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1. Der architektonische Raum als
interdisziplinärer Diskussionsgegenstand von Kulturwissenschaft und
Architektur
Die Aktualität des Raumes in nahezu allen sozial- und
kulturwissenschaftlichen Disziplinen ist auf eine Transformation der
Raum-Zeit-Wahrnehmung zurückzuführen, für die vor allem die neuen
Kommunikations- und Informationstechnologien verantwortlich zeichnen. Die
erneute Auseinandersetzung mit dem Raum setzt jedoch schon früher ein.
Michel Foucault ging bereits in den 1960er Jahren davon aus[1],
dass es der Raum bzw. räumliche Ordnungen sind, die eine Gesellschaft
kennzeichnen wie prägen. Zugleich stellte er die These auf, dass der Raum
als dieses Ordnungsmodell das vorgängige Ordnungsmodell der Geschichte
ablösen werde: „Die große Obsession des 19. Jahrhunderts ist bekanntlich
die Geschichte gewesen (...). Hingegen wäre die aktuelle Epoche eher die
Epoche des Raumes. Wir sind in der Epoche des Simultanen, wir sind in der
Epoche der Juxtaposition, in der Epoche des Nahen und des Fernen, des
Nebeneinander, des Auseinander.“[2]
Von der Geschichtswissenschaft inzwischen selbst anerkannt, vollzieht sich
Geschichte nicht mehr nur in der Zeit, geht also weit über eine
chronologische Folge historischer Begebenheiten hinaus. Vielmehr ereignet
sie sich in einem von Menschen gestalteten Raum, d. h. auch einem
architektonisch gestalteten Raum, der somit als elementare Bedingung von
Sozial- und Kulturgeschichte erscheint[3].
Foucaults Betonung der räumlichen Ordnung sozialer Verhältnisse ist dabei im
weitesten Sinne auf den Strukturalismus zu beziehen, der ein Phänomen – wie
exemplarisch das der Sprache – nicht mehr diachron, in seiner zeitlichen
Entwicklung systematisch zu erfassen versuchte, sondern im synchronen,
räumlichen Nebeneinander seiner Elemente. In Korrespondenz dazu führte
Foucault den Raum als eine Konfiguration ein, als eine „Gemengelage von
Beziehungen, die Plazierungen definieren“[4],[5].
Über den Strukturalismus hinaus bezog Foucault seinerzeit auch den
phänomenologischen Zugang zum Raum mit ein. Dieser ist in Abgrenzung zum
klassischen Raumbegriff der Naturwissenschaften von wenigstens zwei
Grundannahmen getragen. Zunächst stellt der Raum für die Phänomenologie
nichts Gegebenes und Statisches dar. Er ist nicht der neutrale Behälter, als
der er von der Mathematik und Physik eingeführt worden ist. Raum ist stets
auf ein leibliches Subjekt verwiesen, in und durch dessen Bewegungen,
Handlungen und Wahrnehmungen räumliche Erfahrung und damit Raum überhaupt
erst entsteht. Daneben hat die Phänomenologie – im Anschluss an Ernst
Cassirer[6]
– gezeigt, dass Raum eine relationale Anordnung bedeutungstragender,
qualitativer Orte beschreibt[7].
Während Cassirer jedoch noch entwicklungsgeschichtlich argumentierte und
entsprechend voraussetzte, dass im Zuge fortschreitender Rationalisierung
die bedeutungstragenden Orte einer ursprünglich mythischen Geografie
zunehmend neutralisiert worden seien, um schließlich in den abstrakten
Raumpunkten der Mathematik aufzugehen, verdeutlichten einzelne
Phänomenologen und später Foucault[8],
dass selbst in säkularisierten, hoch-technisierten Gesellschaften sowohl
individuell als auch kollektiv bedeutsame Orte das soziale Leben
organisieren[9].
Dies ist parallel von den Forschungen zum kulturellen Gedächtnis
herausgestellt worden, angefangen bei den räumlichen Rahmen des sozialen
Gedächtnisses[10]
bis hin zu den nationalstaatliche wie religiöse Identität verkörpernden
Gedächtnisorten.
In der aktuellen Raumdiskussion haben beide Aspekte, der des bedeutsamen
Ortes und der des Leibes bzw. des handelnden Subjektes als Voraussetzung von
Räumlichkeit, an Aufmerksamkeit gewonnen. Auch die gegenwärtige
Auseinandersetzung mit dem Raum in der Architektur setzt erneut beim Ort und
Leib an. Dabei kann die Architektur auf eigene theoretische Ansätze
zurückgreifen, die das leibliche Subjekt bereits im ausgehenden 19.
Jahrhundert in den Mittelpunkt der Produktion und Rezeption des gebauten
Raumes gestellt haben. Bezeichnenderweise erfahren diese Ansätze derzeit
eine Konjunktur[11].
Zu ihnen gehören insbesondere die Schriften der als Architekturtheoretiker
tätig werdenden Kunstwissenschaftler Heinrich Wölfflin[12]
und August Schmarsow[13].
Tatsächlich bieten ihre Überlegungen mehrere Anschlüsse für eine Bestimmung
nicht nur des architektonischen Raumes, sondern generell des Räumlichen, was
sie auch aus kulturwissenschaftlicher Perspektive interessant werden lässt.
Entsprechend sollen sie im zweiten Teil meines Beitrages näher betrachtet
werden, wobei der Schwerpunkt auf dem körperlichen und axialen Leib als
Begründungszusammenhang des architektonischen Raumes liegen wird.
Die Verbindungen zwischen der Architektur und der Kulturwissenschaft reichen
indes weit über die aktuelle Raumdiskussion hinaus. Der architektonische
Raum wie die Architektur insgesamt gehören einem elementaren
Gegenstandsbereich von Kultur an. Architektur beschreibt eine materielle
Setzung, die aus kulturellen Handlungen hervorgeht und diese zugleich prägt.
