Thema
2. Jg., Heft 1
Mai 1997

Hans Joachim Harloff / Raffaela Blöink

DIE ÖKOLOGISCHE WENDE IN DER STADTPLANUNG -
FORDERUNGEN DER PSYCHOLOGIE AN DEN WOHNUNGS- UND SIEDLUNGSBAU DER INDUSTRIEGESELLSCHAFT

1. GLOBALE ÖKOLOGISCHE PROBLEME UND DIE ÖKONOMISCHE DAUERKRISE REIFER VOLKSWIRTSCHAFTEN

1.1 Die globale ökologische Krise - Ursachen und Konsequenzen -
1.2 Die ökonomische Krise reifer Industrienationen

2. DIE ÖKOLOGISCHE WENDE IN DEN INDUSTRIENATIONEN

2.1 Allgemeine Forderungen
2.2 Duale Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung
2.3 Die Aufgabe der Psychologie

3. FORDERUNGEN AN STADTPLANUNG UND WOHNUNGSBAU

3.1 Grundsätzliches zur Bildung ökologischer Selbstversorgungsstrukturen
3.2 Grundrecht auf Wohnung
3.3 Bildung "Kleiner Netze"
3.4 Bildung von "Ökoquartieren"

4. SCHLUßBETRACHTUNG - DER BEWUßTSEINSWANDEL DER MENSCHEN


1 Mit den folgenden Ausführungen stellen wir ein Modell sozialer Veränderungen vor. Diese werden tiefgreifend und vielfältig sein, so daß das Wissen auch anderer Fachgebiete, als wir sie vertreten (Psychologie und Volkswirtschaftslehre), erforderlich ist, um das geschilderte Bild einer notwendigen und wünschenswerten gesellschaftlichen Entwicklung abzurunden und realisierbar zu machen. Die Überlegungen, die wir vorstellen, werden somit von uns keineswegs als fertig oder gar ausgereift angesehen. Sie sollen anregen zur Kritik, zum Weiterdenken und Ergänzen. Einer Sache sind wir allerdings völlig sicher: Veränderungen in die hier angedeutete Richtung sind nicht nur wegen internationaler Rücksichten erforderlich, sondern auch und vor allem wegen nationaler. Nur ein Grund dafür sei vorab hervorgehoben. Die Arbeitslosenquote wird bei Fortbestand der 40h-Woche von jetzt 10% (gesamtdeutsch) auf bis zu 30% steigen. Kann sich irgendwer vorstellen, daß unser Gesellschaftssystem unverändert fortbestehen kann und das Land regierbar bleibt, wenn im Schnitt und auf Dauer jeder dritte Erwachsene arbeitslos ist und darunter ganz viele Menschen ihr Leben lang?

1. Globale ökologische Probleme und die ökonomische Dauerkrise reifer Volkswirtschaften

1.1 Die globale Krise - Ursachen und Konsequenzen
2 "Bevölkerungswachstum und technischer Fortschritt bringen uns immer näher an das Ende der Menschheit, weil sich beide vom Kapital der Erde nähren. Nach dem Aussterben der Menschheit wird die Sonne weiter die anderen Lebewesen, die von keinem Ehrgeiz beseelt sind, mit ihrer niederen Entropie am Leben erhalten." So schrieb Wolfgang Föste in einem Essay anläßlich des Umweltgipfels in Rio de Janeiro im Jahr 1992.1
3 Es kann nicht Aufgabe dieses Beitrages sein, die Ausmaße der globalen ökologischen Krise im Detail aufzuzeigen. Wichtig erscheint uns jedoch, auf die globalen Zusammenhänge von Umweltzerstörung, Ausbeutung von Entwicklungsländern und Industriealisierung hinzuweisen:
4 Die Entwicklungsländer auf der einen Seite degenerieren immer mehr zu reinen Rohstofflieferanten. Sie leben hauptsächlich vom Export von Rohstoffen und Agrarprodukten, welche aufgrund der niedrigen Arbeitskosten in diesen Ländern sehr billig sind. Außerdem stehen die Entwicklungsländer im steten Konkurrenzkampf untereinander.
5 Auf der anderen Seite finden sich die Industrienationen. Sie exportieren vor allem Technologien, Maschinen etc.. Aufgrund der hohen Lohnkosten werden diese sehr teuer verkauft. Außerdem ist die Konkurrenz unter den Industrienationen im Vergleich relativ gering, besonders wenn man sich die z.T. sogar weltweit bestehenden Kartelle vor Augen hält, so daß die hohen Preise ihrer Produkte auch verlangt werden können.
6 Aus diesen Fakten ergibt sich ein absolutes Ungleichgewicht der Marktmacht, das, pointiert ausgedrückt, zur Konsequenz hat, daß die armen Länder immer ärmer werden und die reichen Länder immer reicher.
7 Nun ist aber eine derartige Ausbeutung nicht nur unmoralisch, sondern auch unökologisch: Beispielsweise verlagern viele in den Industrienationen ansässige Firmen lohnintensive Teile der Produktion in die sogenannten "Billiglohnländer" der dritten Welt und Südeuropas. Die damit verbundenen Transportkosten sind um ein vielfaches geringer als die eingesparten Löhne. Ein gutes Geschäft also für die Firmen, nicht zuletzt auf Kosten der Umwelt, die durch das hierdurch verursachte erhöhte Transportwesen erheblich und eigentlich unnötig belastet wird.
8 Als Konsequenz ergibt sich hieraus, daß die Industrienationen, z.T. auch die Länder der "Zweiten Welt", als Hauptverursacher für die derzeitige GLOBALE UMWELTBELASTUNG verantwortlich sind: Zum einen ganz direkt durch die Industrialisierung als solche - Stichworte wie Treibhauseffekt, Abfallproblematik etc. mögen dies illustrieren - sowie auch durch den damit verbundenen hohen Ressourcenverbrauch.
9 Am Beispiel der Lebensmittelveredlung kann dies deutlich werden: So wird bei der Produktion von Weizen in intensivem Anbau fünfmal mehr Energie eingesetzt als erzeugt. Bei freilebendem Weidevieh ist die eingesetzte Energie immerhin noch doppelt so hoch wie die erzeugte. Dagegen verbraucht die bei uns übliche Rinderintensivmast 80 mal mehr Energie als erzeugt wird. Bei der Zucht von Gemüse im Gewächshaus steigt diese hohe Verbrauchszahl sogar bis auf den sechshundertfachen Wert der erzeugten Energie an.
10 Neben diesen direkten Quelllen der Umweltbelastung tragen die Industrienationen aber auch indirekt die Verantwortung für die zusätzliche Belastung der Umwelt durch die Entwicklungsländer, wie die oben aufgezeigten Ausbeutungszusammenhänge deutlich machen. Außerdem verschmutzt "... Armut selber ... die Umwelt und schafft auf andere Weise Umweltbelastungen. Jene, die arm und hungrig sind, werden oft ihre unmittelbare Umwelt zerstören, um zu überleben: Sie werden Wälder roden; ihr Vieh wird das Grasland überweiden; sie werden Grenzböden übermäßig nutzen; und in wachsender Zahl werden sie in die verstopften Städte strömen."2
11 Die Verantwortung für die Beseitigung dieser Misere liegt primär bei den Industrienationen:
- In den Industrienationen selbst muß ein Umdenken einschließlich der entsprechenden Handlungskonsequenzen stattfinden. (vgl. Kapitel 3/und 4). Ekhart Hahn bezeichnet gar den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft als "die zentrale Aufgabenstellung des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts."3
12 - Der ökologische Wandel in den Ländern der dritten und vierten Welt muß von den Ländern der ersten Welt zumindest mitfinanziert werden. So muß beispielsweise die allgemeine Forderung nach Beendigung des Abholzens der Weltlunge Amazonas begleitet werden durch ein finanzielles Auffangen des wirtschaftlichen Verlustes für Brasilien.
13 - Zudem kann sich nur die industrielle, reiche Welt für eine Einstellung der Plünderung des Planeten entscheiden, die arme Welt hat diese Entscheidungsfreiheit nicht.
14 - In diesem Zusammenhang fordert z.B. der norwegische Friedensforscher und Soziologe Johan Galtung, daß nicht nur "die peripheren Länder für die Gesamtheit ihrer Menschen eine unterste Grenze bzw. ein Mindestmaß im Hinblick auf Nahrung, Kleidung und Wohnung garantieren müssen" sondern auch "die zentralen Länder nun allmählich an eine oberste Grenze, bzw. ein Höchstmaß denken und auch danach handeln müssen."
15 Zusammenfassend kann man noch einmal Wolfgang Föste zitieren: "Sachlich wird in den reichen Ländern des Nordens anzuerkennen sein, daß sie für einen friedlichen Ausgleich ihren Reichtum mit den Menschen teilen müssen, Entwicklungshilfe nicht ausreicht, daß sie die Länder des Südens an der Weltwirtschaft fair teilhaben lassen müssen und daß sie von umweltschädigender Industrie Abschied nehmen müssen."5

