From Outer Space:
Architekturtheorie außerhalb der Disziplin

10. Jg., Heft 1
September 2006
   

 

___Heike Delitz
Dresden
  Die Architektur der Gesellschaft.
Architektur und Architekturtheorie im Blick der Soziologie
   



Soziologie ist die mit etwas mehr als einem Jahrhundert noch recht junge Wissenschaft von der ‚Gesellschaft‘ – und zwar von der ‚modernen‘ Gesellschaft, wie sie sich selbst ab Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend problematisch wird. Konstituiert in Frankreich und Deutschland in der Hochzeit von Industrialisierung, Urbanisierung und der einsetzenden Individualisierung, ist sie die Wissenschaft, die die neue, sich beschleunigende, differenzierende und säkularisierende Welt begierig in sich aufnimmt, um in ihr die Gesetze des Sozialen zu erkennen. Wie ist soziale Ordnung nach der Auflösung der traditionellen Bindungen von Sitten, Moral und Religion und angesichts der ‚sozialen Frage‘ möglich? Das ist die Grundfrage der Soziologie, bei Émile Durkheim in Paris und Ferdinand Tönnies in Hamburg/Kiel. Vorausgesetzt ist stets eine bestimmte Gesellschaftstheorie, eine Diagnose der Gegenwartsgesellschaft: Seit Tönnies wird diese bestimmt als die arbeitsteilige, kontraktuelle, künstliche ‚Gesellschaft‘ gegenüber der traditionalen, agrarwirtschaftlichen, organischen ‚Gemeinschaft‘; seit Durkheim spricht die Soziologie auch von der dominant ‚funktional differenzierten‘ gegenüber der ‚segmentär differenzierten‘ vormodernen Gesellschaft. Max Weber in München und Georg Simmel und Werner Sombart in Berlin sind die weiteren Klassiker, die das Gesicht der europäischen Soziologie prägen. Zeitgleich entwickelt sich in Chicago (durch die deutsche Soziologielehre v. a. Simmels nicht unbeeinflusst) die amerikanische Soziologie, die sich in der Frage nach der sozialen Ordnung auf die Herausforderung einer Einwanderungsgesellschaft einzustellen hat.
Die ‚moderne Gesellschaft‘, der Gegenstandsbereich der Soziologie, gibt sich dominant zu erkennen am Gesicht ihrer Großstädte. Sie sind die Verdichtungsorte der Moderne und Anschauungsflächen der ‚sozialen Frage‘, aber auch neuer Subjekttypen, Wahrnehmungs- und Interaktionsweisen, von Individualisierung und wachsendem Kontingenzbewusstsein. Mit ihrer Verdichtung, ihrem Hochhausbau, ihren Bankgebäuden, Parlamenten, Warenhäusern, Bahnhöfen und Wohnsiedlungen sind sie die Keimzellen der neuen Gesellschaftsstrukturen, der kapitalistischen Unternehmen und der Geldwirtschaft, des Konsums, von Rationalisierung und Bürokratisierung, Bühne einer in Klassen gespaltenen und einer Massengesellschaft. Architektur und Stadt des 20. Jahrhunderts und die in ihnen lebenden Menschen sind (neben Statistiken, Ideologien und Weltanschauungen) das soziologische Anschauungsobjekt, will man der Eigenart der modernen Gesellschaft auf die Schliche kommen.
Die Soziologie hat sich bis in ihre gegenwärtigen Theorien und Forschungsprojekte nicht systematisch mit der Architektur auseinandergesetzt, wie sie es in anderen Subdisziplinen, etwa mit Religion, Literatur, Kunst, Technik und auch der ‚Stadt‘ getan hat, in Religions-, Literatur-, Kunst-, Technik- und Stadtsoziologie. Auch hat keine der verschiedenen Gesellschaftstheorien in der multiparadigmatischen Wissenschaft Soziologie eine auf die Architektur zugeschnittene Fragestellung und Methode entwickelt. Stadt- und Regionalsoziologie kreisen seit 1945 in Deutschland, beeinflusst von der evolutionistischen ‚Stadtökologie‘ der Chicago School, um ‚urban conflicts‘, um Urbanisierung, Segregation und Schrumpfung.
Demgegenüber ist eine – sich für das Gebaute in seiner Phänomenalität interessierende – Architektursoziologie gerade im Entstehen
[1], parallel zu anderen kulturwissenschaftlichen Entdeckungen der Architektur und der Konjunktur des Raumes in Sozial- und Kulturwissenschaft überhaupt.[2] Gegenwärtig verfolgen zunehmend mehr Soziologen von den verschiedenen Theorieparadigmen aus mit verschiedenen Interessen architektursoziologische Fragestellungen. Auch gibt es – im Anfangsstudium – eine Raumsoziologie[3] sowie eine Soziologie der Landschaftsarchitektur.[4] Eine soziologische Reflexion der Architekturtheorie ist systemtheoretisch versucht worden.[5] Auch international scheint schließlich eine Architektursoziologie gerade am Anfang zu stehen.[6] In dieser Situation ist daran zu erinnern, dass zunächst zumindest Maurice Halbwachs und Georg Simmel an der architektonischen Physiognomie der modernen Gesellschaft interessiert waren. Vor allem haben aber Walter Benjamin, Michel Foucault, Norbert Elias und Ernst Bloch in konkreten Fallstudien die Architektur auf ihre Aussage- und Prägeform in Bezug auf die moderne Gesellschaft hin analysiert[7], gefolgt von anderen, nur weniger bekannt gewordenen ‚Einzelkämpfern‘, die jedoch wie diese (zum Teil zu soziologischen Klassikern gewordenen Autoren) keine systematische, theoriegeleitete architektursoziologische Fragestellung entwickelten.
Die Frage nach der soziologischen Sichtweise auf Architektur und Architekturtheorie wird im folgenden in einem Spektrum möglicher soziologischer Blickwinkel auf Architektur und Architekturtheorie geordnet (A). Dazu ist zunächst die besondere Lage der Disziplin zu vergegenwärtigen: Die Soziologie hat zum einen eine Vielfalt soziologischer Subdisziplinen hervorgebracht. ‚Architektursoziologie‘ wäre dann eine soziologische Teildisziplin, die Architektur und Architekturtheorie ins Zentrum rücken würde, diese als das vermittelnde und zu untersuchende Objekt zur ‚Gesellschaft‘ begreift. Eine (das Fach mitunter beunruhigende) Eigentümlichkeit der Soziologie ist zudem ihr ‚multiparadigmatischer‘ Zustand
[8]: Wie alle sozialen Phänomene sind Architektur und Architekturtheorie aus einer Vielfalt nicht aufeinander reduzierbarer, zuweilen polar entgegengesetzter Gesellschaftstheorien analysierbar. Diese Perspektiven sind jeweils fundiert in impliziten oder expliziten Sozialtheorien, je nachdem, welche Relation als Vergesellschaftungsbasis, als Urphänomen angesetzt wird (Tausch, Kommunikation, Anerkennung, Konflikt). Angesichts dieser Theorielage wird zunächst (unvollständig und holzschnittartig) das Spektrum der Gesellschaftstheorien in ihrem Blick auf Architektur und Architekturtheorie ausgebreitet (A 1), und dies anhand von Autoren, die tatsächlich architektursoziologische Analysen durchgeführt haben, und in einer Ausweitung auf wichtige gegenwärtige Paradigmen. Orientieren kann sich diese Übersicht an einem 2004 vorgelegten Band, der sieben soziologische Theorieperspektiven zum Potsdamer Platz befragt.[9] Sodann wird das Spektrum der soziologischen Subdisziplinen, die sich mit Architektur und Architekturtheorie beschäftigen könnten, ausgebreitet (A 2). Andererseits wird gegenüber diesen möglichen Blickwinkeln ein eigener systematischer Vorschlag entfaltet: eine soziologische Perspektive, die Architektur als ein zentrales ‚Medium des Sozialen‘ begreift[10] (B). Schließlich wird exemplarisch skizziert, wie eine solche Architektursoziologie die Architektur der Gesellschaft in den Blick nehmen und was sie dabei sehen könnte (C).