Als diese materielle Setzung ist die Architektur Teil des dinglichen
kulturellen Gedächtnisses, das Kontinuität, Geschichte und Identität
stiftet. Darüber hinaus ist sie als symbolischer Ausdruck von Kultur zu
begreifen und in dieser Hinsicht ebenso prägend wie der rein physische
Baukörper in dem, was er an Handlungen ermöglicht bzw. verhindert.
Dass die Architektur zu den grundlegenden kulturellen Akten gehört, findet
sich bereits in der einzigen überlieferten Architekturtheorie der Antike,
den zehn Büchern über die Architektur von Vitruv[14].
So erwähnt Vitruv im zweiten Buch nicht allein Deinokrates, jenen
herkulischen Architekten Alexander des Großen, der dem Berg Athos die Form
einer männlichen Statue geben wollte und damit bereits auf die
anthropomorphe Grundlegung der Architektur verweist. Er gibt dort ebenfalls
den Ursprung der Gebäude wieder. Am Anfang steht bei Vitruv indes nicht die
Urhütte, sondern das durch einen Blitz entfachte Feuer, um das sich die
Menschen einst versammelt haben. Die so gebildete Gemeinschaft kommuniziert
zunächst anhand von Gestik, Mimik und einfachen Lauten, aus denen sich
allmählich eine konventionalisierte Sprache entwickelt. Durch Sprache und
den aufrechten Gang gegenüber anderen Lebewesen ausgezeichnet, ist diese
Gemeinschaft zugleich in der Lage, sich die Welt praktisch wie symbolisch
anzueignen, sie ihren Bedürfnissen gemäß einzurichten. Als Teil dieser
‘Einrichtung des Seins’ auf der Erde entstehen die ersten Behausungen und
Hütten, wobei die Menschen mit ihren Bauten anfangs die Natur nachahmen,
künstliche Höhlen anlegen oder die Konstruktion und Materialien von
Vogelnestern aufgreifen, um später – mit zunehmender praktischer Erfahrung,
aber auch dank einer besonderen Erfindungskraft – komplexere Gebäude zu
errichten. Über den kausalen Zusammenhang zwischen Feuer,
Gemeinschaftsbildung, Sprache und Architektur weist schon Vitruv das Bauen
als einen Kultur begründenden Akt aus.
Wenn sich die Kulturwissenschaften bisher mit der Architektur auseinander
gesetzt haben, dann geschah dies vor allem auf der symbolischen,
zeichenhaften Ebene. Der gebaute Raum wurde so primär als symbolischer
Ausdruck und Repräsentation einer Gesellschaft, Epoche oder bestimmten
religiösen sowie herrschaftspolitischen Idee gelesen. Mit der
Wiederentdeckung der materiellen Grundlagen von Kultur seit den 1960er
Jahren ist dann auch der gebaute Raum als eine materielle Setzung wieder in
den Blick gekommen, in deren Ordnung sich zugleich die Ordnung der
Gesellschaft manifestiert. In diesen verschiedenen Betrachtungsweisen von
Architektur spiegeln sich die auch in der Architekturtheorie vorhandenen
idealistischen bzw. materialistischen Ansätze, Architektur entweder von
einem kulturhistorisch sich wandelnden Form- und Raumgefühl her zu
interpretieren, in dem sich gleichsam ein epochaler Zeitgeist ausdrückt,
oder diese auf ihre technisch-gegenständlichen Produktionsbedingungen und
Funktionen zurückzuführen[15].
Mit der ‘performativen Wende’ in den Kulturwissenschaften in den 1980er
Jahren[16]
ist ein dritter möglicher Ansatz der Architektur- und Raumbetrachtung
hinzugetreten, nämlich den gebauten Raum von den Praktiken seiner
Produktion, seines Gebrauchs und seiner Rezeption her zu bestimmen[17].
Damit rücken die Handlungs-, Bewegungs- und Wahrnehmungsvollzüge von
leiblichen Subjekten, in und mit denen Raum entsteht, in den Fokus der
Betrachtung. Dieser Ansatz führt über die Phänomenologie auf die frühe
Raumdiskussion in der Kunst- und Architekturtheorie zurück, der ein solches
leibliches Subjekt zugrunde liegt.
2. Die Entdeckung des Raumes in der Architektur- und Kunsttheorie
Historisch betrachtet ist es die noch junge
Kunstwissenschaft, die den architektonischen Raum erstmals zu einem
Reflexionsgegenstand machen wird. Was augenfällig erscheint, dass
Architektur raumbildenden Charakters ist, musste in der Theorie zunächst
einmal eingeholt werden. So stellte die Frage nach dem Raum in der
Architekturtheorie bis weit in das 19. Jahrhundert hinein ein Desiderat dar:
„Auf den ersten Blick mag es trivial erscheinen, den Raum als zentrales
Moment des Architektonischen zu thematisieren, unterstellt das heutige
Alltagsverständnis fast schon eine selbstverständliche Implikation des
Räumlichen im Architektonischen. Die wissenschaftliche Literatur ist sich
allerdings weitgehend einig in dem Urteil, dass die Kunstgeschichte und die
Architekturtheorie des 19. Jahrhunderts die Kategorie des Raumes als
selbständige entweder gar nicht kennen oder zumindest nicht als
Leitkategorie einsetzen.“[18]
Eine ähnliche
Ausgangslage ist für die kunstgeschichtliche Theoriebildung zu verzeichnen.
Dort herrschte ein auf die Perspektivkunst
reduzierter Raumbegriff, und zwar Raum i. S. von Bild- oder Raumtiefe, der
sich erst allmählich, unter dem Eindruck der Stilgeschichte und einer sich
von der klassischen Nachahmungstheorie lösenden Kunstpraxis, zu einer
eigenständigen ästhetischen Form- und Stilkategorie entwickelte[19].
Innerhalb
der Kunstwissenschaft erfüllte der so erweiterte Raumbegriff zwei
epistemologische Funktionen. Einerseits erlaubte er eine rein formale
Bestimmung des Kunstwerkes, andererseits diente er dessen historischer
Klassifikation, etwa wenn ein in allen Gattungen zum Ausdruck kommender
‘Raumstil’ als Charakteristikum einer Epoche und ihres ‘Raumgefühls’
gewertet wurde. Der architektonische Raumbegriff ist von diesen form- und
stilanalytischen Ansätzen beeinflusst, wiewohl er in seiner
anthropologischen, auf den Leib bezogenen Grundlegung weit darüber
hinausgeht[20].
