|
|
Soziologie ist die mit
etwas mehr als einem Jahrhundert noch recht junge Wissenschaft von der
‚Gesellschaft‘ – und zwar von der ‚modernen‘ Gesellschaft, wie sie sich
selbst ab Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend problematisch wird.
Konstituiert in Frankreich und Deutschland in der Hochzeit von
Industrialisierung, Urbanisierung und der einsetzenden Individualisierung,
ist sie die Wissenschaft, die die neue, sich beschleunigende,
differenzierende und säkularisierende Welt begierig in sich aufnimmt, um in
ihr die Gesetze des Sozialen zu erkennen. Wie ist soziale Ordnung nach der
Auflösung der traditionellen Bindungen von Sitten, Moral und Religion und
angesichts der ‚sozialen Frage‘ möglich? Das ist
die Grundfrage der Soziologie, bei Émile Durkheim in Paris und Ferdinand
Tönnies in Hamburg/Kiel. Vorausgesetzt ist stets eine bestimmte
Gesellschaftstheorie, eine Diagnose der Gegenwartsgesellschaft: Seit Tönnies
wird diese bestimmt als die arbeitsteilige, kontraktuelle, künstliche
‚Gesellschaft‘ gegenüber der traditionalen, agrarwirtschaftlichen,
organischen ‚Gemeinschaft‘; seit Durkheim spricht die Soziologie auch von
der dominant ‚funktional differenzierten‘ gegenüber der ‚segmentär
differenzierten‘ vormodernen Gesellschaft. Max Weber in München und Georg
Simmel und Werner Sombart in Berlin sind die weiteren Klassiker, die das
Gesicht der europäischen Soziologie prägen. Zeitgleich entwickelt sich in
Chicago (durch die deutsche Soziologielehre v. a. Simmels nicht
unbeeinflusst) die amerikanische Soziologie, die sich in der Frage nach der
sozialen Ordnung auf die Herausforderung einer Einwanderungsgesellschaft
einzustellen hat.
Die ‚moderne Gesellschaft‘, der Gegenstandsbereich der Soziologie, gibt sich
dominant zu erkennen am Gesicht ihrer Großstädte. Sie sind die
Verdichtungsorte der Moderne und Anschauungsflächen der ‚sozialen Frage‘,
aber auch neuer Subjekttypen, Wahrnehmungs- und Interaktionsweisen, von
Individualisierung und wachsendem Kontingenzbewusstsein. Mit ihrer
Verdichtung, ihrem Hochhausbau, ihren Bankgebäuden, Parlamenten,
Warenhäusern, Bahnhöfen und Wohnsiedlungen sind sie die Keimzellen der neuen
Gesellschaftsstrukturen, der kapitalistischen Unternehmen und der
Geldwirtschaft, des Konsums, von Rationalisierung und Bürokratisierung,
Bühne einer in Klassen gespaltenen und einer Massengesellschaft. Architektur
und Stadt des 20. Jahrhunderts und die in ihnen lebenden Menschen sind
(neben Statistiken, Ideologien und Weltanschauungen) das
soziologische Anschauungsobjekt, will man der Eigenart der modernen
Gesellschaft auf die Schliche kommen.
Die Soziologie hat sich bis in ihre gegenwärtigen Theorien und
Forschungsprojekte nicht systematisch mit der Architektur
auseinandergesetzt, wie sie es in anderen Subdisziplinen, etwa mit Religion,
Literatur, Kunst, Technik und auch der ‚Stadt‘ getan hat, in Religions-,
Literatur-, Kunst-, Technik- und Stadtsoziologie. Auch hat keine der
verschiedenen Gesellschaftstheorien in der multiparadigmatischen
Wissenschaft Soziologie eine auf die Architektur zugeschnittene
Fragestellung und Methode entwickelt. Stadt- und Regionalsoziologie
kreisen seit 1945 in Deutschland, beeinflusst von der evolutionistischen
‚Stadtökologie‘ der Chicago School, um ‚urban conflicts‘, um
Urbanisierung, Segregation und Schrumpfung.
Demgegenüber ist eine – sich für das Gebaute in seiner Phänomenalität
interessierende – Architektursoziologie gerade im Entstehen[1],
parallel zu anderen kulturwissenschaftlichen Entdeckungen der Architektur
und der Konjunktur des Raumes in Sozial- und Kulturwissenschaft überhaupt.[2]
Gegenwärtig
verfolgen zunehmend mehr Soziologen von den verschiedenen Theorieparadigmen
aus mit verschiedenen Interessen architektursoziologische Fragestellungen.
Auch gibt es – im Anfangsstudium – eine
Raumsoziologie[3]
sowie eine
Soziologie der Landschaftsarchitektur.[4]
Eine
soziologische Reflexion der Architekturtheorie ist systemtheoretisch
versucht worden.[5]
Auch
international scheint schließlich eine Architektursoziologie gerade am
Anfang zu stehen.[6]
In dieser
Situation ist daran zu erinnern, dass zunächst zumindest Maurice Halbwachs
und Georg Simmel an der architektonischen Physiognomie der modernen
Gesellschaft interessiert waren. Vor allem haben aber Walter Benjamin,
Michel Foucault, Norbert Elias und Ernst Bloch in konkreten Fallstudien
die Architektur auf ihre Aussage- und Prägeform in Bezug auf die moderne
Gesellschaft hin analysiert[7], gefolgt von anderen, nur weniger bekannt gewordenen ‚Einzelkämpfern‘, die
jedoch wie diese (zum Teil zu soziologischen Klassikern gewordenen Autoren)
keine systematische, theoriegeleitete architektursoziologische Fragestellung
entwickelten.
Die Frage nach der soziologischen Sichtweise auf Architektur und
Architekturtheorie wird im folgenden in einem Spektrum möglicher
soziologischer Blickwinkel auf Architektur und
Architekturtheorie geordnet (A). Dazu ist zunächst die besondere Lage der
Disziplin zu vergegenwärtigen: Die Soziologie hat zum einen eine Vielfalt
soziologischer Subdisziplinen hervorgebracht. ‚Architektursoziologie‘
wäre dann eine soziologische Teildisziplin, die Architektur und
Architekturtheorie ins Zentrum rücken würde, diese als das vermittelnde und
zu untersuchende Objekt zur ‚Gesellschaft‘ begreift. Eine (das Fach
mitunter beunruhigende) Eigentümlichkeit der Soziologie ist zudem ihr
‚multiparadigmatischer‘ Zustand[8]:
Wie alle sozialen Phänomene sind Architektur und Architekturtheorie aus
einer Vielfalt nicht aufeinander reduzierbarer, zuweilen polar
entgegengesetzter Gesellschaftstheorien analysierbar. Diese
Perspektiven sind jeweils fundiert in impliziten oder expliziten
Sozialtheorien, je nachdem, welche Relation als
Vergesellschaftungsbasis, als Urphänomen angesetzt wird (Tausch,
Kommunikation, Anerkennung, Konflikt). Angesichts dieser Theorielage wird
zunächst (unvollständig und holzschnittartig) das Spektrum der
Gesellschaftstheorien in ihrem Blick auf Architektur und Architekturtheorie
ausgebreitet (A 1), und dies anhand von Autoren, die tatsächlich
architektursoziologische Analysen durchgeführt haben, und in einer
Ausweitung auf wichtige gegenwärtige Paradigmen. Orientieren kann sich diese
Übersicht an einem 2004 vorgelegten Band, der sieben soziologische
Theorieperspektiven zum Potsdamer Platz befragt.[9] Sodann wird
das Spektrum der soziologischen Subdisziplinen, die sich mit
Architektur und Architekturtheorie beschäftigen könnten, ausgebreitet (A 2).
Andererseits wird gegenüber diesen möglichen Blickwinkeln ein
eigener systematischer Vorschlag entfaltet: eine
soziologische Perspektive, die Architektur als ein zentrales ‚Medium des
Sozialen‘ begreift[10] (B). Schließlich wird exemplarisch skizziert, wie eine solche
Architektursoziologie die Architektur der Gesellschaft in den Blick nehmen
und was sie dabei sehen könnte (C).
A Architektursoziologische Perspektiven in der Theorien- und
Disziplinenvielfalt der Soziologie
1. Das Spektrum soziologischer Theorieperspektiven auf Architektur und
Architekturtheorie
Dargestellt werden zunächst die großen, bereits durchgeführten, impliziten
architektursoziologischen Analysen. Walter Benjamin analysiert in der
Tradition einer marxistischen Soziologie in den Pariser Passagen aus dem 19.