1.2 Die ökonomische Krise reifer Industrienationen
16 Die Konsequenzen, die die Industrienationen in Richtung eines ökologischen Wandels ihrer Gesellschaften aus internationaler Rücksichtnahme zu ziehen haben, decken bzw. ergänzen sich, wie weiter unten gezeigt werden wird, mit dem, was ihre eigene ökonomische Krise nahelegt.
17 Ökonomische Entwicklung und wirtschaftliches Wachstum vollziehen sich nicht kontinuierlich, sondern in Sprüngen. Umsetzungen technischer und/oder organisatorischer Neuerungen (Rationalisierung) auf breiter Front führen zu Arbeitslosigkeit in den Produktionszweigen, in denen solche Neuerungen eingeführt werden. Es kommt -häufig überlagert von Konjunkturkrisen- zu Strukturkrisen. In sich entwickelnden Volkswirtschaften sind diese Strukturkrisen jedoch keineswegs schädlich, sondern für das Wirtschaftswachstum sogar erforderlich. Während in schrumpfenden Sektoren durch Rationalisierung Arbeitskräfte freigesetzt werden, dehnen sich andere Wirtschaftszweige aus, d.h. sie brauchen zusätzliche Arbeitskräfte. Insbesondere braucht es Kräfte, um immer wieder neue Techniken zu entwickeln, und neue Industriezweige entstehen, in denen Arbeitnehmer die Maschinen herstellen, die die Arbeitskräfte alter Produktionszweige ersetzen. So kann, zugegebenermaßen stark vereinfacht ausgedrückt, eine Landmaschinenindustrie sich in einer vollbeschäftigten Wirtschaft nur gründen und ausdehnen, wenn in der Landwirtschaft (oder anderswo) Kräfte freigesetzt werden, die gebraucht werden, um die Landmaschinen zu bauen. Solche Umstrukturierungen sich entwickelnder Volkswirtschaften dauern nicht lange (2-3 Jahre). Hinterher besteht wieder Vollbeschäftigung. Die Wirtschaft produziert fortan effektiver, d.h. sie ist gewachsen. Die Durchschnittseinkommen und damit der Wohlstand sind gestiegen. In wachsenden Volkswirtschaften sind Strukturkrisen somit kein Problem. Rationalisierungsinvestitionen führen zwar zur Freisetzung von Arbeitskräften, diese kommen jedoch - u.U. nach Umzug und Umschulung - in anderen Wirtschaftszweigen und/oder Standorten wieder unter.
18 Die Rationalisierungsinvestitionen mit den entsprechenden Produktivitätssteigerungen begannen in der Landwirtschaft und dem Bergbau (primärer Sektor), setzten sich fort in der Industrie (sekundärer Sektor) und sind heute bis in den Dienstleistungsbereich (tertiärer Sektor) vorgedrungen, der per definitionem der Technisierung am wenigsten zugänglich ist. Parallel mit der Industrialisierung und ihrer beruflichen Umschichtung vollzog sich u.a. wegen der Freisetzung landwirtschaftlicher Arbeitskräfte ein Verstädterungsprozeß, der in den hochentwickelten Wirtschaften Nordamerikas sowie Nord- und Westeuropas weitgehend abgeschlossen ist.
19 Das Problem reifer, hoch entwickelter Volkswirtschaften scheint darin zu bestehen, daß in Unternehmungen und Verwaltungen zwar nach wie vor Rationalisierungsinvestitionen vorgenommen werden, für die dadurch freigesetzten Arbeitskräfte jedoch keine bzw. nicht genug Ersatzarbeitsplätze zur Verfügung stehen. Zwar entstehen nach wie vor neue Technologien, die in neuen Produktionszweigen parallel zu deren Einführung in der Wirtschaft zunehmend hergestellt werden müssen, doch reicht die Zahl der dadurch geschaffenen Arbeitsplätze nicht mehr aus, um die Zahl der durch Rationalisierungen Entlassenen zu kompensieren. Hier liegt möglicherweise eine Tendenz vor, die mit zunehmendem Reifegrad der Wirtschaft noch zunimmt. Jürgen Kromphardt (1995) jedenfalls stellte jüngst lapidar fest, daß es Vollbeschäftigung in Deutschland nicht mehr geben wird.6 Der Forschungsverbund Lebensraum Stadt (1994) spricht in einer Zukunftsprojektion B für Deutschland im Jahr 2020 davon, daß sich der Anteil Arbeitsloser "auf hohem Niveau einpendelt" bzw. die sogenannte Zwei-Drittel-Gesellschaft auf relativ hohem durchschnittlichen Einkommensniveau festgeschrieben" wurde; 7 und Schmachtenberg behauptet gar, gestützt auf Berechnungen von Henzler und Späth,8 daß die Arbeitslosenquote der deutschen Wirtschaft - unterstellt, daß alle Rationalisierungsmöglichkeiten ausgeschöpft würden - schon heute bis zu 40% betragen könnte.9 Auf der anderen Seite wird von einigen Experten behauptet, daß es auch in einer entwickelten Industrienation wie der unsrigen genügend Arbeit für alle gäbe. Gedacht wird dabei an den Umweltschutz bzw. an die Entwicklung und Herstellung neuer Technologien, mit denen sich herkömmliche Güter umweltschonender als bisher produzieren lassen. Deutschland, wird gefordert, könne und solle der führende Anbieter solcher Technologien werden.10 Bei dieser Empfehlung wird allerdings übersehen, daß die mit ihr verknüpften Arbeitsplätze erst dann entstehen, wenn Nachfrage nach den gemeinten Umweltschutzmaßnahmen bzw. den neuen Produktionstechniken wirksam wird. Daran fehlt es jedoch. Hinweise auf theoretisch denkbare und gesellschaftlich wünschbare Arbeit schafft leider keine Arbeitsplätze. Vor der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre hat es eine ähnliche Situation gegeben: das Vorhandensein von genügend Entwicklungsmöglichkeiten, die jedoch zunächst nicht gesehen wurden. Dennoch haben sich damals die Wirtschaften der führenden Nationen langsam erholt und sind dann eher kräftig weitergewachsen. So mögen viele hoffen, daß auch jetzt nach längerer Rezession unsere bundesdeutsche Wirtschaft sich mit Vollbeschäftigung und zwar ökologisch weiterentwickeln wird.
20 Man muß mit langfristigen Vorhersagen außerordentlich vorsichtig sein, weil Wirtschaftsentwicklungen von so vielen und gelegentlich gegenläufigen Einflußfaktoren tangiert werden, daß das Endergebnis der wechselseitigen Beeinflussungen einfach nicht abschätzbar ist. So haben sich beispielsweise auch die Verfasser von den "Grenzen des Wachstums" (Club of Rome 19..), die ein schnelles Ende des Wirtschaftswachstums in den Industrienationen vorhergesagt hatten, in mehrfacher Hinsicht gründlich verschätzt bzw. neue Entwicklungen konnten nicht vorhergesehen werden.11 Insbesondere:
21 (1) wurden die Reserven an bestimmten Rohstoffen (darunter auch Erdöl) unterschätzt.
(2) wurde das Greifen von Maßnahmen zur Geburtenkontrolle, das Sterben aufgrund von Dürrekatastrophen, kriegerischen Auseinandersetzungen und Seuchen (Aids) nicht vorhergesehen und insoweit das Bevölkerungswachstum überschätzt.
(3) wurden die Möglichkeiten zur Einsparung von Material bei der Produktion, das Ausweichenkönnen auf alternative Vorprodukte und die Möglichkeiten zur Rückgewinnung verbrauchter Stoffe (recycling) nicht gesehen.
22 Zusätzlich wurden jene Lügen gestraft, die gemeint hatten, es würde in den reichen Nationen zu einem Rückgang der Nachfrage aufgrund von Sättigungseffekten und somit zu einem Wachstumsstillstand kommen. Nach dem Motto "man kann nur in einem Auto gleichzeitig fahren und infolgedessen mache es keinen Sinn, mehrere Autos zu besitzen". Da Autos aber ganz unterschiedliche Funktionen haben können, erfüllt es sehr wohl Bedürfnisse, mehrere zu haben: den Geländewagen zum Spielen, das Kleinauto für die Fahrt zur Arbeit oder zum Einkaufen in der Stadt und die Reiselimousine für die Fahrt in den Urlaub. Auch die Nachfrage nach Wohnraum hört nicht auf, wenn jeder eine Wohnung hat. Denn es macht Spaß, eine oder mehrere Ferienwohnungen zusätzlich zu besitzen und darüberhinaus einen Wohnwagen oder ein Wohnmobil für spontane Reisen ohne feste Ziele und Zeiten. Darüberhinaus hat Harloff jüngst darauf hingewiesen, daß Wohnungsnot u.a. eine Folge von Wohlstand ist, da die Menschen immer größere Wohnungen (u. zugehörige Nebenräume) brauchen, um ihr Hab und Gut unterbringen zu können.12
23 Unser vorsichtiges Fazit im Hinblick auf Beschäftigung und Wirtschaftswachstum lautet somit: Es wird wahrscheinlich auch in Zukunft in den hochentwickelten Industrienationen zu weiterem Wirtschaftswachstum kommen (was auch bedeutet, daß die Situation der Ausbeutung der armen Länder durch die reichen bestehen bleiben wird). Die Zunahme des Wohlstandes in den Industriegesellschaften wird jedoch nicht alle Bevölkerungsteile gleichermaßen treffen. Es wird mit einiger Wahrscheinlichkeit über zunehmende Arbeitslosigkeit einen ständig wachsenden Bevölkerungsteil geben, die Arbeitslosen, die keinen Anteil an der Steigerung des Lebensstandards haben werden, sondern im Gegenteil zunehmend verarmen, weil bei steigendem Anteil von Nichtverdienern die staatlichen Leistungen an diese nicht im bisherigen Umfang beibehalten werden können. Dasselbe Los trifft die Rentner und Sozialhilfeempfänger, da auch deren Bezüge immer aus dem laufenden Sozialprodukt gezahlt werden müssen. Würde man sie am steigenden Wohlstand teilhaben lassen wollen, müßte man die weniger werdenden regulären Einkommensbezieher mit immer höheren Steuern und Abgaben belasten, obschon letztere schon jetzt so hoch sind, daß nicht nur Steuerflucht und -hinterziehung, sondern auch ökonomische Leistungsverweigerung zum Problem geworden sind.

