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Autor: Wolff, Sigismund
In: Romberg's Zeitschrift fuer praktische Baukunst - 25 (1865); S. 233 - 244
 
Beiträge zur Aesthetik der Baukunst
 
A.    ALLGEMEINES
I.     DIE KONSTRUKTION

1. Das Gebäude ist ein selbstständiges, von andern Kunstprodukten, noch mehr aber von den Naturkörpern unterschiedenes Gebilde. Das Gebäude muß sonach seine selbsteigene Gestaltung nachweisen; es darf nicht nachgebildet sein in seiner Form einem anderen Gegenstande und gewissermaßen ein Bild von einem Gegenstande sein. Falsch ist es daher auch, lobend zu bemerken, daß die Säulen u. s. w. Palmen oder auch anderen Bäumen in der Gestalt gleichen. Das Gebäude soll im Ganzen wie im Einzelnen rein nach den Regeln der Technik konstruirt sein. Ausgenommen sind Verzierungen und gewisse andere Glieder, wovon weiter unten die Rede sein wird.

2. Das Gebäude soll eine Einheit sein, es soll ein Ganzes bilden. Gruppirungen der einzelnen Theile, wie z. B. bei einer Kreuzkirche, bei einem Gebäude mit Seitenflügeln u. s. w. ist erlaubt. Hingegen sollen die einzelnen Steine verschwinden, wenn sie unregelmäßig gestaltet sind. Dies braucht dagegen nicht zu sein, man darf die einzelnen Steine, die Fugen, sehen, und diese auch noch besonders hervorheben, wenn jene regelmäßig geformt und nicht allzu klein sind: man sieht dann die Konstruktion im Detail - die Konstruktion aber ist die eigentliche, die Hauptschönheit des Gebäudes. Es kommt hier übrigens viel auf den subjektiven Geschmack an. Es dürfte indessen nicht in jedem Falle passend sein, das eine Stockwerk mit Steinfugen, das andere ohne solche darzustellen, wie z. B. an der Buchhändlerbörse in Leipzig zu sehen, wo noch dazu die Fugen im obern Stock sind. Zulässig dagegen ist es, dem Erdgeschosse Steinfugen zu geben, wenn dasselbe mehr oder weniger den Charakter eines Unterbaues hat, vor Allem also bedeutend niedriger ist, als das folgende Stockwerk, wie dies z. B. am Universitätsgebäude zu Halle der Fall ist. Ferner soll auch in jedem einzelnen Gliede des Gebäudes Einheit sein, die Form jedes Gliedes soll Einheit ausdrücken. Die ausgeschweiften Dächer chinesischer Bauten, die zu sehr nach außen streben und sich dem übrigen Gebäude entziehen zu wollen scheinen, sind deshalb häßlich, wie auch eine mehr concave menschliche Nase nicht so schön ist als eine mehr convexe, weil sie weniger Beziehung zum ganzen Gesichte und Kopfe hat, als diese.

3. Die Konstruktion darf keine Maskerade, kein Schein sein. Hierher gehören die Pilaster, die oft angebracht werden, ohne zu tragen. Am widersinnigsten erscheinen sie, wenn sie durch mehrere Stockwerke reichen. Als Beispiel dieses schlimmsten Falles kann das Leipziger Postgebäude am Augustplatze gelten. Dergleichen Bauten seien aus wie der zwischen die Säulen eines Porticus oder einer Basilica des Antonius Pius zu Rom eingeflickte Bau; derselbe wird in einem Bilderwerke aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts als Douane de Terre bezeichnet. Ein eben solches Verhunzen hat sich auch der dortige Vestatempel gefallen lassen müssen. Aehnlich wie jene Pilaster verhalten sich auch die gewundenen Säulen, die man an so manchem Palaste des Venedigschen Adels findet. Diese Säulen sind dünn und lang, sie reichen vielfach durch mehrere Stockwerke und sind z. B. an den Ecken des Gebäudes angebracht. Eine solche Säule würde nun nicht tragen und wenn sie vom besten Stahl gearbeitet wäre, sie hat aber auch nichts zu tragen, sie ist bloße Verzierung; ein an sich konstruktiver Theil eines Gebäudes soll aber nicht bloße Verzierung sein, er sinkt dann in seinem Werthe herab.


II.     DIE VERZIERUNGEN

Die Hauptschönheit des Gebäudes ist also die Konstruktion. Das Gebäude in seiner praktisch und begriffsmäßig hingestellten Form ist seine eigene Hauptschönheit - es werden aber, wie auch beim Kleide, eigentliche Verzierungen gefordert.

