Gebaute Räume |
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9.
Jg., Heft 1 November 2004 |
___Karsten
Feucht Berlin |
„Gespräche bauen“ – Innovatives Tourismuskonzept gestaltet Landschaft |
Ausgangspunkt Der gebaute Raum schlägt uns ein Schnippchen. Die bloße Betrachtung des Hauses, der Stadt, der Landschaft, verbirgt deren Bedeutung und Benutzung. Diese ist kulturell geformt. Wenn wir uns einem Ding nähern, bringen wir unsere ganze Prägung, unzählige Nutzungserfahrungen und das implizite Bedeutungswissen ganzer Generationen mit. In jeder Wahrnehmung unserer Umwelt ist unsere Kultur immer bereits enthalten. Jede Beschreibung, jedes Wissen, jedes Reden von gebauten Räumen spiegelt immer bereits unsere Kultur wider. Jenseits unserer Gewöhnung, jenseits unserer kulturellen Prägung können wir über den gebauten Raum kaum etwas aussagen. Frage Wollen wir den „gebauten Raum“ untersuchen, so ist es also hilfreich, ihn über seine reine Objekthaftigkeit hinaus als Konstruktion eines kulturellen Bedeutungs- und Nutzungszusammenhangs zu verstehen. Damit wird die Betrachtung von Architektur oder Landschaftsgestaltung schlagartig ungleich komplexer. Der „gebaute Raum“ präsentiert sich nicht mehr nur als Objekt, das wie im herkömmlichen Verständnis von Architektur als geformte Materie uns als Betrachter gegenüber steht, sondern als ein Ergebnis kultureller Konstruktion, die uns selbst als Betrachter immer bereits mit einschließt. Welchen Zugang haben wir nun zu diesem Raum, den wir nicht mehr nur als Ergebnis des Bauens mit materiellen Baustoffen sondern ebenso als Konstruktion immaterieller, kultureller Faktoren begreifen? Wie können wir diese kulturelle Konstruktion von Raum wahrnehmen, ist sie doch, wie es Saint-Exupery[1] über das Wesentliche sagt, für die Augen unsichtbar? Handlung Heinz von Foerster[2] lehrt uns, wie wir das Wahrnehmen wahrnehmen können. Er beruft sich auf Jean Piaget, der bei seinen Untersuchungen über die Entwicklung des Kindes von seiner sensomotorischen Kompetenz auf die Konstruktion seiner Wirklichkeit schließt. Er weist nach, dass es beim Spiel des Kindes die Bewegung ist, durch die es die Welt wahrnimmt. Dieser Zusammenhang lebt in unserer Sprache alltäglich fort, wenn wir von be-greifen, ver-stehen, wahr-nehmen sprechen. Was wir wahrnehmen, ist stets die Veränderung der Wahrnehmung. Mit einem kleinen Experiment lässt sich das nachvollziehen: Berühren Sie den Tisch mit dem Finger, ohne ihn zu bewegen. Sie werden überrascht sein, wie wenig Sie über seine Oberflächenbeschaffenheit oder seine Materialität aussagen können. Erst durch die Bewegung, durch die Veränderung der Wahrnehmung erschließen sich uns Form und Material des Tisches. Oder – wie es Humberto Maturana[3] sagt: Wir sehen mit unseren Beinen. Die Untersuchung des Prozesses des Wahrnehmens führt also zu der Erkenntnis, dass das Handeln ein wesentlicher Aspekt der Konstruktion von Raum ist. Nun kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: Kommunikation Wir sind nicht allein, wir teilen den Raum mit vielen anderen. Wie wir in einem hermeneutischen Kreisschluss mittels unserer Kommunikationen beständig unsere gemeinsame Realität konstruieren, bringt Heinz von Förster[4] folgendermaßen auf den Punkt: „Weder ich noch ein anderer kann den Mittelpunkt des Universums bilden. Es muss (...) etwas Drittes geben, das den zentralen Bezugspunkt bildet. Dies ist die Relation zwischen dem Du und Ich (...) Realität = Gemeinschaft“[5]. Das heißt, dass wir den Raum, in dem wir leben, in der Kommunikation untereinander herstellen. Und diese Kommunikation bezieht uns als Betrachter immer bereits mit ein. Maturana erklärt dieses Phänomen so: „...Du siehst dich in dem anderen Lebewesen. Wenn du einen Wurm studierst und siehst wie er sich bewegt, wirst du deine eigenen Bewegungen in denen des Wurms erkennen. Allgemeiner gesprochen ist also das theoretische Verständnis mit dem Verstehen der Praxis verbunden, mit der unmittelbaren Erfahrung, weil die einen selbst immer einschließt. (...) Man kann sich nicht selbst sehen. Aber du begegnest dir immer in der Beziehung.