Thema
4. Jg., Heft 1
Mai 1999

Christof Ehrlich

Die Konstruktion der Idee und Ihre Werkzeuge

 

Ist die Architektur besser als ihre Theorie ?

Wenn von einer zunehmenden Determinierung des Architektenentwurfes durch die Anforderungen anderer „am Bau Beteiligter" die Rede ist, so wird implizit auch der Eindruck erweckt, daß sich im gleichem Atemzuge das Entwerfen selbst diesen Einschränkungen unterwerfe.

Äußerliche Anzeichen dafür gibt es genügend: So scheint sich die Theorie der Architektur zur Geisel der Gesellschafts- und Naturwissenschaften zu machen, denn neuere Beiträge zur Theorie des Entwerfens lehnen sich mehr und mehr an die Sozialwissenschaften, die Mathematik oder Informatik an. Der Anspruch der Architektur als eigenständige symbolische und kulturelle Form1 scheint aufgegeben worden zu sein; manchem erscheint Sie zunehmend als Wiederaufbereitungsbetrieb für Versatzstücke und Schlagworte aus anderen Wissens- und Wissenschaftsgebieten.

Seltsamerweise steht vielen, oft haarsträubenden Übergriffen der Architektenrhetorik in fremde Wissensgebiete eine Fülle von interessanten und eigenständigen Werken der Baukunst gegenüber, so daß die Frage gestellt werden muß, ob die zeitgenössische Architektur gerade durch Aufgabe ihres eigenen, gewachsenen theoretischen Unterbaues zu besonderen Leistungen befähigt wird, oder ob Sie vielleicht eher trotz aufgepfropften Verbalisierungen zustande kommt.

Möglicherweise bleibt aber auch das Entstehen von Architektur von ihren eigenen Darstellungs- und Begründungsthesen gänzlich unberührt.

Dies jedoch würde den Schluß nahelegen, daß sich derartige Begründungversuche entweder aus einer Rechtfertigungsnot gegenüber wissenschaftlichen Methoden herleiten oder daß es sich um nichts anderes als um eine geschickte Marketingstrategie handelt, die das Werk unangreifbar machen soll.

Nicht zuletzt das Verhalten der Architekten in der öffentlichen Diskussion zeigt, daß die Forderung nach einer Autonomie der Architektur als Disziplin kaum noch ernsthaft erhoben wird und die Tage, in denen sich der Architekt einer „Baukunst" verschrieben hatte und diese offensiv einfordern konnte, endgültig vorbei sind.

So falsch es -insbesondere für Architekten- ist, in eine künstlerische Sprachlosigkeit zu verfallen, so wenig sollte man sich andererseits unter die Räder der äußeren Umstände werfen, indem das Werk sprachlichen und pseudo- wissenschaftlichen Kriterien geopfert wird.

Die Nähe zu den „harten Disziplinen" drängt die expressiven, nichtdiskursiven2 Ausdrucksformen zunehmend in die Rolle eines Schmuggelgutes, das möglichst unbemerkt transportiert werden muß, da es sprachlich und kausal nicht zu verteidigen ist.

Zwar ist diese Taktik oftmals bemerkenswert erfolgreich, dennoch muß die Theorie der Architektur einen Beitrag leisten, die Eigenart der Architektur als Kulturform zu begründen und zu verteidigen.

 

Gibt es ein kausales Verhältnis zwischen dem Entwerfen und dem Entwurf ?

Die Determinanten, denen sich vernünftigerweise jeder Entwerfer zu unterwerfen hat, sind vielzählig und brauchen nicht im Einzelnen dargestellt zu werden. Sicherlich ist die Beobachtung richtig, daß die zunehmende Fülle an Konzessionen an Richtlinien, Gesetze und Budgets im Rahmen einer Rationalisierung der Planung dem freien Willen des Entwerfers genaue Grenzen aufzeigt.