Jahrhundert die in ihrer Wahrheit zu enthüllende
‚Traumgestalt‘ der kapitalistischen Gesellschaft. Die Architektur ist
ihm dabei das „wichtigste Zeugnis der latenten ‚Mythologie’ “ dieser
Gesellschaft, in den Passagen ist die moderne Vergangenheit mit ihren
Möglichkeiten aufbewahrt.[11]
Benjamin legt
hier eine Architektursoziologie der kapitalistischen Klassengesellschaft
vor. Indem er die Passagen in einer Zeit besucht, in dem sie von der
Geschichte überholt sind, kann er sie dabei als die archäologischen
Fundstellen der vergessenen ‚Urgeschichte‘ der gegenwärtigen Gesellschaft
deuten. In ihr entstehen die neuen Sozialtypen, die die moderne Gesellschaft
noch „mit einem versöhnlichen Ton“ umspielen: Der Flaneur, der im
Tempo seiner Schildkröte durch den Warendschungel der überdachten
Ladendurchgänge spaziert. An ihm wird sichtbar, dass die Bedürfnisse und
Wahrnehmungs- und Bewegungsweisen einer Konsumgesellschaft erst in der
spezifisch ambivalenten Architektur der Passagen, die zwischen Straße und
Wohnung oszillieren, evoziert werden. Siegfried Kracauer entdeckt in
den Berliner Passagen das „Marmormassengrab“
der bürgerlichen Gesellschaft.[12] Und Ernst
Bloch liest einerseits die Schiffsmetaphern des Neuen Bauens als
architektonische Endgestalt der bürgerlichen Gesellschaft; andererseits
versteht er die architektonischen Phantasien als sozial effektive, konkrete
Utopien.[13] All diese
Autoren stehen in der Tradition der auf Marx‘ Ideologiekritik und den
historischen Materialismus zurückgehenden Kritischen Theorie der
Frankfurter Schule, die Architektur als Ausdruck der bürgerlichen,
spätkapitalistischen, in der instrumentalistischen Vernunft aufgehenden
Gesellschaft betrachtet; ihr Blick fällt entsprechend ideologiekritisch auf
Herrschaftsfunktionen von Architektur und
Architekturtheorie, historisch auf Untergangszeichen im ‚Design‘ und
materialistisch auf den verdeckten ökonomischen Seinskern in der Funktion
der Architektur der so diagnostizierten Gesellschaft.
Michel Foucault hat in der französischen, von Nietzsche beeinflussten
‚poststrukturalistischen‘ Tradition in Analysen der Produktion von ‚Macht‘
untersucht, welche sozialpsychologische Wirkung die Architektur von
Gefängnissen, Erziehungsanstalten, Fabriken und Kasernen hat.[14] Dabei
diagnostiziert er einen Wandel von der „Straf‑“ zur „Disziplinargesellschaft“.
Insbesondere Benthams Idee des Panopticons, einer Architektur, die auf dem
Prinzip des Sehens-ohne-gesehen-zu-werden beruht, ist für ihn der
Anhaltspunkt, die Individualisierung der Subjekte, ihre Selbstkontrolle und
Verinnerlichung der Zwänge als architekturgestütztes Charakteristikum der
modernen Gesellschaft zu beschreiben. In dieser Perspektive geht es um die
Analyse der gesellschaftsbildenden Macht, die insbesondere die
Architekturmoderne innehat, um die Effekte von über den Körper auf die
Psyche einwirkenden Architekturen, um – mit den Mitteln der Diskursanalyse –
Produktionen des gesellschaftlich Sagbaren und Sichtbaren.
Norbert Elias hat in seiner auf Zivilisationsprozesse zielenden
Figurationssoziologie die höfischen „Wohnstrukturen als Anzeiger
gesellschaftlicher Strukturen“ untersucht.[15]
Auch hier
geht es um Zivilisationsprozesse, um die aggressionsbindende Verfeinerung
der Sitten in der Hereinnahme von Fremd- in Selbstzwänge. Dabei analysiert
Elias zunächst einen Prozess, der sich im höfischen Adel des
absolutistischen Frankreichs abspielt. Die Architektur spielt dabei die
Rolle der prächtigen, die Machtverhältnisse reproduzierenden Bühne;
entsprechend stehen nicht Gefängnisse, Schulen, Spitäler im Blick, sondern
die Schlösser und Palais des französischen Adels, die von den aufsteigenden
bürgerlichen Schichten, wenn auch spezifisch modifiziert, in ihrer
gesellschaftlichen Funktion, ihrer Geschlechter- und Generationentrennung
aufgenommen werden. Peter Gleichmann hat an diese Perspektive
anschließend die „Verhäuslichung der körperlichen Verrichtungen“
verfolgt, die architektonisch gestützte soziale Verfeinerung der Sitten im
Bereich von Hygiene und Sexualität.[16]
Eine
Zivilisations- und Figurationssoziologie beobachtet in der Nachfolge von
Elias die architektonische Anlage auf ihre Aussagen hinsichtlich einer sich
zivilisierenden, in interdependente Zwänge bringenden Gesellschaft, und dies
über die höfische hinaus auch in Bezug auf die bürgerliche Gesellschaft, die
organisierte Moderne des frühen 20. Jahrhunderts und die Gegenwart.
Im Blick auf die Architekturtheorie hat Dirk Baecker in
Nachfolge von und Zusammenarbeit mit Niklas Luhmann eine
differenztheoretische, dem systemtheoretischen Paradigma
verpflichtete Analyse der Semantik des Faches vorgelegt.[17]
In Frage
steht in der Systemtheorie (wenn sie sich der Disziplin überhaupt nähert,
begreift sie doch die Räumlichkeit in der modernen Gesellschaft als disprivilegiert) nicht Architektur selbst, sondern stets die
Kommunikation über Architektur. Dies entspricht dem methodischen
Vorgehen einer Wissenssoziologie, die die Texte einer Gesellschaft als deren
‚Selbstbeobachtung‘ (bzw. -beschreibung) versteht, welche die Soziologie
wiederum – als ‚Beobachtung der Beobachtung‘ – analysiert. Systemtheoretisch
angeleitete Semantikstudien zielen in der Annahme einer Korrelation von
Sozialstruktur und Semantik auf eine historisch verfahrende
Gesellschaftsdiagnose. Die Architekturtheorie wird im Blick auf ihre
Leitdifferenzen nach Hinweisen auf ihre, mit Kognitionsgewinnen
verbundene, Autonomisierung betrachtet, die einer komplexen Gesellschaft
entspricht und gerade nicht mehr davon ausgeht, etwas anderes in der
Architektur lesen zu können – etwa gesellschaftliche Machtansprüche – als
eben die Komplexität. In dieser Sicht sind Funktion, Ästhetik und Solidität
Fremdkonditionierungen der Architektur. Der
unterscheidungstheoretische Blick gewinnt einen Architektur-Begriff, der von
der „Abschirmung im Medium des Raums“ als konstitutiver Basis von
‚Architektur‘ ausgeht. Entsprechend dem konstruktivistischen Theorieton
heißt dies: konstitutiv dafür, etwas als Architektur anzusprechen.
Das hier erreichte Abstraktionsniveau hofft, Architektur auf neue Weise und
damit mehr zu sehen, nämlich die blinden Flecke der Architekturtheorie. Die
systemtheoretische Perspektive beobachtet also einerseits die Architekturtheorie
als eine Selbstbeschreibung der Gesellschaft, im Hinblick auf ihre
gesellschaftliche (Komplexitätsverarbeitung steigernde) Funktion, ihr von
anderen Systemlogiken (Ökonomie, Politik) zunächst unabhängiges Programm und
ihren Anschlussfähigkeit sichernden Code; andererseits beobachtet sie die
Autonomisierung des gesellschaftlichen Subsystems Architektur (in der
Architekturtheorie).
Eine soziologische Institutionentheorie analysiert Architektur
programmatisch als einen „institutionellen Mechanismus“, mit dem sich
soziale Ordnungen über die einzelnen Individuen hinweg auf Dauer stellen,
indem sie ihre Leitideen verkörpern.[18]
Gender
Studies fanden nach der in Städtebau und Architektur sowie ihrer Theorie
angelegten und reproduzierten Arbeitsteilung und Hierarchie der
Geschlechter, etwa in der Trennung der Aufenthaltsbereiche von Mann und Frau
in Zentrum und Peripherie.[19]
Die Cultural Studies betonen mit den von Foucault untersuchten
Machtprozessen zugleich die Subversionschancen, die gegenkulturellen Mittel,
die gegen den Machtanspruch von Architektur zur Verfügung stehen.[20]
Neben diesen durchgeführten sind weitere Theorieperspektiven auf Architektur
und Architekturtheorie denkbar. Der
Strukturalismus würde Architektur als ein der Sprache analoges
Zeichensystem lesen (und dazu deren Theorie mit zur Kenntnis nehmen), deren
Bedeutung in sich selbst kreisend entsteht, im System der syntagmatischen
und paradigmatischen Verschiebungen. Der Poststrukturalismus
würde – neben der diskursanalytischen Perspektive – in der Tradition
Pierre Bourdieus auf die kulturelle Produktion sozialer Distinktionen
hinweisen, auf das kulturelle, symbolische Kapital, das architektonischer
Geschmack, architektonisches Wissen, der ‚richtige‘ Architekt, die
‚richtige‘ Wohngegend und das ‚richtige‘ Architekturdiplom einbringen, und
auf den Habitus, mit dem bestimmte Architekturen einhergehen, den sie
reproduzieren. Der Blick einer Rational-Choice-Theorie fiele auf die
Kalküle, die hinter Investitionen stecken, auf Nutzenrechnungen, aus denen
aus dieser Sicht das soziale Handeln letztlich besteht und erklärt werden
kann.
