Zur Sprache bringen
Eine Kritik der Architekturkritik

7. Jg., Heft 2 (Januar 2003)    

 

___Wilfried Dechau
Stuttgart
  Graubuch

 

 

Seit bald einem Vierteljahrhundert müh’ ich mich in Wort und Bild um die Architektur, investiere meine Kraft in eine Zeitschrift, die sich (– und das ist der kleine Pferdefuß – leider nur) an Architekten wendet. Ich mache mir längst keine Illusionen mehr darüber, ob und was (und wen) ich mit meiner Arbeit überhaupt erreiche. Denn selbst innerhalb der Profession wird die Botschaft einer Fachzeitschrift nur von jenen vernommen, die man gar nicht mehr erreichen müsste, weil sie ihren Beruf als Berufung empfinden. Aber die große Mehrheit der Architekten scheint alle guten Vorsätze, alles Wissen, alles Talent und alles Können unmittelbar nach dem Diplom über Bord geworfen zu haben, um nur noch nach der Devise »Wie hätten’s denn gern« zu arbeiten. Diese Spezies Architekt ist von Fachzeitschriften nur noch peripher zu erreichen – eher noch von den Blättern der Bausparkassen.

Neulich hatte ich eine Sonntagsrede zu halten. Die Festrede zur Verleihung des Hugo-Häring-Preises in Esslingen. Allein – mir war nicht nach Sonntagsreden zumute. Und das, obwohl doch die Auswahl zum Hugo-Häring-Preis höchst erfreulich war. Es gibt sie ja durchaus noch, die gute alte Baukultur, sehenswert, liebenswert, lobenswert und preisenswert.

Da könnte ich mich doch beruhigt zurücklehnen, könnte aufatmen, mich wieder in den Elfenbeinturm begeben und die Augen davor verschließen, dass sich die paar wenigen, wirklich gelungenen Bauten gegen all das, was zeitgleich gebaut und lieber nicht Architektur genannt werden sollte, kaum behaupten können.

Ich stelle mir vor, ich sei auf dem Weg zu einem jener prämierten Bauten, ich stelle mir vor, wie ich durch die Lande fahre. Und lasse Revue passieren, was ich dabei alles zu sehen bekomme.  Und ich weiß, dass es ein Spießrutenlaufen sein wird, weiß, dass ich – per aspera ad astra – viele, viele Neubauten sehen werde, die ich lieber nicht hätte sehen mögen. Aber ich kann halt nicht mit Scheuklappen durch die Lande fahren – wenngleich ich das manchmal schrecklich gern täte.

Bei einem Architekturpreis – sei es der Hugo-Häring-Preis, der Balthasar-Neumann-Preis, der Deutsche Architekturpreis... – geht es selbstverständlich nur um das Hervorragende, das Vorbildliche, das Nachahmenswerte. Wer wollte sich bei einem Architekturpreis jener Bauten annehmen, die man auch sonst lieber geflissentlich übersieht.

Jede Jury ist bemüht, die Spreu vom Weizen zu trennen, denn selbst unter den Bauten, die zu einem renommierten Architekturpreis eingereicht werden, gibt es unter qualitativen Aspekten eine große Bandbreite.

In der Regel rutscht im ersten Jury-Rundgang etwa die Hälfte der eingereichten Arbeiten – fast diskussionslos – aus dem Verfahren. Nicht etwa, weil es schlechte Bauten wären, sondern deshalb, weil andere einfach besser sind.

In der Redaktion einer Architekturzeitschrift geht es natürlich so ähnlich zu. Was vor den Augen der verwöhnten Redakteure keine Gnade findet, fällt durch den Rost. Und schließlich kommt nur das Vorbildliche, das Hervorragende, das nicht Alltägliche ins Heft – warum sollte es in einer Architektur-Redaktion anders zugehen als bei der Jurysitzung eines Architektur-Preises?

