. 689-702). Berlin: deGruyter.

Dreyer, C. (2001). Politische Architektur als Bedeutungsträger: Ästhetik und Repräsentation. In: Wolkenkuckucksheim 6. Jg. Heft 1, Cottbus.

Dreyer, C. (2003a). Semiotische Aspekte der Architekturwissenschaft: Architektursemiotik. In R. Posner, K. Robering & T. A. Sebeok (Hrsg.), Semiotik – Semiotics. Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur (Vol. 3, S. 3234-3278). Berlin: deGruyter.

Dreyer, C. (2003b). Architektur als Alltags- oder Hochkultur? In: Wolkenkuckucksheim 8. Jg. Heft 2, Cottbus.

Eco, U. (1972). Einführung in die Semiotik. München: Fink.

Jencks, C. (1977). The Language of Post-Modern Architecture. New York: Rizzoli.

Krampen, M. (1979). Meaning in the Urban Environment. London: Pion.

Krüger, T. M. ( 2005). Akademie der Künste. Berlin

Libeskind, D. (1995). Symbol und Interpretation. In: Kein Ort an dieser Stelle. Schriften zur Architektur (S. 216-224). Dresden.

Norberg-Schulz, C. (1965, Orig. 1963). Logik der Baukunst. Berlin: Ullstein.

Piper, J. (2006). Kritische Annäherung an die Peripherie der Architektur. Mercedes-Benz-Museum Stuttgart. In: Baumeister 7/2006, 38-53.

Raue, P. (2006). Adieu Pariser Platz! In: Tagesspiegel Berlin, 4. März 2006, 23.

Schmidt, T. E. (2006). Heillos in sich selbst verstrickt. In: DIE ZEIT, 27. April 2006, 49.

Shannon, C. & Weaver, W. (1949). The Mathematical Theory of Communication. Urbana USA.

Venturi, R., Scott Brown, D. & Izenour, S. (1972). Learning from Las Vegas. Cambridge, MA: MIT Press.

 


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