Die Zukunft
der Architekturvermittlung

11. Jahrgang
Doppelheft 1-2
Februar 2007
   

 

___Carsten Ruhl
Bochum
  Die Vermittlung ist das Werk
Zur Verselbstständigung des Ausstellens bei Herzog & de Meuron
   

Man ist es von Künstlern gewohnt, dass sie ein ambivalentes Verhältnis zur verbalen Vermittlung ihrer Werke pflegen. Einerseits lamentieren sie gern über das Gerede, das um ihre Kunst gemacht wird, andererseits sind sie auf die erklärende Interpretation des Unaussprechlichen angewiesen, soll ihr Werk einen festen Platz im sakralen Raum der Galerien und Museen erhalten.
In der Architektur, so muss mit Blick auf die letzten Jahre festgestellt werden, verhält es sich da nicht anders. Nach den zahlreichen postmodernen Legitimationsstrategien, die noch einmal eine Vielzahl von architekturtheoretischen Statements mit dem Blick für das Ganze hervorbrachten, beharren Architekten wie Jacques Herzog & Pierre de Meuron nunmehr darauf, dass sich Architektur im Wesentlichen durch sich selbst erkläre. „Architektur sei Architektur“, hatte Aldo Rossi den beiden während ihrer Zeit als Studenten der ETH Zürich eingeschärft (Brausch & Emery, 1995, 27-45).
An dieses Schweigegelübde hatte sich indes schon Rossi nicht gehalten. Er avancierte zu einem der wichtigsten Theoretiker seines Faches, indem er in zahlreichen Schriften, Essays und Manifesten erklärte, was sich eigentlich durch das Gebaute mitzuteilen hatte. Sprachlosigkeit in der Architektur, so hat es den Anschein, scheitert an der permanenten theoretischen Begründung derselben. Ein Paradox, dem sich auch Herzog & de Meuron nur schwerlich entziehen können. In zahlreichen Interviews versichern sie immer wieder aufs Neue, sie verglichen sich nicht mit anderen Architekten oder Gruppierungen, akzeptierten keine verbindlichen Regeln oder ästhetischen Formalismen. Dass derartige Originalitätsbekundungen wiederum in das Reich avantgardistischer Mythenbildung gehören, muss nicht eigens betont werden. Bemerkenswert aber ist, dass jene programmatische Ablehnung eines verbindlichen Gedankengebäudes keine Legitimation mehr in einem größeren theoretischen Rahmen erfährt. Die Architektur sei vielmehr eine philosophische Rede und keine Philosophie, behaupten die Architekten feinsinnig. Was aber will uns dann das steinerne Artefakt übermitteln? Das freie Spiel der Erkenntniskräfte? Die Zurschaustellung architektonischer Mittel um der Mittel wegen? L’architecture pour l’architecture?
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Abbildung 1:
Außenansicht Schaulager Basel, 2003

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Abbildung 2:
Ricola-Europe Mulhouse, 1992-1993

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Abbildung 3:
Fassadendetail der Bibliothek in Eberswalde, 1994-1999

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Abbildung 4:
Bibliothek der BTU Cottbus, 2005

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Abbildung 5:
Innenansicht Schaulager Basel

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Abbildung 6:
Ausstellungskatalog Naturgeschichte, Blatt mit Fossilen

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Abbildung 7:
Ausstellungskatalog Naturgeschichte, Blatt mit morphologischen Studien
 
  Schenkt man den Architekten Glauben, so lassen sich jene Fragen, denen sie selbst in ihren zahlreichen Texten durch eine verbindliche Unverbindlichkeit auszuweichen scheinen, in Anschauung der Bauten selbst beantworten. Mit Blick auf das Schaulager in Basel (2000-2003) hatte indes schon Stanislaus von Moos in einem klugen Aufsatz konstatiert, dass sich die Architektur durch ihre „perverse Dialektik der Enthüllung und der Vorenthaltung“ (von Moos, 2004) einer eindeutigen Festlegung zu entziehen sucht (Abbildung 1). Dies aber nicht, indem sie sich nun tatsächlich von allen architektonischen Konventionen verabschiedete. Das Gegenteil ist der Fall. Der Verwertungszyklus topischer Motive wird erst durch die polysemantische Ausrichtung des Gebäudes so richtig angekurbelt. Dies geschieht indes äußerst elaboriert, wie der Blick auf die proszeniumsartige Straßenfront des Basler Kunstsilos zu zeigen vermag. Vor einer weißen, sich trichterförmig öffnenden Wand, die an einen aufgefalteten „white cube“ erinnert, steht gleichsam als Vorposten der Kunst ein kleines, archaisch wirkendes Häuschen. Die Aufgaben, die dieses pittoreske Motiv zu erfüllen hat, scheinen vielfältig. Davon abgesehen, dass es gemeinsam mit dem äußerst abweisend wirkenden Zaun eine Schutzzone bildet, die den Kunstschrein vor unerwünschten Gästen bewahren soll, erinnert es an den Archetypus der Urhütte, wie ihn bereits Oswald Mathias Ungers 1984 im Deutschen Architekturmuseum als permanentes Exponat, als Haus im Haus, installiert hatte. Wo Ungers aber noch das Ziel verfolgt, die Differenz zwischen Bild und Bau im ästhetischen Freiraum des Museums zu überbrücken, damit die angenommenen rationalen Grundlagen der Architektur umso klarer vor Augen treten können, erodieren bei Herzog & de Meuron mit den maßstäblichen Konventionen auch derartige Zielsetzungen. Architektonische Autonomie legitimiert sich jetzt nicht mehr durch typologische, morphologische oder geometrische Erklärungsmodelle. An die Stelle rationalistischer Selbstbeschränkungen, der Vorstellung einer letztlich übersinnlichen architektonischen Wahrheit, tritt jetzt die Idee einer Architektur, die die sinnliche Herausforderung annimmt, „die immer schneller und heftiger auf uns einstürzenden Bilder zu neuen, bildhaften, architektonischen Räumen“ zu gestalten (Herzog & de Meuron, 2000, 225).

