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I. Zentrale öffentliche
Räume in der DDR
Die
Identität einer Stadt – die spezifischen Eigenschaften, die auch das
Zugehörigkeitsgefühl ihrer Bewohner prägen – wird wesentlich durch die
zentralen öffentlichen Räume definiert. Unabhängig vom gesellschaftlichen
System erscheint dies als ein Kontinuum, das sich in 40 Jahren DDR und
auch in der Zeit nach der Wende von 1989 nicht verändert hat. Doch obwohl
sich die Bewohner nach wie vor mit den und durch die zentralen Orte einer
Stadt identifizieren, haben diese Orte nach der politischen Wende weit
reichende Veränderungen erfahren. Im folgenden Beitrag geht es darum, die
Umgestaltungen der zentralen städtischen Räume der DDR nach der Wende und
den damit verbundenen Wandel in ihrer Bedeutung und Wertschätzung zu
betrachten. Wir gehen dabei davon aus, dass sich an den zentralen
öffentlichen Räumen die Einstellung zu den öffentlichen Räumen insgesamt
in zugespitzter Form ablesen lässt. Im Anschluss daran wollen wir uns der
Frage zuwenden, welche Schlussfolgerungen sich daraus für den zukünftigen
Umgang mit den zentralen öffentlichen Räumen der Städte in Ostdeutschland
unter den Bedingungen der Schrumpfung ziehen lassen.
In seiner klassisch
gewordenen soziologischen Untersuchung zum kollektiven
Gedächtnis aus dem Jahr 1925 untersucht Maurice Halbwachs den
Zusammenhang zwischen einer Gesellschaft und ihrer gebauten Umwelt. Er
führt aus:
„Der Ort, an dem eine Gruppe lebt, ist nicht gleich einer schwarzen Tafel,
auf der man Zahlen und Gestalten aufzeichnet und dann auswischt. [...] der
Ort hat das Gepräge der Gruppe erhalten und umgekehrt. Alsdann können alle
Unternehmungen der Gruppe räumlich ausgedrückt werden, und der Ort, an dem
sie lebt, ist nur die Vereinigung all dieser Ausdrücke.“ [M. Halbwachs:
Das kollektive Gedächtnis, FfM, 1985, S. 130]
Halbwachs gelangt zu dem weit reichenden Schluss, dass das Gedächtnis
räumlich strukturiert ist. Eine Gesellschaft definiert sich über den
Umgang mit Raum und die gebaute Umwelt bildet eine wesentliche
Voraussetzung dafür, die Geschichte einer Gesellschaft als Teil ihrer
selbst präsent zu halten. Der Raum und die Stadt sind in diesem Sinne eine
Erinnerungsstruktur.
Wie verhält sich in unserem Fall der konkrete Ort zu abstrakten
Konstruktionen von Identität und Erinnerung? Aufgabe der Stadtplanung in
der DDR war nach offizieller Auffassung die Umsetzung der
sozialistischen Lebensweise in gebaute Umwelt. Das Ergebnis sollte,
vereinfacht ausgedrückt, die sozialistische Stadt sein. Die
revolutionäre Ankunft einer neuen Gesellschaft erlaubte jedoch keinen
Rückgriff auf die Permanenz und Geschichtlichkeit des Raumes, wie ihn
Maurice Halbwachs als Bedingung der kulturellen Selbstvergewisserung einer
Gruppe vor sich sah.
Auf
dieser Basis konnte das Verhältnis zur vorhandenen Stadt nur ein
problematisches sein. Mit dem Versuch, für eine neue Gesellschaft neue
Räume zu schaffen, wurde die Kontinuität der räumlich gefassten Erinnerung
zunächst vollständig negiert. Zwar besann sich auch die Führung der DDR ab
den späten 60er Jahren auf das gebaute kulturelle Erbe, doch blieb der
Umgang mit der alten Stadt dabei stets zwiespältig. Sei es, dass der
zeitliche Rahmen, also 40 Jahre DDR-Geschichte, dafür nicht ausreichten,
sei es, dass der Anspruch vermessen war: Der Versuch, das kollektive
Gedächtnis im Städtebau neu zu begründen, schlug jedenfalls gründlich
fehl.
In den 80er Jahren
zeigten stadtsoziologische Untersuchungen der Hochschule für Architektur
und Bauwesen Weimar unter der Leitung von Fred Staufenbiel das Scheitern
der Bemühungen, mit der sozialistischen Stadt neue
Identifikationsmöglichkeiten zu schaffen. Bezeichnenderweise lagen diese
in zahlreichen Städten vorgenommenen Untersuchungen zwar gedruckt vor,
trugen jedoch den Vermerk „nur für den Dienstgebrauch“.
In einer Befragung von Bewohnern der Städte Halle/Saale und Halle-Neustadt
kommt Fred Staufenbiel mit seinem Autorenkollektiv zu folgendem Ergebnis:
„Die Bindungen, die von einer Stadt als Ganzes ausgehen können, werden von
ihrer Einmaligkeit, von ihrer Originalität und Unverwechselbarkeit
getragen. Das Erleben der Unterschiede zu anderen Städten ist dabei sehr
wichtig. Das gilt sowohl für die lokale Spezifik der Lebensweise
(besondere Traditionen und Gepflogenheiten, Mannigfaltigkeit und Vielfalt)
als auch für die baulich-räumliche Gestalt dieser Unterschiede.“
[Autorenkollektiv unter der Leitung von Fred Staufenbiel: Stadtentwicklung
und Wohnmilieu von Halle/S. und Halle-Neustadt – Soziologische Studie,
Weimar, 1985, S. 45]
Die Weimarer Stadtsoziologen unterschieden zwischen der Stadtgestalt
als objektiver Beschreibung räumlicher Zusammenhänge einerseits und dem
Stadtbild als subjektivem Ausschnitt der Stadt, wie sie von den
Bewohnern erlebt wird, andererseits. Dabei gelangen sie zu dem Schluss:
„Fassen wir das Bild der Stadt als Widerspiegelung des Charakters der
Stadt und der Besonderheiten ihrer Gestalt im Bewusstsein ihrer Bewohner,
so wird dieses Bild von Seiten der gebauten Umwelt fast ausschließlich
durch Elemente der Architektur der Altstadt geprägt. Die neuen und anderen
Wohngebiete [...] sind offensichtlich (als typische Merkmale der
Stadtgestalt) von untergeordneter Bedeutung für das Stadtbild der
Bewohner.“ [Fred Staufenbiel: Leben in Städten. Weimar, 1989, S. 39]
Die alte Stadt besitzt demnach nicht nur einen Gebrauchswert für die
Nutzer, sondern auch einen Kulturwert für die Stadtgesellschaft. Unseres
Erachtens nehmen beide nicht in gleicher Weise zu oder ab. Obwohl
vielerorts eine Abnahme der Attraktivität der Innenstädte konstatiert
wird, kommt diesen, wie zahlreiche Untersuchungen nach der Wende belegen,
nach wie vor ein hoher Identifikationswert zu.
