|
|
Zu den weit
verbreiteten Klischees innerhalb der Architektenschaft gehört die
Auffassung, schlechte Zeiten für das Bauen seien gute Zeiten für die
Theorie. Da ist ja durchaus was Wahres dran, doch wäre es völlig falsch,
hieraus den Umkehrschluss zu ziehen,
Architekten könnten sich in Zeiten drängender Bauaufgaben ohne Theorie durch
die Praxis schlagen. Wohl haben sie es oft genug versucht und dabei den
Antiintellektualismus des Tatmenschen als Freibrief der eigenen Theorieferne
ausgegeben. Wollte man aber hieraus den Schluss
ziehen, Bauen und Denken dürften getrennte Wege gehen, würde man nur dem
Vorurteil zuarbeiten, die kritische Selbstreflexion der Architektur sei eine
nachgeordnete Tätigkeit – ein überflüssiger Luxus und Lückenbüßer, auf den
Architekten immer dann zurückkommen, wenn sie sich an ihrer eigentlichen
Bestimmung, dem Bauen, gehindert sehen. Richtig ist zwar, dass bei
ausgreifender Bautätigkeit die Zeit zum Schreiben fehlt, und richtig ist
auch, dass der Erfolg blind macht, doch lässt
sich das Denken nicht mehr abschalten, hat man erst damit angefangen.
Das „Institut Grundlagen moderner
Architektur und Entwerfen“ (igma) wurde 1968 gegen die
Theoriefeindlichkeit einer epigonalen Moderne gegründet und hatte sich zudem
gegen einen feindseligen Ideologieverdacht zu behaupten, der aus der Mitte
der Studentenbewegung gegen die Architekturtheorie erhoben wurde. Um beidem
zu widerstehen, wählte das igma den Weg, architekturtheoretische
Seminare und konzeptionelle Entwurfsthemen anzubieten, ohne einen
Unterschied zwischen den Ambitionen der Praxis und ihrer kritischen
Reflexion zu machen. Und selbstverständlich gilt für uns heute noch:
Anspruchsvolles Bauen kann nicht theorielos sein (und war es wohl auch nie);
und ebenso wenig vermag eine Theorie, die
mehr sein will als eine Analyse der jüngeren Baugeschichte, ohne
Entwurfslehre zur zeitgenössischen Architektur aufzuschließen. Sie muss
dies aber wünschen, wenn sie ihrer ureigenen Aufgabe gerecht werden will,
dem Bauen diejenigen intellektuellen, künstlerischen und wissenschaftlichen
Impulse zu geben, die es erst zur Architektur machen. (Häring hätte
umgekehrt von einer Architektur gesprochen, die sich zum Bauen
fortentwickeln muss. Warum auch nicht? Hier
geht es ja nicht um Begriffe, die bereits reichlich antiquiert klingen,
sondern um eine Tendenz.)
Architekturtheorie ist Legitimationstheorie. Allerdings in ketzerischer
Weise: Statt Propaganda zu machen für einen bestimmten Architekturstil oder
ein erfolgreiches Büro, stellt sie das Bauen radikal infrage und schreckt
auch nicht davor zurück, die Architektur abzuschaffen, sobald sie Gefahr
läuft, ihre kulturelle Bedeutung einzubüßen, um sie sogleich neu zu
erfinden. Doch bei aller Kritik, Verneinung, Feier und Wiedergeburt des
Architektonischen bleibt eine Gewissheit bestehen: Wie alle anderen Künste –
wie Musik, Literatur, Film, Theater, Tanz und Malerei – zählt auch die
Architektur zu den unverzichtbaren ästhetischen Aktionsfeldern des Menschen.
„Schönheit“ und Nutzen, ob sie nun programmatisch in eins fallen oder
provokativ auseinander treten, bilden ihre Hauptkomponenten und machen die
Architektur zum Gegenstand kultureller Diskurse. Aus diesem Grund gibt es ja
auch kein Definitionsmonopol, weder für den erfahrenen Baumeister oder
gepriesenen Stararchitekten, die für sich reklamieren, sie allein wüssten,
was Architektur sei, noch für den Politiker, der den Einfluss hat, und den
Investor, der über das nötige Geld verfügt, um der regionalen und
internationalen Baukultur die Richtung vorzugeben.
Legitimation und Definition der Architektur bilden die Gegenstände eines
Fachs, dessen Grenzen porös sind. Nicht nur gegenüber der Gesellschaft und
ihrem Mitspracherecht in Sachen Kunst und Kultur, sondern genauso gegenüber
allen Geistes-, Gesellschafts- und Naturwissenschaften, deren Argumente und
Methoden die Architekturtheorie inspirieren, um von hier aus experimentelle
Entwurfsideen und eine innovative Baupraxis anzufachen. Doch wie durchlässig
ihre Demarkationslinien auch immer sein mögen – die Architekturtheorie
prallt selber an eine Grenze, wenn sie zum Akteur einer Verschmelzung von
Kunst und Alltag bzw. der Überführung von Kunst in Lebenspraxis werden
wollte. Letzteres mag zwar für alle gestalterischen Disziplinen, die einen
Gebrauchswert haben, eine rechtmäßige Forderung darstellen, eine Utopie, auf
der die selbst ernannten Erben der historischen Avantgarden weiterhin
bestehen dürfen – doch erscheint uns ja die Gefahr der Barbarei, die auf das
Ende der Kunst folgen könnte, inzwischen gewisser denn je.