Jedenfalls
begannen einzelne Kunstwissenschaftler im letzten Viertel des 19.
Jahrhunderts, die Architektur nicht mehr nur auf Grundlage der
Vitruvianischen Prinzipien firmitas, utilitas und venustas
zu beurteilen, sondern deren eigentliches Wesen im Raum bzw. in der
Raumgestaltung zu ermitteln. Die Hinwendung zu einem Raum, der aus dem
Inneren, aus dem Kern der Architektur entsteht, bedeutete dabei zugleich
eine Abgrenzung von der Architektur als einer Fassadenkunst, wie sie für den
Historismus kennzeichnend gewesen ist. Allen Kunstwissenschaftlern voran ist
hier August Schmarsow zu benennen, der im Rahmen seiner ästhetischen
Untersuchung der Architektur von dieser als einer „Raumgestalterin“
spricht. Aus der Baukunst wurde damit zugleich eine „Raumkunst“[21].
Sowohl die Wahrnehmungspsychologie als auch die Einfühlungsästhetik des 19.
Jahrhunderts hatten diesen neuen Ansatz begünstigt[22].
Denn über
sie wurde es möglich, das wahrnehmende Leib-Subjekt als konstitutiven Faktor
der Kunst- und Architekturbetrachtung herauszustellen und so auch zu einem
anthropologischen Raumbegriff zu kommen.
2.1
Die Einfühlungsästhetik: Raumwahrnehmung als Leibempfindung
Die Einfühlungsästhetik[23]
ist in unmittelbarer Auseinandersetzung mit der ästhetischen Symboltheorie
entstanden, insbesondere derjenigen Friedrich Theodor Vischers[24].
Der eigentliche Begriff der Einfühlung wurde dabei von Robert Vischer[25],
dem Sohn von Friedrich Theodor Vischer, eingeführt und erhielt mit den
Schriften Theodor Lipps und Johannes Volkelts weitere Systematisierung.
Unter Einfühlung ist in freier Definition von Lipps zu verstehen, dass es
keine objektiv gegebene Wirklichkeit dem Betrachter gegenüber gibt, sondern
dass Wirklichkeit immer nur für den Betrachter bzw. das „auffassende
Subjekt“ da ist, das sich in seine Umgebung hineinversetzt[26].
Nicht den Dingen selbst kommen bestimmte Verhaltensweisen und emotionale
Qualitäten zu, es ist das Subjekt, das ihnen diese Eigenschaften zuschreibt,
indem es seine eigenen Körper-, Tätigkeits- und Stimmungsgefühle
unwillkürlich auf die Dinge überträgt.
Um es an einem Beispiel der Architektur zu sagen, haben wir es weniger mit
‘fließenden Räumen’ zu tun, dafür mit Räumen, die der real wie in der
Vorstellung vollzogenen Bewegung des Betrachters keine Grenze auferlegen.
Mit seinen eigenen Untersuchungen zu den „ästhetischen Faktoren der
Raumanschauung“[27]
wollte Lipps denn auch zeigen, inwieweit die Wahrnehmung von geometrischen
Gestalten über das Registrieren optischer Tatsachen hinaus von „Erfahrung“
geleitet ist, wobei Erfahrung hier genau die Körper-, Tätigkeits- und
Stimmungsgefühle meint, die im Prozess der Wahrnehmung am Gegenstand wirksam
werden. So nehmen wir an einem Gegenstand, eben auch an einem Baukörper,
tätige Kräfte des Emporstrebens und Sichaufrichtens, des Sichbiegens und
-anschmiegens, des Sichzusammenziehens und -ausdehnens wahr, deren Ursprung
in der eigenen Leiblichkeit zu suchen wäre. Johannes Volkelt hat diesen
Befund dahingehend erweitert, dass „die Raumgebilde nicht nur nach ihren
geometrischen Eigenschaften, sondern auch nach ihrem stofflichen Aussehen zu
körperlichem Miterleben auffordern“[28].
Während die Form eines Baukörpers vor allem Bewegungs- und Tätigkeitsgefühle
ansprechen soll, werden von dessen Materialität Tast- und Druckempfindungen
angeregt. Architektur- und Raumwahrnehmung basieren damit auf den
Empfindungen des Leibes, die im Wahrnehmungsvollzug mit- wie nacherlebt
werden. Dieses Mit- und Nacherleben leiblicher Empfindungen findet vor allem
in der Vorstellung statt, kann aber unmittelbar auch zu körperlichen
Reaktionen führen.
Wenn der an Kants Erkenntnistheorie orientierte Einfühlungsbegriff auch nahe
legt, dass Wirklichkeit lediglich eine Konstruktion des wahrnehmenden
Subjektes beschreibt, dann hat Theodor Lipps gleichwohl gesehen, dass den
Dingen eine eigene Realität zukommt, die sich jedweder Konstruktion
entzieht: „Jeder Gegenstand, auch derjenige, den ich ‘schaffe’, ist der,
der er ist und macht sein eigenes Recht mir gegenüber geltend. Er fordert
als der anerkannt zu werden, der er ist.“[29]
Wahrnehmung stellt sich demnach als eine Beziehung zwischen dem
wahrnehmenden Subjekt und dem wahrgenommenen Objekt dar[30],
wie dies auch von der Phänomenologie herausgestrichen worden ist. Mit Bezug
auf den Raum als Wahrnehmungsgegenstand kann Otto Friedrich Bollnow
entsprechend festhalten, dass dieser ein „Mittleres“ sei, weder nur
ein „bloß subjektiver Entwurf“ noch ein „subjekt-unabhängiger
´Behälter`.“[31]
Die Wahrnehmung eines Gebäudes spielt sich also zwischen dem ab, was die
Betrachter an Handlungen in dem Gebäude ausführen und mit welchen Stimmungen
sie dieses betreten, und dem Gebäude selbst, das in seiner Materialität die
Wahrnehmungs- und Handlungsvollzüge prädisponiert.