24 Damit haben wir in den hochentwickelten Industrienationen neben den Arbeitslosen eine zweite Gruppe von Menschen, die Rentner und Sozialhilfebezieher, deren Los sich verschlechtern wird und die letztendlich auf eine Veränderung des gesellschaftlichen Systems drängen werden. Das Problem wird verschärft dadurch, daß wegen der ungünstigen Bevölkerungspyramide die Zahl der Rentner im Verhältnis zur Zahl der Erwerbstätigen auf absehbare Zeit zunehmen wird.
25
Aber nicht nur die Versorgung von Arbeitslosen, Rentnern und Sozialhilfeempfängern wird in wirtschaftlich reifen Ländern zunehmend schwieriger. Auch die Gesundheitsvorsorge sowie die Kranken- und Altenpflege werden immer teurer und damit zum Problem, wobei die Misere auch hier eine mehrfache ist: Die Behandlungs- und Pflegekosten steigen. Das bedeutet, daß auch die Versicherungssätze ständig angehoben werden müssen. Dabei verschärft sich die Situation in dem Ausmaß, in dem der Personenkreis größer wird, der z.B. wegen Arbeitslosigkeit keine Prämien zahlt. Die Leistungen an diese Menschen werden vom Staat erbracht, was aber nichts anderes heißt als von den Steuerzahlungen jener, die noch Einkommen beziehen.

26 Die reichen Industrieländer, wie z.B. die Bundesrepublik, befinden sich also in einer Lage, die in mehrfacher Hinsicht nach gesellschaftlichen Veränderungen verlangt. Sowohl aus der geschilderten Situation der dritten und vierten Welt als auch der der hochentwickelten Länder ergibt sich also eine Notwendigkeit zu einer globalen ökologischen Wende. Für uns meint "ökologische Wende" dabei vor allem eine Beendigung der bestehenden Ausbeutungszusammenhänge. Diese können sich sowohl auf eine Ausbeutung der Natur durch den Menschen beziehen, wie auch auf eine Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, sei es - wie oben gezeigt - im internationalen Rahmen, sei es innerhalb des eigenen Landes z.B. zwischen reich und arm, Mann und Frau oder auch Wohnungseigentümer und Mieter.
27 Anregungen für die Umsetzung der ökologischen Wende in der Industrienation Deutschland geben die beiden nächsten Kapitel.

2. Die ökologische Wende in den Industrienationen

2.1 Allgemeine Forderungen
28 Schon in den späten 70er Jahren wurde die Frage aufgeworfen, wie eine ökologische Wende in den Industrienationen aussehen könnte.
In diesem Kontext waren immer wieder auftauchende Forderungen damals wie heute:
- allgemein die Reduktion von Ressourcenverbrauch und Konsum
- das Zurückgreifen auf eigene Ressourcen
- die Einschränkung von Transportsystemen
- weg von der Zentralisierung von Produktionen und Handelsketten
= zusammenfassend: die Idee der Selbstversorgung
- vermehrte Selbstverwaltung/Basisdemokratie und
- Bildung überschaubarer Einheiten.13