2. Das Spektrum der soziologischen
Subdisziplinen in Hinblick auf Architektur und Architekturtheorie
Die Architektur einer Gesellschaft ist zunächst – in ihrer Gestalt –
Gegenstand einer Architektursoziologie. Daneben sind weitere
soziologische Subdisziplinen für die Frage nach der Sicht der Soziologie auf
Architektur und Architekturtheorie interessant. Eine Soziologie der
Intellektuellen fragt nach der gesellschaftlichen Stellung und Funktion
und den Herrschaftsansprüchen der (Avantgarde-)Architekten und der
Architekturtheoretiker; eine Wissenschaftssoziologie analysiert die
Disziplinen Architektur und Architekturtheorie in ihren institutionellen
Beziehungen zu anderen Wissenschaften, ihrer Etablierung und
Disziplinierung, ihrer Orientierung an Leitwissenschaften; eine
Soziologie der Utopie würde sich systematisch mit der gesellschaftlichen
Funktion architektonischer Entwürfe und Utopien auseinandersetzen. Die
Architekturtheorie steht potentiell im Blick aller Wissenssoziologien.
Die klassische Wissenssoziologie (Max Scheler, Karl Mannheim) untersucht,
aus welchen ‚sozialen Standorten‘ heraus und für welche gesellschaftlichen
Gruppen Architekten entwerfen; und wie sie dem entsprechend ihre Entwürfe in
Architekturtheorien diskursivieren, in welchem ‚Denkstil‘; die
Wissenssoziologie der Systemtheorie (Niklas Luhmann) hält die Korrelation
von Semantik und Gesellschaftsstruktur insgesamt im Blick, würde also den
diskursiv erhobenen Anspruch auf architektonische Autonomie als Korrelat
einer dominant funktional differenzierten Gesellschaft lesen und deren
Kognitionsgewinne ausbuchstabieren.
Nach der Vielfalt möglicher architektursoziologischer Theorien und
Subdisziplinen wird im Folgenden der eigene
Vorschlag entfaltet. Er basiert auf dem Denkansatz der Philosophischen
Anthropologie, ihrer Kultur- oder Medientheorie und einer in ihr bereit
gehaltenen Sozialtheorie. Gesellschaftstheoretisch ist diese Theoriebasis
offen, nicht festgelegt, sondern jede Perspektive noch fundierend.
Insofern handelt es sich um eine systematische
architektursoziologische Perspektive.
B Architektur als Medium des Sozialen. Architektursoziologie aus
der Perspektive der Philosophischen Anthropologie
Vorschlag einer systematischen Architektursoziologie
Im Folgenden wird Architektursoziologie
verstanden als eine soziologische Teildisziplin, die sich in
Gegenstand, Erkenntnisinteresse und Theorie von den etablierten
Teildisziplinen unterscheidet, die das Gebaute zum Objekt der Sozial- und
Gesellschaftstheorie machen: Gegenüber Stadt- und Regionalsoziologie,
Planungs- und auch Wohnsoziologie ist der Gegenstand einer solchen
Architektursoziologie zunächst das – und zwar jedes – Gebaute in seiner
Gestalt. Das Erkenntnisinteresse ist, anhand der Architektur einer
Gesellschaft ihre Struktur, ihre Vergesellschaftungsmechanismen zu erkennen:
Es geht also im doppelten Sinn um die ‚Architektur‘ der Gesellschaft.
Architektursoziologie versucht primär, im Blick auf das ‚Gesicht‘ (nicht:
Struktur) der Stadt die moderne Gegenwartsgesellschaft zu analysieren.
Vorausgesetzt ist dabei das wechselseitig verschränkte Verhältnis einer
„Wahlverwandtschaft“, der fördernden Adäquatheit von Architektur und
Sozialem.[21]
Um eine
solche Architektursoziologie theoretisch zu klären, wird ein
symboltheoretischer Zugang entfaltet, der die Architektur als eines der
konstitutiven ‚Medien’ der Vergesellschaftung betrachtet.
Zunächst ist also der Vorschlag zur Etablierung einer Architektursoziologie,
sich gegenüber der Stadt- und Regionalsoziologie auf die Architektur zu
konzentrieren, darin der Disziplin Architektur in der Unterscheidung von
Städte- und Hochbau folgend. Gegenstand einer solchen Soziologie sind nicht
Stadtstrukturen, sondern konkrete architektonische Phänomene in Gestalt,
Dimension, Material, Konstruktion.[22]
In einer
solchen Architektursoziologie kann man den soziologischen Blickwinkel
nun so einrichten, dass man das Gebaute als ‚Ausdruck‘, ‚Symbol‘ oder
‚Spiegel‘ einer Gesellschaft versteht. Der zweite Vorschlag ist, ihn
so einzurichten, dass die Architektur zugleich als ‚Medium’ des Sozialen
betrachtet wird. Dabei interessiert das wechselseitig verschränkte
Verhältnis von Architektur und Sozialem, die gegenseitige Beeinflussung.
Architektur als ein kulturelles (oder: das kulturelle) Leitmedium des
20. Jahrhunderts ist der feinsinnige Seismograf gesellschaftlicher
Veränderungen, der diese allererst sichtbar macht, sie re-präsentiert und
re-produziert. Die Vermutung einer gesellschaftsprägenden Kraft von
Architektur ist nicht neu; die Architekten selbst sind seit der ‚Wiener
Moderne’ davon ausgegangen. Architektur erhebt seither den Anspruch,
Konstruktionsmacht neuer Lebenswelten zu sein. Das gilt auch für die
pneumatischen oder die Mega-Architekturen der 1960er und selbst für
gegenwärtige Architekturen. Soziologisch reflektiert, theoretisch fundiert
und empirisch erforscht wurde und wird dies jedoch selten. Diese Perspektive
zu etablieren, heißt, anhand von Phänomenen der Architekturmoderne konkret
zu zeigen, inwiefern ‚Gesellschaft‘, soziale Ordnung durch Architektur
verkörpert und zugleich von ihr konstituiert wird; beziehungsweise: welchen
Einfluss Architektur auf einen sozialen Wandel hat. Mit Blick auf die
Ansprüche der Architekturavantgarde ist zu klären, inwiefern ein Wandel von
Funktion, Technologie, Material und Entwurfskonzept in der Tat bestimmte
Dispositionen des Verhaltens, Wahrnehmungs-, Bewegungs- und
Interaktionsweisen evoziert und inwiefern in Hinsicht auf die Stabilisierung
sozialer Ordnung bestimmte Werte architektonisch verkörpert und damit
wirkmächtig werden. Hier ist für die „organisierte“ Moderne auch die
Architektur der Mobilität zu beobachten. Le Corbusier konzipierte Straßen
wie Massenwohnungen als „eine Art Fabrik von Länge“.[23]
Das pausenlos
oszillierende Verkehrssystem reproduziert die fordistische
Leistungsgesellschaft. Auch wäre eine soziologische Frage nach
der konstitutiven Eigenschaft von Architektur, inwiefern diese die
‚Klassenstruktur‘ einer Gesellschaft reproduziert.[24]
Dabei könnte
es insgesamt erkenntnisfördernd sein, sich auf Leitbauten der
Architekturmoderne zu konzentrieren, die durch ihre diskursive Verbreitung,
in Fotografien, Exkursionen, Texten (nicht nur) die Architekten derselben
und nachfolgender Generationen beeinflussten und deren Formensprache dadurch
real und in den Köpfen verbreitet wurde: erst dadurch erhält sie eine
gesellschaftliche Wirkung. In Frage steht in einer solchen
Architektursoziologie, welche Rolle Architektur in der Vermittlung von
Erfahrungen und der Konstruktion von ‚Gesellschaft‘ und ‚Subjekt‘ spielt, in
welchem Maß sich sozialer Wandel in die Architektur einzeichnet und von ihr
erzeugt wird. Die Vermutung ist, dass ein architektonisch gestützter Wandel
von Wahrnehmungs-, Bewegungs- und Interaktionsweisen stattgefunden hat, der
Selbst-, Welt- und Sozialverhältnis nicht unberührt ließ. Umgekehrt ist zu
verfolgen, wie die Architektur in den gesellschaftlichen Selbstbeobachtungen
ihre Bedeutungsaufladung erhält und aus welchen Kontexten heraus sie
entsteht. Phänomen und diskursive Deutung sind im Blick zu halten, um
jenseits des von Architekt und Bauherr gemeinten Sinns die ‚Effekte‘ der
Architektur aufzuspüren.