Es
erscheint also gerechtfertigt, sich erneut mit den zentralen öffentlichen
Räumen der Städte in der DDR zu beschäftigen. Wie sahen diese aus? Was für
öffentliche städtische Räume gab es? Neben den repräsentativen Räumen
einer Stadt, wie beispielsweise dem Karl-Marx-Forum mit dem zugehörigen
Denkmal im ehemaligen Karl-Marx-Stadt, oder alltäglichen Räumen des
Wohnumfeldes entstanden in der DDR in den 70er Jahren innerstädtische
Fußgängerzonen. Diese Räume des Bedarfs waren als Orte des Konsums
gedacht und übernahmen insofern eine politische Funktion, als sie als
Schaufenster für die gute Versorgung der Bevölkerung im Sozialismus
dienten. Interessant ist, dass man sich bei der Konzeption dieser
Stadträume gerade auf die alte Stadt besann und sich ihrer
räumlichen Strukturen bediente. Die Zweiheit von repräsentativen Orten und
Räumen des Bedarfs, wie sie die innerstädtische Entwicklung in den Städten
der DDR kennzeichnet, ist, so ein erstes Ergebnis unseres Blicks auf die
post-sozialistische Stadt, nach wie vor gut ablesbar.
Nach der Wende wurde
mit den überkommenen repräsentativen Räumen und den Räumen des Bedarfs
jeweils sehr unterschiedlich verfahren. Während die repräsentativen Räume
häufig erheblichen Umbauprozessen bis zu ihrer völligen Aufhebung
unterworfen wurden – verwiesen sei an dieser Stelle auf den Sachsenplatz
in Leipzig oder das bereits oben erwähnte Karl-Marx-Forum im heutigen
Chemnitz –, überlebte die Gestaltung der Räume des Bedarfs trotz
Alterungserscheinungen vielerorts, so beispielsweise am Erfurter Anger, im
Chemnitzer Brühl oder der Friedrichstraße in Prenzlau.
Im folgenden Kapitel werden anhand von fünf Städten Räume der
Repräsentation sowie Räume des Bedarfs in ihrer Gestalt und Gestaltung
während der DDR-Zeit vorgestellt und der Umgang mit diesen Orten nach der
Wende nachgezeichnet.
II. Wandel
nach der Wende – Fünf Orte in den Neuen Bundesländern
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Abb.1: Stadtzentrum Chemnitz
1939
Abb.2: Stadtzentrum Chemnitz
1985
Abb.3: Das ehemalige
Karl-Marx-Forum vom Denkmal aus gesehen |
Rekonstruktion am
Beispiel Chemnitz, ehemals Karl-Marx-Stadt
Chemnitz,
dessen Altstadt im Krieg fast vollständig zerstört wurde, entstand in den
50er und 60er Jahren als Karl-Marx-Stadt neu. Der Wiederaufbau griff in
die Struktur der geschlossenen Grundfigur der Altstadt derart grundlegend
ein, dass der Altstadtring und die ehemaligen Wallanlagen im Nordosten
vollständig aufgehoben wurden. An die Stelle der Ringstraße trat ein
offenes orthogonales Straßensystem, in dem die wenigen erhalten
gebliebenen Bauten der Altstadt wie Rathaus und Roter Turm als erratische
Elemente verblieben. Nord-östlich des Roten
Turms entstand als zentraler Platz und damit politischer Hauptraum der
Stadt das Karl-Marx-Forum mit Hotel- und Kongresszentrum, für dessen
nördlichen Abschluss der kürzlich verstorbene Künstler Lew Kerbel ein
imposantes Karl-Marx-Denkmal schuf. Noch heute beeindruckt der mächtige
Kopf des revolutionären Vordenkers mit der zentralen Botschaft des
Manifests der kommunistischen Partei von 1848 im Rücken, die in
mehreren Sprachen in die Gebäudewand eingelassen ist: „Proletarier aller
Länder vereinigt Euch!“. Als Ort von Paraden und offiziellen
Demonstrationen war für die Platzgestaltung zu Füßen des Denkmals
ursprünglich keine Begrünung vorgesehen. Bei der schließlich doch
erfolgten Begrünung blieb der Bezug des Platzes zum Denkmal des
Namenspatrons der Stadt gewahrt.
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Abb.4: Rahmenplan Stadtzentrum
Chemnitz 2000 |
Langjährige
Diskussionen führten nach der Wende zu der Entscheidung, die Ringstraße
mit den Wallanlagen sowie die konzentrische Straßenstruktur der Altstadt
zu rekonstruieren. Durch eine Blockbebauung wurden die historischen
Proportionen des öffentlichen Raumes wieder hergestellt. Dabei kommt die
neue Blockbebauung in Chemnitz nicht bürgerschaftlich klein parzelliert
daher, sondern arbeitet in der Körnung mit großen Bausteinen, die meist
mit einer großflächigen kommerziellen Nutzung belegt sind. – Wir werden
später noch einmal darauf zurückkommen.
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Abb.5: Der Blick vom
Karl-Marx-Denkmal heute |
In Chemnitz lässt sich
deutlich aufzeigen, wie der repräsentative Hauptraum der sozialistischen
Stadt nach der Wende eine klare Umdeutung und Umwertung erfuhr. Obwohl
sich, im Gegensatz zu vielen anderen Orten, Chemnitz für einen Erhalt des
Karl-Marx-Denkmals entschied, wurden die Bezüge der sozialistischen Stadt
vollständig aufgehoben. So ist in den Plänen zur Neugestaltung des
Bereichs zwischen Brückenstraße und Rotem Turm das Denkmal nicht einmal
mehr eingezeichnet. Das ehemalige Karl-Marx-Forum wandelt sich
unversehens zum Park am Roten Turm. Karl Marx erhält ein grün
tapeziertes Zimmer ohne Aussicht und kann im benachbarten Touristenladen
entweder in Schokolade oder Marzipan erworben werden.