Mit der Einfühlungsästhetik sind zwei weitere Annahmen verbunden, die hier
kurz als die ‘Beseelungsthese’[32]
und die ‘Symbolisierungsthese’ bezeichnet werden sollen. Geteilte Auffassung
ist zum einen, dass mit der Übertragung der leiblichen Empfindungen das
Gegenüber, sei dies auch anorganischer Natur, gleichsam beseelt und somit
belebt werde[33].
Darüber verselbständigt sich der Wahrnehmungsgegenstand zu einem scheinbar
autonomen Wesen. Findet dies im Rahmen der Gefühlsübertragung tatsächlich
auch statt, so weiß doch das ästhetische Bewusstsein sehr wohl, dass es sich
hierbei nur um eine Übertragung handelt. Im Gegensatz zum mythischen
Bewusstsein archaischer Kulturen soll dem ästhetischen Bewusstsein des
modernen Kulturmenschen der ‘als ob’-Status des beseelten Gegenübers
gegenwärtig sein. Es ist sich im Klaren darüber, dass die Hausfassade mit
ihren Fenstern und Türen keineswegs von menschlicher Physiognomie ist,
sondern dieser lediglich ähnelt. Friedrich Theodor Vischer spricht in diesem
Zusammenhang von einer „in der Täuschung sich erhaltenden Freiheit von
der Täuschung“ und führt die entsprechende Bewusstseinsleistung als ein
„Vorbehalten“ ein: „Der Akt der Seelenleihung (...) bleibt als
naturnotwendiger Zug der Menschheit eigen, auch wenn sie längst dem Mythus
entwachsen ist; nur jetzt mit dem, was wir Vorbehalt nennen“[34].
Zum anderen ist die Einfühlungsästhetik immer auch eine Symboltheorie[35],
weil sie anhand der Gefühlsübertragung im Prozess der Wahrnehmung zugleich
erklärt, wie Bedeutung entsteht. Jeder Akt der Einfühlung ist ein Akt der
Symbolisierung, insofern mit den Gefühlen und Stimmungen ein geistiger
Gehalt auf eine – an sich neutrale – Form übertragen wird. Auf dem
Hintergrund der eigenen Leiblichkeit soll ein Gebäude wie bspw. ein Turm
oder Hochhaus nicht einfach als ein vertikaler Baukörper wahrgenommen
werden, sondern als ein sich aufrichtender Baukörper, der sich gleich dem
aufrecht stehenden Menschen aktiv der Schwerkraft widersetzt[36].
Damit vertritt der Turm eine tätige Kraft, die im weiteren, von
Assoziationen begleiteten Symbolisierungsprozess Attribute etwa des
Mächtigen und Siegreichen annimmt, während der Turm gleichzeitig zum Symbol
dieser Attribute gerät und dergestalt für die Repräsentation entsprechender
Herrschaftsansprüche eingesetzt werden kann.
Die sinnliche Wahrnehmung des gebauten Raumes stellt auf diese Weise eine „Quelle
spontaner Symbolik“ dar, wie Rudolf Arnheim es in seiner Theorie über
die „Dynamik der architektonischen Form“ nennen wird[37].
Nicht nur in der Architektur, auch in anderen Lebensbereichen bezeichnet der
Leib einen Ursprung von Bedeutung: „Die
stärksten Symbole gehen auf die elementarsten Wahrnehmungsempfindungen
zurück, denn sie betreffen die grundlegenden menschlichen Erfahrungen, auf
die sich alle anderen reduzieren lassen“[38].
Diese intersubjektiv und interkulturell geteilte „spontane Symbolik“
kann sich in verschiedenen historischen und kulturellen Kontexten zu jeweils
eigenen Bedeutungen verfestigen. Arnheim schließt mit seinen Überlegungen
zum Bedeutungsaspekt der Form- und Raumwahrnehmung unmittelbar an die
Einfühlungsästhetik des 19. Jahrhunderts an, die schon Heinrich Wölfflin
erlaubt hatte, die Ausdrucksqualitäten von Architektur psychologisch zu
erklären[39].
2.2
Die Architektur als plastischer Körper und raumbildende Kunst:
die leibbezogenen Ansätze von August Schmarsow und Heinrich Wölfflin
Neben Wölfflin
wurde auch August Schmarsow von der Einfühlungsästhetik und
Wahrnehmungspsychologie beeinflusst. Im Gegensatz zu Wölfflin, der die
Architektur vom Körper her dachte, bestimmte Schmarsow sie hingegen vom
Raum. Hinter dem einen Ansatz steht noch die klassische Auffassung vom
Gebäude als einem ‘plastischen Körper’, hinter dem anderen die der
Architektur als einer „raumbildenden Kunst“[40].
Wenn es sich hier um zwei zunächst verschiedene und auch konkurrierende
Ansätze handelt, die erst später zueinander in Beziehung gesetzt werden[41],
dann verbindet sie eine Grundlegung der Architektur im Leib. Beide setzen
eine Projektion des Leibes voraus, d. h. eine Übertragung des Leibes auf den
gebauten Raum und erklären damit gleichermaßen Produktion und Rezeption von
Architektur[42].
Während Wölfflin jedoch vom Leib als einem Körper ausging, dessen
Organisation, äußere Physiognomie sowie Empfindungen sich in der Architektur
spiegeln, ist Schmarsows Ansatzpunkt der aufrecht stehende Leib gewesen, der
aufgrund seiner Axialität immer schon einen Raum ausbildet; einen Raum, von
dem jede Idee und Gestaltung des architektonischen Raumes ihren Ausgang
nimmt.
Wölfflin adressierte entsprechend den Leib als geschlossenes Ganzes, als
eine „Massen-form“, auf der die Schwerkraft lastet, die sich in
einzelne Glieder unterteilt, symmetrisch angelegt ist und eine Vorder- und
Hinterseite hat. Dieser Leib erscheint als Bedingung für die „seelische
Wirkung“ von Architektur, die im empathischen Miterleben des
architektonischen Gegenübers begründet ist: „Körperliche Formen können
charakteristisch sein nur dadurch, dass wir selbst einen Körper besitzen.
