From Outer Space: |
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10. Jg., Heft 2 September 2006 |
___Christina
Threuter Trier |
Stoffwechsel[1]: Moderne Architektur als Bild |
Die paradigmatische Forderung nach einer „Wende zum Bild“
beschäftigt seit den 1990er Jahren die unterschiedlichsten akademischen
Zirkel der Kunstgeschichte. Ausgelöst wurde diese methodische
Grundsatzdebatte durch die Wendungen vom „linguistic turn“[2],
denen W. J. T. Mitchell mit der Entgegnung der Kunstgeschichte als einer
Bildwissenschaft, d. h. dem „pictorial turn“ geantwortet hat.[3]
Seit geraumer Zeit ist das Interesse am Bild, seiner Theorie und Geschichte,
der Ergründung seiner „eigenen Logik“, die von der Wahrnehmung strukturiert
wird, enorm groß: formuliert wird dieses Interesse mit den paradigmatischen
Begriffen vom pictorial oder auch iconic turn.[4]
Es scheint aufgrund der fortschreitenden Medialisierung unserer Gesellschaft
und der Zirkulation kulturindustriell erzeugter Bilder notwendig geworden zu
sein, Kunstgeschichte als die Wissenschaft vom Bild gegen den „linguistic
turn“ mit seinen Modellen von „Textualität“, der Semiotik, Rhetorik und
Linguistik, zu verteidigen. Überwunden werden soll die „theoretische
Marginalität“[5]
der Kunstgeschichte und sie soll als eigenständige, durch die Bilderflut
lotsende Disziplin - erweitert um einen interdisziplinären
Verständnishorizont[6]
- bestehen können. Im Zuge des Vormarschs der Cultural und Visual Studies,
den wissenschaftlichen Analysen von Alltagskultur, ethnischer, kultureller
sowie geschlechtlicher Differenz, scheint die Gefahr groß, dass mit dem
Aufgehen der Bilder in der „Vorherrschaft des Sprachlichen“[7]
der Wissenschaft von der Kunstgeschichte die tradierten
Forschungsgegenstände (sowohl die Objekte als auch die Subjekte) oder auch
ihre Hierarchisierungen durch die Grenzauflösungen von „High“ und „Low“
verloren gehen könnten.[8]
„Der linguistic turn, so wie
er 1967von Richard Rorty verkündet wurde, wurde zum Gründungsimpuls und zur
Basiswissenschaft der Architekturtheorie und löste die vordem
neo-marxistischen Kulturtheorien ab. Sowohl Robert Venturi, Charles Jencks,
Heinrich Klotz wie auch Peter Eisenman, um nur einige zu nennen, gründeten
ihre theoretischen Positionen auf der Semiotik und den strukturalistischen
Analysemethoden.“[9] Seit
etwa Anfang der 1990er Jahre bedienen sich im deutschsprachigen Raum
feministische Forschungen zur modernen Architektur vor allem
poststrukturalistisch und dekonstruktivistisch orientierter Analysemethoden.
Sprachwissenschaftliche Konzepte haben sich dabei als wichtige Instrumente
zur Hinterfragung der geschlechtlichen, sozialen und kulturellen Ordnungen
sowie ihrer Institutionen und Kontrollmechanismen anhand visueller
Repräsentationen moderner Architektur erwiesen.[10] „Gegen die Prädominanz der Materialität, der Körperdiskurse und Performativität und auch gegen die Ontologisierungsversuche der Architektur allein im Raum drängt sich die Frage ins Bewusstsein, ob und inwiefern denn nicht die Architekturpraxis immer auch Bildpraxis und Architekturtheorie nicht immer auch Bildtheorie ist und seit Vitruv vielleicht immer schon war.“[16] Mit dieser Forderung geht es Gleiter besonders vor dem Hintergrund der „Verflüchtigung der Realität in der Virtualität der neuen Medientechnologien“ um einen „radikalen Wandel des ontologischen Status der Architektur“, „wo sie doch für dauerhafte Gründung und Fundament, Standhaftigkeit und Konstruktion stand“. Heute dagegen mit der Liquidisierung der Grenzen zwischen Objekt- und Bilderwelt im Kontext des iconic turn scheint dies radikal in Frage gestellt. Es kehrt in gewendeter Form die Frage zurück, was die Architektur denn nun wirklich ist, mehr Objekt oder mehr Bild, mehr Realität oder mehr Fiktion, mehr materielles Sein oder mehr flüchtiger Schein.“[17]
Auch ich möchte die kunst- und architekturwissenschaftlichen Debatten um den
Status und die Funktionsweisen des Bildes als Chance – für eine historische
Architekturforschung - nutzen: Allerdings nicht um eine dichotome Trennung
zwischen materialem Objekt und fiktionalem Bild zu bestätigen und auch
nicht, um im Anschluss an die Frage nach dem Wesen
des Bildes zu klären, was das Wesen der Architektur denn nun wirklich
ist oder auch worin die genuine Logik der Architektur besteht. Vielmehr
liegt mir daran, anhand des Bildes von Architektur die diskursiven
Praktiken, die Geschlecht, Körper und architektonischen Raum hervorbringen,
zu analysieren, um den Geflechten architektonisch-künstlerischer sowie
sozialer Praxen, ihren medialen Repräsentationen im Bild der modernen
Architektur nachzugehen.
Stoffwechsel: Henry van de
Velde, Maria Sèthe und Haus Bloemenwerf
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Abbildung 1: Haus Bloemenwerf, Uccle, um 1896 |
Ich beginne mit dem Maler, Angewandten Künstler und
Architekten Henry van de Velde, da er mit dem Entwurf seines ersten
Wohnhauses „Bloemenwerf“ in Uccle, nahe bei Brüssel, aus dem Jahr 1896
wegbereitend für den „Durchbruch von Vernunft und Sachlichkeit" gewesen sei.