Aus diesem Grund betont die Architekturtheorie die ästhetische Bedeutung der
Architektur. Sie ist mithin nicht nur eine Theorie, die Architektur
definiert und legitimiert, sondern sie ist auch eine ästhetische Theorie, die
jene Aspekte eines Entwurfs oder eines Gebäudes identifiziert, die das
bessere und gerechtere Leben symbolisieren, über das die Menschheit seit
langem spekuliert, ohne es je verwirklicht zu haben. Architekturtheorie
interpretiert die Symbolisierungsleistungen der Architektur, reichert sie
mit neuen Erzählungen an, redet sie groß und verteidigt sie gegen die
instrumentelle Vernunft, die das Bauen der kapitalistischen Ökonomie
unterwerfen möchte. Doch damit nicht genug. Die Architekturtheorie versteht
sich keineswegs darauf, die Ästhetik des Bauens, wie manche mutmaßen, gegen
die Soziologie, Psychologie und alle anderen Disziplinen zu verteidigen, die
der Architektur ihre sozialen und funktionalen Aufgaben ins Stammbuch
schreiben. So wie das avancierte Bauen unsere ästhetischen Erfahrungen
bereichert und unser Verhalten im Raum gegen die Norm korrigiert, so bleibt
es doch immer den Nöten des Alltags unterworfen. Die Architektur steht
vermittelnd zwischen beiden Polen, zwischen Leben und Kunst, und die
Architekturtheorie hilft ihr dabei, das Gleichgewicht zu halten. Ein
Gleichgewicht freilich, das schon lange nicht mehr humanistischer
Proportionen bedarf, sondern größte Disharmonien aushält, solange Material
und konstruktive Berechnungen stimmen.
Etymologische Herleitung
Im Griechischen theoría
lebten Bedeutungen wie „Untersuchung“ und „Schaulust“ oder
„wissenschaftliche Erkenntnis“ und „Schauspiel“ noch ungeschieden beisammen.
Theorie bedeutete daher zweierlei: eine Betrachtung, die Mühe bereiten mag
und dennoch ein Fest ist, denn im anschaulichen Denken der Griechen glich
die theoría einem Festzug, der eine reiche Beute an neuen
Erkenntnissen durch die Landschaft des lustvoll Angeschauten mit sich führt.
Eine ähnliche Doppeldeutigkeit gilt für das Wort architékton, das als
„Baumeister“ und – man höre und staune – als „Theaterpächter“ übersetzt
werden kann. Das Theater oder Schauspiel scheint der Dreh- und Angelpunkt
dieser Begriffe zu sein. Wie sie miteinander verbunden sind, demonstrierte
Scharoun 1959 bei der Einweihung seiner Gebäudegruppe „Romeo und Julia“ in
Stuttgart-Zuffenhausen. Damals trat er als Architekt und Impresario
auf und ließ Studierende der Hochschule für Darstellende Kunst Szenen aus
Shakespeares gleichnamigem Theaterstück im amphitheatralischen Innenhof der
„Julia“ aufführen.
Der Gedanke liegt nahe, dass Architektur und Theorie von ihrem griechischen
Ursprung her aufs Engste miteinander verknüpft sind – und zwar auf beiden
Wortbedeutungsebenen. Darüber, dass Theaterpächter und Schauspiel im
Zusammenhang stehen, muss man nicht lange reden. Aber auch der Architekt,
der von alters her (arché) ein Handwerker und Baukünstler (tékton)
ist, scheint dem Theoretiker recht nahe zu stehen, weil das Verb
tektaínomai, das in architékton eingegangen ist, „bauen“ und
„erfinden“ bedeutet. Architekten bauen Häuser und erfinden Neues, und der
Theoretiker, der dieses Neue betrachtet und analysiert, gibt dabei selbst
ein Schauspiel ab, dem wiederum ein Publikum beiwohnt, mit einem Architekten
in seiner Mitte, der das Theater, das die Theorie feiert, gebaut oder
gepachtet hat. – Ein Verwirrspiel, gewiss, dessen besonderer Reiz in der
Vieldeutigkeit und gegenseitigen Öffnung der Begriffe Architektur und
Theorie besteht.
Zwei Arten Architekturtheorie
Um deutlich zu machen, um welche
Verwirrungen und Entwirrungen es am igma geht, möchte ich zwei Arten
von Architekturtheorie unterscheiden. Die erste lehnen wir schweren Herzens
ab, obschon sie weit eher als die zweite in der Lage ist, die
„Wissenschaftlichkeit“ unseres Fachs zu behaupten. Freilich geht dies nicht
ohne „Disziplinierung der Disziplin“ ab. Sie stellt sich auf der Suche nach
den „wahren“ Gegenständen der Architekturtheorie ein, nach ihrer Essenz und
ihrem ureigenen Territorium, das zu einer uneinnehmbaren Festung ausgebaut
wird, um dem Fach die Autonomie und Würde einer unverwechselbaren
wissenschaftlichen Zunft zu geben. In deren Zentrum steht vor allem die
Theoretisierung der Tektonik als ein Aspekt des Bauens, der uneingeschränkt
in den Kompetenzbereich der Architektur gehört.
