From Outer Space:
Architekturtheorie außerhalb der Disziplin

10. Jg., Heft 2
September 2006
   

 

___Christina Threuter
Trier
  Stoffwechsel[1]:
Moderne Architektur als Bild

 

   

Die paradigmatische Forderung nach einer „Wende zum Bild“ beschäftigt seit den 1990er  Jahren die unterschiedlichsten akademischen Zirkel der Kunstgeschichte. Ausgelöst wurde diese methodische Grundsatzdebatte durch die Wendungen vom „linguistic turn“[2], denen W. J. T. Mitchell mit der Entgegnung der Kunstgeschichte als einer Bildwissenschaft, d. h. dem „pictorial turn“ geantwortet hat.[3] Seit geraumer Zeit ist das Interesse am Bild, seiner Theorie und Geschichte, der Ergründung seiner „eigenen Logik“, die von der Wahrnehmung strukturiert wird, enorm groß: formuliert wird dieses Interesse mit den paradigmatischen Begriffen vom pictorial oder auch iconic turn.[4] Es scheint aufgrund der fortschreitenden Medialisierung unserer Gesellschaft und der Zirkulation kulturindustriell erzeugter Bilder notwendig geworden zu sein, Kunstgeschichte als die Wissenschaft vom Bild gegen den „linguistic turn“ mit seinen Modellen von „Textualität“, der Semiotik, Rhetorik und Linguistik, zu verteidigen. Überwunden werden soll die „theoretische Marginalität“[5] der Kunstgeschichte und sie soll als eigenständige, durch die Bilderflut lotsende Disziplin - erweitert um einen interdisziplinären Verständnishorizont[6] - bestehen können. Im Zuge des Vormarschs der Cultural und Visual Studies, den wissenschaftlichen Analysen von Alltagskultur, ethnischer, kultureller sowie geschlechtlicher Differenz, scheint die Gefahr groß, dass mit dem Aufgehen der Bilder in der „Vorherrschaft des Sprachlichen“[7] der Wissenschaft von der Kunstgeschichte die tradierten Forschungsgegenstände (sowohl die Objekte als auch die Subjekte) oder auch ihre Hierarchisierungen durch die Grenzauflösungen von „High“ und „Low“ verloren gehen könnten.[8]
Dekonstruktivistische und strukturalistische Konzepte haben sich nicht nur in der Kunstwissenschaft sondern ebenso im Bereich der Architekturtheorie und in der baulichen Praxis in dem Zeitraum der 1960er bis in die 1980er Jahre methodisch Geltung verschafft. Durch semiologische sowie (post-)strukturalistische Verfahrensweisen wurde es möglich, die Kritik am Funktionalismus der modernen Architektur mittels seiner ästhetischen sowie soziologischen Defizite deutlich zu machen und darüber hinaus mit der ideologisch verfestigten Kulturkritik der Nachkriegszeit zu brechen. Jörg H. Gleiter schreibt:

„Der linguistic turn, so wie er 1967von Richard Rorty verkündet wurde, wurde zum Gründungsimpuls und zur Basiswissenschaft der Architekturtheorie und löste die vordem neo-marxistischen Kulturtheorien ab. Sowohl Robert Venturi, Charles Jencks, Heinrich Klotz wie auch Peter Eisenman, um nur einige zu nennen, gründeten ihre theoretischen Positionen auf der Semiotik und den strukturalistischen Analysemethoden.“[9]
 

Seit etwa Anfang der 1990er Jahre bedienen sich im deutschsprachigen Raum feministische Forschungen zur modernen Architektur vor allem poststrukturalistisch und dekonstruktivistisch orientierter Analysemethoden. Sprachwissenschaftliche Konzepte haben sich dabei als wichtige Instrumente zur Hinterfragung der geschlechtlichen, sozialen und kulturellen Ordnungen sowie ihrer Institutionen und Kontrollmechanismen anhand visueller Repräsentationen moderner Architektur erwiesen.[10]
Die diskursanalytisch orientierte Geschlechterforschung im Bereich der Architektur knüpft hierbei insbesondere an neuere Raumdiskurse an und thematisiert den baulich umgrenzten und organisierten Raum als eine Kategorie, die eng mit Vorstellungen von Geschlechteridentitäten verknüpft ist. Sie konfrontiert damit die tradierte Architekturhistoriographie der Moderne, in der hauptsächlich die fortschrittliche und paradigmatische Erzählung eines neutralen Raumes vorherrscht, mit einer komplexen Geschichte des modernen Raumes als geschlechtlich, sozial und kulturell strukturierten Bezugssystemen. Sie knüpft hier vor allem an die Prämisse an, dass Raum nur eine vermeintlich neutrale Kategorie ist, wie Michel Foucault 1967[11] oder auch Henry Lefebvre 1974 in „La production de l’espace“ herausgestellt haben.[12] Foucaults Verweis auf eine räumliche Ordnung sozialer Verhältnisse und auf den Raum als eine Konfiguration von Beziehungen, die in einer „Gemengelage (...) Platzierungen definieren, die nicht aufeinander zurückzuführen und nicht miteinander zu vereinen sind“ ermöglicht es dabei, weg vom Denken des Raumes als einer vom selbst bestimmten Subjekt und rein mathematischen, tektonischen sowie materiell bestimmbaren physikalischen Größe zu führen.[13] Darüber hinaus hat es der von einer kulturwissenschaftlichen Betrachtung ausgehende Aspekt, dass der architektonische Raum von den Praktiken seiner Produktion, seines Gebrauchs und seiner Rezeption her zu bestimmen sei, seit den 1980er Jahren möglich gemacht, Raum als Beziehungsgefüge, der sich über Handlung, Bewegung und Wahrnehmung herstellt, in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken.[14] Heute wird im Zuge der postmodernen globalen geopolitischen Strategien vor allem auch nach den Elementen einer räumlichen Identität sowie nach deren kulturellen, sozialen und politischen Implikationen gefragt. Die kritischen Raumdiskurse (u. a. Michel Foucault, Henri Levebfre, Rosalyn Deutsche, Irit Rogoff) insistieren darauf, dass Räume stets differenziert sind, da sie von vielfältigen sozialen Beziehungen und Subjektivitäten in dynamischen Prozessen hervorgebracht werden.
Die Frage nach den Verflechtungen von Identität und Raum fußt so auf der Prämisse, dass gerade auch die räumliche Organisation von Subjektentwürfen einen wesentlichen Bestandteil bei der Herstellung kultureller und sozialer, hierarchisch organisierter und geschlechtlich markierter Verhältnisse bildet. Dieses Konzept von Raum bezieht sich  nicht nur auf nationale oder auch ethnische Räume, sondern auch auf den architektonischen Raum, da sich in ihm – im Sinne einer visuellen Bedeutungsproduktion - soziale und kulturelle Verhältnisse bzw. Beziehungen materialisieren.

Einen Paradigmenwechsel zur kritischen Bildtheorie in der Architektur forderte in der Wolkenkuckucksheim-Ausgabe vom März 2005 Jörg H. Gleiter in seinen Ausführungen zur „Architekturtheorie heute“, indem er an den Ausruf des picturial bzw. iconic turn in der Kunstgeschichte anknüpft: „Mit dem iconic turn ist die Architekturtheorie zu einem eigenen, kritischen Bilddiskurs aufgefordert – mit all seinen sozialen, ästhetischen und technologischen Implikationen.“ Auch für die Architektur als die „materiellste aller kulturellen Praktiken“[15] soll die Frage nach den Bildpraktiken gelten:

„Gegen die Prädominanz der Materialität, der Körperdiskurse und Performativität und auch gegen die Ontologisierungsversuche der Architektur allein im Raum drängt sich die Frage ins Bewusstsein, ob und inwiefern denn nicht die Architekturpraxis immer auch Bildpraxis und Architekturtheorie nicht immer auch Bildtheorie ist und seit Vitruv vielleicht immer schon war.“[16]

Mit dieser Forderung geht es Gleiter besonders vor dem Hintergrund der „Verflüchtigung der Realität in der Virtualität der neuen Medientechnologien“ um einen „radikalen Wandel des ontologischen Status der Architektur“,

„wo sie doch für dauerhafte Gründung und Fundament, Standhaftigkeit und Konstruktion stand“. Heute dagegen mit der Liquidisierung der Grenzen zwischen Objekt- und Bilderwelt im Kontext des iconic turn scheint dies radikal in Frage gestellt. Es kehrt in gewendeter Form die Frage zurück, was die Architektur denn nun wirklich ist, mehr Objekt oder mehr Bild, mehr Realität oder mehr Fiktion, mehr materielles Sein oder mehr flüchtiger Schein.“[17]

Auch ich möchte die kunst- und architekturwissenschaftlichen Debatten um den Status und die Funktionsweisen des Bildes als Chance – für eine historische Architekturforschung - nutzen: Allerdings nicht um eine dichotome Trennung zwischen materialem Objekt und fiktionalem Bild zu bestätigen und auch nicht, um im Anschluss an die Frage nach dem Wesen des Bildes zu klären, was das Wesen der Architektur denn nun wirklich ist oder auch worin die genuine Logik der Architektur besteht. Vielmehr liegt mir daran, anhand des Bildes von Architektur die diskursiven Praktiken, die Geschlecht, Körper und architektonischen Raum hervorbringen, zu analysieren, um den Geflechten architektonisch-künstlerischer sowie sozialer Praxen, ihren medialen Repräsentationen im Bild der modernen Architektur nachzugehen.
Dabei geht es mir nicht darum, eine Festlegung des Bildbegriffs vorzunehmen, sondern vielmehr stelle ich die Frage nach der Wirkmacht der Bilder von Architektur und den um sie und mit ihnen geführten Diskursen. Die Wendung Architektur als Bild bezieht sich hierbei nicht auf ein Verständnis vom Bild als einem autoritären Bedeutungsträger sondern sie impliziert die Frage nach dem Status des Bildes in der Architektur. Mit ihr verbunden ist die Forderung nach einer kritischen Analyse in Bezug auf mythische Konstruktionen von moderner Architektur und Raum, d. h. den Strategien visueller Repräsentationen, wie sie die Bildproduktionen von Architektur in der Rezeption – der Betrachtung, dem Reden und Schreiben über Architektur – hervorrufen. Besonders beschäftigt mich hier die Frage nach den Vorstellungen vom Körper und seinem Geschlecht als einem Produkt und Effekt des Mediums Bild.


Durch die Strategien der modernen Architekturavantgarden ihre Architekturkonzepte als ästhetische, materielle und konstruktive Umwälzungen, als universell gültigen Ausdruck des modernen Menschen, seiner „Befreiung“ von überkommenen Lebensmodellen und Wohnformen und somit als Traditions- und Epochenbruch zu konstruieren, arbeiteten sie aktiv an ihrer Geschichtsschreibung mit; diese besteht bis heute - zum Teil ungebrochen - als patriarchaler Meisterdiskurs fort. Hierzu zählen als architekturhistorische Paradigmen der Moderne insbesondere die Behauptungen, dass die moderne rationalistische Architektur in ihrer Abkehr von ikonographisch tradierten (Be-)Deutungsmodellen, bspw. dem Ornament, einen Universalismus im Bild der Mechanisierung (Serialisierung, Typisierung, Standardisierung, Rationalisierung) vollzogen habe oder auch, dass sie architektonischen Raum und Körper dynamisiert und von Materialität befreit habe. Es handelt sich bei diesen Erzählungen von der Transparenz des modernen Raums sowie der Proklamation eines universalen Subjektbegriffs um mythische Konstruktionen moderner Architektur. Sie sind bedingt von der den Architekturdiskurs bestimmenden Vorstellung einer modernen Architektur des Raumes, die von Historizität befreit und daher universell begründet sei.
Dabei dient gerade der Mythos des Universellen dazu, essentialisierte Postulate des Modells binärer Geschlechterdifferenz im Bild der Architektur zu festigen. Dieser These möchte ich im Folgenden anhand der Kategorien des Geschlechts und des Raumes als einem strukturellen Beziehungsgefüge nachgehen, um die diskursiv erzeugte, geschlechtliche Strukturierung architektonischer Räume aufzuzeigen. Ausgangspunkt dieser Analyse werden „Bilder von Architektur“ sein; im Sinne von geschlechtlich strukturierten, medial vermittelten Formationen.