1. Wie beim Kleide sind dieselben gewissermaßen die Blüthe, deshalb aber räumlich Nebensache und müssen daher
a. verhältnißmäßig klein und
b. sparsam angebracht sein.

Falsch ist es daher betreffs des Punktes unter a, wenn Verzierungen so groß sind, wie man sie, ohngefähr in der Form eines S, an den Giebeln deutscher Gebäude aus dem 16. und 17. Jahrhunderts z. B. in Magdeburg, Halle u. a. a. O. sieht, nämlich 3 bis 4 Fuß im Längendurchmesser haltend; ja an der aus dem 17. Jahrhundert stammenden Börse in Kopenhagen haben diese Verzierungen einen Längendurchmesser von etwa 10 Fuß. Zu b. ist noch zu bemerken, daß durch Ueberladen mit Verzierungen auch das Entstehen des Kontrastes von Einfachem und Vielfachem, der doch eine Hauptquelle der Schönheit ist, verhindert wird. An solchen Ueberladungen leiden namentlich die Gebäude aus der Zeit der römischen Kaiser.

2. Ferner müssen die Verzierungen organisch konstruirt sein. Wenn man auch nicht die Verzierungen nur aus rein konstruktiven Elementen hernehmen will - so müssen sie sich doch, wenn sie z. B. ans dem Pflanzenreiche genommen sind oder arabeskenartige Form haben, der Konstruktion genau sich anschließen, und so zu sagen Organe des Gebäudes sein, oder doch solche unterstützen, wie z. B. die Akanthusblätter unter den Zahnschnitten, die Voluten in den ionischen Kapitälen, die tragen helfen u. A. Diese Verzierungen kommen von innen, vom Wesen der Glieder des Gebäudes heraus. Durchaus ungerechtfertigt dagegen ist jede Verzierung, die von außen an das Gebäude herangebracht wird - wir meinen z. B. Girlanden von Blumen, Früchten u. s. w., die am Gebäude in Stein, Holz oder dergl. angebracht sind. Diese haben mit dem Gebäude gar nichts zu thun, und sind doch Theile desselben. Verwerflich sind danach z. B. auch die Epheuranken, die an den Gewölberippen eines bekannten Domes, wenn ich nicht irre, des Kölner, in Stein dargestellt sind. *)

*) Der letztere Satz, bezüglich der Verzierungen, muß beschränkter aufgefaßt werden, nicht in dem Sinne, wie ihn der Hr. Einsender verstanden wissen will. Die Redaktion.
Erlaubt ist dagegen das Anbringen von Reliefs und Statüen, da diese ja gar nicht zum Gebäude gehören. Die ersteren gleichen angehängten Gemälden und müssen deshalb auch einen mehr oder weniger ausdrücklichen Rahmen haben.


3. Verzierungen dürfen nicht aus Vertiefungen bestehen, wie man das auch findet, sie müssen im Wesentlichen erhaben über die Mauer hinausspringen.


III.     DER KONTRAST ALS QUELLE VON SCHÖNHEIT

1. Der erste Kontrast ist der der einzelnen Theile des Gebäudes miteinander und zwar:
a. der der Verzierungen mit dem Verzierten und
b. der Kontrast ganzer Glieder mit den einfachen Wänden, z. B. der Säulen, Fensterbekleidungen, Gesimse, Gitter u. s. w.

Die Hauptformen dieser beiden Kontraste sind:

alpha.gif (838 Byte). das Gerade und Krumme. Bei Kleid und Körper z. B. kommt dies nirgends vor, indem alle Theile des Körpers, welche mit dem Kleide in Kontrast kommen könnten, krummlinig sind. Dagegen kommt hier vernünftiger Weise nicht der Kontrast des Symmetrischen und Unsymmetrischen, wie bei Kleid und Körper vor; - falsch sind daher die unsymmetrischen Roccocoverzierungen.
beta.gif (850 Byte). wie bei Kleid und Körper kommt dagegen auch hier der Kontrast des Einfachen und Vielfachen vor, ferner
gamma.gif (957 Byte). der Kontrast durch Farbe und
delta.gif (1009 Byte). der Kontrast durch Stoff, z. B. Metall und Stein. Einen Verstoß gegen das Gesetz unter b. hat der Erbauer der Basilika des Antonius Pius in Rom gemacht, indem an der Wand hinter den korinthischen Säulen Pilaster mit korinthischen Kapitälen angebracht sind; wie schön projiziren sich dagegen Säulen auf einer einfachen Wand! *)

*) Der Herr Einsender geht auch hier zu weit.


