ARCHITEKTUR DENKEN
40 Jahre kritische Architekturtheorie
40 Jahre Igma

13. Jg., Heft 2, März 2009




     
Redaktion:   Gerd de Bruyn und Katja Thorwarth
Kurator:
  Eduard Heinrich Führ
Lektorat und Layout:   Ehrengard Heinzig

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Thema und Beiträge dieses Heftes sind in "Der Architekt", Heft 1/2009, in gekürzter Form parallel veröffentlicht; Bestellungen sind möglich über:
Nicolaische Verlagsbuchhandlung GmbH

   


Editorial




Architekturtheorie und Philosophie
Jörg H. Gleiter   "Denkmal einer Krisis"
Boris Podrecca   Theorie lateral
Kari Juhani Jormakka   Tarne die Grenze: Die Misosophie der Architektur
   

Architekturtheorie und Wissenschaft
Eduard Heinrich Führ   Kunst des Konjunktivs.
Plädoyer für eine selbstbewusste Theorie der Architektur
Alban Janson   Konkrete Theorie. Bemerkungen eines praktizierenden Architekten zum Verhältnis von Architekturtheorie und Wissenschaft
Susanne Hauser   Architektur, Forschung, Wissen(schaft)
Georg Franck   Die Architektur: Eine Wissenschaft?
   

Architekturtheorie und Zeitgeist
Annett Zinsmeister   Jubelnd ausschwärmen, undiszipliniert suchen
Karin Wilhelm   "Alles ist politisch."
Zeitgeist und Architektur-Denken um 1968
   

Architekturtheorie und Geschichte
Philip Ursprung   Architektur des Empire:
Peter Eisenmans Greater Columbus Convention Center (1993)






abstracts:

   


Architekturtheorie und Philosophie
   
 
___Jörg H. Gleiter
Berlin / Bozen
 
"Denkmal einer Krisis"

Im Vergleich zu den anderen Geisteswissenschaften ist die Architekturtheorie eine junge akademische Disziplin. Es ist gerade 40 Jahre her, dass mit der Gründung des Instituts Grundlagen der modernen Architektur (Igma) an der Universität Stuttgart die Architekturtheorie als akademisches Fach institutionalisiert wurde. Wie alle neuen akademischen Disziplinen ging die Architekturtheorie aufregend verschlungene Wege, wenn man den Weg von den strukturalen Modellen der 1960er Jahre zu Manfredo Tafuris ideological criticism und weiter zur Resemiotisierung der Architektur in den 1970er Jahren betrachtet. Schwelgerisch spekulativ waren die Jahre der Postmoderne, was mit dem digital turn der 1990er Jahre einer eigenartigen Unsicherheit Platz machte, denn die neuen digitalen Technologien lassen sich nicht mehr, wie die vorherigen technologischen Revolutionen, auf die Baustelle beschränken, sondern greifen direkt in die Entwurfsprozesse, das heißt in die Praxis des Denkens der Architektur ein. Das Wissen der Theorie selbst, ihre Methoden und Ziele werden nun zum Thema. Unverkennbar geht die Schonzeit für die junge akademische Disziplin zu Ende.

Artikel in Deutsch

 
___Boris Podrecca
Stuttgart / Wien
 
Theorie lateral

Um heutzutage die Bedeutung und Rezeption einer theoretischen Position zu orten, ist es notwendig, ihr gegenwärtiges Setting zu skizzieren. Architektur wird immer mehr zu einem Diskurs, bei dem unter dem Druck der Globalisierung, der Medien und des Konsumdiktats sämtliche Themen wie Film, TV, Werbung, Events, Design, Labels, Politik als smarte Korrelate miteinander ringen.

Artikel in Deutsch

 
___Kari Juhani Jormakka
Wien
 
Tarne die Grenze: Die Misosophie der Architektur

"Thought is primarily trespass and violence, the enemy, and nothing presupposes philosophy: everything begins with misosophy", behauptet Gilles Deleuze, der dann weiter feststellt: "Something in the world forces us to think. This something is an object not of recognition but of a fundamental ‘encounter’. What is encountered may be Socrates, a temple or a demon." Um diese These zu veranschaulichen, wollen wir Platons Höhlenparabel betrachten, seine Darstellung des ersten Moments philosophischer Aufklärung.