A          Architektursoziologische Perspektiven in der Theorien- und Disziplinenvielfalt der Soziologie

1. Das Spektrum soziologischer Theorieperspektiven auf Architektur und Architekturtheorie

Dargestellt werden zunächst die großen, bereits durchgeführten, impliziten architektursoziologischen Analysen. Walter Benjamin analysiert in der Tradition einer marxistischen Soziologie in den Pariser Passagen aus dem 19. Jahrhundert die in ihrer Wahrheit zu enthüllende ‚Traumgestalt‘ der kapitalistischen Gesellschaft. Die Architektur ist ihm dabei das „wichtigste Zeugnis der latenten ‚Mythologie’ “ dieser Gesellschaft, in den Passagen ist die moderne Vergangenheit mit ihren Möglichkeiten aufbewahrt.
[11] Benjamin legt hier eine Architektursoziologie der kapitalistischen Klassengesellschaft vor. Indem er die Passagen in einer Zeit besucht, in dem sie von der Geschichte überholt sind, kann er sie dabei als die archäologischen Fundstellen der vergessenen ‚Urgeschichte‘ der gegenwärtigen Gesellschaft deuten. In ihr entstehen die neuen Sozialtypen, die die moderne Gesellschaft noch „mit einem versöhnlichen Ton“ umspielen: Der Flaneur, der im Tempo seiner Schildkröte durch den Warendschungel der überdachten Ladendurchgänge spaziert. An ihm wird sichtbar, dass die Bedürfnisse und Wahrnehmungs- und Bewegungsweisen einer Konsumgesellschaft erst in der spezifisch ambivalenten Architektur der Passagen, die zwischen Straße und Wohnung oszillieren, evoziert werden. Siegfried Kracauer entdeckt in den Berliner Passagen das „Marmormassengrab“ der bürgerlichen Gesellschaft.[12] Und Ernst Bloch liest einerseits die Schiffsmetaphern des Neuen Bauens als architektonische Endgestalt der bürgerlichen Gesellschaft; andererseits versteht er die architektonischen Phantasien als sozial effektive, konkrete Utopien.[13] All diese Autoren stehen in der Tradition der auf Marx‘ Ideologiekritik und den historischen Materialismus zurückgehenden Kritischen Theorie der Frankfurter Schule, die Architektur als Ausdruck der bürgerlichen, spätkapitalistischen, in der instrumentalistischen Vernunft aufgehenden Gesellschaft betrachtet; ihr Blick fällt entsprechend ideologiekritisch auf Herrschaftsfunktionen von Architektur und Architekturtheorie, historisch auf Untergangszeichen im ‚Design‘ und materialistisch auf den verdeckten ökonomischen Seinskern in der Funktion der Architektur der so diagnostizierten Gesellschaft.
Michel Foucault hat in der französischen, von Nietzsche beeinflussten ‚poststrukturalistischen‘ Tradition in Analysen der Produktion von ‚Macht‘ untersucht, welche sozialpsychologische Wirkung die Architektur von Gefängnissen, Erziehungsanstalten, Fabriken und Kasernen hat.
[14] Dabei diagnostiziert er einen Wandel von der „Straf‑“ zur „Disziplinargesellschaft“. Insbesondere Benthams Idee des Panopticons, einer Architektur, die auf dem Prinzip des Sehens-ohne-gesehen-zu-werden beruht, ist für ihn der Anhaltspunkt, die Individualisierung der Subjekte, ihre Selbstkontrolle und Verinnerlichung der Zwänge als architekturgestütztes Charakteristikum der modernen Gesellschaft zu beschreiben. In dieser Perspektive geht es um die Analyse der gesellschaftsbildenden Macht, die insbesondere die Architekturmoderne innehat, um die Effekte von über den Körper auf die Psyche einwirkenden Architekturen, um – mit den Mitteln der Diskursanalyse – Produktionen des gesellschaftlich Sagbaren und Sichtbaren.
Norbert Elias hat in seiner auf Zivilisationsprozesse zielenden Figurationssoziologie die höfischen „Wohnstrukturen als Anzeiger gesellschaftlicher Strukturen“ untersucht.
[15] Auch hier geht es um Zivilisationsprozesse, um die aggressionsbindende Verfeinerung der Sitten in der Hereinnahme von Fremd- in Selbstzwänge. Dabei analysiert Elias zunächst einen Prozess, der sich im höfischen Adel des absolutistischen Frankreichs abspielt. Die Architektur spielt dabei die Rolle der prächtigen, die Machtverhältnisse reproduzierenden Bühne; entsprechend stehen nicht Gefängnisse, Schulen, Spitäler im Blick, sondern die Schlösser und Palais des französischen Adels, die von den aufsteigenden bürgerlichen Schichten, wenn auch spezifisch modifiziert, in ihrer gesellschaftlichen Funktion, ihrer Geschlechter- und Generationentrennung aufgenommen werden. Peter Gleichmann hat an diese Perspektive anschließend die „Verhäuslichung der körperlichen Verrichtungen“ verfolgt, die architektonisch gestützte soziale Verfeinerung der Sitten im Bereich von Hygiene und Sexualität.[16] Eine Zivilisations- und Figurationssoziologie beobachtet in der Nachfolge von Elias die architektonische Anlage auf ihre Aussagen hinsichtlich einer sich zivilisierenden, in interdependente Zwänge bringenden Gesellschaft, und dies über die höfische hinaus auch in Bezug auf die bürgerliche Gesellschaft, die organisierte Moderne des frühen 20. Jahrhunderts und die Gegenwart.
Im Blick auf die Architekturtheorie hat Dirk Baecker in Nachfolge von und Zusammenarbeit mit Niklas Luhmann eine differenztheoretische, dem systemtheoretischen Paradigma verpflichtete Analyse der Semantik des Faches vorgelegt.
[17] In Frage steht in der Systemtheorie (wenn sie sich der Disziplin überhaupt nähert, begreift sie doch die Räumlichkeit in der modernen Gesellschaft als disprivilegiert) nicht Architektur selbst, sondern stets die Kommunikation über Architektur. Dies entspricht dem methodischen Vorgehen einer Wissenssoziologie, die die Texte einer Gesellschaft als deren ‚Selbstbeobachtung‘ (bzw. -beschreibung) versteht, welche die Soziologie wiederum – als ‚Beobachtung der Beobachtung‘ – analysiert. Systemtheoretisch angeleitete Semantikstudien zielen in der Annahme einer Korrelation von Sozialstruktur und Semantik auf eine historisch verfahrende Gesellschaftsdiagnose. Die Architekturtheorie wird im Blick auf ihre Leitdifferenzen nach Hinweisen auf ihre, mit Kognitionsgewinnen verbundene, Autonomisierung betrachtet, die einer komplexen Gesellschaft entspricht und gerade nicht mehr davon ausgeht, etwas anderes in der Architektur lesen zu können – etwa gesellschaftliche Machtansprüche – als eben die Komplexität. In dieser Sicht sind Funktion, Ästhetik und Solidität Fremdkonditionierungen der Architektur. Der unterscheidungstheoretische Blick gewinnt einen Architektur-Begriff, der von der „Abschirmung im Medium des Raums“ als konstitutiver Basis von ‚Architektur‘ ausgeht. Entsprechend dem konstruktivistischen Theorieton heißt dies: konstitutiv dafür, etwas als Architektur anzusprechen. Das hier erreichte Abstraktionsniveau hofft, Architektur auf neue Weise und damit mehr zu sehen, nämlich die blinden Flecke der Architekturtheorie. Die systemtheoretische Perspektive beobachtet also einerseits die Architekturtheorie als eine Selbstbeschreibung der Gesellschaft, im Hinblick auf ihre gesellschaftliche (Komplexitätsverarbeitung steigernde) Funktion, ihr von anderen Systemlogiken (Ökonomie, Politik) zunächst unabhängiges Programm und ihren Anschlussfähigkeit sichernden Code; andererseits beobachtet sie die Autonomisierung des gesellschaftlichen Subsystems Architektur (in der Architekturtheorie).
Eine soziologische Institutionentheorie analysiert Architektur programmatisch als einen „institutionellen Mechanismus“, mit dem sich soziale Ordnungen über die einzelnen Individuen hinweg auf Dauer stellen, indem sie ihre Leitideen verkörpern.
[18] Gender Studies fanden nach der in Städtebau und Architektur sowie ihrer Theorie angelegten und reproduzierten Arbeitsteilung und Hierarchie der Geschlechter, etwa in der Trennung der Aufenthaltsbereiche von Mann und Frau in Zentrum und Peripherie.[19] Die Cultural Studies betonen mit den von Foucault untersuchten Machtprozessen zugleich die Subversionschancen, die gegenkulturellen Mittel, die gegen den Machtanspruch von Architektur zur Verfügung stehen.[20]
Neben diesen durchgeführten sind weitere Theorieperspektiven auf Architektur und Architekturtheorie denkbar. Der Strukturalismus würde Architektur als ein der Sprache analoges Zeichensystem lesen (und dazu deren Theorie mit zur Kenntnis nehmen), deren Bedeutung in sich selbst kreisend entsteht, im System der syntagmatischen und paradigmatischen Verschiebungen. Der Poststrukturalismus würde – neben der diskursanalytischen Perspektive – in der Tradition Pierre Bourdieus auf die kulturelle Produktion sozialer Distinktionen hinweisen, auf das kulturelle, symbolische Kapital, das architektonischer Geschmack, architektonisches Wissen, der ‚richtige‘ Architekt, die ‚richtige‘ Wohngegend und das ‚richtige‘ Architekturdiplom einbringen, und auf den Habitus, mit dem bestimmte Architekturen einhergehen, den sie reproduzieren. Der Blick einer Rational-Choice-Theorie fiele auf die Kalküle, die hinter Investitionen stecken, auf Nutzenrechnungen, aus denen aus dieser Sicht das soziale Handeln letztlich besteht und erklärt werden kann.