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Abb.6: Das Karl-Marx-Denkmal mit
Genom |
Unlängst veranstaltete
die Stadt Chemnitz unter dem Titel InSicht ein Kunstprojekt für den
öffentlichen Raum. Zu Füßen des Marx-Denkmals wurde vom Künstler Gregor
Torsten Kozik ein leuchtendes Genom platziert. Der künstlerische
Beitrag reflektiert den Wandel, den die Stadt und insbesondere der Ort des
Denkmals nach der Wende erfahren haben. Während für Kozik das Denkmal
Kerbels Starre, Unveränderlichkeit und Schwere ausstrahlt, steht sein
Genom für Transparenz. Leichtigkeit und ein ständiges Im-Fluss-Sein.
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Abb.7: Der Chemnitzer Brühl |
Der repräsentative
zentrale Platz, der die Mitte von Karl-Marx-Stadt bildete, existiert nicht
mehr. Was aber geschah mit den so genannten Bedarfsräumen, die auch im
sozialistischen Karl-Marx-Stadt nicht fehlten? In Ermangelung einer
Altstadt wurde das sozialistische Schaufenster in den 70er Jahren
nord-östlich des Zentrums in ein Gründerzeitviertel gelegt, das die
Kriegszerstörungen unbeschadet überstanden hatte. Im so genannten Brühl
wurde, dem Geschmack der Zeit entsprechend, ein kleinteiliges
Einkaufsparadies als Fußgängerzone geschaffen. Die Gestaltungsmerkmale
entsprachen denen bundesdeutscher Fußgängerzonen der gleichen Zeit: Der
Straßenraum ist in seiner Räumlichkeit nicht betont. Stattdessen wurde er
durch zu Gruppen zusammengefasste Bäume, Bänke und Brunnen in Teilbereiche
aufgegliedert, um Verweilzonen zwischen den Laufzonen zu
schaffen.
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Abb.8: Der Chemnitzer Brühl |
Durch große
Einkaufszentren außerhalb der Innenstadt und durch die
Re-Kommerzialisierung der Altstadt war der Brühl nach der Wende nicht mehr
konkurrenzfähig. Die Geschäfte stehen heute größtenteils leer und auch die
Wohnungen darüber finden keine Mieter mehr. Das ehemalige Paradies des
Konsumenten ist heute eine Geisterstraße. Dennoch, und dies ist unseres Erachtens
bemerkenswert, ist die Gestaltung des Brühl nach wie vor intakt: die Beete
werden gepflegt und die Brunnen laufen. Offensichtlich fällt der Abschied
von den kleinteilig gestalteten und politisch weniger besetzen Räumen
schwerer als der Abschied von den offiziellen Räumen der Repräsentation.
Die Räume des Bedarfs waren in ihrer Identifikationswirkung für die
Bevölkerung anscheinend wichtiger als die offiziellen Räume der
Repräsentation. Die Gestaltung der kommerziellen Räume des Bedarfs
brachte es mit sich, dass diese Räume nur indirekt als Schaufenster der
Sozialismus repräsentative Funktionen übernehmen konnten. Sie eigneten
sich zwar zur Befriedigung alltäglicher Bedürfnisse, nicht jedoch zur
Aufnahme politischer Paraden etc. Diese weit gehende Entlastung von
politischer Bedeutung wirkt sich bis heute auf den Umgang mit dem nicht
mehr genutzten, aber dennoch gehegten Brühl in Chemnitz aus.
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Abb.9: Neue Mitte Chemnitz |
Die Gestaltung der
Chemnitzer Innenstadt nach der Wende stieß auf ein ambivalentes Verhältnis
zur Leere im Stadtraum seitens der Bevölkerung. Die majestätische Leere
von Magistrale und zentralem Platz der DDR-Gestaltung – auch das Platz
haben – wurde durchaus als Qualität und Luxus empfunden, dem das „Zubauen“
der Innenstadt mit großformatigen Gebäudeblöcken nach der Wende
entgegenstand. Die städtebauliche Figur stieß infolge dessen auch auf
Kritik und wurde als „zu eng“ bezeichnet – möglicherweise eine Folge der
40-jährigen Entwöhnung des Städters von der Stadt? Dem repräsentativen
Raum der Stadt zwischen Karl-Marx-Denkmal und Rathaus kam in Chemnitz
durchaus die Funktion eines Schauraumes zu, der jedoch in seiner
Nutzbarkeit stark eingeschränkt war.
Im Vergleich mit der
kleinteiligen Gestaltung der kommerziellen Flächen der 70er Jahre wird die
ästhetische Leere der Gestaltungen der 90er Jahre als „zu leer“
wahrgenommen. So kommt ein zweischneidiges Urteil über die neue Mitte der
Stadt in Chemnitz zustande, die einerseits „zu eng“ und andererseits „zu
leer“ ist. Allen kritischen Stimmen zum Trotz spricht die Nutzung der
Innenstadt dafür, dass die Aneignung durch Nutzung zu einer rein
ästhetischen Aneignung als „schönem Platz“ hinzu kommen muss. Die
Inanspruchnahme der Innenstadt durch Konsum wird unseres Erachtens auf
Dauer die Identitätsbildung einer funktionalen wie emotionalen Mitte von
Chemnitz weitaus stärker prägen als es das Weiterbestehen der
sozialistischen Stadtstruktur vermocht hätte.
Kommerzialisierung am Beispiel Erfurt
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Abb.10: Die zentralen
öffentlichen Räume in Erfurt |
Die Trennung von
repräsentativem Raum und Bedarfsraum mit ihrer jeweils unterschiedlichen
Behandlung in der DDR lässt sich am Stadtraum Erfurts noch heute
nachvollziehen.
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Abb.11: Der Domplatz heute
Abb.12: Der Domplatz in
sozialistischer Planung
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Während dem bereits
durch die Napoleonischen Kriege aufgeweiteten Domvorplatz eine
repräsentative Funktion zukam, die zu einer Neugestaltung der
Platzoberfläche führte, blieben die übrigen Straßenräume der Erfurter
Innenstadt wie der Anger und die Schlösserstraße zunächst ungestaltet. Als
Platz für Kundgebungen wurde der Domvorplatz einheitlich gepflastert,
wobei unter Verwendung von zwei Steinsorten ein helles Gitter mit
dunklerer Füllung entstand, eine Form der Platzgestaltung, die in
zahlreichen Städten der DDR Anwendung fand. Nicht ausgeführte Planungen
zeigen für den Domvorplatz als dritte – sozialistische – Höhendominante in
Konkurrenz zu Dom und Severikirche ein Hotelhochhaus am Petersberg, das
der sozialistischen Überhöhung des Vorhandenen dienen sollte. Bislang wurde
der Domvorplatz keiner größeren Veränderung unterzogen. Die
Aktionsschwerpunkte der Stadt Erfurt lagen nach der Wende an anderer
Stelle.
