IV     DER ÜBERGANG

Die vorigen neueren Beispiele sind, wie erwähnt, nicht in dem Sinne gegeben, daß man sich wie die Illustrationen einer Kunstzeitschrift daraufhin betrachtet, ob sie gefallen oder nicht gefallen. Es handelt sich ja um eine sehr junge, erst ins Rollen gekommene Bewegung, deren Ergebnisse nicht abzusehen sind. Die bleibende Schönheit liegt meistens abseits der Liebe auf den ersten Blick; das endgültige Gefallen ist vielmehr ein schließliches Ergebnis aller verschiedenartigen Eigenschaften und auch Unterströmungen, die teils das Gefühl, teils den Verstand angehen, im Ganzen aber die Totalität unseres Daseins ergreifen. Im Grunde wird jede Frau zustimmen müssen; ob sie es sofort oder äußerlich mit Worten tut, ist eine andere Frage und auch zunächst unwichtig. Es ist ein Irrtum zu glauben, daß unsere Zeit in der Veränderung der äußeren Erscheinungen ein rascheres Tempo hätte als irgend eine frühere Zeit; im Gegenteil ist dieses Tempo im Vergleich mit manchen früheren Stilwandlungen nachweislich sogar ein viel langsameres.

NeueWohnung44.gif (115131 Byte) Abb. 44. Umgestaltung eines bürgerlichen Wohnzimmers Oberer Büfetteil mit der Aussteuer der Töchter auf den Boden! Fenster und Bibliothek"entkleidet" Deckenteilung zur Lösung der Leitungen. Noch zu viel Möbel, aber die Hausfrau hält sie·für unentbehrlich.

NeueWohnung45.gif (119865 Byte) Abb.45.·Umgestaltung eines Arbeiterwohnzimmers Alle Möbel beibehalten, durchSchwarzleinenbezug, Korrektur der Stühle Spiegelglas am Kleiderschrank im Schlafzimmer angebracht,Regulator durch Taschenuhrenüberflüssig, Wände mit klarer Farbenaufteilung (dunkle Ecken hell),Sofa mit Leinenbezug, oberer Vertikoteil hell gestrichen,Lampe niedriger mit Papierschirm.

Welchen eminenten Einfluß die Sinnesänderung der Frau in dieser Richtung auf das gesamte Ergehen des Volkes ausübt, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden; denn um überhaupt erst bessere Wohnhäuser bauen zu können, muß die Frau sie mit allem Nachdruck verlangen. Sonst bleiben, wie am Anfang gesagt, alle Bemühungen vergeblich und nichts weiter als bloße Männerarbeit. Deshalb nützt es auch gar nichts, wenn die Frauen sagen: nun baut mal erst solche Häuser, wir wollen gern ein neues Heim schaffen. Solange die Menschen ihren Sinn auch innerhalb der bestehenden Wohnungen nicht ändern, wird das neue Bauen keinen Schritt weiter führen; denn die in ihrem Sinn nicht veränderten Menschen müssen jeden neuen Aufbau im alten Sinne tun oder, wenn ihnen das Neue aufgezwungen wird, es durch Kompromisse und Halbheiten in sich selbst ruinieren. Fast alle bisherigen Siedlungswohnungen sind schlagende Beispiele dafür. Deshalb muß der Übergang sich schon innerhalb der alten Wohnungen vollziehen, und es wäre auch ein Unrecht, die hunderttausende von bestehenden Mietskasernenwohnungen in Gedanken einfach wegzustreichen und jene Menschen ihrem Schicksal zu überlassen. Daß in diesen Wohnungen alle Frauen sofort eine Revolution ihres Hausstandes vornehmen, soll nicht verlangt oder gewünscht werden. Alles muß sich organisch entwickeln. Außerdem hieße es die Frau des für sie wichtigsten Wesenszuges berauben, wollte man ihr die Eigenschaft des Pflegens, Erhaltens, also das konservative Element nehmen, das in der Mütterlichkeit begründet ist. Mir scheint, daß aber gerade ihre Mütterlichkeit durch den "Aufschwung" (Abb. 1) mit dem Vollpacken der Wohnungen mißbraucht worden ist. Jener Aufschwung war eben nichts weiter als bloß intellektuelle Männerarbeit. Was man mit der Frau damals getan hat und auch heute noch tut, ließe sich in einem etwas grausamen Bilde so ausdrücken: das Kind, das an ihrer Brust lag, nahm man ihr weg, nachdem man sie eingeschläfert hatte, und legte ihr einen kleinen Affen an die Brust. Sie wurde zum Staubwischen versklavt und mußte die Direktion über den Haushalt verlieren; es wurde einfach unmöglich, eine solche Wohnung bei bestem Willen stets sauber zu halten, und doch lud man ihr die Verantwortung auf, und sie nahm sie willig hin aus unnötigem Respekt vor der Männerarbeit, weil ihre gesunden Sinne damit wie mit Alkohol betäubt waren. Heute gehört in alten Wohnungen schon eine übermäßige Kraftanstrengung der Frau dazu, sich umzustellen. Ihre Leistungen sind angesichts des geschilderten Wohnungsbestandes ohnehin denen des Mannes vielfach überlegen; denn es ist geradezu ein Wunder, in einem solchen Milieu überhaupt noch zu wirtschaften und darüber hinaus bei den gewaltigen Schwierigkeiten unserer Tage sogar noch rationell zu wirtschaften, was von den Männern fast mit Beschämung anerkannt werden muß. Eine besondere Last der Frau ist heute noch der Verschleiß alter Sachen, das Zerreißen und Schäbigwerden alter Stoffe, Decken, Vorhänge, Tapeten usw., deren Ersatz in den meisten Fällen fast unmöglich wird und deren Ausflickung den Schaden bald nur umso deutlicher zeigt. Daß dabei neben ihrer Gesundheit auch die Entschlußkraft der Frau zu ständiger Neuordnung gebrochen wird, ist mehr als selbstverständlich. Und es ist noch ein größeres Wunder, wenn einzelne geistig und körperlich noch kräftige Frauen die Einsicht verwirklichen und ihren Haushalt sozusagen umkrempeln wollen. Es entscheidet immer die Tat; die mutige Tat wird Vorbild, bekommt damit Macht und zugleich Recht. Das Erste ist der Mut, der sich nicht hinter allerlei Einwänden verschanzt: ja, bei uns geht das leider nicht - es ist ja ganz richtig, "aber" unsere Wohnung! unser vieles Zeug, was wir vielleicht doch noch einmal nach 10, 20 Jahren brauchen könnten - wer kauft uns das auch ab! und was wird Papa, Mama, Onkel, Tante, Herr und Frau Müller (die Nachbarschaft) sagen! - - Merkwürdig bleibt die Zustimmung derjenigen Gebildeten, die trotz ihrer Überzeugtheit, trotz ihrer Klagen: was für eine Last ist der Haushalt - sich im eigenen Gehäuse wie der Seidenspinner in seinem Cocon einspinnen und sich von der Überfülltheit, ihrer Wohnung, von der "Schönheit" der über und über mit Bildern behängten Wände und davon nicht trennen können, daß diese Kunstwerke sie auch in den banalsten Situationen anstarren und ihnen beim Essen, Trinken, Verdauen, Schlafen, bei Ärger, Sorge und Hast "Stimmung" machen. Zu der Körperhygiene muß die Gehirnhygiene hinzukommen, wie wir es z.B. in der Wohnkultur Japans finden, wo Kunstwerke nur dann hervorgeholt werden, wenn man sie genießt, und wissenschaftliche Darstellungen, wenn man sie studiert - ähnlich wie man sich in der öffentlichen Bibliothek bei uns die Werke herausgeben und zusammenlegen läßt, in deren Studium man sich gerade vertiefen will.

Man hat die Pflicht, wenigstens ungefähr die Art und Weise des Übergangs in der alten Wohnung selbst programmatisch anzudeuten, wenngleich man hier und da auch ein mitleidiges Lächeln der erfahrenen Hausfrau mit in Kauf nehmen muß, die hinter den Worten nur den zusehenden, aber nicht im Haushalt arbeitenden Mann leicht herausspürt. Also muß ich schon von vornherein mit dem Odium beginnen, daß das Folgende eben nur eine persönliche Meinung und ein persönlicher Plan ist. Ich denke mir den Vorgang etwa so: Eine solche Frau wird sich sagen: Meine Wohnung ist erstens kein Speicher, zweitens kein Trödelladen und drittens kein Museum. (Merkwürdigerweise ist dies auch sonst eine logische Kette.) Sie wird also mit dem Speicher beginnen und zunächst, nachdem sie einige Tage für eine Generalinventur vorgesehen hat, die Kisten und Koffer im Boden und Keller auf ihren Inhalt genau durchsehen und alles dem Lumpen- und Papierhändler weggeben, mit dessen späterer Benutzung nicht zu rechnen ist. In der Regel werden dabei wahrscheinlich verschiedene Kisten und andere Behälter frei werden. Darauf würde die Inventur aller kleinen Einzelstücke innerhalb der Wohnung selbst folgen, der Kleider, Wäsche, des Spielzeugs und des sonstigen kleinen Hausrats, wovon das Überflüssige erbarmungslos wegzubringen, das etwa noch in späterer Zukunft Brauchbare in jene frei gewordenen Kisten auf dem Boden und im Keller zu schaffen ist. Dann wird ganz sicher mindestens ein Vertiko, vielleicht auch noch eine Kommode dazu und vielleicht sogar ein ganzer Schrank frei werden, nachdem man den Rest neu geordnet hat. Diese leergewordenen Möbel verkauft man oder schafft sie als Behälter zum bloßen Verwahren zu den Kisten im Keller und auf dem Boden. Ist dies geschehen, so geht man die Zimmer selbst durch, ohne ihre Einrichtung bis dahin anzugreifen. Und hier derselbe Vorgang: von den Fenstern wird alles bis auf den eigentlich nötigen Vorhang weggenommen (gegen störende Blicke aus dem Vis-à-vis bliebe ein glatter Mullvorhang), überflüssige Kissen, Decken, Nippes, Vasen, Bildchen, Fächer, Haussegen, Sprüche und alles dies gehen den Weg des Irdischen. Ebenso überflüssige Vorleger, Fellchen über Teppichen und noch so vielerlei, was dem klaren Verstand der Hausfrau zu entscheiden bleibt. Hat man dies herausgenommen, so wird man nach Entfernung der überflüssigen Möbel vor allem auch den Inhalt der nötigen Möbel sichten, z. B. überflüssige Bücher, Briefschaften usw. verschwinden lassen, d. h. alles, was keinen unbedingten persönlichen oder dokumentarischen Wert hat.

