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Autor: unbekannt |
In: Wiener Bauindustrie-Zeitung - 11 (1894); 24. - S. 293 - 295 |
Die Architektur an der Wiener Akademie |
In einer Zeit, wo die bevorstehende
durchgreifende
Umgestaltung Wiens das Interesse für Architektur in den
weitesten Kreisen erweckt,
dürfte es gewiss nicht uninteressant sein, über die
Bildungsstätten jener
nachwachsenden Künstler, an welche demnächst die
grosse Aufgabe herantreten wird, zum
neuen architektonischen Kleide der Reichshaupt- und Residenzstadt ihr
Scherflein
beizutragen, etwas Näheres zu erfahren. Es sind dies die
beiden Specialschulen für
Architektur an der technischen Hochschule und an der Akademie der
bildenden Künste in
Wien. Hauptsächlich diese beiden Schulen werden das
Hauptcontingent an jungen Künstlern
stellen, welche im Vereine mit den alten bewährten Architekten
ihr Können und Trachten
der künstlerischen Weiterentwicklung Wiens widmen sollen. Diesmal
wollen wir speciell die zweite dieser beiden Anstalten ins Auge
fassen, die
Akademie der bildenden Künste. Zur Eintrittsbedingung ist laut
Studienordnung die Absolvirung einer
technischen
Hochschule oder einer ähnlichen Lehranstalt des In- und
Auslandes gestellt. Thatsächlich
aber ist unter den circa 15 aufgenommenen Schülern des ersten
Jahrganges im günstigsten
Falle ein einziger Absolvent einer technischen Hochschule, die
übrigen haben eine der
höheren Gewerbeschulen des Reiches frequentirt und
gewöhnlich eine ein- oder
mehrjährige Praxis sich angeeignet. Es ist begreiflich, dass
ein junger Mann nach
Absolvirung seiner fünfjährigen Studienzeit selten in
der Lage und noch seltener willens
ist, weitere drei Jahre zur letzten Ausbildung auf der Schule zu
opfern. Trotz des
Umstandes, dass die erwähnte Aufnahmsbedingung nur in den
seltensten Fällen, man kann
fast sagen, nur ausnahmsweise erfüllt wird, basirt der
Studienplan heutigen Tages noch
auf jener veralteten Bestimmung, indem die Architekturschule
als M e i s t e r s c h
u l e zur Erlangung der letzten künstlerischen Feile
der Ausbildung gelten soll.
Der Lehrplan der höheren Gewerbeschule befasst sich in seinem
letzten Jahrgange mit dem
Entwurfe eines bescheidenen Wohnhauses in mehr oder minder streng
stylistischer, aber
höchst einfacher Ausführung. Man kann begreiflicher
Weise sich nur darauf beschränken,
ein allgemeines Verständniss für die einzelnen
Baustyle zu erwecken und das Studium der
nothwendigsten Architekturformen in den einfachsten Typen
gewöhnlicher Wohngebäude zu
betreiben. Ein tieferes Eindringen in den Gegenstand und ein etwas
detaillirteres
Formenverständniss ist da kaum erforderlich und daher auch
nicht zum Lehrziel bestimmt.
Nach Ablegung der Reifeprüfung pflegen nun die Absolventen in
Baukanzleien Unterkunft zu
suchen und bilden sich praktisch heran zu Baumeistern,
Bauführern oder ähnlichen
Berufsarten, viele treten auch zu Staatsanstalten über und ein
gewisser Percentsatz, der
dem Baugeschäfte weniger Geschmack abgewinnen kann oder
weniger Zeug dazu hat, und dafür
mehr künstlerisches Streben in sich fühlt, kommt dem
Bedürfniss nach weiterer
Ausbildung nach, indem er die Specialschule an der Akademie besucht. Der Studienplan hierselbst besteht in der Ausarbeitung mehrerer Projecte nach gegebenem Programm von der einfachen Villa bis zur Städteanlage. Der Unterricht ist eigentlich eine alljährliche einmalige Unterweisung und Erklärung der Aufgabe am Anfange des Semesters. Der Professor oder sein Stellvertreter besucht zwar täglich die Studiensäle, kann sich aber bedauerlicherweise nur auf kurze und meist mündliche Ausstellungen beschränken. Die einzelnen Schüler sind daher ganz sich selbst überlassen, denn da 40-50 Schüler während der Zeit dieses Besuches anwesend sind, so kommt auf den einzelnen ein ganz bescheidenes Zeitausmass für Anfragen, Auskünfte und Correcturen: Die Heranbildung ist daher mehr ein beaufsichtigtes Selbststudium als eine durchgreifende Ausbildung, die Schüler sind