Einerseits ist das verständlich – wer wollte schon all das, was ihm landauf landab bereits als gebaute Realität bis zum Abwinken zugemutet wird, noch einmal auf dem Papier sehen? Andererseits entsteht daraus eine schizophrene Situation: Architekturkritiker widmen ihre Aufmerksamkeit ausschließlich, ausschließend einigen wenigen, a priori für kritikfähig, kritikwürdig gehaltenen Bauten. Architekturkritik als Disziplin setzt sich in freiwilliger (oder, was noch schlimmer wäre, in unbemerkter, unreflektierter) Selbstbeschränkung mit einem nur verschwindend kleinen Teil des gesamten Bauvolumens auseinander. Der überwiegende Rest, jener Rest, der unsere gebaute Umwelt allumfassend prägt, wird ignoriert, ausgespart, links liegen gelassen.

Auf dem Papier ist das ganz leicht möglich. In der Realität hingegen will es einem nicht mehr gelingen. Dort ist man unerbittlich all den anheimelnd gemütlichen Scheußlichkeiten ausgesetzt. Am schlimmsten ist dabei eigentlich zu wissen, dass sie nicht vom Himmel gefallen sind. Sie wurden von Leuten entworfen, gezeichnet, detailliert und schließlich gebaut, die während ihres Studiums an Hochschulen, Fachhochschulen und Kunstakademien ganz sicher etwas anderes gelernt haben, als Krüppelwalme und Fachwerk-Garagen zu zeichnen.

Es ist an der Zeit, den Elfenbeinturm zu verlassen, die Scheuklappen abzulegen und sich mit jenen, viel zu lange stillschweigend geduldeten Phänomenen zu befassen, die den Charakter und die Atmosphäre unserer gebauten Welt prägen.

Es ist an der Zeit, über ein Schwarzbuch, ein Schwarzweißbuch, wie Karl Ganser es nennt, oder besser: über ein Graubuch nicht mehr nur nachzudenken, sondern zu handeln.[1]

Lassen Sie mich das Graubuch aufschlagen.

 

Kapitel 1: Die Landpartie

Über Land zu fahren und immer wieder Bauten im Original anzuschauen, die mir aufgrund der ersten – durch Fotos vermittelten – Eindrücke bemerkenswert schienen,  zählt zu meinem Alltag als Redakteur einer Architekturzeitschrift. Fotos allein können nur begrenzt Zeugnis von dem ablegen, was sich dem Auge direkt bietet. Also muss ich, bevor es zu einer Publikation kommt, auf jeden Fall verifizieren, ob die Realität dem standhält, was die Fotos versprachen. Aber bevor ich mein Reiseziel erreiche, muss ich – am Wegesrand – so einiges mit ansehen, was ich mir lieber erspart hätte. Jedes Mal das gleiche Ritual. Egal, ob ich durch Bayern, Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern oder sonst wo fahre. Mit jeder weiteren Reise wird mir das ungeheure Missverhältnis umso schmerzlicher bewusst. Und ich frage mich, ob wir dafür einhunderttausend Architekten brauchen, das heißt pro tausend Einwohner einen Architekten. Das entspricht ziemlich genau der statistisch durchschnittlichen Anzahl potenzieller Patienten eines praktischen Arztes.

Irgendwann platzte mir der Kragen und ich begann – zunächst recht wahllos – immer mal wieder anzuhalten, um den ganz normalen Wahnsinn auf die Platte zu bannen. Und dort nicht etwa zu verbannen, sondern in die Öffentlichkeit zu tragen – oder doch wenigstens in die Fachöffentlichkeit. Denn: »Wer das Schlimme einer Sache nicht anzugreifen sich getraut, verteidigt das Gut nur halb...« (Robert Schumann, 1834).

Natürlich bezog Schumann das auf die Musik, nicht auf Architektur. Aber was macht das für einen Unterschied?