Die übriggebliebenen Möbel kann man nun sehr leicht verbessern; selbst die schlechtesten Ramschmöbel haben noch einen konstruktiven Körper, man schöpft sozusagen nur das Fett ab. Muschelaufsätze, Aufbauten über den Sofas, Troddeln, Fransen usw. sind leicht abzunehmen, im übrigen werden die Auswüchse vom Tischler abgesägt. Man wird erstaunt sein, wie glatte saubere Möbel man herausbekommt, besonders, wenn man nachher mit Anstrich ganz oder teilweise nachhilft. Wenn man sich die Zahl der Tische, der Stühle, ihre Aufstellung und ihren Gebrauch genau überlegt, so wird man zu einer herrlichen Raumbefreiung in den meisten Fällen kommen. (Ich habe z. B. in einem Schlafzimmer mit einem Bett nicht weniger als neun Sitzplätze gezählt.) Der Fußboden, der in alten Mietskasernen oft der beste Teil des Hauses ist, wird dann nur sehr vorsichtig mit höchstens einem Teppich oder auch gar nicht zu belegen sein. Werden nun noch die geblümten Möbelbezüge von Plüsch oder Cretonne und ähnlichem entweder durch einfache stark leinene ersetzt oder einfarbig umgefärbt, so ergibt sich die weitere Ausstattung des Zimmers von selbst, besonders wenn die nötigen gemusterten Stücke wie Bettdecken etwa ihres Musters beraubt oder einfach mit ihrer Kehrseite verwendet werden. Tischdecken außer beim Essen sollten überflüssig sein, der Ersatz der Eßtischdecke selbst ist Sache des neuen Möbelbaues. Ist die Hausfrau mit ihren Arbeiten so weit gekommen, so hat sich inzwischen so viel schöpferisches Talent in ihr entwickelt, daß sie das übrige, die "Schönheit" fast allein machen kann, jedenfalls sehr leicht im raschen Einverständnis mit einem der neuen Maler oder Architekten. Es ist tatsächlich in jedem Raum möglich, dann mit großen Farbenflächen an Decke und Wänden die eigentlichen nun berechtigten Elemente des Raumes zu einer Einheit zu binden. Die Hausfrau, die so weit gekommen ist, wird den Künstlern selbst die eigentlichen und zutreffenden Anregungen geben können und es werden dabei sogar gewisse Rudimente der Gründerzeit, wie z.B. Flügeltüren mit Bauunternehmerarchitektur, verrückte Öfen aus den 90er Jahren einen Reiz der Gegensätzlichkeit entfalten. Die praktische Frage der Kosten dieser Neuausstattung wird die Frau in ihrer natürlichen Wirtschaftlichkeit spielend durch den Verkauf der Überflüssigkeiten lösen - wenn nicht Zeus der Donnerer dazwischenfährt.

Hier liegt allerdings ein Haken der Geschichte. Der Mann ist Erbe der Männerarbeit seit der Gründerzeit und meistens noch stolz darauf, wenn er es auch oft gegen die stärkeren Argumente nicht zugeben will. Er verschanzt sich vielleicht hinter geschäftlichen Einwänden, etwa derart, daß er behauptet, die Konjunktur für den Trödelkram, besonders wenn es Kuriositäten sind, würde besser werden, als ausgerechnet in diesen Tagen der Generalinventur, ferner man müßte den lieben Kindern doch auch etwas hinterlassen, womit er die rührsame Saite der Frau ins Schwingen bringen will. Wie die Kinder einmal als Erwachsene darüber denken werden, weiß niemand; biologisch stehen sie meistens im Gegensatz zum Vater. Und hinsichtlich der Konjunktur der Kuriositäten, Antiquitäten und Raritäten wird er sich sehr täuschen. Diese Bewegung ist zweifellos stärker als die frühere Bewegung der Gründerjahre, da sie auf nationalökonomischen und sozialen Gründen beruht; denn die Verbilligung des Hausstandes im allgemeinen, die Erleichterung des Wohnungsbaues und vor allem die Ersparnis an Frauenarbeit sind so intensive Wirkungen, daß sie sich bei Wollen oder Nichtwollen unbedingt durchsetzen werden. Es wird sich herausstellen, daß für Kuriositäten schließlich nur noch Museen oder ganz vereinzelte Sonderlinge als Käufer in Frage kommen, so daß die Nachfrage auf dasselbe Minimum zurückgeht wie in jener Zeit, als er eine alte Kommode mit lntarsien beim Trödler für 10 Mark und ein kostbares Glas für 50 Pfg. erstanden hat. Schon heute ist es ja bei den Zinngeräten so; sie sind bei der Zinnmode in allen Bauernhäusern ausgekauft worden und werden heute ohne Rücksicht auf ihren Kunstwert gewöhnlich nur nach ihrem Gewicht bezahlt. Die Dinge gehen nun einmal ihren Gang und der Mann wird kraft seiner Intelligenz - denn er ist doch immer stolz auf seine Freiheit von Gefühlsduselei - nichts besseres tun als diesen Gang bei Zeiten zu beschleunigen, bei der Umstellung mitzuhelfen und für einen gut organisierten Verlauf zu sorgen, ehe ihn die Welle des Geschehens fortreißt und ausschaltet.

Man braucht die segensreichen Folgen solcher einzelnen Übergänge nicht weiter zu schildern. Daß eine solche Wohnung viel leichter zu reinigen ist, ist selbstverständlich. Ja, daß sie überhaupt sauber zu halten ist, nimmt schon der Frau einen Stein vom Herzen. Heute sind in normalen bürgerlichen Wohnungen, wenn sie leidlich gepflegt werden, das Bad, Klosett und manchmal auch die Küche die einzigen guten Räume, in denen der Mensch nicht ständig durch Gegenstände und Firlefanz abgesaugt und in Anspruch genommen wird. Ebenso geht es einem auf Gewerbeausstellungen, wo die Abteilungen für Hausgeräte aller Art, Kochmaschinen, Grudeherde, Plätt- und Waschmaschinen, Badeeinrichtungen, Nähmaschinen usw. in jeder Beziehung, auch ästhetisch, ziemlich einwandfrei auftreten; wo aber das "Reich der Frau" mit goldigsüßen Schlafzimmern, aufgemacht geschmackvollen Eß- und Wohnzimmern usw. beginnt, da beginnt auch der Schrecken über die immer weiter fortgesetzte Sklaverei der Frau und noch mehr darüber, daß die Frau mit den raffiniertesten Mitteln immer aufs Neue ins Garn gelockt wird und auch darauf hineinfällt. Wie sich die Umgestaltung rein äußerlich für den Anblick vollziehen könnte, nur als Hinweis auf eine Möglichkeit von vielen, ist bereits in Abb. 23 (S. 37) mit der Umgestaltung eines vorhandenen Raumes durch V. Huszar angedeutet worden. Zwei weitere Umgestaltungen zeigen die Abb. 44 und 45, deren eine die Umgestaltung eines gut bürgerlichen Wohnzimmers andeutet, aus der Wohnung eines Antiquitätensammlers mit wohl assortiertem Zinnlager, die andere diejenige einer Arbeiterstube, die jene fast durchgängig von Arbeitern beliebte Nachahmung bereits überwundener Bürgerlichkeit aufweist. Diese Zeichnungen für die Umgestaltung entsprechen genau den Raum- und Möbelverhältnissen und -größen der photographierten Zimmer. Dabei ergibt sich, daß die Arbeiterstube leichter als die bürgerliche in unserem Sinne umzugestalten ist, in dem Maße, daß sie in Harmonie zur Außenarchitektur der Siedlungsbauten (Abb. 46) steht.


V     DIE BESSERE ANORDNUNG DER WOHNRÄUME

Mit diesem "Übergang" wäre das notwendige Fundament für den Bau der neuen Wohnung geschaffen. Die Frau wird auf diesem Wege ihre Leistung fortsetzen. Sie wird eine neue Regelung ihrer Arbeit vornehmen und alle einzelnen Verrichtungen, Kinderpflege, Kochen, Anrichten, Abwaschen, Reinigen, Wäsche, Einkauf usw. unter Anpassung an die Gegebenheiten nach einem Arbeitsplan einteilen. Darin wird die genügende Zeit für Spazierengehen und Schlafen mit enthalten sein, wie es von der neuen Hauswissenschaft, der Übertragung des Taylorsystems auf den Haushalt gelehrt wird. Dabei wird auch die Mithilfe aller Hausgenossen mit einbegriffen sein, in dem Sinne, daß jeder, der Mann und die Kinder, selber mit seinem Teil Bett, Waschtisch usw. so in Ordnung bringt, wie es nötig ist.

NeueWohnung46.gif (87690 Byte) Abb. 46. Bruno Taut: Siedelung Reform Magdeburg "Bunte Straße". 1921

Die Vereinfachung des Bettzeuges spielt dabei eine weitere Rolle, schon wenn die umständlichen Federbetten durch Decken, für den Winter nötigenfalls Daunendecken ersetzt werden. Dann kann ein ständiges Inordnungsein der Wohnung eintreten, das den Hauptgrund für die "Gute Stube", die kalte Pracht beseitigt, weil man sich vor keinem unerwartet Eintretenden zu genieren braucht. Der wichtigste Grund dafür verschwindet ohnehin: bisher und auch heute zum Teil noch wurde jede Wohnung mit gerümpften Nasen angesehen, die nicht mit allerhand Kram überfüllt ist. In der Gesellschaft war ein solcher Haushalt verachtet, der Insasse gemieden. Heute besteht diese Konvention eigentlich noch ziemlich unverändert. Aber das wird sich in spätestens einem Jahrzehnt ganz ändern: "schnittig" wird die neue Mode heißen, und alles, was in der Wohnung an Nippes, Überflüssigkeiten, Bildchen herumhängt, -steht und -liegt, wird Anlaß zum Naserümpfen, zur Vorsicht beim Verkehr mit dem merkwürdigen Insassen sein.

NeueWohnung47.gif (2300 Byte) Abb. 47. Christine Frederick: Ganglinien in der Küche bei falscher (links) und richtiger Einrichtung (rechts)

Erst nach diesen Voraussetzungen lohnt es sich, die neue Wohnung zu entwerfen und zu bauen. Nach welcher Richtung könnte die bessere Anordnung der Räume und ihre Ausstattung gehen? Der Nerv der Wohnung ist die Küche, wo sich die Hauptarbeit der Hausfrau im kleinen Haushalt abspielt. Die kleine oder mittlere Wohnung spielt wegen ihrer Massenhaftigkeit die Hauptrolle; aber was für sie richtig ist, läßt sich auch leicht auf die große Wohnung übertragen, zur leichteren Lösung des auf der ganzen Welt gleich schwierigen Dienstbotenproblems. Denn was im kleinen Haushalt die Frau leistet, tut im großen die Köchin, das Zimmermädchen usw., und gerade da ist eindeutigste Ordnung ein schwerwiegender finanzieller Punkt. Für die Anordnung in der Küche erscheinen mir wichtig die in den Skizzen der Mrs. Frederick dargestellten Ganglinien beim Zubereiten und Anrichten sowohl wie beim Abräumen und Abwaschen (Abb. 47). Mit dieser Verbesserung muß sich die beste Auswahl der in der Küche nötigen Gerätschaften verbinden, die bekanntlich sehr groß ist und zum Teil ganz vorzügliche Erzeugnisse der Industrie zu billigen Preisen aufweist (beispielsweise Abb. 48). Es ist bekannt, daß in Amerika die Kochkiste zu den drei größten Erfindungen unserer Zeit gezählt und mit der Radiotelegrafie und dem Flugzeug auf eine Stufe gestellt wird. Zu diesem Thema braucht der Verfasser nichts weiter auszuführen; die Frauen wissen darin besser Bescheid und können sich in Büchern und Zeitschriften leicht informieren.