Das alte „bürgerliche“ Zentrum um das Rathaus und der Anger als
traditionsreiche Geschäftsstraße blieben bei den Überlegungen zur
repräsentativen Gestaltung der sozialistischen Stadt zunächst
unberücksichtigt. Als jedoch in den 70er Jahren die Räume des Bedarfs
gerade in alte städtische Strukturen gelegt wurden, wurde auch der Anger
zur Fußgängerzone nach westlichem Vorbild umgestaltet.
Nach der Wende wurde der Anger als Zentrum des Kommerzes mit zahlreichen
Kaufhäusern und Geschäften ausgebaut. Während dieses Konzept am östlichen
Ende des Angers erfolgreich umgesetzt werden konnte, ist es an dessen
westlichem Ende, dem Hirschgarten, mit Problemen verbunden. Als weiterer
zentraler Ort der sozialistischen Stadt war an dieser Stelle der Bau eines
Kulturhauses des Volkes vorgesehen, mit dessen Bau in den letzten Jahren
des Bestehens der DDR begonnen wurde. Nach der Wende beschloss die Stadt,
den Bau nicht fortzuführen, sondern einen neuen Standort für Oper- bzw.
Theater auszuweisen. Die neue Oper ist als Zentrum eines neuen
Stadtviertels auf dem Standort ehemaliger Fabriken hinter dem Domberg
geplant. Zur Finanzierung des neuen Theaterstandortes wurde das alte
Grundstück veräußert. Dadurch wurde die Chance vergeben, am Hirschgarten
einen neuen repräsentativen Ort zu definieren, und dies, obwohl der
heutige Amtssitz der Thüringer Regierung unmittelbar benachbart ist.
Anstelle eines repräsentativen Platzes von Kultur und Regierung soll nun
am Hirschgarten eine kommerzielle Attraktion angesiedelt werden, die
aufgrund des nachlassenden Entwicklungsdruckes bislang jedoch auf sich
warten lässt. Ziel ist es, einen handelstechnischen Doppelmagneten mit dem
Anger als eingespanntem Laufbogen zu implementieren.
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Abb.13: Der Anger nach der
Neugestaltung
Abb.14: Der Anger vor der
Neugstaltung
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Trotz der starken
Kommerzialisierung entschloss sich die Stadt nach der Wende erst relativ
spät zu einer gestalterischen Aufwertung der innerstädtischen
Straßenzüge. Dabei wurde der Anger als erstes in Angriff genommen und bis
heute etwa zur Hälfte umgestaltet. Während Bäume und Rückzugsnischen
verschwanden, entstanden zahlreiche Stadtmöbel – Bushaltestellen,
Pflanzentröge, Lampen, Bänke, Drehstühle, Papierkörbe etc. –, deren Design
aufeinander abgestimmt ist. Wesentlich ist dabei, dass alle Elemente
gegenüber der Gesamtgestaltung zurücktreten, d.h. sich dem großen
Raum-System des Platzes unterordnen, anstatt diesen räumlich in kleinere
Unterabschnitte und Teilplätze zu zergliedern. Das Pflaster wird, allein
unterbrochen von den Schienensträngen der Straßenbahn, einheitlich von der
einen Platzseite zur anderen gespannt. Im Unterschied hierzu seien noch
einmal die Gestaltungsprinzipien der 70er Jahre ins Gedächtnis gerufen:
diese waren, analog zu Gestaltungsmustern westdeutscher Innenstädte dieser
Zeit, räumliche Kleinteiligkeit, die häufig auch in der Pflasterung
aufgenommen wurde, Begrünung und Befreiung vom Individualverkehr.
Durch die Kleinteiligkeit in der Gestaltung wurde die Aneignung durch die
Bewohner erleichtert. Der Wohlfühl- und Traulichkeitsfaktor erschien hoch.
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Abb. 15: Perspektive
Anger-Neugestaltung |
Die
GTL-Landschaftsarchitekten aus Kassel, Entwurfsverfasser der Neugestaltung
des Erfurter Angers in den 90er Jahren, verfolgen hingegen andere Ziele:
„Es gilt, eine Oberfläche zu planen, die den langen schmalen und gebogenen
Raum zusammenhält [...]. Und komfortabel und repräsentativ muss es sein,
damit Erfurt über den Anger promenieren kann. [...] Der Anger füllt sich
von alleine. Die Aufgabe der Planung ist es, den Platz frei zu machen. Wir
wünschen ein ´So-wenig-als-möglich´ bei hoher Attraktivität des Raumes in
Gestalt und Nutzung.“ Die Entwurfshaltung
ist räumlich motiviert. Raum wird als bindender Rahmen gesehen, in
dem sich das städtische Leben frei ereignen können soll. Auf das
Wechselverhältnis von Bindung und Freiheit, das dem Entwurfsgedanken
zugrunde liegt, werden wir später noch einmal zu sprechen kommen.
Als Reaktion auf die Neugestaltung des Angers erhoben sich in
jüngster Zeit heftige Bürgerproteste, die sich gegen die gewollte
ästhetische Leere wenden. Wie sind diese Proteste zu deuten? Wird die
beabsichtigte – demokratisch motivierte – räumliche und ästhetische Leere
analog zur Leere politischer Räume gelesen, die dem Individuum
Möglichkeiten des Rückzugs verweigert? Fühlt sich der Stadtbürger
verloren, sobald Repräsentation ins Spiel kommt, auch wenn das abstrakte
Subjekt dieser Repräsentation nun nicht mehr der Staat, sondern die
Stadtgesellschaft ist?
Waren zentrale Plätze in der DDR als weite offene Räume mit einheitlicher
Pflasterung gestaltet, um Platz für Paraden und Fließdemonstrationen zu
bieten, bedient sich die Gestaltung nach der politischen Wende häufig
großflächiger Gliederung und Weite mit dem Ziel, Nutzungen nicht
festzulegen, sondern Vielfalt und Offenheit zuzulassen. In ästhetischer
Hinsicht besteht hier eine fatale Ähnlichkeit, die eine ablehnende Haltung
der Bevölkerung, wie das Beispiel des Erfurter Angers zeigt, nach sich
ziehen kann. Räume des Bedarfs, so scheint es, sollen Räume des Rückzugs
bleiben und nicht mit repräsentativen Gesten belegt werden. Für das
unauffällige Bad in der Menge werden nach wie vor kleinteilige Räume mit
Aufenthaltsnischen gewünscht.