Das unbewusste oder offen angestrebte Ziel einer von ihren
Nachbarwissenschaften deutlich unterschiedenen, „disziplinierten“
Theoriebildung lautet, eine Architekturwissenschaft nach dem Vorbild der
Kunst-, Literatur- und Musikwissenschaft zu etablieren
– mit
der Folge, dass
Theorie und Praxis entkoppelt und in verschiedenen Fakultäten oder sogar
Hochschulen angesiedelt werden. Trotz der wissenschaftlichen Verdienste von
Kollegen, die in diese Richtung wirken, glaube ich, dass diese Position zur
Historiographisierung einer Architekturtheorie führt, die sich von den
Entwurfslehrstühlen abnabelt und von Wissenschaftlern verwaltet wird, die
keine Architekten, zumindest keine praktizierenden Architekten mehr sind.
Eine solche Theoriebildung wird schon bald jeden Kontakt mit der Praxis
einbüßen und sich als reine Geisteswissenschaft in die Bau- und
Kunstgeschichte zurückziehen. Damit gewinnt sie an bildungsbürgerlichem
Interesse und – wird folgenlos.
Ich finde das nicht erstrebenswert, obschon ich kein Architekt bin. Ich wäre
sehr gerne einer geworden, und verstehe mich darum nicht als typischer
Repräsentant, sondern als Statthalter einer Disziplin, die unbedingt in der
Architekturfakultät verbleiben und möglichst von aktiven Architekten
betrieben werden sollte. Freilich nur von solchen, die eine Synthese
zwischen Theorie und Praxis anstreben. Für ihre Ausbildung fühlt sich das
igma in besonderer Weise verantwortlich. Weil aber der Keim zu einer
solchen Auffassung in den Studenten immer weniger vorausgesetzt werden kann,
ihnen vielmehr erst eingepflanzt werden muss (frei nach Sullivans Motto „Remember
the seed-germ“), scheint es mir ganz selbstverständlich, dass eine die
Praxis anleitende Theorie das Architekturstudium von Anfang an begleiten
muss – nicht als Nebenfach, sondern als Hauptfach. Und sie sollte darum auch bei
der Umbildung des Diplom- zu einem Masterstudiengang bereits als tragende
Säule der Ausbildung zum Bachelor eingeplant werden.
Kommen wir also auf die zweite Art von Architekturtheorie zu sprechen, die
der „disziplinierten“ als Antipode gegenübersteht. Ihre Wurzeln finden sich
nicht bei Schinkel, sondern Semper, nicht in der wissenden Klassik, sondern
in der fragenden Romantik, und in ihrem Zentrum steht darum auch nicht die
Theoretisierung der Tektonik, wohl aber der Diskurs über die Bedeutung und
Aktualität der Textur. Diese ist kein Spezifikum der Architektur, die
deshalb auch keinen Besitzanspruch darauf erheben kann
– mit der Folge, dass
in der Theorie Tür und Tor der Einflussnahme durch andere Künste und
Wissenschaften offen stehen. Aus diesem Grund spreche ich von einer
„undisziplinierten“ oder „offenen“ Theorie. André Corboz beschrieb sie mit
den Worten: „Wir müssen den grundlegenden Nutzen der Disziplinlosigkeit
anerkennen und eine aktive Sympathie für die Ketzer von Borromini bis zu den
Expressionisten entwickeln, weil sie das Verdienst haben, Überlebenschancen
für die Architektur zu eröffnen.“
Genau um dieses Überleben in einer Zeit der Krise geht es und darum, einen
erweiterten Architekturbegriff zu entwickeln, der es der Architektur
ermöglicht, auch in Zukunft trotz und gerade wegen ihres künstlerischen und
praxisorientierten Charakters als universitäres Fach bestehen zu können und
ernst genommen zu werden. Letzteres ist um so wichtiger, da die Forderung
nach interdisziplinärer Arbeit, die allenthalben erhoben und durch aufwändige Forschungsprogramme unterstützt wird, weniger eine Erfolgsstory
ausgelöst hat, als ein Symptom der ungebremsten Spezialisierung der
Wissenschaften darstellt. In dieser Situation, in der trotz aller
interfakultativen Cluster und Graduiertenkollegs die Isolation der
Disziplinen und die Dichotomisierung der Geistes- und Naturwissenschaften
weiter zunimmt, leuchtet der sinkende Stern der Architektur kräftig das
zerklüftete Terrain unserer Wissenschaftslandschaft aus, um uns in der
architektonischen Verbindung von Theorie, Praxis, Kunst und Technik die
letzte Möglichkeit einer Versöhnung von homo faber und homo ludens
aufzuzeigen.