Sehr wesentlich ist dann in der Wohnung die Frage der Schlafzimmer. Hier scheint es, daß besonders in Deutschland unendlich viel zu reformieren ist. Von gut bürgerlicher Seite wurde immer das Schlagwort in die Massen geworfen, das Schlafzimmer müßte der beste, d. h. größte Raum in der Wohnung sein. Was für luxuriöse Verhältnisse nicht einmal richtig ist - denn da ist das Speisezimmer z. B. oft ein Saal - ist sonst ganz falsch; die Kabinen der Dampfer und der Schlafwagen sprechen schon dagegen. Wenn für Lüftung gesorgt ist, so kann man in einem minimal kleinen Raum sicher besser schlafen als in einem Saal. Gerade hier muß die Raumverschwendung in der Wohnung beseitigt werden, wie es in Holland und England schon längst der Fall ist. Wenn man noch von festen Bettstellen durch Ersatz von aufklappbaren Patentbetten absieht und die Waschtische fest eingebaut in das Bad verlegt, so kann man auch den kleinen Schlafzimmerraum selbst bei Tage für Näharbeiten, Schularbeiten der Kinder usw. verwenden. Die Erneuerungsbestrebungen dürfen aber keineswegs die Richtung nach rückwärts laufen, dann wird aus Erneuerung Eralterung und dann unterbliebe besser jede Veränderung. Dies gilt z. B. von gewissen Bestrebungen zur Wiedereinführung des Alkovens, zur Anlage von Bettnischen am Wohn- und Eßzimmer: Eltern und Kinder sollen sich im Wohn- und Eßzimmer ausziehen, dann in der Enge der Nischen in die Betten hinein -, morgens mit Mühe herausklettern und sich wieder im Eß- und Wohnzimmer waschen und ankleiden. Oder bei einer scheinbaren Raumersparnis wird der Weg von den Betten zum Bad und Klosett, vom Eßtisch zum Herd und Anrichtetisch in Zickzacküberkreuzungen und umständlich gemacht, oder die Wanne wird in der engen Arbeitsküche unter einem Tischbrett angeordnet, eine Anlage, deren Fehler in Verschmutzung, Vernachlässigung des Badens schon vor dem Kriege in Siedlungen festzustellen war. (Im kleinsten Hause gehört die Wanne in die Waschküche).

NeueWohnung48.gif (24978 Byte) Abb.48. Gasherd mit geschlossenem Kochraum und Bratofen in handlicher Höhe

Statt in alte Fehler zurückzuverfallen, sollten die Vorgänge des Wohnens beobachtet und nach und nach verbessert werden, damit sie sich ohne die geringste Reibung und Störung unter den Familienmitgliedern vollziehen. Wie geschieht am leichtesten die Zubereitung, das Auftragen der Speisen, sodann das Abtragen, Abwaschen und Abstellen? Wie der gesamte Vorgang des Zubettgehens und Aufstehens, die tägliche Wäsche, das Bad und die Klosettbenutzung? Und wie das Aufheben der Kleider, Wäsche usw.? Aus der Beantwortung dieser und anderer Fragen ergibt sich die Neugliederung, das Geräumigwerden der Zimmer und daraus die Ersparnis an Baukosten; denn man kann dann tatsächlich dieselben Bedürfnisse besser und in geräumigerer Anlage befriedigen und zugleich den gesamten Baukörper kleiner machen. Es ist wohl nicht nötig, dabei auf die heutige allgemeine Finanzkalamität und die katastrophale Behinderung des Wohnungsbaus noch besonders hinzuweisen. Die neue Wohnung muß unbedingt von jenem alten Vollgestelltsein mit Möbeln, Schränken usw. befreit sein; es müssen genügend Wandschränke in solcher Anzahl eingebaut sein, daß die Bewohner überhaupt keine Kastenmöbel brauchen. Auch in diesem Punkt müssen wir zugeben, daß wir in Deutschland hinter jenen beiden Ländern weit zurück sind. Baut man doch in Holland jetzt schon in neueren Häusern z. T. sogar die Bettstellen ein. Allerdings ist bei den Wandschränken jede übertriebene Spezialisierung der Fächer für bestimmte Dinge zu vermeiden. Überhaupt muß die Wohnung auf keinen engen Zeitrahmen zugeschnitten sein. Die Familie ist etwas, was sich ständig im Fluß befindet: würde z. B. eine Nischenanlage für die "Schlafstellen" bei drei kleinen Kindern noch erträglich sein, so wird sie nach 40 Jahren zur völligen Unverträglichkeit, wenn die Kinder größer und die Eltern älter geworden sind. - Daß das Klosett bei der obengenannten Anlage der Waschtische im Bad nicht ebenfalls dort sein kann, ist in kleinen Wohnungen selbstverständlich. Die bei uns bestehende Vorschrift eines direkten Fensters dafür ist Unfug, da eine andauernde Entlüftung beim Wasserklosett besser ist als ein nicht immer, bei Frost gar nicht geöffnetes Fenster. Für die Heizung gibt es ähnlich wie für die Küche eine große Menge verschiedener, teils auch guter Systeme; jedenfalls sollte alles Augenmerk auf die Ersparnis an Arbeit gerichtet sein. Inwieweit bei einer solchen Wohnung außer den Kosten das Arbeitsmaß der Frau eingeschränkt wird, vor allem wenn sie sich von Überflüssigkeiten fern hält, braucht nicht geschildert oder berechnet zu werden, ebenso wie viel weniger Ärger, Ausgaben für Arzt und Medikamente usw. daraus entstehen. Die einfache Reinheit und Übersichtlichkeit der Räume hat an sich schon einen so großen heilbringenden Einfluß, daß auch die Schönheit einer solchen Wohnung eine Selbstverständlichkeit ist.

Um zu zeigen, in welcher Richtung in dem schwierigen Falle der kleinen Wohnung eine Verbesserung der Anlage gehen kann, ist in der Abbildung 49 die heutige Stockwerkswohnung, wie sie normaler Weise auf einer Fläche von etwa 70 qm gebaut wird, untersucht worden. Der Grundriß auf der linken Seite der Treppe zeigt eine solche nicht gerade schlecht gebaute Wohnung mit Küche, Bad und 3 Zimmern, und zwar so möbliert, wie es in der Mehrzahl aller Fälle die Regel sein dürfte. Ein ganzes Zimmer, "der Salon" oder die gute Stube, die sogenannte kalte Pracht, welche bei Taufe, Einsegnung und Geburtstag benutzt wird, sonst aber nichts weiter als ein Möbellager darstellt, mit Ausnahme des Vertikos, der vielleicht einige Wäschestücke aufnimmt; Plüschsofa, ovaler Tisch, Säule mit etwas drauf, Blumentisch, Palme, Bücherschrank, außer den Stühlen ein Großvaterstuhl und dann noch das Vertiko. Dieser Raum schaltet für die Benutzung zum Wohnen aus. In den übrigen wohnt, wie hier angenommen wird, eine Familie mit 3 Kindern. Im Elternschlafzimmer außer den beiden Betten und Nachttischen ein Kinderbett, die Nähmaschine, der große Schrank, die nötigen Stühle und der Waschtisch, der schon die Tür zum Wohnzimmer verstellen muß. Dieses enthält notwendigerweise die beiden anderen Betten für die Kinder, einen Waschtisch und dann die eigentlichen Wohnzimmermöbel: Eßtisch mit Sofa, Büfett, Schreibtisch, Klavier und Notengestell. Der Schrank im Schlafzimmer reicht nicht aus, deshalb steht ein weiterer im Flur. Diese Leute können mit ihren Möbeln keine Rücksicht auf Türen und Fenster nehmen, selbst wenn sie vom Architekten auch mit Überlegung angelegt sind. Das Bad verleitet wegen seiner Größe dazu, eine Kommode oder ähnliches hineinzustellen: die Folge davon ist, daß es wegen der Gefährdung dieses Möbels durch den Dampf noch weniger benutzt wird als ohnehin. Die Küche zwingt bei der Anlage des Herdes und des Ausgusses zu der eingezeichneten Aufstellung des Schranks und Tisches sowie des Gestelles, was die wirren Ganglinien zur Folge hat, die nach dem System von Mrs. Frederick eingezeichnet sind. Wie diese Ganglinien sich mit denen kreuzen, die mit der Benutzung der Schlafzimmer zusammenhängen, ist ebenfalls eingezeichnet; alles dieses genügt, um die Leiden der Hausfrau aufs allerdeutlichste zu illustrieren. Wirkliches Sauberhalten der Wohnung ist unmöglich, ebenso die Durchlüftung, und das alles noch bei einem Grundriß, der geradezu ideal zu nennen ist gegenüber denen der unendlich vielen alten Mietshäuser und auch - so mancher Neubauten. Der Grundriß zeigt auf der rechten Seite der Treppe den Fall einer vernünftigeren Bewohnung; im vorherigen "Salon" schlafen die Kinder, der Schrank im Flur kann wegfallen; aber trotzdem auch keine wesentliche Verbesserung z. B, dann, wenn eine Chaiselongue gewünscht wird, die auch wieder eine Tür verstellen muß. Hier gibt es nur noch die Möglichkeit der Generalinventur, wie sie in Abschnitt 4 geschildert ist, um die Hausarbeit zu erleichtern und der ganzen Wohnung den Eindruck der Frische zu verleihen.

Frauen, die für eine solche Aufräumung Sinn haben, werden nunmehr auch die neue Wohnung richtig benutzen können, die in Abb. 50 dargestellt ist. Die Wohnungsgröße ist hier nicht bloß dieselbe wie vorher, sondern sogar 3½ qm im ganzen kleiner (also 5% Baukostenersparnis), und doch fällt auf den ersten Blick das sehr geräumige Wohnzimmer auf, das fast leer ist und über die vorige Möblierung hinaus noch einen Teetisch mit 3 Korbsesseln am Ofen enthält, d. h. überhaupt Raum für persönliche Wünsche. Diese Wirkung ist durch die klare Gliederung erreicht: die Schlafzimmer an der Ostseite ohne Raumverschwendung genau nach der Bettgröße angelegt (durch Patentbetten können sie bei Tage geräumiger werden), keine Waschtische, sondern ein doppelter mit fließendem Wasser im Bad und neben ihm ein Regal für die Toilettengegenstände, Handtücher, Badetücher usw.

NeueWohnung49_1.gif (217360 Byte) Abb.49. Übliche Stockwerkswohnungen
NeueWohnung50_1.gif (115357 Byte) Abb.50.VerbesserteStockwerkswohnung
NeueWohnung51_1.gif (95878 Byte) Abb. 51. Küche zu Abb. 50

Der Raum des Bades völlig ausgenutzt, aber für die Benutzung ausreichend, das Klosett besonders zugänglich mit ständiger Entlüftung am Schornstein des Badeofens. Die organischen Ganglinien sprechen für sich; das Schlafzimmer der Eltern braucht nicht durch das Kinderzimmer betreten zu werden, sondern hat auch eine kleine Tür zum Wohnzimmer. Hier ist eine ganze Wand in 55 cm Tiefe für Kleider- und Wäscheschränke eingebaut, ein weiterer Wäscheschrank befindet sich zwischen den beiden Schlafzimmern, von jeder Seite mit einer Tür versehen. Hier braucht die Hausfrau nicht 3 Öfen zu heizen, sondern nur einen und zwar vom Flur aus, der die 3 Zimmer heizt (ev. Heizkammersystem). Der Flur ist übersichtlich mit einer bequemen Nische zur Kleiderablage. Küche und Wohnzimmer nach der Westseite gelegen im engsten Zusammenhange; Einrichtung der Küche in organischer Reihenfolge, eingebauter Küchenschrank, Herd, Anrichtetisch. Kühlschrank in der Ecke, daran anschließend Abwaschtisch, Abtropfbrett und Spülstein (Abb. 51). Auf dieser Seite eine ganze Wand für Geschirre und zwar so, daß rechts und links der Tür je ein Fach sowohl eine Tür nach der Küche wie nach dem Wohnzimmer hat, so daß man die vom Eßtisch abgeräumten Geschirre vom Wohnzimmer aus dort abstellen und nach Belieben in der Küche zum Abwaschen herausnehmen kann und ebenso umgekehrt; auch kann man Speisen durchreichen. Die Tür zum Wohnzimmer ist eine Doppeltür wegen des Geruchabschlusses. In der Nische des Wohnzimmers ein Schreibtisch mit Bücherfächern bis 1 m Höhe im Wandschrank ebenso wie unter dem Fenster, gegenüber das Klavier, das von dem hohen Fenster Licht auf das Notenblatt erhält. Ein Vorhang kann die Nische zum ruhigen Arbeiten oder zur Schalldämpfung beim Üben abschließen. Das hohe Fenster hat direkt unter der Decke Kippflügel zum Lüften, im übrigen ist im Wohnzimmer ein Fensterwintergarten als Ersatz des Blumentisches und eine Balkontür angelegt, wie auch vor der Küche und vor dem Schlafzimmer ein Balkon sein soll.

