Thema
5. Jg., Heft1
Juli 2000

Christoph Cornelißen

Das Deutsche Reich auf den Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts*

Als im Jahre 1851 der in London weilende deutsche Revolutionsemigrant Lothar Bucher die dortige Industrieausstellung besuchte, mit der der Reigen der Weltausstellungen im 19. Jahrhundert eröffnet wurde, konstatierte er trocken: "Ein Deutschland gibt es im Hydepark nicht." Die Konzeption der deutschen Ausstellung sei außerdem den "Händen der Bureaukratie" überlassen worden, mit dem Erfolg, daß der "heitere Tempel der Industrie in ein verdrießlich bestaubtes Archiv von Zollvereinsakten verwandelt wurde". Rund sechs Jahrzehnte später stellte sich die Lage ganz anders dar. Deutschland präsentierte sich auf der 1910 in Brüssel abgehaltenen Weltausstellung als einer der bedeutendsten Aussteller unter den teilnehmenden Nationen, was einen Kommentator in den damals viel gelesenen "Westermanns Monatsheften" zu der Bemerkung veranlaßte, daß der "deutsche Idealismus" den romanischen Völkern einen gehörigen Schreck eingeflößt habe. Deutschland stehe heute da wie ein Block, "wie fleischgewordener Wille zu einer germanischen Kultur und einem Stil des 20. Jahrhunderts".
Diese Beobachtungen sollen den Anlaß geben, sich mit dem Typus einer massenkulturellen Veranstaltung näher zu beschäftigen, der eine eigentümliche Faszination auf ein millionenfaches Publikum schon im 19. Jahrhundert ausgeübt hat und der auch noch am Ende des 20. Jahrhunderts eine große Anziehungskraft aufzuweisen scheint. Mit einer Reihe von systematischen Fragen soll der deutsche Anteil an den Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts einer kritischen Bewertung unterzogen werden. Dies umfaßt, einleitend, einen kurzen Überblick über einige Grundzüge der Weltausstellungsgeschichte. Er werden sodann einige ausgewählte politische Aspekte der Selbstdarstellung einer - in den umstrittenen Worten Hellmuth Plessners - "verspäteten Nation" untersucht. In welcher Form äußerte sich das Problem der politischen Einheit der Deutschen vor und nach Gründung des Deutsches Reiches auf der Bühne der Weltausstellungen und welche Entwicklungstendenzen zeichneten sich im Untersuchungszeitraum bis 1910 ab? Abschließend sollen eine Reihe von Überlegungen der deutschen Ausstellungsmacher zur kulturellen Darstellung des Deutschen Reiches herausgestellt werden. Im Hinblick darauf steht die Repräsentation der politischen Kultur im Vordergrund. Mit welchen Mitteln konstruierten die Ausstellungsmacher eine spezifisch "deutsche Kultur" und welcher bildlicher und symbolischer Ausdrucksformen bedienten sie sich hierbei?
Mit den genannten Punkten wird auf Forschungsfragen verwiesen, die in der jüngeren Nationalismusforschung ein wachsendes Interesse erfahren haben, zumal im Hinblick auf die konstitutive Rolle der Feindschaft in der Geschichte der Nationsbildung im 19. Jahrhundert. In diesem Zusammenhang wird hier die These vertreten, daß sich Weltausstellungen, die zeitgenössisch zunächst als "bürgerliche Feste des Friedens" apostrophiert worden sind, in einem ausdrücklichen Gegensatz zu ihrer ursprünglich gedachten Funktion entwickelten. Sie wurden zu einem Forum der massenweisen Vermittlung von national bestimmten Fremd- und Selbstbildern, aber eben auch von Feindbildern seit der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Obwohl das internationale Ausstellungswesen seit den 1950er Jahren in der angelsächsischen, dann seit den 1970er Jahren auch in der deutschen Technik- und Sozialgeschichte eine Berücksichtigung erfahren hat, sind die hier angesprochenen Fragen zunächst weitgehend vernachlässigt worden (Vgl. John Allwood, The Great Exhibitions, London 1977. Siehe aber auch die vielfältigen Hinweise bei Evelyn Kroker, Die Weltausstellungen im 19. Jahrhundert, Göttingen 1975; Werner Plum, Werner, Weltausstellungen im 19. Jahrhundert, Bonn-Bad-Godesberg. Auch heute noch grundlegend ist die Studie von Utz Haltern, Die Londoner Weltausstellung von 1851. Ein Beitrag zur Geschichte der bürgerlich-industriellen Gesellschaft im 19. Jahrhundert, Münster 1971). Erst in letzter Zeit - auch angestoßen von der Ausrichtung einer ersten Weltausstellung auf deutschem Boden - ist ein zunehmendes wissenschaftliches, aber auch publizistisches Interesse an den verschiedensten Fragen im Zusammenhang mit der Geschichte der Weltausstellung auszumachen (Statt einer vollständigen Auflistung der neuesten Literatur siehe: Eckhard Fuchs (Hg.), Weltausstellungen im 19. Jahrhundert, Leipzig 1999; Martin Wörner, Vergnügung und Belehrung. Volkskultur auf den Weltausstellungen 1851-1900, Münster 1999; Winfried Kretschmar, Geschichte der Weltausstellungen, Frankfurt a. M. 1999). Eine interdisziplinär angelegte Studie, die den vielfältigen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aspekten dieser bürgerlichen Kommunikations- und Wirtschafts-"Börse", zumal aus einer international ausgerichteten Perspektive, tiefer auf den Grund geht, bildet jedoch weiterhin ein Desiderat der Forschung.