Zwischen den Kulturen
Aufgrund des der Architektur immanenten alternativen Wissenschaftsbegriffs
beschränkt das igma seine Arbeit nicht darauf, in den
programmatischen Texten der Moderne versprengte Theoriefragmente auf ihre
Aktualität zu untersuchen. Wir verstehen Architekturtheorie als ein breit
angelegtes Fachgebiet, als einen Köcher, der durch die reichen Fischgründe
des Wissens gezogen wird und dabei die für den Okzident so fatale Kluft
zwischen den Disziplinen ignoriert. Die Forderung nach einem universellen,
Theorie und Praxis versöhnenden Wissen, hatte schon Vitruv den Architekten
ins Stammbuch geschrieben. Und als hätte er geahnt, dass man ihm einst in
Zeiten fortgeschrittener Arbeitsteilung die Unmöglichkeit seines Ansinnens
vorhalten werde, verschanzte er sich hinter der schwer widerlegbaren
Behauptung, alle Wissenschaften stünden untereinander in Verbindung und
Gemeinschaft. An dieser Vorstellung hielten noch die Totengräber des
Vitruvianismus fest
– an
vorderster Front Gottfried Semper, der gleich große
Kenntnisse in den Geistes- und Naturwissenschaften aufwies und darum seinen
Zeitgenossen suspekt war.
Dennoch begann der Gedanke zu keimen, die Architekten seien dazu berufen,
den Menschen die komplizierten Baupläne der Natur zu erklären und in die
allgemein verständliche Gestalt ihrer Gebäude zu übersetzen. Zunehmend sah
man im Bauen, Planen und Entwerfen das Potenzial unserer Kultur, abstrakte
wissenschaftliche Erkenntnisse und unsichtbare Prozesse in Technik und
avantgardistischer Kunst sinnlich anschaulich, nutzbar und im buchstäblichen
Sinne begreiflich zu machen. Als zudem in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts deutlich wurde, dass die Welt nicht nur unübersichtlicher
geworden ist, sondern in der Maske des technischen Fortschritts immer
befremdlicher scheint, sprach man gar davon, die Architektur müsse den
„antiquierten Menschen” mit der Moderne versöhnen. Giedion traute ihr dies
zu, da er ohnehin der Überzeugung war, die moderne Architektur habe
Einsteins Konzeption der Raum-Zeit baulich verwirklicht und popularisiert.
Seitdem reißen die Versuche nicht ab, neueste Erkenntnisse in Wissenschaft
und Technik mit Hilfe der Architektur zu veranschaulichen, die von diesem
Vorgang nicht wenig profitiert hat. Und umgekehrt sind schon wichtige
Entdeckungen in den Naturwissenschaften durch ein Bauen und Konstruieren,
das C. P. Snows These von den zwei Kulturen Lügen straft, angeregt worden.
Hierzu gehört die spektakuläre Auffindung der für die Chemie und
Nanotechnologie so wichtigen Fullerene, das sind kugelförmige
Kohlenstoffmoleküle, deren Konstruktion erst mit Hilfe der sphärischen
Kuppeln Buckminster Fullers entdeckt werden konnten. In dieser Tradition,
die ihre Fortsetzung in Stuttgart durch Frei Otto erfuhr, möchte das igma
zum einen die Genese der bedeutendsten Beispiele einer die Wissenschaften,
Künste und Technik zusammenführenden Architekturtheorie rekonstruieren. Zum
anderen geht es uns um die praktische Relevanz dieses Ansatzes, der sich ja
nicht nur die architektonische Versöhnung von Mensch und Technik zum Ziel
setzt, sondern dazu beitragen will, unsere Lebenswelt durch sinnvolle
Produkte zu verbessern.
Diese Produkte, die vor allem in Kooperation mit der Textilindustrie
entstehen sollen, sind architektonisch im weitesten Sinne. Das ist umso
nötiger, als die Architekten mehr denn je gezwungen sind, ihren
Tätigkeitsbereich über das reine Bauen und Planen hinaus zu erweitern. Und
das nicht allein aus wirtschaftlichen Erwägungen, sondern um auf eine
grundsätzliche Not zu reagieren, die durch das Bauen allein nicht behoben
werden kann und dennoch in den Zuständigkeitsbereich des Architekten fällt.
Martin Heidegger beschrieb einst diese Not mit den Worten: „dass die
Sterblichen das Wohnen erst lernen müssen”. Gemeint ist, dass die
Architekten Strategien entwickeln sollen, die es uns als Lebewesen möglich
machen, in einer technisierten Welt Fuß zu fassen. Das aber bedeutet, sich
als Architekt auf die Konzeption von interfaces zu konzentrieren, die
gegenwärtige und zukünftige Interaktionen zwischen Mensch und Maschine
regeln.
