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Architekturtheoretiker –
wie alle Vertreter einer jungen Disziplin – wollen zunächst das eigene
Gebiet sichern, soviel ist klar aus ihren Äußerungen. Doch wo liegt dieses Gebiet?
Offenbar soll es Probleme geben,
deren Lösung von der Architekturtheorie erwartet wird, wenn öffentliche
Gelder zur Aufstellung neuer Lehrstühle verwendet werden. Möglicherweise
würde Mathematik als nutzlose Gehirngymnastik längst nicht mehr
unterrichtet, wenn sie zur Entwicklung der Naturwissenschaften und Technik
nicht wesentlich beitragen könnte.
Die Probleme, mit denen Architekten kämpfen müssen, sind vielschichtig und
reichen vom städtischen
Maßstab bis zu jenem eines Türgriffs; die Lehrfächer, die bei der
Lösung zu Hilfe herangezogen werden können, existieren längst. Welche
spezifischen Probleme will also die Architekturtheorie lösen? Die Antwort
auf diese Frage soll zeigen, ob Architekturtheorie als Lehrfach eine
Existenzberechtigung hat.
Architekturtheorie als die Gesamtheit der Traktate und Manifeste von
Architekten existiert seit Vitruv. Die Entstehung der Architekturtheorie als
eigene Disziplin aus der Allianz der Architekturgeschichte und der politisch
engagierten Architekturkritik hängt jedoch mit der Situation nach 1968 eng
zusammen. Die von Manfredo Tafuri aufgestellte These von der Unmöglichkeit
einer kritischen Architektur hat zur Institutionalisierung der kritischen
Theorie der Architektur wesentlich beigetragen. In diesem Zusammenhang
spielte die Zeitschrift Oppositions, die das von Peter Eisenman
geleitete IAUS ab 1973 herausgegeben hat, eine wichtige Rolle. Spätestens
mit der Dekonstruktivismus-Ausstellung im MoMA (1988) wurden jedoch Zeichen
der Ermüdung des kritischen Geistes zugunsten einer historisierenden
„Begleitung“ neuer Architekturvorschläge sichtbar. Heute treten selbst aus
der ANY-Familie stammende Kinder gegen criticality auf und fordern
für die Theorie projectivity, das chitekturtheorie wieder stärker auf ihre Wurzeln in der
Architekturgeschichte besinnt und auf ihre Ambitionen, branding-Dienste
für die Praxis zu leisten, verzichtet.
In einer Architekturschule, wo es naturgemäß zumindest so viele
Entwurfsphilosophien wie Entwurfslehrstühle gibt, ist die Situation noch
schwieriger. Entwurfsphilosophien haben aber den Sinn, die eigene Position
als die richtige darzustellen; die Förderung des kritischen Denkens steht
also nicht unbedingt im Vordergrund. Solange damit nur eine entwerferische
Praxis untermauert wird, führt man den Titel Architekturtheorie unverdient.
Mit einer offensiven Strategie, die Praxis zu subsumieren, ist der Theorie
nicht gedient; damit würde sie einen Anspruch anmelden, der sie letzten
Endes isolieren könnte. Zwar ist die Phantasie einer „theoriegesteuerten“
Entwurfspraxis langlebig, die Geschichte der Architektur zeigt jedoch die
Grenzen dieser Vorstellung – wie auch die Produktivität theoretischer
Irrtümer für die Architektur. Natürlich darf dies nicht den Rückzug der
Theorie in Wirkungslosigkeit bedeuten,
von ihr müssen Veränderungen für die Praxis ausgehen. Ihre eigene
Praxis ist aber keine entwerferische, sie greift auf einer begrifflichen
Ebene ein. Das Unterrichtsfach Architekturtheorie zeichnet sich durch das (In-)Fragestellen
und
Problem-Formulieren aus. Es will die Studenten zur eigenen Reflexion
bringen, statt sie davon abzuhalten. Deshalb kann dieses Fach
nur Instrumente, keine fertigen Lösungen anbieten.
