Ein Klick auf das Druckersymbol startet den Druckvorgang des Dokuments Drucken
 
Autor: Taut, Bruno
In: Sozialistische Monathshefte - 24 (1918); 51. - S. 1050 - 1052
 
An die sozialistische Regierung
 
UNTERRICHT, Religion, Kunst: ein Komplex. Die ihn leitende Idee ist der Schöpfer der Kultur. Was unsere Kinder in den Schulen lernen, was von der Kanzel gepredigt wird, welchen Idealen Universitäten und Hochschulen folgen, und welchem Schönheitsgebäude die Künstler dienen: ein reiner und hoher Gedanke muß das alles beherrschen.

Große Volksbewegungen folgen dem Gedanken. Der Gedanke der Herrsch- und Machtsucht führte zum Zusammenbruch. Der Gedanke der Einheit unter den Menschen, frei von jeder hemmenden Kluft des Besitzes, des Standes und der Bildung, muß den Aufbau bringen.

Aufbau!

Eine Gedankenwelt liegt in Trümmern: Verherrlichung des Schlachtenruhms, Glorifizierung der Machtausbreitung, Persönlichkeitskultus, Geldanbetung und Materialismus, Und die dies erzeugenden höheren Ideen: Mißachtung des Lebens, Glaube an ein Paradies über den Wolken, weil die Lebensmisere unverbesserlich und die einfache Lehre Christi »Töte nicht, führe nicht Krieg, sitze nicht zu Gericht!« für dieses Leben unmöglich sei. Der Künstler ein Diener zum Genuß der Reichen, in traurigster Vereinsamung. Alle, die geistigen Dingen dienten, isoliert: der Philologe, der Philosoph, alle nahmen die schlimmsten Mittel, Lüge, Raub, Mord hin und konstruierten Zwecke dazu, lebensferne Zwecke. Ein totes, unrichtig dargestelltes Altertum wurde den Schulen als Ideal gegeben, zusammenhanglos mit der Einheit des Lebens. Kampf ums Dasein verfälschte die Naturwissenschaft wie Geschichte. Es war kein geschlossenes Gebäude, das Kunst und Wissenschaft und Religion errichteten, nur ein innerlich zerstückeltes und äußerlich künstlich zusammengehaltenes Konglomerat. Das soll in Trümmern fallen. Aus seinem Staub soll ein neuer Phönix aufsteigen, ein neues Licht erstrahlen und ein fester Bau entstehen! Ein wahres Gedankengebäude!

Die Macht des Gedankens ist es, die zertrümmert und aufbaut. Die Revolution beweist seine Macht.

Aufbau!

Klar und entschlossen muß der neue Aufbau geleitet werden. Ein großer Gedanke muß alle Kräfte leiten, die Erziehung, Unterricht, Kirche, Kunst im neuen Deutschland beeinflussen, ein Reichsamt für geistige Angelegenheiten, neu in seiner Gedankenwelt und seinem Willen.

Aufbau ist die Parole der Zeit. Aufbau des Materiellen unter einem großen Willen des Geistigen. Das Materielle ist Stoff gewordenes Geistiges. 750000 Wohnungen fehlen jetzt in Deutschland. Es heißt jetzt: arbeiten, mit Anspannung aller Kräfte arbeiten; die Mittel müssen beschafft werden, ganz gleich wie, keine Sekunde versäumen, damit alle und besonders die Heimkehrenden ein Unterkommen haben. Sparsamkeit im äußersten wird Auswüchse vermeiden lassen. Es ist viel vorbereitet — aber genug der Vorbereitungen! Die Mittel zu erschließen, Bebauungspläne, Haustypen festzustellen, die Baustoffe freizumachen und alte mit Friedensschluß freigewordenen Kräfte in die fruchtbringenden Kanäle zu leiten ist äußerste Notwendigkeit. Aber schon dieses Werk darf nicht ziellos verlaufen. Die klare geistige Leitung muß das Ziel geben, damit es nicht in plumpem Utilitarismus beharrt. Die neue Kultur muß das Ziel sein. Die große Bewegung würde bald stocken ohne ein weitgestecktes Ziel, das in der Ferne herrlich erglänzt. Wir dürfen es aber nicht wie die alten Ideale bloß anhimmeln, wir müssen beginnen.