Besonders in den modernen Debatten um das Ornament spiegelt sich die mythische Konstruktion von Rationalisierung und Universalisierung in der Architektur und ihrer Theorie entsprechend der Industrialisierung bzw. Technisierung der modernen Lebenswelt wider. So nimmt das Ornament in dem Architekturdiskurs der frühen Moderne vor allem in Bezug auf die Kritik gegen das naturalisierende Ornament und gegen den Begriff der Dekoration des späten Historismus eine zentrale Rolle ein. Im Zuge der Diskussionen um Zweck- und Schmuckform in der Architektur und den Angewandten Künsten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wird die Frage um das Ornament in der Zeit um 1900 zum zentralen Austragungsgegenstand der Prämissen einer künstlerischen Reform. Diese künstlerische Neuordnung beansprucht eine Lebensreform herbeizuführen. Sie verfolgt den soziokulturellen Anspruch, Vorreiter einer zukünftigen gesellschaftlich-kulturellen Praxis zu sein.
Als die prominentesten westlichen Streiter um das Ornament im frühen 20. Jahrhundert gelten Henry van de Velde und Adolf Loos; architekturgeschichtlich werden sie in der Ornamentfrage als Antipoden angesehen.

 

Stoffwechsel: Henry van de Velde, Maria Sèthe und Haus Bloemenwerf
 

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Abbildung 1:
Haus Bloemenwerf, Uccle, um 1896
 
  Ich beginne mit dem Maler, Angewandten Künstler und Architekten Henry van de Velde, da er mit dem Entwurf seines ersten Wohnhauses „Bloemenwerf“ in Uccle, nahe bei Brüssel, aus dem Jahr 1896 wegbereitend für den „Durchbruch von Vernunft und Sachlichkeit" gewesen sei. (Abb.1) Mit dem Bau dieses Hauses gilt er als der Initiator der modernen funktionalen Architektur in Abkehr vom dekorationsreichen Stileklektizismus des 19. Jahrhunderts.[18]
Henry van de Velde wandte sich in seinen Schriften für einen „Neuen Stil“ vor allem gegen das „nachahmend naturalistische“ Ornament mit dem Argument, dass es „willkürlich gesetzt“ sei und damit den modernen, technisierten „Konstruktionsprinzipien“ aller künstlerisch gestalteten Gegenstände widerspreche. Er plädierte dafür, dass die Konstruktionsmittel und die Tektonik künstlerischer Gestaltungen sichtbar bleiben und von der hinzugefügten textilen, ornamentierten Oberfläche unterstützt werden sollten. Einzig, im abstrakten Ornament sah er diese Möglichkeit gegeben. Der „neue Stil“, den van de Velde für alle Kunstgattungen und für die alltäglichen Gebrauchsgegenstände proklamierte, solle sich durch eine rationalisierte Ornamentik auszeichnen.[19] In einer abstrakten linearen Ornamentik sah er die Trägerin der umfassenden (Lebens-)Reform. Erst mit ihr gelänge es, der künstlerischen Form Schönheit und Zweckmäßigkeit „als ein Symbol ihres tektonischen Zweckes“ zu verleihen.
 
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Abbildung 2:
Maria Sèthe in der Halle von Haus Bloemenwerf, um 1900 (publiziert in „Dekorative Kunst“, 1901)
 
 

Henry van de Velde exemplifizierte seinen „Neuen Stil“, der auf der Verwendung einer abstrakten Ornamentik gründet, insbesondere in seinen Schriften zu den so genannten Künstlerkleid-Entwürfen, den von Künstlern gestalteten Kleidern. Van de Veldes wichtigste Mitarbeiterin und Ehefrau Maria Séthe, die wie er ihre künstlerische Tätigkeit als Malerin begonnen hatte, war über lange Jahre seine wichtigste Mitstreiterin in der Proklamation des „Neuen Stils“.[20] Sie arbeitete künstlerisch an der Konzeption des Hauses Bloemenwerf mit, verfasste als Autorin Beiträge zu den Künstlerkleid-Entwürfen und sie trat darüber hinaus in der Präsentation des Künstlerkleides als das bevorzugte Mannequin öffentlich in Erscheinung.[21] Das Haus Bloemenwerf nahm in diesen fotografischen Mode-Inszenierungen eine zentrale Rolle als Präsentationsraum ein. Die Fotografien, die u. a. in der renommierten Zeitschrift „Dekorative Kunst“ publiziert wurden, wurden vorzugsweise im zentralen Raum des Hauses Bloemenwerf, in der über beide Geschosse gehenden Halle gemacht: Van de Veldes und Maria Sèthes Reformvorschläge für die neue Frauen-Kleidung gehen auf diese Weise durch das fotografische Medium in dem Bild des modernen Hauses und seines Interieurs auf. Im Sinne der proklamierten Synthese von Leben und Werk überlagern sich hierbei der architektonische Raum des Hauses und der posierende Körper der Maria Séthe im modernen Kleid, das sich wie die übrige (innen-)architektonische Gestaltung durch seine rationalisierte Ornamentik und „Tektonik“ auszeichnet. (Abb.2) Van de Velde bezeichnete die Reform der Frauenkleidung als längst überfällig und dies nicht nur aufgrund der Ideale der künstlerischen Reformbewegungen, die die Dinge des alltäglichen Gebrauchs ohnehin einschlossen, sondern auch um der „Tyrannei der Mode“ zu entgegnen. Mode war für ihn: „... die grosse Feindin, die auch die Ursache des Verfalls aller ornamentalen und industriellen Künste war und selbst die so genannte hohe Kunst zur Entartung führte.“ Van de Velde und Maria Sèthe wandten sich nicht nur gegen schnelllebige Mode-Diktate, sondern auch gegen den stilistischen Eklektizismus des 19. Jahrhunderts, den sie als modische Maskerade verurteilten.[22]
Im Kontext der Architekturtheorie des 19. Jahrhunderts wird deutlich, dass van de Velde an Gottfried Sempers (1803-1879) evolutionsgeschichtlich begründetes Modell vom „Ursprung der Kunst“ anknüpfte, indem er gestalterische Prinzipien auf eine quasi naturgesetzliche, da schöpfungsgeschichtlich und naturwissenschaftlich legitimierte Grundlage zurückführte. Van de Velde folgte hierin den Initiatoren der Arts- and Crafts-Bewegung, die dem Ornament den Status einer der geschichtlich ältesten Kunstformen zuwiesen und es so gegenüber allem Flüchtigen beziehungsweise Modischen abgrenzten.[23] Darüber hinaus erhoben sie das Prinzip der Bekleidung zum genuinen Merkmal der Gestaltung über alle Kunstgattungen hinweg. Auf dieses Prinzip gründete van de Velde seine Kritik an den modisch „verkleideten“ Gegenständen des täglichen Gebrauchs: Ausgehend von der Textilkunst als einer der ältesten Kulturleistungen hatte Gottfried Semper bereits die Bekleidung von Körpern analog zur Bekleidung von Architektur oder von Gebrauchsgegenständen durch das 'Material' gesetzt. Ähnlich wie William Morris und John Ruskin hatte er hier eine Möglichkeit gesehen, das durch die industrielle Massenproduktion 'herabgewirtschaftete' Ornament und damit das Kunsthandwerk generell gegenüber den 'hohen Künsten' aufzuwerten. Auf der Basis eines evolutionsgeschichtlichen Ansatzes, den er aus einem allgemein menschlichen „Bedürfnis nach Schutz“ und aus der kulturellen Praxis des Handwerks ableitete, entwickelte er seine Auffassung: Zu „Urzeiten der menschlichen Gesellschaft“ habe sich aus der Technik des Webens die textile Wandverkleidung, in Form einer Matte oder eines Teppichs, entwickelt. Die aus dem konstruktiven Gerüst bestehende (vitruvianische) 'Urhütte' erhielt auf diese Weise einen Raumabschluss, der die Menschen vor jeglicher Wetterlage schützte. Der Rückführung der Wand auf einen textilen, kunstgewerblichen Ursprung habe das Bedürfnis entsprochen, die Wand mit der „Malerei des Teppichs“ zu verzieren, in Analogie zur kulturellen Praxis des Tätowierens, bei welcher die Ornamente auf der Haut auch aus Fäden gebildet würden.[24] Gerade dieser Aspekt des Semperschen Modells vom Ursprung der Kunst hielt für van de Velde die grundlegende Argumentation bereit: Indem die Haut als Bekleidung des Körpers angesehen wird, die in ihrer prähistorischen Form eine Ornamentierung durch die Tätowierung erhielt, ist es im Sinne des evolutionistischen Modells nur zwangsläufig, dass diese Kleidung im Verlaufe der Zeit eine Entwicklung hin zur Ausdifferenzierung des Materials erfuhr.
Entsprechend dem evolutionistischen Modell ist die Ausbildung des „Neuen Stils“ somit (gewissermaßen zwangsläufig) entwicklungsgeschichtlich festgeschrieben und verhält sich dementsprechend 'fortschrittlich' und modern, aber keinesfalls modisch. Van de Velde konnte diesem Konzept folgend schreiben:

„Erst in neuester Zeit sind die Künstler zum Bewusstsein ihrer wahren Aufgabe gelangt. (...) So machten sie - eingedenk der Bedeutung, die das Handwerk in der alten Zeit gehabt hat - die Veredelung des Kunsthandwerks zu ihrer Aufgabe und gingen dabei, ohne es zu wissen, in derselben Weise vor wie der primitive Mensch, der zuerst, nachdem er für Nahrung gesorgt hat, daran denkt, sich ein Dach zu bauen, dann, um sein Weib zu gewinnen, sich zu schmücken, und endlich, sich vor Wind und Wetter durch Kleidung zu schützen. Ebenso hat die neuzeitige Wiedergeburt der angewandten Kunst sich zuerst mit der Architektur, dann mit dem Mobiliar und allem, was dazu gehört, den Gebrauchs- und Schmuckgegenständen beschäftigt und geht nun zu ihrer letzten Eroberung, der Kleidung, über.“[25]

Im Rekurs auf George H. Darwin, der in einer Abhandlung von 1872 die Evolutionstheorie seines Vaters, Charles H. Darwin, auf die Kleidung anwandte, untermauerte van de Velde dieses Konzept weiter:

„Unsere Aufgabe kann es nur sein, die überflüssigen Elemente und Rudimente früherer Teile der Bekleidung zu erkennen. Denn je mehr wir einsehen lernen, dass sie unter Bedingungen entstanden sind, die nicht mehr existieren, um desto leichter werden wir uns von ihnen befreien.“[26]


Um das „organische Gefüge" der Kleidung wiederherzustellen und sie dem modernen, technisierten Leben anzupassen, empfahl van de Velde die Anwendung des „Konstruktionsprinzips“ für die Kleidung. Genauso wie bei allen anderen künstlerisch behandelten Gegenständen sollte das „Gerüst“, die Tektonik sichtbar bleiben und von der hinzugefügten textilen, ornamentierten Oberfläche unterstützt werden:

„Wir müssen auch die Kleidung allgemeinen tektonischen Prinzipien unterwerfen. Unsere Schöpfungen auf  diesem Gebiet müssen in ihrem Aussehen einen folgerichtigen Aufbau bekunden, der die bestimmenden Zwecke und die angewandten Konstruktionsmittel deutlich hervortreten lässt.“[27]
 

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Abbildung 3:
Blaues Tea-Gown, um 1895
 
 

Dies gelänge, indem man die Nähte als die Verbindungsmittel des Kleides hervorhebe (Aufrichtigkeit der Ausführung) und indem man den textilen Stoff in seiner Beschaffenheit betone (Materialgerechtheit). Weiterhin könne lediglich durch die Verwendung des abstrakten Ornaments – im Gegensatz zum „willkürlich gesetzten“, "nachahmend naturalistischen"[28] Ornament – die Tektonik des Körpers zum Ausdruck gebracht werden; dies liege an der Eigengesetzlichkeit des abstrakten Ornaments, das die „Möglichkeit des freien Spiels der Glieder und Gelenke und der Bewegung des menschlichen Körpers, den die Kleidung bedecken aber nicht verstecken soll[29], biete. (Abb.3)
Wie alle anderen Künstler der Reformbewegung, die sich mit Kleidung auseinander setzten[30], bspw. William und Jane Morris, Hermann und Anna Muthesius, Peter und Lili Behrens, Josef Hoffmann, Adolf Loos oder auch Paul Schultze-Naumburg, exemplifizierte van de Velde seine Theorie ausschließlich anhand der Frauenbekleidung.