Die Wahrnehmung der Stille
Während die Werke der Malerei an das Auge und die der Musik an das Ohr
appellieren, scheint es für die Architektur kein spezifisches Sinnesorgan zu
geben, mit dessen Hilfe sie rezipiert wird. Folgende Beschreibung drängt
sich auf: Zwar erreichen uns Gebäude aus der Ferne über den Gesichtssinn,
doch im Prozess der Annäherung und ganz sicher beim Betreten eines Hauses,
wenn uns die Architektur buchstäblich verschlingt, wirkt sie zunehmend auf
alle Sinne des Menschen. Das kann so weit gehen, dass man die Augen schließt
und den Raum, in dem man sich befindet, zu hören, zu riechen und einzuatmen
beginnt. Oder aber man tritt an einzelne Bauteile heran, um sie zu betasten
und die haptischen Eigenschaften der Oberflächen zu spüren. Begehrend
streichen unsere Hände über unregelmäßige Wände und die reliefartigen
Erhebungen der Ornamente.
Was aber wäre, wenn wir uns in der gleichen Weise, in der wir sagen, die
Musik erwartet von uns das Zuhören und die Malerei das Sehen, fragen würden,
was denn die Architektur von uns erwartet? Müssten wir dann antworten: als
erstes das Sehen, dann das Hören, Riechen und Tasten? In seinem Buch
Silence (1954) behauptet der Komponist John Cage, das Hören der Musik
werde durch das Sprechen behindert, dadurch also, dass die Menschen den
Tönen und Klängen, denen sie ausgesetzt werden, stets „ins Wort fallen”.
Ähnliches könnte man auch von der Malerei sagen: Das Sehen, das sie von uns
fordert, läuft immer wieder Gefahr, durch das Sprechen gestört zu werden.
Das Sprechen ist der Versuch, dem horror vacui zu entrinnen und damit
jener Stille, die sich in Musik, Dichtung und Malerei entfaltet. Kunst ist
das Verstummen des zweckgerichteten Sprechens, das zerstörend, okkupierend
und bestimmend in das Reich der Stille einfällt. Stille bedeutet aber nicht,
dass nichts zu hören ist, sondern dass das richtige Hören und Sehen erst
beginnen kann. Cages Silence meint: Mund und berechnender Verstand
stehen still, damit sich die ungehörten Klänge und ungesehenen Farben, damit
sich alle Formen und Geräusche dieser Welt ungehindert ausbreiten können.
Doch ist nicht die Architektur der Geburtsort der Stille? Verkörpert sie
nicht das gesammelte Schweigen der Menschen? Erst wenn man sich aus der
phänomenologischen Erfahrung des Raumes herauslöst, beginnt er sich mit
Sprache zu füllen. Umso mehr Nachhall er
entwickelt, desto mehr lauschen wir dem Verklingen der Stimmen und gehen in
die Stille des Raums ein. Die Unterdrückung des Schalls kommt nahezu einer
Ausschaltung des Architektonischen gleich. Vielleicht gibt uns ja die Stille
des Raumes, die allein die Architektur hervorruft, (im Gegensatz zur Stille
der Alltagsgeräusche, die die Musik, und zur Stille der Farben, die die
Malerei produziert) einen Hinweis auf das Sinnesorgan, an das die
Architektur in erster Linie appelliert: den
Tastsinn. Die architektonische Stille wäre dann nicht das Produkt des
Hörens oder Sehens, sondern das der niederen Sinne – des Tastens, Riechens
und Schmeckens. Mit ihrer Hilfe regrediert der Mensch zum „Gallwespenbaby”
(Hermann Finsterlin) oder Embryo, der im Fruchtwasser des Mutterleibs
schwimmt.
Eine solch gewaltige Regression gestattet wohl keine andere Kunst, allein
die Architektur, und das auch nur deshalb, weil ihre Konzeptionen und
Konstruktionen weit mehr an den Verstand gerichtet scheinen als die
Erscheinungen des Rationalen in den anderen Künsten. Nur weil beides in
Gebäuden besonders krass aufeinander prallt – das „Mathematische” und der
Appell an die niederen Sinne – konnten sich Finsterlin oder Friedrich
Kiesler an den Entwurf ihrer pränatalen Architekturen machen. Nur die
Architektur erwartet, dass wir ihre Räume auch im Dunkeln spüren, dass wir
sie mit unserem „Körpersinn”, mit der Empfänglichkeit unserer Haut, zu
ertasten suchen, um allmählich auch den Verstand einzuschalten, der sich
über Fragen des Stils, der Konstruktion, der Proportionen etc. Aufschluss zu geben sucht.
Wer in einem Gebäude zu sprechen beginnt, ohne zuvor dessen Wirkung auf
seinen Körper gespürt zu haben, ist in der Architektur noch nicht angekommen
und bleibt, mit den Worten John Cages, ebenso dumm wie das Publikum, das
seine Langweile, die es während eines unverstandenen Musikstücks empfindet,
mit Geflüster zu überbrücken sucht. Die Architektur lehrt uns die Stille
auszuhalten und den (perzeptiven) Zustand des sprachlosen Menschen, der
primär „fühlt“, mit dem (apperzeptiven) Zustand des sprechenden Menschen zu
verbinden, der die Räume vermisst und analysiert. Damit kommt die
Architektur zugleich ihrer Aufgabe nach, die anthropologische Antiquiertheit
des Menschen mit dem davonstürmenden technischen und wissenschaftlichen
Fortschritt zu versöhnen. Architekturästhetik wäre demnach die Lehre von der
Stille, in der die leibhafte Erfahrung der Architektur möglich wird, und sie
wäre zugleich die Lehre von den architektonischen Potentialen, die den
Menschen in der entfesselten Moderne zur Verfügung stehen, um ihre
Sinnlichkeit und Verstandeskräfte einigermaßen in Einklang und
Übereinstimmung zu bringen.