Architektur als ‚Medium‘ des Sozialen: Architektursoziologie aus der
Perspektive der Philosophischen Anthropologie und Ästhesiologie
In der Perspektive der Philosophischen Anthropologie schlägt Joachim
Fischer in Auseinandersetzung mit der differenztheoretischen
Analyse der Architekturtheorie der Systemtheorie programmatisch eine
grenztheoretische Analyse der Architektur vor.[25] Einerseits
dient ihm das philosophisch-anthropologische Theorem der „Baukörpergrenze“
dazu, das Ausdrucksphänomen der Architektur, die Erscheinung an der
Baukörpergrenze, ernst zu nehmen. Andererseits wird die Architektur
medientheoretisch von Fischer so beschrieben, dass sie als das „schwere
Kommunikationsmedium“ der modernen Gesellschaft inmitten ihrer „leichten“
Kommunikationsmedien (Schrift, Geld) vergleichbar analysiert werden kann. Wegen der unaufhebbaren Positionalität bei aller Exzentrizität des
Lebewesens Mensch ist Architektur in philosophisch-anthropologischer
Perspektive ein ko-evolutives, kein nebensächliches Medium der
Vergesellschaftung. Der folgende systematische Vorschlag, Architektur als
„Medium des Sozialen“ zu betrachten, teilt grundsätzlich diese
philosophisch-anthropologische Position und kann an sie anknüpfen.[26]
Vorausgesetzt ist in einer solchen Architektursoziologie ein
kulturphilosophischer Medienbegriff, der mit Ernst Cassirer die Wende von
der
transzendental-philosophischen Erkenntniskritik in eine „Kritik der Kultur“ insgesamt
nimmt[27]
und diese wiederum mit Helmuth Plessner in einer
philosophisch-anthropologischen „Kritik der Sinne“ fundiert.[28]Kerngedanke beider Medien- und Symboltheorien[29]
ist
einerseits die Untrennbarkeit von Materialität und Bedeutung (Sinn und
Sinnlichkeit), andererseits die Einheit der verschiedenen Weisen der
Produktion von Welt, Selbst und Sozialem: Musik, Wissenschaft, Sprache, auch
Architektur sind verschiedene Medien, die unsere Selbst-, Welt- und
Gesellschaftsauffassung konstituieren.[30]
Die These
einer Kritik der Sinne („Ästhesiologie“) ist dann, dass diese
Verschiedenheit ihren fundierenden Grund, ihr „materiales Apriori“ in
der Verschiedenheit der sinnlichen Modalitäten des Menschen hat.
Entsprechend kann in Musik strukturell etwas anderes ausgedrückt und
verstanden werden als in Geometrie, in der nonverbalen, körperräumlichen
Architektur anderes als in der syntagmatisch gegliederten Sprache. Dem
korreliert jeweils eine bestimmte Körperhaltung[31]:
Musik regt zur ungerichteten, resonanzhaften Bewegung im Tanz an, in der
Wissenschaft und im Alltag instrumentalisiere ich demgegenüber meinen Körper
distanziert, zielgerichtet. Alle Medien der menschlichen Welt- und
Selbstauffassung sind prinzipiell gleichwertig, nicht aber gleichartig und
dann gegenseitig ersetzbar. Architektur geht im Diskurs nicht auf. Eine
solche Kulturtheorie erlaubt, sich der Eigenlogik von Architektur als einem
‚Medium‘ des Sozialen zu nähern, das auf Augen und Leib zielt. Jede
Architektur wirkt vorsprachlich, ist ein vorbewusst bleibendes Medium, das
mich einerseits umgibt, eine körperräumliche ‚Atmosphäre‘ schafft, die die
Konstitution von Welt, Selbst und Gesellschaft durch die Art der
(Baukörper-)Grenzziehung[32],
durch räumliche Analogien von Innen/Außen, Oben/Unten mit prägt, und
zugleich bestimmte Körperhaltungen nahe legt,
andere ausschließt. Dabei wird Architektur in der
Gewohnheit rezipiert, ist in ihrem Ausdrucks- und Strukturierungscharakter
nur im distanzierten Blick zu erfassen. Mit diesem wird sichtbar, worin der
besondere konstitutive Charakter von Architektur liegt: in der körperlichen
Dimension, in den immer auch kulturell besetzten Raumrichtungen und -formen,
die bestimmte Bewegungen und Wahrnehmungen und Welt- und Selbstbilder
evozieren. Dass wir uns um und in Architektur bewegen müssen (wenigstens
imaginär), um sie ‚zu verstehen‘, gilt vielleicht verstärkt für die
Architektur der Moderne, denkt man an die Argumentation von Giedion und
Benjamin: dass nämlich das Entwurfsprinzip der Architektur sich in diese
Richtung verschoben hat, hin zur Asymmetrie, zur Transparenz, zu wechselnden
Blickwinkeln.
Architektur hat genauso fundamental mit Material und Funktion zu rechnen,
ist ein „schweres“ Medium[33],
dessen (vergleichsweise vage) Bedeutung sich – anders als die Bedeutung
sprachlicher Zeichen – phänomenal nicht von seiner Materialität abhebt. Zugleich sind die diskursiven Deutungs- und ihre Handlungsspielräume
der Architektur einzurechnen. Die These einer solchen Medien- oder
Kulturtheorie ist, dass zwischen einer bestimmten Architektur in
Form, Material, Funktion und ihrer sozialen Realität, der jeweiligen „Haltung
zum Leben“ eine ‚Wahlverwandtschaft‘, eine fördernde „innere
Affinität“ besteht.[34]
Eng verknüpft
ist die Argumentation einer solchen Medientheorie, die die Arten und Weisen
des menschlichen Ausdrucks und Verstehens behandelt, mit dem fundierenden
Denkansatz der Philosophischen Anthropologie, den Helmuth Plessner in
Auseinandersetzung mit Max Scheler mit dem systematischen
Pflanze-Tier-Mensch-Vergleich und der Schlüsselkategorie der „exzentrischen
Positionalität“ entscheidend geprägt hat.[35]
Im
grundlegenden, empirische Wissenschaften vom Menschen einbeziehenden Ansatz
der Philosophischen Anthropologie, der konsequent immer auch eine
soziologische Perspektive entwickelt[36],
erscheint Architektur als eines der dem Menschen als körperlichem, in Raum
und Zeit positionierten Lebewesen eigentümlichen und notwendigen
Verkörperungsmittel. Dabei geht es zunächst um die der Ausdrucksweise
vorgelagerte Notwendigkeit von Expressivität, von Kultur überhaupt. Der
Mensch als das unspezialisierte, ergänzungsbedürftige, hälftenhafte Tier,
das Naturwesen, das reflexiv ‚hinter sich‘ gekommen ist, in den Doppelaspekt
von Körperleib und Seele gestellt ist, muss sich planend und handelnd eine
zweite Natur schaffen - dies erfüllt die funktionale Dimension des
Gebauten. Als das sich selbst unergründliche Wesen muss er sich stets
neu ausdrücken – dies erfüllt die expressive Dimension der
Architektur. „Erst im Haus tritt der Mensch aus der Natur heraus“.[37]
Architektur ist ein Monopol des Menschen, Teil der „natürlichen
Künstlichkeit“[38]
des organisch
Tier bleibenden (positionierten) und des sinnorientierten, reflexiven
(exzentrischen) Lebewesens. Zugleich ist sie in ihrer Erscheinung Ausdruck
und Maske eines sich selbst nur „vermittelt unmittelbaren“ Wesens[39]:
Die „Baukörpergrenze (ist) genuin auch eine expressive Grenze“.[40]
Dieses Hervor- und Heraustreten, dieses Erscheinen an der architektonischen
Grenze ist stets von Neuem zu beginnen, kommt doch der Mensch, dieses
existentiell historische Wesen, „nie dahin, wohin er will – ob er eine
Geste macht, ein Haus baut oder ein Buch schreibt“.[41]
Die gesellschaftskonstitutive Dimension von Architektur macht auch
durchsichtig, weshalb Architektur stets umstritten ist, weshalb „die je
konkrete Vergesellschaftung auf die je spezifische Sozialregulation der
Architektur so scharf ist“.[42]
Die architektonischen Objektivierungen des Geistes sind stets gefährdet.