 

Grundzüge der Weltausstellungsgeschichte

Karl Marx, der neben Bucher zu den ersten deutschen Besuchern der Londoner Weltausstellung 1851 zählte, wollte hierin nur ein Fest der Bourgeoisie erkennen, das sie in dem Augenblick veranstalte, "wo der Zusammenbruch ihrer ganzen Herrlichkeit" bevorstehe. Aus der Rückschau des Jahres 1914 wie auch späterer Zeitpunkte erwiesen sich derartige Prophetien nur als der Auftakt einer ganzen Serie bislang nicht eingetretener Untergangsszenarien. Diese haben allerdings schon früh wegen der betriebswirtschaftlich bedingten "Ausstellungsmüdigkeit" deutscher Unternehmer auch auf anderer Seite eine Resonanz gefunden. Tatsächlich jedoch entwickelten sich die Weltausstellungen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts von älteren regional und national veranstalteten Gewerbe- und Industrieausstellungen zu einer wiederholt neu aufgelegten internationalen Leistungs- und Konkurrenzschau. Diese umfaßten alleine bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs zwölf Großveranstaltungen mit insgesamt knapp 200 Millionen Besuchern.
Die anhaltende Attraktivität der Weltausstellungen war, das ist ein weiterer Gesichtspunkt, auf einen Funktionswandel der Industrieausstellungen hin zu universellen Ausstellungen zurückzuführen. Dies ließ die Vergleichsschauen nach und nach aus ihrem ursprünglichen Rahmen heraustreten. Sie erhielten derart den Charakter einer, wie es bereits 1904 in der Zeitschrift für Socialwissenschaft hieß, "Enzyklopädie der Kulturnationen", bei denen der Vergleich und die Konkurrenz auch der Systeme, etwa der Bildungs- und Sozialsysteme, zu einem Gegenstand der Präsentationen und Diskussionen gemacht wurde. Darüber hinaus erweiterten sich die Weltausstellungen immer mehr zu Stätten des Vergnügens einer aufziehenden Massenkultur.
Zuletzt ist hier die Problematik der soziokulturellen Wirkungsgeschichte der Weltausstellungen in Deutschland anzusprechen, denn eine Weltausstellung hat es hier bis zum Jahre 2000 nicht gegeben. Gleichwohl läßt sich konstatieren, daß diese Veranstaltungen in der Tradition einer bürgerlichen Festkultur im 19. Jahrhundert auch im deutschen Sprachraum eine große Resonanz erfahren haben. In diesem Zusammenhang läßt u.a. aufhorchen, daß ausgerechnet der Führer der deutschen Sozialdemokratie, August Bebel, 1893 im Reichstag das Projekt einer deutschen Weltausstellung als eine "Kulturmission" verteidigte, die dann aber am Widerstand aus Kreisen der Wirtschaft und des Kaisers scheitern sollte.