Unbestreitbar lassen sich die zur Anwendung gekommenen Vorschriften und Behinderungen auch konkret an den Gebäuden nachweisen, aber liegt hier bereits eine Einschränkung des entwerfenden Geistes ?

Die Kritik des Entwerfens setzt, wenn man Sie genauer analysiert, entweder an den Außenumständen und - Einflüssen an oder am Entwurf als „Werk."

Aber können die Bedingungen des Zustandekommens eines Entwurfes überhaupt vom „fertigen" Werk des Entwurfes her betrachtet werden ?

Kann ein Modell, das auf kausale Verknüpfungen und deduktive Lösungswege setzt, überhaupt auf die Tätigkeit des Entwerfens angesetzt werden ?

 

 

Entwerfen mit Planungsmethoden

Würde man von einer „von Natur" begrenzten Menge an Lösungsmöglichkeiten eines Entwurfsproblems ausgehen, so böte sich das Bild eines Arsenals von Lösungen, die wie Baumaterial außerhalb der Persönlichkeit des Architekten lägen und derer er sich bedienen kann, wenn er die Inventarliste kennt.

Die Kunst des Entwerfers wäre es dann, ein möglichst hohes Potential an Wissen über methodische und formale ästhetische Alternativen zur Anwendung zu bringen.

Obwohl eine klassische Trennung zwischen einer Welt der Dinge und der Welt der Bewußtseinsinhalte schon lange nicht mehr dem Stand der Erkenntnisforschung entspricht, gehen viele Ansätze zur Entwurfstheorie noch immer von einer materiell und methodisch vorgefertigten und vorhandenen Außenwelt aus, die einen fest definierten Vorrat von Entwurfsprodukten kennt und potentiell bereithält.

Für einen Hauptaspekt des Entwerfens böte diese Auffassung nur wenig überzeugende Antworten: Zum einen muß die Frage beantwortet werden, wie nichtdiskursive „künstlerisch-expressive" Momente der Sinnenwelt in das Entwerfen kommen und vor allem muß die Frage nach der „Entstehung des Neuen" in jedem Entwurf beantwortet werden.

Wenn Entwerfen als bloßes Umsetzen von äußeren Vorgaben, die Applikation von Regeln, der sich in wissenschaftlich greifbaren Bahnen vollzieht, gesehen würde, so könnten die immer unterschiedlichen Entwurfsergebnisse einer einheitlichen Entwurfsaufgabe nur durch eine Unschärfe im Umsetzungsprozeß erklärt werden.

Wenn man einen naturwissenschaftlichen Entwurfsansatz heranziehen würde, so könnten die großen Worte „Kreativität" und „Genialität" als Stufen der Annäherung an die theoretisch perfekte Umsetzung der Determinanten gesehen werden.

Ganz im Sinne zeitgenössischer Wissenschaftsbegriffe könnte die Integration nahezu unendlich vieler möglicher Varianten einer Entwurfslösung an Modelle aus der sog. „Chaosforschung" und der experimentellen Mathematik angelehnt werden.

Das beobachtete Unvorhersagbare wird hier scheinbar akzeptiert, jedoch nur um anhand von Modellen und Simulationen letztlich zu einer Erklärung und Kategorisierung der Erscheinungen zu gelangen.

Aber auch dieses Modell des Entwerfens geht in letzter Konsequenz von der möglichen Erklärbarkeit kreativer Prozesse durch immer weitergehende Differenzierung von Ursache- Wirkung- Verbindungen aus.

Es unterstellt noch immer die potentielle Möglichkeit eines Endzustandes, in dem alle Widersprüche aufgehoben sein werden. Die Vielfalt von entwerferischen Lösungen würde sich dann quasi als Störung oder Überlagerungen in der Schichtung der Einflußgrößen darstellen.

Dies wäre allerdings eine methodische Hintertür, die den Wert der Untersuchung sehr in Frage stellen würde, hieße dies doch nichts anderes, als daß gerade der Schwerpunkt der Analyse, nämlich die Eigenart des Entwerfens, nicht oder „noch nicht" analysierbar wäre.