2. Das Spektrum der soziologischen Subdisziplinen in Hinblick auf Architektur und Architekturtheorie

Die Architektur einer Gesellschaft ist zunächst – in ihrer Gestalt – Gegenstand einer Architektursoziologie. Daneben sind weitere soziologische Subdisziplinen für die Frage nach der Sicht der Soziologie auf Architektur und Architekturtheorie interessant. Eine Soziologie der Intellektuellen fragt nach der gesellschaftlichen Stellung und Funktion und den Herrschaftsansprüchen der (Avantgarde-)Architekten und der Architekturtheoretiker; eine Wissenschaftssoziologie analysiert die Disziplinen Architektur und Architekturtheorie in ihren institutionellen Beziehungen zu anderen Wissenschaften, ihrer Etablierung und Disziplinierung, ihrer Orientierung an Leitwissenschaften; eine Soziologie der Utopie würde sich systematisch mit der gesellschaftlichen Funktion architektonischer Entwürfe und Utopien auseinandersetzen. Die Architekturtheorie steht potentiell im Blick aller Wissenssoziologien. Die klassische Wissenssoziologie (Max Scheler, Karl Mannheim) untersucht, aus welchen ‚sozialen Standorten‘ heraus und für welche gesellschaftlichen Gruppen Architekten entwerfen; und wie sie dem entsprechend ihre Entwürfe in Architekturtheorien diskursivieren, in welchem ‚Denkstil‘; die Wissenssoziologie der Systemtheorie (Niklas Luhmann) hält die Korrelation von Semantik und Gesellschaftsstruktur insgesamt im Blick, würde also den diskursiv erhobenen Anspruch auf architektonische Autonomie als Korrelat einer dominant funktional differenzierten Gesellschaft lesen und deren Kognitionsgewinne ausbuchstabieren.
Nach der Vielfalt möglicher architektursoziologischer Theorien und Subdisziplinen wird im Folgenden der eigene Vorschlag entfaltet. Er basiert auf dem Denkansatz der Philosophischen Anthropologie, ihrer Kultur- oder Medientheorie und einer in ihr bereit gehaltenen Sozialtheorie. Gesellschaftstheoretisch ist diese Theoriebasis offen, nicht festgelegt, sondern jede Perspektive noch fundierend. Insofern handelt es sich um eine systematische architektursoziologische Perspektive.


B         Architektur als Medium des Sozialen. Architektursoziologie aus der Perspektive der Philosophischen Anthropologie

Vorschlag einer systematischen Architektursoziologie

Im Folgenden wird Architektursoziologie verstanden als eine soziologische Teildisziplin, die sich in Gegenstand, Erkenntnisinteresse und Theorie von den etablierten Teildisziplinen unterscheidet, die das Gebaute zum Objekt der Sozial- und Gesellschaftstheorie machen: Gegenüber Stadt- und Regionalsoziologie, Planungs- und auch Wohnsoziologie ist der Gegenstand einer solchen Architektursoziologie zunächst das – und zwar jedes – Gebaute in seiner Gestalt. Das Erkenntnisinteresse ist, anhand der Architektur einer Gesellschaft ihre Struktur, ihre Vergesellschaftungsmechanismen zu erkennen: Es geht also im doppelten Sinn um die ‚Architektur‘ der Gesellschaft. Architektursoziologie versucht primär, im Blick auf das ‚Gesicht‘ (nicht: Struktur) der Stadt die moderne Gegenwartsgesellschaft zu analysieren. Vorausgesetzt ist dabei das wechselseitig verschränkte Verhältnis einer „Wahlverwandtschaft“, der fördernden Adäquatheit von Architektur und Sozialem.
[21] Um eine solche Architektursoziologie theoretisch zu klären, wird ein symboltheoretischer Zugang entfaltet, der die Architektur als eines der konstitutiven ‚Medien’ der Vergesellschaftung betrachtet.
Zunächst ist also der Vorschlag zur Etablierung einer Architektursoziologie, sich gegenüber der Stadt- und Regionalsoziologie auf die Architektur zu konzentrieren, darin der Disziplin Architektur in der Unterscheidung von Städte- und Hochbau folgend. Gegenstand einer solchen Soziologie sind nicht Stadtstrukturen, sondern konkrete architektonische Phänomene in Gestalt, Dimension, Material, Konstruktion.
[22] In einer solchen Architektursoziologie kann man den soziologischen Blickwinkel nun so einrichten, dass man das Gebaute als ‚Ausdruck‘, ‚Symbol‘ oder ‚Spiegel‘ einer Gesellschaft versteht. Der zweite Vorschlag ist, ihn so einzurichten, dass die Architektur zugleich als ‚Medium’ des Sozialen betrachtet wird. Dabei interessiert das wechselseitig verschränkte Verhältnis von Architektur und Sozialem, die gegenseitige Beeinflussung. Architektur als ein kulturelles (oder: das kulturelle) Leitmedium des 20. Jahrhunderts ist der feinsinnige Seismograf gesellschaftlicher Veränderungen, der diese allererst sichtbar macht, sie re-präsentiert und re-produziert. Die Vermutung einer gesellschaftsprägenden Kraft von Architektur ist nicht neu; die Architekten selbst sind seit der ‚Wiener Moderne’ davon ausgegangen. Architektur erhebt seither den Anspruch, Konstruktionsmacht neuer Lebenswelten zu sein. Das gilt auch für die pneumatischen oder die Mega-Architekturen der 1960er und selbst für gegenwärtige Architekturen. Soziologisch reflektiert, theoretisch fundiert und empirisch erforscht wurde und wird dies jedoch selten. Diese Perspektive zu etablieren, heißt, anhand von Phänomenen der Architekturmoderne konkret zu zeigen, inwiefern ‚Gesellschaft‘, soziale Ordnung durch Architektur verkörpert und zugleich von ihr konstituiert wird; beziehungsweise: welchen Einfluss Architektur auf einen sozialen Wandel hat. Mit Blick auf die Ansprüche der Architekturavantgarde ist zu klären, inwiefern ein Wandel von Funktion, Technologie, Material und Entwurfskonzept in der Tat bestimmte Dispositionen des Verhaltens, Wahrnehmungs-, Bewegungs- und Interaktionsweisen evoziert und inwiefern in Hinsicht auf die Stabilisierung sozialer Ordnung bestimmte Werte architektonisch verkörpert und damit wirkmächtig werden. Hier ist für die „organisierte“ Moderne auch die Architektur der Mobilität zu beobachten. Le Corbusier konzipierte Straßen wie Massenwohnungen als „eine Art Fabrik von Länge“.[23] Das pausenlos oszillierende Verkehrssystem reproduziert die fordistische Leistungsgesellschaft. Auch wäre eine soziologische Frage nach der konstitutiven Eigenschaft von Architektur, inwiefern diese die ‚Klassenstruktur‘ einer Gesellschaft reproduziert.[24] Dabei könnte es insgesamt erkenntnisfördernd sein, sich auf Leitbauten der Architekturmoderne zu konzentrieren, die durch ihre diskursive Verbreitung, in Fotografien, Exkursionen, Texten (nicht nur) die Architekten derselben und nachfolgender Generationen beeinflussten und deren Formensprache dadurch real und in den Köpfen verbreitet wurde: erst dadurch erhält sie eine gesellschaftliche Wirkung. In Frage steht in einer solchen Architektursoziologie, welche Rolle Architektur in der Vermittlung von Erfahrungen und der Konstruktion von ‚Gesellschaft‘ und ‚Subjekt‘ spielt, in welchem Maß sich sozialer Wandel in die Architektur einzeichnet und von ihr erzeugt wird. Die Vermutung ist, dass ein architektonisch gestützter Wandel von Wahrnehmungs-, Bewegungs- und Interaktionsweisen stattgefunden hat, der Selbst-, Welt- und Sozialverhältnis nicht unberührt ließ. Umgekehrt ist zu verfolgen, wie die Architektur in den gesellschaftlichen Selbstbeobachtungen ihre Bedeutungsaufladung erhält und aus welchen Kontexten heraus sie entsteht. Phänomen und diskursive Deutung sind im Blick zu halten, um jenseits des von Architekt und Bauherr gemeinten Sinns die ‚Effekte‘ der Architektur aufzuspüren.