 

Die politische Repräsentation Deutschlands

Die deutschen Ausstellungsmacher des Jahres 1851 sahen sich mit dem Problem des Nebeneinanders von über 30 deutschen Einzelabteilungen konfrontiert, da sie sich im Vorfeld trotz verschiedentlicher Bemühungen innerhalb des von Preußen dominierten Zollvereins nicht auf eine gemeinsame Präsentation ihrer Produkte hatten einigen können. Diese Problematik blieb der deutschen Seite während der ersten vier Weltausstellungen bis einschließlich 1867 erhalten. Im Hinblick auf die politische Repräsentation Deutschlands lassen sich nach dieser ersten Zeitspanne zwei weitere Phasen unterscheiden, die jeweils entscheidende Abschnitte der deutschen Nationalstaatsbildung nach außen und innen, aber auch der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung widerspiegelten. Die mittlere Phase reichte von der Wiener Weltausstellung 1873 bis zu den Weltausstellungen in Paris in den Jahren 1878 und 1889, an denen das Deutsche Reich aus politischen Motiven nicht teilnahm. Das scheint insofern bis heute nachzuwirken, als die deutschen Ausstellungsmacher des Jahres 2000 in ihrem historischen Internet-Rückblick die Weltausstellung von 1878 ohne Angabe von Gründen unterschlagen. Der dritte Abschnitt der deutschen Beteiligung seit 1893, als sich Deutschland wieder an den Weltausstellungen beteiligte, stand im Zeichen des forcierten wirtschaftlichen Wachstums und dem Übergang zu einer deutschen Weltpolitik.
Für alle drei Phasen lassen sich eine Reihe spezifischer Problemlagen definieren, die sich in der politischen Repräsentation Deutschlands auf den Weltausstellungen niedergeschlagen haben. Für die erste Periode zwischen 1851 bis 1870 ist vor allem das Problem der innerdeutschen Gegensätze hervorzuheben. Denn ganz im Gegensatz zu der älteren deutschen Geschichtsschreibung, die aus der Rückschau des Jahres 1870 das Bild eines fast selbstverständlich ablaufenden Einigungsprozesses unter der Führung Preußens konstruiert hat, zeigen die Differenzen zwischen den einzelstaatlichen Kommissionen, daß eine gemeinsame Zollvereins-Ausstellung nicht gelingen konnte. Den preußischen Führungsanspruch wiesen insbesondere die deutschen Mittelstaaten, das sogenannte "Dritten Deutschland" zurück. Von dieser Seite aus formierte sich auf der Bühne der Weltausstellungen ein wiederholt energisch vorgetragener Anspruch auf die uneingeschränkte Ausübung ihrer wirtschaftspolitischen Handlungsfreiheit, bei dem der Kampf um die Ausstellungsquadratmeter ein sinnfälliges Schauspiel tief reichender Gegensätze bot.
Die für die Ausrichtung der Zollvereinsabteilung zuständigen Verantwortlichen auf der Londoner Ausstellung 1851 wollten in ihrem Bericht die Anlage dieser Abteilung zwar als Beweis dafür gewertet wissen, wie sich "unabhängige Staaten derselben Nation [...] zu allseitigem Gedeihen in ein wohlgeordnetes, sich frei bewegendes und glücklich fortschreitendes Ganzes vereinigen können.". Es ist aber letztlich überhaupt nicht zu verkennen, daß in London 1851 und auch bei den folgenden drei Weltausstellungen diese Worte mehr ein Wunschdenken als eine realistische Betrachtung der Lage widerspiegelten. So wirkte die deutsche Ausstellung in London auf unabhängige Beobachter als kaum mehr als der "Kramladen eines stark beschäftigten Eisenhändlers". Das hierin zum Vorschein tretende Problem nationaler Einheit hat namentlich im liberalen Bürgertum, zumal aus den Reihen des 1859 begründeten Deutschen Nationalvereins, Rufe danach aufkommen lassen, für die damals geplante Londoner Ausstellung "nur eine einzige, deutsche Commission" zu bilden. Aber weder zu diesem Zeitpunkt