Seit 1994 wird – stellvertretend für die große Masse nie publizierter Bauwerke – jeweils eines dieser Fotos im Heft auf der letzten Seite abgedruckt. Immer begleitet vom gleichen Text:

»Unsere Städte, Dörfer, Landschaften werden vor allem von jenen Bauten geprägt, die nicht in Architekturzeitschriften veröffentlicht werden. Gezeigt wird eher die Ausnahme denn die Regel, eher das Bonbon denn das Schwarzbrot. Dadurch entsteht auf dem Papier ein geschöntes Bild der Wirklichkeit. Um dieses Bild wieder etwas gerade zu rücken, zeigen wir (jeden Monat) auf dieser Seite, wie der Alltag wirklich aussieht

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Dieses Einfamilienhäuschen fand ich in Pforzheim. Wie gut, dass die Dachdecker mit der Flex schaffen... Das Postamt mit Einliegerwohnung in der Mansarden-Ecke steht in Büningstedt, irgendwo in der Gegend zwischen Hamburg und Segeberg, ...
 
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... das Wohn- und Geschäftshaus unübersehbar in Neheim-Hüsten, im Sauerland

 

Dieses verquaste Gebäude wurde sensibel in die Fachwerk-Umgebung von Aalen, Baden-Württemberg, eingefügt. Mein Kollege Peter Davey von der englischen Zeitschrift Architectural Review fand es in der db und fand es passend für seine Rubrik »Outrage«. Das ist das Pendant zu unserer letzten Seite.
 

 


 

Kapitel 2: »Schön, schöner, Schönaich«

Um den Vorwurf zu entkräften, mit der monatlichen Realsatire doch nur das Abscheulichste aus der ganzen Republik gesammelt und vorgeführt zu haben, konzentrierten wir uns auf einen Ort und widmeten diesem ein ganzes Themenheft:

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Titelseite db 8/95 Schönaich 

Dass es ausgerechnet Schönaich wurde, ist nicht von Belang. Schönaich ist nicht mehr und nicht weniger aus dem Leim gegangen wie andere Dörfer auch.

Es ist weder schön – Namen sind Schall und Rauch – noch besonders hässlich. Es steht pars pro toto für unendlich viele ausufernde Dörfer und zerfranste Stadtrandsiedlungen. Wir hätten uns genauso gut mit Fellbach, Bobenheim-Roxheim, Erbach im Odenwald oder Erbach im Saarland befassen können.

Unendlich viele Orte vor allem in den großen Ballungsräumen der Republik sind oft binnen weniger Jahrzehnte mehr gewachsen als in all den Jahrhunderten ihrer meist langen Geschichte. Je besser sie mit dem Auto zu erreichen sind, umso hemmungsloser lief das Wachstum ab in der Regel.
Ein fatales System, das sich nicht der wiederentdeckten Landliebe der neu Hinzugezogenen verdankt, sondern einem gut gemeinten, letztlich aber verheerenden fiskalischen Prinzip: der Eigenheimzulage.

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Die Einfamilienhäuser gleichen – weil jeder Quadratmeter vom Keller bis unters Dach genutzt wird – oft mehr einer Trutzburg als einem Wohnhaus. Hauptsache, man kann drum herum gehen...
 
Die Grundrisse folgen gnadenlos den womöglich ungünstigen Zuschnitten der Grundstücke. Es wird nix verschenkt. Egal, wie’s hinterher aussieht.
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Was vermutlich mediterran und anheimelnd werden sollte, geriet hier zur Dachpfannen-Orgie par excellence. Und so etwas kommt heraus, wenn versucht wird, ein fünfgeschossiges Gebäude durch Dachkunststücke optisch auf das Format eines zweigeschossigen Hauses schrumpfen zu wollen.
 

 


 

Kapitel 3: »Tag der Architektur«

Oder: Ein jeder blamiert sich, so gut er kann.

Die Bauten, die wir zum einen im Schönaich-Heft und zum anderen jeden Monat auf der letzten Seite zeigen, tragen keinen Urhebervermerk. Es geht um das Phänomen selbst und nicht darum, einen Pranger zu inszenieren. Aber seit einigen Jahren mache ich die Beobachtung, dass meine Diskretion offenbar völlig überzogen ist. Alle Jahre wieder erscheinen dicke Broschüren – gefüllt mit Bauten, die am Tag der Architektur besichtigt werden können.