(Abb.1) Mit dem Bau dieses Hauses gilt er als der Initiator der modernen
funktionalen Architektur in Abkehr vom dekorationsreichen Stileklektizismus
des 19. Jahrhunderts.[18] Henry van de Velde wandte sich in seinen Schriften für einen „Neuen Stil“ vor allem gegen das „nachahmend naturalistische“ Ornament mit dem Argument, dass es „willkürlich gesetzt“ sei und damit den modernen, technisierten „Konstruktionsprinzipien“ aller künstlerisch gestalteten Gegenstände widerspreche. Er plädierte dafür, dass die Konstruktionsmittel und die Tektonik künstlerischer Gestaltungen sichtbar bleiben und von der hinzugefügten textilen, ornamentierten Oberfläche unterstützt werden sollten. Einzig, im abstrakten Ornament sah er diese Möglichkeit gegeben. Der „neue Stil“, den van de Velde für alle Kunstgattungen und für die alltäglichen Gebrauchsgegenstände proklamierte, solle sich durch eine rationalisierte Ornamentik auszeichnen.[19] In einer abstrakten linearen Ornamentik sah er die Trägerin der umfassenden (Lebens-)Reform. Erst mit ihr gelänge es, der künstlerischen Form Schönheit und Zweckmäßigkeit „als ein Symbol ihres tektonischen Zweckes“ zu verleihen. |
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Abbildung 2: Maria Sèthe in der Halle von Haus Bloemenwerf, um 1900 (publiziert in „Dekorative Kunst“, 1901) |
Henry van de Velde exemplifizierte seinen „Neuen Stil“, der
auf der Verwendung einer abstrakten Ornamentik gründet, insbesondere in
seinen Schriften zu den so genannten
Künstlerkleid-Entwürfen, den von Künstlern gestalteten Kleidern. Van de
Veldes wichtigste Mitarbeiterin und Ehefrau Maria Séthe, die wie er ihre
künstlerische Tätigkeit als Malerin begonnen hatte, war über lange Jahre
seine wichtigste Mitstreiterin in der Proklamation des „Neuen Stils“.[20]
Sie arbeitete künstlerisch an der Konzeption des Hauses Bloemenwerf mit,
verfasste als Autorin Beiträge zu den Künstlerkleid-Entwürfen und sie trat
darüber hinaus in der Präsentation des Künstlerkleides als das bevorzugte
Mannequin öffentlich in Erscheinung.[21]
Das Haus Bloemenwerf nahm in diesen fotografischen Mode-Inszenierungen eine
zentrale Rolle als Präsentationsraum ein. Die Fotografien, die u. a. in der
renommierten Zeitschrift „Dekorative Kunst“ publiziert wurden, wurden
vorzugsweise im zentralen Raum des Hauses Bloemenwerf, in der über beide
Geschosse gehenden Halle gemacht: Van de Veldes und Maria Sèthes
Reformvorschläge für die neue Frauen-Kleidung gehen auf diese Weise durch
das fotografische Medium in dem Bild des modernen Hauses und seines
Interieurs auf. Im Sinne der proklamierten Synthese von Leben und Werk
überlagern sich hierbei der architektonische Raum des Hauses und der
posierende Körper der Maria Séthe im modernen Kleid, das sich wie die übrige
(innen-)architektonische Gestaltung durch seine rationalisierte Ornamentik
und „Tektonik“ auszeichnet. (Abb.2) Van de Velde bezeichnete die Reform der
Frauenkleidung als längst überfällig und dies nicht nur aufgrund der Ideale
der künstlerischen Reformbewegungen, die die Dinge des alltäglichen
Gebrauchs ohnehin einschlossen, sondern auch um der „Tyrannei der Mode“ zu
entgegnen. Mode war für ihn: „... die grosse Feindin, die auch die
Ursache des Verfalls aller ornamentalen und industriellen Künste war und
selbst die so genannte hohe Kunst zur Entartung führte.“ Van de Velde
und Maria Sèthe wandten sich nicht nur gegen schnelllebige Mode-Diktate,
sondern auch gegen den stilistischen Eklektizismus des 19. Jahrhunderts, den
sie als modische Maskerade verurteilten.[22] „Erst in neuester Zeit sind die Künstler zum Bewusstsein ihrer wahren Aufgabe gelangt. (...) So machten sie - eingedenk der Bedeutung, die das Handwerk in der alten Zeit gehabt hat - die Veredelung des Kunsthandwerks zu ihrer Aufgabe und gingen dabei, ohne es zu wissen, in derselben Weise vor wie der primitive Mensch, der zuerst, nachdem er für Nahrung gesorgt hat, daran denkt, sich ein Dach zu bauen, dann, um sein Weib zu gewinnen, sich zu schmücken, und endlich, sich vor Wind und Wetter durch Kleidung zu schützen. Ebenso hat die neuzeitige Wiedergeburt der angewandten Kunst sich zuerst mit der Architektur, dann mit dem Mobiliar und allem, was dazu gehört, den Gebrauchs- und Schmuckgegenständen beschäftigt und geht nun zu ihrer letzten Eroberung, der Kleidung, über.“[25] Im Rekurs auf George H. Darwin, der in einer Abhandlung von 1872 die Evolutionstheorie seines Vaters, Charles H. Darwin, auf die Kleidung anwandte, untermauerte van de Velde dieses Konzept weiter: „Unsere Aufgabe kann es nur sein, die überflüssigen Elemente und Rudimente früherer Teile der Bekleidung zu erkennen. Denn je mehr wir einsehen lernen, dass sie unter Bedingungen entstanden sind, die nicht mehr existieren, um desto leichter werden wir uns von ihnen befreien.“[26]
„Wir müssen auch die
Kleidung allgemeinen tektonischen Prinzipien unterwerfen. Unsere Schöpfungen
auf diesem Gebiet müssen in ihrem Aussehen einen folgerichtigen Aufbau
bekunden, der die bestimmenden Zwecke und die angewandten
Konstruktionsmittel deutlich hervortreten lässt.“[27] |
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Abbildung 3: Blaues Tea-Gown, um 1895 |
Dies gelänge, indem man die Nähte als die Verbindungsmittel
des Kleides hervorhebe (Aufrichtigkeit der Ausführung) und indem man den
textilen Stoff in seiner Beschaffenheit betone (Materialgerechtheit).
Weiterhin könne lediglich durch die Verwendung des abstrakten Ornaments – im
Gegensatz zum „willkürlich gesetzten“, "nachahmend naturalistischen"[28]
Ornament – die Tektonik des Körpers zum Ausdruck gebracht werden; dies liege
an der Eigengesetzlichkeit des abstrakten Ornaments, das die „Möglichkeit
des freien Spiels der Glieder und Gelenke und der Bewegung des menschlichen
Körpers, den die Kleidung bedecken aber nicht verstecken
soll“[29],
biete. (Abb.3) Die Notwendigkeit einer solchen Reform rechtfertigte er aus der Einsicht, dass sich die „Männer (...) weniger gefallen lassen wollen und sich in ihren Kleidungen bequem fühlen wollen. Sie wollen in ihren Bewegungen nicht gehemmt, in ihren Bewegungen nicht belästigt sein. Wir Männer sind weniger geduldig, und dieser Zug unseres Charakters hat es verhindert, dass die Schneider in ihren Erfindungen zu weit gingen." Dagegen stehe es mit der Frau anders, sie nehme „um sich zu gefallen (...) körperliche Unannehmlichkeiten auf sich" und als "Material" des Schneiders, kenne "ihre Geduld und Passivität (...) keine Grenzen“[31]. Die These, dass der Charakter von Frauen eine Tendenz zur
Passivität aufweise, während Männern eine aktive Vorreiterrolle an
gesellschaftlichen Veränderungen zukomme, schließt an die verschiedensten
zeitgenössischen Diskurse an, die auf der vermeintlich wissenschaftlich
begründeten, generellen Unterschiedlichkeit der Geschlechter und in der
Polarisierung ihrer Charaktere basieren. Diese wissenschaftlich begründete
Ausdifferenzierung der Geschlechtercharaktere setzte bereits im späten 18.