Die Notwendigkeit einer solchen Reform rechtfertigte er aus der Einsicht, dass sich die „Männer (...) weniger gefallen lassen wollen und sich in ihren Kleidungen bequem fühlen wollen. Sie wollen in ihren Bewegungen nicht gehemmt, in ihren Bewegungen nicht belästigt sein. Wir Männer sind weniger geduldig, und dieser Zug unseres Charakters hat es verhindert, dass die Schneider in ihren Erfindungen zu weit gingen."

Dagegen stehe es mit der Frau anders, sie nehme

„um sich zu gefallen (...) körperliche Unannehmlichkeiten auf sich" und als "Material" des Schneiders, kenne "ihre Geduld und Passivität (...) keine Grenzen“[31].

Die These, dass der Charakter von Frauen eine Tendenz zur Passivität aufweise, während Männern eine aktive Vorreiterrolle an gesellschaftlichen Veränderungen zukomme, schließt an die verschiedensten zeitgenössischen Diskurse an, die auf der vermeintlich wissenschaftlich begründeten, generellen Unterschiedlichkeit der Geschlechter und in der Polarisierung ihrer Charaktere basieren. Diese wissenschaftlich begründete Ausdifferenzierung der Geschlechtercharaktere setzte bereits im späten 18. Jahrhundert ein[32], und im Verlaufe des 19. Jahrhunderts waren nicht nur Mediziner zu der Ansicht gelangt, dass die Entwicklung der Frau auf einer unteren Evolutionsstufe zum Stillstand gekommen sei, sondern auch in philosophischen und anthropologischen Untersuchungen wurde auf die inferiore körperliche und geistige Natur der Frau hingewiesen. Zunehmend entstanden um 1900 Abhandlungen, die zu Standardwerken der noch jungen Wissenschaften der Anthropologie, der Psychiatrie, der Psychologie und der Sexualwissenschaften avancierten und sich mit der kulturellen Bedeutung von Geschlechtsidentitäten auseinander setzten.[33] In den meisten dieser Schriften zu Fragen über die Natur und Kultur des Weibes, über die Rolle von Erotik und Sexualität in der Gesellschaft und über das Wesen der Frau, zeigt sich die Stigmatisierung und Reduzierung des Bildes von der Frau auf das Geschlechtliche. Zwischen Misogynie und Dämonisierung des Weiblichen wurde die allgemein zu dieser Zeit entfesselte Frauenfrage zur sexuellen Frage. In den Ausführungen der Anthropologen Cesare Lombroso und Guglielmo Ferrero[34] beispielsweise erfuhr das Weibliche über die Feststellung seiner geistigen und biologischen Minderwertigkeit hinaus, eine medizinisch begründete Pathologisierung und Kriminalisierung aufgrund seiner Sexualität: Seine vermeintlich sexuelle Zügellosigkeit, seine im Geschlechtswesen selbst begründete Triebhaftigkeit, zeige, dass das Weibliche von Grund auf atavistisch und der Mann hingegen in seiner kulturellen Entwicklung weit fortgeschritten sei. Die biologistischen Konstruktionen von Weiblichkeit fanden auch Eingang in die Kunstdebatten und auf diese Weise wurde der vermeintliche Atavismus der Frau, der sich grundlegend in ihrer schmuckfreudigen Kleidung zeige, mit dem Atavismus, der in der Ornamentik als solcher auch in der Kunst zum Ausdruck komme, gleichgesetzt.[35]
Vor diesem Kontext erhalten die Äußerungen van de Veldes zur Ornamentik des „neuen Stils“ eine grundlegend soziokulturelle Bedeutung und eine polarisierend geschlechtliche Konnotation. Van de Veldes Kategorisierung des neuen Ornaments als vernünftig, logisch und schön im Dienste des Gesunden, Starken, Zweckmäßigen und Geistvollen zeigt, dass ihr eine biologistisch-darwinistische Selektionstheorie zugrunde liegt. Um die Verwendung des Ornaments zu legitimieren, griff van de Velde nach einer aus dem medizinisch-naturwissenschaftlichen Bereich stammenden Sprache. In diesem Sinne kann nur das Gesunde, Starke existieren, während das aus dem Empfinden Resultierende flüchtig und daher nicht überlebensfähig ist[36]; die geschlechtliche Konnotation in den dichotom gedachten Charakteren von beispielsweise männlich gleich rational und weiblich gleich emotional scheint hier gleichfalls auf. Damit wird das nach van de Velde „nachahmend, naturalistische“ Ornament, das den Historismus des 19. Jahrhunderts bestimmte, feminisiert und sexualisiert, während das rationale Ornament, das den „neuen Stil“ bestimmen soll, männlich konnotiert wird. Auch die Proklamation der „vernünftigen Toilette" durch Henry van de Velde ist fest in den zeitgenössischen Diskursen über Sexualität und Weiblichkeit und in den heftig geführten Debatten um Kunst und Sittlichkeit[37] verankert. Der „Universalhistoriker“[38] und Verfasser der Sittengeschichte[39] des 19. Jahrhunderts Eduard Fuchs zum Beispiel konstatierte in einem ebenfalls auf Naturgesetze rekurrierenden, als Prozess geschilderten Abriss der geschichtlichen Entwicklung von Gesetzmäßigkeiten der Mode:

„Der oberste, oder, noch richtiger gesagt, der fast ausschließliche Zweck der dekorativen Ausgestaltung der Bekleidung der Frau ist die pointierte Herausarbeitung der erotischen Reizwirkungen des weiblichen Körpers. Mit anderen Worten: die Kleidung der Frau ist ein erotisches Problem. Dieser Satz müßte bei jeder Geschichte der Mode obenan stehen.“[40]


Das sich im Schmuck der Frauenkleidung zeigende Bestreben nach Übertreibung - besonders der sekundären Geschlechtsmerkmale – sei nur „natürlich" und die historische Entwicklung der Kleidung sei so „das natürliche Produkt eines immanenten Naturgesetzes". Für die Frau sei dies im ständigen „skrupellosen Konkurrenzkampf“ mit anderen Frauen eine Notwendigkeit, um das Begehren des Mannes zu wecken; aber leider führe dieses „Gesetz der Mode“ zwangsläufig dazu, dass die „vernünftigsten“ Modereformen von den Frauen unbeachtet blieben. Auch Henry van de Velde sprach von den „begehrlichen Blicken des Mannes“ auf den mit Kleidung verhüllten Körper der Frau; allerdings aber übte er Kritik an der zeitgenössischen Kleidung, die die weiblichen Formen aufgrund des übertriebenen Schmuckes ignoriere:

„Wir verlangen nur, dass das Kleid das verhülle, was man etwa die körperliche Individualität nennen könnte. Im Uebrigen wird die Frau gern einwilligen, dass ihre Gestalt, ihre Formen in der Kleidung erkennbar bleiben.“[41]


Dass von den individuellen Körpermerkmalen der Frau eine Verführungsgewalt auf den Mann ausgehe, wurde naturgesetzlich gerechtfertigt, und Eduard Fuchs argumentierte in diesem Zusammenhang, dass es ein Irrtum sei – er stützte sich hier auf die wissenschaftliche Disziplin der „vergleichenden Ethnologie“ – von einem „von Uranfang angeborenen Schamgefühl“ auszugehen, das dazu führe, gewisse Körperteile zu bedecken. Vielmehr werde erst durch die Kleidung, die dazu diene, die geschlechtlichen  Körpermerkmale hervorzuheben, erotischer Reiz hervorgerufen. Nur konsequent sei dementsprechend die Übertreibung.[42] Für van de Velde war dieses Modell des erotischen Reizes der Kleidung, die die Individualität des weiblichen Körpers unterstütze, grundlegend für sein Ziel der Frauen-Kleidungsreform, und er argumentierte für einen moralischen und ästhetischen Blick[43] auf den verhüllten Körper der Frau: Moralisch ist es demzufolge, die weibliche „Tektonik“ sichtbar zu erhalten und die Kleidung selbst Gestaltungsprinzipien zu unterwerfen, die den sexuell konnotierten Schmuck, das überbordende Ornament disziplinieren oder – mit seinen Worten – rationalisieren. Damit entsprach die 'ent-sexualisierte' Frauenkleidung respektive die Ent-Sexualisierung der Frau den zeitgenössischen sittlichen Grundsätzen. Dass das Ziel der Ent-Sexualisierung auch den modernen, ästhetischen Gestaltungsprinzipien zugrunde liegt, wird in der Verschränkung vom Bild des Weiblichen mit dem Ornament in der Bekleidungstheorie deutlich.[44] Diese Analogisierung von Weiblichkeit und Sexualität mit künstlerischen Gestaltungsweisen im Modell der Zweck-, Material- und Konstruktionsgerechtheit ist grundlegend für die 'Genese' von Architektur und Angewandter Kunst in der Moderne: Hierauf beruhte van de Veldes moralischer Anspruch und eben hier lag sein Verständnis von „Ästhetik“ und „Schönheit“ begründet.


In den Modefotografien der Künstlerkleid-Entwürfe, die vorwiegend in den Räumen des eigenen Hauses aufgenommen wurden, überlagern sich diese Konnotationen des Weiblichen und des Männlichen im Bild des Präsentationsraumes Haus Bloemenwerf. Gerade mithilfe des verschiebenden Blicks beziehungsweise eines Perspektivenwechsels auf das geschlechtlich konstruierte Ornament bzw. auf geschlechtlich konstruierte Gestaltungsprinzipien schlechthin wird deutlich, wie „Körper“-(bilder) und architektonischer Raum sowie Ausstattungsgegenstände miteinander überblendet werden. Die Fokussierung auf die visuelle Repräsentation der Maria Sèthe im modernen Kleid und im modernen Raum ihres Wohnhauses macht deutlich, dass Körper und Raum mittels der fotografischen Inszenierung ein dynamisches Beziehungsgefüge bilden, welches sich durch diskursive Praktiken und soziokulturelle Einschreibungen herstellt. Es formiert sich hier ein Bild von moderner Architektur, welches auf Geschlechterkonstruktionen rekurriert.