noch in Paris 1867 sollte dies gelingen. Wegen der kriegerischen und handelspolitischen Ereignisse im Vorfeld der Pariser Ausstellung erwiesen sich die Vorbereitungen hierfür sogar als besonders problembehaftet. Bekanntlich zielte Napoleon III. damals darauf ab, im Gefolge der kriegerischen Ereignisse in Mitteleuropa, Preußen durch die Einrichtung eines Bundes der süddeutschen Staaten auf eine Linie nördlich des Main zu beschränken. Auf der Ebene der Weltausstellungen äußerte sich dies darin, daß die französische Regierung schon früh neben Preußen und Österreich einen gesonderten Raum für die "états secondaires de l’Allemagne" einzurichten bestrebt war. Die sich überstürzenden Ereignisse im Gefolge des deutsch-österreichischen Krieges 1866 machte dann jedoch immer wieder Revisionen der deutschen Abteilungen notwendig. An deren Ende erschien das politische Deutschland tatsächlich in zwei gesonderten Ausstellungen der süddeutschen Staaten und Preußens in Paris.
Der Ton der Berichterstattung von deutscher Seite wandelte sich jedoch nun merklich im Vergleich zu den vorangegangenen Ausstellungen. So notierte der für die preußische Zollvereins- und Ausstellungspolitik zuständige Rudolf von Delbrück im Anschluß an die Pariser Ausstellung mit Genugtuung, "daß wir Preußen nach Königgrätz mit anderen Augen angesehen wurden, als im Jahre 1855". In die gleiche Richtung zielten die Feuilleton-Berichte der vom Bureau des Vereins der deutschen Ingenieure herausgegebenen Ausstellungszeitung. Sie kündigte schon in ihrer Probenummer vom März 1867 an, daß "Deutsche Gedankentiefe, deutscher Fleiss und deutsche Gewerbethätigkeit, deutsche Industrie und deutscher Erfindergeist [...] unserer Nation" in Paris einen hervorragenden Platz sichern lassen werde. Im weiteren Verlauf der Berichterstattung unterlag der Gedanke des friedlichen Informationsaustauschs allerdings ersichtlich dem Bestreben der national gesinnten Betrachter, jetzt endgültig die deutsche Einheit auch auf der Bühne der Weltausstellungen zum Durchbruch zu verhelfen. Ungeachtet des entschiedeneren Auftretens der deutschen Ausstellungsmacher, wie er an dieser Stelle zum Ausdruck kam, war allerdings die Tatsache nicht zu übersehen, daß Deutschland 1867 in Paris keine bedeutende Rolle einnehmen konnte. Darüber hinaus blieb das zersplitterte Erscheinungsbild erhalten, denn die süddeutschen Staaten widerstanden zunächst noch erfolgreich dem von Preußen ausgehenden Einigungsbestreben. Darüber hinaus kam in den Ausstellungen der deutschen Staaten viel "Zerfahrenheit" zum Ausdruck, und es fehlte einfach - wie im "Illustrierten Katalog" vermerkt wurde - "die höhere Auffassung", die für eine erfolgreiche Repräsentation unter den Industriellen und Gewerbetreibenden notwendig gewesen wäre.
Dieses Erscheinungsbild änderte sich erst in der zweiten Phase im Umfeld der Wiener Weltausstellung 1873, als der Staat, d.h. vornehmlich seine amtlich bestellten Ausstellungskommissare, als tatkräftige Förderer einer einheitlichen deutschen Beteiligung hervortraten. Seit dieser Zeit rückte das Motiv der Darstellung nationaler Einheit und Stärke in den deutschen Abteilungen der Weltausstellung ersichtlich in den Vordergrund. Dem Element des außenpolitischen Prestiges wurde nun eine neue Qualität zugesprochen. Es deutete sich darin eine allmähliche Verlagerung an, an deren Ende die deutsche Regierung zum "eigentlichen Unternehmer" der Ausstellungen wurde. Von den investierten staatlichen Subventionen erhoffte sie sich einerseits eine ganz konkrete Verbesserung der außenhandelspolitischen Beziehungen. Sie hob andererseits aber vor allem auch darauf ab, jetzt erstmals "als ein Volk" - so die deutschen Berichterstatter im Jahre 1873 - erscheinen zu können. Es sollte damals, wie es in bezeichnender Form für das neue Selbstbewußtsein hieß, "ein grossartiges Bild mitteleuropäischen Culturlebens" enthüllt werden. Der "Wettkampf mit dem Westen", vornehmlich der Kampf gegen Frankreich, bildete, so läßt sich sagen, die politische Kernorientierung in der zweiten Phase der deutschen Weltausstellungsbeteiligungen.