(...) Als Menschen (...) mit einem Leibe, der uns kennen lehrt, was Schwere,
Kontraktion, Kraft usw. ist, sammeln wir an uns die Erfahrungen, die uns
erst die Zustände fremder Gestalten mitzuempfinden befähigen.“[43]
Wirkung und Ausdruck von Architektur werden hier explizit mit der
unbewussten Projektion von Körper-, Tätigkeits- und Stimmungsgefühlen des
Leibes auf den Baukörper erklärt. Eine These, die unter Einbeziehung der
Einfühlungsästhetik vor allem dahin zu korrigieren ist, dass das
Leib-Subjekt nicht nur ein einfühlendes und damit ein sich die Welt aktiv
aneignendes Subjekt ist, sondern auch ein reagierendes, das von
eigenständigen „räumlichen Umgebungsqualitäten“ ergriffen wird[44].
Dies zeigt sich schon bei den von Wölfflin selbst herausgestellten „körperlichen
Affektionen, die bei der Betrachtung von architektonischen Werken empfangen
werden.“[45]
Wölfflin führte sie vor allem auf die Korrespondenz bzw. Dissonanz zurück,
die zwischen dem empfindenden und tätigen Leib und dem Baukörper besteht.
Asymmetrie mache sich bspw. als „körperlicher Schmerz“ geltend („als
ob ein Glied fehlte“), weite räumliche Verhältnisse weiten gleichsam die
Brust, indem sie im Betrachter „energische Innervationen bewirken“[46].
Eine solche anthropomorphe, den Baukörper gleichzeitig belebende Auffassung
ist keine originäre Idee, weder von Wölfflin noch von der
Einfühlungsästhetik. Sie findet sich bereits bei Vitruv[47],
wenn sie im 19. Jahrhundert auch nicht mehr auf eine
Mikro-Makrokosmos-Korrelation bezogen ist, hingegen als psychologischer
Übertragungsmechanismus nachvollziehbar wird[48].
Insgesamt stellte Wölfflin die Architektur als eine „Kunst körperlicher
Massen“ dar, die im Leib ihre Begründung und Konstante findet. Wie
Wölfflins Ausführungen nahe legen, besteht zwischen dieser Leib-Konstante
und einem kulturhistorisch sich wandelnden „Formgefühl“ ein
besonderes Spannungsverhältnis.
Ähnlich verhält es sich bei Schmarsow, der die Bau- und Kulturgeschichte
allerdings nicht als Geschichte des Formgefühls interpretierte, sondern als
eine des „Raumgefühls“[49].
In diesem Zusammenhang auch taucht der Raum als eine stilgeschichtliche
Kategorie auf, anhand derer sich eine historische Klassifikation der
Architektur vornehmen lässt. Schmarsow ging dabei nicht mehr vom Leib als
einer gegliederten, bestimmten Kräften ausgesetzten Massenform aus. Im
Gegenteil virtualisierte Schmarsow das Leib-Subjekt[50],
indem er es als Nullpunkt oder „Meridian“ des dreidimensionalen
Raumes einführte, den der aufrecht stehende Mensch mit seinen Körperachsen
immer schon ausbildet[51].
Das Oben und Unten, das Links und Rechts, das Hinten und Vorne des Leibes
sind, zusammen mit Motorik und Taktilität, die Bedingungen räumlicher
Erfahrung und zugleich „Kern“ jeden „Raumgedankens“, der dort
konkret bleibt, wo er sich in Architektur materialisiert, indessen abstrakt
wird, wo er im Rahmen von Geometrie und Mathematik seine Formalisierung
erfährt[52].
„Das Raumgebilde ist“, schreibt Schmarsow, „eine Ausstralung
gleichsam des gegenwärtigen Menschen, eine Projektion aus dem Innern des
Subjekts, gleichviel ob es leibhaftig darinnen ist oder sich geistig
hineinversetzt (...).“[53]
Architektur kann so als Projektion der räumlichen Ausrichtung des Menschen
verstanden werden, wobei sie den Raum, den der Leib um sich aufspannt,
zugleich gliedert, begrenzt und umschließt. In genau diesem Sinne ist
Architektur eine „Raumgestalterin“. Was für die Architektur gilt,
bezieht sich auch auf räumliche Anordnungen der Natur sowie ephemere Gesten
und symbolische Zeichen. Bei ihnen handelt es sich ebenfalls um den Raum
definierende und gestaltende Medien. Relevant an Schmarsows Ansatz ist
ferner, dass er unter den drei Körperachsen der Tiefenachse besondere
Bedeutung beimaß. Denn diese durch das vorwärts gehende und sehende Subjekt[54]
exponierte Achse schließt die tatsächlich oder im imaginären Vollzug
ausgeführte Bewegung als raumkonstituierenden Faktor mit ein. Bewegung und
kinästhetisches Bewegungsgefühl bestimmen das Rezeptionsverhalten im
gebauten Raum, so dass Raum selbst von der möglichen Bewegung her bestimmbar
wird, die er einrichtet[55].
Auf der Axialität des Leibes und seiner entsprechenden Räumlichkeit basieren
bei Schmarsow folgerichtig auch die von der Architektur ausgelösten
körperlichen Affektionen. Kleine oder verwinkelte Räume, die sich der im
Leib angelegten Tiefenachse verweigern, schmale Gänge, die die
Horizontalachse beschneiden, engen den potentiellen Bewegungsradius ein. Sie
werden als „Strafe“ empfunden, wie Schmarsow es formuliert, und
lassen den Betrachter buchstäblich „die Wände hochgehen“[56].
Erst dann kann ein bergender Wohnraum aus solchen Architekturen werden, wenn
sie dem Leib die Möglichkeit zur freien Bewegung einräumen, ihm „Spielraum“
für sein Tun gewähren, und so der Einschreibung des Leibes in den Raum weder
eine materielle noch eine symbolische Grenze auferlegen[57].