Architektur als ‚Medium‘ des Sozialen: Architektursoziologie aus der Perspektive der Philosophischen Anthropologie und Ästhesiologie

In der Perspektive der Philosophischen Anthropologie schlägt Joachim Fischer in Auseinandersetzung mit der differenztheoretischen Analyse der Architekturtheorie der Systemtheorie programmatisch eine grenztheoretische Analyse der Architektur vor.
[25] Einerseits dient ihm das philosophisch-anthropologische Theorem der „Baukörpergrenze“ dazu, das Ausdrucksphänomen der Architektur, die Erscheinung an der Baukörpergrenze, ernst zu nehmen. Andererseits wird die Architektur medientheoretisch von Fischer so beschrieben, dass sie als das „schwere Kommunikationsmedium“ der modernen Gesellschaft inmitten ihrer „leichten“ Kommunikationsmedien (Schrift, Geld) vergleichbar analysiert werden kann. Wegen der unaufhebbaren Positionalität bei aller Exzentrizität des Lebewesens Mensch ist Architektur in philosophisch-anthropologischer Perspektive ein ko-evolutives, kein nebensächliches Medium der Vergesellschaftung. Der folgende systematische Vorschlag, Architektur als „Medium des Sozialen“ zu betrachten, teilt grundsätzlich diese philosophisch-anthropologische Position und kann an sie anknüpfen.[26]
Vorausgesetzt ist in einer solchen Architektursoziologie ein kulturphilosophischer Medienbegriff, der mit Ernst Cassirer die Wende von der
transzendental-philosophischen Erkenntniskritik in eine „Kritik der Kultur“ insgesamt nimmt
[27] und diese wiederum mit Helmuth Plessner in einer philosophisch-anthropologischen „Kritik der Sinne“ fundiert.[28]Kerngedanke beider Medien- und Symboltheorien[29] ist einerseits die Untrennbarkeit von Materialität und Bedeutung (Sinn und Sinnlichkeit), andererseits die Einheit der verschiedenen Weisen der Produktion von Welt, Selbst und Sozialem: Musik, Wissenschaft, Sprache, auch Architektur sind verschiedene Medien, die unsere Selbst-, Welt- und Gesellschaftsauffassung konstituieren.[30] Die These einer Kritik der Sinne („Ästhesiologie“) ist dann, dass diese Verschiedenheit ihren fundierenden Grund, ihr „materiales Apriori“ in der Verschiedenheit der sinnlichen Modalitäten des Menschen hat. Entsprechend kann in Musik strukturell etwas anderes ausgedrückt und verstanden werden als in Geometrie, in der nonverbalen, körperräumlichen Architektur anderes als in der syntagmatisch gegliederten Sprache. Dem korreliert jeweils eine bestimmte Körperhaltung[31]: Musik regt zur ungerichteten, resonanzhaften Bewegung im Tanz an, in der Wissenschaft und im Alltag instrumentalisiere ich demgegenüber meinen Körper distanziert, zielgerichtet. Alle Medien der menschlichen Welt- und Selbstauffassung sind prinzipiell gleichwertig, nicht aber gleichartig und dann gegenseitig ersetzbar. Architektur geht im Diskurs nicht auf. Eine solche Kulturtheorie erlaubt, sich der Eigenlogik von Architektur als einem ‚Medium‘ des Sozialen zu nähern, das auf Augen und Leib zielt. Jede Architektur wirkt vorsprachlich, ist ein vorbewusst bleibendes Medium, das mich einerseits umgibt, eine körperräumliche ‚Atmosphäre‘ schafft, die die Konstitution von Welt, Selbst und Gesellschaft durch die Art der (Baukörper-)Grenzziehung[32], durch räumliche Analogien von Innen/Außen, Oben/Unten mit prägt, und zugleich bestimmte Körperhaltungen nahe legt, andere ausschließt. Dabei wird Architektur in der Gewohnheit rezipiert, ist in ihrem Ausdrucks- und Strukturierungscharakter nur im distanzierten Blick zu erfassen. Mit diesem wird sichtbar, worin der besondere konstitutive Charakter von Architektur liegt: in der körperlichen Dimension, in den immer auch kulturell besetzten Raumrichtungen und -formen, die bestimmte Bewegungen und Wahrnehmungen und Welt- und Selbstbilder evozieren. Dass wir uns um und in Architektur bewegen müssen (wenigstens imaginär), um sie ‚zu verstehen‘, gilt vielleicht verstärkt für die Architektur der Moderne, denkt man an die Argumentation von Giedion und Benjamin: dass nämlich das Entwurfsprinzip der Architektur sich in diese Richtung verschoben hat, hin zur Asymmetrie, zur Transparenz, zu wechselnden Blickwinkeln. Architektur hat genauso fundamental mit Material und Funktion zu rechnen, ist ein „schweres“ Medium[33], dessen (vergleichsweise vage) Bedeutung sich – anders als die Bedeutung sprachlicher Zeichen – phänomenal nicht von seiner Materialität abhebt. Zugleich sind die diskursiven Deutungs- und ihre Handlungsspielräume der Architektur einzurechnen. Die These einer solchen Medien- oder Kulturtheorie ist, dass zwischen einer bestimmten Architektur in Form, Material, Funktion und ihrer sozialen Realität, der jeweiligen „Haltung zum Leben“ eine ‚Wahlverwandtschaft‘, eine fördernde „innere Affinität“ besteht.[34]
Eng verknüpft ist die Argumentation einer solchen Medientheorie, die die Arten und Weisen des menschlichen Ausdrucks und Verstehens behandelt, mit dem fundierenden Denkansatz der Philosophischen Anthropologie, den Helmuth Plessner in Auseinandersetzung mit Max Scheler mit dem systematischen Pflanze-Tier-Mensch-Vergleich und der Schlüsselkategorie der „exzentrischen Positionalität“ entscheidend geprägt hat.[35] Im grundlegenden, empirische Wissenschaften vom Menschen einbeziehenden Ansatz der Philosophischen Anthropologie, der konsequent immer auch eine soziologische Perspektive entwickelt[36], erscheint Architektur als eines der dem Menschen als körperlichem, in Raum und Zeit positionierten Lebewesen eigentümlichen und notwendigen Verkörperungsmittel. Dabei geht es zunächst um die der Ausdrucksweise vorgelagerte Notwendigkeit von Expressivität, von Kultur überhaupt. Der Mensch als das unspezialisierte, ergänzungsbedürftige, hälftenhafte Tier, das Naturwesen, das reflexiv ‚hinter sich‘ gekommen ist, in den Doppelaspekt von Körperleib und Seele gestellt ist, muss sich planend und handelnd eine zweite Natur schaffen - dies erfüllt die funktionale Dimension des Gebauten. Als das sich selbst unergründliche Wesen muss er sich stets neu ausdrücken – dies erfüllt die expressive Dimension der Architektur. „Erst im Haus tritt der Mensch aus der Natur heraus“.[37] Architektur ist ein Monopol des Menschen, Teil der „natürlichen Künstlichkeit[38] des organisch Tier bleibenden (positionierten) und des sinnorientierten, reflexiven (exzentrischen) Lebewesens. Zugleich ist sie in ihrer Erscheinung Ausdruck und Maske eines sich selbst nur „vermittelt unmittelbaren“ Wesens[39]: Die „Baukörpergrenze (ist) genuin auch eine expressive Grenze“.[40] Dieses Hervor- und Heraustreten, dieses Erscheinen an der architektonischen Grenze ist stets von Neuem zu beginnen, kommt doch der Mensch, dieses existentiell historische Wesen, „nie dahin, wohin er will – ob er eine Geste macht, ein Haus baut oder ein Buch schreibt“.[41] Die gesellschaftskonstitutive Dimension von Architektur macht auch durchsichtig, weshalb Architektur stets umstritten ist, weshalb „die je konkrete Vergesellschaftung auf die je spezifische Sozialregulation der Architektur so scharf ist“.[42] Die architektonischen Objektivierungen des Geistes sind stets gefährdet. Soziologisch wird Architektur immer auch auf ihre Zerstörung hin zu befragen sein.