Die Schrift der Architektur
Der Erfahrung stiller Räume folgt die Entzifferung beschrifteter Wände auf
den Fuß. Hierbei stellt sich die Frage, ob ein Gebäude nur die Unterlage
einer Schrift bildet, die sich in seine Textur als Fassadengliederung und
Ornamentik eingraviert hat, oder ob es das Gebäude im Ganzen ist, das diese Schrift verkörpert.
Diese Frage veranschaulicht einen alten Streit auf neuer Ebene: Den Streit
der „alten“ Fassadenkünstler, die behaupten, das Ästhetische müsse der
Architektur in Gestalt von edlen Materialien, Schmuck, Farben und Ornamenten
wie ein Sahnehäubchen aufgesetzt werden, mit den modernen Puristen, die die
Fassade abgeschafft haben und fordern, die Architektur müsse sich von allem
überflüssigen Zierrat befreien, ihn als
Eiterbeule, Grind und Schmutz von ihren Wänden schlagen, damit darunter der
nackte Baukörper in seiner stummen Schönheit und Wahrheit zutage treten
könne.
Schon Nietzsche hatte die bürgerliche Tugend, den Gehalt der Kunstwerke
stets hinter den Fassaden schöner Formen, Worte und Klänge zu
vermuten, als Heuchelei bloßgestellt und die Artistik sinnlicher Oberflächen
zur eigentlichen Tiefe der Kunst erklärt. Demgegenüber urteilte Walter
Benjamin über die kargen Interieurs der Moderne, sie würden zu den selbstbewussten Proletariern passen, die sich
ihrer Armut nicht länger schämen wollten. Zudem seien asketisch möblierte
Wohnungen bequem genug, um darin nach getaner Arbeit ausruhen und träumen zu
können. Doch von was? Benjamins überraschende Antwort in „Erfahrung und
Armut“ lautet: von der Micky Maus. Ihr Leben sei voller Wunder: „Natur und
Technik, Primitivität und Komfort sind hier vollkommen eins geworden, und vor
den Augen der Leute, die an den endlosen Komplikationen des Alltags müde
geworden sind, erscheint erlösend ein Dasein, das auf die einfachste und
zugleich komfortabelste Art sich selbst genügt.“
Tatsächlich erklärte sich die moderne Kulturindustrie zuständig für die
Phantasien, die das Neue Bauen aus seinen Fassaden entfernt hatte. Le
Corbusier hat diesen Sachverhalt mit aller Deutlichkeit in der Villa Schwob
(1916) inszeniert, deren Straßenfassade vom Motiv des leeren Bilderrahmens
beherrscht wird. Man könnte sie auch als eine Kinoleinwand beschreiben, die
nur darauf wartet, dass auf sie ein Disney-Film projiziert wird. Seine
„Ästhetik des Geizes” führte dazu, dass die leer gefegten architektonischen
Oberflächen zu Projektionsflächen für Träume wurden, die sie nicht selbst
evozierten. Unbewusst kollaborierte der
moderne Purismus mit den Verführungskünsten der Massenmedien. Dieser Umstand
beschreibt die Sprachlosigkeit des Neuen Bauens, die gewollt war. Schon der
Volksmund weiß: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Das galt auch für
moderne Architektur, für ihre stummen Fassaden und wortkargen Manifeste.
Nicht Häuser sollten sprechen, sondern Menschen, die in ihnen wohnen und
arbeiten. Dieser Losung fiel die Fassade zum Opfer und ebenso ihr Vokabular:
die Ornamente.
Das war konsequent gedacht, nicht jedoch im Sinne Sempers und seiner
Nachfahren in Wien und Chicago. Dass er die architektonische Textur auf das
Weben und Flechten der ältesten Kulturen zurückführte, macht zweierlei
deutlich. Erstens: der textile Ursprung der Architektur ist zugleich ihr
modernes Ziel. Vieles deutet inzwischen darauf hin, dass textile Baustoffe
dem Beton, Stahl und Glas den Rang ablaufen und künftige Raumbegrenzungen in
sensitive Hüllen verwandeln werden, die organischen Häuten ähneln. Zweitens:
Sempers Hinweis auf die Geburt der Architektur aus dem Geist der textilen
Kunst stellt der Fassade die Aufgabe, eine Erzählung zu sein. Dabei gilt:
Den Text eines Bauwerks dürfen wir weder in dem vermuten, was verhüllt wird,
noch in dem, was enthüllt wird. Wir müssen ihn in der Hülle selbst suchen.