Soziologisch wird Architektur immer auch auf ihre Zerstörung hin zu befragen
sein.
C Exemplarischer Ausblick: Architektursoziologie des
Dekonstruktivismus
Ernst Bloch sagte von der Avantgardearchitektur der
1920er Jahre, in ihr drücke sich ‚Abschied’
aus: sie habe unbewusst bereits die Flucht vor dem Faschismus angetreten,
ihre Transparenz sei verfrüht. „Heute sehen viele Häuser wie reisefertig
drein. Obwohl sie schmucklos sind oder eben deshalb, drückt sich in ihnen
Abschied aus. Im Inneren sind sie hell und kahl wie Krankenzimmer, im
Äußeren wirken sie wie Schachteln auf bewegbaren Stangen, aber auch wie
Schiffe. Haben flaches Deck, Bullaugen, Fallreep, Reling, leuchten weiß und
südlich, haben als Schiffe Lust, zu verschwinden.“[43]
Die
Avantgardearchitektur von heute ist die dekonstruktivistische Architektur.
Für diese gegenwärtige Avantgarde der Architektur könnte man sagen, hier
drücke sich ‚Ankunft‘ aus, und zwar die Ankunft des ‚Fremden‘ im Herzen der
Stadt: planetaric architecture.[44] Dekonstruktivistische Architektur, das sind landende Weltraumgleiter (Zaha
Hadid), zerfetzte Raumschiffphantasien (Lebbeus Woods), zerbrechende
Trümmerhaufen außerirdischer Flugobjekte in der befremdenden Ästhetik des „von
der Lenksäule durchbrochenen Brustkorbs“ (Coop Himmelb(l)au). |
Abb. 2: The World (89 Degrees)
© Zaha Hadid |
|
Wenn man nun die Architektur Zaha Hadids im Besonderen beschreiben will,
helfen (auch ihr selbst) die Metaphern der Verdrehung, Verbiegung,
Verzerrung von Räumen und Flächen und die des Fliegens großer, organischer
Massen. Entworfen und gebaut werden verharrende Weltraumgleiter, und zwar
nicht in den perfekten Zylinderformen tatsächlicher Raumflugkörper, sondern
in zunehmend biomorphen Formen, mit kontinuierlich fließenden Räumen.
Öffnungen und Durchbrüche ersetzen herkömmliche Türen und Fenster, Trichter
Stützen, ansteigende Ebenen abschließende Wände, schräge Flächen lotrechte
Begrenzungen, diagonale Lauflinien orthogonale Korridore, geschwungene
Rampen Treppen. Es handelt sich hier um die ständige Irritation der
Anschauung (nicht erst der Deutung): Der Mensch als das exzentrische und das
positionierte Lebewesen orientiert sich zunächst in seinem Lebensraum, der
Erdoberfläche, der aufrechten Haltung und dem orthogonalen Bezugssystem des
seines Bewegungsraumes. Eine dynamische, ‚schräge‘ Architektur verletzt
diesen Ordnungssinn, wirkt bewegt. Schon die sowjetische
Revolutionsarchitektur benutzte, um diesen Effekt zu verstärken, den Winkel
der Erdachsenneigung. Hadid entdeckt weitere Entwurfstrategien: sie entwirft
Gebäude von oben, so, als ob sie sich nicht aus der Erde erheben, sondern
sich auf sie niedersenken, und wählt dazu den gewöhnungsbedürftigen Blick
aus dem All.
Zudem entwirft sie, indem sie sich imaginär um das Gebäude bewegt und diese
Bewegung in Ansichten, Grundrissen, Schnitten einfriert. Erst im
Entwurfsprozess wird entschieden, ob es sich bei der explodierten Isometrie
oder dem Blick auf rotierende Körper um eine Darstellung handelt oder um die
Dynamik der Architektur selbst. Im Ergebnis ist nicht nur die
architektonische Gestalt revolutionär; auch die Funktion wird
irritiert. Die neuen Räume sind mehrdeutig, geben weder Ganglinien noch
Hierarchien vor und vermischen systematisch die Bereiche des Öffentlichen
und Privaten (i. S. des privaten Bodeneigentums, nicht nur in Wohngebäuden,
sondern auch in Fabriken etc.). Perspektivenüberlagerungen, Verzerrungen und
Verkrümmungen des Raumes machen Form und Inhalt, Form und Funktion
ununterscheidbar. Es ist der Versuch, herkömmliche Bautypologien (einer
Oper, einer Fabrik, eines Wohnhauses) außer Kraft zu setzen und an deren
Stelle neue Benutzungs- und Interaktionsweisen zu evozieren. Dem dient eine
nicht euklidische, nicht geordnete, nicht serielle und nicht hierarchische,
sondern biomorphe Formensprache.
Fliegen. Die soziale Utopie
Die sozialtheoretisch relevante Utopie, die in dieser angezielten Umprägung
von Bewegungs- und Wahrnehmungsweisen durch die architektonische
Raumkonstitution besteht (die selbst wiederum einer
gesellschaftsspezifischen Raumvorstellung und Ontologie entspricht), lässt
sich an der BMW-Fabrik in Leipzig in einer (Architektur-)Soziologie der
Utopie kursorisch andeuten.[49]
Diese Fabrik
revolutioniert die Typologie der Industriearchitektur. Die Repräsentation
von Hierarchien weicht einer fluiden, sanft ansteigenden Verwaltungs-Ebene,
die sich mit den Räumen und Wegen der Produktion überschneidet. Wie eine „Druckkammer“[50]
soll das von Hadid entworfene Zentralgebäude durch die architektonisch erzwungene
Vermischung von Arbeitern und Angestellten Statushierarchien
still stellen. Dass die Angestellten die
geschlossenen Bürotrakte durch die Platzierung persönlicher
Gegenstände wiederzugewinnen suchen, macht deutlich, dass diese Architektur
in der Tat herausfordert.
Auch eine Entwurf gebliebene Villa (Spiral House) versucht, mit neuen
Räumen neue Wahrnehmungs-, Bewegungs- und Interaktionsweisen und damit eine
andere Praxis des Wohnens zu evozieren. Ihr Prinzip besteht in einer
spiralförmig ansteigenden Geschossplatte, auf der nur Schlafzimmer und Bäder
durch Wände abgetrennt sind, so dass alles in Bewegung gerät gegenüber der
konventionellen Uniformität, Isomorphie, Territorialisierung.
Räume werden geöffnet, Wände gefaltet und gebogen,
Funktionsgrenzen verwischt. Neue Typologien des Wohnens sollen durch neue
Kommunikationskanäle und unerwartete Durchblicke geschaffen werden. Die
dezentralisierte Spirale als Grundprinzip hinterfragt insbesondere unsere
Innen-Außen-Auffassung, die stets als Analogie der Auffassung des
Innen-Außenwelt-Verhältnisses eines exzentrisch positionierten Wesens
fungiert. Das Phaeno-Center Wolfsburg ist ebenso als fremdes
Objekt konzipiert. Es hinterfragt die Trennung der Gesellschaft in die
komplementären Sphären öffentlich und privat, indem der öffentliche Raum
kontinuierlich durch das Gebäude hindurchfließt, Geschosse durch eine
volumetrische Logik, einen langgestreckten Baukörper auf stumpfkegelartigen
Stützen formuliert werden, die sich aus ihm herausstülpen. So entsteht eine
fremdartige Kraterlandschaft mit ebenso fremden Materialien: insgesamt ein
ästhetisches Neuland, das es erst zu besetzen gilt.
Mit der Gestalt dieser Architektur ist eine kritische Weiterführung der
Architekturmoderne und dadurch ihrer Gesellschaft verbunden: Die
Architekturmoderne wird (diskursiv verstärkt) dominiert von
statischen, kubischen Formen und seriellen Räumen, das die
Standpunktrelativität des Einzelnen verdeutlicht. Das Wissen um die
Kontingenz gesellschaftlicher Regeln und Institutionen führte nun nicht zum
Offenlassen von Spielräumen, sondern zu deren Abschaffung in der
Bereitstellung eindeutiger, euklidisch-geordnet formierter Funktionen und
Wege.[51]
Bei
gesellschaftspolitisch verschiedenen Motiven war das gemeinsame Motiv der
historischen Avantgarde, dieser Intellektuellen, die soziale Ordnung einer
Massengesellschaft. Hadid steht durchaus in dieser Tradition, der
Faszination für Wissenschaft, Ingenieurkunst, Technik, für die
Artifizialität der Moderne, der Komplexität der Gesellschaft entsprechend.