2. der zweite Kontrast ist der des ganzen Gebäudes mit der Umgebung, und das kann sein:
a. mit andern Kunstprodukten und
b. mit den in der Natur sonst vorkommenden Gegenständen und mit der Landschaft selbst.
Zu a. sind unter Anderm zu nennen: Werke der Plastik, Reliefs und Statüen, die letztere vor, in oder an dem Gebäude, z. B. an den Eingängen, an der Treppe, in Nischen, in Giebelfeldern u. s. w.; ferner Gitter unterhalb des Gebäudes, Kandelaber u. s. w.
Zu b. Am bedeutendsten ist der Kontrast zwischen dem Gebäude und der Landschaft. Das Gebäude ist ein Kunstprodukt, ein Menschenwerk, steht also den Naturprodukten schon dem Begriffe nach kontrastirend gegenüber - es soll aber auch für das Auge kontrastirend wirken.

Es tritt für diesen Fall zu den oben genannten Kontrasten noch
alpha.gif (838 Byte). der Kontrast des Symmetrischen und Unsymmetrischen, sowie
beta.gif (850 Byte). der der Ruhe und der Bewegung hinzu.
Zu alpha.gif (838 Byte). Die Landschaft ist wesentlich unsymmetrisch - das Gebäude symmetrisch.
Die Landschaft an sich, d. h. wo sie nicht von Menschen alterirt ist, z. B. durch geradlinige Chausseen, zeigt ferner überall krumme Linien; das Gebäude muß deshalb, um den schönsten Kontrast hervorzubringen, in der Hauptsache möglichst geradlinige Formen haben, - daher zum Theil die hohe Schönheit griechischer Tempel. Schon Felsen, Wasser, Rauch, Dampf und Wolken bilden schöne Kontraste, den angenehmsten Kontrast aber bietet die Pflanzenwelt, und zwar zunächst in Bezug auf Farbe; vor Allem ist sie charakteristisch durch das Vielfache in den Halmen, Blättern, Zweigen. - Das Gebäude muß also, um auch hier einen schönen Kontrast zu gewähren, einfach in seinen Formen sein. Der anziehendste Kontrast zwischen der Pflanzenwelt und den architektonischen Formen bildet sich, wenn Pflanzen z. B. Wein, Epheu u. s. w. sich auf einem Gebäude anranken.


IV.     DAS BAUMATERIAL

Das Baumaterial giebt gewisse Formen und bestimmt dadurch wie auch sonst noch den Stil. Dem Steinbau verdanken wir das Gewölbe und den Bogen, dem Holzbau die gerade Decke, obgleich gerade Decken auch von Stein sein können und auch vorkommen, z. B. bei den ägyptischen Tempeln - etwas Praktisches sind diese aber immer nicht. Dem Holzbau verdanken wir offenbar auch die Säule griechischer Tempel, wie auch  H i r t  und  H e g e l  meinen. Das Holz führt viel natürlicher zur Gliederung als der Stein. Das Baumaterial bestimmt also die Formen des Gebäudes im Ganzen, sowie auch die Verzierungen und endlich auch die Dauer und den gesammten technischen Werth des Gebäudes. Daß  d e r  Pisé-Bau, welcher in Halle an der Saale, in Eisleben, Sangerhausen und in deren Umgegend üblich ist, nicht viel leistet, ist klar; man arbeitet dabei mit Mistgabeln, mittelst derer die Mauern aus dem mit Stroh vermischten erdbreiartigen Materiale aufgeschichtet werden, worauf man diese dann verputzt. Ohne alle Gliederung und ohne alles Ornament erscheint dann das Gebäude als zur Kategorie des s. g. Kommißstiles gehörig. Auch der Holzbau ist nicht fähig, allen Anforderungen der Kunst zu entsprechen und eben so wenig der s. g. Gußbau, sowie der Bau mit Luftsteinen, viel mehr leistet dagegen der Bau von behauenen Bruchsteinen. Da der aufgesandten Arbeit und Kraft in der Regel auch der Werth des Werkes entspricht, so liefert auch der Bau von Hausteinen Besseres und Dauerhafteres, als jeder andere Bau - denn wo bei der Arbeit Funken sprühen wird Besseres erstehen, als wo weichere Materialien verwendet werden.