C         Exemplarischer Ausblick: Architektursoziologie des Dekonstruktivismus

Ernst Bloch sagte von der Avantgardearchitektur der 1920er Jahre, in ihr drücke sich ‚Abschied’ aus: sie habe unbewusst bereits die Flucht vor dem Faschismus angetreten, ihre Transparenz sei verfrüht. „Heute sehen viele Häuser wie reisefertig drein. Obwohl sie schmucklos sind oder eben deshalb, drückt sich in ihnen Abschied aus. Im Inneren sind sie hell und kahl wie Krankenzimmer, im Äußeren wirken sie wie Schachteln auf bewegbaren Stangen, aber auch wie Schiffe. Haben flaches Deck, Bullaugen, Fallreep, Reling, leuchten weiß und südlich, haben als Schiffe Lust, zu verschwinden.“
[43] Die Avantgardearchitektur von heute ist die dekonstruktivistische Architektur. Für diese gegenwärtige Avantgarde der Architektur könnte man sagen, hier drücke sich ‚Ankunft‘ aus, und zwar die Ankunft des ‚Fremden‘ im Herzen der Stadt: planetaric architecture.[44] Dekonstruktivistische Architektur, das sind landende Weltraumgleiter (Zaha Hadid), zerfetzte Raumschiffphantasien (Lebbeus Woods), zerbrechende Trümmerhaufen außerirdischer Flugobjekte in der befremdenden Ästhetik des „von der Lenksäule durchbrochenen Brustkorbs“ (Coop Himmelb(l)au).

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Abb. 1: BMW Fabrik Leipzig, Außenansicht
© BMW Group
  Im heterogenen Phänomen des Dekonstruktivismus geht es im Folgenden um die Architektur Zaha Hadids, der derzeit begehrtesten Architektin, deren Bedeutung längst in die Öffentlichkeit gedrungen ist (sicher auch als erste erfolgreiche Frau in dieser traditionell männerdominierten Szene). Vor allem in Deutschland und Japan stößt sie auf Resonanz. 2005 entstanden in Deutschland mit dem Phaeno Center in Wolfsburg und der BMW-Fabrik in Leipzig gleich zwei Gebäude, das letztere erhielt den deutschen Architekturpreis. 2004 bekam sie den Pritzkerpreis; in Feuilleton und Fachzeitschriften ist sie omnipräsent. Gegenüber anderen Dekonstruktivisten ist ihre Architektur gemäßigt, harmonisch. Hinter dieser Architektur steht – und das ist soziologisch relevant - ein gesellschaftliches Engagement, das sich nicht nur in einer Analyse und Kritik der Gegenwartsgesellschaft äußert, sondern auch in einer – reflexiven, ‚postmodernen‘ - Utopie. Im Versuch einer architektursoziologischen Analyse des Dekonstruktivismus soll nun vor dem Hintergrund des Ansatzes einer Philosophischen Anthropologie diese Architektur als eine der Gegenwartsgesellschaft sichtbar werden; vor dem Hintergrund der Ästhesiologie geht es um die Potentiale dieser Architektur, Wahrnehmung und Bewegung zu prägen. Dabei kann es sich wegen der Aktualität des Phänomens nur um eine vorläufige Analyse handeln.


Dekonstruktivismus: das Phänomen

Seit 1988 zählt Hadid zu den Vertretern der dekonstruktivistischen Architektur.
[45] Zu unterscheiden sind hier zunächst zwei Bedeutungen: die diskursiv begründete Richtung einer ‚Wahlverwandtschaft‘ zum philosophischen Dekonstruktivismus; und die architekturimmanent begründete Richtung in Auseinandersetzung mit dem russischen Konstruktivismus (freilich ohne dessen Gesellschaftstheorie zu teilen). Wie der westliche Konstruktivismus ist der sowjetische fasziniert von der modernen (Verkehrs-)Technik, noch mehr als dieser aber von der kosmischen Dimension, der Möglichkeit einer totalen „Beherrschung des Raumes“.[46] 1920 werden in der Sowjetunion fliegende Städte entworfen, wird aus der Weltraumperspektive gezeichnet.[47] Dabei spielt eine Rolle, dass die Bebauung des Bodens und damit dessen Verwandlung in Eigentum vermieden werden sollte. Hadids Architektur radikalisiert diese Formensprache und ihr Grundthema des Fliegens. Gegen die Erdenschwere der Architektur, dieses „schweren“, der Positionalität des Menschen entsprechenden Mediums, werden in allen dekonstruktivistischen Architekturen die Kunstgriffe der Statik genutzt, um gewohnte Bilder zu verunsichern. Architektur beruht auf der Beherrschung bestimmter statischer Gesetze, auf der gekonnten Überwindung der Erdanziehungskraft, und ein wesentlicher Ehrgeiz der Moderne war, diese Beherrschung der Statik in den Konstruktionen sichtbar zu machen, sie nicht hinter Ornamenten zu verstecken. Dekonstruktivistische Architektur spielt hingegen mit den Gesetzen der Statik, sie setzt sie scheinbar außer Kraft, im Versuch, Wolken zu bauen – so der Anspruch Coop Himmelb(l)aus – oder fliegende Architekturen zu schaffen – so Zaha Hadid.[48] Es ist keine Architektur, die die Maschinenästhetik der Architektur der Moderne fortführt. Dabei sind die Architekten erneut fasziniert von physikalischen Theorien, von philosophischen, mathematischen, biotechnologischen, ökonomischen Selbstbildern der Gegenwart, mit ihren Begriffen von Netzwerk-Beziehungen, fluiden Identitäten, rhizomartigen Rationalitäten, fasziniert von den differenztheoretischen Metaphern der Faltung, der Ströme und des Werdens (Deleuze), den enthierarchisierten Ontologien und der Chaostheorie. Bei allen dekonstruktivistischen Architekturen handelt es sich um Strategien der Verfremdung, um fremde Architekturen: Objekte, die in Form und Material die geordnete Stadt der Moderne und die geordnete Architektur der Moderne verletzen. Immer sind es Spektakelarchitekturen, die polarisieren und selbst Architekturkritiker und Architekten spalten. Es handelt es sich um eine verrätselte Architektur, kommentarbedürftig wie die moderne abstrakte Kunst, irritierend wie diese, und zwar nicht so sehr, weil man die Funktion der Gebäude nicht erkennt, sondern weil man den Gestus eines funktionslosen, inkommensurablen Überflussphänomens nicht versteht, der sich nicht in das Credo der Architekturmoderne einfügt. Konnte man den Zitaten der Postmoderne noch Regionalisierungs- und Traditionalisierungsstrategien ansehen, ironische Ornamente der ‚Heimat‘, ihren entertainment architectures das Bemühen um Narration gegenüber der funktionalistischen Moderne, so ist die dekonstruktivistische Architektur zunächst undefinierbar.