Damit wird der Fokus auf eines der zentralen Themen im Werk Herzog & de Meurons gelenkt, das immer wieder in unterschiedlichsten Konfigurationen durchgespielt wird: Die Architektur als Ausstellendes und Ausgestelltes. Nicht selten sind die Baukörper ihrer spektakulären Projekte wie in frühneuzeitlichen Repräsentationsbauten mit Bildern einer Ausstellung übersäht. Die europäische Niederlassung von Ricola in Mulhouse (1992-1993) ziert Karl Blossfelds fotografische Aufnahme der Doldigen Schafgarbe, die vielfach reproduziert von innen auf die transparenten Polycarbonatplatten der Fassade gedruckt ist (Abbildung 2). In der Bibliothek von Eberswalde (1994-1999) hingegen bilden in Glas geätzte Inkunabeln der Architektur- und Kunstgeschichte ein „all-over“, das das Gebäude wie tätowiert erscheinen lässt (Abbildung 3). Allein die schmalen querrechteckigen Fenster sowie die helleren jeweils von einem umlaufenden Fensterband hinterfangenen Gemälde-Reproduktionen strukturieren das sockellos aufragende Gebäude. Dabei werden die wenigen Fensterschlitze bisweilen selbst zu eingerahmten Bildern, die wiederum auf die Funktion des Gebäudes als Bibliothek, das heißt als Büchergalerie, verweisen. In der 2005 fertig gestellten Bibliothek der BTU Cottbus schließlich (
Abbildung 4) haben nun die Buchstaben selbst die Enge zwischen zwei Buchdeckeln verlassen, um sich zu einem babylonischen Sprachornament zusammenzufügen, das mal transparent, mal opak, mal seltsam entrückt wirkt und dabei ständig zwischen Schrift und Ornament oszilliert.

Was liegt angesichts solcher „bilddurchtränkter Räume“ näher, als dass die Architekten nun selbst zu Ausstellungsmachern werden und derartige Projekte als gleichberechtigte Schöpfungen an die Seite ihrer realisierten Bauten stellen. Nicht, um wie in den vergangenen Ausstellungen des 20. Jahrhunderts Programme zu vertreten, Stile zu verkünden oder gar Geschlossenheit der avantgardistischen Kräfte zu demonstrieren. Die letzten halbherzigen Versuche dieser Art wie etwa die von Philip Johnson und Mark Wigley Ende der achtziger Jahre kuratierte Ausstellung „Dekonstruktivistische Architektur“ (Johnson & Wigley, 1988/1 und 1988/2) waren ohnehin schon von einem gewissen Unbehagen in dieser Hinsicht geprägt. Gleich zu Beginn des Kataloges versichern die Kuratoren, dass Dekonstruktivistische Architektur kein neuer Stil sei und sich fundamental von der „messianischen Inbrunst der modernen Bewegung“ unterscheide (Johnson & Wigley, 1988/2, 7).

Auch die Präsentationen Herzog & de Meurons scheinen über jeden Dogmatismus-Verdacht erhaben. Weder eine bestimmte Idee noch eine Theorie steht im Vordergrund, und sei es auch nur in der Negation des Bestehenden. Allein das Werk der Basler Architekten mit seinen biografischen, architektur- und kunsthistorischen Verflechtungen steht im Mittelpunkt der Reflexion, die als ein konzeptionell unabgeschlossenes philosophisches Gedankengebäude aus Bildern, Modellen und Texten verstanden werden will.

Die in dieser Hinsicht vielleicht überzeugendste Ausstellung war vor drei Jahren im Canadian Centre for Architecture (vgl. hierzu Ursprung, 2002)  zu bestaunen, bevor sie in Europa das Schaulager in Basel eröffnete (
Abbildung 5). „Archaeology of the Mind“, so der Titel, unter dem sich, für eine Architekturausstellung ungewöhnlich, keine repräsentativen Modelle und Bilder zu einem Werkkatalog verdichteten. Stattdessen präsentierte man objets trouvés, das heißt den sedimentierten Abfall des architektonischen Schöpfungsprozesses. Die Architekten öffneten hierzu ihr Archiv und die Kuratoren machten sich in Dankbarkeit über das dargebotene Material her, das sie in der Attitüde eines Archäologen bargen, sichteten, kategorisierten und mit Fossilien konfrontierten. Am Ende präsentierte sich eine Art Wunderkammer analogischer Beziehungen zwischen Natur, Architektur und Kunst (Abbildungen 6 und 7).