Eine Argumentation, die anhand der Ungenauigkeit der Meßmethode den Beweis einer These ins wissenschaftliche Jenseits verlagert, kann schwerlich überzeugen.

Die Überzeugung, daß sämtliche offenen Fragen durch eine Verfeinerung der Meßmethoden beantwortet werden könnten, ist eine ebenso populäre wie falsche Ansicht.

Es zeigt sich bei einer solchen Herangehensweise stets, daß ab einer gewissen Schwelle der Differenzierung immer neue Qualitäten des Forschungsobjektes erzeugt werden, die nach neuen Methoden, Begriffen und Theorien verlangen und nicht selten in der Etablierung neuer Hilfswissenschaften enden.

 

Probleme kausaler Entwurfsansätze

Die Sinnfrage, verstanden als gesellschaftliche Übereinkunft eines hinreichend großen Teiles der Gesellschaft in Bezug auf die Bedeutung einer kulturellen Leistung, stellt sich hier überhaupt nicht mehr.

Dies wird von etlichen Theoretikern zwar als Befreiung etwa von einem Stildiktat begrüßt, die Lebenswirklichkeit zeigt jedoch, daß die Gesellschaft schon aus Gründen der Orientierung scheinbar unabhängig und zufällig neue Symbolgemeinschaften (Stile, Moden, Trends) konstituiert und dabei selbst die Kritik vereinnahmt und übercodiert und somit scheinbar autonom immer wieder Bedeutung und Identifikation schafft.3

Selbst wenn man dies ignoriert, so vollzieht sich die Erforschung der Wirklichkeit auf dem Gebiet der Theorie im Rahmen gebietsbezogener Einzelwissenschaften, die sich in Ihren Forschungsergebnissen gleichsam wechselseitig überholen.

Die dabei jeweils konstruierten Weltbilder erlangen dabei mehr und mehr nur noch funktionale Bedeutung im Rahmen der selbstgesetzten Bezugsrahmen der jeweiligen Diskurse.

Für die Erforschung kultureller Phänomene ergeben sich dadurch gleich drei große Problemfelder:

Zum Einen wird diese Wissenschaftlichkeit anhand der immer strenger definierten Rahmenbedingungen zunehmend fragwürdig- durchaus auch innerhalb der Einzelwissenschaften selbst, zum Anderen halten sich hochkomplexe kulturelle Phänomene wie das Entwerfen nicht an methodische Restriktionen, was den Schluß nahelegt, daß Sie selbst gar nicht methodisch, logisch oder anderweitig systematisch verfaßt sind.

Eine weitere Gefahr einer analytisch-deduktiven Herangehensweise bei der Erforschung der Phänomene des Entwerfens ist die Wahl des jeweiligen systematischen Bezugsrahmens:

Es zeigt sich, daß sich nicht einmal die Wissenschaften selbst an die selbst auferlegten methodischen Restriktionen halten; denn nicht nur ist jeder Wissenschaftler selbst auch ein durchschnittlicher Teilnehmer an der Kultur und gehört somit sowohl zur „Schule" als auch zur „Welt", sondern auch ist das zu untersuchende Phänomen zuerst auch Teil der Lebenswelt, aus der es extrahiert wird.

Die Wahl des wissenschaftlichen Systems für diese Adaptierung ist gerade bei sozialen und kulturellen Phänomenen sehr stark von jeweils herrschenden „Denkschulen" abhängig.

In dieser quasi unkontrollierbaren Reaktion wird die Frage nach Sinn schleichend durch die Frage nach Wert ersetzt, was für jede Untersuchung gefährlich ist.