Stoffwechsel: Adolf Loos und das Haus für Josephine Baker


Die enorme Relevanz der Bedeutungsproduktionen moderner Architektur im Bild von geschlechtlichen Konstruktionen begegnet uns auch in den Ausführungen zur Deutung und zum Stellenwert des Ornaments in der modernen Kultur von Adolf Loos. Im „Gegensatz“ zu Henry van de Velde vertrat Adolf Loos die Ansicht, dass sich die moderne Kultur durch Ornamentlosigkeit auszeichne. Wie van de Velde bezog sich auch Loos in seinen Ausführungen auf Gottfried Sempers (1803-1879) evolutionsgeschichtlich begründetes Modell vom „Ursprung der Kunst“. Allerdings aber kam Loos in seinen Überlegungen zu einem völlig anderen Ergebnis: Er stellte die Verwendung des Ornaments in der Moderne grundsätzlich in Frage, indem er sie mit der moralischen Frage nach dem kulturellen Fortschritt verband. Wie van de Velde knüpfte er an Gottfried Sempers Bekleidungstheorie, d.h. an die Debatten zu Zweck-, Material- und Konstruktionsgerechtheit an, indem er den Ursprung der Architektur auf das Bedürfnis nach Schutz und auf die Textilkunst zurückführte. Wie van de Velde begründete auch Adolf Loos seine Theorien zum Ornament auf einer kulturreformerischen Sicht und beide begründeten ihre Aufgabe moralisch, indem sie sich als Vorreiter bzw. Erzieher zur modernen Kultur und Lebensform sahen.[45] Auch Adolf Loos exemplifizierte seine Ausführungen zum Ornament unter anderem am Beispiel der Damenmode. In seinem Aufsatz „Das Prinzip der Bekleidung“ forderte er, dass die Materialien für die Kleidung, die Gebrauchsgegenstände und die Architektur dem „Gesetz“ der Materialgerechtheit zu folgen hätten. Analog der Bekleidung von Körpern setzte Loos die Be-Kleidung von Architektur oder auch von Gebrauchsgegenständen durch das „Material“. An die Stelle des Ornaments sollte das Material und seine handwerkliche Verarbeitung bzw. die Betonung der Materialbeschaffenheit selbst treten.[46]
Während für Semper das Ornament nur dort „legitim“ und „schön“ ist, wo es einem praktischen Zweck entspricht, d.h. den Zweck symbolisch veranschaulicht („Schmuckform ist letztlich Symbol der Zweckform“), lehnt Loos es als atavistisch-degeneriertes bzw. „pathologisches  Zeichen“ ab, da es den Menschen in seiner „kulturellen Entwicklung“ schädige.[47] Besonders in seinem Vortrag „ornament und verbrechen“ aus dem Jahr 1908 erklärte er die Frage nach dem Ornament zur moralisch sittlichen Kulturfrage und er erklärte, dass die „Evolution der kultur (...) gleichbedeutend mit dem entfernen des ornamentes aus dem gebrauchsgegenstande“ sei und, dass die kulturgeschichtliche Entwicklung „einen weg vom ornament zur ornamentlosigkeit“ vorschreibe. 1924 verfasste er einen weiteren Beitrag, in dem er sich – um Missverständnissen vorzubeugen - speziell mit der Ornamentfrage auseinander setzte. Den frühen Zeitpunkt seiner Erkenntnisse mystifizierend präzisierte er sein Verständnis vom Ornament:

„Vor sechsundzwanzig jahren habe ich behauptet, dass mit der entwicklung der menschheit das ornament am gebrauchsgegenstande verschwinde, eine entwicklung, die unaufhörlich konsequent fortschreitet und so natürlich ist wie der vokalschwund in den endsilben der umgangssprache. Ich habe aber niemals gemeint, was die puristen ad absurdum getrieben haben, dass das ornament konsequent abzuschaffen sei. Nur da, wo es einmal zeitnotwendig verschwunden ist, kann man es nicht wieder anbringen. (...) Was bleibt da vom ehrlichen, lebensberechtigten ornament unserer zeit als schulaufgabe übrig? Unsere erziehung beruht auf der klassischen bildung. Ein architekt ist ein maurer, der latein gelernt hat. Die modernen architekten scheinen aber mehr esperantisten zu sein. Der zeichenunterricht hat vom klassischen ornament auszugehen. Der klassische  unterrricht hat trotz der verschiedenheit der sprachen und grenzen die gemeinsamkeit der abendländischen kultur geschaffen. Ihn aufzugeben, hieße diese letzte gemeinsamkeit zerstören. Daher ist nicht nur das klassische ornament zu pflegen, sondern man beschäftige sich auch mit säulenordnungen und profilierungen.“[48]

Dass Loos die klassische Syntax beherrschte, zeigt bspw. sein Wettbewerbsentwurf für das Wiener Kriegsministerium von 1907. Die Fassadengliederung wird bestimmt von horizontal verlaufenden, schmalen, schwarzen Granitstreifen, die die gelbe Terrakotta-Verblendung durchzogen hätten, über einem rustizierten Hochparterre. 1910 berücksichtigte er bei seinem ersten Entwurf für das Haus am Michaelerplatz in Wien das „klassische ornament“ als gliederndes Fassadenelement. Loos setzte hier den Mäander als fortlaufendes, die Fassade horizontal gliederndes Element ein. In dem Sinne des Rekurs’ auf die Antike als das gemeinsame kulturelle Erbe des Abendlandes ist wohl auch der Entwurf für das Hochhaus der Chicago-Tribune anzusehen. Hier entwarf der anglo- und amerikanophile Loos eine dorische Säule als (männlich konnotiertes) Zeichen der gemeinsamen kulturellen Wurzel des westlichen Abendlandes.
Neben den mehr oder weniger abstrahierten Zitaten klassischen Formen- und Ornamentguts ließ Loos eine weitere Ausnahme in der Frage nach dem Ornament zu, nämlich für „die dinge, die der frau gehören“. Auch darauf verwies er in seinem 1924 erschienenen Beitrag „ornament und erziehung“, indem er konstatierte „das ornament im dienste der frau wird ewig leben[49].
 

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Abbildung 4:
Haus Josephine Baker, Paris, 1927 (Rekonstruktion/Modell v. G. Bittorf, M. Burer)


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Abbildung 5:
Josephine Baker
 
 

Loos’ Entwurf eines Wohnhauses für den amerikanischen Revuestar Josephine-Baker aus dem Jahr 1927 macht diese Auffassung deutlich. Er unterscheidet sich eklatant von seinen übrigen Entwürfen (Abb.4): So zeigt das Modell dieses Hauses, das nie in Auftrag gegeben und auch nicht realisiert wurde, einen Komplex aus einem rechteckigen Baukörper mit einem extravaganten runden Eckturm. Der Baukörper erhebt sich über einem hohen, weißen Sockelgeschoß und zeichnet sich durch eine regelmäßig aufeinander folgende horizontale, schwarz-weiße Streifengebung aus. Seine fast geschlossene Fassade wird lediglich von wenigen, eingeschnittenen, profillosen Fensteröffnungen durchbrochen, so dass die breiten, schwarz-weiß alternierenden Streifen durch die Geschlossenheit der Wand noch deutlicher zur Wirkung kommen. Diese Blockstreifen haben nichts mit dem – auf die Antike verweisenden Mäanderband seines ersten Entwurfs für das Michaelerhaus  gemein, sie folgen auch nicht einer klassizistischen Syntax und sie entsprechen nicht seinem Prinzip der Materialgerechtheit, d. h. der Privilegierung der Materialbeschaffenheit und seiner stofflichen bzw. sensuellen Wirkung. Vielmehr wird hier die Überlagerung vom Bild des Weiblichen mit dem des so genannten Primitiven vor dem Hintergrund der Ornamentdebatte in der Moderne auf der universalisierenden Basis der Frage nach der modernen Kultur verschränkt.
So treffen sich in der Figur der Amerikanerin Josephine Baker beide Kategorien: die des Primitiven und die der Weiblichkeit. Allein durch ihre Hautfarbe - und nicht durch ihre Nationalität - repräsentierte sie das Bild der von der euro-amerikanischen Zivilisation scheinbar unberührten, unzivilisierten wilden Frau. (Abb.5) Als Tänzerin des Danse Sauvage der Negerrevue im Théatre des Champs Elysées, der „als authentischer instinktiver schwarzer Tanz“ eigens für das Pariser Publikum konzipiert worden war[50], wurde ihr schwarzer Körper als ursprünglich-primitiver rezipiert.[51]
Diese Gleichsetzung des Weiblichen mit dem so genannten Primitiven verweist auf  verschiedene Diskurse, wie sie um die Jahrhundertwende u. a. in den intellektuellen, künstlerischen, medizinischen, sexualwissenschaftlichen und psychoanalytischen Kreisen geführt wurden.  In zahlreichen Publikationen zu Fragen über die „Natur und Kultur des Weibes“, über die Rolle von Erotik und Sexualität in der Gesellschaft und über das Wesen der Geschlechtlichkeit der Frau, die der Geistigkeit des Mannes gegenübergestellt wurde, dokumentiert sich um die Jahrhundertwende in zunehmendem Maße die Stigmatisierung und Reduzierung des Bildes von der Frau auf das Geschlechtliche. Die allgemein zu dieser Zeit entfesselte Frauenfrage wurde zur „sexuellen Frage und damit zur Frage nach dem Verhältnis der Geschlechter überhaupt. Die Evolutionslehre Darwins und Mendels Erbgesetze hatten darüber hinaus die Auseinandersetzung um die Frage nach der geistigen und biologischen Minderwertigkeit der Frau in Gang gesetzt. Den Diskussionen über Entartung und Degeneration folgten u. a. auch kriminalanthropologische Untersuchungen, die das Wesen der Frau mit dem von Verbrechern gleichsetzten.[52] Ab 1908 beschäftigte sich schließlich auch Sigmund Freud mit dem Thema Sittlichkeit und Verbrechen, basierend auf seinen Erkenntnissen zu kulturell bedingten Entwicklungsphasen des Sexualtriebes: “Unsere Kultur ist ganz allgemein auf der Unterdrückung von Trieben aufgebaut (...). Der Verzicht ist ein im Laufe der Kulturentwicklung progressiver gewesen” und “Wer kraft seiner unbeugsamen Konstitution diese Triebunterdrückung nicht mitmachen kann, steht der Gesellschaft als ‘verbrecher’ als ‘outlaw’ entgegen.”[53]
Die Ratlosigkeit in Bezug auf das Wesen der Frau suchte sich die verschiedensten Wege und die Auseinandersetzungen zum Thema Geschlecht waren zwar durch widerstreitende Meinungen gekennzeichnet, doch gemeinsam waren ihnen die typologisierenden und evolutionären Ansätze.[54] Adolf Loos’ Definition des weiblichen Geschlechtes als triebhaft, inferior und kriminell muss im Zusammenhang mit diesen Diskursen gesehen werden.
Auch seine Rezeption des Ornaments läss
t sich auf die zeitgenössische Auseinandersetzung mit der formalen Verschmelzung von Weiblichkeit und Ornament, v. a. im Wiener Jugendstil zurückführen.[55]
Zur Charakterisierung des Ornaments der Frau führte Loos an: „das ornament der frau aber entspricht im grunde dem des wilden, es hat erotische bedeutung“.[56]

Dementsprechend nahm er vom Verbot des Ornaments auch den „Primitiven“ aus:

“Der papua tätowiert seine haut, sein boot, seine ruder, kurz alles, was ihm erreichbar ist. Er ist kein verbrecher. Der moderne mensch, der sich tätowiert, ist ein verbrecher oder ein degenerierter.”[57]

Den Ursprung der Ornamentierung führte er dabei auf folgende Begebenheit zurück:

“Das erste ornament, das geboren wurde, das kreuz, war erotischen ursprungs. Das erste kunstwerk, die erste künstlerische tat, die der erste künstler, um seine überschüssigkeiten loszuwerden, an die wand schmierte. Ein horizontaler strich: das liegende weib. Ein vertikaler strich: der sie durchdringende mann.”[58]


Adolf Loos macht durch die horizontale Streifengebung des Baker-Hauses, das ich im Loos’schen Sinne als ein auf den waagrechten Balken des Kreuzes reduziertes Ornament bezeichnen möchte, nach außen kenntlich, wer Auftraggeber und Bewohner des Hauses ist: Es repräsentiert nach der Lesart Loos’ das Bild der Frau und das des „Primitiven“ - gestützt auf die zeitgenössischen Diskurse der unterschiedlichsten Bereiche, wie ich sie kurz vorgestellt habe. Die für Loos’ Architektur  einzigartige Fassadengestaltung des Hauses ist sexualisiert und im Sinne einer ungehemmten Triebhaftigkeit konnotiert: Loos hat es tätowiert, er hat es erotisch-triebhaft bekleidet und es repräsentiert seinem evolutionistischen Entwicklungsmodell zufolge Unkultur in der zivilisierten Kultur.[59] Das Haus von Josephine Baker kann dementsprechend keine Gefahr für die moderne Kultur bedeuten - im Gegenteil hier ist die Vorstellung von Primitivität und Weiblichkeit im Bild ihrer Wohnhaus-Architektur deutlich als außerhalb der Kultur stehend gekennzeichnet.
In dieser Bildproduktion von Architektur verschränken sich die Vorstellungen vom kulturellen und geschlechtlichen Körper mit dem Bild des Textilen (i. e. dem Ornament) und sie dienen dazu, die Paradigmen einer – auf der Basis des Evolutionismus – universellen sowie rationalisierten modernen Architektur zu begründen.