Dieser Konzeption entsprechend, versteht sich der begleitende Ausstellungskatalog als „Naturgeschichte“. Das heißt, die sinnlichen Phänomene werden auf der Grundlage physiologischer Ähnlichkeiten einer taxonomischen Ordnung unterzogen, aus der sich dann vier Kapitel ergeben. Deren Überschriften erinnern ebenso wie schon der Titel der Ausstellung an Michel Foucaults Archäologie des Wissens: Transformation und Verfremdung, Aneignung und Umbau, Lagern und Komprimieren, Eindruck und Ausdruck, Verschachtelte Räume, Schönheit und Atmosphäre.
Was bei Foucault indes der epistemologischen Analyse dient, die sich weigert, die Geschichte des Denkens in Autoren, Biographismen, Denkschulen, teleologischen Entwicklungen und glorreichen Zivilisationsprozessen einzuteilen, gerät hier nur bedingt zur klärenden Entschleierung vormals unbewusster Wissensstrukturen. Im Gegenteil, vor den Augen des Lesers breitet sich eine schier unübersichtliche Bilderwelt aus, die allein noch dazu dient, den imaginativen Reichtum der Architekten zu dokumentieren. Als wäre dies nicht schon genug, übertreffen sich die verpflichteten Kuratoren, Kritiker, Wissenschaftler und Künstler in der Generierung tief schürfender Bedeutungshorizonte, die alles mit allem verbunden erscheinen lassen und die, im Sinne eines neuen Biographismus, die Sozialisation der Architekten zum Ausgangspunkt gewagter Spekulationen nehmen. Die Künstler selbst indessen betonen ihre Verwunderung über die hergestellten Kontexte, so als ob sie an dem eigentlichen Ausstellungsprojekt nicht beteiligt seien, ja gar vom jenseitigen Parnass der Baukunst auf die Systematisierungsversuche ihrer Nachwelt allenfalls wohlwollend hinabschauten.
Doch auch dies gehört, ebenso wie die Attitüde der Kuratoren, zu jenem inszenierten „tableau vivant“, das für die Architekten den Charakter eines Experimentierfeldes hat und sich allein deswegen schon von früheren Architekturausstellungen unterscheidet: „Wir wollen den Ausstellungsraum nicht in herkömmlicher Weise belegen und ausstatten mit Dokumenten unserer architektonischen Arbeit. Solche Ausstellungen langweilen uns, da ihr didaktischer Wert eine trügerische Auskunft unserer Architektur vermitteln würde. Man glaubt, von der Skizze zum fertigen fotografierten Werk etwas nachvollziehen zu können, aber in Wirklichkeit hat man gar nichts begriffen, sondern lediglich Dokumente einer architektonischen Realität zusammenaddiert.“ (Herzog & de Meuron, 2002, 78-79)
Die Konsequenz, die Herzog & de Meuron hieraus ziehen, ist die Emanzipation der ausgestellten Architektur von der Architektur als gebauter Realität. An die Stelle einer Illusion folgerichtigen und stringenten Entwerfens, von der ersten Ideenskizze bis zur steinernen Ausformulierung, treten die ansonsten nicht als Kunstwerke betrachteten Hinterlassenschaften jener architektonischen Metamorphose. So kommt zum Vorschein, was üblicherweise hinter den Mauern der prominenten Büros oder Ateliers verborgen bleibt: Zahllose Arbeitsmodelle, morphologische Studien, abstrakte Skizzen und Aufzeichnungen sollen von dem experimentellen Charakter architektonischen Entwerfens als eines ästhetischen Prozesses zeugen. Dies inklusive aller Irrungen und Wirrungen, Fehler und Verwerfungen, von denen jener Schöpfungsprozess geprägt ist. An die Stelle des rational nachvollziehbaren Zusammenspiels von Modell und Zeichnung tritt so die kaleidoskopartige Verschränkung disparater Exponate, die dem Betrachter eine Vielzahl von Deutungsmöglichkeiten anbieten, ohne dass eine einzige hiervon zwingend wäre. Vor allem aber soll hierdurch Einblick in den Kopf des Architekten, in sein bilddurchtränktes Gedächtnis, gewährt werden, auf dessen Grundlage sich in geradezu geheimnisvoller Weise die Materialisierung der Architektur zu vollziehen scheint.
 
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Abbildung 8:
Joseph Michael Gandy, Public and Private Buildings executed by Sir John Soane, 1818
 