So weit zu den leibbezogenen Ansätzen von Wölfflin und Schmarsow, die sich
für die Architekturtheorie und insbesondere den architektonischen
Raumbegriff als grundlegend erweisen sollten. Nur kurze Zeit später, in den
1910er und 1920er Jahren, erfuhren beide Ansätze ihre Synthese, so dass der
Begriff der ‘Raumkunst’ sowohl das plastische wie auch das raumbildende
Moment der Architektur in sich vereinigte[58].
Dagobert Frey kann entsprechend resümieren: „Beide Auffassungen (die von
der Architektur als Formung einer materiellen Masse und als Formung des
Hohlraumes, Anm. K.W.) scheinen sich als etwas Kontradiktorisches
auszuschließen; und doch ist nicht zu leugnen, dass in beiden etwas für die
Architektur Charakteristisches und Wesentliches zum Ausdruck gelangt“[59].
Architektur erscheint hier als Körperform und räumliches Gebilde, das durch
die Körperformen modelliert wird. Die Funktionen form- und
stilgeschichtlicher Analyse und Einteilung, die der Raumbegriff in der
Kunstwissenschaft erfüllte, setzten sich dabei auch in der
Architekturtheorie immer weiter durch. Hingegen trat die auf den Leib
bezogene Dimension des Raumes zunehmend in den Hintergrund. Der Raumbegriff
verblieb ein Instrument der Klassifikation nicht nur der Formen, Stile und
Epochen, sondern auch der Künste[60].
3. Anschlüsse und Defizite der frühen Raumdiskussion in der
Architektur- und Kunsttheorie
Ausgehend vom Leib gelangten Heinrich Wölfflin und August Schmarsow Ende des
19. Jahrhunderts zu einem vollkommen neuen Verständnis der Architektur, das
deren psychologische Wirkung und Ausdruck mit einbezog. Während bei Wölfflin
die Architektur allerdings noch als plastischer Körper im Vordergrund stand,
war es Schmarsow, der mit seiner Definition der Architektur als einer „Raumgestalterin“
den Raum selbst zum eigentlichen Gegenstand der Architektur machte. Die
Einführung des Leibes und seiner Empfindungen in die Architektur- und
Raumbetrachtung weist auf die Phänomenologie voraus, in deren Rahmen das
Konzept eines vom Leib her gedachten anthropologischen Raumes systematisch
entwickelt worden ist. Dass Wölfflin und Schmarsow den körperlichen und
axialen Leib als Begründungszusammenhang von Architektur heranziehen
konnten, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Einfühlungsästhetik,
für die die Übertragung der leiblichen Empfindungen im Wahrnehmungsprozess
zu einer basalen Annahme gehörte. Grundsätzlich hatte die
Einfühlungsästhetik eine Subjektivierung und Psychologisierung der Ästhetik
zur Folge.
Mit dem entsprechenden Schwerpunkt auf einer ästhetisch-psychologischen
Erklärung des gebauten Raumes blieben andere Faktoren, die zur
Theoretisierung des Raumes im ausgehenden 19. Jahrhundert nicht weniger
beigetragen haben dürften, ausgespart. In der Tat avancierte der
architektonische Raum in genau jenem historischen Moment zu einem
Reflexionsgegenstand, als er einem radikalen Wandel ausgesetzt war. Dieser
Wandel ist zum einen mit der veränderten Baupraxis, dem Einsatz von Stahl,
Glas und Beton, in Verbindung zu bringen. Zum anderen ist die allgemeine
Beschleunigung der Gesellschaft in Betracht zu ziehen. Ausgelöst durch neue
Transport-, Kommunikations- und Produktionsmittel führte sie zu einer
ähnlichen Transformation der Raum-Zeit-Wahrnehmung, wie sie heute zu
beobachten ist. Schließlich ist noch auf das Raumkonzept der
Naturwissenschaften zu verweisen, das in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts ebenfalls neu definiert wurde. Trat doch spätestens mit der
Relativitätstheorie an die Stelle eines substantialistischen ein
dynamisch-relationaler Raumbegriff. Einer rein ästhetisch-psychologischen
Architektur- und Raumbetrachtung, die sich bewusst von den materiellen,
funktionalen und sozialen Aspekten des architektonischen Raumes abgegrenzt
hatte[61],
mussten diese Zusammenhänge notwendig zu einem blinden Fleck werden.
Wenn die Ansätze von Schmarsow und Wölfflin heute wieder attraktiv
erscheinen, gerade weil sie erlauben, die Produktion und Rezeption des
gebauten Raumes vom Leib her zu bestimmen, dann sind die genannten anderen
Aspekte ebenso zwingend einzubeziehen. Zumal es auch die gesellschaftlichen
Funktionen sind, die ein Gebäude erfüllt, und die sozialen Handlungen, die
in ihm ausgeführt werden, welche die Architektur- und Raumwahrnehmung
organisieren. Dies gilt ebenfalls für die Materialität des gebauten Raumes.
Hier wusste schon der Einfühlungstheoretiker Johannes Volkelt, was die
zeitgenössische Architektur zunehmend wieder erkennt[62],
nämlich dass die Wirkung des gebauten Raumes wesentlich auf die materiellen
Qualitäten von Gebäuden zurückzuführen ist und das, was sie an Druck- und
Tastempfindungen im Prozess der Wahrnehmung aktuell werden lassen[63].
Ein so erweiterter Zugang zum architektonischen Raum kann sich auch für die
Kulturwissenschaften als gewinnbringend erweisen. Zumindest wird damit ein
Instrumentarium für die Analyse nicht nur des architektonischen, sondern
generell des kulturell gestalteten Raumes angeboten, das bei den Handlungs-,
Bewegungs- und Wahrnehmungsvollzügen leiblicher Subjekte ansetzt. Zugleich
erlaubt dieser Zugang eine Vermittlung zwischen den klassischen
symbolisch-zeichenhaften Ansätzen der Architektur- und Raumbetrachtung und
den jüngeren phänomenologischen und performativen Vorgehensweisen. Denn im
Anschluss an die einfühlungsästhetische Symboltheorie ist noch die Bedeutung
des Raumes etwas, das unmittelbar aus den Handlungs-, Bewegungs- und
Wahrnehmungsvollzügen leiblicher Subjekte entspringt.