Die Skizze des Wohnzimmers (Abb.52) erläutert das Nähere und gibt den Beweis, daß eine solche Wohnung schließlich viel persönlicher ist und viel mehr Freiheit zur Entfaltung der Persönlichkeit bietet als die übliche. Bei dieser ist es ziemlich gleich, ob die Massenanhäufung ein klein wenig anders ist; im Grunde genommen ist es immer dieselbe Geschichte und eine auf die Spitze getriebene Uniformität. Hier aber, wo selbst auf kleinem Raum in klarer Übersichtlichkeit alle gleichen Bedürfnisse erfüllt werden und dazu noch ohne Reibung und ohne übermäßige Belastung der Frau, hier tritt jeder vom Nachbarn abweichende eigene Wunsch in der Ausstattung so deutlich in Erscheinung, daß er immer zu einem beherrschenden Eindruck wird: andere Farbenverteilung, abweichende Aufstellung der wenigen beweglichen Möbel u. dergl. mehr. Diese Wohnung erfordert weniger Kosten für ihren Bau wie für Möbel und Hausrat und hat selbst mehr Abstellraum; denn über der Reichhöhe der Wäsche- und Kleiderwandschränke befindet sich noch bis zur Zimmerdecke genügend Abstellgelaß für Dinge, die man nicht täglich braucht. Disziplin und ständiges Aufräumen des sich automatisch ansammelnden Überflüssigen ist freilich auch hier erstes Gebot: sonst droht die als Gefolge der Unsauberkeit auftretende Ungeziefergefahr, gegen die es eben kein Mittel gibt als Disziplin und Sauberkeit.

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Ist dies die Wohnung eines Stockwerkhauses, so zeigen die nächsten Abbildungen (53-56), wie sich der Grundriß des Reihenhauses in der Gartenstadtsiedlung verbessern läßt, wenn von vornherein beim Bau durch Wandschränke und dergl. genügend vorgesorgt wird.

Zu Grunde gelegt ist ein Grundrißtyp des Verfassers aus der Gartenstadt Falkenberg bei Berlin mit rund 70 qm Wohnfläche, der sich in der Praxis relativ gut bewährt hat. Er enthält unten neben dem Zimmer eine geräumige Küche, welche wegen des als Spülraum ausgebildeten Windfanges als Wohnküche benutzbar ist, im Obergeschoß zwei Schlafzimmer und eine Kammer für fünf Erwachsene und ein Kind. Die übliche Möblierung ist eingezeichnet (Abb. 53-54) und auch die in der Küche sich überkreuzenden, wenn auch einfacheren Ganglinien. Der Verbesserungsvorschlag (Abb. 55 u. 56) trennt die Küche vom Eßraum, welche mit dem Wohnraum, durch einen Vorhang getrennt, zusammengezogen oder auch von ihm durch eine Wand getrennt werden kann. Ein kleiner Eckschrank sowie ein Wandschrank nach der Küche hin mit Türen nach beiden Seiten erfüllt den Zweck des Büfetts. Die Küche ist vollkommen eingerichtet, nur ein Tisch wird neben den Herd gestellt, im übrigen mit dem Küchenschrank eine durchlaufende Tischplatte, Regale darüber, Abstellfächer darunter fertig eingebaut. Der Herd, welcher bei Siedlungshäusern oft auch mit Holz und Kohle geheizt wird, heizt in diesem Falle den Eßraum mit. Die Hauptheizung des Hauses durch einen großen Ofen unten vom Flur, welcher den Flur mit erwärmt und die oberen Zimmer mit Luftheizung versorgt. Diese mit einer großen Schrankwand versehen; beim Bad das Klosett abgetrennt und durch einen Gummivorhang abschließbar. Ebenfalls gemeinsamer Waschtisch mit fließendem Wasser.

Durch diese Anordnung wird das Reihenhaus in seiner Gesamtfläche um 6,8 qm kleiner.

Die erheblichen Baukostenersparnisse von etwa 1500Mark (rd.20%, nach dem Stand von 1914) werden nach der beistehenden Tabelle etwas eingeholt durch die festen Einbauten mit 930 Mark. Dieser Betrag gleicht die Ersparnis an mitzubringenden Möbeln mit 680 Mark (Warenhauspreise!) nicht ganz aus, womit aber gleichzeitig gesagt ist, daß das geschaffene Gelaß zum Unterbringen eben auch ein größeres ist.

NeueWohnung69.gif (334079 Byte) Zahlen nach dem Stande von 1914.

Die Gesamtersparnis an Kapital aber mit rd. 1200 Mark an Bau und Möbeln, 13%, bei 1000 Wohnungen schon 1 200 000 Mark, stellt eine ganz bedeutende Ersparnis am Volksvermögen dar, und zwar an einem Punkt, wo mit der Vergeudung dieser Summen ausgesprochene Schäden und Nachteile erkauft werden; denn es ergibt sich nun die durch die Übersichtlichkeit und Klarheit der Anlage, bessere Heizung u. a. sehr wesentlich eingeschränkte Arbeit der Hausfrau, die zahlenmäßig nicht zu berechnen ist, weil sie von der persönlichen Tüchtigkeit abhängt. Überhaupt sind die statistischen und ziffernmäßig aufgestellten Vergleiche mit größter Vorsicht zu nehmen, weil sie immer von sehr viel Nebenumständen je nach dem besonderen Fall abhängen, z. B. allein schon davon, welche Anzahl derartiger Wohnungen zu gleicher Zeit gebaut wird, welche Bevölkerungsschichten sie bewohnen u. dergl. mehr. Bei dem kleinen Einzelhause ist es natürlich noch leichter, allen persönlichen Wünschen Rechnung zu tragen. Eine Gelegenheitsarbeit auf diesem Gebiet aus dem Jahre 1921 stellt das abgebildete kreisrunde Wohnhaus dar (Abb. 57-60), das ebenfalls eine Drei-Zimmerwohnung enthält, ebenfalls mit reichlich eingebauten Wandschränken, unter Berücksichtigung subjektiver Wünsche. Oben befindet sich eine Wohn- und Schlafstube etwa für die Großmutter. Das Haus hat nur einen Schornstein und zwar in der Mitte. Seine merkwürdige Form als Hütte, bei der die Fenster genau von innen nach außen angelegt sind, entwickelte sich aus einem konstruktiven Gedanken: der Bohlenbinder (auch Zollingerdach) geht bis auf den Sockel herunter, um auf diese Weise seine konstruktiven Vorteile voll ausnutzen und gleichzeitig jedes teure Mauerwerk ersparen zu können. Gleichzeitig war der Gedanke leitend, daß ein im Grundriß viereckiger Bau dieser Kleinheit mehrere Räume enthalten muß, die mit zwei Wänden nach außen liegen, in der Ecke den Raum auskühlen und Gelegenheit zu Feuchtigkeitsniederschlägen geben, was hier bei dem Fortfall jeder Ecke vermieden wird. Zudem spricht ein wirtschaftliches Moment durch die mathematische Tatsache mit, daß beim Kreise das Verhältnis zwischen Grundfläche und Umfang das günstigste ist, also relativ am wenigsten Außenwände nötig sind, die die meisten Kosten verursachen. Diese Umstände würden die massenhafte Errichtung solcher Häuser rentabel machen. - -

Ein Beispiel des mittleren Einzelhauses, der sogenannten Villa, soll zeigen, wie sich hier bei größeren Raumverhältnissen die gleichen Grundsätze auswirken. Wie bereits erwähnt, werden eher die kleinen Wohnungen von den großen beeinflußt als umgekehrt; denn hier werden bei dem weitaus größeren finanziellen Spielraum viel eher Neuerungen auf dem Gebiet der Ausstattung und der Wirtschaftsräume durchgeführt. Bei dem in den Abb. 61-63 dargestellten Hause handelt es sich um die Familie eines Kaufmanns mit drei Kindern. Das Erdgeschoß soll drei Zimmer enthalten, ein Eßzimmer, ein Wohnzimmer und einen kleinen Raum mit einem Schreibtisch für die Dame. Die Küche soll wegen leichterer Bedienung im Erdgeschoß liegen und nicht im Keller. Gewünscht ist ein überdeckter Sitzplatz im Freien zum Essen, welcher zum Garten führt. Bei diesen Voraussetzungen müssen folgende Bedingungen erfüllt werden: einfachster Vorgang der Arbeiten in der Küche, besondere Zugänglichkeit der Küche mit gleichzeitig bequemer Verbindung zum Haupteingang, Abschluß der Küche von den Wohnräumen und dem Eingangsraum, damit weder Gerüche noch Geräusche in dieselben eindringen, sodann direkte Verbindung der Anrichte sowohl zum Eßzimmer wie zur Loggia. Die Loggia muß von allen drei Wohnzimmern aus direkt zugänglich sein. Diese Bedingungen sind hier derart erfüllt, daß das Haus eine sehr strenge Lage zu den Himmelsrichtungen erhalten hat: Die Loggia liegt direkt nach Süden, die beiden Wohnzimmer nach Osten zur Ausnutzung der Vormittagssonne, die Küche nach Westen und Norden. Die Loggia ist auf diese Weise gegen Ost- und Westwinde geschützt. Gleichzeitig wird die Auskühlung des Hauses infolge Durchzugs von der entgegengesetzten Seite vermieden, indem im Norden die Nebenräume (Haupt- und Nebentreppe, Garderobe, Toilette und der Eingangswindfang nebst Diele) vorgelagert sind. Bei diesen ist ohne unnötige Einschränkung jede überflüssige Raumverschwendung vermieden.