V.     DIE FARBE

Unserer Ansicht nach sollte kein Gebäude ganz von  e i n e r  Farbe sein. Die Verschiedenheit der Farben des Daches, der Thüren, Fenster und des eigentlichen Mauerwerkes thut zwar schon etwas, aber auch das eigentliche Werk des Maurers sollte verschiedene Farben haben - die Wände sollten anders gefärbt sein als die Gesimse, diese wieder anders als das Ornament u. s. w. Wir thun darin unzweifelhaft zu wenig. *)

*) Bei einem Gebäude sind in der Regel die Farben wechselnd, z. B. die Fenster und Thürfassen heller, als die Grundfarbe des Gebäudes, und das ist bei einem ernsten und ruhigen Gebäude Abwechselung genug.


DIE REDAKTION
B.     DAS HAUS
I.     DAS MAAß

Das Maaß für alle Gebäude ist die menschliche Größe. Die bedeutend über menschliche Größe hinausgehenden Dimensionen geben das Erhabene eines Gebäudes - die der mittleren menschlichen Größe entsprechenden Dimensionen gelten vor Allem für das Wohnhaus. Nach der mittleren menschlichen Größe bestimmt sich die Breite und Höhe der Fenster, die Entfernung derselben vom Fußboden, die s. g. Brusthöhe, die Höhe der Geländer, die Größe der Thüren, die Höhe der Klinken, die Höhe der Treppenstufen u. s. w., von dem allen weiterhin noch mehr. Die Stufen derjenigen griechischen und römischen Tempel, die kolossales Maaß haben, sind deshalb mit Zwischentreppen versehn, die der menschlichen Größe entsprechen. Aber nicht nur die Länge des menschlichen Körpers und der einzelnen Glieder desselben giebt das Maaß für das Gebäude und dessen Theile, sondern es ist auch die Breite, die ganze Form des menschlichen Körpers hier maaß- und formgebend. Denn weil der Mensch mehr lang als breit ist, ist auch die Thür mehr hoch als breit u. s. w.


II.  DIE EINZELNEN THEILE DES HAUSES

1. Im Wesentlichen besteht das Haus aus Wänden, Decke und Dach.

a. Die Wände öffnen sich nur in den Thüren und Fenstern. Was die Form der Thür betrifft, so muß sie, wie schon ,gesagt, mehr hoch als breit sein. Das Thor muß schon der Analogie wegen ebenfalls mehr hoch als breit sein und auch deshalb, um beladene Wagen einzulassen, wonach sich auch seine absolute Höhe bestimmt. In Betreff des Fensters bemerken wir Folgendes und paßt Manches davon auch auf die Thür:

alpha.gif (838 Byte). Form und Größe der Fensteröffnung
Daß das Fenster ein rechtwinkliges Viereck sein muß, allenfalls alle durch einen Bogen geschlossen, liegt auf der Hand, wie ja diese Form im Wesentlichen das ganze Gebäude gestaltet - horizontaler Grund, senkrechtes Aufsteigen auf diesem, um sich selbst zu tragen, und horizontaler Abschluß. Die Breite des Fensters ergiebt sich, da das Wohnhaus in der Regel Sitz einer Familie ist, oder doch ein solcher muß werden können, als wenigstens so breit, daß sich Mann und Frau nebeneinander mit den Armen ins Fenster legen und hinaussehen können.

beta.gif (850 Byte). Die Fensterbekleidung
Die Fensteröffnung ist etwas Negatives, sie darf das aber nicht bleiben, denn das Fenster ist (ganz abgesehen vom Glas) begreiflich ein Etwas, es muß deshalb auch für das Auge ein Etwas werden, es muß sich  v er k ö r p e r n.  Das Fenster muß deshalb von gewissen Gliedern umgeben sein, durch die es etwas Positives wird, sich über die Wand erhebt und sich scharf gegen dieselbe abgrenzt. - Dies ist die s. g. Fenstereinfassung. Diese steigt in einem Wechsel von Gliedern geraden und krummen Querschnittes nach außen immer höher auf und tritt der Wand schließlich, senkrecht abfallend, schroff entgegen. Bei dieser Gelegenheit wollen wir über Gesimse und Aehnliches bemerken, daß gerade und rechtwinklige Glieder, wie oben gesagt, dem Benachbarten schroff entgegentreten, sich also isoliren, während krummlinige überleiten und verbinden und die durch jene Glieder hervorgebrachten Kontraste versöhnen. Was von der Fensterbekleidung gilt, gilt auch von der Thürbekleidung.