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Anmerkungen:
[1]
Die aktuelle Raumdiskussion wurde in den 1970er Jahren gleichermaßen von
Henri Lefebvre vorweggenommen, dessen „La production de l`espace",
Paris 1974, heute eine entsprechende Konjunktur erfährt, etwa in den
Schriften von Edward W. Soja.
[2]
Foucault 1990, S. 34.
[4]
Foucault 1990, S. 38.
[5]
Mit dieser Definition des Raumes ruft Foucault jenes zweite
kulturgeschichtlich wirksame Raumkonzept auf, demzufolge Raum weder ein
Behälterraum noch transzendentale Bedingung von Erfahrung ist, sondern
ein relatives Beziehungsgefüge von Elementen oder eine „Ordnung der
Existenzen im Beisammen“, wie es in einer Formulierung von Gottfried
Wilhelm Leibniz heißt. Vgl. hierzu die Streitschriften zwischen Leibniz
und Samuel Clarke in: Cassirer, Ernst (Hg.): Gottfried Wilhelm
Leibniz. Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie. Hamburg
1904.
[6]
Exempl. Cassirer 1930.
[7]
Merleau-Ponty 1945; Bollnow 1963.
[8]
Der sich hier explizit auf die „Poetik des Raumes“ von Gaston
Bachelard bezieht.
[9]
Wenn Foucault zufolge zwar eine „theoretische Entsakralisierung des
Raumes“ stattgefunden hat, dann hat sich „eine praktische
Entsakralisierung“ indessen noch nicht durchsetzen können, wie das
die Unterscheidungen zwischen privaten und öffentlichen, familiären und
gesellschaftlichen Räumen sowie solchen der Freizeit und Arbeit zeigen.
Zu einem ähnlichen Fazit kommt bereits Eliade 19873.
[11]
Zur jüngeren Rezeption dieser Ansätze vgl. van de Ven 1977; Kellmann
1992; Köhler 1998; Schwarz 2000.
[15]
Die Architekturästhetik Wölfflins und Schmarsows vertritt dabei die
idealistische Seite. Der ästhetischen Betrachtung der Architektur gemäß,
klammern beide deren Funktion, Zweck, Produktionsbedingungen sowie
Materialität weitgehend aus. Während Wölfflin den Formenwandel in der
Architektur auf ein kulturhistorisch sich veränderndes „Formgefühl“
zurückführte, erklärte Schmarsow die Baugeschichte mit einer
Transformation des „Raumgefühls“. Die Architekturtheorie der
1920er Jahre unternahm dabei nicht nur eine Synthese der Ansätze von
Wölfflin und Schmarsow, sondern strebte auch danach, den idealistischen
mit dem materialistischen und funktionalen Ansatz zu vereinbaren. Vgl.
hierzu insbesondere Adler 1926, S. 15 ff.
[16]
Zur performativen Wende in den Kulturwissenschaften vgl. Fischer-Lichte
/ Wulf 2001; Wirth 2002.
[17]
Zu dem subversiven Potenzial dieser Praktiken in Bezug auf den Raum vgl.
de Certeau 1980.
[18]
Schwarz 2000, S. 82.
[19]
Vgl.
hierzu Jantzen 1938.
[20]
So
explizit bei Schmarsow 1893.
[21]
Vgl. hierzu Kellmann 1992, S. 78-85.
[22]
Den Einfluss der Einfühlungsästhetik auf das Konzept des
architektonischen Raumes hat schon van de Ven 1977 herausgestellt.
[23]
Einen Überblick über die Einfühlungsästhetik geben Perpeet 1966; Allesch
1987; Mallgrave / Ikonomou 1994.
[26]
„Zweifellos ist Einfühlung ganz allgemein gesagt dies, daß etwas von
mir oder ein in Wahrheit mir und nur mir zugehöriges Element, also etwas
Subjektives, für mich in dem vom Subjekt aufgefaßten oder ihm geistig
gegenüberstehenden Gegenstand liegt, nicht in dem Gegenstand also, so
wie er an sich ist, oder in dem reinen Gegenstand, sondern in dem
Gegenstand für mich oder dem Gegenstand, wie er für das auffassende
Subjekt da ist oder ihm ´erscheint`“. Lipps 1913, S. 112.
[28]
Volkelt 1899, S. 170.
[30]
Auch Allesch 1987 weist darauf hin, dass Wahrnehmung für Lipps eher
einen kommunikativen als einen vom Subjekt ausgehenden, einseitig
gerichteten Prozess beschreibt. Allesch nennt dies den „Doppelcharakter
des ästhetischen Erlebnisvorgangs“. Zum ‘Doppelcharakter’ der
Wahrnehmung vgl. auch die Ergebnisse der Arbeitsgemeinschaft Wahrnehmung
des Sonderforschungsbereiches 447 „Kulturen des Performativen“, Gronau
u. a. 2004.
[31]
Bollnow 1963, S. 274.
[32]
Volkelt 1899 verwendet explizit den Begriff der Beseelung, und zwar als
Synonym für Einfühlung.
[33]
In der ‘Beseelungsthese’ spiegelt sich die mythische Provenienz des
Hegel-Vischerschen Symbolbegriffs, auf dessen Hintergrund die
Einfühlungsästhetik entsteht. Bezeichnet doch der Symbolbegriff bei
Hegel und auch noch bei Friedrich Theodor Vischer die den mythischen
Kulturen eigene Übertragung eines seelischen Gehaltes auf die Umwelt und
ihre Gegenstände, wobei das mythische Bewusstsein zwischen Gegenstand
und Gehalt nicht unterscheidet. Eine Differenzierung zwischen Gegenstand
und Gehalt setzt laut Vischer erst mit einem Distanz schaffenden
ästhetischen Bewusstsein ein, für das die symbolische Projektion von
seelischen Gehalten nicht weniger konstitutiv ist, das aber die eigene
Projektionsleistung reflektieren kann und sich deren ‘als ob’-Status
bewusst ist.