Der Text eines Bildes oder eines Bauwerks ist fester Bestandteil seiner
Textur, um überhaupt in Erscheinung treten zu können. So wäre also das
Verhüllen und Maskieren stets auch ein Vorzeigen. Und die kostümierte
Fassade wäre mithin das Medium, in dem sich das Verborgene aufhält. Zumal ja
unter der Maske der Architektur nicht wirklich ein Gesicht steckt, das man
entdecken könnte. Die Fassade eines Hauses ist Gesicht und Maske zugleich.
Und auch der Mensch, der hinter eine Maske schlüpft, verbirgt nicht einfach
nur sein Antlitz. Er möchte uns sein anderes Ich zeigen und etwas
preisgeben, das unter Umständen mehr über ihn verrät als ihm lieb sein kann.
Doch welche Botschaften Masken auch verbreiten wollen, stets gilt, man muss sie dechiffrieren können. Man muss in der Lage sein, die Motive einzelner
Menschen und ganzer Kulturen, die sich verkleiden, in der Bildersprache
ihrer Kostüme wiederzuerkennen.
Architekturtheorie heute resümiert, dass sich die asketische Eleganz
„materialgerechter“ Formen aufgebraucht hat. Immer schmerzlicher
registrieren wir, welch jähes Ende der sich verschwendenden Architektur
durch den Sieg des stummen Kubus über die beredte Textur bereitet wurde. Und
sie fordert darum die Architekten auf, sich an Wrights frühen Text „Die
Kunst und Fertigkeit der Maschine” (1901) zu erinnern, in dem die
Architektur als universelle Schrift der Menschheit beschrieben wurde, über
die die Literatur „nur“ mit Hilfe des modernen Buchdrucks triumphieren
konnte.
Mit der Wiederentdeckung der Architektur als Schrift geht auch die
Rehabilitierung der Fassade einher. Sie ist urban, sobald ihre Ornamente
einen Text schreiben, der den öffentlichen Raum konstituieren hilft. Einige
ambitionierte Architekten haben längst erkannt, dass ihren Gebäuden ein
wenig Maskerade und Faschingslaune gut steht. Und viel wichtiger noch: es
kommt sogar gut an. Zunehmend werden wir mit Bauwerken konfrontiert, deren
ästhetische Qualität einer breiten Öffentlichkeit diskutabel erscheint, ohne
dass darüber die Fachwelt pikiert wäre. Der Laie findet ein Gebäude
gelungen, beeindruckend oder schön, weil er sich an seiner äußeren
Gestaltung erfreut. Der Kräfteverlauf kümmert ihn nicht. Die
interessantesten Architekturen unserer Zeit scheinen das erkannt zu haben
und versuchen deshalb, die Botschaft und Ausstrahlung ihrer Oberflächen in
den Vordergrund zu stellen. Die Folge ist: ästhetisch ambitionierte
Architektur beginnt, populär zu werden.
Architekturtheorie und Popkultur
Innerhalb der sich zuspitzenden Krise der Architektur scheinen sich drei
Modelle des beruflichen Überlebens herauszuschälen: Erstens das
Rückzugsgefecht, um verlorenes Terrain wieder gutzumachen
(„Spezialisierung innerhalb des Architekturfeldes”); zweitens die Suche nach
internationalen Absatzmärkten („China-Ticket”); drittens die Flucht nach
vorn, was soviel heißt wie: den Generalismus ins Extrem treiben, weit über
die Grenzen des tradierten Begriffs von Architektur hinaus („Option Pop”
oder „Amateur-Sein”). Die Entwurfslehre des igma weiß sich dem dritten
Modell verpflichtet. Das aber setzt eine intensive Auseinandersetzung mit
der Kulturindustrie voraus, die das Amateurwesen feiert, weswegen die
Popkultur niemals richtig in der Architektur ankommen konnte – trotz
Venturi und Archigram. Der Kulturindustrie ist es zuzuschreiben, dass Profi
und Amateur das Gegensatzpaar in der kommerzialisierten Kunst bilden
– so wie sich in der bürgerlichen Kunst Experte und Dilettant
gegenüberstanden.
Verzichtete der Experte zugunsten seines spezialisierten Wissens auf
Allgemeinbildung und gab der Projektion des genialen Dilettanten Raum,
leistet der Pop-Profi auf alles Verzicht, was ihn dem Verdacht der
Intellektualität aussetzen könnte. Er ist im Grunde ein Produkt der
Chancengleichheit: jemand, der durch den Genuss spezieller
Trainingsprogramme die Bildungschancen aufholen durfte, die ihm durch seine
soziale Herkunft versagt waren. Nur wer sich an alte Privilegien klammert,
wird diese Entwicklung bedauern und als Untergang des Abendlandes
beschreiben wollen. Was auf diese Weise beklagt wird, ist der aufgehende
Stern der Mediendemokratie, deren Produkte uns oft genug peinlich anmuten,
aber wir wollen ja nicht in eine Vergangenheit zurückfallen, in der
fürsorgliche Avantgarden für eine elitäre Kultur votieren, um das moderne
Massenpublikum zu bevormunden.