 

„Jene Kulturgesellschaft, die Wissenschaften entwickelt, schmilzt auch deren Ergebnisse- in Applikation auf sich selbst- wieder ein und bildet sich daraus ihre Wirklichkeit, Ihr Sein" 4

Hier findet zwangsläufig ein Prozeß statt, der als „ontologische Suggestion" bezeichnet werden kann: Die Suche nach Sinn wird umformuliert zu einer Suche nach Werten und die Proklamation von Werten mißverstanden als das Sein der Dinge.

In der Geschichte der Architektur haben die Versuche, das Wesen der Architektur als gebauten Abdruck des gesellschaftlichen Diskurses zu beschreiben, zu einer inflationären Anhäufung der Leitbilder geführt, welche die Theorie der Architektur als Forschungsgebiet an den Rand der Diskreditierung gebracht hat.

Die Auswahl der Denkmodelle ist hier - möglicherweise unbeabsichtigt - als Wertungsprozeß vorgenommen worden: Nicht die Bedingungen der Möglichkeit von Architektur, sondern was Architektur im Hinblick auf ein Ideal soll und somit auch was Sie sein soll, stand hier im Vordergrund.

Über die Eigenart des Entwerfens als Prozeß ist hierbei aber noch nichts ausgesagt.

Geht man daher anstelle vom Dasein des Produktes „Entwurf" zurück zum Modus seines Zustandekommens, so verlieren viele der enttäuschenden Äußerlichkeiten und mißglückten Details ihren prägenden Charakter und es kann wieder die Frage nach dem „Sinn" und der „Bedeutung" des Entwerfens gestellt werden.

Für diese „methodische Besinnung" ist es also unerläßlich, daß die Frage nach der Möglichkeit des Entwerfens nicht mit der Frage der Leistung des Entwurfes gekoppelt wird, denn an der Frage nach dem Maß dieser Leistung wird sich die Antwort in der Beliebigkeit der Geschmacksurteile verlieren, eine Falle, in die jegliche (auch zeitgenössische) Kulturphilosophie nur zu gerne tritt.

 

Wie geht Entwerfen ?

Wenn wir jetzt in der ersten Annäherung zur Eigenart des Entwerfens schreiten, so fallen zuallererst die äußeren Determinanten eines Entwurfes auf. Die „Regeln der Baukunst" und andere harte Fakten sind unbestreitbar die im Entwurf eingearbeiteten Aspekte der Außenwelt.

Allerdings können hier Aspekte des Entwerfens, die sich der Diskursivität entziehen, also etwa körperliche und seelische Zustände, Fehler, Gedankensprünge, visuelle, klangliche oder taktile Einflüsse nicht berücksichtigt werden.

Diesem Ansatz folgend, kann auch nur über ein bereits fertiggestelltes Werk geurteilt werden, ohne die Art und Weise seines Zustandekommens berücksichtigen zu können.

Dieser retrospektive Ansatz ist allerdings der Frage nach dem Entwerfen diametral entgegengesetzt, denn hier sollen ja gerade die Aspekte beleuchtet werden, die zur Konstitution des Werkes führen.

Das Erfinden einer neuen Lösung ist eine produktive Leistung des Geistes, die sich der Voraussage -qua Definition- immer entzieht und somit im wissenschaftlichem Rahmen schwer darstellbar ist.

Es unterscheidet sich vom „Finden" eben dadurch, daß sie dem Bereich des Wissens vorher nicht zur Verfügung stand und sich dennoch als Etablierung einer neuen Ebene durchaus in den Bezug zu den Rahmenbedingungen seines Zustandekommens einreiht.5

Hier besteht eine grundsätzliche Übereinstimmung des Erfindens mit dem Entwerfen.

Die Grundforderungen jeder Form von Wissenschaft nach Klassifikation, Verallgemeinerung, und Wiederholbarkeit kann der Architektenentwurf offensichtlich nicht erfüllen.

Es zeigt sich also, daß sich die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit des technischen und des künstlerischen Gestaltens nicht allein aus der Welt des Wissens heraus beantworten läßt, ohne daß sich die Sprache der Wissenschaft in ihrer eigenen Grammatik verheddert.