Jahrhundert ein[32],
und im Verlaufe des 19. Jahrhunderts waren nicht nur Mediziner zu der
Ansicht gelangt, dass die Entwicklung der Frau auf einer unteren
Evolutionsstufe zum Stillstand gekommen sei, sondern auch in philosophischen
und anthropologischen Untersuchungen wurde auf die inferiore körperliche und
geistige Natur der Frau hingewiesen. Zunehmend entstanden um 1900
Abhandlungen, die zu Standardwerken der noch jungen Wissenschaften der
Anthropologie, der Psychiatrie, der Psychologie und der Sexualwissenschaften
avancierten und sich mit der kulturellen Bedeutung von
Geschlechtsidentitäten auseinander setzten.[33]
In den meisten dieser Schriften zu Fragen über die Natur und Kultur des
Weibes, über die Rolle von Erotik und Sexualität in der Gesellschaft und
über das Wesen der Frau, zeigt sich die Stigmatisierung und Reduzierung des
Bildes von der Frau auf das Geschlechtliche. Zwischen Misogynie und
Dämonisierung des Weiblichen wurde die allgemein zu dieser Zeit entfesselte
Frauenfrage zur sexuellen Frage. In den Ausführungen der Anthropologen
Cesare Lombroso und Guglielmo Ferrero[34]
beispielsweise erfuhr das Weibliche über die Feststellung seiner geistigen
und biologischen Minderwertigkeit hinaus, eine medizinisch begründete
Pathologisierung und Kriminalisierung aufgrund seiner Sexualität: Seine
vermeintlich sexuelle Zügellosigkeit, seine im Geschlechtswesen selbst
begründete Triebhaftigkeit, zeige, dass das Weibliche von Grund auf
atavistisch und der Mann hingegen in seiner kulturellen Entwicklung weit
fortgeschritten sei. Die biologistischen Konstruktionen von Weiblichkeit
fanden auch Eingang in die Kunstdebatten und auf diese Weise wurde der
vermeintliche Atavismus der Frau, der sich grundlegend in ihrer
schmuckfreudigen Kleidung zeige, mit dem Atavismus, der in der Ornamentik
als solcher auch in der Kunst zum Ausdruck komme, gleichgesetzt.[35]
„Der oberste, oder, noch richtiger gesagt, der fast ausschließliche Zweck der dekorativen Ausgestaltung der Bekleidung der Frau ist die pointierte Herausarbeitung der erotischen Reizwirkungen des weiblichen Körpers. Mit anderen Worten: die Kleidung der Frau ist ein erotisches Problem. Dieser Satz müßte bei jeder Geschichte der Mode obenan stehen.“[40]
„Wir verlangen nur, dass das Kleid das verhülle, was man etwa die körperliche Individualität nennen könnte. Im Uebrigen wird die Frau gern einwilligen, dass ihre Gestalt, ihre Formen in der Kleidung erkennbar bleiben.“[41]
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Abbildung 4: Haus Josephine Baker, Paris, 1927 (Rekonstruktion/Modell v. G. Bittorf, M. Burer) Abbildung 5: Josephine Baker |
Loos’ Entwurf eines Wohnhauses für den amerikanischen
Revuestar Josephine-Baker aus dem Jahr 1927 macht diese Auffassung deutlich.
Er unterscheidet sich eklatant von seinen übrigen Entwürfen (Abb.4): So
zeigt das Modell dieses Hauses, das nie in Auftrag gegeben und auch nicht
realisiert wurde, einen Komplex aus einem rechteckigen Baukörper mit einem
extravaganten runden Eckturm. Der Baukörper erhebt sich über einem hohen,
weißen Sockelgeschoß und zeichnet sich durch eine regelmäßig
aufeinander folgende horizontale, schwarz-weiße Streifengebung aus.
Seine fast geschlossene Fassade wird lediglich von wenigen,
eingeschnittenen, profillosen Fensteröffnungen durchbrochen, so dass die
breiten, schwarz-weiß alternierenden Streifen durch die Geschlossenheit der
Wand noch deutlicher zur Wirkung kommen. Diese Blockstreifen haben nichts
mit dem – auf die Antike verweisenden Mäanderband seines ersten Entwurfs für
das Michaelerhaus gemein, sie folgen auch nicht einer klassizistischen
Syntax und sie entsprechen nicht seinem Prinzip der Materialgerechtheit, d.
h. der Privilegierung der Materialbeschaffenheit und seiner stofflichen bzw.