gamma.gif (957 Byte). Der Fensterrahmen und das Glas
Ein Fenster durch  e i n e  Scheibe geschlossen, ist ästhetisch, als Fenster aber, das geöffnet werden soll, unpraktisch. Ein solches Fenster müßte also der Länge nach wenigstens aus zwei Theilen bestehen, die sich öffnen lassen; diese Form aber hätte auch noch viel Unpraktisches, wir kommen also auf das Fenster mit Kreuz und vier Haupttheilen. Dies ist die Grundform der meisten jetzt üblichen Fenster. Was nun weiter die Form des Kreuzes betrifft, so bemerken wir: Die Fensteröffnung ist mehr hoch als breit, das Fensterkreuz muß also, da Einheit des Stiles Haupterforderniß, ebenfalls den Charakter der Höhe haben - es darf also der horizontale Stab nicht in der Mitte des senkrechten Stabes sein, wie jetzt meistens der Fall, das Fensterkreuz muß ein hohes Kreuz sein und zwar muß sich die Höhe der unteren Scheiben zu der der oberen verhalten, wie die Höhe der Fensteröffnung zur Breite derselben. Wenn sich nun jene in der Regel zu dieser verhält wie 2 : 1, so muß sich auch die Höhe der unteren Scheiben zu der der oberen verhalten wie 2 : 1. Ein Fensterkreuz mit dem horizontalen Stabe in der Mitte des senkrechten Stabes hat also nicht den Charakter der Höhe, es hat gar keinen Charakter, es ist indifferent. Ober- und unterhalb desselben ist ein selbstständiges Fenster, kein Theil überwiegt, wie bei dem Fenster mit hohem Kreuze. Das Fenster mit indifferentem Kreuze sieht gedrückt, versperrt, verschlossen aus, das andere frei, offen. Ferner hat bei Wohnhäusern in nicht gar großem Maßstabe das indifferente Fensterkreuz den Nachtheil, daß der Querstab dem Bewohner, wenn er am Fenster steht, zu nahe auf den Kopf kommt, so daß man von außen denselben Anblick hat, als wenn der Kopf eines Portraits zu nahe am Rahmen des Gemäldes ist, ja, eine Person von nicht gewöhnlicher Größe kann in den Fall kommen, über den Querstab wegsehen zu müssen, wenn sie hinausschauen will, was abscheulich aussieht. - Das Glasfenster bietet unter Umständen durch sein Spiegeln einen schönen Kontrast gegen das mehr matte Mauerwerk, es wirkt fast wie Augen - aber auch die Leeren, z. B. antiken Fensteröffnungen haben ihr Schönes, indem sie durch ihre dunkle Farbe die Gliederung des Hauses auch da stark hervortreten lassen, wo unsere Glasfenster bei gewisser Stellung des Beschauers ein mattes Bild gewähren, wo diese das Bild des Hauses mehr verflachen und keine Tiefe erscheinen lassen.

b. Die Decke
Die Decke ist das Bestimmende für die Form des Fensters und umgekehrt. Spitzbogengewölbe giebt Spitzbogenfenster, Rundbogen-Gewölbe Rundbogenfenster, gerade Decke giebt viereckige Fenster, denn so fordert es das, was ich Parallelismus nenne, der eine Hauptquelle von Schönheit ist. Bogenfenster und eine gerade Decke passen also streng genommen nicht zusammen.