29 Wie kann die Umsetzung solcher Forderungen in einer hochentwickelten Gesellschaft wie der Bundesrepublik aussehen und was gewinnen die Menschen dabei?
30 Zunächst ist festzustellen, daß ökologische Wende in der Industriegesellschaft anfänglich als eine Zurück auf's Land-Forderung verstanden wurde. Die "neue Gesellschaft" sollte in den Köpfen der Menschen (Bewußtseinswandel) beginnen und dieser wäre umso leichter zu vollziehen, je größer der Abstand - auch geopgraphisch - zur abgelehnten Wohlstandsgesellschaft wäre. Gruppen von "Aussteigern" gingen in abgelegene Gebirgsregionen, auf einsame Inseln oder sonst unfruchtbare und daher von anderen verlassene Landstriche, um dort insbesondere auf dem Sektor der Ernährung und des Wohnens spirituell-kulturell Selbstversorgung zu betreiben. 14
31 Heute verfolgen wir im Gegensatz dazu und in Übereinstimmung mit psychologischen Erkenntnissen über die Durchsetzbarkeit notwendiger Veränderungen eher eine Politik der kleinen Schritte.15 Es wird keine völlige Abkehr von den bisherigen gesellschaftlichen Bedingungen verlangt, da sich die oben genannten ökologischen Ziele (zumindest schrittweise) im Rahmen der bestehenden Gesellschaftsordnung verwirklichen lassen. Zugleich dient das Erstreben dieser Ziele, wie wir gleich sehen werden, auch der Lösung der strukturellen Probleme unserer Wirtschaft. Es wäre auch sowohl ökonomisch als auch psychologisch unsinnig und letztendlich undurchführbar, die Städte entvölkern und dafür das flache Land wiederbesiedeln zu wollen. Darüberhinaus beinhaltet die Forderung nach einer ökologischen Wende nicht Konsumverzicht schlechthin oder Verzicht auf ökonomisches Wachstum, sondern Konsum und Wachstum sollen einen anderen Charakter bekommen. Ökologisch eingestellte Ökonomen fordern qualitatives statt quantitatives Wachstum. Was heißt das? Es wird nicht Abkehr sondern sogar Hinwendung zur Wohlstandsgesellschaft gefordert. Der Begriff Wohlstand bzw. Lebensqualität wird dabei allerdings neu definiert. Wohlstand bzw. Lebensqualität beinhaltet vor allem anderen physische und psychische Gesundheit.16 Wir können auch den altmodischen Begriff Glück bemühen. Glück zu haben bzw. glücklich zu sein bedeutet mehr als Konsum materieller Güter - dies ist gewissermaßen sein passiver ökonomischer Anteil. Glück bedeutet neben der Befriedigung biologischer Grundbedürfnisse und neben physischer Gesundheit vor allem Selbstverwirklichung im sozialen und geistigen Bereich sowie in produktiver (aktiver) ökonomischer Hinsicht. Letzteres heißt, daß der Mensch sinnvoll zum eigenen und gesellschaftlichen Lebensunterhalt beitragen möchte (sinnvolle Arbeit verrichten). Selbstverwirklichung im sozialen Bereich liegt vor, wenn das Individuum mit seinen zwischenmenschlichen Beziehungen zufrieden ist. Im geistigen Bereich bedeutet sie so viel wie im Einklang leben mit den eigenen moralischen und kulturellen Werthaltungen.17 All dies sind, ökonomisch betrachtet, Güter, jedoch immaterielle, d.h. solche, die keinen Marktwert haben. Qualitatives Wirtschaftswachstum (oder vielleicht sollte man besser sagen "Gesellschaftswachstum") bedeutet Wohlstandsmehrung sowohl bei den materiellen als auch bei den immateriellen Gütern und möglicherweise bei wirtschaftlich hochentwickelten Ländern gerade oder sogar nur der immateriellen Güter. Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, daß das Streben der Menschen der Industrieländer nach ausschließlich quantitativem wirtschaftlichen
32 Wachstum, d.h. nach maximalem Angebot materieller Güter, zu einem Ungleichgewicht in der Lebensqualität geführt hat. Wir wollen hier nicht unbedingt den Kritikern des Wirtschaftswachstums das Wort reden, denn in der dritten und vierten Welt ist dieses zweifelsfrei erforderlich, aber möglicherweise auch im Hinblick auf die "neuen Armen" in der ersten Welt. Dennoch mag bei uns die Konzentration so gut wie aller gesellschaftlichen Kräfte auf die Steigerung der Produktion materieller Güter zu Einbußen, zu Schrumpfprozessen auf der Seite der immateriellen Güter geführt haben. Wir sehen das als eine Möglichkeit, eine Frage und keine Feststellung. Wäre die Frage mit ja zu beantworten, könnte es sein, daß gesamtwirtschaftliches Nullwachstum bzw. eine Abnahme bei der Produktion materieller Güter umso mehr Chancen eröffnete für Wachstum bei den immateriellen Gütern. Gleichviel - wir halten fest: Ökologische Wende in der Industrienation bedeutet Streben nach allgemeiner Wohlstands- bzw. Lebensqualitätssteigerung. Dies wiederum heißt, da bezüglich der Ausstattung mit materiellen Gütern in den Industrienationen Überfluß herrscht, Konzentration auf die gesteigerte Produktion immaterieller Güter.
33 Man muß versuchen, die gesellschaftlichen Bedingungen so zu setzen, daß möglichst alle Menschen
- eine von ihnen als sinnvoll erkannte, innerlich befriedigende Arbeit ausführen können
- sich in geistiger, kultureller Hinsicht optimal entfalten können
und
- in harmonischen, befriedigenden Sozialbeziehungen leben (Mit diesem dritten Punkt wird u.a. gefordert, daß Kindern ideale Entwicklungsbedingungen gegeben werden, Erwachsene gute Möglichkeiten zur Bildung von Partnerschaften und zur Errichtung von Freundschaften vorfinden und alte Menschen in Würde altern und sterben dürfen.)
34 Diese ersten drei Bedingungen würden gute Voraussetzungen für die Selbstverwirklichung der Menschen und ihre psychische Gesundheit schaffen. Gleichzeitig ist der gesellschaftliche Rahmen menschlichen Lebens so zu formen, daß
- physische Gesundheit aller Individuen möglichst umfassend gewährleistet werden kann
- die biologischen Grundbedürfnisse (insbesondere Hunger, Durst und Schutz vor schädlichen Klimaeinflüssen) aller befriedigt werden
und schließlich
- alle Menschen angstfrei leben können.18

2.2 Duale Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung
35 Zur Umsetzung der ökologischen Wende in den Industrienationen schlagen wir die Einführung einer dualen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung vor. Zur Erläuterung des Gemeinten ist im folgenden die Diskussion über Selbstversorgung, Basisdemokratie und die Bildung überschaubarer Einheiten zu vertiefen.
36 Zunächst ist folgendes nachdrücklich zu betonen: Wir gehen aus vom Fortbestand unseres kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems, d.h. vom Erhalt der marktwirtschaftlichen Antriebs- und Lenkungsfunktion unserer Wirtschaft19. An unserer bisherigen Wirtschaftsverfassung soll sich somit im Grunde nicht viel verändern. Eine Änderung an der jetzigen Arbeitsverfassung halten wir allerdings für nahezu unerläßlich. Als Regel sollte die Halbtagsarbeit eingeführt werden. Das muß keine zwingende staatliche Vorschrift werden, sondern könnte auch durch Steuerbestimmungen erreicht werden, die eine niedrige Belastung bei Halbtagsarbeit und eine sehr hohe bei Ganztagsarbeit vorsehen, so daß die Motivation, mehr als 20h in der Woche zu arbeiten, gering ist. Paare mit Kindern würde man zusätzlich entlasten, aber wiederum nur dann, wenn beide Partner berufstätig sind und zwar halbtags.
37 Halbtagsarbeit als Regelarbeit würde eine ganze Reihe von Problemen lösen helfen, an erster Stelle natürlich das der Arbeitslosigkeit. An zweiter Stelle würde es uns dem Ziel der Gleichberechtigung von Frauen und Männern einen erheblichen Schritt näher bringen. Die Frauen könnten sich ebenso wie die Männer im Berufsalltag verwirklichen und die Männer hätten mehr Veranlassung und Gelegenheit, ihre häuslichen Pflichten zu erfüllen sowie erzieherische und pflegerische Begabungen auszuleben.20 Drittens werden die Erwachsenen, wie wir gleich sehen werden, für zusätzliche produktive Tätigkeiten in der Nachbarschaft gebraucht. Dies sind unentgeltliche Arbeiten, die in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht erfaßt werden. Yona Friedman hat versucht, dafür den Begriff "modernisierte Quaternalisation" einzuführen.21
38 Neben den marktwirtschaftlichen Produktions- und Lenkungssystem wird ein zweites eingeführt, daß am besten mit den Begriffen Selbstversorgung und Selbstverwaltung zu kennzeichnen ist. Dabei stellen wir uns vor, daß die Menschen, die in derselben Nachbarschaft wohnen, eigenverantwortlich organisiert und gemeinschaftlich Daseinsvorsorge betreiben. Dies geschieht zusätzlich und in Ergänzung zu jener Versorgung, die nach wie vor über die gesamtwirtschaftlichen, vom Markt gesteuerten, eher anonymen Herstellungs- und Verteilungsprozesse erfolgt. Welche ergänzende Produktion auf Nachbarschaftsebene vorgenommen wird, das werden die Gruppen selbst entscheiden. Es bietet sich jedoch an, dafür solche "Güter" und Tätigkeiten vorzusehen, die sich auf der Ebene des sich Kennens und benachbarten Wohnens besonders gut herstellen lassen. Das gilt z.B. für Kinderpflege, vorschulische Erziehung, für die Pflege kranker, und behinderter Menschen aber auch für viele handwerkliche Arbeiten, die die Pflege und den Erhalt der Wohnungen, der Häuser und der Außenräume der Quartiere betreffen. Bedingt läßt sich auch vorstellen, daß Nahrungsgewinnung (z.B. Kräuter, Obst, Gemüse) und -zubereitung (Gemeinschaftsküchen) sowie das Ändern und Herstellen von Kleidungsstücken vorgenommen wird. All diese Vorschläge, sind im Grunde wenig spektakulär und das meiste davon hat es in der einen oder anderen Form in anderen Zusammenhängen schon gegeben.22 Neu ist der Vorschlag, solch eine zweite ergänzende, nachbarschaftlich organisierte Produktionsstruktur flächendeckend einzuführen und auf diesem Wege zu versuchen, zugleich
39 - Ungleichgewichte der augenblicklichen Gesellschaftsordnung (Arbeitslosigkeit), relative Verarmung von Rentnern und Sozialhilfeempfängern, Unbezahlbarkeit von Gesundheitsvorsorge, sowie von gewerblicher Kranken- und Altenpflege) zu beseitigen und
- einen Beitrag zu einer globalen ökologischen Wende zu leisten.