NeueWohnung57.gif (3793 Byte) Abb.57. Bruno Taut: Rundes Wohnhaus, Obergeschoß
NeueWohnung58.gif (4399 Byte) Abb.58. Erdgeschoß

Ebenso ist der Raum der Wohnzimmer voll ausgenutzt in dem Sinne, daß er vollständig dem täglichen Leben zur Verfügung steht. Die Wand zwischen Eß- und Wohnzimmer kann in ihren einzelnen Teilen als Faltwand zusammengelegt werden, so daß je nach dem Bedürfnis der Geselligkeit diese beiden Räume als eine einzige gemeinsame Halle sowie auch getrennt benutzt werden können. Das Eßzimmer enthält an Möbeln nichts außer dem runden Eßtisch; Büfett-Kredenz ist in der Wand eingebaut.Das Wohnzimmer hat unter dem hochliegenden großen Ostfenster eine durchgehende bis zu dem Fensterbrett reichende Schrankwand, die sich mit dem Sofa und dem Tisch zu einer Einheit verbindet: Farbe des Holzes wie der Flügel schwarz - hier eventuell Aufbewahrungsort für Kunstwerke und darüber Platz zum gelegentlichen Aufstellen. Das Zimmer der Dame mit einem Schreibtisch und einer Chaiselongue bedeutet eine Erweiterung dieses Wohnzimmers: es enthält einen Bücherschrank und an der Südostecke ein großes herumlaufendes Wintergartenfenster; die Dame kann von ihrem Schreibtisch aus direkt zum Eßtisch sehen. Von allen drei Wohnzimmern Türen zur Loggia, so daß das Haus im Sommer den Eindruck einer großen freien und geschützten Gartenhalle machen kann. Bei rauherer Jahreszeit kann je nach Bedarf in der Ecke des Wohnzimmers ein Frühstückstisch stehen - dieses und weiteres wird eine Frage subjektiver Wünsche sein. Ein Salon ist hier überflüssig (bei derartigen Häusern wird übrigens schon vielfach auf den Salon verzichtet) und zwar deshalb, weil man hier den Besucher im Zimmer der Dame oder im Wohnzimmer je nach der täglichen Benutzungsweise warten lassen kann. - - Die Küche ist trotz ihrer geräumigen Anlage so eingerichtet, daß der möglichst geringe Arbeitsaufwand und die äußerste Einschränkung an Arbeitswegen erreicht wird. Eisschrankaufzug vom Keller und Speisekammer mit Fenster nach Norden, von da zum Küchenschrank, dieser in der Nähe des Herdes und am Herd eine große Tischplatte, welche durch Durchreichöffnungen mit der Tischplatte in der Anrichte eins ist. Unmittelbar an dieser Tischplatte die Tür ins Eßzimmer. Der Weg zurück: in den Nebenraum der Küche zur Abwaschmaschine, diese in direkter Verbindung mit dem Geschirrschrank, welcher durch die Heizung angewärmt ist; er hat Türen nach beiden Seiten. Die Küche mit bester Beleuchtung und Platz zum Essen für das Personal; die einzelnen Apparate wie Küchenschrank, Herd, Abwaschvorrichtung und dergleichen können hier so gewählt werden, daß mit der gleichzeitigen Einschränkung der Arbeitswege durch eine einwandfreie Anordnung vielleicht eine Person je nach Umständen gespart werden kann. Bekannt sind die Abwasch- und Trockenvorrichtungen, welche jede direkte Berührung mit dem Wasser überflüssig machen, ebenso die neueren Herde, welche nach dem Prinzip der Kochkiste möglichst alle Vorgänge im geschlossenen Herdraum unter Beobachtung durch Thermometer vornehmen lassen (ihr Prinzip: "riecht es in der Küche gut nach Essen, so kocht man schlecht"). - - Das Obergeschoß dieses Hauses ist das bei derartigen Villen etwa übliche: Elternzimmer, Ankleidezimmer, Bad, drei Zimmer für die Kinder, Gastzimmer, Schrankzimmer, Nähraum und Klosett. Die Ausstattung mit eingebauten Waschtischen und absolut genügenden Wandschränken ist bei derartigen Häusern nichts Neues mehr. Die Zimmer der Kinder und Eltern sowie das Bad gehen mit Türen auf den Balkon über der Loggia, und dementsprechend beruht auch die Architektur des Hauses gewissermaßen auf einer großen Nische, welche die Südsonne auffängt und dies durch ihre Farbigkeit betont.

Die Anlage von Wandschränken in derartigen Villen hat sich auch bei uns als eine selbstverständliche Anforderung eingebürgert, der jeder derartige Bau Rechnung tragen muß, und zwar deswegen, weil man dort nicht im Unklaren über die finanziellen Vorteile der Möbelersparnis geblieben ist. Um so mehr ist es zu verwundern, daß man für die Einführung der Wandschränke in den kleinen Wohnungen bisher so gut wie nichts getan hat, ein Punkt, bei dem wir, wie gesagt, von England und Holland lernen müssen. Allerdings bedeutet der endgültige Schritt dazu einen gewissen Entschluß und vor allem eine gewisse Beweglichkeit in der Organisation; denn zunächst muß der Bewohner damit rechnen, bei etwaigem Ortswechsel sich wieder die verhaßten Kisten anzuschaffen. Die Organisation wäre durch Schaffung einer Schrankbörse, oder wie man es nennen will, zu erreichen; die bauenden Genossenschaften oder Gesellschaften eröffnen ein Schrankankaufs-, Schrankverleih-, -umtausch- und -aufbewahrungsgeschäft, das denjenigen, welche in eine neue Wohnung mit Wandschränken einziehen, ihre Schränke gegen Gutscheine abnimmt.

NeueWohnung59.gif (4975 Byte) Abb.59. Ansicht
NeueWohnung60.gif (3802 Byte) Abb.60. Querschnitt

Diese Gutscheine dienen zur Verrechnung entweder auf die Miete der Wohnung oder den Ankauf des Hauses, oder auch als Gutscheine auf Schränke für später, wenn mit einem Umzug gerechnet wird. Dieses Verfahren ist geschäftlich durchaus möglich, und es sollte deshalb kategorisch, wenn es nicht anders geht, durch behördliche Vorschrift verlangt werden, daß in allen neuen Wohnungen Wandschränke einzubauen sind. Ein ähnliches Institut könnte man sich denken für alles das, was ich hier etwas boshaft Krimskrams, Gerümpel und dergl. genannt habe, kurz das Überflüssige, um es entweder als bloßes Material zu verwerten und an die Produktionsstellen zu leiten oder auch an seine - unentwegten Liebhaber. Diese geschäftlichen Einrichtungen sind die Stellen, die die Aufgabe mit viel stärkerem Nachdruck erfüllen könnten, welche die Hausrat-Unternehmungen, Dürerbund u. a., auch der Werkbund erfüllen wollten. Bei diesen fehlte immer die dem Publikum und besonders den Frauen notwendige und unausbleibliche Auseinandersetzung mit den überkommenen Dingen und dem dazugehörigen Gefühlsballast. Es wäre eine Frage, ob die eben angeregten Schrankbörsen, in die dann der wilde Trödelhandel aufgehen würde, nicht so ausgebaut sein könnten. Die kulturelle Aufgabe solcher Institute wäre eine eminente. Höchstes Kriterium einer guten Wohnungseinrichtung ist die geringste Arbeit der Frau: Dies kann jede Frau sehr leicht aus ihrer eigenen Erfahrung am besten beurteilen. Aber, wie schon oft gesagt, lastet das Gefühlserbe so schwer auf uns allen, daß die unerfahrene junge Frau in ihrer ungebrochenen Frische zu leicht über die Arbeitslast, welche ihr die überflüssigen und ach! so "hübschen" Kleinigkeiten aufnötigen, hinweghüpft. Daher auch so manches Fragwürdige an Möbeln, ihrem Bau, ihrer Zweckmäßigkeit und an "Zubehör", an Vorhängen und allem anderen, was sich selbst bei dem besten Willen der Geschäftsleiter von besseren Hausrat-Unternehmungen einschleicht und Absatz findet. An diesen hier vorgeschlagenen Geschäftsstellen aber trifft sich das neue und das alte Möbel, hier sieht man handgreiflich die Wirkungen manchen Plunders und vor allem: hier trifft sich die junge mit der erfahrenen Frau. Oh! es wird auch an rührsamen Szenen nicht fehlen. Hat die klar denkende Nachbarin und auch der eigene Mann (ausnahmsweise) eine Frau von der Notwendigkeit des Ausräumens überzeugt - und hat sie schließlich allerhand zum Kramlager hingebracht, so wird sie vielleicht doch plötzlich ihren eben aufgegebenen Kakadu aus Steingut, geknetet von Professor Soundso, unter ausbrechenden Tränen umarmen: "Nein, von Dir lasse ich nicht - Dich hat mir das liebe Onkelchen Paul zur Hochzeit geschenkt - er wird sich im Grabe herumdrehen - usw." Oder: "Das hat unser lieber Willy gebastelt, weißt Du noch, Männe, als er gerade -."Oder: "Diese gute Katze (aus Pappmaché), diese Lilienjungfrau (aus Gips) hat mich 20Jahre lang immer so lieb angeguckt, und nun soll sie zerschlagen werden?-" "Zerschlagt, verschachert mein Glück---." Die kluge Nachbarin und der kluge Mann werden ihr ruhig ihren Willen lassen; sie wird ja von selbst, sei es auch nach Jahren, sehen, daß ihr Fetischismus ein Nichts ist und daß die "kahle" Wohnung ohne Bildchen und ohne Ölgemälde, ohne Radierungen, ohne Souvenirs, kurz "ohne" schließlich doch schöner ist; abgesehen davon, daß die von ihr genommene Arbeitsbürde ihr auch die Frische gibt, den Fetischismus und Aberglauben loszuwerden.

Scherben bringen Glück. Hier werden vor allem zwei Begriffe zerschlagen: die Kunstindustrie und das Kunstgewerbe. Es bleibt das Saubere Klare, was die Worte Industrie und Gewerbe ausdrücken, und die Kunst wird zur Selbstverständlichkeit, weil die gesamte Disposition der Wohnung dann eben künstlerisch sein muß. Man wird sogar gerechter gegen die Erzeugnisse der 80erJahre werden und finden, daß sie rein gewerblich, nach Abzug der "Kunst", oft außerordentlich solide und gediegen gearbeitet sind, fast durchweg mehr, als das heute durchschnittlich der Fall ist. Nach Absägen von Verzierungen zeigt sich dann ein tadelloses konstruktives Gerüst und manche Stuhlkonstruktion, z. B. der Wiener Rohrstuhl, wird Anlaß zum Aufgreifen einer guten verloren gegangenen Tradition geben (siehe Abbildung 38/39).

NeueWohnung61_1.gif (66165 Byte) Abb. 61. Bruno Taut: Villa

Auch manche Erfindung jener Zeit wird aufleben, z. B. der Schuhputzer, der zu Unrecht vernachlässigt ist. Gerade bei der klaren, vereinfachten Wohnung liegt der Kernpunkt der Reinhaltung in der Glatt- und Sauberhaltung des Fußbodens, und da wir die japanische Sitte des Schuhwechsels am Hauseingang nicht so ohne weiteres bei uns einführen, selbst auch im Einzelfall nicht bedingungslos erzwingen können, so liegt hierin mit der Nötigung zur radikalen Schuhreinigung eine ausgezeichnete Einrichtung, um der Hausfrau zu helfen: Bürsten, um Schuhe und Stiefel oben und unten, auch an den Absätzen ganz sauber zu machen, und unten ein Schieber, um den Schmutz zu entfernen. - -
Diese im vorigen empfohlenen praktischen und geschäftlichen Übergangsmaßnahmen sind ebenso wichtig wie der Bau der neuen Wohnung selbst; denn durch sie entsteht erst die wirkliche Beteiligung der Frauen am Bau und die Bildung einer guten Überlieferung, welche eine Erfahrung mit der anderen verbindet und verbessert. Deshalb sind die vorhergebrachten Verbesserungsvorschläge der Stockwerk- und Reihenhauswohnung (Abb. 50-56) nur zur Kennzeichnung der Richtung am konkreten Beispiel zu betrachten. Bei ihnen sind im Wesentlichen die Wohnsitten, also die Lebensformen selbst unverändert geblieben.