sensuellen Wirkung. Vielmehr wird hier die Überlagerung vom Bild des
Weiblichen mit dem des so genannten Primitiven
vor dem Hintergrund der Ornamentdebatte in der Moderne auf der
universalisierenden Basis der Frage nach der modernen Kultur verschränkt. Dementsprechend nahm er vom Verbot des Ornaments auch den „Primitiven“ aus: “Der papua tätowiert seine haut, sein boot, seine ruder, kurz alles, was ihm erreichbar ist. Er ist kein verbrecher. Der moderne mensch, der sich tätowiert, ist ein verbrecher oder ein degenerierter.”[57] Den Ursprung der Ornamentierung führte er dabei auf folgende Begebenheit zurück: “Das erste ornament, das geboren wurde, das kreuz, war erotischen ursprungs. Das erste kunstwerk, die erste künstlerische tat, die der erste künstler, um seine überschüssigkeiten loszuwerden, an die wand schmierte. Ein horizontaler strich: das liegende weib. Ein vertikaler strich: der sie durchdringende mann.”[58]
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Abbildung 6: E.1027, Roquebrune, Cap Martin, 1929 |
Eileen Grays Wohnhaus E.1027, das sie 1927 für sich und den Architekten Jean Badovici an der Côte d’Azur in Roquebrune errichtete, gilt in der Forschung vielfach als Beispiel einer modernen rationalen Architektur, die sich unmittelbar auf le Corbusiers 1927 erschienenes Manifest „„Fünf Punkte zu einer neuen Architektur“[60] bezieht.[61] (Abb.6) Dem lässt sich nicht nur entgegenhalten, dass Eileen Gray mit ihrer Planung und den Entwürfen für das Haus bereits 1926 begonnen hatte, sondern dass sie Le Corbusier mit ihrer Auffassung des Wohnhauses als einer Hülle des Menschen entgegnete. Sie betonte: "Ein Haus ist keine Maschine zum Wohnen. Es ist die Hülle des Menschen, seine Erweiterung, seine Befreiung, seine geistige Ausstrahlung. Nicht nur die visuelle Harmonie, sondern die gesamte Gestaltung, alle Arbeitsbedingungen wirken zusammen, um es im tiefsten Sinn menschlich zu machen."[62] Bei Eileen Gray klingt somit eine Auffassung von der abschirmenden und bergenden Funktion der Wohnung an, die ähnlich wie bei Adolf Loos, an Walter Benjamins Charakterisierung der Wohnung des 19. Jahrhunderts als „Gehäuse", „als Futteral des Menschen" erinnert.[63] In diesem Sinne forderte Gray: „Man muß für den Menschen bauen, damit er für sich selbst in der architektonischen Anlage, wie in einem ihn erweiternden und ergänzenden Ganzen, die Freude des Fühlens wiederentdecken kann. So dass das Mobiliar selbst seiner Individualität verlustig geht und mit der architektonischen Anlage verschmilzt!"[64] Gray deutete das Haus an erster Stelle über seine taktilen Beziehungen zum Körper und darüber hinaus wird es zu einer Art von Körper, analog dem organischen, sowohl in seiner inneren als auch in seiner äußeren Struktur.[65] So bemerkte sie beispielsweise zu dem architektonischen Element Fenster: „Ein Fenster ohne Fensterläden, ist wie ein Auge ohne Augenlid."[66] Eine weitere Körpermetapher findet sich auch auf der begrifflich-abstrakten Ebene der Bezeichnung des Hauses als E.1027, die auf das Kryptogramm der Namen beider für den Bau des Hauses verantwortlichen Personen verweist. Dabei umschließt Grays Name, den von Badovici. Das E steht für Eileen; die Zahl 10 bezeichnet den zehnten Buchstaben im Alphabet und verweist damit auf J für Jean; dementsprechend bezieht sich 2 auf den zweiten Buchstaben im Alphabet, also auf B für Badovici, und die Zahl 7 steht für G wie Gray. Synthetisiert wird hierbei die namentlich persönliche Identifikation mit der numerisch kodierten Bezeichnung von Maschinen. Greift man diese Vorstellung des Hauses metaphorisch auf, figuriert es durch die Verknüpfung des Bildes von der Maschine mit dem des personalen Körpers zu einer Art Prothese, zu einem künstlichen Körperteil.[67] Entsprechend der bergenden und schützenden Funktion des Drinnen gegenüber dem Draußen, die das Innere des Hauses zu übernehmen habe, definierte Eileen Gray die Architektur des Hauses als eine Hülle für innere, durch die Bewegung geprägte Vorgänge und so forderte sie:
„Innerhalb des Hauses
soll man sich so bewegen, dass man auf ganz natürliche Weise den Wänden
folgt, und die bildlichen Objekte sich nach und nach dem Betrachter
enthüllen ...."[68]
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Abbildung 7: E.1027, Wohnraum, 1929 |
Gray suchte also, eine
Vielfältigkeit der innerräumlichen, auf den Körper bezogenen Beziehungen
mittels der Innenraumgestaltung herzustellen. Diese Bezüge sollen sich zum
einen durch den Menschen, der sich durch das Haus bewegt und zum anderen
auch durch das Haus, das ihn in seiner Bewegung leitet, ergeben. Das
Subjekt, das sich im Raum bewegt, soll in einen wechselseitigen Austausch
mit den Objekten des Raumes und mit dem Raum selbst treten. Indem sie die
Möbel, die sie eigens für dieses Haus entwarf, als Erweiterung der
architektonischen Wände beziehungsweise als eine Auflösung der Abgrenzungen
zwischen Architektur und Mobiliar nach innen ansah, verbildlichte sie die
(kulturell-archaische) Metapher des Hauses als Hülle. Die Entgrenzung zwischen Architektur und Mobiliar stimmt in
Grays Konzept mit der Auflösung der Zimmer als einzelner isolierter
Raumeinheiten überein. Der Wohnraum beispielsweise diente dabei mehreren
Zwecken: dem Essen, Entspannen, Schlafen, Arbeiten, der Kommunikation und
sogar der Körperpflege (vereint waren hier Schlaf- und Arbeitszimmer, Salon,
Bad, Ankleidezimmer). Die einzelnen unterschiedlichen Nutzungszonen, der
mehrfach nutzbaren Räume des Hauses E.1027, markierte sie durch
unterschiedliche Deckenhöhen und Bodenfliesen, durch flexible Paravents oder
auch durch immobile raumdefinierende Einbauten, wie z. B. raumgreifende
Beleuchtungskörper, Schränke oder Regale. Einbauten aber auch flexible
Möbelstücke dienten dabei als Erweiterungen der Wände oder umgekehrt wurden
Trennwände auch als Möbel gestaltet. |
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Abbildung 8:
Abbildung 9: |
Gray legte Wert darauf, dass jeder Raum für sich unabhängig
genutzt werden konnte und den Bewohnern oder auch Gästen das Gefühl der