Ich könnte die Rubrik »Alltag in...« auf lange Sicht ausschließlich mit den Bauten füllen, die in Nordrhein-Westfalen beim Tag der Architektur teilnehmen. Dennoch bringe ich es nicht fertig, davon – einschließlich Namensnennung – in der Zeitschrift Gebrauch zu machen. Vielleicht verschlägt mir die Dreistigkeit, mit der manche Architekten ihre Machwerke als Architektur ausgeben, immer wieder die Sprache.

Einige dieser Bauten möchte ich Ihnen vorstellen. Sie stammen aus dem Jahrgang 1997. Die Jahrgänge 98, 99, 2000 und 2001 sind nicht besser gewesen. Auch der Jahrgang 2002 nicht, obwohl es – für Nordrhein-Westfalen erstmalig – sogar eine Auswahlkommission gegeben haben soll. Ich nenne Ihnen auch die Namen der Urheber – denn ich zitiere ja aus der wohlmeinenden Broschüre zum Tag der Architektur.

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Dipl.-Ing. Eckehardt Dieckmann aus Mettingen nahm mit diesem Einfamilienhaus in Ibbenbüren 1997 am Tag der Architektur teil. Besonders hervorzuheben sind »die Ausbaureserven im Dachgeschoss« und »die Thermo-Außenhaut mit Strukturputz«.
 
Dipl.-Ing Horst F. Ranke aus Iserlohn hat dieses – wie er sagt – »familiengerechte Wohnhaus mit Zubehör« in Menden gebaut und nahm damit ebenfalls 1997 am Tag der Architektur teil.
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Dipl.-Ing. VFA Günter Krügerke aus Oerlinghausen baute das »Einfamilienwohnhaus mit Esserker, Wintergarten und Garage auf einem Eckgrundstück in bevorzugter Wohnlage von Bielefeld. Er nahm damit 1997 am Tag der Architektur teil. Der Architekt Dieter Stockart aus Saarlouis baute dieses Wohnhaus in Saarlouis. Er nahm damit 1997 am Tag der Architektur teil. Ich möchte Ihnen den Erläuterungstext aus seiner Feder nicht vorenthalten:
»Das Gestalten des Wohnens wird in der Gebäudeform ausgedrückt durch eine sich ergänzende Formensprache, welche die positive Offenheit der heutigen Zeit dem Betrachter zu erkennen gibt. Eine Architektur zur zeitgemäßen Denkweise, und die mittels bewusst konstruierter Feinheiten Klarheit und Aufstreben vermitteln soll. Die in sich verlaufenden Betrachtungszonen erreichen mit den verwendeten Materialien sowie den verschiedenartigen Gegensätzen eine geschliffene Gesamtheit, die von jedem Standpunkt aus betrachtet so anziehend wirkt, dass ein ständiges Zurückkehren an den Ausgangspunkt immer wieder neue Eindrücke aufkommen lässt.«
 

Ein jeder blamiert sich eben, so gut er kann.


Kapitel 4: »Häusle in der Werbung«

Oder: Wo kommen die Vorbilder her? Ja, wenn ich das wüsste...
Ich kann nur versuchen, sie aufspüren und zu protokollieren, wo ich sie entdecke.

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Wenn ich zum Beispiel ein solches Anzeigenmotiv sehe »Profil für Planer-Perspektiven ... Ästhetik mit System«, dann habe ich damit ja keineswegs die Quelle ausgemacht. Sondern nur etwas entdeckt, von dem ich weiß, dass es seine Wirkung haben wird. Ob es mir lieb ist oder nicht, so ein Bild wirkt geschmacksbildend oder auch -verbildend, wird damit selbst zum Vorbild. Auf welche Kette von älteren Vorbildern es rückverweist, ist schwer auszumachen.
 
Hier hingegen ist die Botschaft einfach: Edle Gebäude benötigen natürlich einen »edelputz« ...
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... und für »kreative Fassaden-Architektur« braucht man Fassaden-Steine von Kann. Wer kann, der kann... Auf der Titelseite der Firmenzeitschrift eines Fensterherstellers macht sich ein Gebäude mit vielen und vor allem aparten Fenstern natürlich ganz besonders gut...
 