2.3 Die Aufgabe der Psychologie
40 Neben der Entwicklung von konkreten Ideen zur Umgestaltung der Industriegesellschaft im Hinblick auf größere Umweltverträglichkeit liegt die Aufgabe der Psychologie sicherlich auch darin, zur Durchsetzung solcher Modelle beizutragen, indem sie auf das Positive der Modelle für "das physische und psychische Wohlbefinden des Menschen" hinweist, und somit den notwendigen Bewußtseinswandel in der Gesellschaft einleitet. Dazu kann der Hinweis darauf gehören, daß nur in einem gesunden Ökosystem Menschen gesund leben und gesund bleiben können; daß gesunde und zukunftsfähige Lebensbedingungen somit zusammenfallen.
41 Das betrifft einerseits die physische Gesundheit: So ist z.B. der Zusammenhang zwischen Umweltgiften und Krebserkrankungen schon seit 200 Jahren bekannt: bereits im Jahr 1775 etwa konnte in England der Zusammenhang von Hodensackkrebs bei Schornsteinfegern und dem Umgang mit Teer und Ruß aufgezeigt werden. Wichtiger noch in unserem Kontext ist jedoch die psychische Gesundheit, die Fähigkeit, Glück zu empfinden. Es muß deutlich werden, daß nicht Konsum Glück verspricht, sondern daß Glück in sozialen Beziehungen, in qualitativ effektiv genutzter Freizeit entstehen kann, wie auch Skinner in seinem Vorwort zu "Futurum II" (1976) betont.23

42 Die Einführung der gerade im Ansatz beschriebenen quartären Struktur der Selbstversorgung und Basisdemokratie kann nur gelingen bei Beachtung psychologischer Erkenntnisse. So war es ein pschologischer Fehler, wenn die ökologische Wende der Industrienationen in den siebziger Jahren oft als ein "Zurück-auf's-Land!" und "Zurück-zu-einfachen-arbeitsintensiven Produktionsmethoden!" beschrieben wurde bzw. vom Zwang zu Konsumverzichtverzicht und Verzicht auf Wirtschaftswachstum in den reichen Ländern gesprochen wurde.
43 Niemand möchte zurück in quasi mittelalterliche Lebensbedingungen, niemand möchte verzichten und niemand läßt sich gern zu etwas zwingen, nicht einmal zu seinem eigenen Glück. Daher ist es ganz wichtig zu betonen, daß der materielle Wohlstand nicht gemindert, sondern daß der Lebensstandard durch Hinzufügung immaterieller Güter (s.o.) zunehmen soll. Es ist wichtig zu betonen, daß nicht auf quantitatives Wirtschaftswachstum verzichtet werden, sondern qualitatives gesellschaftliches Wachstum gewonnen werden soll.24 Eben diesen Aspekt betont auch zum Beispiel Joan Davis (1994), wenn sie fragt: "Die gegenwärtige Diskussion über die Änderungen unseres Lebensstils betont meist die Rolle des Verzichts. Dabei wird Verzicht oftmals automatisch gleichgesetzt mit Verlust, ohne daß wir uns überlegt hätten, ob wir das, worauf wir verzichten sollen überhaupt wollen. (...) Wenn wir von einer neuen Lebensweise reden, bedingt es den Abwurf dieses Ballasts, der unserer Lebensqualität im Wege steht. Ist das wohl Verzicht?"25
44 Es ist wichtig, daß den Menschen Ganztagsarbeit nicht verboten wird (weil Verbote Reaktanz erzeugen), sondern die steuerlichen Rahmenbedingungen müssen so gesetzt werden, daß das Einkommen bei Ganztagsarbeit kaum höher als bei Halbtagsarbeit ist. Niemand verzichtet auf etwas (auch nicht die Männer!), wenn er nur noch halbtags in der anonymen und häufig entfremdeten marktwirtschaftlichen Struktur arbeitet, sondern er gewinnt die Möglichkeit, in der quartären Selbstversorgungsstruktur sinnvolle Arbeit für sich und die Mitglieder der eigenen Gruppe zu leisten, d.h. er kann sich produktiv selbstverwirklichen. Damit dies gelingt, ist allerdings erforderlich, daß die Arbeit in der Selbstversorgungsstruktur gemeinschaftlich geleistet, basisdemokratisch organisiert (d.h. daß jeder mitsprechen und mitbeschließen kann) und die Aufgaben aufgrund der jeweiligen Vorlieben und Interessen der beteiligten Individuen verteilt werden. Auf der anderen Seite ist es psychologisch wichtig, jedem die Chance einzuräumen, halbtags in der entfremdeten marktwirtschaftlichen Grundstruktur zu arbeiten, weil dies auf lange Sicht noch mit viel mehr Prestige verbunden sein wird, als wenn jemand, weil "arbeitslos", ausschließlich in der ergänzenden Selbstversorgungsstruktur tätig ist.
45 Zu der Beachtung psychologischer Erkenntnisse bei der Einführung der quartären Selbstversorgungsstruktur gehört ferner, daß niemand zum Beitritt gezwungen wird. Jeder kann den zu bildenden Gruppen (s.u.) fernbleiben. Der einzige Nachteil, den er hat, ist die Vorzüge zu entbehren, die die Mitgliedschaft bietet.

46 Damit die Menschen sich entschließen, der quartären Ergänzungsstruktur beizutreten, bedarf es ebenfalls der Berücksichtigung psychologischer Einsichten. So wissen wir beispielsweise aus der Wohnpsychologie und -soziologie, daß in der Wohnungswirtschaft Einräumung vom Mitbestimmung der Mieter bei der Verwaltung und Instandhaltung des Wohnungsbestandes keineswegs ausreicht, die Mieter zu kleineren Instandsetzungen der Wohnungszugänge (z.B. das Auswechseln einer Birne im Treppenaufgang u.ä.m.) oder zur Pflege des Gemeinschaftsgrüns um das Mietshaus herum zu bewegen. So etwas klappt nur bei Gewährung materieller Vorteile wie z.B. Mietminderung oder Gewährung von langfristigem Kündigungsschutz bei gleichzeitigem Schutz vor ungerechtfertigten Mietsteigerungen.26 Oder, um noch ein zweites Beispiel zu geben: Wir wissen, daß ein hohes Umweltbewußtsein nicht genügt, individuelles ökologisches Verhalten zu erzeugen, sondern es müssen zusätzliche Anreize in Form von Zeit - und Kostenersparnissen gegeben werden, damit Umlernen und Umstellung auf umweltschonende Praktiken erfolgen.27 Daher wird es erforderlich werden, zumindest in der Einführungphase eher hohe materielle Anreize für den Beitritt zu quartären Selbstversorgungsstrukturen zu geben. Dieser würde z.B. darin liegen, daß die Dienste und Leistungen der Selbstversorgungsstruktur nur von Mitgliedern und zwar unentgeltlich in Anspruch genommen werden können, während Nichtmitglieder weiterhin auf die teuren gewerblichen Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe angewiesen sein werden. Im nächsten Abschnitt werden weitere Anregungen für materielle Anreize gegeben.

3. Konkrete Forderungen an Stadtplanung und Wohnungsbau

3.1 Grundsätzliches zur Bildung ökologischer Selbstversorgungsstrukturen

47 Die Bildung der empfohlenen Selbstversorgungsstrukturen knüpft an Bekanntem und Vorhandenem an und beruht völlig auf Freiwilligkeit. Sie baut auf, erstens auf den traditionellen Familien- und Einpersonenhaushalten, die sich zum Zweck der Selbstversorgung zu Nachbarschaftsgruppen ("Kleine Netze", s.u.) und "Ökoquartieren" (s.u.) zusammenschließen können.28 Zweitens basiert sie auf den in den jeweiligen Stadtteilen anzutreffenden Bau- und Siedlungsstrukturen.

