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Autor: Taut, Bruno
In: hrsg. v. d. Architektenvereinigung "Der Ring" / Bruno Taut. - 1. - 5. Tsd. - Leipzig: Klinkhardt & Biermann (1927); - IV, 75 S.: überw. Ill., graph. Darst.
 
Bauen - Der neue Wohnbau
 
Die Darstellung dieser Schrift beschränkt sich mit voller Absicht auf den tatsächlichen Sachverhalt. Hierin mag die Erklärung liegen, wenn das Thema sowohl nach der einen wie nach der anderen Seite allzu begrenzt erscheint. Was sozusagen die rechte Seite betrifft, so ist bei der Darstellung der baupolizeilichen Fragen in der Anwendung der Verunstaltung- und Heimatschutzgesetze das Vorhandensein einzelner lobenswerter Erscheinungen in den Beamtenkreisen, auch wo nicht besonders erwähnt, selbstverständlich ohne weiteres mitenthalten, wie diese denn auch die Widmung des Buches vorzüglich auf sich beziehen werden, ohne daß damit die aufstrebenden und sich zur Erkenntnis durchringenden Kräfte vernachlässigt sein sollen. Es wird ja ohnehin bald soweit gekommen sein, dass die Heimatschutzverordnungen, wenn sie überhaupt noch weiter bestehen sollen, in einem Sinne angewendet werden müssen, der demjenigen ihrer Entstehungszeit durchaus entgegengesetzt ist. Ernstlich auf Herz und Nieren untersucht und befragt, wird schließlich niemand das produktive Weiterarbeiten behindern wollen; zum mindesten wird niemand den Mut aufbringen, diese Absicht in aller Öffentlichkeit und so auszusprechen, daß er zur Verantwortung gezogen werden kann.

Was die andere Seite der Fachwelt, sozusagen die linke angeht, so kann diese Schrift schon deshalb keine volle Befriedigung bringen, weil sie eben nur das bisher wirklich Gebaute darstellt. Es soll mit ihr ja nur gezeigt werden, dass sich ein neuer Wohnbau anbahnt. Deshalb können diese Beispiele einstweilen nicht mehr als einen oft nur bescheidenen Anlauf bedeuten. Notwendig ist aber die Darstellung des konkret Geschehenen auf diesem Gebiet, weil nur das tatsächlich schon Vorhandene auf Publikum und Behörden Überzeugungskraft zu haben pflegt. Wenn diese Kreise aus dem gegenwärtigen Schaffen, das schon reicher ist, als man es hier umreißen kann, die entsprechende Überzeugung gewinnen, so kann der überaus wertvolle Erfolg eintreten, der auf dem Fortfall unvernünftiger Hemmungen beruht. Zu diesem Zwecke mußte hier die ästhetische Frage ausführlicher behandelt werden, als sie es von einem radikalen Standpunkt aus verdient. Das Wort "Kunst" ist, von dieser Seite aus gesehen, so stark in Verruf gekommen, daß man es grundsätzlich verbannen möchte. Zur Bereinigung des Wohnhausbaues hat dieses Vorgehen seinen dialektischen Wert, doch jedenfalls nicht mehr als solchen, da es sich um die Ausfüllung des Begriffes Kunst mit einem anderen Inhalt handelt, für den das alte Wort abgegriffen und unpassend erscheint. Inwieweit die hier gezeigten Beispiele nur erste oder schon weitere Stationen auf dem Wege sind, ist nicht so wichtig. Hauptsache ist, wenn aus diesen ersten Stationen der weitere Weg erkennbar erscheint und durch sie begehbar gemacht wird. Der Weg wird zweifellos immer weiter von der alten Ästhetik wegführen und uns zu Lösungen bringen, die ganz und gar aus der eigentlichen Bestimmung, d. h. aus dem Wohnbedürfnis heraus entstanden sind. Wir wissen alle, daß sowohl der großstädtische Wohnhausblock wie das kleine Siedlungshaus in seinem Gefüge erst noch gesucht werden muß. Man wird sich von verschiedenen Seiten her auf die Suche machen, wie dies ja auch in den vorliegenden Bildern angedeutet ist. Wenn aber der Ernst dieses Suchens eingesehen und vielleicht auch anerkannt wird, so wird damit die Bahn für einen wirklichen neuen Aufbau freigemacht. Leider muß es als Tatsache festgestellt werden, daß bei allem Gerede über Rationalisierung die ratio, die Vernunft noch allzuoft vom versackten Gefühl beherrscht und unterdrückt wird, bei diesem Thema in aller Deutlichkeit gesprochen: von der Architektur, "wie ich sie auffasse". Diese Architektur und diese Kunst muß tatsächlich erst einmal sterben; alles, was diesem lebenden Leichnam zu seinem endgültigen Tode verhilft, ist nützlich. Seine Verwesungsstoffe bilden den Dünger für die neue Saat, damit sie möglichst gut aufgehen und Frucht bringen kann.