Artikel in Englisch

 


Architekturtheorie und Wissenschaft
   
 
___Eduard Heinrich Führ
Cottbus
 
Kunst des Konjunktivs.
Plädoyer für eine selbstbewusste Theorie der Architektur

Mit der Untersuchung des konjunktivischen Charakter einer Theorie der Architektur geht es mir um die Fragen, ob und inwieweit Architektur Wissenschaft sei, was die Wissenschaftlichkeit der Architektur als Wissenschaft ausmache, ferner was in diesem Zusammenhang eine Theorie der Architektur sein könnte, und welche Aufgaben sie hätte.

Artikel in Deutsch

   
___Alban Janson
Karlsruhe
 

Konkrete Theorie. Bemerkungen eines praktizierenden Architekten
zum Verhältnis von Architekturtheorie und Wissenschaft

Architekturtheorie sollte nicht das Verhältnis anderer Wissensgebiete zur Architektur behandeln, sondern das Architektonische selbst untersuchen. Architekturtheorie, die überdies einen unmittelbar praktischen Wert für den architektonischen Entwurf haben soll, müsste mit dem Akt der Konzeptionierung selbst zur Deckung kommen. Das Verhältnis einer solchen Theorie zur Wissenschaft ist zu untersuchen. Im Unterschied zu den Wissenschaften, die Vorhandenes beschreiben und allgemeine Gültigkeit beanspruchen, muss eine für die architektonische Praxis relevante Architekturtheorie aber davon ausgehen, dass jedes architektonische Projekt nur für eine individuelle Situation gültig ist und zudem etwas jeweils Neues darstellt, das nicht deduziert werden kann.
Um dies zu berücksichtigen, wird vorgeschlagen, das von Ch. S. Peirce beschriebene Verfahren der Abduktion auf die Architektur anzuwenden, ergänzt durch einen Nachweis der Wissenschaftlichkeit des Entwerfens (nach Achim Hahn). Um Architektur als den Gegenstand des architektonischen Entwurfs begrifflich scharf zu bestimmen, sind deren spezifische Merkmale präzise zu benennen.

Artikel in Deutsch

 
___Susanne Hauser
Berlin
 
Architektur, Forschung, Wissen(schaft)

Der Artikel diskutiert die Fragen, in welcher Weise die akademische Disziplin Architektur forscht, und was die Spezifik des Umgangs mit Wissen in der Architektur ausmacht. Er kommt zu dem Schluss, dass ein wichtiger Beitrag der Architektur zur Forschung die Explizierung ihrer Verfahren sein kann, denn keine andere Disziplin hat in einem solchen Maße mit der Bewältigung komplexer Prozesse zu tun.

Artikel in Deutsch

 

   
___Georg Franck
Wien
 

Die Architektur: Eine Wissenschaft?

Die Frage, ob die Architektur als Wissenschaft angesprochen werden kann, hängt von der Art des Problems ab, dessen Lösung von ihr erwartet wird. Das, was die Architektur sowohl von anderen Ingenieurwissenschaften als auch von anderen Disziplinen der Kunst unterscheidet, ist, dass sie sowohl den Bedürfnissen des physischen Lebens als auch Bedürfnissen des psychischen Erlebens zu dienen hat. Weil sie diesen beiden Arten von Bedürfnissen gerecht werden muss, hat ihre Recherche sowohl an der wissenschaftlichen Forschung im engeren Sinn als auch an der künstlerischen Forschung teil. Anders als die Wissenschaft im engeren Sinn hat die Kunst nicht mit analysierbaren Problemen und mit Hypothesen zu tun, die sich durch Messung testen lassen. Allerdings heißt das nun nicht, dass die künstlerische Recherche ohne systematisches Forschen und Erproben auskommen müsste. Es existieren evolutionäre Weisen der Problemlösung, und es existiert ein Prozess, der auf lange Sicht kanonische Lösungen künstlerischer Probleme ermittelt. Das Papier geht der Frage nach, was es für die Architektur bedeutet, von diesen beiden divergenten Ressourcen der Erkenntnis effektiven und effizienten Gebrauch zu machen.

