Thema
4. Jg., Heft 1
Mai 1999

Ralf Weber

ENTWURFSSTILE UND LEHRZIELE

Ansätze zu einer integrierten problemorientierten Architekturentwurfslehre

Die Situation des Entwerfens

1.

Die hauptsächlich im 19. Jahrhundert einsetzende Institutionalisierung des Berufsbildes der Architektur hatte auch eine Institutionalisierung des Lehrens und Lernens von Architektur zur Folge. Die Bildung des Architekten erfolgte nunmehr nicht ausschließlich durch die Berufspraxis, sondern durch die Akademien und Hochschulen und wurde so zu einer Ausbildung: Anstatt ausschließlich in einer Meister-zu-Schüler-Beziehung, in der Lernen durch kritisch begleitete Mitarbeit am Projekt mit dem Effekt der direkten Rückkoppelung bei der Verwirklichung erfolgte, fand das Lernen des Entwerfens nun in der schulischen Atmosphäre durch die Vermittlung von Abstraktionen der Praxis und Generalisierungen, d.h. von Prinzipien des Entwerfens und Bauens, statt.

Lernen durch Mitarbeit an Planung und Realisierung von tatsächlichen Bauprojekten mußte durch den simulierten Planungsvorgang ohne die Möglichkeit des ultimativen Testens einer Planungshypothese in der Praxis ersetzt werden. Dies führte zu der Institutionalisierung eines zentralen Lehrinhaltes der heutigen Architekturausbildung, nämlich des studentischen Entwurfs, in dem in geraffter Form die wichtigsten Planungsphasen eines Projektes demonstriert werden sollen.

Die Notwendigkeit der Generalisierung von Lehrinhalten war weiterhin eine Folge der stärkeren Universalisierung des Architektenberufes. Seit der Renaissance hatte sich der Architekt mehr und mehr von einem auf spezifische Bauaufgaben spezialisierten Künstler und Planer zu einem Universalbaumeister gewandelt. Da die damit notwendige Beherrschung einer typologischen Vielfalt erst durch die Erfahrungen in langer Praxis erreicht werden konnte, bestand allein schon deshalb die Erfordernis der Vermittlung von verallgemeinertem theoretischen Wissen, welches sich wiederum leicht auf die Spezifika der Praxis anwenden ließ.

2.

Eine der Konsequenzen der Institutionalisierung der Architektenlehre war eine Einschränkung der Vielfalt von Entwurfsstilen (nicht aber von Baustilen!) und damit auch eine Reduzierung der potentiellen (aber nicht unbedingt einer tatsächlichen) Vielfalt von Architekturen. Die Ursachen dafür liegen sowohl in einem Selbstregulativ der Subkultur Architektur als auch in Einflüssen außerhalb dieser.

Während bei einer Meister-zu-Schüler-Lernbeziehung eine Vielfalt individueller Lehrstile abhängig von den jeweiligen Lehrer-Persönlichkeiten möglich ist, ergibt sich in der institutionellen Lehre eine notwendige Beschränkung bzw. Bündelung der Lehrstile, die aus der beschränkten Anzahl der Lehrenden an einer Schule, aber auch einer notwendigen Effizienz der Lehrinstitution bedingt ist.

Welcher der verschiedenen Lehrstile verschiedener Lehrpersönlichkeiten sollte zum Standart einer Schule erhoben werden? Es liegt in der Natur eines Meister-Schüler-Verhältnisses, daß der Lehrer im Schüler ein Spiegelbild seiner selbst sehen und seine eigenen Entwurfsroutinen und stilistischen Präferenzen imitiert haben möchte. Zwar existiert gerade an den heutigen Akademien und Hochschulen eine Pluralität der Lehrstile, aber nur in demjenigen Maße, wie es eine Pluralität unter den Lehrenden selbst gab oder gibt. Sogar bei großer Diversität einer Fakultät ist die Vielfalt der Lehre schlichtweg durch die Anzahl der Lehrer beschränkt; und da die Berufung neuer Kollegen in die Fakultät erheblich durch die Präferenzen der auswählenden angestammten Kollegen beeinflußt wird (und diese selten einen Gegner ihrer eigenen Vorstellungen berufen werden), ist eine Einschränkung der Pluralität der Entwurfmethodiken ebenfalls eine wahrscheinliche Konsequenz.