Die Architektur Zaha Hadids
 
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Abb. 2: The World (89 Degrees)
© Zaha Hadid
  Wenn man nun die Architektur Zaha Hadids im Besonderen beschreiben will, helfen (auch ihr selbst) die Metaphern der Verdrehung, Verbiegung, Verzerrung von Räumen und Flächen und die des Fliegens großer, organischer Massen. Entworfen und gebaut werden verharrende Weltraumgleiter, und zwar nicht in den perfekten Zylinderformen tatsächlicher Raumflugkörper, sondern in zunehmend biomorphen Formen, mit kontinuierlich fließenden Räumen. Öffnungen und Durchbrüche ersetzen herkömmliche Türen und Fenster, Trichter Stützen, ansteigende Ebenen abschließende Wände, schräge Flächen lotrechte Begrenzungen, diagonale Lauflinien orthogonale Korridore, geschwungene Rampen Treppen. Es handelt sich hier um die ständige Irritation der Anschauung (nicht erst der Deutung): Der Mensch als das exzentrische und das positionierte Lebewesen orientiert sich zunächst in seinem Lebensraum, der Erdoberfläche, der aufrechten Haltung und dem orthogonalen Bezugssystem des seines Bewegungsraumes. Eine dynamische, ‚schräge‘ Architektur verletzt diesen Ordnungssinn, wirkt bewegt. Schon die sowjetische Revolutionsarchitektur benutzte, um diesen Effekt zu verstärken, den Winkel der Erdachsenneigung. Hadid entdeckt weitere Entwurfstrategien: sie entwirft Gebäude von oben, so, als ob sie sich nicht aus der Erde erheben, sondern sich auf sie niedersenken, und wählt dazu den gewöhnungsbedürftigen Blick aus dem All.

Zudem entwirft sie, indem sie sich imaginär um das Gebäude bewegt und diese Bewegung in Ansichten, Grundrissen, Schnitten einfriert. Erst im Entwurfsprozess wird entschieden, ob es sich bei der explodierten Isometrie oder dem Blick auf rotierende Körper um eine Darstellung handelt oder um die Dynamik der Architektur selbst. Im Ergebnis ist nicht nur die architektonische Gestalt revolutionär; auch die Funktion wird irritiert. Die neuen Räume sind mehrdeutig, geben weder Ganglinien noch Hierarchien vor und vermischen systematisch die Bereiche des Öffentlichen und Privaten (i. S. des privaten Bodeneigentums, nicht nur in Wohngebäuden, sondern auch in Fabriken etc.). Perspektivenüberlagerungen, Verzerrungen und Verkrümmungen des Raumes machen Form und Inhalt, Form und Funktion ununterscheidbar. Es ist der Versuch, herkömmliche Bautypologien (einer Oper, einer Fabrik, eines Wohnhauses) außer Kraft zu setzen und an deren Stelle neue Benutzungs- und Interaktionsweisen zu evozieren. Dem dient eine nicht euklidische, nicht geordnete, nicht serielle und nicht hierarchische, sondern biomorphe Formensprache.


Fliegen. Die soziale Utopie

Die sozialtheoretisch relevante Utopie, die in dieser angezielten Umprägung von Bewegungs- und Wahrnehmungsweisen durch die architektonische Raumkonstitution besteht (die selbst wiederum einer gesellschaftsspezifischen Raumvorstellung und Ontologie entspricht), lässt sich an der BMW-Fabrik in Leipzig in einer (Architektur-)Soziologie der Utopie kursorisch andeuten.
[49] Diese Fabrik revolutioniert die Typologie der Industriearchitektur. Die Repräsentation von Hierarchien weicht einer fluiden, sanft ansteigenden Verwaltungs-Ebene, die sich mit den Räumen und Wegen der Produktion überschneidet. Wie eine „Druckkammer[50] soll das von Hadid entworfene Zentralgebäude durch die architektonisch erzwungene Vermischung von Arbeitern und Angestellten Statushierarchien still stellen. Dass die Angestellten die geschlossenen Bürotrakte durch die Platzierung persönlicher Gegenstände wiederzugewinnen suchen, macht deutlich, dass diese Architektur in der Tat herausfordert.
 

Auch eine Entwurf gebliebene Villa (Spiral House) versucht, mit neuen Räumen neue Wahrnehmungs-, Bewegungs- und Interaktionsweisen und damit eine andere Praxis des Wohnens zu evozieren. Ihr Prinzip besteht in einer spiralförmig ansteigenden Geschossplatte, auf der nur Schlafzimmer und Bäder durch Wände abgetrennt sind, so dass alles in Bewegung gerät gegenüber der konventionellen Uniformität, Isomorphie, Territorialisierung. Räume werden geöffnet, Wände gefaltet und gebogen, Funktionsgrenzen verwischt. Neue Typologien des Wohnens sollen durch neue Kommunikationskanäle und unerwartete Durchblicke geschaffen werden. Die dezentralisierte Spirale als Grundprinzip hinterfragt insbesondere unsere Innen-Außen-Auffassung, die stets als Analogie der Auffassung des Innen-Außenwelt-Verhältnisses eines exzentrisch positionierten Wesens fungiert. Das Phaeno-Center Wolfsburg ist ebenso als fremdes Objekt konzipiert. Es hinterfragt die Trennung der Gesellschaft in die komplementären Sphären öffentlich und privat, indem der öffentliche Raum kontinuierlich durch das Gebäude hindurchfließt, Geschosse durch eine volumetrische Logik, einen langgestreckten Baukörper auf stumpfkegelartigen Stützen formuliert werden, die sich aus ihm herausstülpen. So entsteht eine fremdartige Kraterlandschaft mit ebenso fremden Materialien: insgesamt ein ästhetisches Neuland, das es erst zu besetzen gilt.
Mit der Gestalt dieser Architektur ist eine kritische Weiterführung der Architekturmoderne und dadurch ihrer Gesellschaft verbunden: Die Architekturmoderne wird (diskursiv verstärkt) dominiert von statischen, kubischen Formen und seriellen Räumen, das die Standpunktrelativität des Einzelnen verdeutlicht. Das Wissen um die Kontingenz gesellschaftlicher Regeln und Institutionen führte nun nicht zum Offenlassen von Spielräumen, sondern zu deren Abschaffung in der Bereitstellung eindeutiger, euklidisch-geordnet formierter Funktionen und Wege.
[51] Bei gesellschaftspolitisch verschiedenen Motiven war das gemeinsame Motiv der historischen Avantgarde, dieser Intellektuellen, die soziale Ordnung einer Massengesellschaft. Hadid steht durchaus in dieser Tradition, der Faszination für Wissenschaft, Ingenieurkunst, Technik, für die Artifizialität der Moderne, der Komplexität der Gesellschaft entsprechend. So wird etwa die Artifizialität im Dekonstruktivismus noch einmal radikalisiert, indem statisch scheinbar Unbaubares gegen den gezielt herbeigeführten Augenschein der Labilität, des Auseinanderbrechens, gegen die Sinnvermutung der Anschauung realisiert wird. Und auch die Architekturmoderne benutzte als ein Grundthema das Schweben, allerdings war es kein ‚dynamisches Schweben‘, sondern der Stillstand über dem Erdboden.[52] Das Ziel des dekonstruktivistischen Entwurfs deformierter Räume ist, die Wahrnehmung des Behälterraums zu ersetzen durch fließende Räume, die eine andere Vorstellung der Gesellschaft evozieren und sozialen Wandel zur Grundkategorie des Bildes vom Sozialverhältnis machen. Dem korreliert die Etablierung einer neuen Perspektive auf die Welt: Im Blick von oben verschieben sich Welt- und Selbstverhältnis in die dezentrale, nichthierarchische Weltraumperspektive. Sozialtheoretisch setzt diese Architektur insgesamt auf die latente Kraft der körperräumlichen Form, um soziales Handeln und Gesellschaft zu verflüssigen, im modellhaften Raumerlebnis eine ‚offene Gesellschaft‘ herbeizuführen.