  Die Interpretation der Architekturausstellung als eines begehbaren Gedächtnisraums ist ein Phänomen, das sich beobachten lässt, seitdem sich der Architekt als künstlerisches Genie begreift. Schon Anfang des 19. Jahrhunderts gestaltete John Soane sein Haus zum Ebenbild seiner chaotischen Bilderwelt (Abbildung 8). Ägyptische Sarkophage, Architekturstiche, Urnen, Vasen, Architekturmodelle und Büsten bedecken noch heute fast vollständig die Wände des kleinen Londoner Domizils, in dem sich das Genie des romantischen Klassizismus förmlich eingenistet hat. Der seit der frühen Neuzeit klassische Apparat architektonischer Vermittlungsmedien, Schrift, Bild und Modell, kommt hier in seinem ganzen Überfluss zur Anwendung, wenngleich sich nicht übersehen lässt, dass jene Medien bereits ein Eigenleben entwickelt haben. Denn Soane konzipiert seine Exponate nicht allein im Hinblick auf ihre didaktische Funktion. Darüber hinaus werden sie gemeinsam mit Soanes umgestalteten Haus zum Gegenstand monumentaler Architekturgemälde, in denen die Differenz zwischen Modell, Bauwerk und Bild aufgehoben scheint, um den künstlerischen Kosmos Soanes in Form eines imaginären Ausstellungsraums heroisch zu überhöhen (vgl. hierzu Richardson & Stevens, 1999).
Bereits hier scheint also zu gelten, was Ilka und Andreas Ruby unlängst als Amalgam aus Architektur und Bild, als den fließenden Übergang des einen in den Aggregatzustand des jeweils anderen bezeichneten (Ruby & Ruby, 2004, 157). Hiermit war allerdings nicht die historische Entwicklung des Architekturbildes seit dem 18. Jahrhundert gemeint, sondern der gegenwärtige „iconic turn of architecture“, der gleichsam in der Tradition der Renaissance und ihrer Verschleifung von Architektur und Bild unter dem Primat der Perspektive stehe. Donato Bramantes illusionistischer Chor von Santa Maria presso San Satiro in Mailand schien so, ungeachtet der sich wandelnden Darstellungsmittel, als zeitloses Manifest jener komplexen medialen Durchdringung von Bild und Raum gelten zu dürfen.

Wie sehr jener Vergleich zwischen der Renaissance und der Gegenwart allerdings hinkt, wird bereits anhand der Tatsache deutlich, dass dem Architekturbild zur Zeit Bramantes noch längst kein autonomer Status zugebilligt wurde, geschweige denn, dass es mit dem Gebauten auf eine Stufe gestellt worden wäre. Es fehlte also jede Voraussetzung für eine tatsächliche Durchdringung des Imaginierten mit dem Gebauten. Im Gegenteil, die Hierarchien des architektonischen Entwurfsprozesses blieben im Unterschied zur heutigen Situation gewahrt. Die wissenschaftliche Grundlegung der Architektur, die systematische und kodifizierte Darstellung des Raumes im Bild, verhinderte gleichsam derartige Entgrenzungen zugunsten nachvollziehbarer Rationalität.
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Abbildung 9:
Aldo Rossi, La Città Analoga, 1976
 

Plausibler erscheint daher der Hinweis, dass die neue Ikonophilie der Architektur wesentlich von den Entwicklungen der letzten Jahrzehnte profitierte, die von dem Versuch geprägt waren, den allseits beklagten modernistischen Ikonoklasmus zu überwinden. In „La città analoga“ etwa, das Rossi anlässlich der Biennale von 1976 ausstellte (vgl. hierzu Ruhl, 2006/1), verdichten sich wie in Soanes Museum auf der annähernd quadratischen Bildfläche in schier unüberschaubarer Fülle Alltagsgegenstände, Stadtpläne, Landkarten und Kunstwerke zu einem komplexen Gedächtnisrelief des Architekten, das mit Hilfe des Verstandes kaum auflösbar erscheint (Abbildung 9). Mit anderen Worten, im zweidimensionalen Bildraum wird die subjektive Vorstellungswelt des Architekten, auf der sein imaginatives Potenzial beruht, zur Schau gestellt. Zugleich wird es aber auch mittels verschiedener Bildstrategien - Fragmentarisierung, Übereinanderblendung, Verfremdung - verschleiert. Das Architekturbild macht sich so die Bildstrategien der Kunst zu Eigen und strebt im Extremfall sogar seiner gebauten Realisierung entgegen. Zumindest dann, wenn man Robert Venturis Auffassung Ernst nimmt, dass die Architektur wie die Malerei eine autonome Bildkunst sei, deren ikonografischer Reichtum gleichsam unbegrenzt ist (vgl. hierzu Ruhl, 2006/2).

Zweifellos ist Herzog & de Meurons Architekturkonzeption ohne jene hier nur kursorisch skizzierte Entwicklung undenkbar. Ähnlich wie Rossi das Bild zu einer selbstbewussten Kunstform erhebt, begreifen es Herzog & de Meuron als ein eigenständiges Reflexionsmedium, das Aspekte des architektonischen Denkens hervorhebt, die ansonsten unberührt blieben. Die „naturalistische“ Darstellungsweise von Architektur hingegen, so führen sie aus, sei „autoritär und antiaufklärerisch. Die Wirklichkeit der Architektur ist nicht die gebaute Architektur. Eine Architektur bildet außerhalb dieser Zustandsform von gebaut/nicht gebaut eine eigene Wirklichkeit, vergleichbar der autonomen Wirklichkeit eines Bildes oder einer Skulptur.“ (Herzog, 1997, 208)