Es liegt in der Natur der Institution, daß eine Architekturfakultät nach einem pädagogischen Programm und einer architektonischen Zielstellung sucht, welche sie nach außen repräsentiert. Starke Schulen basierten oft auf starken Programmen. (Beispiele fanden sich in der sog. Stuttgarter Schule, der HfG in Ulm, der durch Eiermann dominierten Karlsruher Schule oder dem Bauhaus.) Einheitliche Lehrprogramme wurden oft durch starke Dekane wie Gropius durchgesetzt. Bekanntgeworden sind zwar oft nur die Stildebatten innerhalb solcher berühmten Schulen, nicht unbedingt aber damit einhergehende pädagogische Debatten. Die Frage aber, ob Architektur überhaupt lehrbar sei, oder ob Entwurfsmethodik systematisch erforscht und lehrbar gemacht werden könne, war eine der prinzipiellen Inhalte solcher Ausseinandersetzungen.

Darüberhinaus führte die Institutionalisierung der Lehre an den Hochschulen zu einer Reglementierung der Lehrziele und -methoden von außen. Während in einer privaten Meister-Schüler-Beziehung der Lehrinhalt und die Lehrmethode eindeutig von den Präferenzen des Lehrenden und möglicherweise der Neugier des Schülers bestimmt wird, wurden und werden Lehrinhalte an Hochschulen direkt und indirekt von Institutionen außerhalb der Fakultät selbst bestimmt: früher waren es die regierenden Fürsten selbst, heute sind es staatliche Kommissionen, Wissenschaftsministerien, Bauakademien (z.B. in Frankreich, Preußen oder der DDR) Architektenkammern, Registrierungsbehörden und andere Regulierungsinstitutionen. In diesem Sinne war und ist die sogenannte Freiheit der Lehre an den Hochschulen in der Realität immer beschränkt.

  

Dilemmas des Lehrens und Lernens

3.

Ich vertrete in diesem Artikel die These, daß die mit der Institutionalisierung der Lehre verbundene neue - inzwischen aber schon traditionelle - Form der Architekturausbildung, also das Entwerfen am simulierten 'Entwurf' mit einer gegebenen Aufgabenstellung einerseits und die Vermittlung von Prinzipien in speziellen Fächern wie Bauklimatik, Statik oder Gebäudelehre andererseits, nachteilige Auswirkungen auf die Architektur sowohl in ästhetischer als auch funktioneller Hinsicht ausgeübt hat. In ästhetischer Hinsicht, da diese Form der Lehre die Oberflächlichkeit von schnellebigen Architekturmoden fördert, und in funktionaler Hinsicht, da sie die Auseinandersetzung mit der Natur des Entwurfsprozesses selbst zugunsten einer von vornherein zielorientierten Entwurfsprozedur vernachlässigt. Schließlich werde ich argumentieren, daß diese Entwurfslehre die Tendenz zum Dilettantismus des Architekten stärkt, da das vermittelte Verständnis vom Entwerfen nicht das einer komplexen, die Wissensgrenzen der Architektur überschreitenden Aufgabe ist.

 

4.

Entwerfen wird in der heutigen Lehrform als zielorientierte Aktivität vermittelt. Die Aufgabenstellung für ein Bauwerk vermittelt zwangsläufig - ob gewollt oder ungewollt - bereits Leitbilder oder Zielräume für Lösungsansätze, sei es durch die Definition des Themas oder durch ein Raumprogramm. Ein bereits thematisiertes Ziel aber ist konträr zu einer Problemanalyse des Status quo einer gegebenen örtlichen Situation, welche zu Schlußfolgerungen führen könnte, die nach anderen als baulichen Interventionen verlangen, um die bestehenden Probleme zu bewältigen. Der Fall, daß ein Architekturstudent zum Schluß kommt, an einem Ort nichts zu verändern, ist in der Regel nicht als Lösung einer Aufgabenstellung in einer Fachdisziplin vorgesehen, die sich durch das Bauen definiert.

Diese Zielthematisierung am Beginn einer Aufgabe muß nicht unbedingt nur im Titel der Aufgabe - Kulturhaus am Markt, Wohnen am Hang, Museum am Palmengarten - bestehen, sondern ergibt sich ebenfalls aus dem entwerfenden Individuum und seinem Verhältnis zur Architektur und deren vielfältigen Schattierungen. Es ist schwerlich möglich, persönliche Vorzüge für Modeströmungen, Ideologien oder für einzelne Heroen im Gewerbe beim Bearbeiten einer Aufgabe zu verdrängen, besonders so für Studenten, die noch nicht ihre eigene Entwurfsroutine gefunden haben.