Landen. Die gesellschaftliche Realität

Diese utopischen Momente sind als Gegenbild zur gesellschaftlichen Wirklichkeit zu begreifen, können gesellschaftstheoretisch als indirekter Indikator der Gegenwartsgesellschaft dienen. Hier geht es um die Verankerung der Utopie in der Wirklichkeit der kapitalistischen Gesellschaft. Die Gesellschaft, die eine solche Architektur ermöglicht und in der sie Resonanz macht, muss zunächst eine ‚Wissensgesellschaft‘ auf dem Stand der Gegenwart sein: deren Leitwissenschaften sind Informationswissenschaft und Biotechnologie; scheinbar weit entfernt vom Fortschrittsoptimismus der Moderne, ist sie fasziniert von den neuen Wissenschaften und technischen Möglichkeiten, nicht zuletzt von der Epoche der Raumfahrt. Zugleich ist diese Architektur Ausdruck der Gegenwartsgesellschaft, insofern sich diese als ‚Medien- und Informationsgesellschaft‘ beschreibt: Erst dank neuer Zeichen- und Konstruktionsmedien ist diese Architektur realisierbar. Und obgleich als Architektur für die Massengesellschaft konzipiert, ist sie nicht vorstellbar als flächendeckende: es kann sich nur um fremde Objekte innerhalb einer geordneten Welt handeln, um fremde Objekte in der ‚verbürgerlichten Massengesellschaft‘. Diese Architektur weist nicht mehr auf die Massengesellschaft der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sondern auf die bürgerliche Gesellschaft nach ihrer Kontingenzerfahrung
[53], die gelernt hat aus den totalitären Versuchen, die Gesellschaft zu ordnen. Dazu formuliert sie im Feld der Architektur einen anderen Umgang mit Kontingenz, geht es ihr im Offenlassen der Nutzung um Kontingenzsteigerung. Dies geht einher mit der wissenssoziologisch beobachtbaren, reflexiven Ernüchterung der Utopie, der Art, in der sozialer Wandel in Angriff genommen wird: Entworfen werden, der Lage eines autonomen Teilsystems ‚funktional differenzierter Gesellschaften‘ entsprechend, ‚latente‘ Utopien, die durch einen singulären Impuls Gesellschaft verändern sollen.[54] Dem dient die spektakuläre Architektur, die entlang einer „Ökonomie der Aufmerksamkeit[55] konzipiert ist. Eine solche Architektur lässt sich nun zweifach ökonomisch verwerten, auf eine eher offensichtliche und auf eine eher subtile Art und Weise. Die offensichtliche Funktion dieser Architektur besteht im Werbeeffekt, den Unternehmen in der ‚Konsumgesellschaft‘ erzielen.[56] Die subtile Weise besteht in der architektonischen Ausblendung der ‚Klassengesellschaft‘ (hier trifft sich die Analyse mit der Kritischen Theorie). Die Architektur weist in dieser Hinsicht eine innere Affinität, eine Wahlverwandtschaft mit gegenwärtigen Management-Theorien auf. Sie verkörpert diese, funktioniert entlang ihrer Logik und führt den ‚dritten kapitalistischen Geist‘ sicht- und greifbar in den Alltag ein. War die Architektur der Moderne fasziniert von den rationalistischen Strategien Taylors und Fords, ist die dekonstruktivistische Architektur fasziniert von der ‚postfordistischen‘ Verschlankung von Hierarchien, der Betonung von Kommunikation, Flexibilität, Kreativität und Eigenverantwortung.[57] Diesem neuen Bild des Kapitalismus entspricht eine veränderte Vorstellung von der Gesellschaft, die sich selbst nicht mehr als ‚Klassengesellschaft‘ beschreibt. Wirksamer als die Management-Literatur propagiert die Architektur diese Vorstellungen, indem sie deren Metaphern (Rhizom, Netzwerk, Dynamik, Ströme) in Beton übersetzt.[58] Durch die doppelte Irritation einer dynamischen Gestalt und einer offenen Funktion reproduziert die Architektur das von den Leitwissenschaften gezeichnete Bild der Gesellschaft, das neue Subjektbilder und Ontologien etabliert und dabei soziale Ungleichheiten ausblendet. Die gesellschaftliche Resonanz jenseits der Vermarktungsfunktion speist sich möglicherweise nicht nur aus dieser Suggestion: Im Blick von oben suggeriert diese Architektur dem Nutzer, der sich imaginär in die Perspektive der landenden Objekte hineinversetzt, Übersicht in einer unübersichtlich gewordenen Welt; in der Dynamik den Gegenentwurf einer als unflexibel, in ökonomische Imperative und statische Ungleichheiten verstrickt wahrgenommenen Welt. Einzurechnen ist hier auch die gesellschaftliche Faszination für die Raumfahrt. „In der praktischen Beherrschung der Welt von oben erhalten ... die an die Erde gebundenen Siedlungsformen und Bauformen wie überhaupt alle erdgebundenen Umweltbezüge des Menschen einen bisher unbekannten Charakter. Sie werden im wahrsten Sinne des Wortes relativiert.“[59] War dies von Helmuth Plessner 1949 mit Blick auf den Luftkrieg gesagt, löst die dekonstruktivistische Architektur die These einer Veränderung der Bauformen auf ganz andere Weise ein. Ihre dezentralisierte, mit Raumfahrtmetaphern spielende Architektur ist selbst exzentrisch geworden, unserer Selbstreflexion und der gesellschaftlichen Lage, die die Entwicklung von Wissenschaft und Technik evozieren, entsprechend. Die offene Form der neuen Architektur steht im Verhältnis einer inneren Affinität zu dieser Eroberung des Weltraums. Die säkularisierte Gesellschaft macht sich vertraut damit, dass „noch andere Möglichkeiten von Leben und lebendiger Entwicklung“ bestehen. Die Philosophische Anthropologie ist der adäquate theoretische Ausdruck dieser Lage (ohne darin aufzugehen), der Dekonstruktivismus deren architektonische Verkörperung. Was sich in die Architektur „übersetzt, ist der Verlust der Scheu vor der Vertikalen, ihre Einbeziehung als Aktionsrichtung und damit ihre Relativierung, die Entfaltung einer nicht mehr standortgebundenen und insoweit horizontlosen ‚Um‘-Welt ohne Oben und Unten“.[60]
Ob die Utopie realisiert wird, bleibt – gegenüber dem notorischen „Desillusionsrealismus“ der Soziologie (Karl Mannheim) – abzuwarten. Im Blickwinkel einer Architektursoziologie, die die Gestalt des Gebauten analysiert, ist der Dekonstruktivismus jedenfalls nicht nur eine akademische Auseinandersetzung und mithin gesellschaftliches Distinktionsmittel des Bildungsbürgertums (zweifelsohne ist dies soziologisch – mit Bourdieu – immer auch zu sehen). Philosophisch-anthropologisch handelt es sich um eine ernst zu nehmende Ausdrucksform des menschlichen Geistes, soziologisch um eine zu analysierende Strategie sozialen Wandels. Die Architektur der klassischen Moderne wäre noch als vergleichsweise nicht-reflexiver Versuch zu beschreiben, eine definitive Ordnung, ‚Heimat‘ zu schaffen, und dabei zu disziplinieren (mit Foucault und Elias). Wegen der Unergründlichkeit des exzentrisch positionierten Lebewesens ist zugleich nie von einem ‚Ende‘ der Architektur auszugehen, bleibt spannend, wie sie sich – als Seismograf der Gesellschaft und als konstitutives Medium des Sozialen – entwickeln wird.
 