Stoffwechsel: Eileen Gray und ihr Wohnhaus E.1027


An einem letzten Beispiel möchte ich den Bogen von dem Ornament als einem (be-)deutenden Zeichen in der modernen Architektur hin zu einer architektonischen Bildproduktion spannen, in der sich gewissermaßen das geschlechtlich konnotierte Prinzip der Bekleidung sowie die anthropomorphe Analogisierung von  architektonischem Raum, Körper und Geschlecht verschränken.
 

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Abbildung 6:
E.1027, Roquebrune, Cap Martin, 1929
 
 

Eileen Grays Wohnhaus E.1027, das sie 1927 für sich und den Architekten Jean Badovici an der Côte d’Azur in Roquebrune errichtete, gilt in der Forschung vielfach als Beispiel einer modernen rationalen Architektur, die sich unmittelbar auf le Corbusiers 1927 erschienenes Manifest „„Fünf Punkte zu einer neuen Architektur“[60] bezieht.[61] (Abb.6) Dem lässt sich nicht nur entgegenhalten, dass Eileen Gray mit ihrer Planung und den Entwürfen für das Haus bereits 1926 begonnen hatte, sondern dass sie Le Corbusier mit ihrer Auffassung des Wohnhauses als einer Hülle des Menschen entgegnete. Sie betonte:

"Ein Haus ist keine Maschine zum Wohnen. Es ist die Hülle des Menschen, seine Erweiterung, seine Befreiung, seine geistige Ausstrahlung. Nicht nur die visuelle Harmonie, sondern die gesamte Gestaltung, alle Arbeitsbedingungen wirken zusammen, um es im tiefsten Sinn menschlich zu machen."[62]

Bei Eileen Gray klingt somit eine Auffassung von der abschirmenden und bergenden Funktion der Wohnung an, die ähnlich wie bei Adolf Loos, an Walter Benjamins Charakterisierung der Wohnung des 19. Jahrhunderts als „Gehäuse", „als Futteral des Menschen" erinnert.[63] In diesem Sinne forderte Gray:

„Man muß für den Menschen bauen, damit er für sich selbst in der architektonischen Anlage, wie in einem ihn erweiternden und ergänzenden Ganzen, die Freude des Fühlens wiederentdecken kann. So dass das Mobiliar selbst seiner Individualität verlustig geht und mit der architektonischen Anlage verschmilzt!"[64]

Gray deutete das Haus an erster Stelle über seine taktilen Beziehungen zum Körper und darüber hinaus wird es zu einer Art von Körper, analog dem organischen, sowohl in seiner inneren als auch in seiner äußeren Struktur.[65] So bemerkte sie beispielsweise zu dem architektonischen Element Fenster:

„Ein Fenster ohne Fensterläden, ist wie ein Auge ohne Augenlid."[66]

Eine weitere Körpermetapher findet sich auch auf der begrifflich-abstrakten Ebene der Bezeichnung des Hauses als E.1027, die auf das Kryptogramm der Namen beider für den Bau des Hauses verantwortlichen Personen verweist. Dabei umschließt Grays Name, den von Badovici. Das E steht für Eileen; die Zahl 10 bezeichnet den zehnten Buchstaben im Alphabet und verweist damit auf J für Jean; dementsprechend bezieht sich 2 auf den zweiten Buchstaben im Alphabet, also auf B für Badovici, und die Zahl 7 steht für G wie Gray. Synthetisiert wird hierbei die namentlich persönliche Identifikation mit der numerisch kodierten Bezeichnung von Maschinen. Greift man diese Vorstellung des Hauses metaphorisch auf, figuriert es durch die Verknüpfung des Bildes von der Maschine mit dem des personalen Körpers zu einer Art Prothese, zu einem künstlichen Körperteil.[67]

Entsprechend der bergenden und schützenden Funktion des Drinnen gegenüber dem Draußen, die das Innere des Hauses zu übernehmen habe, definierte Eileen Gray die Architektur des Hauses als eine Hülle für innere, durch die Bewegung geprägte Vorgänge und so forderte sie:

„Innerhalb des Hauses soll man sich so bewegen,  dass man auf ganz natürliche Weise den Wänden folgt, und die bildlichen Objekte sich nach und nach dem Betrachter enthüllen ...."[68]
 

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Abbildung 7:
E.1027, Wohnraum, 1929
 
 

Gray suchte also, eine Vielfältigkeit der innerräumlichen, auf den Körper bezogenen Beziehungen mittels der Innenraumgestaltung herzustellen. Diese Bezüge sollen sich zum einen durch den Menschen, der sich durch das Haus bewegt und zum anderen auch durch das Haus, das ihn in seiner Bewegung leitet, ergeben. Das Subjekt, das sich im Raum bewegt, soll in einen wechselseitigen Austausch mit den Objekten des Raumes und mit dem Raum selbst treten. Indem sie die Möbel, die sie eigens für dieses Haus entwarf, als Erweiterung der architektonischen Wände beziehungsweise als eine Auflösung der Abgrenzungen zwischen Architektur und Mobiliar nach innen ansah, verbildlichte sie die (kulturell-archaische) Metapher des Hauses als Hülle.
Durch immobile Möbel, offene oder geschlossene Einbauten, sorgte sie für eine Auflösung der Abgrenzungen zwischen architektonischer Wand und Mobiliar. Gray isolierte keinen Gegenstand, sondern sie ließ alle gestalterischen Elemente in Bezug zueinander treten. (Abb.7) Dabei wurde die geometrisch geprägte Gestaltung von Fläche und Volumen kompositorisch ineinander verschränkt und sie ging vielfältige Beziehungen und Funktionen ein. Beispielsweise korrespondierte im Wohnraum die geometrische Gestaltung einer von Gray entworfenen Seekarte mit dem Fenster, der Bettrückwand, dem Paravent und dem Heizungskörper. Diese gestalterische Aufgliederung des Raumes trug zur Verunklärung der Raumkonturen bei. Dazu traten die vielfältigen Bezüge, die sich durch die Oberflächenbehandlung der räumlichen Elemente ergaben. Für die Raumwahrnehmung bediente sie sich der sensorischen Ästhetik der Materialien: So setzte sie beispielsweise in der Gestaltung des Innenraums Textilien (Wolle, Leder, Tierfelle) in Kontrast zu spiegelnden, metallenen Oberflächen, darunter zum Beispiel Stahlrohr, Aluminium und auch Lochblech.

Die Entgrenzung zwischen Architektur und Mobiliar stimmt in Grays Konzept mit der Auflösung der Zimmer als einzelner isolierter Raumeinheiten überein. Der Wohnraum beispielsweise diente dabei mehreren Zwecken: dem Essen, Entspannen, Schlafen, Arbeiten, der Kommunikation und sogar der Körperpflege (vereint waren hier Schlaf- und Arbeitszimmer, Salon, Bad, Ankleidezimmer). Die einzelnen unterschiedlichen Nutzungszonen, der mehrfach nutzbaren Räume des Hauses E.1027, markierte sie durch unterschiedliche Deckenhöhen und Bodenfliesen, durch flexible Paravents oder auch durch immobile raumdefinierende Einbauten, wie z. B. raumgreifende Beleuchtungskörper, Schränke oder Regale. Einbauten aber auch flexible Möbelstücke dienten dabei als Erweiterungen der Wände oder umgekehrt wurden Trennwände auch als Möbel gestaltet.
 

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Abbildung 8:
E.1027, Schlafzimmer, 1929


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Abbildung 9:
E.1027, Schlafzimmer, Arbeitsbereich, 1929
 

  Gray legte Wert darauf, dass jeder Raum für sich unabhängig genutzt werden konnte und den Bewohnern oder auch Gästen das Gefühl der Intimität und eine kontemplative Rückzugsmöglichkeit bot. (Abb. 8, 9)
Eileen Gray konzipierte das Wohnhaus E.1027 als privaten und intimen Ort, als Gegenbild zur Außenwelt, und sie entwarf es darüber hinaus als „seelisches Futteral", als „Gefühlsgehäuse". Dieses Konzept des Hauses als psychisch-formativer Raum und als eine organisch-körperliche Figuration ist weiblich konnotiert. Darüber hinaus evoziert noch ein weiterer sehr wesentlicher Aspekt die Zuschreibung dieses Hauses an die Weiblichkeit Grays in der Rezeption. Es ist der des Boudoirs, des Damenzimmers des 19. Jahrhunderts, das in seiner weiblich konnotierten textilreichen Ausstattung an erster Stelle der Zerstreuung, der Verinnerlichung und der gepflegten Unterhaltung dienen sollte. Otto Mothes, einem Interieurtheoretiker des 19. Jahrhunderts zufolge, sei es entstanden aus dem „in der Frauennatur tief begründeten Bedürfnis", „sich in die Enge zurückzuziehen, um das durch aufregende Berührung mit der Außenwelt gestörte seelische Gleichgewicht wieder zu gewinnen"[69]. Darüber hinaus aber wurde das Boudoir nicht nur als Ort des luxuriösen Müßiggangs gedeutet, sondern es „gilt (...) seit seiner Entstehung als Ort der Sinnenfreude, wenn nicht gar sexuellen Ausschweifung". Hier begegnen sich die Diskurse der bürgerlich-häuslichen Weiblichkeit und des sexuell Weiblichen. Insbesondere das Ensemble von Ausstattungselementen im zentralen Wohnraum des  Hauses legt diese Deutung nahe: Seine der Ruhe und Geselligkeit dienende, luxuriöse textilreiche Ausstattung, Diwan, Kissen, Teppiche, verweist nicht nur auf das Boudoir sondern auch auf die exotistischen Vorstellungen vom sinnlich-sexualisierten Raum des orientalischen Harems. Hier wird weibliche Präsenz im Bild des Textilen verkörpert. Die erotische Konnotation der Ästhetik des Materials ist nach Sigmund Freuds psychoanalytischem Konzept, fetischistisch an weibliche Sexualität gebunden.[70]

Eileen Gray konfrontiert hier ihre Auffassung von Architektur als Ausdruck physisch-psychischer Befindlichkeit mit einer Vorstellung, die in der symbolischen  Ordnung männlich konnotierte rationale, technische Aspekte als universale (Gestaltungs-) Prinzipien – wie sie im Diskurs der rationalen modernen Architektur beziehungsweise des „befreiten wohnens“ präsent waren – betont.
 

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Abbildung 10:
Ottillinger, Eva B.: Adolf Loos.
Wohnkonzepte und Möbelentwürfe.