Auch wenn die Abwehr politisch motiviert erscheint, ist an dieser Stelle
kritisch anzumerken, dass sie sich trotz unterschiedlicher Geschichte auch
als Reaktion auf die Neugestaltung von Innenstadtbereichen in der alten
Bundesrepublik findet. Handelt es sich also um eine Reaktion auf die
Zumutungen der Moderne, die in den Stadtgestaltungen der 90er Jahre wieder
aufscheinen? Oder besteht eine Abneigung gegen repräsentative Auftritte in
West wie Ost gleichermaßen? Die Frage muss an dieser Stelle offen bleiben.
Aufhebung und
Entwidmung – der Leipziger Sachsenplatz
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Abb.16: Der Sachsenplatz |
Da die Leipziger
Altstadt im Krieg weit gehend erhalten blieb, beschränkten sich die
sozialistischen Umgestaltungen auf einzelne Bereiche. So heißt es in einer
Veröffentlichung zur Stadtgestaltung der DDR aus dem Jahr 1989: „In
Leipzig behielt man die Grundstruktur des historischen Zentrums innerhalb
des Promenadenrings im wesentlichen bei. Neue räumliche Konzeptionen
wurden innerhalb des Altstadtringes zwischen Brühl und Marktplatz
(Sachsenplatz), außerhalb durch die Neugestaltung des Karl-Marx-Platzes
mit einer vierfachen Größe des Marktes sowie im Bereich zwischen Oper und
Hauptbahnhof verwirklicht.“ [Gerd Zeuchner:
Stadtgestaltung, Hrsg. vom Institut für Städtebau und Architektur der
Bauakademie der DDR, Berlin, 1989, S. 114] Der Sachsenplatz
zwischen Markt und Brühl, der bis zum Krieg vollständig bebaut war,
erhielt dadurch im Gefüge der Stadt ein besonderes Gewicht. Innerhalb des
Rings war dies der einzige Ort, an dem eine „offizielle“, der
städtebaulichen Moderne verpflichtete Gestaltung umgesetzt werden konnte.
Drei Brunnen an der Ostseite fanden ein formales Pendant in drei Pavillons
auf der Westseite des Platzes. Am Brühl entstand eine Kammbebauung,
welcher der Informationspavillon der Stadt mit seiner hyperboloiden
Dachkonstruktion vorgelagert war.
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Abb.17: Lage des Sachsenplatzes
in der Innenstadt
Abb.18: Axonometrie des neuen
Museums
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Nach der Wende besann
man sich sehr schnell auf den Vorkriegszustand des Quartiers, so dass der
Sachsenplatz als Standort für den Neubau des Kunstmuseums ausgewählt und
die Entwidmung des öffentlichen Raums in Angriff genommen wurde. Der im Wettbewerb prämierte Entwurf des Berliner Büros
Hufnagel, Pütz, Rafaelian arbeitet mit der Ambivalenz von Platz und
Nicht-Platz, indem das Museumsgebäude ganz nach innen gewandt und von
einem Rand von Bürgerhäusern umgeben ist. Das Öffentliche verschwindet
gewissermaßen im Inneren des Blocks, der sich nach außen als ein ganz
gewöhnlicher Stadtbaustein gibt.
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Die Akzeptanz dieser Maßnahme wurde dadurch begünstigt, dass der
Sachsenplatz als Ort der Begegnung, als Treffpunkt der „Bürger“ oder der
„Bürgerbewegung“ im Gegensatz zum benachbarten Markt und dem
Thomaskirchhof nie eine Rolle spielte. Als Einschnitt in den historischen
Stadtkörper, mit einer offiziellen Gestaltung belegt, deren Architekten
sich zudem den Ideen der Moderne verpflichtet fühlten, stieß der
Sachsenplatz gewissermaßen auf doppelte Ablehnung seitens der Leipziger
Bürger.
Die Inversion oder Umstülpung des öffentlichen Raumes nach Innen durch den
neuen Museumsbau bedeutet eine drastische Maßnahme: nicht allein wird der
verbleibende öffentliche Raum nach Innen gewendet, die Mittel kultureller
Repräsentation werden bewusst aufgegeben und durch ein artifizielles Spiel
mit Innen und Außen ersetzt, das sich vom Typus des Messehauses in der
Leipziger Altstadt inspirieren ließ. Die Gestaltung des Areals ist auf
zweierlei Weise lesbar: Durch die Bürgerhäuser als Blockrand wird der
historische Kontext zitiert, während die öffentliche Museumsnutzung in der
Mitte des Blocks das moderne Platzkonzept der DDR aufgreift. Die
Kombination von beidem erscheint als postmodernes Spiel mit einer
doppelten Kodierung des Ortes. Ob sich dieses Konzept der Inversion des
Öffentlichen auf Dauer als tragfähig erweisen wird, bleibt abzuwarten.
Banalisierung
oder Komplexität? – der Marktplatz in Neustrelitz
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Abb.19: Neustrelitz im 18.
Jahrhundert |
In
der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erbauten die Herzöge von
Mecklenburg-Neustrelitz das gleichnamige Städtchen als Residenzstadt
unweit ihres Herrschersitzes. Das Schloss ist geradlinig mit dem Zentrum
der Stadt, einem 1,4 ha großen zentralen quadratischen Marktplatz mit
einer Kantenlänge von je 120 m, verbunden. Die Verbindung zum Schloss ist
dabei eine von acht Straßen, die sternförmig jeweils von den Ecken bzw.
der Kantenmitte des Quadrats ausgehen und von einem achteckigen
Vermessungsstein in der Mitte des Platzes aus angelegt wurden. Einer der
Eckstrahlen verbindet das Städtchen mit dem nahe gelegenen See. Das
Schloss und die direkt am Platz gelegenen Bauten der Hauptkirche und des
Rathauses bilden zusammen ein aufeinander bezogenes System öffentlicher
Bauten. Unter Vorgabe bauordnerischer Regeln konnten an jeder Kante des
Platzes vier Gebäude errichtet werden, wobei sich auch das Rathaus in
dieses Schema einfügt. Allein die Kirche nimmt die doppelte Breite ein.
Der Marktplatz mit seiner imposanten Geometrie besaß selbst keine weitere
Unterteilung und konnte daher den Herzögen als Repräsentationsplatz, den
Bürgern für Markt- und Jahrmärkte dienen. Gepflastert war der Platz, wie
zu damaliger Zeit üblich, zunächst nicht.
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Abb.20: Neustrelitz im 19.