Literatur:

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[1] Eine erste, als Lehrbuch konzipierte Einführung hat B. Schäfers (2003) vorgelegt (vgl. Schäfers 2004). Einen programmatischen Vorschlag haben J. Fischer (2005) und H. Schubert unterbreitet (2005). Einen Theorienvergleich an einem Ort der Moderne konzipierten J. Fischer und M. Makropoulos (2004). Eine erste architektursoziologische Tagung fand als Ad-hoc-Gruppe auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 2004 statt (die Beiträge in: Rehberg 2005). Die zweite Tagung „Die Architektur der Gesellschaft. Architektur der Moderne im Blick soziologischer Theorien“ wurde veranstaltet von der TU Dresden (28./29.4.2006, www.architektur-soziologie.de). Dort fand auch ein erstes Treffen der AG Architektursoziologie der DGS statt.
Im Anschluss an die ‚klassischen‘ Autoren haben nach 1945 insbesondere H. P. Bahrdt u. R. König die Stadtsoziologie begründet, gefolgt von zahlreichen Forschungsprojekten, die die Stadt, kaum die Architektur selbst in den Blick nahmen. Zu einem (dies unfreiwillig zeigenden) Überblick bis in die 70er: siehe Th
urn 1972. Gegenwärtig sind (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) in kultursoziologischer Richtung M. Makropoulos, J. Fischer, W. Prigge, in stadtsoziologischer H. Schubert, B. Schäfers, H. Häußermann, J. Dangschat, W. Siebel, H. Bodenschatz zu nennen; international v.a. S. Sassen. Gender Studies verfolgen architektursoziologisch K. Dörhöfer, U. Terlinden, Susanne Frank, K. Weresch. Als empirische Studie sei exemplarisch Boudon 1971 genannt.
Nicht eingegangen werden kann hier auf andere Disziplinen, die architektursoziologische Fragen behandeln (Architekturtheorie, -psychologie, Literaturwissenschaft).

[2] Den entsprechenden „architectonic turn“ fordert Schöttker 2005.

[3] Raumsoziologien beziehen sich kaum auf Architektur (vgl. Läpple 1991, Löw 2001, Schroer 2006).

[4] Kaufmann 2005. Erwähnt werden hier nur die programmatischen Texte; es gibt natürlich jeweils Einzelstudien über diese hinaus und vor ihnen.

[5] Baecker 1990.

[6] Auch international gibt es kaum Architektursoziologie-Lehrstühle; dasselbe gilt für Lehrbücher, Tagungen etc.

[7] Architektursoziologie schreibt - kultursoziologisch verstanden - der Architektur keine „soziale[n] Funktionen ins Stammbuch“ (de Bruyn 2005); eher war es umgekehrt. Architektursoziologie ist im hier verstandenen und vorgeschlagenen Sinn zunächst gesellschaftsanalytische Reflexion über Architektur (und dann auch Kritik); dabei beansprucht sie, auch noch die Architekturtheorie zu durchschauen.

[8] Daher gibt es neben aufschließenden stets erneut eliminierende Theorienvergleiche.

[9] Fischer/Makropoulos 2004.

[10] Zur Programmatik einer solchen systematischen Architektursoziologie Delitz 2006a.

[11] Benjamin 1991, 2002.

[12] Kracauer 1987; Volk 1997.

[13] Bloch 1959.

[14] Foucault 1976.

[15] Elias 1969.

[16] Gleichmann 1979.

[17] Baecker 1990.

[18] Rehberg 2001.

[19] z. B. Dörhöfer 2002.

[20] de Certeau 1999.

[21] Max Weber sprach analog von einer Wahlverwandtschaft als der „fördernden Adäquatheit“ von puritanischer Gesinnung und kapitalistischem Ethos (Weber 1978, 31, 171, 284).

[22] Darin spielen dann immer auch wissenssoziologische und intellektuellensoziologische (Architekten betreffend), ökonomische und rechtliche Analysen (Bauherren und Investoren betreffend) eine Rolle. Primär ist aber die Architektur Anschauungsobjekt, an dem sich alle sozialen Beziehungen kristallisieren, die mit dem Bauen verbunden sind.

[23] Le Corbusier 1929, 136.

[24] Delitz 2006b.

[25] Fischer 2005. Durchgeführt ist diese Perspektive am Phänomen des Potsdamer Platzes in Fischer 2004.

[26] Der hier vorliegende Vorschlag differiert in Begriffs- und Gegnerwahl: ‚Kommunikation‘ ist im Fall der Architektur in der Auseinandersetzung mit der Systemtheorie konsequent, könnte ansonsten aber ein missverständlicher Begriff sein. Die konstitutive Funktion von Architektur besteht einerseits gerade in der Differenz zur Sprache als eines unbewusst bleibenden, körperlich rezipierten Interaktionsmediums. Andererseits ist Architektur auch individuelles Ausdrucks-, gesellschaftliches Verkörperungs- und historisches Speichermedium. Das könnte im Ausdruck ‚Kommunikation‘ untergehen.

[27] Cassirer 1994. Cassirer spricht vom ‚Medium‘ Sprache, Wissenschaft, Kunst etc. schon in der Einleitung in Band 1 (1923). Er hat die Architektur allerdings nicht systematisch als symbolische Form betrachtet.

[28] Plessner 1981. Plessner spricht vom ‚Medium‘ in Bezug auf die Kunst (ebd., 178) und generell in Bezug auf die menschliche Kultur (Plessner 1975, 340). Auch er ist nicht systematisch auf Architektur eingegangen.

[29] Zum systematischen Vergleich der Theorien Delitz 2005b.

[30] Dieses Verhältnis von Medium und darin Aussagbarem fasst Plessner als „Konkordanz“ (formale Übereinstimmung). Plessner 1981, 221.

[31] Dieses Verhältnis fasst Plessner als „Akkordanz („Zusammenstimmung mit der Leibeshaltung)“. Es geht dabei um die (ästhesiologische) Bedingung der Möglichkeit von Architektur. Plessner 1981, 236.

[32] Fischer 2005.

[33] Fischer 2005.

[34] Plessner 1998, 80.

[35] Plessner, 1975. Zum Denkansatz der Philosophischen Anthropologie: Fischer 1995. Vgl. im Folgenden im Hinblick auf Architektur Fischer 2005.

[36] Rehberg 1981.

[37] Scheler 1987, 200.

[38] Plessner 1975, 309-321.

[39] Plessner 1975, 321-341.

[40] Fischer 2005.

[41] Plessner 1975, 337.

[42] Fischer 2005.

[43] Bloch 1959, 855f. Das Motiv der verfrühten Architektur findet sich auch bei W. Benjamin (Benjamin 1991), hier allerdings mit der Bedeutung, dass die neuen Konstruktionsmöglichkeiten und Baumaterialien in den Passagen des 19. Jahrhunderts noch durch alte Formen verdeckt werden.

[44] „Planetaric ist die Idee, Architektur wie ein fremdes Objekt in einen bestehenden Kontext einzufügen...das sich entweder ihm entgegenstellt oder ihn überlagert“ Hadid 1991, 26.

[45] Johnson / Wigley 1989.

[46] Beckmann 1995.

[47] Beckmann 1995; Vogt 1974.

[48] Hadid 1986.

[49] Delitz 2006b.

[50] Hadid 2004, 162.

[51] Makropoulos 1997.

[52] Vogt 1974.

[53] Fischer 2004.

[54] So der Titel einer Ausstellung, dokumentiert in Hadid / Schumacher 2003.

[55] Franck 1998.

[56] Zur Rolle der Konsumarchitektur in der Entwicklung der Konsumgesellschaft: Delitz 2005a.

[57] Boltanski/ Chiapello 2003.

[58] Schumacher 1997a, 1997b.

[59] Plessner 1949.

[60] Plessner 2001.

 


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10. Jg., Heft 1
September 2006