NeueWohnung62_1.gif (68161 Byte) Abb. 62. Obergeschoßgrundriß
NeueWohnung63_1.gif (63679 Byte) Abb. 63. Erdgeschoßgrundriß

Daß aber auch diese sich wandeln werden und durch die Befreiung der Frau wandeln müssen, braucht kaum erwähnt zu werden. Einen Schritt nach dieser Richtung bedeutet der von dem holländischen Architekten J. W. Janzen im Haag entworfene Haustyp, welcher bei dem Wettbewerb "Kommendes Bauen" in Amsterdam 1920 den ersten Preis erhielt. Das Wichtigste daran, sozusagen die Erfindung, ist der große ungeteilte Raum des Erdgeschosses, also Wohnzimmer und Küche zusammen, der aber durch eine äußerst geschickte Anlage von Falttüren ganz verschiedenartig je nach Belieben und zwar jederzeit geteilt werden kann, in fünf Variationen, wie aus Abb. 64 ersichtlich. Die stete Anpassung der Wohnung an gewisse Veränderungen des Lebens und an die verschiedenen Vorgänge der Arbeit am Herd und am Schreibtisch, Essen und alles andere ist hier möglich. Diese Wohnung ist ein wichtiger Schritt dazu, unsere geistige Haltung beweglicher, einfacher und freudiger zu machen.


VI     DIE "IDEALWOHNUNG"

Alle Zeitbestrebungen haben die Richtung auf ein Ziel, das sich von selbst verändert oder erweitert, wenn es nahezu erreicht ist. Abb. 1 stellte die Idealwohnung jener Zeit dar, das höchste erreichbare Ziel. Das unsrige schwebt uns nach allem bisher Gesagten ziemlich deutlich vor. Es ist aber nötig, es auch in Kürze zu fassen, damit jede einzelne Handlung in Ruhe und Sicherheit des Wollens verlaufen kann. Wie sieht unser Wohnungsideal, das ideale Heim aus? Soll man es zeichnen und entwerfen, kann man es überhaupt? Es zu tun, führt in das Reich der Utopie, in der die Wohnung wohl auch behandelt werden kann, jedoch nur als einzelner Teil eines großen Veränderungswunsches, wenn die Utopie überhaupt Sinn haben soll.

NeueWohnung64.gif (200138 Byte) Abb. 64. J. W. Janzen, Haag: 1. Preis im Wettbewerb "Kommendes Wohnen" Amsterdam 1920

Diesen hat sie eben nur, wenn sie gewisse neue Bruchstücke, rudimentäre Ansätze in der Gesamtkultur unserer Zeit zu einer in der Phantasie möglichen Gesamtkonsequenz bringt, die alle daraus etwa möglichen Erscheinungen des Lebens umfaßt und damit wieder gewisse Schlüsse auf die Bedeutung unserer Zeitrudimente zuläßt. Auf diese Weise kann die Utopie unbewußt praktischen Wert bekommen, wie es auch tatsächlich oft geschehen ist. So manche neue Erscheinung, manche Erfindung, Gesellschaftsform und sonstiges ist nach Jahren oder Jahrzehnten zur Wirklichkeit geworden, nachdem das Buch, in dem sie in phantastischer Umkleidung zum ersten Male als Gedanke erschienen ist, schon längst vergessen worden war. Die vorausgeahnte utopische Wohnung ferner künftiger Zeiten aber kann nach dem vorigen ebenfalls nicht ohne Zusammenhang mit dem menschlichen Gesamtkomplex behandelt werden; ohne etwa die gleichartige Behandlung des sonstigen, sich auch außerhalb der Wohnung abspielenden Lebens, der Erziehung, des Verkehrs, der Siedlungs- und Großstadtfrage, würde sie ganz unverständlich bleiben. So manches gibt es davon in den verschiedenen Dichtungen: Wells, vor allem Paul Scheerbart. Der Verfasser hat in seinem Buche "Die Auflösung der Städte oder Die Erde eine gute Wohnung" (Folkwang-Verlag 1920) in der dortigen Zeichnung 7 auch das Wohnhaus der Zukunft angedeutet: "Im Prinzip eine ,Schachtel‘ mit einem einzigen Wohnraum. Form je nach Wind, Sonne und Lage wechselnd. Homogene Wandteile immer anders zusammengesetzt. Oberlicht; Heizung, Kochen, Licht elektrisch. Zwischenwände so verschiebbar, daß das Hausinnere immer leicht jedem Wunsch folgen kann. Jeder Hausgenosse kann sich innerhalb der großen Kapsel leicht selbst einkapseln. Kein Schrank hindert ihn; denn Schränke sind überall eingebaut, und alles andere sind mobilste Mobilia. Jede Wand hat eine andere Farbe, auch außen, die Decke ebenso. Beides aus Tafeln von schlechten Wärmeleitern, an den Ecken mit Falzen und Aufsatzleisten. (Unter Decke ist hier auch Dach gemeint - Einzelhaus!) Wandlungsfähig ist das Haus wie der Mensch, beweglich und doch fest. - - Einfache Menschenhütten brauchen nur Hütten zu sein. Nur Schutz gegen Regen, Kälte und Hitze - aber auch keine Maulwurfshaufen. Wir halten uns doch für feinst organisierte Weltwesen. Aber die Kapseln um unsere Leiber müssen einen weiten Abstand halten von der Wohnung der Ideen." Man erkennt an den letzten Worten, wie hier die Weltanschauung hineinspielt und zur eigentlichen Ursache der von der Phantasie gegebenen Form wird.

Die Behandlung der Wohnung als Einzelfrage kann aber nicht zur Utopie werden; sie würde sonst das Thema dieser Schrift sprengen und alles bisher Ausgeführte wäre nur das Vorwort eines beginnenden großen Buches. Der Ausblick dahin hat jedoch denselben Wert wie der Rückblick in die Vergangenheit. Wir nehmen daraus, was wir brauchen können, mit dem Rechte unserer eigenen Gegenwart, und gestalten uns unser eigenes, nicht unerreichbares Ziel; denn dieses brauchen wir für jede Handlung des Augenblicks. Es geht dabei nicht an, gewisse bei einzelnen Kreisen beliebte Wünsche und Neigungen, romantische Wandervogelmanieren, burschikose Mätzchen und dergleichen besonders zu beachten. Auch die vielfach auftretende Neigung zum Hocken auf dem Boden ist vorläufig ziemlich nebensächlich, bis sich herausstellt, daß es ein inneres Bedürfnis und keine äußerliche Beeinflussung durch ferne Kulturen ist. Im übrigen ist die Wohnung nicht schwer daran anzupassen. Das Gefährlichste sind aber formalistische Prinzipien und Thesen; sie erzeugen bestenfalls eine neue Mode und töten damit nur den eigentlichen Schöpfungsprozeß, weil ihre Herkunft akademisch ist, d. h. sie machen bewußte oder unbewußte Nachahmungen ferner oder gewesener Dinge zur Schule. Dieses Gebiet künstlerisch-intellektueller Spekulation und Abstraktion zerstört oder bedroht jeden gesunden Keim. Die Kunstgewerbeschulen in erster Linie, sodann die Kunstakademien, Hochschulen, selbst manche Lehrwerkstätten kultivieren, ohne es zu wissen, immer noch jenen "Aufschwung", der ein halbes Jahrhundert alt ist, zwar in "veredelter", "durchgeistigter" Form, und ihnen sekundieren, ebenfalls ohne es zu wissen, die Künstler, welche mit der Maschine liebäugeln anstatt selber Maschinisten und Ingenieure zu werden. Das heutige Wohnungsideal läuft auf eine kurze Zusammenfassung des bisher in dieser Schrift Behandelten hinaus: An der Spitze steht keine einzelne Eigenschaft der Wohnung, sondern die Gesamtheit aller ihrer Eigenschaften. Es muß ein Organismus erreicht werden, der die absolut korrespondierende Hülle des heutigen Menschen in seinen fruchtbaren Eigenschaften ist, sie ist also darin der Kleidung verwandt, sozusagen ihre Erweiterung. Die Fruchtbarkeit des Menschen, sein Schöpfertum, nicht bloß des Einzelnen, sondern gerade auch der Gesamtheit, liegt wie immer in der Umgestaltung der Dinge. Für diese Umgestaltung in unseren Tagen sind sichtbare Zeichen alle Erscheinungen, welche es früher, teils sogar vor kurzem nicht gab, also im Wesentlichen die Schöpfungen der Industrie. Sie haben unser heutiges Leben umgebildet und werden auch die Wohnung umbilden. Deutlich wird dies bei der Betrachtung der Verkehrsmittel, des Autos, Flugzeugs, Motorboots, der Ozeandampfer und der Bahnen sowie bei der lebendigen Erfassung der umwälzenden und zu unserem unentbehrlichen Besitz gewordenen Erfindungen, der Telegrafie, Telefonie, des Funkspruchs, der Elektrizität, aller Verwendungen des Motors, zu denen neuerdings die verstärkte Ausnutzung der Wasser- und Windkraft hinzutritt, sowie des Herdes nach dem Prinzip der Kochkiste, der neueren Heizung u. dergl. Die neuen Materialien, welche gar nicht mehr handwerklich, sondern rein industriell verarbeitet werden, haben mit allen neuen Apparaten, welche man teils vor 20, teils sogar vor 10 Jahren noch nicht ahnte, unser Leben durchsetzt und sind auch bis in die Wohnung hineingesickert, die ihnen bisher den schwersten Verteidigungswall entgegengesetzt hatte. Dieser Wall ist durchlöchert, teils zusammengestürzt und der Schutt muß weggeräumt werden, oder noch besser: man verläßt die Ruine und begibt sich auf freies Land.

Die Idealwohnung hat also ebenso wenig mit Ästhetik etwas zu tun wie die vorhergenannten Dinge; sie hat aber auch ebenso viel damit zu tun wie diese Dinge. Das Gleiche gilt für alles Praktische; auch dieses ist entweder gar nicht da oder es ist in Vollendung da, so daß es zugleich mehr ist als praktisch, d. h. auch ästhetisch und ethisch. Die Haushaltsarbeit muß in solchem Organismus zur Freude werden statt zur Last. Das ist möglich; denn jede Arbeit wird zur Freude, die sich organisch disponieren läßt und deren Enderfolg deshalb in jeder Einzelleistung eingeschlossen ist. Wie das Gehäuse sich daraus gestaltet, ist in der Entwicklungslinie in den vorigen Abschnitten gekennzeichnet worden, und es ergibt sich daraus, daß Lichtheit, Klarheit, Übersichtlichkeit, Freiheit von jeglichem Ballast, von jeglichem Museumscharakter, von jeder Muffigkeit die erste Voraussetzung für die Arbeitsfreudigkeit der Frau ist. Jetzt kann sie ebenso disponieren wie der Mann in seinem Beruf und jetzt kann sie damit schöpferisch werden. Welche eminenten Aufgaben für sie allein im Aufräumen, nicht bloß materiell, sondern gerade ideell und gefühlsmäßig vorliegen, ist ebenfalls behandelt.

