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Autor: Taut, Bruno
In: Stadtbaukunst alter und neuer Zeit: Halbmonatszeitschrift - Berlin ; Stuttgart ; Leipzig: Pontos-Verl. (1920); S. 109 - 112 (Anhang: Frühlicht)
 
Haus des Himmels
 
Die Menschheit ist der höhere Sinn unseres Planeten,
der Nerv, der dieses Glied mit der obern Welt verknüpft,
das Auge, was er gen Himmel hebt.
(Novalis)


1.     DER ARCHITEKT

Ein Haus, das nichts anderes als schön sein soll. Keinen anderen Zweck soll es erfüllen, es soll leer sein nach dem Spruch von Meister Eckhart: "Ich will Gott niemals bitten, daß er sich mir hingeben soll. Ich will ihn bitten, daß er mich leer und rein mache; denn wäre ich leer und rein, so müßte Gott aus seiner eigenen Natur sich mir hingeben und in mir beschlossen sein."
Das Glück der Baukunst wird den Besucher erfüllen, seine Seele leer machen vom Menschlichen und zu einem Gefäß für das Göttliche. Der Bau ist Abbild und Gruß der Sterne. Sternförmig ist sein Grundriß, die heiligen Zahlen 7 und 3 verbinden sich in ihm zur Einheit, die Sieben für den großen Raum, die Drei in den Nebenräumen, welche, kapellenartig herumgelegt, menschliches Getriebe aufnehmen: Unterricht, Vorträge, Beziehung zum Leben der Menschen. Die drei großen Kapellen sind in der Höhe ihrer Decken in sich geteilt; in ihnen führen die Treppen abseits zu anschließenden Plätzen. Vorn aber am Eingang führt eine breite Freitreppe zwischen den Säulen des Leides und des Gebetes zu der Terrasse, auf der das Haus steht. Geht der Zug der Versammlung diese Treppe hinauf, so klingt das ganze Haus wie eine Glocke. Emporen sind in sechs Dreiecken der Zacken des Siebensterns und in ihren Ecken stehen die Teile der großen Orgel und Öffnungen lassen die Töne nach außen dringen. Auch beim Konzert im Innern ist Orchester und Oratorium ebenso verteilt; es kann von dem ersten Pfeiler aus übersehen und dirigiert werden. Sieben Treppen führen zu den Emporen und verbinden sie mit einander.

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Das siebente Dreieck des Sterns bleibt ohne Einbau und Empore, damit der Blick frei zur Höhe steigt. Vor ihm stehen frei im Raum zwei 15 Meter hohe plastische Pfeiler, welche bis in die von der Decke hängenden Kristalle hineinragen. Zwischen ihnen könnte, wenn hier Sprache angebracht ist, ein Sprecher stehen, und vor ihm Steinstufen zum Sitzen der Versammelten. Ein Vorhang könnte unten die Pfeiler verbinden und kosmische Dramen und Pantomimen (Stramm, Scheerbart) könnten in dem Raum dahinter in die siebente Sternnische hin ein aufgeführt werden. Alle Wände, Decken und Böden sind aus Glas. Eisenbeton ist das Traggerüst, und ein Zwischenraum von 1 Meter Breite zwischen der inneren und der äußeren Glashaut sorgt für Wärmeausgleich. Freie Strebebögen beleben die hart abgesetzten Flächen des Deckensterns.

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Zwischen der äußeren und inneren Glashaut sitzt die Beleuchtung. Sie wird nach innen und außen, wechselnd je nach Vorgang im Raum und Wirkung nach außen, eingeschaltet und leuchtet außen und innen durch überall farbige reiche Glaswände. Fährt man nachts im Flugzeuge zum Hause hin, so leuchtet es von weitem wie ein Stern. Und es klingt wie eine Glocke.


2.     MALER: PLASTISCHE GLASDECKE

Zum Aufbau der Decke dienen Prismen aus farbigen, elektrolytisch verbundenen Gläsern, zum Aufbau der Wände gegossene Prismen. Bei sehr stabiler Konstruktion können die einzelnen Prismen der Decke auch gegossen werden. Decke und Wände sollen flachreliefartig, scharfkantig und schnittig das Kristallische des Außenbaues im Innern gedämpft wiederholen und in ihrem glitzernden Reichtum die in tiefsten Farben funkelnden Glasfenster aufnehmen. Glas-"Fenster" sind es eigentlich nicht, denn Decke und Wände sollen bei aller Farbigkeit hell bleiben. Die Fenster werden also wie bunte Teppiche etwas dunkler und noch viel farbiger, als Wände und Decken sein müssen.