Intimität und eine kontemplative Rückzugsmöglichkeit bot. (Abb. 8, 9) Eileen Gray konzipierte das Wohnhaus E.1027 als privaten und intimen Ort, als Gegenbild zur Außenwelt, und sie entwarf es darüber hinaus als „seelisches Futteral", als „Gefühlsgehäuse". Dieses Konzept des Hauses als psychisch-formativer Raum und als eine organisch-körperliche Figuration ist weiblich konnotiert. Darüber hinaus evoziert noch ein weiterer sehr wesentlicher Aspekt die Zuschreibung dieses Hauses an die Weiblichkeit Grays in der Rezeption. Es ist der des Boudoirs, des Damenzimmers des 19. Jahrhunderts, das in seiner weiblich konnotierten textilreichen Ausstattung an erster Stelle der Zerstreuung, der Verinnerlichung und der gepflegten Unterhaltung dienen sollte. Otto Mothes, einem Interieurtheoretiker des 19. Jahrhunderts zufolge, sei es entstanden aus dem „in der Frauennatur tief begründeten Bedürfnis", „sich in die Enge zurückzuziehen, um das durch aufregende Berührung mit der Außenwelt gestörte seelische Gleichgewicht wieder zu gewinnen"[69]. Darüber hinaus aber wurde das Boudoir nicht nur als Ort des luxuriösen Müßiggangs gedeutet, sondern es „gilt (...) seit seiner Entstehung als Ort der Sinnenfreude, wenn nicht gar sexuellen Ausschweifung". Hier begegnen sich die Diskurse der bürgerlich-häuslichen Weiblichkeit und des sexuell Weiblichen. Insbesondere das Ensemble von Ausstattungselementen im zentralen Wohnraum des Hauses legt diese Deutung nahe: Seine der Ruhe und Geselligkeit dienende, luxuriöse textilreiche Ausstattung, Diwan, Kissen, Teppiche, verweist nicht nur auf das Boudoir sondern auch auf die exotistischen Vorstellungen vom sinnlich-sexualisierten Raum des orientalischen Harems. Hier wird weibliche Präsenz im Bild des Textilen verkörpert. Die erotische Konnotation der Ästhetik des Materials ist nach Sigmund Freuds psychoanalytischem Konzept, fetischistisch an weibliche Sexualität gebunden.[70] Eileen Gray konfrontiert hier ihre Auffassung von Architektur als Ausdruck physisch-psychischer Befindlichkeit mit einer Vorstellung, die in der symbolischen Ordnung männlich konnotierte rationale, technische Aspekte als universale (Gestaltungs-) Prinzipien – wie sie im Diskurs der rationalen modernen Architektur beziehungsweise des „befreiten wohnens“ präsent waren – betont. |
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Auch Adolf Loos gab der durch das verwendete Material
hervorgerufenen körperlich-sensuellen Erfahrung des Raumes Vorrang gegenüber
seiner geistigen Konstruktion.[71] Auch bei Eileen Gray spielte das Material eine sinnlich,
körperlich erfahrbare Rolle für das Erfahren oder auch Erleben des
Innenraums als einem weiblich konnotierten Raum. „Lebenshaltung, Haus und Produktion entspringen der gleichen Quelle: dem Menschen! Ueberall ist der gleiche Mensch am Werk. Ueberall verlangen wir gleiche Gestaltungsmittel."[77]
Grays Kritik richtete sich speziell gegen diesen Universalismus und setzte
ihm entgegen, dass Architektur „Seele und Individualität“ der Menschen zu
berücksichtigen habe, dass also Architektur die Funktion habe, den „Bedürfnissen
des Individuums Rechnung zu tragen“.[78] „Der Mensch ist kein rein geistiges Wesen. Und wenn man diese großartigen Konstruktionen mit ihren geordneten Linien und besonders diese Innenräume sieht, fragt man sich, ob ein Mensch dort zufrieden leben kann."[80] Dennoch aber erachtete sie diesen Schritt zur Vereinfachung und Rationalisierung in der modernen Bewegung als notwendig, um „alles Bedrückende aufzugeben, um wieder Freiheit zu erleben". Es könne sich dabei aber nur um ein vorübergehendes Stadium der „intellektuellen Kälte“ handeln, welches „zu den Gesetzen der modernen Mechanisierung“ passe beziehungsweise ihnen entspreche. Sie forderte, dass Vereinfachungen und Formeln in der Kunst weiterentwickelt und „ihre Abstraktion mit Realität („Leben“, C.T.) durchdrungen" werden sollten: „Kunst ist nicht Ausdruck abstrakter Elemente; sie muß auch den Ausdruck konkreter Elemente und Bedürfnisse des Individuums umfassen.“ Habe man aber erkannt, dass die Technik lediglich ein Werkzeug und nicht universales Leitbild sein könne, gelte es „das menschliche Wesen in seiner plastischen Form, den menschlichen Willen hinter der materiellen Front und das Pathos des modernen Lebens wiederzuentdecken ...." Dieses geläuterte Pathos finde sich beispielsweise in der Verwendung von „schönem Material“ wieder. Die Aufgabe des Künstlers sei es, so Gray, der Zeit in der er lebt, Ausdruck zu verleihen: „Jedes Kunstwerk ist symbolisch. Es vermittelt, es deutet das Wesentliche eher an, als es darzustellen. In dieser Vielzahl widersprüchlicher Elemente ist es an den Künstlern, diejenigen [Elemente, C.T.] zu finden, die den intellektuellen und emotionalen Rahmen für den Menschen als Einzelwesen und als Teil der Gesellschaft bilden."[81] In diesem Sinne solle die ArchitektIn Verständnis haben für „Lebensbedingungen,
Neigungen und Bestrebungen, der Menschen, ihrer Leidenschaften und
Bedürfnisse" und sie müsse die „Bedeutung einer jeden Sache"
verstehen und wissen „wie man, ohne irgendeine Ausdrucksform zu
vernachlässigen, einfach und solide bleibt".[82] „entworfen und durchkonstruiert wie ein Omnibus oder eine Schiffskabine. Die heutigen Wohnbedürfnisse können genau festgestellt werden und fordern eine Lösung. (...) Man muß das Haus als Wohnmaschine oder als Werkzeug betrachten.“[84] Gray zufolge sollte der „Typus“ aber gerade nicht eine „aufs äußerste vereinfachte und für die schnelle Serienproduktion gedachte Schöpfung“ sein, sondern vielmehr solle es ein Haus sein, „dessen Konstruktion gemäß den besten und kostengünstigsten technischen Verfahren ausgeführt wurde und dessen Architektur für eine bestimmte Situation ein Maximum an Perfektion erreicht: das heißt, es gleicht einem nicht zur unendlichen Reproduktion gedachten Modell, das aber den Bau weiterer Häuser im gleichen Geist auslösen wird."[85]
Und eben genau in diesem Sinne entspreche ihr Haus E.1027 einem „maison type“.