48 Damit gehen wir mit unserem Modell der ergänzenden quartären Selbstversorgungsstruktur vom Wohnbereich des Menschen (im Gegensatz zum Arbeits- und Freizeitbereich) und der dort im Zusammenhang der vielfältigen Wohnhandlungen schon immer vorhandenen Eigenversorgung aus (z.B. Nahrungsbereitung, Kinderpflege und -erziehung) und erleichtern bzw. ergänzen diese um Produktionen, die sich für eine gemeinschaftliche Versorgung auf Nachbarschaftsbasis eignen.
49 Dieses Ansetzen am Wohnbereich empfiehlt sich deshalb, weil wir aus der Sozial- und Umweltpsycholgie wissen, daß der Faktor der räumlichen Nähe die Entstehung gut nachbarlicher oder sogar freundschaftlicher Beziehungen unter Menschen sehr stark unterstützen kann. 29
50 Wohnungseigentum, Kleine Netze und Ökoquartiere bilden die Grundpfeiler der quartären Selbstversorgungsstruktur. Diese drei Elemente werden nachfolgend näher beschrieben und ihre Notwendigkeit begründet.

3.2 Grundrecht auf Wohnung
51 Erwachsene Menschen bzw. Familien haben ein Grundrecht auf Wohnung. Dies sollte grundgesetzlich verankert werden. Ihm wird umfassend Rechnung getragen nur durch Wohnungseigentum, weshalb über Durchführungsgesetze den Mietern das Recht und die Möglichkeit eingeräumt werden sollte, ihren gemieteten Wohnraum zu kaufen, sofern sie dies wünschen. Wohnungseigentum beseitigt die Angst vor Wohnungsverlust und gibt dem früheren Mieter das Recht, den Wohnraum ganz nach seinen Bedürfnissen und Wünschen zu gestalten. Zu Wohnungseigentum aller bisherigen Mieter kann man gelangen, indem man ihnen das Recht auf Mietkauf einräumt. Die bisherige Miete wird gespalten in eine angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals, die der Mietkäufer gegenüber dem bisherigen Eigentümer nach und nach abträgt, und einen Betrag für Instandhaltung der Wohnung ( und anteilig der zugehörigen Hausaußenräume). Diesen "spart" der Mietkäufer und ist hinfort selbst verantwortlich für den Zustand der Wohnung, und die Eigentümergemeinschaft des Hauses, gebildet aus allen Mietkäufern und Wohnungseigentümern, sorgt für den Erhalt des Hauses insgesamt und seiner Außenräume inklusive zugehöriger Gebäude (z.B. Garagen, Abstellräume u.ä.m.).

3.3 Bildung "kleiner Netze"
52 Zwanzig bis maximal dreißig Familien (auch Wohngemeinschaften) und Einpersonenhaushalte, die benachbart wohnen, bilden je ein "kleines Netz".30 Harloff (1988) definiert in Anlehnung an Rusterholz (1981): "Kleine Netze" (KNe sind Verbindungen/Vereinigungen mehrerer Haushalte, die sich in räumlicher Nähe befinden und deren Bewohner in irgendeiner Form gemeinschaftliche Selbstversorgung betreiben. Die angestrebte und praktizierte Selbstversorgung kann eher im Materiellen liegen ..., sie kann ein soziales Stützsystem sein ..., oder es kann sich um gemeinsame geistig-kulturelle Aktivitäten handeln (z.B. Freizeitbeschäftigung oder Meditation)."31 Je nach Bau- und Siedlungsstrukturtyp kann ein KN aus der Bewohnerschaft etwa zwanzig benachbarter Einfamilienhäuser bestehen; bei Block- und Blockrandbebauung sowie bei Zeilenbauweise mit sechs und weniger Stockwerken wird es sich um die Bewohner von 1-3 Häusern und bei Zeilenbebauung mit mehr als sechs Stockwerken sowie bei Punkt- und Scheibenhäusern in Großstrukturen um die Bewohner eines Hauses oder u.U. nur einer oder mehrerer Stockwerke eine Hauses handeln. Das KN kann also größer oder kleiner oder identisch mit der zuvor beschriebenen Eigentümergemeinschaft eines Geschoßbaues mit früheren Mietwohnungen sein.
53 Das KN ist die Selbstversorgungsstruktur erster Ordnung. Auf seiner Ebene finden die Formen von Selbstversorgung und Selbsthilfe statt, die an ein Sich-gut-Kennen und zumindest eine gut-nachbarliche wenn nicht gar freundschaftliche Beziehung gebunden sind. Das kann so etwas wie seelischer Beistand in Notsituationen, gemeinsame Freizeitgestaltung, sich Aushelfen mit Materialien, Geräten usw. aber auch gemeinsame Kinderbetreuung oder für den anderen Einkaufengehen bis hin zur Kranken- und Altenpflege sein. Dies war schon in klassischen KNn so.32 Hinzu kommen jetzt einfache Instandhaltungsarbeiten in den Wohnungen sowie gemeinsame Pflege und Instandsetzungen der halböffentlichen Räume im Haus und um das Haus/die Häuser herum. Die KNe haben (u.U. in Abstimmung mit Eigentümergemeinschaften) die Verfügungsgewalt über die Nutzung der zu den Wohnungen gehörenden halb-öffentlichen Räume wie Flure, Treppenhäuser, Autostellplätze, Höfe usw.
54 Vieles hinsichtlich der Selbstversorgung im KN wird informell laufen wie in traditionellen, funktionierenden Nachbarschaften auch. Für langfristige und wiederkehrende Aufgaben jedoch braucht es eine formale Organisationsstruktur wie z.B. einen Verein, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, eine Genossenschaft oder ähnliches. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, daß die Bewohner des KNs einen großen Mehrzweckraum haben, in dem sich alle treffen können.

3.4 Bildung von Ökoquartieren
55 Ökoquartiere sind die Selbstversorgungseinheiten zweiter Ordnung. Sie bestehen aus zweihundert bis fünfhundert benachbarten Haushalten bzw. fünfzehn bis dreißig zusammengehörigen KNn. Auch diese Zahl ist nur ein grober Richtwert. Die Gruppe muß noch überschaubar sein. Man kennt sich zwar noch, viele aber nur vom Sehen. In den Ökoquartieren werden für die Mitglieder/Mitgliedsnetze all jene Leistungen erbracht, die auf der Ebene des einzelnen Netzes nicht erstellt werden können. Zu denken ist beispielsweise an größere Reparatur- und Umbaumaßnahmen an den Häusern. Das handwerkliche Know How der einzelnen Netze und dort vorfindliche Spezialisierungen werden auf der Ebene des Ökoquartiers zusammengefaßt und untereinander ausgetauscht. Dabei kann es auch um Leistungen im Sozial- oder Freizeitbereich gehen. Bei hohem Kinderanteil im Quartier z.B. wird die Kinderbetreuung auf der Ebene der Netze erfolgen. Gibt es aber nur wenige Kinder, wird man eine oder zwei Betreuungseinrichtungen für das Quartier einrichten.
56 Ökoquartiere entstehen durch ökologische Umformung und Weiterentwicklung vorhandener Quartiere. Wie schon bei den KNn ist auch bei ihnen von den existierenden baulichen Strukturen auszugehen; vorhandene Raumbildungen sind zu berücksichtigen. Diese Empfehlung trägt der Erkenntnis Rechnung, daß die physischen Baustrukturen Gruppenbildungen fördern. Menschen, die im selben mehrgeschossigen Mietshaus wohnen, kennen sich in der Regel. Sie treffen sich zufällig im Hauseingang, auf den Treppen, bei den Briefkästen, bei den Mülltonnen usw. Diese zufälligen Kontakte und das Wissen, im selben Haus zu wohnen, schafft Bindung, Wirgefühl und damit eine lose Gruppe. Darauf würde man aufbauen, wenn man KNe und Ökoquartiere schaffen will. Dieselbe lose Beziehung entsteht z.B. bei den Bewohnern am Ende einer Wohnstraße, um einen Wendehammer herum, oder bei größeren Nachbarschaften dadurch, daß man sich in den Geschäften des täglichen Bedarfs, beim Arzt, in der Apotheke usw. trifft. Die Bindung unter den Bewohnern eines ganzen Stadtquartiers ist allerdings wirklich nur sehr lose. Mit den meisten Leuten spricht man nicht. Das Vorliegen einer Bindung erkennt man jedoch daran, daß viele der betreffenden Menschen spontan in Kontakt treten, wenn sie sich überraschend an einem ungewöhnlichen Ort treffen (z.B. im Ausland). Weil das Sich-Kennen und Miteinander- Auskommen auch für die Bewohner der Ökoquartiere wichtig ist, sollte auch auf dieser höheren (zweiten) Ebene die Baustruktur das Entstehen eines Wir-Gefühls bei den Bewohnern desselben Quartiers unterstützen. Das ist dort unproblematisch, wo baulich deutlich herausgehobene Einheiten entsprechender Größe vorhanden sind - z.B. eine Hochhaus"scheibe" mit 500 Wohnungen oder eine Stadtrandsiedlung, die sich durch Baustil und/oder durch einen Grüngürtel deutlich von der übrigen Baumasse abhebt. Wo dieses Sich-Herausheben aus der übrigen Baumasse nicht vorhanden ist, sollte es langfristig durch Um- und Rückbau geschaffen werden.