 

Auch Adolf Loos gab der durch das verwendete Material hervorgerufenen körperlich-sensuellen Erfahrung des Raumes Vorrang gegenüber seiner geistigen Konstruktion.[71]
Wie bereits ausgeführt ist Loos’ Privilegierung des Materials und seiner sensuellen Wirkung eng an seine – der Bekleidungstheorie Sempers folgende – Auffassung von der Hülle der Architektur als einer Bekleidung analog der Be-Kleidung von Körpern geknüpft. Von Eileen Gray sind keine Äußerungen zur Bekleidungstheorie übermittelt, dennoch stellt ihre Auffassung von der Funktion der Außenarchitektur als Hülle des Inneren eine Analogie zu ihr her. Weitere Übereinstimmungen finden sich in beider Auffassungen hinsichtlich des Bildes der metonymischen Verschiebung vom architektonischen Innenraum auf den Körper beziehungsweise auf die körperliche und sinnliche Erfahrung im Bild des Materials, seiner empfindbaren Stofflichkeit: In diesem Sinne sind beider Räume in den Worten der Architekturhistorikerin Beatriz Colomina lesbar als ein „präödipaler Raum, ein Raum vor der analytischen Distanzierung“.[72] Sowohl bei Loos als auch bei Gray erhält der Innenraum die Funktion, den Bewohnenden einzuhüllen. In diesem Sinne ist auch die Rolle des Materials, beziehungsweise die seiner Textur zu verstehen, wie es beispielsweise anhand einer Fotografie von Adolf Loos aus dem Jahr 1903 mit dem Titel „Das Schlafzimmer meiner Frau“ deutlich wird. (Abb.10) Es handelt sich hierbei um eine Darstellung des Schlafzimmers seiner Frau Lina Loos und überdies um den einzigen Raum seiner Wiener Wohnung, den Loos publizierte. Loos erzeugte hier eine  außerordentliche Vereinheitlichung des Raumes durch das textile Material, das nicht nur die Wände, sondern auch die Einrichtung beziehungsweise Ausstattungsgegenstände vollständig ver- beziehungsweise einkleidete.
In Bezugnahme auf das von Semper ausgehende Postulat der Materialgerechtheit und durch die Gleichsetzung des Textilen mit dem Bild von Weiblichkeit erscheint dieser Raum als ein – im Sinne Freuds[73] - sexualisiert weiblicher Ort im Bild des Textilen. Wie Irene Nierhaus schreibt „...wird Erotik und Lust auf sexuelle Kolonisierung des weiblichen „weißen“ Körperterritoriums bei gleichzeitiger Angst vor unregulierbarer Triebhaftigkeit [visualisiert]. Der Raum ist als Braut(gemach) lesbar ...[74]

Auch bei Eileen Gray spielte das Material eine sinnlich, körperlich erfahrbare Rolle für das Erfahren oder auch Erleben des Innenraums als einem weiblich konnotierten Raum.

Eileen Grays Wohnhaus E.1027 widerspricht zwar nicht den paradigmatischen Gestaltungsformen moderner rationalisierter Architektur aber es zeigt, dass die Überblendungen von Körper, Geschlecht und Raum konstitutiv für ihre Vorstellung von einer modernen Architektur waren; erst sie lassen diese Architektur begreif- bzw. erfassbar werden; im Sinne der Architektur als Bild.[75]

So war Grays Reflexion über die ästhetische und auch ethische Funktion moderner Architektur und schlussendlich über das Wohnen selbst, eingebunden in eine starke Kritik am modernen Rationalismus in der Architektur. Sie bezog sich hier vor allem auf den die Architekturdebatte beherrschenden Diskurs des „befreiten wohnens“, wie sie der Architekt und Architekturhistoriker Sigfrid Giedion im gleichen Jahr der Fertigstellung des Hauses E.1027 1929 in seiner gleichnamigen Publikation programmatisch auf den Punkt brachte. Unter der Prämisse einer universell strukturierten, Ratio und Technik als Leitsätze propagierenden neuen, modernen Gestaltungsordnung, die das universelle Modell eines „neuen und befreiten Menschen“  stützen sollte, wurde der Architektur und dem Wohnen hier ein zentraler Stellenwert mit dem Ziel einer umfassenden Reformierung und Synthetisierung aller gesellschaftlichen Lebensbereiche beigemessen.
Die Vorstellungen von der Entindividualisierung des modernen Neuen Menschen beziehungsweise von der „Befreiung des Individuums“[76] und einer elementaren sowie universellen Ausdrucksweise der modernen Gestaltung bestimmten den zeitgenössischen Diskurs zum „befreiten wohnen“:

„Lebenshaltung, Haus und Produktion entspringen der gleichen Quelle: dem Menschen! Ueberall ist der gleiche Mensch am Werk. Ueberall verlangen wir gleiche Gestaltungsmittel."[77]

Grays Kritik richtete sich speziell gegen diesen Universalismus und setzte ihm entgegen, dass Architektur „Seele und Individualität“ der Menschen zu berücksichtigen habe, dass also Architektur die Funktion habe, den „Bedürfnissen des Individuums Rechnung zu tragen“.[78]
Eileen Gray bezog sich in ihrer Kritik an der zeitgenössischen Architektur hauptsächlich und auch unmittelbar auf die Schriften und Proklamationen Le Corbusiers[79] Gray lehnte es konsequent ab, ästhetische Gestaltungsprinzipien in den Vordergrund der architektonischen Planung zu stellen. Sie bezog sich hier besonders auf das erklärte Ziel, künstlerische Gestaltung auf eine elementarisierte Formensprache zu reduzieren, wie sie eben zu dieser Zeit gegen Ende der zwanziger Jahre nicht nur von Le Corbusier, sondern auch von anderen Protagonisten, unter anderem von Mies van der Rohe, Walter Gropius oder wie sie auch von den Vertretern eines internationalen Konstruktivismus, beispielsweise von den Anhängern der De-Stijl-Bewegung, wie Theo van Doesburg, vertreten wurde; diese proklamierten allesamt eine typisierte und rationalisierte Formensprache.
Eileen Gray beantwortete sich die rhetorische Frage, ob diese Elementarisierung den „vordringlichen Bedürfnissen von Geist und Körper Genüge" tun könne, gleich selbst mit einem ausdrücklichen „Nein“:

„Der Mensch ist kein rein geistiges Wesen. Und wenn man diese großartigen Konstruktionen mit ihren geordneten Linien und besonders diese Innenräume sieht, fragt man sich, ob ein Mensch dort zufrieden leben kann."[80]

Dennoch aber erachtete sie diesen Schritt zur Vereinfachung und Rationalisierung in der modernen Bewegung als notwendig, um „alles Bedrückende aufzugeben, um wieder Freiheit zu erleben". Es könne sich dabei aber nur um ein vorübergehendes Stadium der „intellektuellen Kälte“ handeln, welches „zu den Gesetzen der modernen Mechanisierung“ passe beziehungsweise ihnen entspreche. Sie forderte, dass Vereinfachungen und Formeln in der Kunst weiterentwickelt und „ihre Abstraktion mit Realität („Leben“, C.T.) durchdrungen" werden sollten:

„Kunst ist nicht Ausdruck abstrakter Elemente; sie muß auch den Ausdruck konkreter Elemente und Bedürfnisse des Individuums umfassen.“ Habe man aber erkannt, dass die Technik lediglich ein Werkzeug und nicht universales Leitbild sein könne, gelte es „das menschliche Wesen in seiner plastischen Form, den menschlichen Willen hinter der materiellen Front und das Pathos des modernen Lebens wiederzuentdecken ...."

Dieses geläuterte Pathos finde sich beispielsweise in der Verwendung von  „schönem Material“ wieder. Die Aufgabe des Künstlers sei es, so Gray, der Zeit in der er lebt, Ausdruck zu verleihen:

„Jedes Kunstwerk ist symbolisch. Es vermittelt, es deutet das Wesentliche eher an, als es darzustellen. In dieser Vielzahl widersprüchlicher Elemente ist es an den Künstlern, diejenigen [Elemente, C.T.] zu finden, die den intellektuellen und emotionalen Rahmen für den Menschen als Einzelwesen und als Teil der Gesellschaft bilden."[81]

In diesem Sinne solle die ArchitektIn Verständnis haben für „Lebensbedingungen, Neigungen und Bestrebungen, der Menschen, ihrer Leidenschaften und Bedürfnisse" und sie müsse die „Bedeutung einer jeden Sache" verstehen und wissen „wie man, ohne irgendeine Ausdrucksform zu vernachlässigen, einfach und solide bleibt".[82]
Grays Kritik, dass „Technik“ und Rationalität zum Hauptaugenmerk der Architekten werde, schloss das Bestreben zur Standardisierung und Typisierung in der modernen Architektur mit ein. Le Corbusier hatte zuerst mit seinem „Domino-Haus“ 1915[83], dessen konstruktives Gerüst er aus präfabrizierten Eisenbetonteilen entwickelte und das durch seine Skelettkonstruktion eine flexible Innenraumdisposition ermöglichte, indem es die Wand als statisches Stützsystem überflüssig machte, und schließlich mit seinem Modell der „Wohnmaschine“, dem „Citrohan-Haus“, 1921, prototypisch das Typenhaus für die Serienherstellung konzipiert. Letzteres zeichne sich Le Corbusier zufolge vor allem dadurch aus, dass es – der Name, der den Automobilhersteller Citroen zitiert, weist bereits darauf hin – „ein Haus wie ein Auto“ sei,

„entworfen und durchkonstruiert wie ein Omnibus oder eine Schiffskabine. Die heutigen Wohnbedürfnisse können genau festgestellt werden und fordern eine Lösung. (...) Man muß das Haus als Wohnmaschine oder als Werkzeug betrachten.“[84]

Gray zufolge sollte der „Typus“ aber gerade nicht eine „aufs äußerste vereinfachte und für die schnelle Serienproduktion gedachte Schöpfung“ sein, sondern vielmehr solle es ein Haus sein,

„dessen Konstruktion gemäß den besten und kostengünstigsten technischen Verfahren ausgeführt wurde und dessen Architektur für eine bestimmte Situation ein Maximum an Perfektion erreicht: das heißt, es gleicht einem nicht zur unendlichen Reproduktion gedachten Modell, das aber den Bau weiterer Häuser im gleichen Geist auslösen wird."[85]

Und eben genau in diesem Sinne entspreche ihr Haus E.1027 einem „maison type“. Aufgrund ihrer grundsätzlichen Auffassung, dass jede Aufgabe ein eigenes Konzept verlange, lehnte sie die Verwendung vorfabrizierter architektonischer Elemente und Ausstattungsgegenstände, Standards, ab.[86]
Grays Architekturauffassung wandte sich also nicht prinzipiell gegen die modernen technisch-konstruktiven Errungenschaften und Baumaterialien, auch nicht gegen die moderne rationalisierte Formensprache und auch nicht gegen die wesentlichen Prinzipien des „befreiten wohnens“, das Licht, Luft und Sonne in Abkehr von der Fassadenarchitektur des 19. Jahrhunderts einforderte. Vielmehr wandte sie sich gegen die Ägide einer „Maschinenästhetik“, gegen eine universalisierende und elementarisierende Rationalisierung und Typisierung, die sich nicht nur auf Gestaltungsprinzipien bezog sondern auch auf das Konstrukt vom neuen, entindividualisierten Menschen. Sie setzte diesem Denken ihre Auffassung von einer Architektur als sinnbildlicher Ausdruck des (darin lebenden) Individuums entgegen.


Architektur als Bild
Dem architekturhistorischen Paradigma der Moderne, dass die moderne Architektur einen Universalismus im Bild der Mechanisierung (Serialisierung, Typisierung, Standardisierung, Rationalisierung) vollzogen habe, widersprechen die drei analysierten Beispiele zur modernen Wohnhausarchitektur, die einen Zeitrahmen von 1898 bis 1929 umspannen: Weder existiert in diesen Vorstellungen moderner Architektur ein universaler Subjektbegriff, noch wurde hier der architektonische Raum von Materialität befreit. Auch von einer räumlichen Transparenz, im Sinne eines „neutralen“ modernen Raums, kann bei diesen Entwürfen nicht gesprochen werden.
Vielmehr haben die Analysen der drei Wohnhäuser deutlich gemacht, dass in der Ornamentfrage und in dem damit verbundenen v. a. sensuellen Stellenwert des Materials, wie er sich in den der architektonischen Bekleidungstheorie, die zu den Grundfesten moderner rationalisierter Architektur zählt, Ausdruck verschafft, naturalisierte Postulate des Modells binärer Geschlechterdifferenz sowie auch ethnischer Differenz konstitutiv sind: Sie bestimmen hier das Bild der Architektur; im Sinne von kulturell bedingten, geschlechtlich strukturierten Formationen.