 

Der körperliche Aspekt der Materialisierung

Dies führt uns zurück zur fundamentalsten aller Fragen: Wie kann das Entwerfen als Wirklichkeitsgestaltung und Weltbewältigung entstanden sein und auch immer wieder zustande kommen ?

So banal es klingt, so fundamental muß für jede Theorie des Entwerfens als individueller Akt der geistigen Formung festgestellt werden:

Entwerfen ist nur möglich durch die Betätigung des Körpers und den Gebrauch der Sinne.

 

Cassirer formuliert diese Dualität folgendermaßen: „Alle geistige Bewältigung der Wirklichkeit ist an diesen doppelten Akt des „Fassens" gebunden: an das Begreifen der Wirklichkeit im sprachlich-theoretischen Denken und an ihr „Erfassen" durch das Medium des „Wirkens"; an die gedankliche wie an die technische Formgebung"6

Somit ist ein Zweites für das Entwerfen/Erfinden unabdingbar: die Verbindung von Wissen und Können, bezeichnet als die „Technik."

Technik ist" , so schreibt der Technikphilosoph Max Eyth „alles, was dem menschlichen Wollen eine körperliche Form gibt"7

Wenn man dieser unzweifelhaft noch heute gültigen Auffassung Eyths folgt, so wurde aus einem unterlegenen Mängelwesen erst durch die Erfindung des Werkzeuges der Mensch, dessen eigentliche Leistung in der Fähigkeit besteht, die zum Überleben notwendigen Vorkehrungen zu treffen, im Wortsinne die Not zu wenden mit der einzigartigen Fähigkeit, Lösungen für zukünftige oder aktuelle Probleme zu finden.

Der Prozeß des Erfindens kann hier noch ohne weiteres als ständige Rückkopplung zwischen körperlicher Aktivität und Wirkungsversuch begriffen werden, erst später kommt das Wissen als methodische Stütze und Fundament hinzu.

Mit der Technik wird aus dem Tier der Mensch („Homo"), mit Hinzukommen des Wissens der Homo sapiens, und mit dem Aufkommen von methodischen Welt- und Selbstbildern der Homo sapiens sapiens; der wissende Mensch, der auch von sich selbst weiß.

Dieser kleine Exkurs in die Vorzeit der Geschichte des Entwerfens als Bedingung der Wirklichkeitsbewältigung soll zwei Aspekte zeigen, die im Laufe der sich immer weiter ausdifferenzierenden Welt des Wissens verloren zu gehen drohen:

Zum Einen das Verständnis von körperlichem Handeln als produktiven Akt der Erkenntnis, zum anderen die Tatsache, daß mit und vor dem Wissen immer das Können gesetzt werden muß.

Dies muß um so mehr betont werden, da sich aufgrund der technischen Reproduzierbarkeit des Wissens das Gleichgewicht zuungunsten des Könnens immer weiter verschiebt unter gleichzeitiger explosionsartiger Vermehrung von subjektiv nicht nutzbarem Wissen, so das „das Können nicht mehr Herr im Hause ist, das es gebaut hat"8

 

 

Die Stellung des Werkzeuges

Wenn die Technik den Modus des Entwerfens konstituiert, so ist ihr Mittel das Werkzeug.

Eine erweiterte Definition, der ich hier folgen will, gibt Max Eyth:

 

„Es gehören deshalb nicht nur Geräte und Maschinen hierher, sondern auch technische Verfahren aller Art, nicht bloß Vorrichtungen, die dem Stoff eine andere Form und Beschaffenheit geben, sondern auch solche die Orts und Bewegungsveränderungen hervorrufen, oder andere, die auf unsere Sinne gewisse beabsichtigte Wirkungen ausüben; kurz das ganze große Gebiet der Mittel, mit denen der Mensch seine körperliche Umwelt in zweckdienlicher Weise beeinflußt und beherrscht."9

Das Werkzeug ist mit dem Können auf ähnliche Weise verknüpft wie die Sprache mit dem Wissen. Da das Wissen jedoch leichter kommunizierbar ist und nicht, wie die Technik an die Körperlichkeit gebunden, hat sich das Wissen, spätestens seit der Erfindung der Massenmedien, endgültig zum Herrscher über das Können aufgeschwungen.