Das Praktische und Ästhetische als Einheit; deshalb die Idealwohnung restlos schön. Eine Hülle des Menschen, sein Schutz, sein Gefäß der ersten und letzten Gedanken, Worte und Handlungen, sein "Nest". Ganz anders wird die greifbare Form dieses Nestes, ganz anders als die letzten 50 Jahre gartenlaubenhaft mit diesem Vergleiche gespielt haben. Nichts von sentimentaler Rührsamkeit, nichts von romantischen Idyll, nichts von Traumbetäubung, ebensowenig wie in der Dynamo- und Schalthalle des Kraftwerks, aber anders, und zwar gestaltet in Verbindung mit der Intimität des privatesten, eigensten, menschlichen Lebens; der Traum darin als Erweiterung innerer, noch nicht genügender Klarheit, das Gehäuse, die "vier Wände" so einfach, aber auch so wenig banal und schematisch in Farbe und Material, daß der Traum, der Gedanke der Zukunft von ihm geweitet wird und es selbst wieder weitet. Die beste und schönste Anordnung der Räume, der Möbel zu schildern, ist nach allem bisher Gesagten überflüssig; wie wir es besser zu machen haben, wissen wir im Wesentlichen und beim eigentlichen Beginn, wenn die Frau anfängt schöpferisch zu werden, wird das Ideal eine immer deutlichere Fassung erhalten und man wird von allen Wohnungsschöpfungen das Beste nehmen können, um es zu diesem Ideal auch deutlich und real bewohnbar zu gestalten. Heute schon das Ideal selbst aufzeichnen, hieße diesem Schöpfungsprozeß vorgreifen, der Frau wiederum die Hände binden und bloße Männerarbeit verrichten. Jedes Ideal ist mit der Totalität des Daseins, mit den umfassenden Gedanken verknüpft. Man wäre versucht, hier nach der Sehnsucht unserer Zeiten zu schreiben: "der Mensch in der Mitte". Aber ich möchte selbst dies nicht tun; die Gefahr eines Götzenkults steht zu nahe. Ich begnüge mich mit dem Schaffen, mit dem Freimachen der schöpferischen Kräfte, in diesem Falle derjenigen der Frau. Es ist nicht nötig, ein Dogma zu formulieren; die Welt ist um so großartiger, je weniger sie in ein Gedankensystem gebannt wird. Das Wichtigste läßt sich nie aussprechen; es liegt aber in allen Handlungen enthalten und lebt um so stärker vielleicht, je mehr es sich dem Wort entzieht. Eine Fahne freilich brauchen die Menschen. Wie sie aussieht in Dingen der Weltanschauung, ist nicht mehr ganz undeutlich; die Flugzeuge fliegen schon über die Meere und viele Ozeandampfer tragen in jeder Sekunde tausende von Menschen zwischen den Erdteilen hin und her. Sie wird einmal ganz deutlich werden; doch darf niemand vorgreifen.

Für das Wohnungsideal aber gibt es eine einwandfreie Parole. Sie lautet: D i e   F r a u  a l s  S c h ö p f e r i n. Man muß diese Worte in ihren letzten Konsequenzen verarbeiten, und dann wird sich auch die Antwort für alle die hilflosen Fragen verängstigter Gemüter finden, auf denen allzusehr die Last des Erbes lastet: Sollen wir denn nun in dieser nüchternen, ganz bildlosen Wohnung hausen, was sollen all die armen Maler anfangen, bleibt denn für das Gemüt nichts mehr und was fangen alle die Frauen und jungen Mädchen in ihrer Langeweile an, wenn der Haushalt so schön funktioniert und sie keine Häkeleien mehr machen sollen? - Die freigewordene Schöpferkraft der Frau gibt die Antwort, sonst wäre sie ihres Namens nicht wert: Kinder von 12 Jahren an und junge Mädchen lernen nicht bloß das Sauberhalten der Wohnung, sondern auch das völlige lnordnunghalten d. h. alle die kleinen Reparaturen, die immer der Haushalt braucht, je nach Veranlagung Glätten des Bodens, Ausbessern von Wand und Decke, des Anstrichs, auch Neuanstrich, um den Farbeneindruck der Zimmer zu ändern, Reparaturen an Möbeln, Leitungen, Geräten, kurz: der schon überall vorhandene Handwerkskasten wird zur gepflegten Handwerkskammer der Wohnung, und Spielzeug für die Kleinen, Modellwohnungen, neue Puppenstuben entstehen durch die Hände der mehr Phantasiebegabten. Im übrigen aber Sport, Körperübung, Gartenpflege an erster Stelle! Wo jedoch ein nicht zu bändigender Spieltrieb ist, da braucht auch er sich nicht in der ewigen Bemusterung von allem und jedem, in Blümchen und Spitzen und Sprüchlein auszutoben; alle Musterungen können verschwinden und doch kann der Spieltrieb seine Nahrung finden. Wie? Es könnte z. B. an einem ganzen Bodenbelag eines Zimmers jahrelang gearbeitet werden, ebenso an einer Chaiselonguedecke, einer Matte, und ebenso an der Auskleidung des Innern der Türen eines Wandschrankes und des Schrankinnern selbst in reichen freien Geweben und Stickereien, und jeder Fortschritt daran wäre ein neues Weihnachtsgeschenk. Und die Maler brauchen nicht brachzuliegen; nur starren uns jetzt ihre Bilder nicht immerfort an. Wir holen sie hervor, um sie zu betrachten, und verbergen sie wieder, und in einem Wandschrank könnte ein schönstes Werk wie in einem Altarschrein geborgen sein, sich zeigend nur an den festlichen Tagen und eingefaßt dann durch die eben geschilderten Arbeiten.

Was sich nicht immer zeigt, verlangt Aufmerksamkeit; die Erwartung bleibt immer in Spannung, und es wird sich dann erst erweisen, ob wir heute eine Kunst in dem Sinne haben, in dem wir das Wort anwenden. Was sich dann hält, wird auch von Wert sein; das übrige mag ruhig sterben. Die Leistung der Frau wird eine aufbauende; sie scheidet das aus, was den Aufbau verhindert, und errichtet mit dem übrigen den Neubau der Wohnung, des Heims. Jetzt gelangt das Volksleben zu ganz anderer Prägung. Es gab auf der Erde noch nie eine schlimmere internationale Uniformität als den "Geschmack" seit den 80er Jahren. Alle Wohn-, Hotel- und Pensionszimmer waren in ihrer gleichmäßigen Überladenheit auf der ganzen Erde dieselben und und nicht voneinander zu unterscheiden. Die neue Wohnung beruht gewiß auf Einsichten, welche jedem Vernünftigen, ganz gleich welcher Nation, einleuchten müssen, ebenso wie wir es bei den alten Kulturen gefunden haben. Aber gerade deswegen kann sich jetzt jede geringste Verschiedenheit des Klimas, der Wohnsitten und des Gefühls erst deutlich ausdrücken. Mit der Nation verhält es sich wie mit der Person: wer seine Persönlichkeit besonders unterstreichen muß, bei dem ist sie schon brüchig. Wer aber die klare Linie seiner Einsicht einfach verfolgt, ohne sich darum zu kümmern, ob sie nicht allzu einfach, nicht allzu selbstverständlich ist, der bleibt schließlich auch die stärkste Persönlichkeit. So wird auch unser Volk seine eigene und bestimmte Wohnungskultur hervorbringen, wenn es die einfache selbstverständliche Einsicht verwirklicht.


VII     DER NEUE HAUSBAU

Der Mann wird jetzt das neue Haus erst bauen können, nachdem auch sein Weg durch die Erlösung der Frau frei geworden ist. Seine Freiheit, Beweglichkeit und Bereitschaft zum Betreten des schon längst fertigen neuen Weges wird eine Folge der Befreiung der Frau sein; denn jede Form der Sklaverei reißt auch den mit hinein, der äußerlich und scheinbar nicht darunter zu leiden hat. Kann sich jetzt im Wohnraum keine Maus mehr verstecken, ist die Muffigkeit verschwunden, zieht man den Fenstern, Lampen, Tischen keine Röckchen und Unterröckchen mehr an, dann wird man auch vom Hause selbst etwas anderes verlangen. Man wird nicht mehr sein Ideal in Mansardenfensterchen mit vielen Sprossen und Blumentöpfchen davor oder im Pfefferkuchenhäuschen, übertragen aus dem mißverstandenen Bauernhaus, mit bunten Läden, darauf gemalten Herzen, kurz überhaupt nicht in irgend einer romantischen, in unsere Zeit hineingezerrten Liebhaberei sehen, die immer Zerrbild bleiben muß; denn bei aller Sehnsucht kann niemand, so sehr er sich auch anstrengt, auch nur entfernt so leben wie unsere Vorfahren. Das neue Wohnhaus wird sich jenen Ansprüchen nähern und ihnen schließlich ganz entsprechen müssen, die vorher an die neue Wohnung gestellt worden sind. Hierbei gilt genau dasselbe, fast noch in verstärktem Maße, was dort über die Umgestaltung unseres Lebens durch die Maschine, das Ingenieurwesen und die Industrie gesagt wurde. Bei näherer Betrachtung zeigt sich sogar, daß der bisher geübte Hausbau eine vollendete Karikatur darstellt. Wir bauen heute die Häuser fast ganz genau noch so, wie sie vor vier Jahrhunderten gebaut wurden; ein Stein wird auf den anderen gesetzt, der Rauch zieht durch Schornsteine ab, in die Mauern werden die Fenster eingesetzt und die dicksten oder besten Mauern durch ihre Zerschneidung mit einem Fenster, durch die dabei notwendigen Falze und Fugen dem unmittelbarsten Wärmeverlust ausgeliefert. Es gibt einwandfreie und sehr leichte Konstruktionen für Wände; eine davon ist die Thermoswand. Sie wird beim Kabinenbau auf Dampfern einwandfrei verwendet, für den Häuserbau muß sie aber mit den Guckfensterchen rechnen, weil das Publikum und die Architekten vom alten Haus nicht loskommen. Und durch diese eingeschnittenen Fenster wird die ganze ausgezeichnete Wand illusorisch, weil allein durch die Fugen des Fensters bei solidestem Bau ein Vielfaches an Wärmeverlust gegenüber der ganzen Wand in Anspruch genommen wird*). Ebenso sonderbar ist es, wenn auf eine so leichte, ihrem inneren Gefüge nach geradezu schöne Wand ein plumpes, schweres Dach mit Dachsteinen aus der Urväterzeit gelegt wird, kurz und gut alles Atavismen, unverdaute Erinnerungsreste, die zu den neuen, nicht zu umgehenden Mitteln des Bauens Widersprüche über Widersprüche häufen und das Ganze zu einer vollendeten Karikatur machen. Dies nur als Beispiel von vielen; es ließe sich die Reihe beliebig weit fortsetzen über das Dachgebälk, die Decken, Fußböden, Isolierungen, Fundamente usw. Heute bleibt dem Architekten im allgemeinen nicht viel anderes übrig als eben unter dem Zwang der alten Gewohnheiten einen möglichst sauberen Kompromiß (beispielsweise Abbildung 65) zu schaffen, und selbst dieser wird durch die hineingebrachten Möbel zerstört. Für den Hausbau steht ein neuer Schritt bevor: Alle die teils sehr guten Erfindungen und Konstruktionen für die einzelnen Bestandteile des Hauses, welche bisher nur von einzelnen Firmen je nach der zufälligen Konjunktur im Rohmaterial gepflegt und vertrieben worden sind, müssen zusammengefaßt werden. Die sinnlose Kraftvergeudung und die damit verbundene Verwirrung hat sich heute schon totgelaufen, nach wenigen Jahren seit der Ausstellung für sparsame Bauweise im Jahre 1920 in Berlin, wo unglaublich vieles für alle Einzelheiten auftauchte und doch alles, weil es nicht organisch verbunden war, schließlich mehr oder weniger mißtrauisch aufgenommenen wurde.