57 Während die KNe über die halböffentlichen Räume ihres Hauses und zwischen ihren Häusern bestimmen, verfügen die Ökoquartiere, eingeschränkt natürlich durch die Befugnisse der Stadt- und u.U. Bezirksverwaltung, über die öffentlichen Räume ihres Gebietes. Mehr noch als bei den KNn ist eine permanente Organisations- und Verwaltungsstruktur der Ökoquartiere erforderlich. Diese erinnert an die politische Struktur in dörflichen Gemeinschaften, obschon die Aufgaben im Ökoquartier vielfältiger und teils andersartig sind. Bei letzteren geht es vorrangig immer um Produktionsmanagement und Abstimmung der Bedürfnisse zwischen den KNn. Diese dienen der Versorgung und Wohlstandsmehrung der Mitgliedsbevölkerung. Weniger geht es um die Ausübung hoheitlicher Funktionen; aber es wird ein "Quartiersrat" und u.U. ein Verwalter benötigt.

4. Schlußbetrachtung - Der Bewußtseinswandel der Menschen

58 Es mag zugestanden werden, daß man mit Hilfe der hier vorgeschlagenen Maßnahmen die ökonomische Krise und die Ungleichgewichte der hochentwickelten Wirtschaftsgesellschaft beseitigen kann. Insbesondere scheint sicher, daß damit die Arbeitslosigkeit aufhört, das Abkoppeln von Rentnern und Sozialhilfeempfängern von der gesellschaftlichen Wohlstandsmehrung verhindert und der Unbezahlbarkeit von Kranken-, Behinderten- und Altenpflege (weil weitgehend zurückgegeben in die Verantwortung der Familien und Nachbarschaften) entgegengewirkt wird. Man mag sich jedoch fragen, wo bei all dem die Umweltschonung, die Rücksicht auf dritte und vierte Welt-Länder, das ökologische Bewußtsein und das Denken an zukünftige Generationen bleibt. Hierzu ist zu sagen, daß diese Ziele dennoch nicht vergessen wurden. Wir haben ganz bewußt, die Gesichtspunkte der Krisenbewältigung und der Wohlstandsmehrung durch sinnvolle Arbeit in der quartären Struktur und Selbstverwirklichung in seinen Gruppen- und Freizeitbezügen in den Vordergrund gestellt. Die oben genannten Ziele werden, da sind wir sicher, als eine Art Nebenprodukt abfallen.
59 Der Zusammenhang ist wie folgt zu sehen: Viele, insbesondere Singles, die bislang vierzig Stunden pro Woche gearbeitet haben, werden in der vorgeschlagenen dualen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung weniger verdienen, weil sie nur halbtags "beschäftigt" sind (in der Grundstruktur) oder weil sie höher als bisher besteuert werden. Zwar haben sie über die Selbstversorgung, wenn sie sich einem KN anschließen und dieses sich einem Ökoquartier, eine gewisse Kompensation, doch haben sie dennoch möglicherweise Veranlassung zur Sparsamkeit. Für einige andere mag das ebenso gelten, für wieder andere jedoch nicht. Paaren z.B., bei denen bislang nur einer "arbeitete", z.B.weil kleine Kinder zu versorgen waren, dürfte es nach Einführung der dualen Gesellschaftsordnung nicht schlechter gehen als zuvor, weil sie jetzt zwei Halbtagseinkommen beziehen. Wegen der quartären Ergänzungsleistungen dürfte sich auch ihr materieller Wohlstand eher verbessern. Letzteres gilt auch für Sozialhilfeempfänger und Rentner, solange die staatlichen Leistungen an sie nicht gekürzt werden.

60 Wichtiger ist: Über die Gruppenbildungen der KNe kommt zusätzlich, gewissermaßen aus der Mitte der Gruppe heraus, "Druck" zum Sparen. Man stelle sich z.B. den Fahrzeugpark eines KNs vor: Zwanzig Autos, Motorräder, Motorroller, Mopeds, vierzig Fahrräder. Jedes der motorisierten Vehikel kostet Steuern und Versicherung (möglicherweise Miete für den Garagenplatz), ob es bewegt wird oder nicht. Und viele Fahrzeuge sind mehr "Steh-" als Fahrzeuge. Da man sich im KN ständig zwecks Organisation der Selbstversorgung und bei der zugehörigen quartären "Produktion" trifft und somit die Vertrauensbasis, Zusammengehörigkeitsgefühl, Freundschaften usw. wachsen, wäre es fast ein Wunder, wenn man nicht begänne, am Fahrzeugpark zu sparen, indem man ihn nach und nach gemeinschaftlich nutzt. Dieser Zusammenhang gilt grundsätzlich, nicht nur für die Fahrzeuge. Somit ist zu erwarten, daß parallel zur Stärkung der psychischen Bindung innerhalb des KNs immer mehr Anstöße kommen werden, sich als echte Gruppe zu verstehen und alle ökonomischen Vorteile (das sind Sparmöglichkeiten beim Ver- und Gebrauch materieller Güter!) zu nutzen.
61 Etwas drittes kommt hinzu: Über das Einander-Näherrücken nimmt erstens die Konsumhaltung ab, weil Teile des Konsums in der heutigen Gesellschaft Ersatz für nicht vorhandene Sozialbeziehungen sind. Zweitens ist die Chance für die Durchsetzung ökologischer Ziele in einer Gesellschaft in der die Einzelnen und Kleinfamilien in KNn und Ökoquartieren zusammengeschlossen sind, wesentlich höher, als wenn die Individuen und Kleingruppen anonymisiert sind. Das hängt mit pull and push Effekten der Gruppe zusammen. Dazu gehört dreierlei.
62 (1) werden positive Vorbilder besser wahrgenommen. (2) bewirken Verpflichtungserklärungen (es mit anderem ökologischerem Verhalten einmal zu versuchen), die man in der Gruppe abgegeben hat, wesentlich mehr als nur private Vornahmen, die man ohne Gesichtsverlust wieder über Bord werfen kann. Und (3), das muß nicht verschwiegen werden, gibt es in den überschaubaren Gemeinschaften Druck auf Abweichler. Das bedeutet, daß die Einhaltung gefaßter ökologischer Gruppenzielsetzungen auch per sozialem Druck durchgesetzt wird.