c. Das Dach
Das Dach ist der Abschluß des Hauses. Was seine Form betrifft, so ist das Ideal hier offenbar das Dach griechischer Tempel. Unsere Dächer hier in Deutschland sind meist zu hoch. Es giebt Dächer, die höher als das Gebäude selbst sind und so hoch, daß, wenn eine Katze darauf hinläuft, es aussieht, als liefe sie an einem Berge hin. Ein solches Dach sieht nicht nobel, nicht klassisch aus, es erinnert zu sehr an die Prosa des Lebens, an Geschäftsräume, an Räume zur Aufbewahrung von Stroh, Wellholz u. s. w., die der Bodenraum bieten soll. Es ist zwar nicht zu leugnen, daß die großen, in der Regel mehrfach über einander liegenden Bodenräume bei unfreundlichem Wetter oft ein, und zwar romantischer, Spielplatz der Kinder, daß sie überhaupt ein Sitz der Romantik sind durch das dort herrschende Halbdunkel, sowie durch Katzen-, Eulen-, Ratten- und Mäuseverkehr, es ist nicht zu leugnen, daß manches Märchen, manche schöne Spukgeschichte dort entstanden, daß endlich auch vom höheren Dache eine bessere Aussicht, als von einem niedrigeren ist, - aber Alles das geht die Baukunst nichts an. Wie würde ein griechischer Tempel mit hohem Dache aussehen?! Falsch ist es auch, das Dach in Stockwerke zu zerlegen, es wird dadurch die Häßlichkeit allzugroßer Höhe etwas gebrochen, aber es entsteht dadurch das Widersinnige von gewissermaßen zwei Dächern. Was den Stoff der Dachdeckung betrifft, so will ich nur bemerken, daß Hohlziegel, wenn sie, abgesehen von der Nase, flache Form haben, wie sie z. B. nordöstlich vom Harze, so in Halberstadt, theilweise in Gebrauch sind, Hübscheres liefern, als wenn sie vertieft sind; sie geben ein ebenes Dach mit einem hübschen Netze. Das Häßlichste an Hohlziegeln aber liefern die mehr östlich vom Harze, z. B. in Meisdorf, unweit des Falkensteins, in Thiemrode und Thale bei der Roßtrappe meist gebräuchlichen Hohlziegel, die keine Nase haben und deshalb mit dickem Kalke aneinander geklebt sind, so daß ein solches Dach sehr plump aussieht und außerdem von der Seite den Anblick gewährt, als wäre es beschneit. Endlich wollen wir noch bemerken, daß der Kontrast es fordert, daß das Dach aus anderm Stoffe bestehe, als von dem das Gebäude ist.

2. Die Treppe ist ein jeden Bau wesentlich verschönernder Theil. - Welche anziehende Gruppirung, welche schöne Konstruktion läßt sich durch Treppen hervorbringen. Welches ansprechende Bild giebt z. B. die große Treppe im Louvre mit ihren verschiedenen Absätzen, Geländern u. s. w. Auch die Treppe des Universitätsgebäudes in Halle nebst Treppenhaus mit Säulen und Galerie ist etwas Schönes. Das wissen Theater-Dichter und Maler wohl, welche Schönheiten eine Treppe, auch im Freien, zwischen Felsen und Bäumen bietet.


III.     DIE AUSSCHMÜCKUNG DES HAUSES

Die Ausschmückung des Hauses geschieht:
a. innen, und zwar
alpha.gif (922 Byte). auf rein architektonische Weise,
beta.gif (877 Byte). durch Tapeten und Draperien und
gamma.gif (979 Byte). durch Wandgemälde;

b. innen und außen durch Statüen.
Zu alpha.gif (922 Byte). bemerken wir, daß man Zimmer am Besten architektonisch verziert und zwar in der Weise, daß die Wände im Wesentlichen einfarbig sind, gehoben durch andersfarbige architektonische Verzierungen und Glieder, wie Fenster- und Thürbekleidungen, Gesimse u. s. w. Die Einfachheit solcher Wände wird dann ferner durch die Möbel, Gemälde in Rahmen, Zierpflanzen, Vorhänge, Menschengruppen, Licht und Schatten unterbrochen und belebt, und es macht sich auch alles Das auf einem einfarbigen Hintergrunde besser, als auf dem Hintergrunde von jetzt üblichen gemusterten Papiertapeten. Kein Maler wird ein Portrait auf einem Hintergrund mit Blümchen u. s. w. gern malen.

beta.gif (877 Byte). Die jetzt üblichen Tapeten - eben so auch die alten Zeugtapeten in jeder Form - dürften danach zu verwerfen sein. Draperien dagegen sind, mäßig angebracht, ein nothwendiger, schön contrastirender Schmuck des Hauses. Wir wollen hier nur von den Fenstervorhängen sprechen: In bürgerlichen Wohnungen verhüllen diese Vorhänge in der Regel den ganzen oberen Theil der Fensterbekleidung. - Das ist falsch. Die Fensterbekleidung muß oben aus dem Vorhange heraussehen oder es muß der Vorhang in der Fenstervertiefung angebracht sein; es gilt nach unserer Ansicht hier der Grundsatz, daß Kopf und Füße, wo möglich auch die Hände einer Statue nicht ganz verhüllt sein dürfen, denn das Fenster ist auch ein Individuum. Danach darf auch das Kapitäl und der Fuß einer Säule durch Draperien nicht ganz verhüllt sein. *)

*) Der Herr Verfasser betrachtet hier ganz einseitig den Fall, wo das Fenster innerhalb durch eine Umrahmung geschlossen ist. Kommt die  U m r a h m u n g  nicht vor, so versteht es sich von selbst, daß die Vorhänge der Fenster über den Sturz des Fensters hinausgehen.