Jede große Zeit und nach unserm Willen soll es doch auch unsere sein errichtete sich ein Wahrzeichen ihrer Größe und begann es keineswegs in reichen Perioden. Die Schwäche im Materiellen erzeugt die Kraft des Gedankens und die Tragweite des Willens. Die Weite des Wollens muß in ferne Generationen reichen. Sie kennt nicht den engen Wunsch die Fertigstellung zu erleben; sie vertraut auf die Stärke des Gedankens, den sie Gestalt werden sieht. »Der Kölner Dom wurde mit einer Jahresausgabe von nur 500 Mark begonnenen« (Krapotkin) , aber sein Bau wurde weitergeführt, weil Gilden und die Stadtgemeinschaft ihm als dem Wahrzeichen ihrer Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit freiwillig viel Arbeit und Material widmeten. Das große Werk hemmt nicht das kleine. Im Gegenteil, es befeuert es, und man schätzt es richtig ein, sieht in ihm keinen Endzweck, wenn man weiß, was sich zu bauen lohnt.

Es ist Aufgabe des wahren Reichskulturministers dieses große Werk der Zeit ins Leben zu rufen. Ein großes Volkshaus auf weitem freien Gebiet, gebildet aus vielen Gebäuden für Schauspiel, Musik und Kultus, zu errichten von den wahren Künstlern der Zeit, ein Bau, der Sinnbild und in seinem geruhsamen Wachsen dem Werden unserer Zeit ein Zeichen und Ziel ist. Alle Künstler sind darin geeinigt unter den Flügeln einer neuen, kristallklaren Baukunst, und für alles, Wissenschaft und Religion, ist es ein Zeichen. Die Architektur ist formgewordener Ausdruck der Zeit; denn wir alle, alle, die wir wollen und arbeiten, sind Bauende. Bauende einer neuen Kultur.

Aufbau eines neuen Gedankengebäudes in den Seelen der Kinder, der Jugend und der nach religiösem Aufschwung Dürstenden, Erbauung!

Die Person des Leitenden darf kein Fachmann sein. Es muß ein freier Geist sein, der über den vielen Ressorts steht, deshalb kein im Einzelstudium befangener Philologe oder Theologe, sondern ein Mann, der von dem Gedanken des großen Kulturaufbaus erfüllt ist und darum die einzelnen Kräfte auswählen und an die richtige Stelle setzen kann. Da die Architektur in ihrer höchsten Form Gestaltung der alle umfassenden Volkskräfte und -empfindungen ist, so muß er im Bauen werktätige Vollendung von Gedanken und Anschauungen sehen können. In seinem Ressort soll es keine Staatsbauten geben. Damit haben wir in den Regierungsbaumeistererzeugnissen schon genügend Fiasko gemacht. Es sei nicht ausgeschlossen, daß er tätiger Baumeister ist; aber seine Hauptaufgabe ist: Ziel geben und den Aufbau, geistigen und sichtbaren, leiten.

Bauen und Bauen! Und Malerei, Plastik, Musik, Dichtung werden geborgen sein und in seinem Glanz dem Symbol der Einheit der Masse des Volkes dienen. Es wird alles von einer Weltanschauung, einer wahren Religion durchtränkt sein, und Predigten im echten Geist werden gehalten werden. Die Wissenschaft geht in der Einheit auf, e i n Band umschlingt alle Einsamen, das Band des neuen Volksgefühls. Gegenseitige Hilfe, nicht Kampf ums Dasein! Der Unterricht dient dem Leben. Leben, wahres Leben ist Glück, ist alles.