Dieser Konflikt ist bereits in den ältesten Zeugnissen der menschlichen Zivilisation dokumentiert.

In fast allen antiken Mythen waren es die Götter, die den Menschen die Werkzeuge brachten. Es war die feste Überzeugung unserer Vorfahren, daß sich das Werkzeug und dessen Anwendung durchaus nicht selbstverständlich aus dem nichts entwickelte.

Das Göttliche, das dem Werkzeug anhaftete, kann auch heute noch interpretiert werden als der sich jeder Analyse widersetzende Akt des Herstellens von neuen Qualitäten als Resultat aus den vermeintlich bekannten Zutaten des Wissens einerseits und dem zu formenden Stoff andererseits.

Immerhin ist es bemerkenswert, daß niemand glaubt, der Gebrauch bestimmter Werkzeuge würde zur Herstellung immer gleicher Werke führen. (Im Gegensatz etwa zur Maschine)

Das Argument, daß nicht die Form des Werkes, sondern allenfalls die Idee des Werkes im Werkzeug begründet liegen kann, ist seit spätestens seit Platon wohlbekannt.

Hier wird die merkwürdige Mittlerrolle des Werkzeuges deutlich.

 

 

Das Erscheinen des Neuen aus dem „Geist des Werkzeuges"

Das Neue entsteht aus einer Konfrontation des Wissens mit einem Stoff, dessen Reaktionsweise nicht völlig bekannt ist. Diese Konfrontation erfolgt immer körperlich, d.h auch mit der der Körperlichkeit eigenen Unvollkommenheit und „Fehlerhaftigkeit"

Die eigentliche Aufgabe des Werkzeuggebrauches ist es daher, eine Mittlerrolle zu spielen zwischen der kommunizierbaren Welt der Objekte und den gestaltenden Kräften des geistigen Ausdruckes. Die Eigenart des Entwurfes (oder einer Erfindung) entsteht im Dialog dieser beiden Welten, wobei wohlgemerkt nicht angenommen werden sollte, daß eine dieser beiden für sich allein stehen könnte.

Jedes Emergenzphänomen wird zuerst mit Angst und Ablehnung betrachtet. Man braucht nicht zu den sogenannten Naturvölkern zurückzugehen, um eine mythische Verehrung oder eine ängstliche Ablehnung der Techniker und der Technik zu beobachten.

Den Technikern haftet in vielen Kulturen der Makel des Übernatürlichen an. So ist bei vielen afrikanischen Völkern der Schmied oft gezwungen, außerhalb der Dorfgemeinschaft zu leben, da seine Fähigkeiten des Gefügigmachens der härtesten Materialien und seine Werkzeuge magische Kräfte zu haben scheinen.

 

In der Tat ist laut Frazer10 der Magier der erste Experimentalphysiker der Weltgeschichte, denn er war es zuerst, der aus den Phänomenen der Umwelt eine Bedeutung zu lesen versuchte und die vermeintlichen Erkenntnisse konkret mit körperlichen Handlungen, etwa Ritualen oder Zaubersprüchen verband, um damit Wirkungen zu erzielen.

In der Entwicklung von Ritualen braucht sich der Architekt von Heute sicherlich nicht hinter den Medizinmännern der Vorzeit zu verstecken. Nicht nur die Accessoires und Eigenheiten des Berufsstandes, sondern auch die Atmosphäre und die verwendeten Gegenstände erachtet mancher Architekt als unverzichtbar, wenn der Entwurf gelingen soll.