April 1927.


I.     BILANZ

Die Wohnungsnot mit ihrer bei allen Völkern fast gleichmäßig grausamen Wirkung dürfte uns dem Vorwurf entziehen, daß wir durch die Hervorhebung eines Fachgebietes einer Überschätzung unseres Berufes, einem Berufsgrößenwahn verfallen seien. Der Aufbau des Landes nach dem Kriege muß sich ja zunächst am deutlichsten in den tatsächlichen Bauten zeigen, hier wird zuerst und in Wirklichkeit aufgebaut und der Ausdruck "Aufbau" wird zum Sinnbild für alle übrigen Gebiete.

Die Wohnungsnot greift so entsetzlich an den Nerv der Völker, daß von ihrer Linderung und Beseitigung allein schon die Beseitigung der Hauptübel unseres Lebens abhängt. Die Versorgung der Menschen mit guten Wohnungen enthebt sie von selbst der vielen gesundheitlichen, ethischen und wirtschaftlichen Schädigungen, entlastet Krankenhäuser, Fürsorgeanstalten und sonstige Wohlfahrtseinrichtungen und gibt außerdem dem gesamten wirtschaftlichen Leben neues Blut und damit neue Kraft. Nach großen Katastrophen müssen immer die Bauleute an die Front und alles, was sonst im wirtschaftlichen, industriellen und auch politischen Leben tätig ist, gehört in seinen Hauptgedanken und -interessen zu diesem Stabe der Bauleute. Diese Tatsache ist als solche schon einleuchtend genug; sie wird heute besonders deutlich dadurch, daß das breite Publikum, so wie in anderen Zeiten nie, mit höchstem Interesse am Bauen Anteil nimmt, nicht allein deswegen, weil so viele eine bessere oder überhaupt eine Wohnung brauchen, sondern, wenn dies zunächst die Ursache war, als weitere Wirkung dieser Ursache damit, daß es sich mit der Art und Weise, wie gebaut wird, in seltener Lebendigkeit befaßt.

Inmitten der vielen heutigen Auseinandersetzungen und Streitigkeiten darüber, ob das Gebaute schön ist oder häßlich, ob es den Anforderungen an die Wohnungsgüte genügt oder nicht, scheint es sehr notwendig zu sein, an der Klärung dieser Fragen, soweit es überhaupt geht, mitzuhelfen. Ein Haus und besonders das Massenwohnhaus, um das es sich vorwiegend handeln soll, ist nicht allein von einem einzigen Standpunkt aus zu verstehen. Der Standpunkt des Fotografen oder des ein Bild zeichnenden Architekten ist schon deshalb ungenügend, weil die Körperlichkeit des Hauses nur durch das Herumgehen begriffen werden kann, in der bildlichen Übertragung also am besten durch die Filmaufnahme mit dem sich um das Haus herum bewegenden Aufnahmeapparat. Doch auch damit allein kann man dem Gebauten nicht gerecht werden; man muß schon in das Haus hineingehen, die Anordnung der Räume und daraufhin den Wert der Wohnung prüfen und kann erst danach ein Urteil über den Wert seiner äußeren Erscheinung fällen, die ja eine passende Hülle zu den inneren Vorgängen sein muß. Doch auch selbst das würde noch nicht genügen: man müßte auch die konstruktive Durchbildung studieren, inwieweit das gewählte Material dem Streben nach größter Sparsamkeit und geringstem Aufwand entspricht, inwieweit wichtige technische Neuerungen verwendet worden sind, welche finanziellen Auswirkungen sie haben, schließlich inwieweit der Entwurf des Hauses überhaupt den sozialen und finanziellen Forderungen gerecht wird und all dgl. mehr. Man müßte auch untersuchen, ob die gewählte Hausform, Stockwerkshaus oder Flachbau, an dieser Stelle richtig ist, ob die Erweiterung der Ortschaften und Städte der Schichtung des gewerblichen Lebens angepaßt ist, ja man müßte den Fragen der städtebaulichen Anordnung und der Verteilung der Wohnkomplexe ein ausführliches Studium widmen.