Zur den wichtigsten Kernkompetenzen des „Architekten-Amateurs” gehört das Imagineering. Es setzt sich aus
„image” und „engineering” zusammen und
beschreibt die Tätigkeit der Ingenieure, Architekten und
Multimedia-Spezialisten, die Disneyland und Disneyworld entworfen haben.
Mittlerweile hat sich der Begriff verselbständigt und steht für die
Produktion von Bildern, die erfolgreich kursieren. Alle Entwürfe am igma
beginnen daher mit Leistungen, die in traditionell operierenden Büros
stiefmütterlich behandelt werden: Logo-Entwürfe, Kampagnen- und
Branding-Konzepte, Strategisches Marketing, Erarbeitung einer Bildökonomie.
Wir bilden keine Studenten aus, die brav auf Aufträge warten, sondern
solche, die möglichst virtuos auf der Klaviatur wechselnder Identitäten
spielen, um in der Ökonomie der Aufmerksamkeit (Georg Franck) überleben zu
können: Morgens geben sie den coolen Marketingstrategen oder den
verschwiegenen Treuhänder, mittags blüht ihr tyrannisches Künstler-Ego auf,
oder sie schlüpfen in die Rolle des artigen Teamarbeiters, um dann am Abend
den souveränen Single, politischen Agitator, die treue Gattin oder den
kinderlieben Vater zu spielen. Derart ausgestattet, denken sich unsere
Studenten „Direkte Aktionen” als flankierende Maßnahmen aus. Außerdem wenden
sie subversive Strategien an, wie das Adbusting, die Überaffirmation,
Falschinformation, taktische Religiosität und selbstverständlich – die
kritisch-paranoische Methode.
Die Figur des Developers konnte die letzten Jahrzehnte nur deshalb an Boden
gewinnen, weil sich im 20. Jahrhundert die Ökonomisierung des Bauens vor
allem symbolisch und weniger operativ vollzog. Der enorme Machtzuwachs
kaufmännisch gewiefter Akteure auf der Baustelle resultiert nicht zuletzt
aus der Unlust der Architekten, ihre ästhetische Sparsamkeit in eine
betriebswirtschaftliche zu überführen. Inzwischen aber reicht selbst das
nicht mehr aus. Der global agierende Kapitalismus hat sich von einer Agentur
der flächendeckenden Ausbeutung in ein Instrument des Vergessens
verwandelt. Ganze Städte und Regionen stürzen in sein schwarzes
Erinnerungsloch – mit dem Resultat, dass Arbeitskräfte in den Schrumpfungs-
und Deökonomisierungs-Zonen überflüssig werden. Architekten sind hiervon
direkt und indirekt betroffen. Der Kapitalismus als Motor einer Zersetzung,
aus der Semper die Moderne glorreich hervorgehen sah, hat sich in eine
Freiheitshölle für „Nichteinmalmehrausgebeutete” (Diedrich Diedrichsen)
verwandelt. Daher ist Corporate Mentality das Gebot der Stunde.
Zum Schluss: Schon allein dieser kleine fragmentarische Überblick über die
Aufgaben und Themen einer offenen Architekturtheorie zeigt, wie viele
Disziplinen in unser Fach hineinspielen. Längst könnte die klassische
Anbindung der Architekturtheorie an die Kunst- und Baugeschichte durch den
Hinweis relativiert werden, dass ebenso eine Verkoppelung mit der
Philosophie, Soziologie, Psychologie, Psychoanalyse, Ökonomie, Literatur-,
Film- und Musiktheorie denkbar wäre. Schon allein aus diesem Grund sollte
unser Fach aus seiner Not, sich an die Peripherie älterer, selbstbewussterer
Disziplinen gedrängt zu sehen, die Tugend machen, sich souverän in deren
Mitte einzurichten als eine Wissenschaft, die ihre spezifische Legitimität
aus der Kraft bezieht, die anderen Disziplinen zu integrieren und zu
gemeinsamen Themenstellungen zu bewegen.
Wenn man schon auf eine solch große Integrationsleistung zu sprechen kommt,
stellt sich abschließend die Frage, ob denn die Architekturtheorie auch die
Theorie der Stadt und des Städtebaus einbegreift? Einerseits ja, da sich
Architekten immer schon mit Hinweis auf Albertis Analogisierung von Stadt
und Haus als Städtebauer verstanden haben. Andererseits würde aber mit einer
vereinten Architektur- und Städtebautheorie ein Konflikt entschärft, der mir
für das Studium sehr nützlich und konstruktiv erscheint. Dieser Konflikt
entsteht im Widerspruch einer Planung, die sich der Gesamtheit einer Stadt
und Stadtgesellschaft verpflichtet weiß, mit einem Entwurf, der einem
einzelnen Objekt gilt (selbst wenn es seine Individualität aus dem
städtebaulichen Kontext ableiten sollte). Aus diesem Widerspruch kann die
Architekturtheorie Funken schlagen und in den Studenten das Feuer der
Intellektualität entfachen. Aber austragen kann ihn ein einzelner
Architekturtheoretiker natürlich nicht.
|