Völlig losgelöst von der außerkünstlerischen Wirklichkeit können derartige Bilder aber dennoch nicht sein. Im Gegenteil, Herzog & de Meuron erweisen sich erneut als Schüler Aldo Rossis, wenn sie die etwas verzweifelt klingende Frage stellen, was ihnen denn ungeachtet aller künstlerischen Autonomie anderes übrig bleibe, „als all diese Bilder der Stadt, der vorgegebenen Architekturen, Bauformen und Baumaterialien, der Gerüche des Asphalts, der Abgase und des Regens in uns zu tragen, von diesen als unserer vorgegebenen Realität auszugehen und unsere Architektur in bildhafter Analogie aufzubauen“? (Herzog, 1997, 208)
Die Schlüsse, die die Basler Architekten aus jener empirischen Fundierung des architektonischen Bildes ziehen, sind indes gänzlich andere. Wo Rossi das Subjektive durch die dialektische Verschränkung von Imagination und Rationalität zu bändigen suchte, beharren Herzog & de Meuron auf der prinzipiellen Unabschließbarkeit architektonischer Reflexion, ja gar auf der Auflösung der Architektur im traditionellen Sinne, damit sie umso mehr als „Instrument der Wahrnehmung von Wirklichkeit und der Auseinandersetzung mit ihr“ bestehen kann (Herzog, 1997, 209).
Hiermit verbinden Herzog & de Meuron zugleich einen „politisch-moralischen“ Gehalt, der an Adornos Autonomie der modernen Kunst als das Nichtidentische zu erinnern scheint. Die Architektur sperre sie sich „gegen den einfachen und beliebigen Bildkonsum“, gegen die rasende Geschwindigkeit, mit der diese Konsumhaltung durch neues Bildmaterial unterhalten werden muss.“ Und schließlich ist es die „Angst, selbst aufgesogen zu werden vom so genannten medialen Zeitraster, selbst zum Erscheinungsbild degradiert zu werden“ (Herzog, 1997, 209), die Herzog & de Meuron auf die strikte Unterscheidung von Kunst und Nichtkunst pochen lässt.

Die Befürchtung, der künstlerische Eigensinn der Architektur könne im Meer leicht konsumierbarer Bilderströme untergehen, war zu diesem Zeitpunkt allerdings schon zu einem Topos der Architektur-Diskussion und ihrer außerarchitektonischen Kritik geworden. Spätestens seit sich Robert Venturi Anfang der siebziger Jahre mit aller denkbaren Konsequenz an den kommerziellen Werbestaffagen von Las Vegas orientierte, galt der Architekt als bildgewaltiger Verschleierer des Raumes und seiner sozialen Verfasstheit. In „La production de l’ espace“ sprach Henri Lefèbvre (Lefèbvre, 1974) dem Architekten gar jede Fähigkeit ab, im Raum zu denken [1]. Er sei vielmehr ein Meister darin, denselben in eine kodifizierte Bildsprache zu übersetzen, deren Abstraktheit mit dem tatsächlichen Lebensraum so gut wie nichts gemein habe. Und der englische Architekturtheoretiker Neil Leach beschwor zuletzt gar eine „Anästhetik der Architektur“ (Leach, 2000), da mit der affirmativen Haltung des Architekten gegenüber den ästhetischen Strategien des Kapitalismus die Differenz zwischen Architektur und kommerziellem Bild letztlich aufgehoben scheint. Der Architekt werde so zum willfährigen Vollstrecker einer bewusst forcierten Agonie der Kunst: „Wenn alles ästhetisch wird, ist nichts mehr länger hässlich oder schön und die Kunst selbst verschwindet“, schrieb Jean Baudrillard Anfang der neunziger Jahre.

Indes kann man es nur als ein Missverständnis betrachten, wenn Venturis Schriften als ernsthafte Versuche interpretiert werden, die Grenzen zwischen Kunst und Kommerz zu verwischen. Das Gegenteil ist der Fall. Venturis eigentliches Ziel ist ja gerade die Emanzipation der Architektur vom Raum zugunsten einer autonomen Bildkunst, die mit dem Blick des ikonografisch geschulten Betrachters rechnet und dabei nur vorgibt, von den alltäglichen Wahrnehmungsweisen des konsumorientierten Betrachters auszugehen. Die betonte Nähe zum Banalen und Vulgären ist lediglich Koketterie und die Ästhetisierung von Las Vegas durch den verfeinerten Blick Venturis zeigt letztlich, wie groß die Kluft zwischen lustorientiertem und wissendem Sehen sein kann. Dies sogar dann, wenn es nicht um die Betrachtung architekturhistorischer Monumente, sondern kunsthistorisch kostümierter Casinos geht. Mit anderen Worten, die „feinen Unterschiede“ zeigen sich selbst noch in den Untiefen des Alltäglichen und bleiben ungeachtet aller Befürchtungen gewahrt.
Herzog & de Meuron versuchen daher gar nicht erst den Eindruck zu erwecken, sie betrieben die Entgrenzung alles Künstlerischen. Im Gegenteil, sie betonen die Eigenständigkeit der Architektur als eines Kunstwerks, das sich den Herausforderungen des Bildes kritisch stellt, indem es eben nicht nur auf das Primat des Sehens abhebt. Die sinnliche Komplexität menschlicher Wahrnehmung in der Berührung des eigenen Körpers mit dem Körper der Architektur soll Ausgangspunkt der Reflexion sein, der „phänomenologische Blickwinkel“ (Herzog & de Meuron, 2000, 223) wird zum konstituierenden Merkmal des architektonischen Eigensinns.