Dies alles kann in einem kleinen bescheidenen Buch natürlich nicht geschehen. Es soll hier das Augenmerk vorwiegend auf die äußere Erscheinung gerichtet werden, freilich mit Berücksichtigung des Grundrisses, doch im wesentlichen nur auf den einen Punkt, der besonders heute jeden Menschen gleichmäßig interessiert. Wenn sich dieses Interesse oft zu lebhaften Kontroversen zuspitzt, so hat das seinen guten Grund darin, daß die entwerfenden Architekten, welche für die Erscheinung der Bauten verantwortlich sind, sich selber, wie es den Anschein haben muß, in Lagern gegenüberstehen, die durch eine Kluft getrennt sind. Dieser Zustand muß entweder ein Ende nehmen oder es muß zum mindesten eine unbedingte Klärung eintreten. Der Wohnungsbau der kommenden zehn Jahre wird dem neuen Deutschland das Gesicht geben. Er wird der sichtbare tatsächliche Aufbau sein und alles, was bisher nach dem Kriege gebaut ist, kann nur als Anfang betrachtet werden. Die deutsche Republik braucht heute noch drei Millionen neuer Wohnungen, die zur Beseitigung der Wohnungsnot in zehn Jahren gebaut werden müssen. Berlin z. B. muß sein bisheriges jährliches Programm mindestens vervierfachen, wenn es seinen Teil dazu beitragen soll. Dies sind schon fast allgemein anerkannte Forderungen, die auch schließlich erfüllt werden müssen. Angesichts dieser bevorstehenden gewaltigen Bewegung von Baustoffen ist die Frage der Form, in die diese Massen gebracht werden, eine der wesentlichsten kulturellen Zukunftsfragen des deutschen Volkes. Natürlich handelt es sich nicht um eine Frage rein ästhetischer Betrachtung, sondern um den Einklang der Form mit der Lösung der Wohnung in allen ihren Zusammenhängen. Daß diese Zusammenhänge auf den Kollektivcharakter hinweisen, liegt ebenfalls in der Natur der Sache. Bei solchen ungeheuren Zahlen von notwendigen Wohnungseinheiten und bei solchen großen Kapitalien muß es sich um eine Frage ausgesprochen kollektiven Charakters handeln. Fließen doch die Hauptmittel aus der Allgemeinheit, weshalb die Allgemeinheit einen Anspruch auf die Erfüllung ihrer, also der allgemeinen d. h. kollektiven Forderungen hat.

Vor der eigentlichen Behandlung des Themas dürfte ein Überblick über das bisher Geschehene, sozusagen eine Bestandsaufnahme notwendig sein. Was dem Laien heute in der Masse der bisherigen Wohnungsbauten auffallen muß, ist Folgendes: er findet zum allergrößten Prozentsatz Wohnhäuser, die ihm in irgendeiner Weise in seinen Gefühlen und Erinnerungen zu schmeicheln suchen - "als der Großvater die Großmutter nahm". Es klingt ihm in diesen Bauten etwas aus alten Zeiten entgegen, etwa wie ein altes Volkslied, doch - mit verstimmten Saiten; denn wenn er sich ein paar Jahre lang hineingesehen hat, so merkt er, daß die Sache nicht stimmt, wenn ihm nicht wie in vielen Fällen der Architekt durch mißratene Verhältnisse, zackige Ornamente, angeklebte Pfeiler und sonstige dicke Aufgetragenheiten schon von vornherein zu diesem Urteil verhilft. Auf der anderen Seite sieht er Dinge entstehen, die eine merkwürdige Härte zeigen, die ihm vielleicht allzu erbarmungslos in ihrer Wahrheitsliebe sind, denen er aber, wenn auch nicht seine Liebe, so doch mindestens seine Achtung zuwenden muß. Und schließlich, um den vorläufig kleinsten Bruchteil zu erwähnen, findet er Übertreibungen des Prinzips der Wahrheitsliebe, die zu Verzerrungen wurden und dadurch zum bloß äußerlichen "modernen" Gebahren, wo die Wahrheit nicht mehr seine Achtung erzwingt und bei denen sich der Kreis zu den völligen Entgleisungen sentimentalen Charakters wieder schließt. Etwa eine "Jetztzeit"-Form für die höchsten Gefühle und: als der Großvater die Großmutter nahm.