63 Gerade diese letzte Bemerkung über den sozialen Druck überschaubarer Gemeinschaften motiviert uns, darauf hinzuweisen, daß dieser Druck in einer Stadt niemals umfassend wird. Das gerade ist das Schöne an der Einführung ökologischer Gemeinschaftsstrukturen in der Stadt. Es gibt dort zahllose KNe und viele, viele Ökoquartiere (neben den übergeordneten gesamtstädtischen Freizeitbetätigungseinrichtungen wie Theater, Sportstadien usw.), die alle so nahe benachbart sind, daß der Einzelne viele und ganz individuelle Interessen spiritueller und kultureller Art über Beteiligung an den Aktivitäten der verschiedensten Gruppen ausleben kann. Anders als im Dorf oder sehr kleinen Gemeinden kann er sich somit dem Druck der überschaubaren Gemeinschaften bei Ausnutzen von deren Vorteilen auch immer wieder partiell entziehen und somit in der Tat ein Maximum an individueller Selbstentfaltung erreichen.
64 Damit hoffen wir gezeigt zu haben, daß mit der Einführung eines dualen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems nicht nur der ökonomischen Krise unseres Landes Rechnung getragen wird, sondern insbesondere längerfristig auch ökologischen Zielen gedient ist. Die vorgeschlagene duale Gesellschaftsordnung wird möglicherweise nicht leicht durchzusetzen sein, wir sind jedoch so gut wie sicher, daß man politisch und langfristig betrachtet, gar nicht darum herum kommt, in die angedeutete Richtung zu gehen.

Anmerkungen

1)FÖSTE; Wolfgang (1992): Mut zu menschlichem Maß. In: Grünstift -Special 6 des Berliner Naturschutzmagazins,6/1992, S.2
2)aus dem BERICHT DER WELTKOMMISSION DER UMWELT UND ENTWICKLUNG, zit. aus Grünstift 6/92 (s.o.) S.9
3)HAHN, Ekhart (1991) Ökologischer Stadtumbau - Theorie und Konzept. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung FSII91-405
4)GALTUNG, Johan zit. aus Grünstift 6/92 S.9
5)FÖSTE, Wolfgang a.a.O. S.2
6)KROMPHARDT, J. (1994): Gesamtwirtschaftliche Steuerung: Übereinstimmende und divergierende Interessen von SPD und Gewerkschaften. In: Langkau, Jochem, Matthöfer, Hans & Schneider, Michael (Hrsg.) SPD und Gewerkschaften - Ein notwendiges Bündnis, Band 2. Bonn: J.H.W.Dietz Nachfolger. S.155
KROMPHARDT, J. (1995): Warum und bis zu welchem Ausmaß brauchen wir eine Arbeitsmarktpolitik?. Vortrag gehalten am 04.02.1995 auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Potsdam
7)FORSCHUNGSVERBUND LEBENSRAUM STADT (1994): Mobilität und Kommunikation in den Agglomerationen von heute und morgen. Berlin: Ernst und Sohn-Verlag. S.67f.
8)HENZLER, Herbert A., SPÄTH, Lothar (1993): Sind die Deutschen noch zu retten? München: C. Bertelsmann
9) SCHMACHTENBERG, Rolf (1995): Strategien für eine Politik der Vollbeschäftigung - Illusionen?. Vortrag gehalten am 04.02.1995 auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Potsdam
10) vgl. SCHMACHTENBERG, Rolf a.a.O.
11) MEADOWS, D., MEADOWS, D., ZAHN, E., MILLING, P. (1972) Die Grenzen des Wachstums - Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Stuttgart: Deutsche Verlags Anstalt
12) HARLOFF, Hans Joachim (1994) Der Transaktionale Ansatz der Wohnpsychologie - Transaktionen des Menschen in und mit seinem Wohnmilieu. Vortrag gehalten am 08.09.1994 auf der Tagung "Wohnen Behinderter - Behindertes Wohnen" in Köln
13) HARLOFF, Hans Joachim (1978) Übereinstimmende Merkmale utopischer und futurologischer Gesellschaftsmodelle. In: Harloff, H.J. (Hrsg.) Konferenzdokumentation - Bedingungen des Lebens in der Zukunft und die Folgen für die Erziehung (Internationale Arbeitstagung, Berlin: 23. - 26.11.1978). TUB-Dokumentation aktuell 6/78
14) siehe auch: GREVERUS, Ina-Maria (1985) Wohnstätten des Seins. Zur Raumorientierung in alternativen Projekten. In: Führ, Eduard (Hrsg.) Wiesbaden und Berlin: Bauverlag. S. 42ff.
15) BELL,P.A., FISHER, J.D., BAUM,J.D., GREEN, T.C. (1996) Environmental Psychology, 3rd ed. Chicago: Holt, Rinehart & Winston. (Kap.2)
16) BELL et al. (1996) a.a.O. (Kap.10)
17) HARLOFF, Hans Joachim (1986) Das Behavior-Setting-Konzept Barkers im Dienste der Umweltgestaltung. In: Kaminski, Gerhard (Hrsg.) Ordnung und Variabilität im Alltagsgeschehen. Göttingen, Toronto, Zürich: Verlag für Psychologie, Dr. C.J. Hogrefe. S.230ff. (vgl. v.a. Anmerkung Nr. 17, S.247)
18) vgl. auch die grundlegenden Bedürfnisse des Maslow'schen Bedürfnismodells z.B. nach: FLADE, Antje (1993) Wohnen und Wohnbedürfnisse im Blickpunkt. In: Harloff, H.J. (Hrsg.) Psychologie des Wohnungs- und Siedlungsbaus - Psychologie im Dienste von Architektur und Stadtplanung. Göttingen, Stuttgart: Verlag für Angewandte Psychologie
19) HARLOFF, H.J. (1972) Wirtschaftsordnung und Mitbestimmung. In: Jahrbuch für Sozialwissenschaft Band 23. S.355ff.
20) siehe auch: KENNEDY, Margrit (1981) Gyn-Öko-Logisches zum Verhältnis Frau-Natur-Raum. In: Lutz, Rüdiger (Hrsg.) Sanfte Alternativen. Weinheim, Bergstraße: Beltz. S.73ff.
21) FRIEDMAN, Yona (1978) Die Quaternalisation - Eine Utopie. In: Harloff, H.J. (Hrsg.) Konferenzdokumentation - Bedingungen des Lebens in der Zukunft und die Folgen für die Erziehung. Berlin: TUB-Dokumentation aktuell 6/78 S.2ff.
22) FRIEDMAN, Yona (1978) a.a.O.
23) SKINNER, Burrhus Frederic (1976) Walden Two Reissued. New York: Macmillan Publishing Co.
24) HALBRITTER, G. (1994) Waffengleichheit von Ökonomie und Ökologie. In: Schriftenreihe Politische Ökologie Nr.39: Wohlstand Light? - Perspektiven für ein zukunftsfähiges Deutschland. 11/94
25) DAVIS, Joan (1994) Lebensstil oder Lebensziel - Verzichten bedeutet nicht verlieren. In: Schriftenreihe Politische Ökologie Spezial Lebensstil oder Stilleben - Lebenswandel durch Wertewandel 2.Auflage
26) SELLE, Klaus (1990) Zu Reichweite und Voraussetzungen des Bewohnerengagements im Wohnbereich - Zwölf Thesen. In: Stoff Sammlung - Berichte und Materialien aus Projekten der Arbeitsgruppe Bestandsverbesserung (AGB) Ausgabe No.12, Oktober 1990. Institut für Freiraumentwicklung und planungsbezogene Soziologie, Universität Hannover; Institut für Raumplanung, Universität Dortmund. S.2ff.
27) DIEKMANN, A. (1993) Die Grenzen der Verhaltenswirksamkeit des Umweltbewußtseins. In: Hörning, K. (Hrsg.) Umwelt und Gesellschaft.
28) vgl. auch das Konzept "Ökostation" von Hahn:
HAHN, Ekhart (1991) Ökologischer Stadtumbau - Theorie und Konzept. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung FSII91-405.
HAHN, E. & SIMONIS, Udo Ernst (1994) Ökologischer Stadtumbau - Ein neues Leitbild. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung FSII94-403
29) BELL et al.(1996) a.a.O. (Kap.12)
30) TRÄNKLE, Margret (1978) Von der Isolationszelle zum kommunikativen Wohnen. In: Jungk, R., Lutz, R., Müllert, N.R., Ziegler, B. (Hrsg.) Enzyklopädie der Zukunft - Eine Anstiftung zur praktischen Zukunftsgestaltung, Band I. Tübingen: iva-verlag bernd polke GmbH. S.169ff.
31) HARLOFF, Hans Joachim (1988) "Kleines Netz" als Feld sozialen und ökologischen Lernens. In: Simonis, Udo Ernst (Hrsg) Lernen von der Umwelt - Lernen für die Umwelt. Berlin: Edition Sigma
32) HARLOFF, Hans Joachim (1988) a.a.O.

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