Aufgrund ihrer grundsätzlichen Auffassung, dass jede Aufgabe ein eigenes
Konzept verlange, lehnte sie die Verwendung vorfabrizierter
architektonischer Elemente und Ausstattungsgegenstände, Standards, ab.[86]
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Abbildungsnachweis: Abb. 1: Henry van de Velde. Ein europäischer Künstler seiner Zeit. Klaus-Jürgen Sembach, Birgit Schulte (Hg.). Köln 1992, S. 105 Abb. 2: Osthaus, Karl-Ernst: Henry van de Velde. Leben und Schaffen des Künstlers (1920). Hagen 1988, S. 13 Abb. 3: Henry van de Velde. Ein europäischer Künstler seiner Zeit. Klaus-Jürgen Sembach, Birgit Schulte (Hg.). Köln 1992, S. 218 Abb. 4: Adolf Loos: Leben und Werk. Burkhard Rukschcio, Roland Schachel (Hg.). Wien 1982, S. 324 Abb. 5: Rose, Phyllis: Josephine Baker oder Wie eine Frau die Welt erobert. München 1994, S. 128 Abb. 6: Eileen Gray, Jean Badovici. Maison en bord de mer. In: L’architecture Vivante (1929). London 1975, S. 26 Abb. 7: Eileen Gray, Jean Badovici. Maison en bord de mer. In: L’architecture Vivante (1929). London 1975, S. 32 Abb. 8: Eileen Gray, Jean Badovici. Maison en bord de mer. In: L’architecture Vivante (1929). London 1975, S. 40 Abb. 9: Eileen Gray, Jean Badovici. Maison en bord de mer. In: L’architecture Vivante (1929). London 1975, S. 37 Abb. 10: Ottillinger, Eva B.: Adolf Loos. Wohnkonzepte und Möbelentwürfe. Salzburg, Wien 1994, S. 111
[1] Der Begriff Stoffwechsel wurde in Anlehnung an Gottfried Sempers Bezeichnung „Stoffwechsel“ gewählt, um die Bezüge der hier erörterten Fallstudien zur Bekleidungstheorie anzuzeigen. [2] Rorty 1967. [3] Vgl. Mitchell 1997, S. 15-40 und vgl. Mitchell 1996, S. 71-82 [4] Vgl. Boehm 2004, S. 28 ff und S. 40ff. [5] Vgl. Mitchell 1997, S. 17. [6] Diese erweiterte Perspektive sucht Fragen des Subjekts, seiner Psyche und seines sozialen Status’ zu berücksichtigen. Mitchell bspw. schlägt eine Allianz aus Ikonologie (Erwin Panofsky) und Ideologietheorie (Louis Althusser) vor, vgl. bspw. Buchmann 1997. [7] „Die Frage nach der Möglichkeit einer Bildwissenschaft oder, bescheidener, nach dem, was ein Bild sei, soll vertieft behandelt werden. Wie kann ein Nachdenken über das Bild, das nicht von vornherein unter der Vorherrschaft des Sprachlichen steht, entworfen werden? Gibt es in den Bildern Anhalte für einen ihnen innewohnenden impliziten Reflexionsgehalt? Wie ist die Spannung zwischen einem Begriff des Bildes und den vielen Bildern zu denken? (...) Unsere Frage lautet: welche Evidenz steckt im Bildprozess selbst, der die Sprache – in einiger Hinsicht – überbietet, sie ergänzt oder begleitet. Wir wollen die nichtverbale Sprache der Bilder verstehen und dafür neue wissenschaftliche Zugänge entwickeln. Die durch die digitale Wende erzeugte Bilderflut bedarf der Kompetenz der Bildkritik.“ http://www.eicones.ch [8] vgl. hierzu Krauss 1996. Vgl. auch die Argumentationen hinsichtlich einer Etablierung der Kunstgeschichte als einer neuen Leitwissenschaft des Bildes von Sabeth Buchmann, 1997 und Sigrid Schade, 2001. Vgl. allgemein dazu auch das Themenheft der Zeitschrift Frauen Kunst Wissenschaft „Im (Be)Griff des Bildes“. Heft 35, Marburg, Juni 2003. [9] Gleiter 2005, S. 6. Heute wird vielerseits konstatiert, dass die Architektur Ende der 1980er Jahre durch die „engführenden“ dekonstruktivistischen und strukturalistischen Konzepte aufgrund ihres unhintergehbaren ontologischen Status in die Krise stürzte. [10] Diese Forschungen, so darf ich sicherlich behaupten, wurden aber bislang von einem Großteil der ArchitekturhistorikerInnen ignoriert, bzw. wurde feministische Forschung, die sich nicht nur durch methodischen Konsens sondern durch eine Vielfalt wissenschaftlicher Analyseinstrumentarien auszeichnet, auf den Bereich der Suche nach den (großen) Architektinnen in der Geschichte der Architektur reduziert. Nun haben aber die feministischen Forschungen ausgehend von der oben genannten – immer noch wichtigen – Spurensuche nach den Frauen an der Architekturproduktion und der Erörterung speziell feministischer Architekturplanungen in den späten 1970er und in den 1980er Jahren einen großen Schritt in Richtung der architekturhistorischen Analyse der Verschränkungen von den Kategorien des Geschlechts und denen des architektonischen Raumes – unter dem Dach der Gender Studies – im Verlauf der 90er Jahre vollzogen, vgl. zu den aktuellen Raumdiskussionen im Bereich von Architektur und Geschlecht bspw. die umfangreiche Bibliographie, die an der Universität Bremen unter der Leitung von Irene Nierhaus erstellt wurde: http://elib.suub.uni-bremen.de/publications/ELibD1164_biblio.pdf. [11] Vgl. hier Foucault 1998, S. 38. [12] Henri Lefebvre spricht in diesem Zusammenhang kritisch von einer Illusion der Transparenz des Raumes, vgl. Lefebvre 2001. Gerade die vorgebliche Durchsichtigkeit beziehungsweise Leere des Raumes ist, so die Kulturwissenschaftlerin Irit Rogoff „zu einem Grundpfeiler der westlichen eurozentristischen und modernistischen Wissensstrukturen geworden und hat die Annahmen von Universalismus, phallogozentrische Theorien des Blicks und die Etablierung der Kategorien des Wissens und des zu Wissenden genährt.“ Rogoff 1997, S. 54. [13] Foucault 1978, S. 38. [14] Vgl. de Certeau 1988, S. 12: Michel de Certeau sieht Vorgehensweisen und Handlungsmuster als operative Logiken an, die Kultur bilden; dabei steht nicht das Individuum, das Subjekt als Urheber oder Träger derselben im Vordergrund. Vgl. hierzu v. a. ebd.: „Praktiken im Raum“, S. 179-240. [15] Gleiter 2005, S. 2. [16] Gleiter 2005, S. 2. [17] Gleiter 2005, S. 3. [18] Vgl. zu Henry van de Velde als Initiator der modernen funktionalen Architektur u. a. Hüter 1992, Stressig 1971 oder auch seine Erwähnung in Überblickswerken zur modernen Architektur, beispielsweise: Hitchcock 1994, Posener 1981, Benevolo 1984 und auch Frampton 1989. Haus Bloemenwerf wird einerseits als sein architektonisches Erstlingswerk gewürdigt, und es gilt andererseits als Demonstrationsobjekt der Überwindung der Gattungshierarchien im Gesamtkunstwerk bzw. der Verwirklichung der künstlerischen Reformbewegungen und ihrer ideellen Verbindung von Kunst und Leben Das bürgerliche Wohnhaus gilt um 1900 als Träger architektonischer Gestaltungsreform. [19] Van de Velde 1907, S. 36.