Jahrhundert |
Anderthalb Jahrhunderte
lang änderte sich mit Ausnahme einer Teilpflasterung wenig an der Gestalt
des Platzes. 1866 wurde dem verstorbenen Großherzog Georg in der Mitte des
Platzes ein Denkmal gesetzt, das, dem Geschmack der Zeit entsprechend, mit
einem als Grünanlage gestalteten Rondell umgeben wurde. Aufgrund der neuen
Gestaltung musste der Marktbetrieb auf einen anderen Platz verlegt werden.
Der Platz um die Grünanlage wurde befestigt; das Pflaster wies
unterschiedliche Beläge für Fußgänger und Fahrverkehr auf. „Der
Neustrelitzer Marktplatz nach 1866 war ein determinierter, durch
unterschiedliche Gestalt in verschiedene Nutzungszonen unterteilter
Stadtraum: in eine Zone zum Verweilen als Grünanlage und eine Verkehrszone
als gepflasterte Fläche“ [Neustrelitz: Denkmalpflegerische Zielplanung für
den Marktplatz, o. J.]. Der Platz wandelte sich dadurch langsam vom
Multifunktionsplatz zum Verkehrsknotenpunkt.
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Abb.21: Planungen für den Markt
im III. Reich
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Die Nationalsozialisten
sahen eine vollständige Umgestaltung des ehemaligen Marktplatzes zum
„Horst-Wessel-Platz“ vor, durch die der Bezug zum Schloss ebenso verloren
gegangen wäre wie die ursprüngliche Einheitlichkeit der Platzanlage. Unter
Ausnutzung der natürlichen Schräge des Platzes sollte eine Säulenhalle den
Platz in Flächen unterschiedlicher Niveaus aufteilen. Der obere Bereich
sollte dabei dem Rathaus zugeordnet werden und als Platz für Versammlungen
und Aufmärsche dienen. Der untere Platzteil war als kleinerer Vorplatz für
die Kirche gedacht. Ein Drittel der Platzfläche verblieb dem fahrenden und
ruhenden Verkehr. Durch den Kriegsbeginn und die damit verbundene
Finanzknappheit konnten die Pläne jedoch nicht umgesetzt werden.
Nach Kriegsende diente
der Platz als Begräbnisort für gefallene Rotarmisten, welcher mit einem
kleinen Tempelchen als Ehrenmal gestaltet wurde. Während das Rondell auf
diese Weise erhalten blieb, musste 1956 das Standbild des Großherzogs
Georg als Ausdruck einer überwundenen Gesellschaftsform weichen. Nach dem
Ende der DDR erging es dem Denkmal für die Rotarmisten nicht anders. Wie
andernorts auch, wurde das Gefallenendenkmal abgebaut, der Rotarmist
entschwand am Haken eines Baukranes – wie das Lenindenkmal am Platz der
Vereinten Nationen in Berlin, dessen Abtransport dem Film „Good bye Lenin“
seinen Namen gab. Die Skelette der Gefallenen wurden exhumiert und an
anderer Stelle beerdigt. Die Stadt Neustrelitz stand vor der schwierigen
Frage, was an die Stelle des Ehrenmals treten könne.
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Abb.22: Die geplante Gestaltung
mit Fontäne und Baumrondell |
In Ermangelung eines
Herzogs, eines anonymen Rotarmisten oder einer anderen Bedeutung tragenden
Figur nimmt man derzeit Zuflucht zu einer gleichsam positiv besetzten
Gestaltungsform mit Naturraumelementen. Im Entwurf der
Landschaftsarchitekten Lohaus und Carl aus Hannover, der aus einem
Wettbewerb als erster Preis hervorgegangen ist, wird auf die historischen
Merkmale des Platzes Bezug genommen, so dass dieser mehrfach lesbar wird.
Während der steinerne Belag analog zur einheitlichen Form des Platzes im
ersten Jahrhundert seines Bestehens sich über den ganzen Platz zieht,
bildet eine Baumgruppe als vertikales Grün in der Mitte des Platzes das
Rondell nach. Eine Fontäne nimmt Bezug zum nahe gelegenen See. Die
Vogelperspektive der Landschaftsarchitekten zeigt entsprechend nicht mehr
das Schloss als Bezugspunkt des Platzes, sondern die blaue Spiegelfläche
des Sees.
So bildet nun ein „unschuldiges“ Wasserspiel die Mitte des Platzes
und wirft die Frage auf, ob die Aufladung mit Bedeutung, wie sie im
Großherzogtum und in der DDR erfolgte und während des Nationalsozialismus
geplant war, endgültig ausgedient hat. Kann es nur noch verspielte, mit
unverdächtigen Naturelementen ausgestattete öffentliche Räume geben? Ist
dies eine Form der Banalisierung öffentlichen Raumes und reicht es aus,
der Gestaltung mit ihrer Bezugnahme auf verschiedene historische Zustände
des Platzes eine gewisse Komplexität zu verleihen? Gibt es außer
gestalterischen Elementen keine Formen öffentlichen Bedeutens?
Partizipation
– neue Bürgerstadt Lübben
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Abb.23 und 24: Der Lübbener
Markt heute
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In Lübben/Spreewald
wurde die Mitte der ehemaligen Altstadt nach den Kriegszerstörungen als
Brache liegengelassen. Die Einwohner Lübbens hatten sich nach 40 Jahren an
die unbesetzte Mitte gewöhnt und schätzten sogar den Blick von der Kirche
bis an den grünen Rand der Spree. Nach der Wende stellte sich die Frage,
wie ein erneuter Aneignungsprozess der leeren Mitte als repräsentativem
Ort vonstatten gehen könnte.
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Abb.25: Alte und neue Bebauung
der Westseite |
Durch einen
komplizierten und langwierigen Abstimmungsprozess konnte nicht nur die
Wiederbebauung, sondern auch deren konkrete Form beschlossen und eine
Einigung über das Verfahren zur Durchführung erzielt werden. Der Entwurf
entstand im Rahmen eines Workshops der BTU Cottbus und wurde anschließend
vom Büro Nagler, Cottbus, weiter ausgearbeitet, welches den
Abstimmungsprozess auch durchgehend begleitete. Die Neubebauung des
Marktplatzes greift nicht die historische Form auf. Das historische
Rathaus, das ehemals zwischen Marktplatz und Hauptstraße stand, wurde im
Krieg zerstört. Vor wenigen Jahren wurde das ehemalige Postgebäude am
nördlichen Rand des Platzes zum Rathaus umgebaut. Ein Wiederaufbau um den
Markt nach historischem Muster war daher mit Schwierigkeiten behaftet.