gezwungen, sich auf das "Quellenstudium" zu verlegen, das Mangels der nöthigen Aufklärung leicht ein unverstandenes Copiren wird. Die Ausführung sehr umfangreicher und complicirter Arbeiten erfordert eine grosse technische Verve und ein tiefes Formenverständniss und endlich einen bedeutenden Motivenreichthum, der nirgends vorher erworben werden konnte, hier aber unbedingt verlangt wird. Statt dass die Kenntnis der Architekturformen durch einen regelrechten Unterricht in Fleisch und Blut übergeht, besteht sie oft nur aus dem, was durch Copiren bedeutender Muster "hängen" bleibt und ist meist nur ein ungereimtes und unzusammenhängendes Gefüge, das bei mangelndem tiefen Verständnisse im späteren Leben oft wieder verloren gehen kann. Die Hauptaufgabe also, die Erwerbung der künstlerischen G r u n d l a g e für das Leben, kann in manchen Fällen nicht erfüllt werden. Die vielabgenützte Entschuldigung, dass dadurch die Individualität erhalten und besser ausgebildet wird, wird hinfällig, wenn man bedenkt, dass eigentlich zuweilen nichts Bildungsfähiges da ist. Die Differenz der Ansichten erklärt sich, daraus, dass man bei Feststellung des Lehrplanes bei allen drei Kunstschulen der Akademie, der Architektur-, Bildhauer- und Malerschule, allerdings dem speciellen Bedürfnisse folgend, immerhin aber mehr oder minder consequent vorgegangen ist; aber da die Vorbedingungen der Bildhauer- und Maler-Specialschule bei der Architekturschule nicht zutreffen, geschah dies zum Nachtheile der letzteren. Hiemit ist auch der Unterschied zwischen dem, was ist, und dem, was sein soll, deutlich genug präcisirt: es wird darauf losgegangen, etwas Vorhandenes weiter zu bilden, während man besser thun würde, einen neuen Grund zu legen, und darauf weiter zu bauen. Den S p e c i a l s c h u l e n der Maler und Bildhauer sind a l l g e m e i n e Maler- und Bildhauerschulen vorangeschickt, die etwa in dem Range der höheren Gewerbeschule stehen, nur dass hier die Fachbildung eine weit intensivere ist. Die Absolvirung dieser Vortragscurse und eine hierüber abgelegte Prüfung bildet mit eine Aufnahmsbedingung in die Specialschulen; diese selbst haben daher keine Vorträge mehr und die Specialschule für Architektur also auch nicht. Einige allgemeine Vorträge haben wohl auch für Architekten Interesse, so zum Beispiel über Perspective und über Kunstgeschichte, der weitaus grössere Theil, selbst bei diesen beiden Fächern, ist aber für die andern Künste berechnet, und so haben die Architekturschüler vorher nur Gelegenheit gehabt, Vorträge über Bautechnik zu hören, doch nicht über Architektur. An der Akademie, der in Anrechnung des erwähnten Umstandes schliesslich doch berufenen Anstalt letzter und höchster Instanz, wäre das empfindliche Versäumnis nachzuholen und gewiss wäre das kein Nachtheil für die Schule und auch der hiezu erforderliche Zeitaufwand würde reichlich aufgewogen, denn die grössere Sicherheit und Versirtheit würde eine weit regere Schaffensfreudigkeit erwecken, als es jetzt bei dem schläfrigen Sichselbstüberlassensein der Fall ist. Die mehr oder minder laut auftretenden Klagen über den mangelhaften Besuch der inscribirten Hörer finden einzig und allein hierin ihre Begründung. Die Schüler würden sehr gerne die Schule fleissiger frequentiren, wenn sie aus dem Besuche derselben mehr Vortheil ziehen könnten. Die meisten Hörer sind vermöge der Praxis, die sie hinter sich haben, Leute ernsterer Lebensauffassung als es bei anderen Hochschülern der Fall zu sein pflegt, die von einer Mittelschule direct in die Hochschule übertreten, ohne ein Stückchen Welt dazwischen. Die Kunstakademiker pflegen daher die reichliche und vom erklärten Standpunkte aus unausgenützte Zeit mit Privatbeschäftigung bei Architekten in Ateliers auszufüllen, die, weil sie verantwortlicher ist, viel Denkkraft und Aufmerksamkeit zum Nachtheile der Studien absorbiert. Ein regelrechter Unterricht, ein tiefes Studium und eine in Fleisch und Blut eingeimpfte Kenntniss des Nothwendigen