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... und einer Zeitschrift für die Bauwirtschaft scheint es vor allem wichtig zu sein, dass gebaut wird – egal was. In der Zeitschrift »bauen«, Heft 8/9/2000 wird dieses Ungetüm präsentiert – wahrscheinlich nur, um einen neuen Betondachstein eines Produzenten vorzustellen.
 
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Dies ist kein Werbefoto eines Mauerziegelherstellers. Nein, dies ist das Haus eines Politikers, der mit seinem Neubau ganz sicher weder eine baukulturelle Großtat vollbracht, noch einen Architekturpreis bekommen hat. Es ist das Haus von Bodo Hombach. So abgebildet im Spiegel 33/1999.

So ein mieses Machwerk eines Provinzbaumeisters hätte keine Chance, je in einer Architekturzeitschrift vorgeführt zu werden – es sei denn, auf der letzten Seite.

Aber einmal im Spiegel – schon ist es salonfähig.
 

Nicht im Spiegel – aber als Vergleichsmaßstab für ästhetische Urteile womöglich viel tiefer im Unterbewusstsein: die Scheinwelten der Modelleisenbahn. Die ja durchaus nicht Abbild der Welt draußen, sondern Abbild der Innenwelten, der Traumwelten sind. Wo gibt es denn noch solch einen unverdorbenen, nicht von brutalen Umbauten, Automaten und fetten Neonschriftzügen versauten Bahnhof? ...
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... oder so ein liebenswürdiges Siedlerhäuschen ohne nachträglich eingebaute Aluminiumdruckgusstür, Rollladenkästen und Wärmedämmputz-Fassade? In den Katalogen der Zulieferer für die Modellbau-Welten findet sich zwar auch die Moderne – Siegel: »Architektur-Modell Future line« – aber welch ein herber Spiegel wird uns Architekten da vorgehalten...
 
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... da heißt es zwar »Großzügig gestaltete Bauten, perfekt bis ins Detail. Postmoderne Architektur, die auch ins historische Stadtbild passt. Wieder ein Grund mehr, sich für Vollmer – so heißt die Firma – zu entscheiden.«

Aber ich fürchte, das Siedlungshäuschen, das ich vorhin zeigte, wird dutzendfach häufiger verkauft als diese biedere Architekturware von der Stange der Endsiebziger.

 

  

 

Kapitel 5: »Ach, das sind doch alles nur Fertighäuser«

Oder: Wie man sich durch Wegsehen etwas in die Tasche lügen kann.

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Der Bundesverband Deutscher Fertigbau wirbt mit dem Slogan »Genug geträumt, jetzt wird gebaut.« Das Haus auf dem Bild ist zwar nicht gerade eine Perle, aber der Fertighausindustrie in die Schuhe schieben zu wollen, dass die Ausuferungen der Ortschaften so unappetitlich aussehen, ist ungerecht ...
 
... dieses Haus ist keineswegs ein Fertighaus, nur ein Fertigentwurf. Das ist ein großer Unterschied.
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Und auch dieses ist kein Fertighaus. Auch dieses Haus stammt aus derselben Schublade. Im Prinzip ist ja zunächst einmal nichts dagegen einzuwenden, wenn altes Formenrepertoire wieder aufgegriffen wird. Aber beherrschen sollte man es schon, bevor man es tut. Jeder Baumeister des 19. Jahrhunderts würde sich angesichts so schwergewichtiger Proportionsmängel noch im Grabe umdrehen.
 

Die Oberschlaumeier verkaufen ihren Schrott unter dem Label »Stil Haus – das andere Haus«. In Berlin, Baden-Baden, Dresden, Leipzig....

Und sie verweisen darauf, dass in diesen Entwürfen 30 Jahre Planungserfahrung vereint seien. Frechheit siegt.

 



Kapitel 6: »Was hätten’s denn gern

Oder: Wie sich eine Zunft selbst disqualifiziert.