So wird etwa die Artifizialität im Dekonstruktivismus noch einmal
radikalisiert, indem statisch scheinbar Unbaubares gegen den gezielt
herbeigeführten Augenschein der Labilität, des Auseinanderbrechens, gegen
die Sinnvermutung der Anschauung realisiert wird. Und auch die
Architekturmoderne benutzte als ein Grundthema das Schweben, allerdings war
es kein ‚dynamisches Schweben‘, sondern der Stillstand über dem Erdboden.[52]
Das Ziel des dekonstruktivistischen Entwurfs deformierter Räume ist, die Wahrnehmung des
Behälterraums zu ersetzen durch fließende Räume, die eine andere Vorstellung
der Gesellschaft evozieren und sozialen Wandel zur Grundkategorie des Bildes
vom Sozialverhältnis machen. Dem korreliert die Etablierung einer
neuen Perspektive auf die Welt: Im Blick von oben verschieben sich Welt-
und Selbstverhältnis in die dezentrale, nichthierarchische
Weltraumperspektive. Sozialtheoretisch setzt diese Architektur
insgesamt auf die latente Kraft der körperräumlichen Form, um soziales
Handeln und Gesellschaft zu verflüssigen, im modellhaften Raumerlebnis eine
‚offene Gesellschaft‘ herbeizuführen.
Landen. Die gesellschaftliche Realität
Diese utopischen Momente sind als Gegenbild zur gesellschaftlichen
Wirklichkeit zu begreifen, können gesellschaftstheoretisch als indirekter
Indikator der Gegenwartsgesellschaft dienen. Hier geht es um die Verankerung
der Utopie in der Wirklichkeit der kapitalistischen Gesellschaft. Die
Gesellschaft, die eine solche Architektur ermöglicht und in der sie
Resonanz macht, muss zunächst eine ‚Wissensgesellschaft‘ auf dem
Stand der Gegenwart sein: deren Leitwissenschaften sind
Informationswissenschaft und Biotechnologie; scheinbar weit entfernt vom
Fortschrittsoptimismus der Moderne, ist sie fasziniert von den neuen
Wissenschaften und technischen Möglichkeiten, nicht zuletzt von der Epoche
der Raumfahrt. Zugleich ist diese Architektur Ausdruck der
Gegenwartsgesellschaft, insofern sich diese als ‚Medien- und
Informationsgesellschaft‘ beschreibt: Erst dank neuer Zeichen- und
Konstruktionsmedien ist diese Architektur realisierbar. Und obgleich als
Architektur für die Massengesellschaft konzipiert, ist sie nicht
vorstellbar als flächendeckende: es kann sich nur um fremde Objekte
innerhalb einer geordneten Welt handeln, um fremde Objekte in der
‚verbürgerlichten Massengesellschaft‘. Diese Architektur weist nicht
mehr auf die Massengesellschaft der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts,
sondern auf die bürgerliche Gesellschaft nach ihrer Kontingenzerfahrung[53],
die gelernt hat aus den totalitären Versuchen, die Gesellschaft zu ordnen.
Dazu formuliert sie im Feld der Architektur einen anderen Umgang mit
Kontingenz, geht es ihr im Offenlassen der Nutzung um Kontingenzsteigerung.
Dies geht einher mit der wissenssoziologisch beobachtbaren, reflexiven
Ernüchterung der Utopie, der Art, in der sozialer Wandel in Angriff genommen
wird: Entworfen werden, der Lage eines autonomen Teilsystems ‚funktional
differenzierter Gesellschaften‘ entsprechend, ‚latente‘ Utopien, die durch
einen singulären Impuls Gesellschaft verändern sollen.[54]
Dem dient die
spektakuläre Architektur, die entlang einer „Ökonomie der Aufmerksamkeit“[55]
konzipiert ist. Eine solche Architektur lässt sich nun zweifach ökonomisch
verwerten, auf eine eher offensichtliche und auf eine eher subtile Art und
Weise. Die offensichtliche Funktion dieser Architektur besteht im
Werbeeffekt, den Unternehmen in der ‚Konsumgesellschaft‘ erzielen.[56]
Die subtile
Weise besteht in der architektonischen Ausblendung der ‚Klassengesellschaft‘
(hier trifft sich die Analyse mit der Kritischen Theorie). Die
Architektur weist in dieser Hinsicht eine innere Affinität, eine
Wahlverwandtschaft mit gegenwärtigen Management-Theorien auf. Sie verkörpert
diese, funktioniert entlang ihrer Logik und führt den ‚dritten
kapitalistischen Geist‘ sicht- und greifbar in den Alltag ein. War die
Architektur der Moderne fasziniert von den rationalistischen Strategien
Taylors und Fords, ist die dekonstruktivistische Architektur fasziniert von
der ‚postfordistischen‘ Verschlankung von Hierarchien, der Betonung von
Kommunikation, Flexibilität, Kreativität und Eigenverantwortung.[57]
Diesem neuen
Bild des Kapitalismus entspricht eine veränderte Vorstellung von der
Gesellschaft, die sich selbst nicht mehr als ‚Klassengesellschaft‘
beschreibt. Wirksamer als die Management-Literatur propagiert die
Architektur diese Vorstellungen, indem sie deren Metaphern (Rhizom,
Netzwerk, Dynamik, Ströme) in Beton übersetzt.[58]
Durch die
doppelte Irritation einer dynamischen Gestalt und einer offenen
Funktion reproduziert die Architektur das von den Leitwissenschaften
gezeichnete Bild der Gesellschaft, das neue Subjektbilder und Ontologien
etabliert und dabei soziale Ungleichheiten ausblendet. Die gesellschaftliche
Resonanz jenseits der Vermarktungsfunktion speist sich möglicherweise
nicht nur aus dieser Suggestion: Im Blick von oben suggeriert diese
Architektur dem Nutzer, der sich imaginär in die Perspektive der landenden
Objekte hineinversetzt, Übersicht in einer unübersichtlich gewordenen Welt;
in der Dynamik den Gegenentwurf einer als unflexibel, in ökonomische
Imperative und statische Ungleichheiten verstrickt wahrgenommenen Welt.
Einzurechnen ist hier auch die gesellschaftliche Faszination für die
Raumfahrt. „In der praktischen Beherrschung der Welt von oben erhalten
... die an die Erde gebundenen Siedlungsformen und Bauformen wie überhaupt
alle erdgebundenen Umweltbezüge des Menschen einen bisher unbekannten
Charakter. Sie werden im wahrsten Sinne des Wortes relativiert.“[59]
War dies von
Helmuth Plessner 1949 mit Blick auf den Luftkrieg gesagt, löst die
dekonstruktivistische Architektur die These einer Veränderung der Bauformen
auf ganz andere Weise ein. Ihre dezentralisierte, mit Raumfahrtmetaphern
spielende Architektur ist selbst exzentrisch geworden, unserer
Selbstreflexion und der gesellschaftlichen Lage, die die Entwicklung von
Wissenschaft und Technik evozieren, entsprechend. Die offene Form der neuen
Architektur steht im Verhältnis einer inneren Affinität zu dieser Eroberung
des Weltraums. Die säkularisierte Gesellschaft macht sich vertraut damit,
dass „noch andere Möglichkeiten von Leben und lebendiger Entwicklung“
bestehen. Die Philosophische Anthropologie ist der adäquate theoretische
Ausdruck dieser Lage (ohne darin aufzugehen), der Dekonstruktivismus deren
architektonische Verkörperung. Was sich in die Architektur „übersetzt,
ist der Verlust der Scheu vor der Vertikalen, ihre Einbeziehung als
Aktionsrichtung und damit ihre Relativierung, die Entfaltung einer nicht
mehr standortgebundenen und insoweit horizontlosen ‚Um‘-Welt ohne Oben und
Unten“.[60]
Ob die Utopie
realisiert wird, bleibt – gegenüber dem notorischen „Desillusionsrealismus“
der Soziologie (Karl Mannheim) – abzuwarten. Im Blickwinkel einer
Architektursoziologie, die die Gestalt des Gebauten analysiert, ist
der Dekonstruktivismus jedenfalls nicht nur eine akademische
Auseinandersetzung und mithin gesellschaftliches Distinktionsmittel des
Bildungsbürgertums (zweifelsohne ist dies soziologisch – mit Bourdieu –
immer auch zu sehen). Philosophisch-anthropologisch handelt es sich um eine
ernst zu nehmende Ausdrucksform des menschlichen Geistes, soziologisch um
eine zu analysierende Strategie sozialen Wandels. Die Architektur der
klassischen Moderne wäre noch als vergleichsweise nicht-reflexiver Versuch
zu beschreiben, eine definitive Ordnung, ‚Heimat‘ zu schaffen, und dabei zu
disziplinieren (mit Foucault und Elias). Wegen der Unergründlichkeit des
exzentrisch positionierten Lebewesens ist zugleich nie von einem
‚Ende‘ der Architektur auszugehen, bleibt spannend, wie sie sich – als
Seismograf der Gesellschaft und als konstitutives Medium des Sozialen –
entwickeln wird.