wäre hier die einzige natürliche, vielleicht eben darum so schwierige Abhilfe. Sehr fühlbar macht sich der Mangel einer Formenlehre sämmtlicher Stylarten, soweit sie von Bedeutung sind, ferner, vielleicht auch hierin einschlägig, einer Lehre der decorativen Ornamentik, des Detaillirens von Façaden, des Studiums eines entsprechenden Actes für vorkommende figurale Ausstattung, und endlich nicht zum Ueberfluss einer Anleitung zur gefälligen technischen Ausführung von Zeichnungen, verbunden mit einem Aquarellcurs. Diesbezügliche Petitionen an berufener Stelle sollen mit der Bemerkung abgewiesen worden sein, dass sich das Institut massgebenden Ortes keiner Sympathie erfreue, und sich die Architekten, als die sogenannten Letzten der Anstalt, am allerwenigsten erlauben dürften, irgend eine zeitentsprechende Neuerung zu ersehnen. Es ist auch tathsächlich bemerkenswerth, wie wenig gerade von dieser Hochschule in die Oeffentlichkeit dringt; beispielsweise wurde bei den Sitzungen zur Unterstützung armer Studenten aller Hochschulen gedacht, auffallender Weise die Akademie meines Wissens nicht erwähnt. Es ist ein eclatantes Zeichen des Zeitgeistes, wenn man sich den Unterschied des Ansehens vor Augen hält, in welchem die Universität als die erste der wissenschaftlichen Anstalten und die Akademie als die oberste der künstlerischen Hochschulen steht. An der Specialschule für Renaissance ist die Beschränkung auf die italienische mit den eng zusammenhängenden Abarten auch ein grosser Hemmschuh, umsomehr, da den Renaissancestylen der anderen Länder, namentlich Deutschlands und Frankreichs, ebenso der Barocke, nicht nur Ausserachtlassung, sondern oft Unduldsamkeit entgegengebracht wird. Erst in den letzten zwei oder drei Jahren scheint es sich hierin theilweise gebessert zu haben. Für die Veröffentlichung der akademischen Arbeiten wird durch Ausstellungen am Schlusse jedes Jahres, und für den Ansporn zum künstlerischen Schaffen durch Preisvertheilungen gesorgt. Die Entscheidungen der Jury finden aber natürlich nicht immer allgemeine Zustimmung und so verfehlt diese wohlgemeinte Institution oft ihren Zweck. Ein Brauch, dessen Berechtigung wir nicht einsehen, sei auch hier näher beleuchtet. Bei Concurrenzen, die von beiden Schulen beschickt werden, sind bisher in der Regel die besten Arbeiten von der Renaissanceschule eingelaufen; entgegen dieser Thatsache herrscht aber der bedauerliche Usus, da der erste Preis bisher ausnahmlos dieser Schule zugefallen ist, den zweiten Preis nicht der absolut nächstbesten zuzuerkennen, welche bisher ebenfalls derselben Schule angehört hätte, sondern mit Uebergehung aller dessen würdigeren Concurrenten der Renaissanceschule den relativ besten Entwurf der gothischen Schule mit dem zweiten Preis zu prämiiren. Die Entsendung des letzten Jahrganges der Architekturschule nach Italien ist eine sehr zu lobende Institution, aber sie tritt nur alle zwei Jahre in Kraft, und es geht daher immer ein Jahrgang, ungeachtet seiner Befähigung, leer aus. Ein Anderes ist es mit dem sogenannten "Hofpreis", der allerdings auch alle zwei Jahre, und zwar gerade in den Jahren zwischen den Studienreisen, zur Vertheilung gelangt. Derselbe kann von den Concurrenten aller drei Jahrgänge erworben werden. Doch haben wir hier zum Beispiel bemerkt, dass es im Jahre 1892 vorgekommen, dass die Prämiirten den halben Massstab (1 : 200) angenommen und hiedurch erstens eine wesentliche Arbeitsersparniss hatten, zweitens das Gesamtbild weit gefälliger darstellen konnten, als dies in dem vorgeschriebenen, fast in der Regel zu grossen Massstabe der Fall war. Wir sprechen gewiss in Uebereinstimmung mit allen absolvirten und frequentirenden Akademikern und vielen der Akademie sonst Nahestehenden, und wie wir hoffen, auch im Interesse des künstlerischen Gesammtwohles, wenn wir als dringenden Wunsch hinstellen: eine zeitgemässe Abänderung der fühlbaren Uebelstände und eine herzhafte Beseitigung des - akademischen Zopfes. Architekt Victor H-t |