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3.     MALER: TEIL EINES BUNTEN GLASFENSTERS

Alle Formen steigen, streben, wachsen nach oben, angesogen vom Deckenstern. Steil und hart, weich und zart in mannigfaltigem Wechsel der Gebilde. Unendlich scheinend in immerwährender Bewegung. Die Farben sind tief glühend, geheimnisvoll leuchtend, jede Sternecke auf eine Farbe des Regenbogens gestimmt. Die Windeisen zacken wuchtige Führung. Die Senkrechten der Säulen binden ruhegebend das Ganze. Sprühend und funkelnd entzündet die Sonne den Glanz der Farben, ernst und schwer spricht durch sie der graue Tag, und der Mond und die Sterne klingeln wie Silberglöckchen ihr Licht durch das bunte Glas.

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4.     DER BILDHAUER

Die Säulen des Leides und des Gebetes beginnen am Boden mit düsterm Schwarz (gehen über in leuchtendes Blau), klingen oben aus in strahlendes Gold. Mit Ausnahme des Gold sind die Farben in Flecken und Streifen durchsetzt von blutendem Rot.

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Ja, brauchten wir den Glauben nicht, wozu ihn stützen; doch wie ihn brauchen, hätte er keine Stütze. -
Und wieder: wie leicht wäre alles für den Glauben, wenn der Mensch sich gewöhnen könnte, eine Wahrheit in dem Worte zu sehen, daß Gott in allem lebt und webt und ist. Dann ist es nicht eine tote, sondern eine durch Gott lebendige Welt, aus welcher der Mensch sich seinen zukünftigen Leib erbaut und damit ein neues Haus in Gottes Haus hineinbaut.
Wann aber wird dieser lebendig machende Glaube lebendig werden?
Daß er lebendig macht, wird ihn lebendig machen. - - - - - - - - -
Sorgst du aber, daß die Welle deines künftigen Lebens in ihrer Ausbreitung nicht mehr an die Schwelle reiche, die sie diesseits übersteigt, so denke auch daran, daß sie sich nicht in eine leere Welt hinein verbreitet, da sänke sie wohl rettungslos in den Abgrund, sondern in eine Welt, welche als ewiger Unterbau Gottes zugleich dem deinigen sich unterbaut; denn nur auf Grund des göttlichen Lebens vermag die Kreatur überhaupt zu leben. -

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Ein neues Sehen! für uns hienieden keines, weil unseres hienieden keines für den Himmel ist. Im Himmel schwebt die Erde selbst als großes Auge, ganz eingetaucht in die Lichtmeere der Gestirne und rings sich darin wendend, den Wellenschlag aller von allen Seiten zu empfangen, der sich millionen- und aber millionenmal kreuzt und doch nicht stört. Mit diesem Auge wird der Mensch einst in den Himmel sehen lernen, indem der Wellenschlag seines künftigen Lebens, womit er es durchdringt, dem äußeren Wellenschlag des Aethers, der es umgibt, begegnet und ihm entgegen mit feinsten Schlägen durch die Himmel dringt. - Sehen lernen! - -
In jener neuen allgemeinen Klarheit wird er nicht mehr mühsam zusammensuchen müssen, was er verknüpfen möchte, und zerstückeln in seine Merkmale, was er scheiden möchte, sondern mit e i n e m Augenschlage wird alles, was in ihm selbst ist, gleichzeitig von ihm erblickt werden in seinen Verhältnissen der Einheit und des Widerspruchs, des Zusammenhanges und der Trennung, der Harmonie und des Zwiespalts, nicht bloß nach e i n e r Richtung des Denkens, sondern gleichzeitig nach allen. -
Die Rätsel unseres jetzigen Geisteslebens, der Durst noch Erforschung der Wahrheit, die uns zum Teil hier nichts frommt, das Streben jedes rechten Geistes, Werke zu schaffen, die bloß der Nachwelt zugute kommen, . . . gehen aus ahnenden Vorgefühlen hervor, was uns alles dies in jener Welt eintragen wird, wo selbst die Frucht unserer kleinsten und verborgensten Tätigkeit uns als ein Teil unseres Selbst anheimfällt.

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Ob der Wellenkreis, den ein versinkender Stein hinterließ, um jeden Stein, der noch daraus hervorragt, durch seinen Anprall einen neuen Wellenkreis erregt, bleibt es doch ein in sich zusammenhängender Kreis, der alle erregt und in seinem Umfang trägt; die Steine aber wissen nur um die Zerstückelung der Umfangskreise. Wir sind solche unwissende Steine, nur daß wir, ungleich festen Steinen, selbst jeder schon im Leben einen zusammenhängenden Kreis von Wirkungen um uns schlagen, der sich nicht bloß um andere, sondern in andere hinein verbreitet. - In der Tat schon während seiner Lebzeiten wächst jeder Mensch mit seinen Wirkungen in andere hinein durch Wort, Beispiel, Schrift und Tat.
G. Th. Fechner, vom Leben nach dem Tode.

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"Wenn Idealisten heute ins Traumland schweifen,
so sind sie Schiebern vergleichbar, die ihr Vermögen über die Grenze bringen." –
Fritz Stahl am 14. April 1920 vor dem Bund Deutscher Architekten im Berliner Küstlerhaus.

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