Was mit Venturis dekoriertem Schuppen also mühsam getrennt wird, damit die Komplexität des Bildes in größter Konsequenz Realität werden möge, soll sich bei Herzog & de Meuron wieder zu einem synästhetischen Amalgam aus Bild und Raum zusammenfügen, dessen Komplexität je gerade in der gegenseitigen Durchdringung des Nichtidentischen und dessen Wahrnehmung besteht. So erst entstehe ästhetische „firmitas“, das heißt die „Verdichtung von architektonischer Intentionalität“ (Herzog & de Meuron, 2000, 224).

Die Sinnerschließung jener architektonischen Intentionalität, die ähnlich dem kantianischen Geschmacksurteil zu keinerlei begrifflicher Erkenntnis oder zu einer wie auch immer gearteten architekturtheoretischen Eindeutigkeit führt, überlassen Herzog & de Meuron gern professionellen Autoren. Ja, Kollaboration wird gleichsam zu einer der zentralen Strategien des Büros. Die zahlreichen Kommentare und Einordnungsversuche von Architektur- und Kunsthistorikern geraten gar zu integrativen Bestandteilen des Kunstwerks, werden zu Erfüllungsgehilfen eines elaborierten Topenkonzerts auf höchstem ästhetischen Niveau. Dies zeigt abermals der bereits zitierte Ausstellungskatalog. Von der Naturgeschichte und Wunderkammer über historische Architektur und zeitgenössische Kunst bis zur regionalen Gedächtnislandschaft Basels reichen die Assoziationen der eingeladenen Autoren, ohne dass die eigene Rolle hierbei in irgendeiner Weise problematisiert würde.
Dies korrespondiert indessen wunderbar mit Herzog & de Meurons Verständnis von Architekturkritik. Sie diene im Wesentlichen der Verteidigung des architektonischen Körpers als „ein leibhafter Teil“ oder auch „Ausdruck sämtlicher sinnlicher Erfahrungen“ seiner Schöpfer (Herzog & de Meuron, 1990; zit. nach: Mack, 1996, 182). Im Mittelpunkt steht somit nicht Analyse und Kritik, sondern der Personenschutz. Architekturkritik wird so zu einer Legitimationsstrategie, die in ihren assoziativen Sprüngen ebenso kontingent scheint wie der Gegenstand, mit dem sie sich beschäftigt. Dementsprechend entblößen Herzog & de Meuron in ihren eingestreuten Interviews immer wieder die Willkür wissenschaftlicher Interpretationen, wenn sie es programmatisch vermeiden, von den Kuratoren vorgeschlagene Festlegungen zu bestätigen oder zu negieren. Besonders aufschlussreich in dieser Beziehung ist das einleitende Interview zum Kapitel Aneignung und Umbau im Ausstellungskatalog Naturgeschichte. Auf die Frage des Kurators Philipp Ursprung, welche Bedeutung der Begriff der Aneignung für Herzog & de Meuron habe, antworten die Architekten: „In unserer Arbeit geht es immer darum, die vorhandene Welt zu reflektieren, indem wir sie in unsere Arbeit einbinden. Appropriation im Sinne von Aneignung von Stilen, von Verhaltens- und Funktionsweisen hat mit dem Anliegen zu tun, die vorhandene Welt auszuschöpfen. Diese Haltung unterscheidet sich grundlegend von einer Haltung der Tabula rasa. Unsere Strategie steht also in einem gewissen Gegensatz zu einer modernistischen Haltung, obwohl sie weder anti- noch postmodern ist. Allenfalls könnte man vielleicht von einer nachmodernen Strategie sprechen.“ (Ursprung, 2002, 150).

Die offensichtliche Tautologie jenes Abgrenzungsversuches wird in der nachfolgenden Frage gar nicht erst aufgegriffen, geschweige denn problematisiert. Stattdessen wird ein gänzlich neuer Aspekt angesprochen, so als wäre bereits alles in erschöpfender Weise gesagt. Es entfaltet sich somit kein Gespräch, wie in investigativen Interviews üblich. Vielmehr sind die Fragen lediglich Impulsgeber für die zuweilen kryptischen Aussagen der Befragten, die allerdings von ebenso kryptischen Beiträgen der schreibenden Zunft begleitet werden. Etwa wenn der Architekturhistoriker Adolf M. Vogt mit dem sicherlich verlockenden Gedanken spielt, Etienne-Louis Boullée, der enigmatische Vertreter der französischen Revolutionsarchitektur, analysiere Herzog & de Meurons kunstvollen Eingriff in die historische Architektur von Sir Giles Gilbert Scotts Kraftwerk in London [2].
Kuratoren und Architekten haben somit gleichermaßen Anteil an jenem Gesamtkunstwerk Ausstellung, in dem sich die traditionellen Gegensätze von Intention und Rezeption im Raum zweckfreier Reflexion gegenseitig zu neutralisieren scheinen. Damit geraten nicht mehr allein die Vermittlungsmedien des Architekten zur Kunst, ebenso vermag nun die Kritik ihre ursprüngliche Funktion des Erklärens und Interpretierens abzuschütteln. Ein Phänomen, das in  seiner Konsequenz zwar paradigmatische Bedeutung hat, indes aber nicht ganz neu ist.