 


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Schiebinger, Londa: "The Mind Has No Sex? Women in the Origins of Modern Science. London 1989

Schulte, Birgit: "Ich bin diese Frau, die um jeden Preis Ihr Glück will ..." Maria Sèthe und Henry van de Velde – eine biographische Studie. In: Henry van de Velde. Ein europäischer Künstler seiner Zeit. Klaus-Jürgen Sembach, Birgit Schulte (Hg.). Köln 1992, S. 95-117

Semper, Gottfried: Wissenschaft, Industrie und Kunst. Braunschweig 1852

Simmel, Georg: „Befreiung des Individuums“ als Ideal. In: Der Konflikt der modernen Kultur. Ein Vortrag. Leipzig, München 1918

Stressig, Peter: Hohenhagen – „Experimentierfeld modernen Bauens“. In: Karl Ernst Osthaus. Herta Hesse-Frielinghaus (Hg.). Recklinghausen 1971, S. 385-510

Sykora, Katharina: Unheimliche Paarungen. Androidenfaszination und Geschlecht in der Fotografie. Köln 1999

 


Abbildungsnachweis:

Abb. 1: Henry van de Velde. Ein europäischer Künstler seiner Zeit. Klaus-Jürgen Sembach, Birgit Schulte (Hg.). Köln 1992, S. 105

Abb. 2: Osthaus, Karl-Ernst: Henry van de Velde. Leben und Schaffen des Künstlers (1920). Hagen 1988, S. 13

Abb. 3: Henry van de Velde. Ein europäischer Künstler seiner Zeit. Klaus-Jürgen Sembach, Birgit Schulte (Hg.). Köln 1992, S. 218

Abb. 4: Adolf Loos: Leben und Werk. Burkhard Rukschcio, Roland Schachel (Hg.). Wien 1982, S. 324

Abb. 5: Rose, Phyllis: Josephine Baker oder Wie eine Frau die Welt erobert. München 1994, S. 128

Abb. 6: Eileen Gray, Jean Badovici. Maison en bord de mer. In: L’architecture Vivante (1929). London 1975, S. 26

Abb. 7: Eileen Gray, Jean Badovici. Maison en bord de mer. In: L’architecture Vivante (1929). London 1975, S. 32

Abb. 8: Eileen Gray, Jean Badovici. Maison en bord de mer. In: L’architecture Vivante (1929). London 1975, S. 40

Abb. 9: Eileen Gray, Jean Badovici. Maison en bord de mer. In: L’architecture Vivante (1929). London 1975, S. 37

Abb. 10: Ottillinger, Eva B.: Adolf Loos. Wohnkonzepte und Möbelentwürfe. Salzburg, Wien 1994, S. 111

 

 

[1] Der Begriff Stoffwechsel wurde in Anlehnung an Gottfried Sempers Bezeichnung „Stoffwechsel“ gewählt, um die Bezüge der hier erörterten Fallstudien zur Bekleidungstheorie anzuzeigen.

[2] Rorty 1967.

[3] Vgl. Mitchell 1997, S. 15-40 und vgl. Mitchell 1996, S. 71-82

[4] Vgl. Boehm 2004, S. 28 ff und S. 40ff.

[5] Vgl. Mitchell 1997, S. 17.

[6] Diese erweiterte Perspektive sucht Fragen des Subjekts, seiner Psyche und seines sozialen Status’ zu berücksichtigen. Mitchell bspw. schlägt eine Allianz aus Ikonologie (Erwin Panofsky) und Ideologietheorie (Louis Althusser) vor, vgl. bspw. Buchmann 1997.

[7]Die Frage nach der Möglichkeit einer Bildwissenschaft oder, bescheidener, nach dem, was ein Bild sei, soll vertieft behandelt werden. Wie kann ein Nachdenken über das Bild, das nicht von vornherein unter der Vorherrschaft des Sprachlichen steht, entworfen werden? Gibt es in den Bildern Anhalte für einen ihnen innewohnenden impliziten Reflexionsgehalt? Wie ist die Spannung zwischen einem Begriff des Bildes und den vielen Bildern zu denken? (...) Unsere Frage lautet: welche Evidenz steckt im Bildprozess selbst, der die Sprache – in einiger Hinsicht – überbietet, sie ergänzt oder begleitet. Wir wollen die nichtverbale Sprache der Bilder verstehen und dafür neue wissenschaftliche Zugänge entwickeln. Die durch die digitale Wende erzeugte Bilderflut bedarf der Kompetenz der Bildkritik.“ http://www.eicones.ch

[8] vgl. hierzu Krauss 1996. Vgl. auch die Argumentationen hinsichtlich einer Etablierung der Kunstgeschichte als einer neuen Leitwissenschaft des Bildes von Sabeth Buchmann, 1997 und Sigrid Schade, 2001. Vgl. allgemein dazu auch das Themenheft der Zeitschrift Frauen Kunst Wissenschaft „Im (Be)Griff des Bildes“. Heft 35, Marburg, Juni 2003.

[9] Gleiter 2005, S. 6. Heute wird vielerseits konstatiert, dass die Architektur Ende der 1980er Jahre durch die „engführenden“ dekonstruktivistischen und strukturalistischen Konzepte aufgrund ihres unhintergehbaren ontologischen Status in die Krise stürzte.

[10] Diese Forschungen, so darf ich sicherlich behaupten, wurden aber bislang von einem Großteil der ArchitekturhistorikerInnen ignoriert, bzw. wurde feministische Forschung, die sich nicht nur durch methodischen Konsens sondern durch eine Vielfalt wissenschaftlicher Analyseinstrumentarien auszeichnet, auf den Bereich der Suche nach den (großen) Architektinnen in der Geschichte der Architektur reduziert. Nun haben aber die feministischen Forschungen ausgehend von der oben genannten – immer noch wichtigen – Spurensuche nach den Frauen an der Architekturproduktion und der Erörterung speziell feministischer Architekturplanungen in den späten 1970er und in den 1980er Jahren einen großen Schritt in Richtung der architekturhistorischen Analyse der Verschränkungen von den Kategorien des Geschlechts und denen des architektonischen Raumes – unter dem Dach der Gender Studies – im Verlauf der 90er Jahre vollzogen, vgl. zu den aktuellen Raumdiskussionen im Bereich von Architektur und Geschlecht bspw. die umfangreiche Bibliographie, die an der Universität Bremen unter der Leitung von Irene Nierhaus erstellt wurde: http://elib.suub.uni-bremen.de/publications/ELibD1164_biblio.pdf.

[11] Vgl. hier Foucault 1998, S. 38.

[12] Henri Lefebvre spricht in diesem Zusammenhang kritisch von einer Illusion der Transparenz des Raumes, vgl. Lefebvre 2001. Gerade die vorgebliche Durchsichtigkeit beziehungsweise Leere des Raumes ist, so die Kulturwissenschaftlerin Irit Rogoff „zu einem Grundpfeiler der westlichen eurozentristischen und modernistischen Wissensstrukturen geworden und hat die Annahmen von Universalismus, phallogozentrische Theorien des Blicks und die Etablierung der Kategorien des Wissens und des zu Wissenden genährt.“ Rogoff 1997, S. 54.

[13] Foucault 1978, S. 38.

[14] Vgl. de Certeau 1988, S. 12: Michel de Certeau sieht Vorgehensweisen und Handlungsmuster als operative Logiken an, die Kultur bilden; dabei steht nicht das Individuum, das Subjekt als Urheber oder Träger derselben im Vordergrund. Vgl. hierzu v. a. ebd.: „Praktiken im Raum“, S. 179-240.

[15] Gleiter 2005, S. 2.

[16] Gleiter 2005, S. 2.

[17] Gleiter 2005, S. 3.

[18] Vgl. zu Henry van de Velde als Initiator der modernen funktionalen Architektur u. a. Hüter 1992, Stressig 1971 oder auch seine Erwähnung in Überblickswerken zur modernen Architektur, beispielsweise: Hitchcock 1994, Posener 1981, Benevolo 1984 und auch Frampton 1989. Haus Bloemenwerf wird einerseits als sein architektonisches Erstlingswerk gewürdigt, und es gilt andererseits als Demonstrationsobjekt der Überwindung der Gattungshierarchien im Gesamtkunstwerk bzw. der Verwirklichung der künstlerischen Reformbewegungen und ihrer ideellen Verbindung von Kunst und Leben Das bürgerliche Wohnhaus gilt um 1900 als Träger architektonischer Gestaltungsreform.

[19] Van de Velde 1907, S. 36.

[20] Entgegen der kunsthistorischen Rezeption, die van de Velde als autonomen Künstlergenius deutet und ihn als avantgardistischen Wegbereiter ansieht, ist mit Gewissheit – nicht nur aufgrund der Memoiren van de Veldes sondern auch aufgrund des umfangreichen Briefwechsels zwischen ihm und Maria Sèthe - festzustellen, dass ihm erst die Kooperation mit Maria Sèthe zu seinem neuen Selbstverständnis als Kunsthandwerker verholfen hat. Es soll in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, dass Sèthe neben ihrer künstlerischen Tätigkeit noch zahlreiche andere Aufgaben übernahm: Sie war Ehefrau, Hausfrau und Mutter, erledigte als Sekretärin die Korrespondenz und die Übersetzung von Briefen und Schriften, sie war Vorsteherin der Werkstätten am jeweiligen Wohnort, wo sie die Entwürfe kontrollierte und die Transporte koordinierte, sie war ferner Projektleiterin der laufenden künstlerischen Aufträge und regelte die finanziellen Transaktionen, und schlussendlich agierte sie auch als Managerin, wenn es um die zumeist zähen Verhandlungen von Vertragsabschlüssen ging. Da Henry van de Velde durch seine vielen Verpflichtungen als Unternehmer, Vortragender und Lehrer häufig auf Reisen war, konnte er selten die Aufträge vor Ort in allen Details betreuen.
Während aber van de Velde zu einem der bedeutenderen Künstler – Maler, Kunsthandwerker, Architekt, Kunsttheoretiker und Lehrer – der westeuropäischen Kunstgeschichtsschreibung avancierte, ist Maria Sèthe als Künstlerin und wichtigste Mitarbeiterin ihres Mannes kaum beachtet worden. Der Frage nach ihrem Anteil an der künstlerischen Arbeit, die van de Velde als Alleinurheber zugeschrieben wird, wurde bislang nur in einem wissenschaftlichen Beitrag nachgegangen, vgl. Schulte 1992. Dies ist auch insofern erstaunlich, als Henry van de Velde in seinen viel rezipierten Memoiren zumindest für die ersten gemeinsamen Ehejahre ab 1894 explizit auf die künstlerische Tätigkeit Maria Sèthes hinweist: Er betont die Wichtigkeit ihrer Mitarbeit und hebt hervor, dass sie zu großen Teilen verantwortlich für seine künstlerische Karriere gewesen sei.
Vgl. Threuter 2001, Threuter 2006.

[21] Vgl. van de Velde, Maria 1901, van de Velde, Maria 1900.

[22] Van de Velde 1900, S. 13.

[23] Vgl. Wigley 1995, hier S. 134.

[24] Vgl. Rykwert 1983, S. 218.

[25] Van de Velde 1900, S. 6.

[26] Van de Velde 1900, S. 21.

[27] Van de Velde 1900, S. 23.

[28] Van de Velde 1918.

[29] Van de Velde 1900, S. 26.