Einerseits fand sich für einen städtebaulich exponierten Bau wie das
ehemalige Rathaus keine passende Nutzung. Andererseits waren die
Dimensionen des Platzes ohne die Zeilenbebauung an der Stelle des
ehemaligen Rathauses problematisch. Der zur Umsetzung vorgeschlagene
Entwurf sieht daher vor, die westliche Platzfront weiter in den Platz
hinein zu versetzen, so dass anstelle des west-östlich ausgerichteten
ehemaligen Marktes ein nord-südlich ausgerichteter Platz entsteht, der nur
wenig kleiner ist als der historische Markt und sich auf das neue
Rathausgebäude an der Nordseite des Platzes bezieht. Der neue städtische
Blockrand als westlicher Abschluss des Platzes wird auf Einzelparzellen
durch lokale Investoren, die am Abstimmungsprozess teilgenommen haben, in
den nächsten Jahren errichtet werden.
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Abb.26: Entwurf für den Markt in
Lübben |
Die Gestaltungselemente
dieses zentralen Raumes inszenieren auf verschiedene Weise
Bedeutungselemente der Kleinstadt. Durch die Form des Platzes ist der
Bezug zum neuen Rathaus gegeben. Das alte Rathaus wird durch
Bepflanzung in etwa an seinem Standort angedeutet. Die alten
Parzellenzuschnitte ziehen sich in der Pflasterung als Schnittmuster über
den gesamten Platz. Wasserflächen und Bänke in Anlehnung an große
Spreekähne sowie Lampenmasten analog zu Spreekahn-Rudeln (Steuerstöcken,
mit denen die Spreekähne fortbewegt werden) weisen Lübben als zentralen
Ort des Spreewaldes aus. Mit dem Paul-Gerhardt-Denkmal vor der Kirche wird
die repräsentative Geste des 19. Jahrhunderts in die Platzgestaltung
integriert. Eine unregelmäßige breite Streifenpflasterung um die Kirche
führt zu einem bewussteren Schreiten über den ehemaligen Gottesacker.
Für die Umsetzung der Ideen ist es wichtig, dass alle Bedeutungselemente
auf abstrakte Art und Weise in Gestaltung übersetzt sind und die Elemente
sich nicht hierarchisch einander zuordnen lassen. Wenn zu den
vielschichtigen, sinnlich narrativen Gestaltungselementen jedoch der
Prozess der Vermittlung hinzukommt, so besteht die Chance, dass der neue
Marktplatz von den Bewohnern Lübbens als Eigenes empfunden und angenommen
werden kann.
III. Wandel
städtischer Identität – Schlussfolgerungen
Abschließend
möchten wir auf die eingangs gestellte Frage zurückkommen, inwiefern der
Bedeutungswandel der untersuchten Orte nach der Wende durch gestalterische
Eingriffe oder deren Unterlassung Schlussfolgerungen für den zukünftigen
Umgang mit öffentlichem Raum zulässt. Diese Frage gewinnt umso mehr an
Aktualität als viele Städte in den östlichen Bundesländern von Schrumpfung
betroffen sind.
In Zeiten der Schrumpfung sind die öffentlichen Räume kein Luxusobjekt,
ist ihre Gestaltung nicht ein freiwilliger Kostenfaktor, der weggespart
werden kann. Im Gegenteil, der Pflege der Identitätsfaktoren der
Innenstadt kommt ein besonderes Gewicht zu, denn mit der Gestaltung
der zentralen Räume hat die Stadt die Chance, sich Raum im Sinne einer
aktuellen Selbstvergewisserung anzueignen. Es ist daher zu fragen, welche
Formen des Umgangs mit öffentlichem Raum Bindekräfte entfalten können, die
eine positive Identifikation mit der Stadt auch unter den Bedingungen der
Schrumpfung erlauben.
Die Betrachtung der unterschiedlichen Beispiele zeigt, dass ein positiver
Umgang mit öffentlichem Raum zu einer Vielfalt von Aneignungsformen führen
sollte. Die anzustrebende Komplexität des Öffentlichen hat dabei mehrere
Aspekte, als deren wesentlichste wir Nutzungsvielfalt, eine
durch Partizipation vermittelte Gestaltung und die Notwendigkeit
der Repräsentation anführen möchten. Während Nutzung den Gebrauchswert
des öffentlichen Raumes in einem sehr dinglichen Sinne benennt, ist mit
Partizipation die Aneignung des Raumes durch den Einzelnen im Sinne eines
ganz konkreten Anteilnehmens gemeint. Für die Gestaltung öffentlicher
Räume bedeutet dies, dass der Einzelne nicht nur als Benutzer, sondern
gerade auch mit seinen sinnlichen und ästhetischen Bedürfnissen durch die
Gestaltung angesprochen werden muss. Vermittlungsprozesse sind an dieser
Stelle häufig unerlässlich. Zum dritten geht es aber nicht allein um eine
„Anpassung an den Einzelnen“. Als eine wesentliche Aufgabe verbleibt
unseres Erachtens dem öffentlichen Raum die Re-Präsentation der
Gemeinschaft. Die Stadtgesellschaft als Gemeinwesen ist ihrer Natur nach
ein Abstraktum, das allenfalls zu besonderen Anlässen gegenwärtig ist. Der
öffentliche Raum hat unseres Erachtens daher die Aufgabe, durch Zeichen
und Symbole eine Gemeinschaft zu repräsentieren, d.h. zu vergegenwärtigen,
die über die Sphäre des Einzelnen und Privaten hinausgeht. Die drei
genannten Aspekte können dabei nicht isoliert voneinander betrachtet
werden. Nur ihre gleichzeitige Berücksichtigung trägt dazu bei, den
öffentlichen Raum als komplexes gesellschaftliches Phänomen zu erhalten.
Kommerzialisierung als Nutzungsstrategie – Kulturverlust oder
Aneignungsform?
Räume des Bedarfs waren in der DDR als Identifikationsorte geeigneter als
die repräsentativen Haupträume der Stadt. Zur kommerziellen Funktion kam
häufig jedoch, wie beim geplanten Kulturhaus Erfurt, auch ein kultureller
Schwerpunkt als Mittelpunkt der Stadt hinzu. Die Zentren einer
Arbeiterkultur dienten zwar auch repräsentativen Zwecken, waren
jedoch, anders als die Paradeplätze und Demonstrationsrouten durchaus in
der Bevölkerung verwurzelt. An den Wunsch nach einer kulturellen Identität
gilt es unseres Erachtens anzuknüpfen.