Es wäre interessant zu klären, ob sich die gerade im Architektenberuf hochentwickelte Kunst, nur mit ganz bestimmten Gegenständen zu arbeiten, auf das ästhetische Gespür oder auf einen gewissen Aberglauben über die Wirkungen von bestimmten Computermarken, Stiften und Zeichenpapieren begründet.

Nun mag es ein wenig weit hergeholt erscheinen wenn man im Entwurfsarchitekten den ausgehenden Jahrtausends einen Nachfahren des Magiers sehen würde; einerseits aber ist im Gegensatz zum Wissenschaftler sein Handeln ähnlich schwer zu bewerten und die Wirkungen seiner Handlungen sind leider oft genauso umstritten wie die Wirkung eines Regenzaubers, andererseits kann die Wirkung eines gelungenen Entwurfes nicht theoretisch herbeikonstruiert werden

Natürlich muß eingestanden werden, daß die Methoden des Entwerfens sich nicht mehr so sehr an der Subjektivität der Innenwelt bemessen, wie dies noch für den dem Mythos verhafteten Menschen der Fall war, sondern vielmehr an „bekannten" und „abgesicherten" Wirkungszusammenhängen, doch wenn man aufrichtig ist, zeigt sich, daß auf dem Gebiet des künstlerischen Ausdrucks wenig bekannt und abgesichert ist.

 

Fazit

Prägend für den architektonischen Entwurf ist meines Erachtens daher der Werkzeuggebrauch im weiteren Sinne.

Prozeßbezogen kann nur durch die Auseinandersetzung des Geistes mit dem Werkzeug und dem bearbeiteten Material einen Prozeß der Innovation in Gang setzen.

Wie Heinrich von Kleist den Prozeß der „Verfertigung des Gedankens beim Reden11beschrieben hat, so kann auch von einer Verfertigung der Idee beim Entwerfen gesprochen werden.

In der Zweckgebundenheit des Werkzeuges liegen bereits fundamentale Richtungsaussagen über das Werk, ohne jedoch den Sinn und die Aussage des Werkes determinieren zu können, ähnlich der Sprache, deren Grammatik die Findung von Sinn ermöglicht, ohne daß dieser schon vorher in Ihr war.

Besonders in diesem Prozeß zeigt sich, daß die „Idee" einer entwerferischen Leistung und ihre Materialisation als „Werk" keinesfalls als unabhängige Einheiten gesehen werden können, die in einem zeitlichen oder hierarchischem Verhältnis zueinander stehen.

Über die Technik, verstanden als lebenspraktische Aktivität der Applikation von Wissen und Fertigkeit (Können) erst wird unter Verwendung von Werkzeugen die neue Qualität der Idee konstruiert und konstituiert.

Erst wenn das Werk präsentiert wird, gewinnen andere Formen die Oberhand. Vor allem die kommunikativen und darstellenden symbolischen Funktionen übernehmen an dieser Stelle das Werk. In ein Bezugssystem gebracht, erscheint das Werk als Bedeutungsträger in einem symbolischen System im Bezug zu anderen Werken und die Idee erscheint als „Sinn" des Werkes, der sich seinen Platz in der Hierarchie „vor" dem Werk sucht.

Durch diese Form der Darstellung verwischt das Werk jedoch auch die Spuren seines Zustandekommens, so daß hier die Suggestion entsteht, das Dargestellte sei auch durch einen darstellenden oder kommunikativen Akt entstanden.

Es ist durchaus an der Zeit, das Entwerfen wieder als schöpferischen Akt zu begreifen und seine Eigenart zu verteidigen.

Zu diesem gehört die Wahl und vor allem die Verwendung des geeigneten Werkzeuges. Ob hierfür der Computer oder der Bleistift besser geeignet erscheint, ist für das Entwerfen völlig unerheblich.

Für den Entwurf jedoch ist in der Verwendung des Entwurfswerkzeuges immer schon ein gewisser Formwille vorweggenommen.