Artikel in Deutsch

 


Architekturtheorie und Zeitgeist
   
 
___Annett Zinsmeister
Stuttgart
 
Jubelnd ausschwärmen, undiszipliniert suchen

Der Beitrag beschreibt Annett Zinsmeisters gestalterische Praxis im Spannungsfeld der Theorie. Ihre Arbeit mit Raum ist eine Gratwanderung zwischen unterschiedlichen Disziplinen und geprägt vom Umgang mit unterschiedliche Medien und der Reflexion über deren Bedeutung und Gebrauch. Das Spektrum der Werke reicht von Zeichnungen, Fotografien, über weiträumige installative Arbeiten, bis hin zu gebauten Räumen. Diese werden begleitet von theoretischen Publikationen, die künstlerische Praxis und theoretischen Diskurs vereinen. Anhand dreier Themenfelder (Plattenbau, Medien und Faltungen) zeigt Annett Zinsmeister Projekte in unterschiedlichen Disziplinen und erläutert ihre interdisziplinäre Arbeitsweise, die architektonische Planungen ebenso beinhaltet wie eine Vielfalt an Kunstprojekten und wissenschaftlichen Publikationen.

Artikel in Deutsch

 

 
___Karin Wilhelm
Braunschweig / Berlin
 

"Alles ist politisch."
Zeitgeist und Architektur-Denken um 1968

Um 1968 entwickelte sich im Umfeld einer grundlegenden Gesellschaftskritik die Politisierung des Architektenberufes. Die technokratisch reflexionsarme Herstellungslogik der Wiederaufbaupraxis der europäischen Städte wurde jetzt durch Konzepte des Architektur-Denkens ersetzt, das sich mit den gesamtgesellschaftlichen Produktionsbedingungen von Architektur auseinandersetzte. Auf der Basis eines Zeitgeistdiskurses, der u. a. durch Karl Jaspers repräsentiert worden war, konzipierte man den architektonischen Raum als Denkbild und Ereignisraum, in welchem der Zeitgeist als machtvoll herrschender 'Geist' visuell befragt wurde. Als Beispiel dieser architekturtheoretischen Stellungnahme erscheint die Arbeit der Gruppe Superstudio.

Artikel in Deutsch

 


Architekturtheorie und Geschichte
   
 
___Philip Ursprung
Zürich
 

Architektur des Empire:
Peter Eisenmans Greater Columbus Convention Center (1993)

Obwohl Peter Eisenmans Greater Columbus Convention Center in Columbus, Ohio (1993) seinen Durchbruch als Stararchitekt markiert, wird es selten besprochen. Dabei bietet es eine gute Möglichkeit, die Zusammenhänge zwischen globalisierter Wirtschaft und Architektur zu thematisieren. Wie hängt die mit dem Begriff „topologische Architektur“ theoretisierte Räumlichkeit des Centers zusammen mit den Veränderungen der Erfahrung der Umgebung, welche die Globalisierung mit sich bringt? Formulierte die Architektur damals etwas, für das noch kein Begriff existierte? Und wie unterscheidet sich die Stararchitektur von der Spekulationsarchitektur eines John Portman, beziehungsweise den Zweckbauten von IKEA? Portmans Westin Bonaventure Hotel in Los Angeles hatte Fredric Jameson in den 1980er Jahren zu seiner Theorie des postmodernistischen „Hyperspace“ angeregt. Bietet die Theorie der veränderten Räumlichkeit und Zeitlichkeit – diejenige von Jameson, beziehungsweise diejenige von Michael Hardt und Antonio Negris Buch Empire – eine Basis für eine synthetische Theorie der aktuellen Architektur? Wie können die bislang getrennten Theorien – Ökonomie und Politik einerseits, Architektur und Kunst andererseits – verbunden werden?

Artikel in Deutsch

 


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