Bereits Richard Buckminster Fuller verstand es in diesem Sinne, den Unterschied zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung soweit einzuebnen, dass bis heute in der Forschungsliteratur Unsicherheit darüber besteht, ob man die früheren Veröffentlichungen zu seinem Werk als seriöse wissenschaftliche Beiträge oder künstlerische Strategien zu beurteilen hat (vgl. hierzu Krohn, 2004, 13-14).
Herzog & de Meuron gehen nun insofern darüber hinaus, als sie die Vermittlungsinstanz schlechthin, die Ausstellung sowie den Ausstellungskatalog, ad absurdum führen. Dies zweifellos ohne den sozialutopischen Gehalt von Buckminster Fullers Auffassung der Architektur als Welt verbesserndes Industriedesign. Stattdessen bewegen sich Herzog & de Meuron innerhalb einer kunstimmanenten Logik, die entgegen den eigenen Aussagen in höchstem Grade formalistisch ist und daher wenig von der Bastelei an sich hat, die die Architekten und ihre befreundeten Autoren so gern für sich reklamieren. Allzu kalkuliert ist das assoziative Feuerwerk, das die makellosen Bildflächen ihrer Architektur beim Betrachter auszulösen vermögen. Und allzu durchdacht ist auch das subtile Spiel, in dem die vormaligen Vermittlungsinstrumente des Architekten nun selbst zu Kunstwerken erhoben werden, deren alleiniges Ziel es zu sein scheint, den Fluss des Denkens aufrechtzuerhalten. Das Gebaute hingegen, so suggeriert das Basler Büro, entstehe gleichsam beiläufig und unbeabsichtigt: „Es sind stumme und leblose Zeugnisse intellektueller und gruppendynamischer Prozesse, die wir in wechselnder Zusammensetzung über lange Jahre hinweg mit viel Energieaufwand immer wieder vorantrieben. In einigen Fällen sind daraus tatsächlich Gebäude entstanden.“ (Herzog & de Meuron, 2002, 78)
In der ontologischen Hierarchie des architektonischen Entwurfsprozesses stellt das Gebaute somit nur noch einen von vielen möglichen Aggregatzuständen dar, wobei die Grenzen zwischen Bild und Raum fließend sind. Das eigentliche Kunstwerk ist vielmehr der künstlerische Prozess, dessen Darstellbarkeit per definitionem allerdings nur um den Preis seiner Erstarrung möglich ist. Ob derartige Ausstellungen dem „Architekturkenner“ also tatsächlich Einblick in das komplexe Architekturschaffen gewähren, wie Gerhard Mack kürzlich meinte (Mack, 2006), ist aber nicht nur aus diesem Grund fraglich. Denn über das Paradox hinaus, dynamische Prozesse zum Gegenstand choreografierter Ausstellungsarchitektur zu machen, fehlt jeder Hinweis auf die ganz alltäglichen pragmatischen Probleme und Unwägbarkeiten der architektonischen Produktion, ohne die, so Hans Georg Gadamer in „Wahrheit und Methode“, die Architektur nur noch „von schattenhafter Wirklichkeit“ sei (Gadamer, 1986, 161).

So stellt sich am Ende unweigerlich der Eindruck ein, an die Stelle des in seinem Naturalismus konstruiert wirkenden Dreiklangs von Zeichnung, Modell und Bau trete das nicht minder konstruiert wirkende Spiel mit den Mechanismen des Kunstbetriebs. Eine Strategie, die die Architekten im Übrigen offenherzig zugeben, wenn sie ganz im Sinne Duchamps die Frage stellen, ob die Kuratoren ihrer Ausstellung etwa den Versuch unternähmen, den Abfall ihrer Entwurfsarbeit zu nobilitieren [3].

Offensichtlich genügt es nicht mehr, wenn Architekten Entwürfe und Konzepte im Hinblick auf ihre Verwirklichung plausibel und rhetorisch überzeugend zu präsentieren vermögen. Darüber hinaus muss die Vermittlung nunmehr ihrerseits den Ansprüchen an ein selbstreflexives Kunstwerk genügen, das sogar noch seine Rezeption antizipiert und dabei deren Automatismen in grotesker Weise offen legt.
Die paradigmatische Bedeutung jener anspruchsvollen Haltung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, wenn man bedenkt, dass noch Lampugnani anlässlich der Internationalen Bauausstellung in Berlin wie selbstverständlich davon ausging, dass eine rege Ausstellungstätigkeit im Wesentlichen auf ein soziales und gesellschaftliches Programm des Architekten zurückzuführen sei (siehe Lampugnani, 1981).

Herzog & de Meuron widerlegen endgültig jenen Automatismus, indem sie in ihren zahlreichen Ausstellungen allein noch der Architektur als einem ästhetischen Konstrukt huldigen, dessen Bildgewalt man sich nur allzu gern hingibt. Denn zweifellos beherrschen Herzog & de Meuron meisterlich die medialen Strategien der Kunst, die sie hoch reflektiert und ästhetisch anspruchsvoll für ihre Zwecke einzusetzen verstehen. Und ohne Zweifel entfaltet sich im Werk der Architekten für den Kenner ein anspielungsreicher Text, der sich in die Codes des Kunstsystems einschreibt, um sie sogleich zu konterkarieren. Umso mehr muss aber die Frage erlaubt sein, zu welchem Ende dies alles ist, zu welchen Erkenntnissen die „Architektur als Instrument der Wahrnehmung von Wirklichkeit und der Auseinandersetzung mit ihr“ geführt hat und welche Schlussfolgerungen hieraus jenseits aller Immanenz zu ziehen sind.
 