Literatur:
Beckmann, Lutz:
Die
Beherrschung des Raumes. Die Raumkonzeption früher sowjetischer
Avantgardekunst, Architektur und Propaganda 1917-1930, Darmstadt 1995
(Diss.)
Bloch, Ernst:
Das Prinzip Hoffnung, 2. Bd., Frankfurt/M. 1959.
Boltanski, Luc / Chiapello, Ève:
Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz 2003.
Boudon, Phillippe:
Die Siedlung Pessac – vierzig Jahre Wohnen à Le Corbusier,
Gütersloh 1971
de Bruyn, Gerd:
Undisziplinierte Architekturtheorie(n), in: Wolkenkuckucksheim 9. Jg., Heft
2, März 2005
Cassirer, Ernst:
Philosophie der symbolischen Formen (1923/25/29), Neudruck Darmstadt 1994.
de Certeau, Michel:
Die Kunst des Handelns. Gehen in der Stadt, in: Widerspenstige Kulturen.
Cultural Studies als Herausforderung, hg. von Karin Hörning u. Rainer
Winter, Frankfurt/M. 1999, S. 264-291.
Delitz, Heike
(2005a): Gebaute Begehrlichkeit. Zur Architektursoziologie der
Konsumgesellschaft in Deutschland, in: Das Management der Kunden. Studien
zur Soziologie des Shopping, hg. von Dominik Schrage und Kai-Uwe
Hellmann, Wiesbaden 2005, S. 30-66.
Delitz, Heike
(2005b): Spannweiten des Symbolischen. Helmuth Plessners Ästhesiologie des
Geistes und Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen, in:
Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Heft 6/2005, S. 917-936.
Delitz, Heike
(2006a): Architektur als Medium des Sozialen. Ein Vorschlag zur
Neubegründung der Architektursoziologie, in: Sociologia Internationalis,
Heft 1/2006 (im Druck).
Delitz, Heike
(2006b): Ville Contemporaine und BMW-Zentralgebäude.
Architektursoziologische Studien der ‚Klassengesellschaftlichkeit’, in: Die
‚Realität‘ der Klassengesellschaft, hg. von Gunther Gebhardt und Tino Heim,
Dresdner Beiträge zur Soziologie Bd. 2, Münster 2006 (im Erscheinen).
Dörhöfer, Kerstin:
Symbolische Geschlechterzuordnungen in Architektur und Städtebau, in:
Differenzierungen des Städtischen, hg. v. Martina Löw, Opladen 2002, S.
127-140.
Elias, Norbert:
Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und
der höfischen Aristokratie, Frankfurt/M. 1969.
Fischer, Joachim:
Philosophische Anthropologie. Zur Rekonstruktion ihrer diagnostischen Kraft,
in: Unter offenem Horizont. Anthropologie nach Helmuth Plessner, hg. von J.
Friedrich und B. Westermann, Frankfurt/M. 1995, S. 249-280.
Fischer, Joachim:
Exzentrische Positionalität. Der Potsdamer Platz aus der Perspektive der
Philosophischen Anthropologie, in: Potsdamer Platz. Soziologische Theorien
zu einem Ort der Moderne, hg. von ders. und Michael Makropoulos, München
2004, S. 11-32.
Fischer, Joachim:
Die Bedeutung der Philosophischen Anthropologie für die
Architektursoziologie, in: Soziale Ungleichheit - Kulturelle Unterschiede.
Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie
in München 2004, hg. von Karl-Siegbert Rehberg, Frankfurt/M. 2005, CD-Rom.
Fischer, Joachim /
Makropoulos, Michael:
Potsdamer Platz. Soziologische Theorien zu einem Ort der Moderne, München
2004.
Foucault, Michel:
Überwachen und Strafen. Die Geburt des
Gefängnisses, Frankfurt/.M. 1976.
Franck, Georg:
Ökonomie der Aufmerksamkeit, München 1998.
Gleichmann, Peter:
Die Verhäuslichung körperlicher Verrichtungen, in: Materialien zu Norbert
Elias‘ Zivilisationstheorie, hg. von Peter Gleichmann u. a., Frankfurt/M.
1979, S. 254-278.
Gleiter, Jörg H.:
Architekturtheorie heute, in: Wolkenkuckucksheim 9. Jg., Heft 2, März 2005.
Hadid, Zaha:
Häuser können fliegen. Zaha Hadid im Gespräch mit Alvin Boyarski, in: arch+
86/1986, S. 28-33.
Hadid, Zaha:
Heute gibt es keinen Platz mehr für Visionen, für visionäres Denken. Zaha M.
Hadid, in: Peter Noever, Wiener Architekturgespräche. Gespräche aus der
Wiener Architekturzeitschrift Umriss 1982-1991, hg. von Elisabeth Schweeger,
Wien 1991, S. 23-30.
Hadid, Zaha/
Schumacher, Patrick
(ed.): Latent Utopias. Experiments within Contemporary Architecture, Wien/New
York 2003.
Hadid, Zaha:
Das Gesamtwerk. Band Ausgewählte Werke, hg. v. Giuliana Giusti
und Patrick Schumacher, Basel u. a. 2004.
Johnson, Philip / Marc
Wigley:
Dekonstruktivistische Architektur, Stuttgart 1989
Kaufmann, Stefan:
Soziologie der Landschaft, Wiesbaden 2005.
Kracauer, Siegfried:
Straßen in Berlin und
anderswo, Berlin 1987.
Läpple, Dieter:
Essay zum Raum, in: Stadt und Raum. Soziologische Analysen, hg. von Hartmut
Häußermann u. a., Pfaffenweiler 1991, S. 157-207.
Le Corbusier:
Städtebau. Übersetzt und herausgegeben von H. Hildebrandt, Berlin/Leipzig
1929.
Lethen, Helmuth:
Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen,
Frankfurt/M. 1996.
Löw, Martina:
Raumsoziologie. Frankfurt/M. 2001.
Makropoulos, Michael:
Modernität und Kontingenz, München 1997.
Plessner, Helmuth:
Gedanken eines Philosophen zur Weltraum-Rakete, Typoskript eines
Radiobeitrags der Reihe ‚Gedanken zur Zeit‘, 13.10.1949, 22.45-23.00.
Plessner-Archiv Groningen Nr. 59.
Plessner, Helmuth:
Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische
Anthropologie (1928), Berlin 1975.
Plessner, Helmuth:
Die Einheit der Sinne. Grundlinien einer Ästhesiologie des Geistes (1923),
in: Gesammelte Schriften, hg. v. Günther Dux, Odo Marquard und Elisabeth
Ströker, Bd. III. Frankfurt/M. 1981, S. 7-316.
Plessner, Helmuth:
Wiedergeburt der Form im technischen Zeitalter. (Vortrag auf der
25-Jahr-Feier des Deutschen Werkbundes, 14.10.1932), in: ders., Politik,
Anthropologie, Philosophie. Aufsätze und Vorträge, hg. von Salvatore
Giamusso und Hans-Ulrich Lessing, München 2001, S. 71-86.
Rehberg, Karl-Siegbert:
Philosophische Anthropologie und die ‚Soziologisierung‘ des Wissens vom
Menschen. Einige Zusammenhänge zwischen einer philosophischen Denktradition
und der Soziologie in Deutschland, in: Soziologie in Deutschland und
Österreich 1918-1945, hg. von M. R. Lepsius, SH 23 der KZfSS, Opladen 1981,
S. 160-198.
Rehberg, Karl-Siegbert:
Weltrepräsentanz und Verkörperung. Institutionelle Analyse und
Symboltheorien – Eine Einführung in systematischer Absicht, in:
Institutionalisierung und Symbolisierung: Verstetigungen kultureller
Ordnungsmuster in Vergangenheit und Gegenwart, hg. von Gert Melville, Köln
u. a. 2001, S. 3-52.
Rehberg, Karl-Siegbert
(Hg.): Soziale Ungleichheit - Kulturelle Unterschiede. Verhandlungen des 32.
Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München 2004,
Frankfurt 2005.
Schäfers, Bernhard:
Architektursoziologie. Grundlagen – Epochen – Themen, Opladen 2003.
Schäfers, Bernhard:
Zur Begründung einer Architektursoziologie. Soziologie, Heft 2/2004, S.
35-48.
Scheler, Max:
Philosophische Anthropologie, in: Gesammelte Werke, Band 12, Schriften aus
dem Nachlaß, Band III, hg. von Manfred S. Frings, Bonn 1987.