[34]
Vischer 19222, S. 434 ff.
[35]
Was insofern nahe liegt, als die Einfühlungsästhetik unmittelbar aus
symboltheoretischen Ansätzen hervorgeht.
[36]
Klassisches Beispiel in den einfühlungstheoretischen Schriften zur
Architektur- und Raumwahrnehmung ist dabei die Säule.
[39]
Im Gegensatz zu dieser geht Arnheim jedoch weniger von einer Projektion
der Körper-, Tätigkeits- und Stimmungsgefühle auf den gebauten Raum aus.
Vielmehr erklärt er das Entstehen von Bedeutung im Prozess der Form- und
Raumwahrnehmung mit den Objekten zukommenden formalen Gestaltqualitäten,
die in visuellen Akten spontan erfasst werden und als „Anschauungsbilder
der Oberflächenformen“ neuro-physiologische Reaktionen auslösen.
[40]
Exemplarisch bei Karow 1920, S. 7 f.
[41]
So über die zahlreichen architekturtheoretischen Schriften der 1910er
und 1920er Jahre dokumentiert.
[42]
Bei Wölfflin dominiert hierbei der einfühlende Rezeptionsakt, während
Schmarsow auch den Produktionsakt einbezieht.
[44]
Die spätere Kritik an der ‘starken
Projektionsthese’ wird an eben diesem Punkt ansetzen und damit zugleich
der – indes schon von Theodor Lipps anerkannten – Objektseite wieder
eine eigene Wirklichkeit zugestehen, die allerdings mit der Wirklichkeit
des Subjektes in einer unauflösbaren Beziehung steht. Vgl. hierzu Böhme
1995.
[47]
Proportion (ordinatio) und Symmetrie als ästhetische
Grundbegriffe der Baukunst sind bei Vitruv von den Maßverhältnissen des
menschlichen Körpers abgeleitet. Die drei Säulenordnungen bilden darüber
hinaus den männlichen Körper (dorisch), den weiblichen Körper (ionisch)
und den einer Jungfrau (korinthisch) ab. Vitruv 1964.
[48]
Wie dies auch Neumeyer 2002 in seiner Einleitung zu den Quellentexten
der Architekturtheorie hervorhebt.
[49]
„Es ist der Geist, der sich den Körper baut, sagt man wol. Die
Geschichte der Baukunst ist eine Geschichte des Raumgefühls, und damit
bewußt oder unbewußt ein grundlegender Bestandteil in der Geschichte der
Weltanschauungen.“ Schmarsow 1893.
[50]
Schmarsow spricht zwar noch von einem gefühlten i. S. eines
selbstreflexiv erfahrenen Zentrums, doch kündigt sich die
Virtualisierung mit aller Deutlichkeit dort an, wo auch bei Abwesenheit
des Leib-Subjektes in einem Gebäude das Koordinatensystem leiblicher
Richtungsachsen vergegenständlicht ist.
[51]
Ähnlich später bei Waldenfels: „Das leibliche Hier bildet einen
Nullpunkt, einen bevorzugten Ort, der nicht einfach im Raum vorkommt,
weil die Raumordnung in ihm entspringt und weil alle
raumkonstituierenden Bewegungen von ihm ausgehen. Von diesem Hier aus
entfalten sich verschiedene Aspekte einer Raum-Leiblichkeit, die auch
für die Raumkunst der Architektur unabdingbar ist“. Waldenfels 2000,
S. 149. Vgl. hierzu auch Bollnow 1963, S. 44 ff.
[52]
Entsprechend besteht für Schmarsow eine schwesterliche Verwandtschaft
zwischen der Mathematik als „Raumwissenschaft“ und der
Architektur als „Raumgestalterin“. Beide wurzeln in der
spezifischen Räumlichkeit und Raumbezogenheit des Leibes.
[54]
„Nächst dem Höhenlot, dessen lebendiger Träger mit seiner leiblichen
Orientierung nach oben und unten, vorn und hinten, links und rechts
bestimmend weiter wirkt, ist die wichtigste Ausdehnung für das
eigentliche Raumgebilde vielmehr die Richtung unserer freien Bewegung,
also nach vorwärts, und zugleich unseres Blickes, durch Ort und Stellung
unserer Augen bestimmt, also die Tiefenausdehnung. Ihre Länge bedeutet
für das anschauende Subjekt das Maß seiner freien Bewegung im gegebenen
Raume so notwendig, wie es gewohnt ist, vorwärts zu gehen und zu sehen.“
Ebd.
[55]
So bestimmt auch Karlfried Graf von Dürckheim den Raum als ein „Ganzes
für mögliche Bewegung“ und erläutert dies wie folgt: „Herumschauend
vollzieht es (das erlebende Subjekt, Anm. K.W.) den Raum, ihn dabei
empfangend und aufbauend zugleich, nicht nur mit dem ‘Auge’, d.h. als
eine bestimmt gegliederte Bildgestalt, sondern es durchwandert,
durchfliegt ihn, geht in ihm herum, umkreist und umtastet seine
Mannigfaltigkeit, kurz nimmt ihn auf und herein, vollzieht ihn schon im
Hinnehmen als ‘Bewegungsraum’, als Gegenform einer sich innerlich
tatsächlich ereignenden eigenartigen Bewegung.“ Dürckheim 1932, S.
420 f.
[57]
Von „Spielraum“ sprechen auch Dürckheim 1932 und Bollnow 1963.
[58]
U.a. bei Karow 1921.
[60]
In der Architekturtheorie lebt im Zusammenhang mit dem Raumbegriff so
auch Lessings Unterscheidung der Künste in ‘Raum-’ und ‘Zeitkünste’ auf.
Vgl. exempl. Adler 1926.
[61]
Eine solche Abgrenzung nimmt neben Wölfflin 1886 auch Schmarsow 1893
vor.
[62]
Vgl. hierzu Holl / Pallasmaa / Pérez-Gómez 1994; Pallasmaa 1996.
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