Die sich in Wien ankündigende anti-westliche Note der deutschen Abteilung erfuhr in der Absage zur Teilnahme des Deutschen Reiches an den Pariser Welt-Ausstellungen von 1878 und 1889 eine weitere Verschärfung. Im letzteren Fall war dies Teil eines allgemeinen Boykotts der europäischen Monarchien, die aus offensichtlichen Gründen einen Beitrag zu den parallel abgehaltenen Säkularfeiern der französischen Revolution vermeiden wollten. In diesem Zusammenhang kommt einem Diktat Bismarcks vom 1. November 1876 eine besondere Bedeutung zu, in dem er die eventuelle Annahme der Einladung als einen "bedauerlichen Mangel an nationalem Ehrgefühl" gewertet wissen wollte. Der Rekurs auf die "nationale Ehre" signalisierte deutlich die Ablösung des Gedanken der friedlichen Wirtschaftskonkurrenz durch eine geradezu empfindlich wirkende Nationalisierung der Ausstellungsfrage. Die Strategie des Reichskanzlers, den Nachbarn westlich des Rheins durch ein Fernbleiben von der Pariser Ausstellung zu isolieren, fand damals die einhellige Unterstützung in den Reihen der politischen Eliten des Kaiserreichs Es war dies ein Beispiel für eine von oben instrumentalisierte Politik der "Verfeindung".
Tendenzen in die gleiche Richtung wurden jedoch auch durch die Spannungsverhältnisse im Inneren der deutschen Gesellschaft hervorgerufen. So waren für die ablehnende Haltung der Reichsregierung neben den außenpolitischen "Prestigefragen" auch andere Gründe ausschlaggebend. Damit sind zum einen die Probleme der deutschen Wirtschaft gemeint, die auf der Weltausstellung des Jahres 1876 in Philadelphia geradezu ein Fiasko erlebt hatte. Nach der Eröffnung äußerte sich dies darin, daß die englisch-amerikanische Presse die deutsche Abteilung geradezu mit Spott überzog. In oftmals bemitleidender Art wurde deren Armseligkeit, die Geschmacklosigkeit sowie ihre Lückenhaftigkeit und Verworrenheit beklagt. Die Briefe Franz Reuleaux’ aus Philadelphia, in denen der Kunst- und Technikexperte die Mißstände auch einem deutschen Publikum eingehend schilderte, haben einen großen Aufschrei im Deutschen Reich provoziert. Die Schwierigkeiten der deutschen Ausstellungsmacher in der zweiten Phase hingen zum anderen aber auch mit den innenpolitischen Strukturproblemen der deutschen Nationalstaatsbildung zusammen. Die bundesstaatliche Verfassung des Reiches und die Kontinuität der einzelstaatlichen "Stammesrivalitäten" sorgten dafür, daß der offiziell geförderte Versuch einer einheitlichen deutschen Ausstellung schon in Wien scheiterte.
Angesichts dieser Fehlentwicklungen aus deutscher Sicht engagierte sich das Deutsche Reich auf den Weltausstellungen der dritten Phase ab 1893 mit einer massiven Erhöhung des staatlichen Aufwands. Es fällt auf, wie in den Vorbereitungsphasen der einzelnen Ausstellungen die diplomatischen Missionen des Deutschen Reiches die Handlungen der europäischen Mächterivalen mit großer Aufmerksamkeit observiert haben. Dies führte in aller Konsequenz dazu, daß die staatlichen Stellen am Ende zumeist gegen einen breiten Widerstand aus den Reihen der deutschen Wirtschaft eine deutsche Ausstellungsbeteiligung durchgesetzt