ABB6.gif (154061 Byte) ABB6_1.gif (74212 Byte) Abb. 1

Die letzte Erscheinung ist noch verhältnismäßig selten, da die unromantische und dem Prinzip der Wahrheit folgende Baukunst erst in ihren Anfängen steht und das Epigonentum sich deshalb noch nicht voll entfalten konnte. Doch gerade, weil der Siegeszug einer Baukunst der Wahrheit sicher ist, gerade deshalb ist wegen des dann gefährlich werdenden Mitläufertums die Klärung doppelt notwendig.

Wie dieser Bestand in seinen verschiedenen Schattierungen in Wirklichkeit aussieht, braucht nicht geschildert zu werden. Die Wege durch die neueren Siedlungen und Miethauskomplexe zeigen jedem deutlich, was gemeint ist. Über viele Einzelheiten wird ohnehin später noch zu sprechen sein. Es genügt als Bestandsaufnahme die Feststellung der Tatsache selbst, die weiterhin die andere Feststellung aus sich heraus ergibt, daß die Bauten mittelalterlichen, barocken, schloßartigen und biedermeierlichen Charakters, oft auch dann, wenn sie diesen Charakter in allzu grob verfälschter Fassung zeigen, sich offenbar bisher wenigstens eines besonderen Schutzes und einer überragenden Bevorzugung erfreuten. Welche Auswirkungen dies für die Architekten der Minderheit gehabt hat und noch hat, ergibt sich von selbst als Folgerung dieser Feststellung.

ABB2TautneueWohnbau.gif (34245 Byte) Abb. 2 DAS HAUS UM DES DACHES WILLEN
ABB3.gif (37253 Byte)  
Abb. 3 DAS NEUBAYRISCHE VIERTEL HÄLT SEINEN VORNEHMEN VERDAUUNGSSCHLAF IM PARK
ABB4.gif (34999 Byte) Abb. 4 Ein feste Burg IST CÖPENICK
ABB5.gif (27495 Byte) Abb. 5  HERR BIEDERMEIER

...  hält sich in Reserve zum Nachbarn und teiltdoch sein Haus mit 2 anderen Parteien: sie benutzen die "Gesindetür" in der Mauer als Zugang zu ihren Wohnungen. Dafür zarte Putten und Blümchen an den Häusern -

Das Buch "Berliner Wohnungsbauten aus öffentlichen Mitteln" (Bauwelt-Verlag 1926) gibt einen Überblick über das in Berlin Geschehene. Da dort das Massenverhältnis der verschiedenen künstlerischen Auffassungen nicht in Zahlen dargelegt ist, so ist das riesenhafte Überragen des ausgesprochen Altmodischen und Sentimentalen dort noch nicht so stark wie in Wirklichkeit. Es sind die untenstehenden Form-Formeln, in denen sich bis auf geringe Ausnahmen der bisherige Wohnungsbau Berlins bewegte *).

*) Die Charakterisierung dieser Beispiele bezieht sich selbstverständlich auf die architektonische Auffassung.