Der Lehrbereich Architekturtheorie der ETH Zürich, der zum Institut gta
gehört, baut sein Lehrangebot entsprechend auf. Das wichtigste Werkzeug in
unserer Toolbox ist die Untersuchung jener Begriffe, die so nahe zum Zentrum
des Denkens über Architektur stehen, dass man nie nach ihrer Bedeutung
fragt. Um das Wesen eines architektonischen Problems zu erfassen, muss man
sich mit der Vorgeschichte problematischer Begriffe auseinandersetzen. Wir
können gleich mit dem Begriff Architektur beginnen, um weiterzufragen: Was
ist Raum? Was ist Funktion? Was ist Tektonik? Es ist wohl zunächst
erstaunlich, dass es selbst in Framptons einschlägigem Band keine
Antwort auf diese dritte Frage gibt, aber die maßgebenden konstitutiven Umgebungen
des Tektonikbegriffs zeigen sich. Was ist Tektonik? Dies ist
offensichtlich eine Frage anderer Art, als jene nach dem Kräftefluss in
einem Dreigelenkrahmen. Von dieser archäologischen Arbeit kann man nur
erwarten, dass das Problem der Tektonik verstanden, nicht aber, dass es
„gelöst“ wird.
Architekturtheorie an der ETH soll den Studenten helfen, ihre
architekturspezifischen Probleme, die oft aus der Unklarheit und
Verworrenheit der Begriffe entstehen, mit anderen, außerarchitektonischen
Fragen zu verbinden. Die Beschäftigung mit Konstrukten wie zum Beispiel Raum
oder Identität verlangt das Durchdenken von Fragen der Politik oder der
Ethik der Genforschung. Dieses Herumbasteln bringt keinesfalls voraussehbare
Resultate; die bemerkenswerten Leistungen sind diejenigen, die Kant und Duchamp, Freud
und Heidegger, oder (wie im Falle einer Wahlfacharbeit) Leon Krier und Rem
Koolhaas mit einem Blick erfassen.
Viele kommen zu den (zurzeit obligatorischen, aber nicht prüfungspflichtigen)
Architekturtheorie-Vorlesungen und zu den Seminaren und schreiben
Wahlfacharbeiten, weil sie erkennen wollen, wie man verschiedene Themen in
einen Zusammenhang bringen kann. Sie wollen Auskunft darüber, wie es
gelingen kann, Naturwissenschaft, Informatik, Globalisierungskritik oder die
„paranoisch-kritische Methode“ zusammen zu diskutieren. Die Diskussion wäre
unmöglich ohne die Begeisterung von neuen Ideen, von Persönlichkeiten, von
Berührungen mit der Praxis des Bauens – und diese braucht man, egal ob man
mit dem Diplom dann als Entwerfer, Informatiker, Beamter, Auftraggeber oder
Bühnengestalter arbeiten wird oder Aufträge vergibt. Eine andere Aufgabe der
Architekturtheorie ist die Diskussion über die Schule selbst: ihre
Leitbilder, ihre Wertvorstellungen, ihr Selbstverständnis. Zu diesem Zweck
hat unser Lehrbereich Architekturtheorie eine Veranstaltungsreihe
UmBildung initiiert.
Diese Beschreibung der Aufgaben des Architekturtheorieunterrichtes mag als
Rückzug auf die Sprache gewertet werden. Obwohl es ja in der Tat um
sprachliche Prozesse geht, trifft das Wort Rückzug überhaupt nicht.
Architekturtheorie ist zuständig für eine bestimmte Art, sich der
Architektur anzunehmen: Sie beeinflusst das begrifflich organisierte
Verständnis, das von entscheidender Bedeutung dafür ist, wie wir die gebaute
(und nicht nur diese) Welt sehen und mit
ihr umgehen. Gerade wenn man verlangt, dass Theorie sich nicht direkt
in Praxis umsetzt, nimmt sie Einfluss darauf, wie sich die Architektur
entwickelt.
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