haben. Auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 vermerkte dann auch der offizielle Bericht der deutschen Ausstellungsmacher mit Genugtuung: "Das Deutsche Reich um die Wende des 19. Jahrhunderts bietet das Bild eines wohlgeordneten und in gedeihlicher Entwicklung befindlichen Staatswesens dar. In scharfem Gegensatz zur vorigen Jahrhundertwende, die Zeugin des Auseinanderbröckelns der letzten Trümmer eines tausendjährigen Reiches war, ist das Jahr 1900 ein bedeutsamer Markstein auf dem Weg innerlicher Konsolidierung des neu erstandenen und erstarkten einigen Staates". In der Tendenz ähnlich fiel die Berichterstattung in der stark nationalpolitisch angeheizten Illustriertenpresse aus.
Der ohne Zweifel rasante Aufstieg der deutschen Wirtschaft im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts verleitete mithin die verschiedensten deutschen Beobachter zu einem Triumphgefühl, das u.a. auch als Resultat der von ihnen empfundenen Spannungen der politischen und wirtschaftlichen Rivalität des Deutschen Reiches mit den anderen Nationen Europas verstanden werden muß. Das führte anläßlich der Pariser Weltausstellung sogar soweit, daß selbst die deutsche Parfümausstellung zu einem "wirtschaftlichen Sedan" der anderen Völker deklariert wurde.
Das gestiegene staatliche Interesse an einer machtvollen Repräsentation des Deutschen Reiches kam danach besonders im Vorlauf der Brüsseler Weltausstellung im Jahre 1910 zum Ausdruck. Als sich sowohl von seiten der wirtschaftlichen Verbände als auch aus dem Reichsschatzamt eine ablehnende Front gegenüber einer deutschen Beteiligung abzeichnete, intervenierte der damalige Staatssekretär des Innern, Theobald Bethman Hollweg. Äußerste Sparsamkeit, so ließ er seine Ministerkollegen wissen, dürfe nicht dazu führen, daß Ausgaben unterblieben, die "aus schwerwiegenden politischen und wirtschaftlichen Gründen unerläßlich" seien. Ein Fernbleiben Deutschlands in Brüssel würde die Beziehungen zu Belgien belasten und nur die dort vorherrschende Stellung Frankreichs erhöhen. Außerdem wurde den Führern der einzelnen Wirtschaftsverbände von Bethmann Hollweg im wahrsten Sinne die "nationalpolitischen Leviten" gelesen. Ganz offensichtlich wandelte sich die politische Repräsentation Deutschlands in dieser dritten Phase zu einer regierungsoffiziellen Angelegenheit.
Die deutschen Ausstellungsmacher in Brüssel haben in diesem Sinne ihren Auftrag als einen umfassenden verstanden, um den - in ihren Worten - "Geist der deutschen Volkswirtschaft" zur Anschauung zu bringen. Zu diesem Zweck bestanden sie darauf, die kulturellen Neuerungen und eine postulierte gegenseitige Durchdringung staatlicher, sozialer und künstlerisch-kunstgewerblicher Bestrebungen als Ausdruck des "deutschen Geistes" darzustellen. Deutschland wurde von ihnen, kurz gefaßt, als eine moderne, dynamische Macht verstanden, der mit ihren wegweisenden Wohlfahrts- und Bildungseinrichtungen, aber auch wegen ihres politischen Systems die Zukunft gehöre.
Die sich in diesen Äußerungen andeutende Richtung erfuhr in der zeitlichen Folge eine merkliche Verschärfung in der Tonart der öffentlichen Präsentation des Deutschen Reiches. Deutschland, so resümierten die Organisatoren aufschlußreich, habe in Brüssel "gesiegt", obwohl man es nicht gern habe siegen lassen. Die deutsche Teilnahme sei sogar als eine Art "Kriegserklärung" anzusehen, denn im Gegensatz zu Frankreich und England sei Deutschland mit einer ausformulierten Idee gekommen, und zwar der Idee einer neuen Architektur, einer neuen Raumkunst und eines neues Kunstgewerbes. Damit zeige sich Deutschland als der eigentliche "Pionier der Kultur".