So ist es in der Anfangsphase eines Entwurfs typisch, nach Präzedenzfällen, d.h., typologischen Analogien anderer, ähnlicher Entwurfssituationen in Fachzeitschriften, Monographien oder auch im 'Neufert' zu suchen. Ebenfalls Vorbildwirkung haben Modetrends in der Architektur, für welche Studenten wesentlich anfälliger als Architekten in der Praxis scheinen. Nach Gastvorträgen berühmter Architekten kann z.B. oft deren stilistischer Einfluß auf die im folgenden Semester bearbeiteten Entwürfe bemerkt werden. Schließlich sind die Architekturen der lehrenden Professoren selbst Vorbild, sonst wäre es nicht so einfach, innerhalb einer Fakultät ziemlich präzise zu benennen, an welchem Lehrstuhl ein Entwurf bearbeitet wurde.

Es ist also die die Architektur selbst, welche die einen Entwurf beeinflussenden Bilder liefert. Natürlich ist eine völlige Loslösung von konzeptionellen Strömungen oder Ideologien unmöglich, und vielleicht nicht einmal wünschenswert, da es in der Tradition des Berufs liegt, daß sich Architektur in ihrer Evolution auf sich selbst bezieht. Bis zum vorigen Jahrhundert war die Baugeschichte durch nur wenige nebeneinander existierende Stile geprägt. Der Beginn der heute vorherrschenden Stilvielfalt scheint mit der Akademisierung der Architektur zu koinzidieren.

Da Studenten gerade am Beginn des Studiums über die zu wählende Richtung unsicher sind, und der Konflikt zwischen den sich bietenden Vorbildern und dem Bedürfnis, etwas eigenes zu schaffen, sehr klar wird, bieten sich andere Formen des Lernens als Alternative an, nämlich solche, die untersuchen, wie Entwurfsprobleme grundsätzlich bewältigt werden können.

Für unsere Diskusssion ist eine Unterscheidung verschiedener Lernformen hilfreich: zielorientiertes, problemorientiertes und prozeßorientiertes Lernen.

Beim zielorientierten Lernen ist eine Zielvorstellung durch das Thema, das Programm sowie durch konzeptionelle Präferenzen des Entwerfers gegeben. Der Student arbeitet auf dieses Ziel hin, kann und wird dieses aber in der Regel während des Entwurfsprozesses modifizieren. Er lernt, sich effizient auf ein Ziel hinzubewegen. Problemorientiertes Lernen zeigt, wie Probleme erkannt, diese eingegrenzt und Lösungsansätze dafür gefunden werden können; Ziele werden erst als Folge der Auseinandersetzung mit den Problemen der örtlichen Situation formuliert. Im prozeßorientierten Lernen werden Entwurfsprozesse miteinander verglichen und in Hinsicht auf die Situation oder Planungsaufgabe bewertet.

Problem- und prozeßorientiertes Lernen sind eher selten, waren aber in den siebziger Jahren als Teil der Planungsmethodik an einigen Universitäten populär. Die traditionellere Lernform in der Architektur ist das zielorientierte Entwerfen, welches dann am besten funktioniert, wenn es wenig Entscheidungsspielraum zwischen verschiedenen Architekturschulen und -dogmen gibt. In einer durch Stil- und Konzeptpluralität geprägten Architekturkultur dagegen kann es hilfreich sein, wenn die dadurch entstehende Unsicherheit durch eine Fokussierung auf die Probleme einer Situation und deren Lösungsmöglichkeiten gerichtet wird, bevor an eine gestaltliche Materialisierung dieser Lösungsansätze gedacht wird.

In der Praxis der Architektur steht das Lernen durch Tun im Mittelpunkt, also das Lernen durch die Arbeit am Projekt und von seinen Kollegen, von denen man natürlich auch deren Fehler lernt, weil einem noch die kritische Basis für die Bewertung von deren Erfahrungen fehlt. Da aber die Hochschule die Praxis nicht wirklich simulieren kann, ist das Modell des 'Lernens durch Tun' hier inadäquat, da der Rückschluß eines realisierten Projektes fehlt und dieses durch die Kritik des Lehrers nicht wirklich ersetzt werden kann. Wenn man schon ohne Praxis lernen muß, dann sollte dies wenigstens so geschehen, daß Wissen generalisierbar eingesetzt werden kann: Lernen sollte also das Trainieren von Fähigkeiten zu entwerfen, zu planen und Probleme zu lösen beinhalten.

 

5.