“[6]. Erst in der Kommunikation begreifen wir unsere Umwelt. Erst durch Sprache machen wir uns einen Begriff des uns umgebenden Raumes. Indem wir uns einen Begriff von ihm machen, konstituieren wir den Raum. These Nehmen wir also an, dass es hilfreich ist, Architektur und Landschaftsgestaltung als mehr zu verstehen als geformte Materie. Akzeptieren wir neben Form und Material auch Handlung und Kommunikation als die Baustoffe der Räume, in denen wir tatsächlich leben. Dann können wir die Frage stellen, ob sich der Spieß umdrehen lässt. Untersuchen wir, wie es gelingt, mit den nun als Baustoffe erkannten Elementen „Objekt“ zuzüglich „Handlung“ und „Kommunikation“ Räume zu bauen. Dazu liefern die sinnlichen Tagebauerkundungen im Rahmen der Internationalen Bauausstellung ein Praxisbeispiel. Internationale Bauausstellung (IBA) Fürst-Pückler-Land Während der Laufzeit der IBA Fürst-Pückler-Land von 2000 bis 2010 wird die ehemalige Braunkohle-Tagebauregion Niederlausitz fast komplett neu gestaltet. Dabei sollen sich in dem aus Tagebaugruben entstehenden zukünftigen Seen-Land eben die Tausenden von Touristen tummeln, die die letzten hundert Jahre vor dieser Industrieregion eher geflüchtet sind. Die IBA will mit ihren Projekten und Aktionen den wirtschaftlichen mit einem gestalterischen Wandlungsprozess in Beziehung setzen und damit eine ganze Region auf ihrer Reise in eine neue Zukunft begleiten. Dabei geht es darum, durch beispielgebende Pilotprojekte und zur Mitwirkung animierende Aktionen Bewusstseinsprozesse bei den Menschen anzuregen. Für diese Kehrtwende des Images initiiert und moderiert die IBA verschiedene Projekte und entwickelt konkrete touristische Produkte, die die gewohnte Wahrnehmung des Raumes transformieren. In der Lausitz sind die gewachsenen Wechselbeziehungen zwischen den Menschen und ihrer räumlichen Umwelt nachhaltig gestört. Der angestammte Raumbegriff, das gewohnte Umgehen mit Raum ist grundlegenden Transformationsprozessen unterworfen. In solchen Situationen wird offensichtlich, dass Raum vom Handeln und Kommunizieren der Menschen her zu verstehen ist. Hier ist Architektur als raumbildende Disziplin in besonderem Maße gefordert. Dabei befindet sich der Architekt und Planer immer bereits mitten unter den Handelnden. Architektur in diesem Sinne ist Raumhandeln. Sinnliche Tagebauerkundungen Durch die „sinnlichen Tagebauerkundungen“, die wir seit 2001 im Rahmen der IBA in der Lausitz durchführen, wurden Tagebaugruben, die für die Einheimischen – in der Mehrzahl ehemalige Bergleute – nur durchnummerierte "Restlöcher" sind, erstmals zugänglich gemacht. Durch die Art der Besucherführung sowie Performances und Installationen eröffnen wir eine neue Wahrnehmung der bisher als Schandflecken betrachteten gesperrten Bereiche. Die verwendeten Elemente dieses „gebauten Raumes“ sind Objekt, Handlung und Kommunikation. Objekt | ||
Abbildung 1 Imbiss |
Der Tagebau liegt wie eine fremdartige Welt, eine
kleine Wüste in der grünen Landschaft der Niederlausitz. Der Rand ist
gekennzeichnet durch Objekte wie Verbotsschilder und Warnhinweise. Diese
grenzen eindeutig einen bestimmten Raum mit spezifischem Charakter
ab. Die mit den Besuchern am Rand der weit ausgedehnten Sandflächen
durchzuführende bergrechtliche Belehrung mit Hinweisen auf die besonderen
Gefahren dieser geschütteten Landschaft verstärkt die Verortung dieses
Raumes. Unterwegs kommen weitere konstrastierende Objekte zum Einsatz – sozusagen die Hardware der Tagebauerkundung. Die Installationen und „Grubenmöbel“ wie die „bar.ilse, der „frei.sitz“ der Gruppe „Sandbaden“[7] bilden einen paradoxen Kontrapunkt zur Umgebung, machen Spaß und regen die Sinne und Gespräche an. Der Transport einer weiß eingedeckten Imbisstafel direkt vor dem Kohleflöz zaubert „Bewirtung“ an den unwirtlichsten Punkt der Landschaft und eröffnet so eine ganze Bandbreite neuer Interpretationen für den Ort. (Abbildung 1) | |
Räume bauen durch Handlung | ||
Abbildung 2 Fotowettbewerb |
Die sinnliche Tagebauerkundung ist eine dreieinhalbstündige, knapp 9
Kilometer lange Wanderung durch den ehemaligen Tagebau Meuro und erschließt
eine unerwartete Vielfalt der Tagebaulandschaft. Das geschieht durch
die Stationen
das „Gehen in der Wüste“
(Abbildung 2) | |
Abbildung 3 "Möbiusschleife" |
Auf den Touren wechseln Phasen der sinnlichen Wahrnehmung und des eigenen
Einlassens auf den Raum ab mit Kommunizieren und Reflektieren. Die
Kommunikation unter den Teilnehmern wird gezielt und unaufdringlich durch
Fragestellungen, die in den jeweiligen Abschnitten thematisiert werden, und
durch aktives Zuhören angeregt. Der Gast ist einerseits Beobachter der
Landschaft – gestaltet aber gleichzeitig durch seine Beteiligung und seine
Äußerungen aktiv die Veranstaltung mit. In der Mitteilung der Eindrücke
fangen die Erkundenden an, das, was sie sehen, zu begreifen. Im Sprechen
macht man sich einen Begriff. Die eigene Interpretation kommt durch das
Zuhören der anderen zu ihrem Recht. Der Mitteilende hat sich an der
Konstruktion der Wirklichkeit des Ortes beteiligt.
Alle diese Wirklichkeitsebenen sollen im Sinne von Verständigung und Partizipation zu ihrem Recht kommen. Durch die sinnliche Tagebauerkundung wird also aus dem technisch zu bewältigenden „Sanierungsfall Tagebaurestloch“ ein Raum für:
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