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Abbildung 10:
Ludwig Mies van der Rohe, Projekt für ein Bürohaus in der Friedrichstraße, Berlin, 1921

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Abbildung 11:
Entwurf Elbphilharmonie
 
  Die Frage nach dem Erkenntnispotential sowie der Zielsetzung ästhetischer Strategien ist indes nicht allein an den Architekten adressiert. Zugleich offenbaren sich an dieser Stelle die Defizite von Architekturgeschichte, Architekturkritik und Architekturtheorie, die es - dies gilt zumindest für das 20. Jahrhundert - bisher weitestgehend versäumt hat, die Medialität der Architektur, die Mittel und Formen ihrer Repräsentation, ihre ästhetischen Strategien, als denkwürdige Beiträge in aller Konsequenz Ernst zu nehmen. Was in den Bildwissenschaften längst selbstverständlich ist, muss sich hier erst noch gegen die latente Hierarchie von Bild und Bau, von Werk und Beiwerk, durchsetzen. Ob hierzu gleich die Institutionalisierung einer „science of architectural images“ (Ursrpung, 2002, 6) notwendig ist, wie Philipp Ursprung meint, ist fraglich. Ignorieren lässt sich allerdings nicht, dass seit der schier explodierenden Bildproduktion Ende des 20. Jahrhunderts die ästhetischen Strategien gelegentlich an die Stelle der theoretischen Reflexion treten, ja gar den Eindruck vermitteln, allein durch das Bild ließe sich die Komplexität des Entwerfens in Bildern und Räumen angemessen vermitteln. Umso mehr scheint es geboten, die Architektur einer bildkritischen Analyse zu unterziehen anstatt in sprachloser Ehrfurcht darauf zu hoffen, dass sich wie einstmals in Berlin nun auch im Hamburger Elbhafen Überirdisches ereignen möge (Abbildungen 10 und 11). Denn dass durch derartige Bilder die evozierte Architektur bereits unauslöschlich in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben ist, ja die Verwirklichung des Projektierten gar  nicht mehr nötig scheint, weil es im Medium des Bildes bereits Teil der Wirklichkeit ist, sollte zu denken geben. Insbesondere dann, wenn es um die Institutionalisierung der Architekturvermittlung als eines Studiengangs geht, der über die wirkungsvolle Selbstdarstellung hinaus auch deren kritische Analyse beinhaltet.


 

 

Literatur:

 

Brausch, M. & Emery, M. (Hrsg.) (1995). Fragen zur Architektur. Fünfzehn Architekten im Gespräch. Basel: Birkhäuser.

Gadamer, H.-G. (1986). Hermeneutik I, Wahrheit und Methode, Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik In: H.-G. Gadamer, Gesammelte Werke, Bd. I, 5. Aufl., Tübingen: Mohr.

Herzog J. & de Meuron, P. (1990). Leidenschaftlich treulos. Ouvertures, 5.

Herzog, J. (1997), Die verborgene Geometrie der Natur In: G. Mack (Hrsg.), Herzog & de Meuron 1992-1996, Das Gesamtwerk Band 1 (S. 207-211). Basel: Birkhäuser.

Herzog, J. & de Meuron, P. (2000), Firmitas, Vortrag an der ETH Zürich, Oktober 1996 In: G. Mack (Hrsg.), Herzog & de Meuron 1992-1996. Das Gesamtwerk Band 3 (S. 222-225). Basel: Birkhäuser.

Herzog, J. & de Meuron, P. (2002). Alles nur Abfall In: P. Ursprung (Hrsg.) Herzog & de Meuron: Naturgeschichte (S. 78-79). Baden: Lars Müller.

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Anmerkungen:
 

[1] Zu Venturis Auffassung schreibt Lefèbvre: „Is it really possible to use mural surfaces to depict social contradictions while proclaiming something more than graffiti?” (Lefebvre, 2000, 145)

[2] „In diesem Sinne nehme ich an, dass Boullée von einem Glücksgefühl heimgesucht wurde, als er aus der Distanz seiner Jenseitigkeit beobachten konnte, auf welche Art in der frühen Phase der Stromgewinnung ein Turbinenhaus dimensioniert werden musste. [...] Hier war, in den Augen Boullées, endlich der Fall eingetreten, wo die erhabene Dimension ganz einfach als Erfüllungsfunktion der Bauaufgabe notwendig wurde. [...] Boullée hat den Eindruck, dass die Basler Architekten eine Reihe von Einzelschritten [...] locker addieren, um zu einem erneuerten, erfrischten Ganzen zu kommen, das dem Altbau von Scott den Respekt nie ganz entzieht.“ (Vogt, 2002, 179)

[3] „Zwischen all die archivarischen und naturkundlichen Abfallprodukte haben die Kuratoren mit viel List auch einige wirkliche Kunstwerke geschmuggelt [...]. Soll auch dies nur Abfall sein oder will sich der ausgebreitete Abfall der Archivgegenstände durch diese Kunstwerke nobilitieren und im Glanz der uns allen wohl vertrauten, häufig zu Brands gewordenen Ästhetik sonnen?“ (Herzog & de Meuron, 2002, 78-79)

 


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11. Jahrgang
Doppelheft 1-2
Februar 2007