Die Reaktion
Hier wollen wir auch Einiges über Rouleaux bemerken. Das Rouleaux soll im Wesentlichen einfarbig sein. Ist es dagegen wesentlich bemalt, z. B. mit einer Landschaft, so hat man von außen denselben Anblick, als wenn am Hause Gemälde wären, wie z..B. an Gebäuden des Domplatzes zu Trient, was falsch ist. Ferner steht man, wenn das Rouleaux halb heruntergelassen ist, nur eine halbe Landschaft, und endlich wird der Anblick des Rouleauxgemäldes von außen durch die Fensterrahmen unterbrochen, was uns auch widersinnig erscheint. Falsch ist es auch, einen Theatervorhang mit einem selbstständigen Gemälde zu versehen, wie dies z. B. mit dem des Dresdener Haupttheaters geschehen, wo derselbe ein historisches Gemälde trägt.

Zu gamma.gif (892 Byte). ist zu bemerken, daß auch durch Wandgemälde oft zu viel gethan wird. Hierher gehören z. B. die Raphael'schen Malereien in der Peterskirche zu Rom; - sie concurriren mit den Malereien oder Sculpturen im Hospiz des Tremal Naik in Madhura und ähnlichen Werken, also mit Produkten von Kunstbarbaren. Es fehlt diesen Raphael'schen Malereien nicht viel, daß sie der Peterskirche das Ansehen der ägyptischen Tempel geben, die durch die Anzahl ihrer bunten Hieroglyphen aussehen wie Puppen- und Spielwaarenhandlungen.

b. Betreffs der Verzierung durch Statüen erscheint es häßlich, dergleichen so auf Gebäude zu stellen, wie sie auf manchem Bau der Römischen Kaiserzeit standen, nämlich zwanzig und vielleicht mehr einzelne Statüen in regelmäßigen Zwischenräumen neben einander, ganz so, als wäre das Commandowort ergangen : Points vor! In dieser häßlichen Weise sind auch Statüen auf der katholischen Kirche in Dresden angebracht.


IV.     DIE MÖBEL UND BILDER IN RAHMEN

Möbel sollen ihre Construction zeigen, wie es das Gebäude soll. Deshalb sollen auch die Fournirungen nach der Construction gehen. Ein anderes Gesetz dürfte lauten: Kein Möbel oder Bild darf eine ganze Wand einnehmen. Ein Bücherbrett z.B., welches dies thut, erlaubt sich so zu sagen Uebergriffe; es muß neben und über sich einen Theil der Wand sehen lassen. Eine ringsumgehende Bank dagegen ist erlaubt.