 

Formen der "kulturellen" Repräsentation Deutschlands

Die Weltausstellungen erfüllten von Anbeginn neben ihrer Funktion der Förderung des technischen und wirtschaftlichen Informationsaustauschs die Aufgabe, nationale Macht bzw. Machtansprüche zu demonstrieren. Darüber hinaus sollten sie nationale Identitäten definieren, was eine entsprechende Inszenierung notwendig machte. Entsprechendes läßt sich nicht nur für die deutschen Abteilungen auf den Weltausstellungen feststellen, sondern das Gesagte gilt im Grunde für die politisch-kulturelle Selbstdarstellung aller Nationen.
Die Deutschen in der Rolle des wiederkehrenden Gastes auf ausländischen Schauplätzen waren im Gegensatz zu den Gastgebern auf vergleichsweise bescheidene Selbstdarstellungsmittel verwiesen. Das hielt sie aber nicht davon ab, Zeichen ihres Machtanspruchs unter den europäischen Großmächten zu setzen. Außerdem bedienten sie sich gleichermaßen wie die Vertreter anderer Länder aus dem Arsenal staatspatriotischer und nationalhistorischer Formensprachen. Zu den Mitteln der nationalen und kulturellen Identitätsstiftung gehörten die Architektur, die Volkskultur, aber auch die Ornamentierung von Gewerbe- und Kunsterzeugnissen sowie Ausstellungsstücke mit explizitem politischen Verweischarakter.
Auf den ersten Weltausstellungen ist zunächst eine Beschränkung auf die konventionelle Heraldik aus Wappen und Fahnen der Staaten des Deutschen Bundes festzustellen. Zusätzlich wurden in Modellen von Bauwerken, Statuen u.a.m. das Repräsentationsbedürfnis der einzelnen deutschen Staaten zur Geltung gebracht. Nach der Gründung des Deutschen Reiches läßt sich jedoch ein Prozeß erkennen, bei dem unter Rückgriff auf verschiedenste Darstellungsmittel, die Vorstellungen von der Einheit der deutschen Nation im In- und Ausland vermittelt und teilweise sogar Vorstellungen von der kulturellen Dominanz Deutschlands verbreitet werden sollten.
Im Zuge der "Pavillonisierung" der Weltausstellungen, d.h. des Aufbaus nationaler Repräsentationsgebäude, läßt sich dies besonders eindrucksvoll an dem Bau sogenannter "deutscher Häuser" nachvollziehen. Das führte erstmals in Philadelphia 1876 zur Erstellung eines nationalen deutschen Pavillons. Das deutsche Haus auf der dortigen Weltausstellung erfuhr jedoch wegen seiner schlichten, antikisierenden Form und seines großen Mittelsaales, dessen Fresken sich um einen kolossalen deutschen Reichsadler gruppierten, eine insgesamt ablehnende Kritik, zumal im Ausland, wo ihm eine übertriebene "Behäbigkeit und Gemütlichkeit" angelastet wurde. Die Anlage der "deutschen Häuser" auf den nachfolgenden Weltausstellungen fiel - wie die im Anhang wiedergegebenen Bilder zeigen - schon in ihrem Ausmaßen raumgreifender aus. Das Haus in Chicago 1893 stellte eine eklektische Synthese verschiedener Baustile des 15. und 16. Jahrhunderts dar, die einen zeitgenössischen Kritiker von einer "architektonischen Pastete" sprechen ließ. Trotzdem berichtete der deutsche Gesandte in Washington, daß das Deutsche Haus in Verbindung mit der Einrichtung eines "deutschen Dorfes" - im amtlichen Katalog des Deutschen Reiches ist die Rede von einer "deutsch-ethnographischen Ausstellung - das "Nationalgefühl des "deutschen Elementes" in Amerika gestärkt habe. Dies wurde auch auf eine Ausstellung im Rittersaale der Burg zurückgeführt, die eine allegorische Figurengruppe mit einer hoch aufgerichteten Germania enthielt, umgeben von "deutschen Helden alter und neuer Zeit".

Ähnliche allegorische Verweise enthielt das deutsche Haus auf der Pariser Weltausstellung im Jahre 1900. In seinem Fall trat allerdings auch eine Ambivalenz zutage, die indirekt auf die tief reichenden Konflikte zwischen adligen und bürgerlichen Herrschaftsansprüchen im Kaiserreich verwies. Denn zum einen sollte die Anlage des Gebäudes eine Orientierung an Frühzeiten einer bürgerlicher Selbstverwaltung in den deutschen Reichsstädten zum Ausdruck bringen. Aber zum anderen signalisierte die Überhäufung des Gebäudes mit Skulpturen und ausschweifender Malerei das Bedürfnis, einen Mangel an herrschaftlicher Monumentalität zu kompensieren. Dem zuständigen Reichskommissar galt das Endprodukt dennoch als ein Beweis für die Existenz einer einheitlichen national-deutschen Architektursprache, deren Qualität sich in ihrer "handwerklich fleißigen Solidität und in ihrer "urdeutscher Gemütlichkeit" manifestiere. Das Gebäude in St. Louis 1904 wiederum verwies mit seiner auch räumlich hervorgehobenen Anlage und mit der Kopie der Mittelfassade des Charlottenburger Schlosses auf einen monarchischen Herrschaftsanspruch im kaiserlichen Deutschland. In den Augen des Generalvertreters der Hapag in New York war sogar eine symbolische Bedeutung darin zusehen, "daß das Deutsche Haus durch seine Lage sowohl als durch seine schlichte aber grandiose Schönheit alles andere schlägt". Denn obwohl die deutsche Industrie kaum vertreten sei, komme darin "die innere Überlegenheit des deutschen Geistes allenthalben so stark zum Ausdruck, daß die deutschen Teile bei weitestem das Hervorstechendste von der ganzen Ausstellung sind".