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Dieses Foto schickte mir ein Architekturfotograf – ausdrücklich für die Rubrik »Alltag in...«

Auf den ersten Blick war ich überrascht, denn was ist dagegen zu sagen, wenn jemand ein hundsnormales Scheibchen Reihenhaus baut? Ist doch in Ordnung. Doch wo der Schuh drückt, sieht man rechts im Bild bzw. auf dem nächsten ...

 

... etwas deutlicher:

In Versform bekommen wir die Haltung des Architekten Ludwig Eierhoff präsentiert (ich zitiere):

»Bei der LE kümmert sich der Architekt persönlich um die Kunden –
Treten Mängel auf – ist er auch nicht wie so oft verschwunden.«
Und:
»Ob Fachwerk – Flach- oder Türmchenbau –
Die Wünsche des Kunden – nimmt der Architekt sehr genau.«
 

Mir ist zwar bewusst, dass der Architekt einen Dienstleistungsberuf ausübt – aber muss man sich dafür so weit verbiegen? Da wär’s doch besser, sich den Lebensunterhalt als Taxifahrer zu verdienen. Ludwig Eierhoff und all seinen Gesinnungsgenossen, die gar zu schnell vergaßen, was sie während des Studiums gelernt haben, rufe ich zu: Hört auf zu bauen!

Mit der provokanten Aufforderung »Hört auf zu bauen hatte übrigens Wolfgang Kil einen Vortrag an der Bauhaus-Universität Weimar betitelt. Ich denke, er wird mir verzeihen, dass ich den Titel für diese Zwecke entliehen habe.

 

Kapitel 7: »Verbindliche Aussagen zur Baugestalt«

Oder: Felix Bavaria? Glückliches Bayern?

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Hunstein Verbindliche Aussagen zur Baugestalt

Rechtzeitig zur ersten Münchener Architekturwoche im Juli 2002 erschienen die von Stefan Hunstein gelesenen »Verbindlichen Aussagen zur Baugestalt« als CD-ROM. Das schlichte, aber überzeugende Fazit der sensibel zusammengestellten, wörtlichen Zitate (überwiegend aus der Bayerischen Bauordnung) lautet: Baukultur muss man nicht erst erfinden. Man muss sie vor allem wollen. Ist der Wille nicht da, hilft nicht einmal die Bayerische Bauordnung, in der es zum Beispiel heißt:

»Die Baugestaltung und der Schutz der gebauten Umwelt sind tragende Elemente eines geordneten Gemeinwesens und dienen dem Menschen. Baukultur ist Ausfluss des Verfassungsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 BV ›Bayern ist ein Kulturstaat‹. Der Schutz baulicher Anlagen und des Orts- Straßen- oder Landschaftsbildes gegen baugestalterische Beeinträchtigungen ist deshalb ein hohes Rechtsgut

In der Bayerischen Bauordnung heißt es in Art. 11 Absatz 2, Satz 1: »Bauliche Anlagen sind nach den anerkannten Regeln der Baukunst so durchzubilden und so zu gestalten, dass sie nach Form, Maßstab, Verhältnis der Baumassen und Bauteile zueinander, Werkstoff und Farbe nicht verunstaltend wirken.«

Absatz 2, Satz 1, Baugestaltung: »Bauliche Anlagen sind mit ihrer Umgebung derart in Einklang zu bringen, dass sie das Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild oder deren beabsichtigte Gestaltung nicht verunstalten

Tag der Architektur in Nordrhein-Westfalen und im Saarland. Baukultur in Bayern. Bayerische Bauordnung. Aber wir sind ja hier in Brandenburg. Hier muss man die Baukultur nicht durch Bauordnungen erzwingen, oder? Soll ich anfangen, von Schwedt, Frankfurt/Oder und Kyritz an der Knatter zu erzählen? Hätte ich Fotos aus Cottbus zeigen sollen?


[1] Der Begriff Graubuch scheint mir treffender, weil damit deutlicher zum Ausdruck kommt, dass es nicht nur um die totalen Architektur-Entgleisungen geht, sondern eher um all jene Bauten, die hart an der Schmerzgrenze vorbeischliddern.
 


Literatur


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