[20]
Entgegen der kunsthistorischen Rezeption, die van de Velde als
autonomen Künstlergenius deutet und ihn als avantgardistischen
Wegbereiter ansieht, ist mit Gewissheit – nicht nur aufgrund der
Memoiren van de Veldes sondern auch aufgrund des umfangreichen
Briefwechsels zwischen ihm und Maria Sèthe - festzustellen, dass ihm
erst die Kooperation mit Maria Sèthe zu seinem neuen
Selbstverständnis als Kunsthandwerker verholfen hat. Es soll in
diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, dass Sèthe neben ihrer
künstlerischen Tätigkeit noch zahlreiche andere Aufgaben übernahm:
Sie war Ehefrau, Hausfrau und Mutter, erledigte als Sekretärin die
Korrespondenz und die Übersetzung von Briefen und Schriften, sie war
Vorsteherin der Werkstätten am jeweiligen Wohnort, wo sie die
Entwürfe kontrollierte und die Transporte koordinierte, sie war
ferner Projektleiterin der laufenden künstlerischen Aufträge und
regelte die finanziellen Transaktionen, und schlussendlich agierte
sie auch als Managerin, wenn es um die zumeist zähen Verhandlungen
von Vertragsabschlüssen ging. Da Henry van de Velde durch seine
vielen Verpflichtungen als Unternehmer, Vortragender und Lehrer
häufig auf Reisen war, konnte er selten die Aufträge vor Ort in
allen Details betreuen. [21] Vgl. van de Velde, Maria 1901, van de Velde, Maria 1900. [22] Van de Velde 1900, S. 13. [23] Vgl. Wigley 1995, hier S. 134. [24] Vgl. Rykwert 1983, S. 218. [25] Van de Velde 1900, S. 6. [26] Van de Velde 1900, S. 21. [27] Van de Velde 1900, S. 23. [28] Van de Velde 1918. [29] Van de Velde 1900, S. 26. [30] Vgl. Wigley 1995, der mit dieser Publikation ein Forschungsdesiderat aufzeigt, indem er darauf verweist, dass die Kleiderentwürfe der Protagonisten der Reformbewegung um die Jahrhundertwende in der Forschung fast gänzlich unberücksichtigt bleiben. [31] Van de Velde 1900, S. 12. [32] Vgl. die Ausführungen von Schiebinger 1989. [33] Wie bspw. Otto Weiningers „Geschlecht und Charakter“ von 1910. [34] Vgl. Lombroso / Ferrero 1894. [35] Vgl. Hersey 1996, hier S. 139. [36] Vgl. van de Velde 1907, S. 26f und S. 36. [37] Vgl. zur Schönheits- und Sittlichkeitsdebatte um 1900 beispielsweise Friedrich 1997, hier vor allem ab S. 118. [38] Vgl. Benjamin 1977. [39] Vgl. Fuchs 1988. [40] Fuchs 1988, S. 156. [41] Van de Velde 1900, S. 27. [42] Fuchs 1988, S. 156. [43] Frauen-Mode als übertreibende Maskerade wurde um die Jahrhundertwende gleichermaßen moralisch, ästhetisch und medizinisch verurteilt: Van de Velde betonte, dass seine Kleiderentwürfe nicht mit der zeitgenössischen Reformkleidbewegung gegen das Korsett verwechselt werden sollten, da letztere „ihre Berechtigung nur in dem Kampf gegen das Korsett" suchen würden und lediglich auf die Grundsätze der Gesundheits-Lehre rekurrieren würden, vgl. van de Velde 1902, S. 366. [44] Vgl. auch Loos: Ornament und Verbrechen (1908). 1981. [45] Vgl. bspw. van de Velde 1918. [46] Vgl. Loos (1898). [47] Loos (1908) 1981. [48] Loos (1924) 1982, S. 177, 178. [49] Loos (1924) 1982, S. 177. [50] Vgl. Rose 1994, S. 20 [51] Im März 1931 wurde Josephine Baker zur Königin der Kolonialausstellung gewählt. Aufgrund von Protesten, die darauf verwiesen, daß Baker, die ja Amerikanerin war, nicht aus den französischen Kolonien stammte, konnte sie diese Rolle allerdings nicht wahrnehmen. Vgl. Threuter 1999 und vgl. Rose 1994, S. 206-211 und S. 44 [52] Vgl. z. B. Lombroso / Ferrero 1894. [53] zitiert nach Haiko / Reissberger, 1985, S. 114. [54] Vgl. hierzu Wagner 1987, S. 80. [55] Besonders in der Einschätzung des Literaten Ludwig Hevesi von Gustav Klimts Ornamentik „Das verruchte Ornament, wo nicht das Perverse“ spiegelt sich die Vorstellung vom Ornament als “Medium und Mittler der erotischen Verrätselung” bei Klimts Frauenfiguren wider. Die Verschmelzung von Weiblichkeit und Ornament kulminierte im Wiener Jugendstil und trug zu seiner Sexualisierung bei. [56] Loos (1924) 1982, S. 177 [57] Loos (1908) 1981. [58] Loos (1908) 1981. [59] So entsprach das Bild von der schwarzen Frau nicht dem der bürgerlichen weißen Frau. Während ihr in der bürgerlichen Gesellschaft vor allem die Rolle der Ehefrau, Hausfrau und Mutter zukommt, repräsentiert die schwarze Frau universale Sexualität. In ihr verdichtet sich die kulturelle Konstruktion kolonial-rassistischer und geschlechtlicher Diskurse schlechthin, vgl. Threuter 1999. [60] Le Corbusier hatte diese im Frühjahr 1927 in der Zeitschrift „L' Architecture Vivante“ publiziert. [61] Vgl. Constant: Architektur und Freizeitpolitik, 1996, S. 92f. und vgl. Adam 1998, S. 193. Zwar lassen sich die wesentlichen architektonischen Elemente, die Le Corbusier appellartig und dogmatisch in diesem Programm einforderte, in Grays Architektur nachweisen, wie das nutzbare, den Wohnraum erweiternde flache Dach oder das Augenscheinlichmachen des Stützsystems durch Pilotis, doch erscheinen diese Elemente weniger im Sinne Le Corbusiers, sondern sie sind vielmehr den modernen (internationalen) Gestaltungsprinzipien verpflichtet und auch den konstruktiven Herausforderungen des Baus von E.1027 geschuldet, vgl. meine in Druckvorbereitung unpublizierte Forschungsarbeit [62] Zitiert nach Constant: E.1027, Maison en Bord de Mer, 1996, S. 109. Diese Definition des Hauses richtete Gray explizit gegen Le Corbusiers Ansicht des Hauses als einer Wohnmaschine, das sie als "seelenlos" bezeichnete. [63] Nierhaus 1999, S. 100. [64] Gray/ Badovici 1996, S. 71. [65] „If in regarding the dwelling as a living organism we have been led to adopt the current formula of the «living room», we at least sought to plan the room in such a way that each of its inhabitants could, on