Ein auch auf dem architektonischen Feld wachsendes deutsches Selbständigkeitsbestreben ging danach in Brüssel 1910 soweit, daß es als einzige Nation eine Sonderstellung reklamierte, indem die gesamten Exponate getrennt von denen der anderen Länder untergebracht wurden. Denn nur so bilde das Ganze, hieß es im deutschen Ausstellungskatalog, ein "abgeschlossenes nationales Ganze". Darüber hinaus sollten auf diesem Wege der Nachweis geführt werden, daß man eine Konkurrenz "mit dem dekorativ so begabten und mit fast unerschöpflichen Mitteln arbeitenden Frankreich" nicht länger zu scheuen brauche. Selbstverständlich bildeten die deutschen Häuser keine isolierte Erscheinung, sondern erst zusammen mit den bereits genannten deutschen Dörfern oder auch der Feier sogenannter deutscher Tage läßt sich das offizielle Bestreben erkennen, durch die Repräsentation der politischen Kultur des Deutschen Reiches ein bestimmtes Bild zu vermitteln. Daß diese Versuche nicht ohne Wirkungen blieben, zeigen u.a. die beträchtlichen Teilnehmerzahlen bei den Feiern der deutschen Tage, die in die Zehntausende gingen. Während es die offiziellen deutschen Berichterstatter im Jahre 1851 noch als eine Befriedigung erachteten, daß das "deutsche Vaterland" überhaupt zu den ersten Kulturvölkern der Erde gezählt werden dürfe, schlichen sich in die Äußerungen von Organisatoren und Kommentatoren der deutschen Abteilungen im Laufe der folgenden Jahrzehnte immer mehr Bekundungen eines kulturellen Überlegenheitsgefühls ein.

Die ältere Weltausstellungsrhetorik, die auf die Funktion der völkerverbindende Feste des Friedens im Sinne einer internationalen Aussöhnung und gegenseitigen Information abgehoben hatte, verschwand zwar bis 1914 nicht vollkommen, gleichwohl spricht aus vielen Texten die Tendenz, die Konstellationen einer friedlich ausgetragenen Wirtschaftskonkurrenz mit einem aggressiven nationalen Gehalt aufzuladen. Der "friedliche Wettkampf" der Nationen wurde derart zu einer zeitgenössisch so genannten - "großen Heerschau" der deutschen Leistungen hypostasiert. Man sprach nicht erst, aber vor allem in Brüssel 1910 von einem "glänzenden Sieg der Deutschen", wobei - was auffallend zu nennen ist - gerade von seiten der Modernen, also z. B. den Vertretern des Werkbundes, eine neue Radikalität sowohl in die künstlerischen, als auch in die sprachlichen Ausdrucksformen hineingetragen worden ist. Hierfür bezeichnend heißt es über die deutsche Abteilung des Jahres 1910: "Die Franzosen und die von Frankreich abhängigen Völker beginnen ihre Verarmung zu fühlen, sie sehen nicht nur das neue Deutschland heraufsteigen, sie müssen zugleich bei sich selbst einen bedenklichen Stillstand feststellen". Mit derartigen Argumenten, die sich in vielfachen Variationen nachweisen lassen, wurden gewissermaßen nationale Stereotypen vorbereitet und verbreitet, die sich mühelos auf andere Bereiche übertragen ließen und auch tatsächlich übertragen worden sind. Deutschland wurde im Gegensatz zu Frankreich, auch schon in St. Louis, als eine "innovative Nation" gefeiert, die sich in der modernen Kunstbewegung als entwicklungsfähiger erwiesen habe.

Um das Voranstehende zusammenzufassen: Die Rekonstruktion der deutschen Repräsentation auf den Weltausstellungen läßt deutlich eine dreistufige Entwicklung erkennen, die von einem zunächst vorgetragenen Anspruch auf eine national-kulturelle Selbstbestimmung über eine Phase mit Forderungen nach internationaler Gleichberechtigung bis hin zur "Verfeindung" der beteiligten Akteure reichte. In diesem Zusammenhang kommt den Weltausstellungen für die Vermittlung von national begründeten Auto- und Fremdstereotypen ein erhebliches Gewicht zu. Deren Konturen und Wirkungsgrade in den Phasen eines vermeintlich "friedlichen Wettkampfes" weiter auszuloten, ist als Auftrag an eine interdisziplinär betriebene Geschichte der Weltausstellungen zu verstehen, die es im einzelnen noch tiefer auszuloten gilt.

* Der vorliegende Text wird in erweiterter Form und um einen Anmerkungsappart ergänzt demnächst in einer geschichtswissenschaftlichen Zeitschrift erscheinen.

Anhang:

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Philadelphia 1876 (Pavillon des Deutschen Reiches) Chicago 1893 (Deutsches Haus)
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Paris 1900 (Das Deutsche Haus) St. Louis 1904 (Das Deutsche Haus)
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Brüssel 1910 (Das Deutsche Haus) Ausstellungshalle

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