[30] Vgl. Wigley 1995, der mit dieser Publikation ein Forschungsdesiderat aufzeigt, indem er darauf verweist, dass die Kleiderentwürfe der Protagonisten der Reformbewegung um die Jahrhundertwende in der Forschung fast gänzlich unberücksichtigt bleiben.

[31] Van de Velde 1900, S. 12.

[32] Vgl. die Ausführungen von Schiebinger 1989.

[33] Wie bspw. Otto Weiningers „Geschlecht und Charakter“ von 1910.

[34] Vgl. Lombroso / Ferrero 1894.

[35] Vgl. Hersey 1996, hier S. 139.

[36] Vgl. van de Velde 1907, S. 26f und S. 36.

[37] Vgl. zur Schönheits- und Sittlichkeitsdebatte um 1900 beispielsweise Friedrich 1997, hier vor allem ab S. 118.

[38] Vgl. Benjamin 1977.

[39] Vgl. Fuchs 1988.

[40] Fuchs 1988, S. 156.

[41] Van de Velde 1900, S. 27.

[42] Fuchs 1988, S. 156.

[43] Frauen-Mode als übertreibende Maskerade wurde um die Jahrhundertwende gleichermaßen moralisch, ästhetisch und medizinisch verurteilt: Van de Velde betonte, dass seine Kleiderentwürfe nicht mit der zeitgenössischen Reformkleidbewegung gegen das Korsett verwechselt werden sollten, da letztere „ihre Berechtigung nur in dem Kampf gegen das Korsett" suchen würden und lediglich auf die Grundsätze der Gesundheits-Lehre rekurrieren würden, vgl. van de Velde 1902, S. 366.

[44] Vgl. auch Loos: Ornament und Verbrechen (1908). 1981.

[45] Vgl. bspw. van de Velde 1918.

[46] Vgl. Loos (1898).

[47] Loos (1908) 1981.

[48] Loos (1924) 1982, S. 177, 178.

[49] Loos (1924) 1982, S. 177.

[50] Vgl. Rose 1994, S. 20

[51] Im März 1931 wurde Josephine Baker zur Königin der Kolonialausstellung gewählt. Aufgrund von Protesten, die darauf verwiesen, daß Baker, die ja Amerikanerin war, nicht aus den französischen Kolonien stammte, konnte sie diese Rolle allerdings nicht wahrnehmen. Vgl. Threuter 1999 und vgl. Rose 1994, S. 206-211 und S. 44

[52] Vgl. z. B. Lombroso / Ferrero 1894.

[53] zitiert nach Haiko / Reissberger, 1985, S. 114.

[54] Vgl. hierzu Wagner 1987, S. 80.

[55] Besonders in der Einschätzung des Literaten Ludwig Hevesi von Gustav Klimts Ornamentik „Das verruchte Ornament, wo nicht das Perverse“ spiegelt sich die Vorstellung vom Ornament als “Medium und Mittler der erotischen Verrätselung” bei Klimts Frauenfiguren wider. Die Verschmelzung von Weiblichkeit und Ornament kulminierte im Wiener Jugendstil und trug zu seiner Sexualisierung bei.

[56] Loos (1924) 1982, S. 177

[57] Loos (1908) 1981.

[58] Loos (1908) 1981.

[59] So entsprach das Bild von der schwarzen Frau nicht dem der bürgerlichen weißen Frau. Während ihr in der bürgerlichen Gesellschaft vor allem die Rolle der Ehefrau, Hausfrau und Mutter zukommt, repräsentiert die schwarze Frau universale Sexualität. In ihr verdichtet sich die kulturelle Konstruktion kolonial-rassistischer und geschlechtlicher Diskurse schlechthin, vgl. Threuter 1999.

[60] Le Corbusier hatte diese im Frühjahr 1927 in der Zeitschrift „L' Architecture Vivante“ publiziert.

[61] Vgl. Constant: Architektur und Freizeitpolitik, 1996, S. 92f. und vgl. Adam 1998, S. 193. Zwar lassen sich die wesentlichen architektonischen Elemente, die Le Corbusier appellartig und dogmatisch in diesem Programm einforderte, in Grays Architektur nachweisen, wie das nutzbare, den Wohnraum erweiternde flache Dach oder das Augenscheinlichmachen des Stützsystems durch Pilotis, doch erscheinen diese Elemente weniger im Sinne Le Corbusiers, sondern sie sind vielmehr den modernen (internationalen) Gestaltungsprinzipien verpflichtet und auch den konstruktiven Herausforderungen des Baus von E.1027 geschuldet, vgl. meine in Druckvorbereitung unpublizierte Forschungsarbeit

[62] Zitiert nach Constant: E.1027, Maison en Bord de Mer, 1996, S. 109. Diese Definition des Hauses richtete Gray explizit gegen Le Corbusiers Ansicht des Hauses als einer Wohnmaschine, das sie als "seelenlos" bezeichnete.

[63] Nierhaus 1999, S. 100.

[64] Gray/ Badovici 1996, S. 71.

[65] „If in regarding the dwelling as a living organism we have been led to adopt the current formula of the «living room», we at least sought to plan the room in such a way that each of its inhabitants could, on occasion, achieve total independence and an atmosphere of solitude and contemplation.” Zitiert nach Constant 1994, S. 241.

[66] Zitiert nach Constant 1994, S. 241.

[67] Zu den „prothetischen Objekten“ der Moderne, beispielsweise bei Le Corbusier und Sigfried Giedion, vgl. Vidler 2001, S. 201.

[68] Zitiert nach Adam 1989, S. 200, 201.

[69] Zitiert nach Rossberg 1999. Zum Boudoir und zu dem Begriff, der sich vom französischen bouder, schmollen, ableitet, vgl. auch Rossberg 1999, S. 59.

[70] Vgl. Freud 2000, S. 379-388. Einen wichtigen Stellenwert in diesem Zusammenhang nimmt auch das Element des Wassers und die Verrichtung des Badens in der gesamten Wohnhauskonzeption ein. Es dient nicht nur der Körperpflege für die hier im großen Wohnraum durch die Einrichtung einer Dusche, im großen Schlafzimmer, im Gästezimmer und im Dienstmädchenzimmer mit ihren Waschgelegenheiten und im Bad – versteht sich von selbst - mit einer Badewanne  hinreichend gesorgt wurde, sondern auch dem sinnlichen Vergnügen. Gray richtete zu diesem Zweck einen so genannten „Sun-pool“ ein, den sie als „eine Art Diwan aus abfallenden Platten zum Sonnenbaden, eine Mulde zum Im-Sand-Baden“ bezeichnete. Bereits Eileen Grays Wohnungsausstattungen in der Pariser Rue de Lota für Mme Mathieu-Lévy (1920-1924) und das Boudoir Monte Carlo (1923), bei denen es sich explizit um die Ausstattung von Damenzimmern handelt, greifen neben der geometrisch abstrahierten Formensprache stilistisch den zeitgenössischen Exotismus des mondän-bürgerlichen Art Décos auf und verknüpfen diesen durch die Feminisierung mit den erotischen Konnotationen des Boudoirs. Signifikat ist hierbei das Weibliche und dessen Signifikanten sind die Ausstattungsgegenstände, wie Paravent, Diwan oder auch Spiegel und die ihnen inhärente Ästhetik des Materials, beispielsweise Lack, Textilien, Tierfelle sowie reflektierende Oberflächen. Eileen Gray löste sich zwar im Verlaufe ihrer künstlerischen Arbeit von dem abbildenden Exotismus des Art Déco, wie er uns in den beiden Boudoirs z. B. im afrikanisierenden Hocker oder auch in der so genannten Straußenei-Lampe begegnet, doch bleiben die oben genannten Signifikanten in ihren späteren Entwürfen in einer abstrahierten oder auch geometrisierenden Formensprache in der Innenraumgestaltung und Ausstattung erhalten.

[71] Loos schrieb in diesem Sinne: „Der künstler aber, der architekt, fühlt zuerst die wirkung, die er hervorzubringen gedenkt, und sieht dann mit seinem geistigen auge die räume, die er schaffen will. Die wirkung, die er auf den beschauer ausüben will, sei es nun angst oder schrecken wie beim kerker; gottesfurcht wie bei der kirche; ehrfurcht vor der staatsgewalt wie beim regierungspalast; pietät wie beim grabmal; heimgefühl wie beim wohnhause; fröhlichkeit wie in der trinkstube; diese wirkung wird hervorgerufen durch das material und durch die form.“ Loos 1987, S. 140.

[72] Colomina 1997, S. 209.

[73] Vgl. Freud 2000, S. 379-388.

[74] Nierhaus 1999, S. 91.

[75] An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass sich Grays Haus abseits der Metropolen befindet und darüber hinaus schwer zugänglich ist, da es am Meer auf einem Felsen an der südfranzösischen Küste, in Roquebrune am Cap Martin liegt. In der Öffentlichkeit bekannt wurde es durch insgesamt 69 Fotografien sowie zahlreiche Risse, Schnitte sowie Konstruktionszeichnungen verschiedener Möbel, die in einer Sonderausgabe der Architekturzeitschrift „L’Architecture Vivante“ 1929 publiziert wurden. Eileen Gray hatte die Aufnahmen im Jahre 1929, kurz nach der Fertigstellung des Hauses selbst angefertigt. Grays Fotografien werden in Publikationen zu ihrem Werk dazu benutzt, ihr Wohnhaus, das sie von 1929 bis ca. 1934  bewohnte und das heute nicht mehr in seinem Originalzustand erhalten ist, zu dokumentieren. Ausgangspunkt dieser Darstellungen ist häufig die Annahme von einem fotografischen Verismus, der objektiven Übereinstimmung von Bild und Gegenstand. Dieser in unserer Wahrnehmung verankerte Abbildcharakter der Fotografie, das Prinzip der Reproduktion von Wirklichkeit, welches als Medium der Erinnerung benutzt wird, hat sich bereits seit einiger Zeit als Mythos fotografischer Wahrheit herausgestellt. Das Medium der Fotografie  erweist sich hier vielmehr – im Sinne von Teresa de Lauretis – als eine soziale Technik, als ein sozialer Apparat, der innerhalb der symbolischen Ordnung Effekte der Selbst-Repräsentation herstellt, vgl. de Lauretis 1987. Zu diesem historischen Komplex der Fotografie als Abbild, vgl. beispielsweise Barthes 1985, S. 95, S. 99; Rötzer 1995, S. 13-25 oder auch Amelunxen 1995, S. 117 und Iversen 2002. Zur Fotografie als „Index“ als „Spur“ bzw. „Abdruck“ des Menschen, vgl. Krauss 1998, S. 106ff, vgl. Dubois 1998, S. 49-57, vgl. auch Sykora 1999, S. 66, 67.

[76] Simmel 1918, S. 45.

[77] Giedion (1929) 1985, S. 11.

[78] Der Architekt habe demnach die Aufgabe: "an dem von ihm [dem Individuum, C.T.] bewohnten Ort bestimmte charakteristische Merkmale zu entdecken, die seiner besonderen Persönlichkeit Ausdruck verleihen." Gray / Badovici 1996, S. 69.

[79] vgl. hierzu Constant: E.1027, Maison en Bord de Mer, 1996, S. 94 und vgl. meine unpublizierte Forschungsarbeit „Architektur als Bild: Moderne Künstlerinnen und ihre Wohnhäuser“.

[80] Gray / Badovici 1996.

[81] Gray / Badovici 1996.

[82] Gray / Badovici 1996.

[83] Vgl. Le Corbusier (1922) 1963, S. 175.

[84] Le Corbusier (1922) 1963, S. 179.

[85] Gray / Badovici 1996, S. 71.

[86] Standardisierung lehnte Gray bspw. auch für Türklinken, Fensterläden, Wandschirme oder Aktenregale ab, vgl. Constant 2000, S. 246.

 


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10. Jg., Heft 2
September 2006