Kein Entwurfsakt kann jedoch hinter den Werkzeuggebrauch zurückgehen und vielleicht ist dies ein Aspekt, der in der Theorie des Entwerfens stärkerer Würdigung bedarf.

 

Anmerkungen:

1Ich nehme hier bewußt Bezug auf einen Ausdruck, den der Erkenntnistheoretiker und Kulturphilosoph Ernst Cassirer geprägt hat: Unter einer „symbolischen Form" wird hier eine kohärente Disziplin in einer Kultur verstanden, der die Gesellschaft für eine gewisse Zeit eine Eigenständigkeit zuschreibt; die gekennzeichnet ist durch den Umstand, daß sie als Ganzes nicht durch andere Symbolische Formen ersetzt werden kann. Sobald dies möglich ist, verliert sie sich in neuen Sinngefügen. Als besonders stabile Formen versteht Cassirer den Mythos, die Sprache und die Wissenschaften. Die Eigenheit jeder „Symbolischen Form" gründet sich auf ihrer spezifischen Zusammensetzung der „symbolischen Funktionen" des Geistes; nämlich der Ausdrucksfunktion, der Darstellungsfuktion und der Bedeutungsfunktion. (Expressives, Kommunikatives und Relativierendes Moment)

2 Die Bezeichnungen „Diskursiv" und „nicht- diskursiv" sollen die Unterscheidung der Eigenarten von Ausdrucksformen hervorheben. Nach Langer sind nur Teile von sinnvollen Symbolsystemen projizierbar und systematisierbar (z.B Sprache, Wissenschaft) im Gegensatz zu visuellen, akustischen und Gefühlsformen, obwohl Ihnen eine genuin eigene Form von Sinngehalt zukommt. Vgl. Langer, Susanne: Philosophy in a new Key, Cambridge, Mass.; 1942

3 zu umfangreichen Studien zur Übercodierung und Semiotisierung sei hier, ohne in die Tiefe gehen zu wollen, verwiesen auf: Eco, Umberto: Zeichen- Einführung in einen Begriff und seine Geschichte, Frankfurt/M. 1977

4 Orth, Ernst Wolfgang: Zur Konzeption der Cassirerschen Philosophie der Symbolischen Formen, in: Cassirer, Ernst: Symbol, Technik, Sprache; S. 168; Hamburg 1995

5 So ist laut Dessauer das Verhältnis zwischen Erfinder und seiner Erfindung bestimmt durch die Überzeugung, daß die Erfindung quasi schon immer vorhanden war und nur an das Licht gebracht werden mußte; vgl.: Dessauer, Friedrich: Philosophie der Technik. Das Problem der Realisierung; Bonn 1927

6 Cassirer, Ernst: Form und Technik, in Cassirer, Ernst: Symbol, Technik, Sprache; Hamburg 1995, S.52 , erstmals 1930

7 Eyth, Max: Philosophie des Erfindens; in: Eyth, Max: Lebendige Kräfte. Sieben Vorträge aus dem Gebiete der Technik; Berlin 1924, S.1f.

8 Eyth, Max: Wort und Werkzeug; in: Weihe, Carl: Max Eyth, Berlin 1922, S.72

9 Eyth, Max: Wort und Werkzeug; in: Weihe, Carl: Max Eyth, Berlin 1922, S.96f.

10 Frazer sieht im der Magier nichts anderes als den ersten Experimentalphysiker der Geschichte. Wie dieser sehe jener den Kosmos als fest umrissene Entität, dem durch zielgerichtete Handlungen gewisse Wirkungen abgerungen werden sollen; vgl: Frazer, James Georg: The Goulden Bough: A Study in Magic and Religion. London 1911. S52 ff.

11 Kleist, Heinrich von: Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden in Kleist, Heinrich von: Sämtliche Erzählungen und andere Prosa. Stuttgart 1984

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