Schöttker, Detlev:
Das Zimmer im Kopf. Wann kommt eigentlich der „architectonic turn“? In:
Merkur. Deutsche Zeitschrift für Europäisches Denken, Jg. 59 (2005), H. 12,
S. 1191-1195.
Schroer, Markus:
Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums,
Frankfurt/M. 2006.
Schubert, Herbert:
Empirische Architektursoziologie, in: Die alte Stadt, Heft 1/2005, S. 1-28.
Schumacher, Patrick
(1997a): Architektur der Bewegung, in: arch+ H 134-135/ Januar 1997, S.
56-58.
Schumacher, Patrick
(1997b): Produktive Ordnungen, in: arch+ H 136/ April 1997, S. 28-33.
Schumacher, Patrick:
Digital Hadid. Towards
a New Digitally Based Architectural Language.
Basel 2004.
Thurn, Hans Peter:
Architektursoziologie. Zur Situation einer interdisziplinären
Forschungsrichtung in der BRD, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und
Sozialpsychologie 1972, S. 301-340.
Vogt, Adolf Max:
Russische und französische Revolutionsarchitektur 1917/1789. Zur Wirkung des
Marxismus und Newtonismus auf die Bauweise, Köln 1974.
Volk,
Andreas
(Hg.): Siegfried Kracauer: Frankfurter Turmhäuser. Ausgewählte Feuilletons
1906-30, Zürich 1997.
Weber, Max:
Protestantische Ethik Bd. II: Kritiken und Antikritiken. 3. Aufl. Gütersloh
1978.
[1]
Eine erste, als Lehrbuch konzipierte Einführung hat B. Schäfers
(2003) vorgelegt (vgl. Schäfers 2004). Einen programmatischen
Vorschlag haben J. Fischer (2005) und H. Schubert unterbreitet
(2005). Einen Theorienvergleich an einem Ort der Moderne
konzipierten J. Fischer und M. Makropoulos (2004). Eine erste
architektursoziologische Tagung fand als Ad-hoc-Gruppe auf dem
Kongress der Deutschen Gesellschaft für
Soziologie 2004 statt (die Beiträge in: Rehberg 2005). Die
zweite Tagung „Die Architektur der Gesellschaft. Architektur der
Moderne im Blick soziologischer Theorien“
wurde veranstaltet von der TU Dresden (28./29.4.2006,
www.architektur-soziologie.de). Dort
fand auch ein erstes Treffen der AG Architektursoziologie
der DGS statt.
Im Anschluss an die ‚klassischen‘ Autoren haben nach 1945
insbesondere H. P. Bahrdt u. R. König die Stadtsoziologie begründet,
gefolgt von zahlreichen Forschungsprojekten, die die Stadt, kaum die
Architektur selbst in den Blick nahmen. Zu einem (dies unfreiwillig
zeigenden) Überblick bis in die 70er: siehe Thurn 1972.
Gegenwärtig sind (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) in
kultursoziologischer Richtung M. Makropoulos, J. Fischer, W.
Prigge, in stadtsoziologischer H. Schubert, B. Schäfers, H.
Häußermann, J. Dangschat, W. Siebel, H. Bodenschatz zu nennen;
international v.a. S. Sassen. Gender Studies verfolgen
architektursoziologisch K. Dörhöfer, U. Terlinden, Susanne Frank, K.
Weresch. Als empirische Studie sei exemplarisch
Boudon 1971
genannt.
Nicht eingegangen werden kann hier auf andere Disziplinen, die
architektursoziologische Fragen
behandeln (Architekturtheorie, -psychologie, Literaturwissenschaft).
[2]
Den entsprechenden „architectonic turn“ fordert Schöttker 2005.
[3]
Raumsoziologien beziehen sich kaum auf Architektur (vgl. Läpple
1991, Löw 2001, Schroer 2006).
[4]
Kaufmann 2005. Erwähnt werden hier
nur die programmatischen Texte; es gibt natürlich jeweils
Einzelstudien über diese hinaus und vor ihnen.
[6]
Auch international gibt es kaum Architektursoziologie-Lehrstühle;
dasselbe gilt für Lehrbücher, Tagungen etc.
[7]
Architektursoziologie schreibt - kultursoziologisch
verstanden - der Architektur keine „soziale[n] Funktionen ins
Stammbuch“ (de Bruyn 2005);
eher war es umgekehrt. Architektursoziologie ist im hier
verstandenen und vorgeschlagenen Sinn zunächst
gesellschaftsanalytische Reflexion über Architektur (und dann auch
Kritik); dabei beansprucht sie, auch noch die Architekturtheorie
zu durchschauen.
[8]
Daher gibt es neben aufschließenden stets erneut eliminierende
Theorienvergleiche.
[9]
Fischer/Makropoulos 2004.
[10]
Zur Programmatik einer solchen systematischen Architektursoziologie
Delitz 2006a.
[11]
Benjamin 1991, 2002.
[12]
Kracauer 1987; Volk 1997.
[19]
z. B. Dörhöfer 2002.
[21]
Max Weber sprach analog von einer Wahlverwandtschaft als der
„fördernden Adäquatheit“ von puritanischer Gesinnung und
kapitalistischem Ethos (Weber 1978, 31, 171, 284).
[22]
Darin spielen dann immer auch wissenssoziologische und
intellektuellensoziologische (Architekten betreffend), ökonomische
und rechtliche Analysen (Bauherren und Investoren betreffend) eine
Rolle. Primär ist aber die Architektur Anschauungsobjekt, an dem
sich alle sozialen Beziehungen kristallisieren, die mit dem Bauen
verbunden sind.
[23]
Le Corbusier 1929, 136.
[25]
Fischer 2005. Durchgeführt ist diese Perspektive am Phänomen
des Potsdamer Platzes in Fischer 2004.
[26]
Der hier
vorliegende Vorschlag differiert in Begriffs- und Gegnerwahl:
‚Kommunikation‘ ist im Fall der Architektur in der
Auseinandersetzung mit der Systemtheorie konsequent, könnte
ansonsten aber ein missverständlicher Begriff sein. Die konstitutive
Funktion von Architektur besteht einerseits gerade in der Differenz
zur Sprache als eines unbewusst bleibenden, körperlich rezipierten
Interaktionsmediums. Andererseits ist Architektur auch
individuelles Ausdrucks-, gesellschaftliches
Verkörperungs- und historisches Speichermedium. Das könnte im
Ausdruck ‚Kommunikation‘ untergehen.
[27]
Cassirer 1994. Cassirer spricht vom ‚Medium‘ Sprache,
Wissenschaft, Kunst etc. schon in der Einleitung in Band 1 (1923).
Er hat die Architektur allerdings nicht systematisch als symbolische
Form betrachtet.
[28]
Plessner 1981. Plessner spricht vom ‚Medium‘ in Bezug auf die
Kunst (ebd., 178) und generell in Bezug auf die menschliche Kultur (Plessner
1975, 340). Auch er ist nicht systematisch auf Architektur
eingegangen.
[29]
Zum systematischen Vergleich der Theorien Delitz 2005b.
[30]
Dieses Verhältnis von Medium und darin Aussagbarem fasst Plessner
als „Konkordanz“ (formale Übereinstimmung). Plessner 1981,
221.
[31]
Dieses Verhältnis fasst Plessner als „Akkordanz („Zusammenstimmung
mit der Leibeshaltung)“. Es geht dabei um die (ästhesiologische)
Bedingung der Möglichkeit von Architektur. Plessner 1981,
236.
[35]
Plessner, 1975. Zum Denkansatz der Philosophischen
Anthropologie: Fischer 1995. Vgl.
im Folgenden im Hinblick
auf Architektur Fischer 2005.
[38]
Plessner 1975, 309-321.
[39]
Plessner 1975, 321-341.
[43]
Bloch 1959, 855f. Das Motiv der verfrühten Architektur findet
sich auch bei W. Benjamin (Benjamin 1991), hier allerdings
mit der Bedeutung, dass die neuen Konstruktionsmöglichkeiten und
Baumaterialien in den Passagen des 19. Jahrhunderts noch durch alte
Formen verdeckt werden.
[44]
„Planetaric ist die Idee, Architektur wie ein fremdes Objekt in
einen bestehenden Kontext einzufügen...das sich entweder ihm
entgegenstellt oder ihn überlagert“ Hadid 1991, 26.
[45]
Johnson / Wigley
1989.
[47]
Beckmann 1995; Vogt 1974.
[54]
So der Titel einer Ausstellung, dokumentiert in Hadid /
Schumacher 2003.
[56]
Zur Rolle der Konsumarchitektur in der Entwicklung der
Konsumgesellschaft: Delitz 2005a.
[57]
Boltanski/ Chiapello
2003.
[58]
Schumacher
1997a, 1997b.
|