occasion, achieve total independence and an atmosphere of solitude and contemplation.” Zitiert nach Constant 1994, S. 241. [66] Zitiert nach Constant 1994, S. 241. [67] Zu den „prothetischen Objekten“ der Moderne, beispielsweise bei Le Corbusier und Sigfried Giedion, vgl. Vidler 2001, S. 201. [68] Zitiert nach Adam 1989, S. 200, 201. [69] Zitiert nach Rossberg 1999. Zum Boudoir und zu dem Begriff, der sich vom französischen bouder, schmollen, ableitet, vgl. auch Rossberg 1999, S. 59. [70] Vgl. Freud 2000, S. 379-388. Einen wichtigen Stellenwert in diesem Zusammenhang nimmt auch das Element des Wassers und die Verrichtung des Badens in der gesamten Wohnhauskonzeption ein. Es dient nicht nur der Körperpflege für die hier im großen Wohnraum durch die Einrichtung einer Dusche, im großen Schlafzimmer, im Gästezimmer und im Dienstmädchenzimmer mit ihren Waschgelegenheiten und im Bad – versteht sich von selbst - mit einer Badewanne hinreichend gesorgt wurde, sondern auch dem sinnlichen Vergnügen. Gray richtete zu diesem Zweck einen so genannten „Sun-pool“ ein, den sie als „eine Art Diwan aus abfallenden Platten zum Sonnenbaden, eine Mulde zum Im-Sand-Baden“ bezeichnete. Bereits Eileen Grays Wohnungsausstattungen in der Pariser Rue de Lota für Mme Mathieu-Lévy (1920-1924) und das Boudoir Monte Carlo (1923), bei denen es sich explizit um die Ausstattung von Damenzimmern handelt, greifen neben der geometrisch abstrahierten Formensprache stilistisch den zeitgenössischen Exotismus des mondän-bürgerlichen Art Décos auf und verknüpfen diesen durch die Feminisierung mit den erotischen Konnotationen des Boudoirs. Signifikat ist hierbei das Weibliche und dessen Signifikanten sind die Ausstattungsgegenstände, wie Paravent, Diwan oder auch Spiegel und die ihnen inhärente Ästhetik des Materials, beispielsweise Lack, Textilien, Tierfelle sowie reflektierende Oberflächen. Eileen Gray löste sich zwar im Verlaufe ihrer künstlerischen Arbeit von dem abbildenden Exotismus des Art Déco, wie er uns in den beiden Boudoirs z. B. im afrikanisierenden Hocker oder auch in der so genannten Straußenei-Lampe begegnet, doch bleiben die oben genannten Signifikanten in ihren späteren Entwürfen in einer abstrahierten oder auch geometrisierenden Formensprache in der Innenraumgestaltung und Ausstattung erhalten. [71] Loos schrieb in diesem Sinne: „Der künstler aber, der architekt, fühlt zuerst die wirkung, die er hervorzubringen gedenkt, und sieht dann mit seinem geistigen auge die räume, die er schaffen will. Die wirkung, die er auf den beschauer ausüben will, sei es nun angst oder schrecken wie beim kerker; gottesfurcht wie bei der kirche; ehrfurcht vor der staatsgewalt wie beim regierungspalast; pietät wie beim grabmal; heimgefühl wie beim wohnhause; fröhlichkeit wie in der trinkstube; diese wirkung wird hervorgerufen durch das material und durch die form.“ Loos 1987, S. 140. [72] Colomina 1997, S. 209. [73] Vgl. Freud 2000, S. 379-388. [74] Nierhaus 1999, S. 91. [75] An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass sich Grays Haus abseits der Metropolen befindet und darüber hinaus schwer zugänglich ist, da es am Meer auf einem Felsen an der südfranzösischen Küste, in Roquebrune am Cap Martin liegt. In der Öffentlichkeit bekannt wurde es durch insgesamt 69 Fotografien sowie zahlreiche Risse, Schnitte sowie Konstruktionszeichnungen verschiedener Möbel, die in einer Sonderausgabe der Architekturzeitschrift „L’Architecture Vivante“ 1929 publiziert wurden. Eileen Gray hatte die Aufnahmen im Jahre 1929, kurz nach der Fertigstellung des Hauses selbst angefertigt. Grays Fotografien werden in Publikationen zu ihrem Werk dazu benutzt, ihr Wohnhaus, das sie von 1929 bis ca. 1934 bewohnte und das heute nicht mehr in seinem Originalzustand erhalten ist, zu dokumentieren. Ausgangspunkt dieser Darstellungen ist häufig die Annahme von einem fotografischen Verismus, der objektiven Übereinstimmung von Bild und Gegenstand. Dieser in unserer Wahrnehmung verankerte Abbildcharakter der Fotografie, das Prinzip der Reproduktion von Wirklichkeit, welches als Medium der Erinnerung benutzt wird, hat sich bereits seit einiger Zeit als Mythos fotografischer Wahrheit herausgestellt. Das Medium der Fotografie erweist sich hier vielmehr – im Sinne von Teresa de Lauretis – als eine soziale Technik, als ein sozialer Apparat, der innerhalb der symbolischen Ordnung Effekte der Selbst-Repräsentation herstellt, vgl. de Lauretis 1987. Zu diesem historischen Komplex der Fotografie als Abbild, vgl. beispielsweise Barthes 1985, S. 95, S. 99; Rötzer 1995, S. 13-25 oder auch Amelunxen 1995, S. 117 und Iversen 2002. Zur Fotografie als „Index“ als „Spur“ bzw. „Abdruck“ des Menschen, vgl. Krauss 1998, S. 106ff, vgl. Dubois 1998, S. 49-57, vgl. auch Sykora 1999, S. 66, 67. [76] Simmel 1918, S. 45. [77] Giedion (1929) 1985, S. 11. [78] Der Architekt habe demnach die Aufgabe: "an dem von ihm [dem Individuum, C.T.] bewohnten Ort bestimmte charakteristische Merkmale zu entdecken, die seiner besonderen Persönlichkeit Ausdruck verleihen." Gray / Badovici 1996, S. 69. [79] vgl. hierzu Constant: E.1027, Maison en Bord de Mer, 1996, S. 94 und vgl. meine unpublizierte Forschungsarbeit „Architektur als Bild: Moderne Künstlerinnen und ihre Wohnhäuser“. [80] Gray / Badovici 1996. [81] Gray / Badovici 1996. [82] Gray / Badovici 1996. [83] Vgl. Le Corbusier (1922) 1963, S. 175. [84] Le Corbusier (1922) 1963, S. 179. [85] Gray / Badovici 1996, S. 71.
[86]
Standardisierung
lehnte Gray bspw. auch für Türklinken, Fensterläden, Wandschirme
oder Aktenregale ab, vgl. Constant 2000, S. 246. |
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