*) Vgl. Dr.-ing. Karl Hencky: "Die Wärmeverluste durch ebene Wände", Verlag R. Oldenbourg, München und Berlin 1921, S. 93-97.

Die Industrie muß wie die bisherige Großindustrie anderer Gebiete die wichtigsten Erfindungen organisch zusammenfassen und experimentell zum Gesamtresultat bringen. Wenn sie es nicht tut, so werden es die öffentlichen Organe tun. Man sollte sich die Erzeugung elektrischer Lampen zum Vorbild nehmen, die eine lange Reihe von Laboratoriumsversuchen durchmachen müssen, ehe der neue Typ zur Fabrikation kommt.

NeueWohnung65.gif (50927 Byte) Abb. 65. Siedelung Reform Magdeburg, Privatstraße

Man könnte den Wohnhausbau etwa nach dem Vorbild des Automobilbaues handhaben. Zuerst sorgfältigste Auswahl des besten Rohstoffs mit geringstem Verbrauch und Gewicht, dann Zusammensetzung dieses Materials in sachgemäßester Weise experimentell in Probehäusern, an denen so lange studiert und geändert wird, bis das Optimum an Wirkung, das im Gebrauch beste Haus und die leichteste Herstellung erreicht ist. Hierfür müßte eine bestimmte Zeit vorgesehen werden. Es ist ersichtlich, daß die Arbeit am Zeichentisch dabei eine weniger wichtige ist; man kann wohl zunächst von einigen Punkten ausgehen, aber das Wesentliche ergibt sich aus dem praktischen Versuch, aus dem Probewohnen immer wieder veränderter Haustypen, bis es so weit ist, daß man die einzelnen Bestandteile, gegliedert in wenige Normenteile, in die Fabriken gibt, um sie in Massen herzustellen. Dann werden die Häuser in wenigen Bestandteilen angeliefert und rasch errichtet. Leichtmaschinen auf der Baustelle sorgen für die Herstellung bestimmter Teile. Dieser Vorgang ist ein unausweichlicher; beispielsweise ist ein Haus, das im höchsten Maße warm hält, genau so gut für die Tropen zu gebrauchen, da es ebenso gut kühl hält. Wenn nicht allein die Möglichkeit eines Monopols lockt, so wird die neue Sache dazu führen, nicht anders als beim Auto und Flugzeug. Allerdings wird es zu einem solchen Aussehen des Hauses kommen, daß man, wenn man diese Häuser mit den heutigen Augen betrachtet, sie kaum als Wohnhäuser ansprechen wird. Um nur als Beispiel einen Punkt zu erwähnen: Nach dem vorher über die Thermoswand Gesagten ist es, rein sachlich betrachtet, glatter Unsinn, Beleuchtung und Lüftung des Raumes in einem Apparat zu vereinigen, d. h. im bisherigen aufgehenden Fenster. Schon dadurch wird sich im Aussehen fast alles ändern. Das gleiche kann man vom Dach sagen und von vielem anderen. Allerdings darf nicht der geringste Ästhetizismus hineinspielen; wie das Haus aussieht, muß zunächst jedem ganz gleich sein. Es muß nur darauf ankommen, was es ist, was es leistet, wie leicht es zu bauen ist, und dann wird es von selbst auch schön sein. Man denke auch an die Veränderungen im Inneren des Hauses durch motorische Kräfte. Die stärkere Ausnutzung der Wasser- und Windkraft muß für die allgemeine Verwendung des Motors im Beleuchten, Heizen, Kochen, Reinigen usw. gelöst werden. An Stelle vieler Öfen mit Arbeit, Kohlenstaub, Rauch tritt vielleicht die gleichmäßige Erwärmung des ganzen Fußbodens, die eine milde sein kann, wenn das Haus ein Minimum an Wärme an die Außentemperatur abgibt. Ebenso könnte man auch die künstliche Kühlung kultivieren. Alles das klingt so wie eine Utopie, wie etwa einem Zeitgenossen Goethes die Schilderung der Streichhölzer geklungen hätte. Das Merkwürdige ist nur, daß wir heute, was den ganzen Hausbau betrifft, eigentlich immer noch Rätsel raten und keine positiven Anfänge gemacht haben, und zwar, wie es scheint, auf der ganzen Welt nicht; denn alles blieb immer nur Bruchstück. Die großen Organisatoren konnten vielleicht noch nicht auftauchen, weil die Gefühlsdinge zwischen ihnen und der Aufgabe wie ein undurchdringlicher Wall lagerten, genau wie bei der Wohnung. Die Männer waren ebenso wie die Frauen ganz und gar eingelullt in sentimentalen Hemmungen; sie werden erst dann wirklich frei, wenn die Frauen frei geworden sind. Bei den alten Beispielen zeigte sich gelegentlich, z. B. Abb. 6 u. 10, daß es früher beim Hause zwischen außen und innen eigentlich gar keinen Unterschied gab. Das ist heute beispielsweise beim Auto der Fall (außer wenn dort Puppenstubengardinen, Blumenväschen und dergl. à la Raffke angebracht sind). Bei dem künftigen Hause muß das ebenso der Fall sein, entsprechend seinem Entstehen, das unausweichlich ist, ganz gleich, ob die sentimentale Abwehr noch auf Jahre oder Jahrzehnte die Oberhand behält. Das Haus wird sich dann vielleicht sehr einfach gliedern in die beiden großen Abteilungen Stockwerksbau und Flachbau, und beide werden vielleicht organisch zusammentreffen, indem der Flachbau den obersten Teil des Stockwerkhauses bilden kann. Dieses wird nach dem Prinzip der heutigen Hochbauten als Gerippe zunächst errichtet, in normalen Stockwerkshöhen und Hauptmassen für Pfeilerstellung, Gesamttiefe und Treppe, und hier werden dann die industriell hergestellten Teile hineingestellt unter Variation je nach verschiedenen Wohnungsgrößen und sonstigen Bedürfnissen. Der Hausbau wird jetzt gleichzeitig Wohnungsbau sein, und zwar in einer Einheit, die uns bis heute fremd ist; denn was die Bewohner jetzt hineintragen werden, ist nur noch ihr eigenes Leben und das ihm entsprechende bewegliche Gerät. Es ist schon vorher berührt worden, daß dieses Leben jetzt zu viel kräftigerer und auch persönlicherer Gestaltung kommen kann; denn in der Freiheit vom Wust entwickelt sich die Persönlichkeit erst völlig. Die Begriffe Individualismus und Kollektivismus verschwinden unter der höheren Einheit, unter der natürlichen und wirklichen Einheit von Mann und Frau. Die Frau wird, wie in dieser ganzen Schrift betont, die erste Schöpferin sein; denn sie muß bei sich anfangen und so weit kommen, wie der Mann organisatorisch vielfach im Büro, in der Fabrik, in allen Berufen gekommen ist, in denen ein leichter und beweglicher Geist lebt. So wird schließlich die Frau als Schöpferin des Heimes auch die Schöpferin des Hauses, und es kann jetzt im bejahenden und freudigen Sinne heißen:

D e r  A r c h i t e k t  d e n k t
D i e  H a u s f r a u  l e n k t.


NACHWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE

Möge diese nach Ablauf weniger Wochen seit Erscheinen des Buches notwendig gewordene neue Auflage die Hoffnung der Frauen auf die Erleichterung ihres hausgebundenen Lebens erfüllen helfen! Viele Äußerungen und Zuschriften, oft getragen von einem resoluten Entschluß, bekräftigen die Hoffnung. Dieses kleine Buch will nicht Rezepte und Regeln geben, sondern bringt die einzelnen Beispiele lediglich als vorläufige Anzeichen der neuen Gesamtauffassung; deshalb möge man nicht allzusehr bei ihnen beharren und vielmehr den Blick auf den sich wendenden Lauf der Zeit und ihrer Anschauungen richten. Es liegt in unserer Natur, vom Einzelnen auszugehen und daraus Schlüsse zu ziehen. Doch muß man in der Frage der Wohnung besonders beachten, daß hinter allen scheinbaren Äußerlichkeiten menschliche Beziehungen, oft genug Verzwicktheiten liegen und daß mit dem Festhaken an einer Einzelheit Schärfen menschlicher Art entstehen könnten, die diesem Buch fernliegen; schon deshalb gleitet sein Ton manchmal ins Scherzhafte, um an die Stelle der tragisch sauren Miene das Lächeln zu setzen, das allein Neues schafft. Trotzdem bleibt der Kampf bestehen, aber mehr gegen Dunstkreise als gegen die einzelne "an sich" unschuldige Sache. Das eine Milieu zeigt sich aus einer Zuschrift etwa in folgenden Worten einer Dame:

"Nein, nein, Herr Baurat, davon wird keine deutsche Hausfrau krank. Mit Modetand wird mehr Zeit vergeudet und übermäßige Nervosität rührt mehr davon her, daß sich heutzutage viele Frauen mit Dingen befassen, die das Seelenleben mehr aufrühren als harmloser Erinnerungskitsch, der nur ein Staubtuch und manchmal ein Tränchen in Bewegung bringt. Also Herr Baurat, nicht zu viel einreißen und umschmeißen, nie vergessen: "deutsch" sein! Wo eine echte deutsche Seele weilt, ist Freiheit, Licht, Klarheit und Wahrheit." Die andere Duftwolke kommt uns aus folgenden Zeilen entgegen ("Brief an Maja" von E. G., Welt am Montag vom 9. September 1924):

"Ich arbeite als Privatsekretärin in seiner Villa, und wenn früh mein Fuß zaghaft den ersten der sieben im Herrenzimmer genial verstreuten Teppiche (eigentlich sind es sogar acht, denn auf dem Tisch in der Mitte liegt auch einer) betritt, schwebt mir bereits von seinem Schreibtisch her jener angenehm prickelnde Duft eines bis in die Fingerspitzen raffiniert gepflegten Mannes entgegen, und nehme ich nun gar mit eingezogenen Nasenflügeln den Hörer in die Hand, so weiß ich, daß er heute schon in aller Frühe wieder eines seiner vielen geheimnisvollen Gespräche (Börse, Chauffeur, Frau von ? usw.) gepflogen hat. Bei solchen kleinen Indiskretionen ruht immer schwermütig und entsagend der stille Blick seiner Gattin auf mir, die in einem lebensgroßen Ölgemälde über dem Schreibtische prangt." Diese beiden Dunstkreise sind sich selber feindlich, doch ist jeder von ihnen zugleich der Feind dieses Buches. Das Artistentum des Salons, ganz gleich in welcher stilistischen Aufmachung es sich gibt, bleibt auch in der modernsten Gebärde die Fortsetzung und Erstarrung jener "gewaltigen Bewegung" seit den 70er, 80er Jahren, wodurch jene beiden Dunstkreise auf einen Ausgangspunkt zurückgehen. - Daß die im Buche für die neue Bewegung ausgewählten "radikalen" Beispiele seine Aufnahme im Publikum und, wie es scheint, besonders bei den Frauen nicht behinderten, beweist den ernsthaften Beginn einer neuen Auffassung, einer gründlichen Luftreinigung. Von da aus kann sich der Wohnhausbau endlich erneuern. Die Hemmungen gegen die geringsten Ansätze zum besseren Bauen, wie sie heute auf der Tagesordnung sind, werden sich entsprechend diesem Luftreinigungsprozeß nach und nach lösen und es werden dann auch in Deutschland entschiedene und ernste Schritte zur Reform des Wohnungsbaues getan werden können.

Berlin, den 12. September 1924.
BRUNO TAUT

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