Die Verlagerung des Theaterstandortes in Erfurt dient einer
Innenstadterweiterung auf einer ehemaligen Produktionsfläche, so dass die
Kommerzialisierung des Angers keiner „Entkulturalisierung“ der Innenstadt
gleichkommt. Andernorts, wie beispielsweise in der Kleinstadt Prenzlau,
mussten die ehemaligen Kulturzentren in der Innenstadt jedoch ganz dem
Kommerz weichen. Im ehemaligen Kinosaal in der Friedrichstraße, der von
den Neustrelitzer Bühnen regelmäßig für Gastspiele genutzt wurde und
Aufführungsort des Staatlichen Estradenorchesters des Bezirks
Neubrandenburg mit Sitz in Prenzlau war, befindet sich heute, unter
eingezogener Zwischendecke, ein Discounter. Kulturelle Veranstaltungen
sind in ein ehemaliges Kloster am Rande der Innenstadt umgezogen. Der
Bedeutungsverlust der Friedrichstraße wird in Prenzlau von den Bewohnern
deutlich als solcher wahrgenommen und zutiefst bedauert.
Wie die Beispiele
Chemnitz und Erfurt zeigen, leistet die Kommerzialisierung der
innerstädtischen Räume jedoch auch einen wichtigen Beitrag zur (Wieder-)Aneignung
der Innenstädte durch die Bewohner. Nur durch ein entsprechendes
Kaufangebot kommen die Kauf- und Schaulustigen in die Innenstädte. Wir
sehen eine direkte Abfolge der Funktion des Kaufens, des Brauchens und
Gebrauchens von Stadt, dem Anteilnehmen an und der Identifikation mit der
Stadt. Die Kommerzialisierung ist insofern eine Aneignungsform, die zur
Identifikation mit der Mitte der Stadt beiträgt.
Die
Ambivalenz von Partizipation und Gestaltung
Eine
Wegnahme der durch die Veränderung des politischen Systems negativ
besetzten Bedeutung und die Auslagerung kultureller und anderer
gesellschaftlicher Institutionen mit dem Ergebnis einer reinen
Kommerzialisierung und Ästhetisierung des öffentlichen Raumes sind auf
Dauer und gerade unter den Bedingungen der Schrumpfung nicht tragfähig.
Nur eine neue Aufladung mit Bedeutung – beispielsweise als Standort
wichtiger städtischer und kultureller Institutionen –, welche gleichzeitig
als Partizipationsbewegung durch die Bevölkerung mit vollzogen wird, kann
gemeinschaftliche Räume schaffen, welche im anstehenden
Schrumpfungsprozess als Ankerstrukturen dienen können. Den Ankerstrukturen
kommt die Aufgabe zu, Gewissheit, Sicherheit und ein Ziel, auf das hin
geschrumpft wird, zu vermitteln. Dabei wird Bedeutungshaftigkeit
wesentlich durch die Komplexität der Gestaltung gesichert, die lokale
Eigenheiten ebenso einbinden sollte wie historische und repräsentative
Elemente.
Die Teilhabe am Gestaltungsprozess ist, wie das Beispiel des Lübbener
Marktplatzes zeigt, eine wichtige Form der Aneignung, die mit den
gestalterischen Absichten und Ansprüchen der Planenden und Entwerfenden
vermittelt werden muss, ohne gestalterische Qualität in Frage zu stellen –
zugegebenermaßen ein Spagat.
Ein Plädoyer
für Repräsentation
Welche Rolle
spielen bei einer Neugestaltung die ästhetischen Vorgaben der 90er Jahre,
die nicht den kleinteiligen Bedarfsraum nachbilden, sondern Ähnlichkeiten
mit den politisch aufgeladenen Paradeplätzen der DDR zu besitzen scheinen?
Ist die Ablehnung einer Gestaltungsmaßnahme wie derjenigen am Erfurter
Anger ein Indiz dafür, derartige Projekte in Zukunft besser sein zu
lassen? Oder müsste die Aufgabe von Partizipation nicht vielmehr darin
liegen, die Vorzüge einer Gestaltung deutlicher zu vermitteln, die für
eine nutzbare und „erwartungsvolle“ Leere plädiert?
Wird aus der Kritik der Leere die Konsequenz gezogen, Gestaltung
nur noch auf das offenkundige Bedürfnis nach Kleinteiligkeit
zuzuschneiden, so besteht unseres Erachtens die Gefahr, das Öffentliche
dem Bedürfnis nach Privatheit, auch im städtischen Raum, zu opfern. Der
repräsentative Auftritt einer abstrakten Institution, sei es der Stadt
oder der Demokratie, ist wesentlich für die Selbstvergewisserung einer
Gesellschaft. Maurice Halbwachs sprach von einer „Macht des materiellen
Milieus“, welche das Andenken an eine Gruppe bewahrt. [M. Halbwachs: Das
kollektive Gedächtnis, FfM, 1985, S. 127] In einer schrumpfenden
Gesellschaft wird es auch gerade darum gehen, an die Zugehörigkeit des
Einzelnen zu einer Gemeinschaft zu erinnern und sich dafür entsprechender
Zeichen zu bedienen.
Gerade die Leere als Unbestimmtheit garantiert eine vielfältige
Nutzbarkeit der städtischen Innenräume und ist repräsentativ aufladbar.
Leere und Zurücknahme können, demokratisch motiviert, als
Repräsentationsfigur interpretiert werden. Dabei geht es darum, bindende
Elemente vorzugeben, die einen Rahmen aufspannen, der in sich Freiheit
birgt und vielfältige Aneignung ermöglicht.
Abschließend sei an ein Schlagwort der arte povera erinnert, die
intendierte, so einfach wie möglich zu sein, koste es was es
wolle. Die öffentliche Unbestimmtheit und Ungewissheit ist
Voraussetzung dafür, dass der städtische Raum soziale Kommunikation und
Qualifizierung stiften kann, Ort potenzieller Begegnung wird. Nur unter
Ausschöpfung aller zur Verfügung stehender Mittel kann der öffentliche
Raum seiner Funktion, zur Förderung sozialer Kompetenz beizutragen,
gerecht werden.
Wir danken den Stadtverwaltungen und Stadtarchiven Chemnitz, Erfurt,
Neustrelitz und Prenzlau für
die Bereitstellung von Plänen, Abbildungen und Informationen. Unser Dank
gilt insbesondere auch unseren Gesprächspartnern vor Ort:
Gregor Torsten Kozik, Chemnitz
Dieter Schmitten, Chemnitz
Paul Börsch, Erfurt
Klaus Thomann, Erfurt
Bernd Sikura, Leipzig
Andreas Wolf, Leipzig
Christian Peters, Neustrelitz
Klaus Köhler, Prenzlau
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