V.     DIE UMGEBUNG DES HAUSES, STRAßE, NATUR, PARK, GARTEN UND GARTENMÖBEL

Ein Haus in der Reihe der Straßenhäuser bei unmittelbarer Berührung mit andern, ist kein wahres Kunstwerk, so wenig wie ein Soldat in Reih' und Glied ein wahrhaft schönes Sujet der Plastik. Ein vollkommenes Kunstwerk kann also offenbar nur ein einzeln stehendes Gebäude sein. Außerdem aber muß der freie Raum um dasselbe groß genug sein, daß man es von allen Seiten überblicken kann, und endlich verlangt, wie schon oben zum Theil gezeigt ist, der Contrast, daß dasselbe in freier, grünender Natur liegt. In den Straßen giebt es auch Naturcontraste, z. B. durch Nebel, Staubwirbel, ferner Rauch und Dampf , wie aus Locomotiven , Fontainen u. s. w.; dergleichen ist jedoch der Dauer, resp. der Ausdehnung nach nur unbedeutend, hier und da findet sich auch wohl eine Allee, ein Bosquet, aber auch das ist nichts Vollkommenes. Es ist also nötigt ein Park, Garten, nebst den zugehörigen Möbeln, Brunnen, Statuen u. s. w. Der Park ist wesentlich Wald, selbstredend wie dieser mit Rasen- und Wiesenplätzen, mit Wasser und wenn möglich, auch mit Felsen wechselnd. Der Garten, d. h. der Ziergarten, ist Blumen- und Strauchgarten, enthält aber auch einzelne kleinere, namentlich exotische Bäume, wie z. B. eine Orangerie. Für den Park ist zu fordern die Form des nicht durchforsteten Waldes - für den Garten im Allgemeinen auch eine mehr malerische, als architektonische Gestaltung, doch ist auch diese Form zulässig bei einzelnen Beeten oder auch einer Gruppe von solchen, die vielleicht mit Buchsbaum oder dergleichen eingefaßt sind und, nach gewissen Mustern mit Blumen besetzt, eine Blumenmosaik oder sonst regelmäßige, bunte Figuren bilden. Ganz zu vermeiden dürfte der plastische Stil sein, wir meinen den französischen Stil aus der Rococcozeit, welchem  H e g e l  das Wort redet. Wie naturwidrig, steif und unschön sind die Produkte dieses Stils, die er namentlich in beschnittenen Taxus lieferte! Bäumchen, kegelförmig geschnitten und anzusehen wie die Tannenbäumchen aus den Schachteln Nürnberger Spielzeugs, die auf der Drehbank gefertigt werden - plumpe Vögel, ebenfalls aus Taxus geschnitten, mit abstehenden Flügeln und emporgehobenem Schwanze, anzusehen wie junge Sperlinge, die gefüttert sein wollen! Das find die klassischen Gebilde jener französischen Gartenkunst! Was sind dergleichen gestutzte Bäume aber, wenn man sie noch so nennen kann, überhaupt gegen einen natürlichen Baum? Ueberall starr und steif, ganz wie der Zopf der damaligen Zeit, zeigen sie nirgends Gruppirung und Abwechselung in Zweigen und Blättern, in Licht und Schatten! Es ist also falsch, regelmäßige, symmetrische Formen auf etwas seiner Natur nach Unregelmäßiges, Unsymmetrisches zu übertragen - es ist das eine Vergewaltigung der Natur. Wenn also die Umgebung des Hauses wesentlich malerisch sein soll, so darf des Contrastes wegen, wie oben schon zum Theil gezeigt, das Haus nicht ebenfalls malerisch sein. Die volle Schönheit ist deshalb nur in einem unversehrten Hause zu finden. Diese Integrität fordert auch der Ernst der Baukunst. Rothe Backsteinflicken z. B. an einem Gebäude von grauen Hausteinen, hübsch gruppirt, sind malerisch ganz schön, aber nicht architektonisch schön. Ebenso ist es malerisch schön, wenn hier und da etwas am Gebäude ausgebrochen ist - architektonisch schön ist das aber nicht. Das brennende, das im Abbruch oder Bau begriffene Haus ist möglicher Weise malerisch schön, architektonisch schön aber nie. Das Malerische muß also  a u ß e r h a l b  des Gebäudes bleiben. Es giebt aber ein Mittel, das beide Schönheiten, wenigstens für das Auge, vereinigt, und das schon oben als Quelle des schönsten Contrastes angegeben ist, es besteht darin, daß sich Pflanzentheile, z. B. Weinlaub, Epheuranken, auf Theilen des Gebäudes anlehnen und diese Theile dadurch scheinbar ausgebrochen werden. Für das Auge sind sie also wirklich weggeschafft -  a n  s i c h  aber sind sie in  W i r k l i c h k e i t  noch vorhanden, dem Ernste der Baukunst ist also Genüge geschehen, denn die Integrität des Gebäudes ist gewahrt. Wenn nun auch die mit einander contrastirenden Objekte eben durch das Contrastiren, wie schon oben gesagt, recht am Deutlichsten in ihrer Schönheit erscheinen, und also auch die Natur erst durch den Contrast mit Gebäuden in ihrer vollen Schönheit hervortritt, so soll man doch nicht überall Gebäude anbringen, z. B. nicht beim Bodekessel unterhalb der Roßtrappe, weil sonst die Natur in ihrer Einsamkeit, Erhabenheit und Jungfräulichkeit verletzt wird, die man hier mehr sucht als bloße Schönheit. -

In Betreff der Gartenmöbel ist zu bemerken, daß dergleichen von Eisen gefertigt, und so geformt, als wären sie aus ungeschälten Baum-Stämmen und Zweigen gemacht, verwerflich sind; sie bieten nicht den schönen Contrast, wie die sonst üblichen Gartenmöbel. Wie schön contrastiren mit dem Baumschlage, einem unregelmäßigen bemoosten Hügel u. s. w., die andersfarbigen, geraden, parallelen Stäbe der Gitterlehne einer gewöhnlichen Gartenbank.