TautBAUEN3_1.gif (32154 Byte) Abb. 6 Hundertjahrfeier!
TautBAUEN3_2.gif (39448 Byte) Abb. 7 RUMMELSBURG WIRD HANSESTADT
TautBAUEN4_1.gif (32278 Byte) Abb. 8 EINFAHRT IN DEN SCHLOSSHOF Balkon für Ansprachen "An mein Volk" Wandelgalerie für den Hof
TautBAUEN4_2.gif (38417 Byte) Abb. 9 TREPPENHAUSARCHITEKTUR daher "NEUE SACHLICHKEIT"
TautBAUEN5_1.gif (33629 Byte) Abb. 10 UND NORD-BERLIN übertrumpft Lübeck anno 1926-27; aber die Schornsteine ziehen trotzdem nicht.
TautBAUEN5_2.gif (28340 Byte) Abb. 11 BERLIN-BRITZ, SIEDLUNG DER DEGEWAO: Ein Architekturpotpurri am Grünen Ring - vergleiche des Gegenüber Abb. 148/50.
TautBAUEN5_3.gif (142957 Byte) Abb. 12 BERLIN-BRITZ, SIEDLUNG DER DEGEWO: nicht aus Pappe!
Abb13.jpg (60468 Byte) Abb.13 SIEDLUNG BERLIN-BRITZ DER DEGEWO. Rationalisierung des Massenkitsches mit 1000 Wohnungen, 1925/26
ABB14.gif (150040 Byte) Abb. 14 "CHARLOTTE 1926"
ABB15.gif (144947 Byte) ABB16_1.gif (27140 Byte) Abb.15
ABB16.gif (98673 Byte) Abb.16 Stuttgart, Botnangersattel. An einer der schönsten Aussichtsstraßen (Augustendorf; Städt. Baupolizeiamt bezw. Stadterweiterungsamt). "MOTIVCHENSALAT!"
ABB17_1.gif (70542 Byte) Abb. 17 STUTTGART Botnangersattel Großes Mietshaus- Staatsauftrag mit Treppentürmen und  schönen  Plastiken an den Eingängen. Neuschwäbische Veredelung Tirols.
ABB19.gif (63659 Byte) Abb. 18  STUTTGART Balkon mit Säulen und Kapitellen, schauderhaft an kleinen Siedlungsbauten; ebenfalls an einer der schönsten Aussichtsstraßen
ABB18.gif (135295 Byte) Abb. 19 STUTTGART Rotenwaldstrasse   Festungsmauern, schloßartig, Treppen, Bastionen u.s.w., Staatsauftrag der soz. Brandversicherungsanstalt. - Enorme Kosten.
ABB20.gif (143001 Byte) Abb. 20
ABB21.gif (131417 Byte) ABB22.gif (85499 Byte) Abb.21

Im Geleitwort ist diese Tatsache zugegeben, doch mit der Bemerkung, daß die auf neu gearbeitete konventionelle Fassung dadurch in der Regel noch schlechter geworden sei. Immerhin wird dort offenbar mit Zustimmung der Berliner Wohnungsfürsorge das Versprechen abgegeben, die um einen ehrlichen Ausdruck ringenden jüngeren Architekten in Zukunft stärker heranzu ziehen. Noch schlimmer sieht es in anderen Gegenden der deutschen Republik aus. Wo sind die lebensvollen Wohnungsmassenbauten der alten Kunststädte Dresden und München, deren Ruf als Kunststädte sich vorwiegend auf einer frischen und zukunftsicheren Baupolitik entfaltete? Von Stuttgart sprechen einige Bilder. Tirol in Wien und Stuttgart; Schwaben, Bayern, Nürnberg, Lübeck usw. - alles dies wie eine "Venezianische Nacht" auf märkischem Sande, echt wie aus dem Trödlerladen und mit "modernem" Flitter behängt.

Es ist unmöglich, daß alle Politiker, Finanzleute, Industriellen, Unternehmer, die Gewerkschaften, Genossenschaften, Fürsorgegesellschaften, alle, die sich um die Linderung der Wohnungsnot bemühen, in solchen "Bauten" auf die Dauer die passende Antwort auf ihre ernsten Anstrengungen sehen können. Sie können nicht auf die Dauer die Vergeudung von Volksvermögen für sentimentale Liebhabereien zulassen, worauf diese Dinge meist hinauslaufen. Denn abgesehen von ihrer nach wenigen Jahren jedem auffallenden Unwahrhaftigkeit, abgesehen von der weiteren Belastung des Bestandes an Bauten mit oberflächlicher und meist sehr unsorgfältiger Architektur wird mit dieser "Architektur" in der Tat sehr viel unnötiges Geld ausgegeben.