Der Prozeß des Entwerfens wird in der Regel nicht als eine komplexe Aufgabe, die eine Vielzahl von Aspekten außer den rein architektonischen beinhaltet, gelehrt. Ein Lehrer allein kann selten Fachmann in allen Bereichen des Planens und Bauens sein und bleibt daher in wenigstens einigen Aspekten immer Dilettant, der selbst mit einer Portion guten Willens nicht in der Lage sein wird, funktionelle, bautechnische, gestalterische und andere Aspekte mit gleicher Expertise zu behandeln.

Beim traditionellen Studienentwurf werden selten statische und konstruktive, aber auch sozio-psychologische, ökologische und ökonomische Aspekte mit der gleichen Vehemenz vertieft; statt dessen verbleibt das Projekt eher in der konzeptionell-gestalterischen Phase. Es ist keine Seltenheit, wenn Studenten noch zwei Wochen vor Abgabe, nach drei Monaten zeitintensiver Beschäftigung mit dem Projekt, sich immer noch in der skizzenhaften Vorentwurfsphase befinden. Daß zu einem Entwurf die räumliche Durcharbeitung, konstruktive Detaillierung, bauphysikalische Bewertung, Material- und Farbgestaltung und vieles andere mehr gehören, kann auf diese Weise nicht vermittelt werden. Der Verweis auf Spezialfächer wie Baukonstruktion, Bauphysik, Gebäudelehre etc., wo solche Aspekte ja behandelt würden, bleibt eine Ausflucht. Nur durch die Integration solcher Aspekte in einem Entwurfsprojekt kann der Student deren Stellenwert begreifen. Gleiches gilt für den immer wiederholten Satz, daß die Realität einer Entwurfsaufgabe im Büro schon begreiflich werde, und daß an der Hochschule ruhig mal 'gesponnen' werden sollte.

Wenn aber ein Entwurf nicht wenigstens in einigen dieser Aspekte vertieft wird, kann der Student nicht lernen, daß jeder dieser Einzelaspekte Rückeffekte auf die Gesamtkonzeption haben kann, daß die Konzeption eines Projekt durch die Grenzen, die sich in der Detaillierung zeigen, modifiziert wird. Ein Student muß somit aufgrund seiner Erfahrungen mit dem Entwurf vermuten, daß die planerische Vertiefung eines Projektes Sache von Bauingenieuren oder anderen Fachkräften im Büro sein wird, und daß es in der Praxis eine Trennung zwischen Entwerfern, d.h. Generalisten mit wenig Wissen aber formaler Routine auf der einen und entwurfsuntalentierten Detaillierern auf der anderen Seite gäbe.

 

6.

Ein weiteres Dilemma besteht darin, daß studentische Entwurfsprojekte nach Maßstäben bewertet werden, die nicht im geringsten mit solchen zu vergleichen sind, die an realisierte Entwürfe angelegt werden. Durch die Art von Entwurfsvorstellungen und deren Bewertungen am Ende eines Projektes wird Studenten in den meisten Fällen ein falsches Bild über die Qualität ihrer Entwürfe vermittelt. Oft gibt es bei der Projektbewertung keine offenliegenden, nachvollziehbaren Bewertungsparameter, obwohl diese in der Praxis durchaus existieren. Dort muß jede Planung den Test der Zeit bestehen und sich unmittelbar an kontextuell-gestalterischen, konstruktiven und wirtschaftlichen Kriterien messen lassen, die je nach Bauherr, Stadtbauamt und Funktion unterschiedlich sein können.

Da es kaum vorkommt, daß die Bewertungskriterien für einen guten Entwurf am Projektbeginn genannt werden, kann ein Student daher nur raten, welche Maßstäbe ein Professor an ein Entwurfsprodukt anlegt. Meist sind dies architektonisch-konzeptionell oder geschmacklich geprägte Urteile, deren Wertigkeiten nicht objektifizierbar gemacht, also nachvollziehbar dargestellt werden. Die Bewertung eines Studienprojektes ist somit kaum mehr als nur eine persönliche, in autoritärer Hülle verpackte Meinung eines Lehrers, der seine oder die Präferenz einer Architekturströmung vertritt.

 

 

Schlußfolgerungen:

7.