Aber nicht nur mit der äußeren "Ausstattung" der Bauten! Wer Sinn dafür hat, kann die Architektur am Grundriß ablesen, ohne den Bau zu sehen, so wie ein Musiker die Noten liest. Nur sehr selten läßt sich eine glückliche Lösung bis in den kleinsten Winkel erreichen; tausend Hemmungen, Vorschriften der Behörden und nicht zuletzt die noch sehr unklaren Gewohnheiten der Bevölkerung verhindern die restlose Durchbildung. Doch soviel wird auch ein Laie beim Blick auf einen Grundriß verstehen: hat das Gefüge trotz bescheidenster Anforderungen schwere Fehler in der Raumanordnung, ist eine Durchsonnung und Durchlüftung unmöglich, lassen sich die Möbel schlecht stellen, ist die Küche oder eine Kammer ein tiefer schmaler Schlauch, so wird auch selbst der Nichtfachmann Bedenken haben, besonders wenn er dazu bemerkt, daß die Loggien wegen hübsch symmetrisch und so klein und so unbrauchbar liegen, daß sie weder von der Küche noch vom Wohnzimmer aus erreichbar sind (während sie in idealer Lage gerade von diesen beiden Räumen zugleich die Raumerweiterung darstellen sollten). Und wenn gar das Ganze dazu noch eine offensichtliche Raumvergeudung zeigt, etwa lange Korridore, übertrieben große Schlafzimmer, in denen sich 4-5 Personen zusammenpferchen müssen, statt einer sinngemäßen, die Geschlechtertrennung erlaubenden Gliederung in kleinere Räume, wenn im ganzen ein vorkriegsunternehmerhaftes Aufschwemmen des Raumkubus in die Augen fällt, das die Miete einer Kleinwohnung um 100 oder 200 M. erhöht, ohne daß ihr Wohnwert dadurch verbessert wird, sondern womöglich wesentlich verschlechtert - dann wird auch er gegen diese "Architektur" mißtrauisch werden, mag sie seinem verirrter Instinkt nach außen auch noch so sehr durch aufgestülpte Dächermützen und romantische oder modische Mätzchen schmeicheln. Bei aller Fernheit von den Fachfragen wird er dann auch von außen dem Hause ansehen können, ob es wirklich als Wohngebäude gebaut ist, ob eine Harmonie vor gutem Grundriß und seiner Hülle besteht und ob es in unserem Sinne, im Sinne unserer Wünsche und Bedürfnisse ein wohnliches Haus ist, ein wahres Wohnhaus und keine Burg, kein Zopfbürgernest, kein Schloß, kein Bratwurstglöckle und kein Gefängnis.

So zeigt sich, daß das Fehlen der grundlegenden Erkenntnisse nicht nur in der Außenarchitektur eine Unmenge völlig zweckloser Kosten verursacht, sondern diese Mehrausgaben durch die Fehlerhaftigkeit des Gesamtgefüges ins Maßlose steigert. Gewiß: die Architekten sind dünn gesät, die mit allen Anstrengungen eine bessere Ökonomie des Wohnungsbaus, seine sachgemäße Durchbildung und seine wahrhafte Form anstreben. Die Bilanz der Inventur fällt einstweilen noch kläglich aus. Und doch bedeutet die kleine Buchung auf der Einnahmeseite den Beginn eines immer sichereren und größeren Einnahmekontos. Es muß nur von Fälschungen frei gehalten werden.

BTABB22.gif (64291 Byte) Abb. 22 Durchschnittl. Architekturgrundriß
BTABB23.gif (105829 Byte) BTABB22_01.gif (33582 Byte) Abb. 23
BTABB24.gif (94079 Byte) Abb. 24
BTABB26.gif (116771 Byte) Abb. 25
BTABB25.gif (87188 Byte) Abb. 26
BTABB27.gif (47403 Byte) BTABB27_1.gif (20377 Byte) Abb. 27

weiter Teil II