In diesem Vortrag habe ich verschiedene Dilemmas aus den mit der Institutionalisierung der Architekturlehre entstandenen Ausbildungsstrukturen beschrieben, und zwar insbesondere das mangelnde Problembewußtsein für eine Entwurfssituation, die fehlende Komplexität der Bearbeitung eines Projektes sowie die fehlenden Bewertungsmaßstäbe für Studienprojekte. Ich habe weiterhin beschrieben, daß die Entwurfssituation beim Studienentwurf unter keinen Umständen auch annähernd eine Simulation des Entwurfsprozesses in der Praxis der Architektur sein kann, und somit die Annahme das man an der Hochschule Entwerfen für die Praxis üben würde, ein Trugschluß ist. Worin bestehen die Chancen zur Überwindung dieser Dilemmas?

Der offensichtliche Weg, eine radikale Veränderung der Lehrstruktur, ist schwerlich möglich, da dies mit einer Revolution traditioneller Ideologien der Architektur verbunden wäre. Für Revolutionen gibt es innerhalb der Architektenschaft wenig Bedarf, und speziell der Kreis der Hochschullehrer wird seine eigenen Positionen nicht in Frage stellen wollen. In kleinen Schritten aber sind Veränderungen zur Abmilderung dieser Dilemmas durchaus möglich

Erstens sollte die Rolle der Pädagogik aufgewertet werden. Die Lehrenden sollten ihre eigenen Zielpräferenzen etwas zurücknehmen und stattdessen Moderatoren zur Bewertung alternativer Lösungsansätze sein. Bei einer Hochschulausbildung, in der abstrahierte Lehrinhalte vermittelt werden müssen, nimmt die Pädagogik einen wichtigeren Stellenwert als in einem Meister-zu-Schüler Verhältnis ein. Leider werden Professuren oft besetzt, ohne daß die pädagogischen Konzepte oder Fähigkeiten eines Kandidaten bewertet würden. Die Bauten sind immer noch ausschließliche Eintrittskarte für den Job. (Man stelle sich den Vergleich vor, daß eine Gesangslehrer nur wegen seiner Fähigkeiten zu singen engagiert würde.)

Zweitens sollte die Entwurfslehre eine größere Distanz von ihrem eher rein architektonischen Fokus erhalten und Studenten bereits mit solchen Schritten vertraut machen, die noch vor dem traditionellen skizzenhaft-konzeptionellen Entwurf des Architekten stattfinden, indem die ganze eine Situation charakterisierende Facette von Problemen in die Bearbeitung eines Entwurfs integriert and das Augenmerk auf Lösungsräume gelenkt wird, die über die traditionelle Welt der architektonischen Intervention hinausgehen. Kurzum: architektonisches Entwerfen sollte in seiner allgemeinen prozeßhaften Natur betrachtet werden.

Drittens, und dies steht nur scheinbar im Widerspruch zur vorhergehenden These, muß sich die Entwurfslehre näher an die Realität der Architektur heranbewegen, indem Entwerfen als ein komplexer Prozeß dargestellt wird, der vorzugsweise von mehreren Lehrern mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Expertise unterrichtet werden sollte. Schließlich sollten Bewertungsmaßstäbe, um Studentenentwürfe mit realitätsnahen Parametern beurteilen zu können, entwickelt werden.

Viertens schließlich, und auch dies ist nicht konträr zum einem größeren Stellenwert des verallgemeinerten Wissens, sollte Studenten eine praktische Vertrautheit mit den handwerklichen und sinnlichen Qualitäten des Bauens vermittelt werden. Dazu gehören neben Baupraktiken vor allem eine Kennenlernen von Materialien und deren konstruktiven Eigenschaften. Praxis sollte also dort stattfinden, wo sie in der Lehre auch wirklich stattfinden kann. Baupraxis aber ist etwas anderes als Entwurfspraxis.

Am Beginn einer Veränderung der Lehrkonzepte für das Entwerfen muß die Akzeptanz der beschriebenen Dilemmas stehen: die Akzeptanz der Unfähigkeit der Lehre, Studenten für die Herausforderungen der Realität durch eine Simulation dieser vorzubereiten. Stattdessen sollte die Hochschule ihr Potential erkennen, durch vergleichende, systematische Auseinandersetzung mit verschiedenen Entwurfsstrategien Studenten auszubilden, die Entscheidungen intelligent und fundiert treffen können

 

* Die Grundlagen für diese Diskussion wurden in verschiedenen von mir unterrichteten Entwurfsatelies an den Universitäten in Berkeley und Dresden gelegt. Während des letzten Jahres haben die Diskussionen mit meinem Kollegen J. Schnier erheblich zu einer Klärung der beschriebenen Dilemmas beigetragen.

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