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Autor: Schmid, Max
In: Die Durchgeistigung der deutschen Arbeit: Wege und Ziele in Zusammenhang von Industrie, Handwerk und Kunst - 1. - 10. Tsd. - Jena: Diederichs (1912); Ill., 116, 109 S.: zahlr. Ill. (Deutscher Werkbund: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes; 1912)
 
Wechselrede über ästhetische Fragen der Gegenwart
 
AUF DER JAHRESVERSAMMLUNG 1911
MAX SCHMID, AACHEN:

ZUNÄCHST einige Worte zu der Frage «Geschmack und Mode». Ich möchte sagen, bis zu einem gewissen Grade hängt der ungeheure Niedergang unserer gesamten künstlerischen Anschauung, besonders bei den Mannspersonen, damit zusammen, daß wir die Geschmacksfragen in unserer Männerkleidung ausscheiden und infolgedessen auch in anderen Dingen nicht mehr die Fähigkeit haben, Geschmacksfragen zu lösen. Es gehört mit zu den Aufgaben des Werkbundes, eine Reform der Kleidung der Männerwelt anzustreben und zu unterstützen. Nicht nur Propertät und guter Sitz, sondern auch Farbe und Form müssen wieder mehr beachtet werden. Nun eine andere Frage. Herr Muthesius hat seine Ausführungen über Hochschulunterricht dahin zusammengefaßt, daß die technischen Hochschulen heute im wesentlichen mehr das Streben haben, Räte vierter Klasse, als Künstler erster Klasse heranzubilden. Ich kann das nicht ganz ohne Kommentar lassen. Ich will vorweg bemerken, daß wir in der Sache ganz derselben Meinung sind, daß die auf den Hochschulen heute übliche Ausbildung mehr für Baubeamte als für Künstler zugeschnitten ist. Doch muß betont werden, daß in den Professorenkollegien der Abteilung I unserer preußischen technischen Hochschulen heute das größte Verlangen herrscht, Künstler erster Klasse ausbilden zu dürfen. Kürzlich sind die Vertreter der preußischen technischen Hochschulen in Berlin versammelt gewesen, um über diese Angelegenheit zu beraten, und es ist von Darmstadt aus die Anregung ergangen, daß alle technischen Hochschulen bezw. alle Architekturabteilungen gemeinsam vorgehen sollten. Es existiert also heute an den technischen Hochschulen eine sehr starke Tendenz, die rein künstlerische Entwicklung gegenüber der einseitig formalen und wissenschaftlichen in den Vordergrund zu stellen. Wenn wir zurzeit darin keinen Schritt vorwärts kommen, so liegt das an den höheren Instanzen. Ich weiß nicht, ob die Ministerien anderer Bundesstaaten ebenso vorgehen und ich enthalte mich hierüber selbstverständlich jeder Kritik. Ich bleibe bei den preußischen Verhältnissen. Während wir heute versuchen, unseren jungen Architekten ein möglichst großes Maß künstlerischer Ausbildung auf den Weg zu geben, wird vom Arbeitsministerium der Wunsch geäußert, wir möchten doch unsere Studierenden auch im Wasser-Wege- und Brückenbau ausbilden, ihnen dafür Kollegs lesen und sie darin prüfen. Es wird dadurch und durch andere Forderungen das Maß des Wissens, das unsere jungen Architekten sich in vier Jahren aneignen sollen, so erhöht, daß es ganz unmöglich ist, sie in den Künsten genügend auszubilden. Unsere Architekten- und Ingenieurvereine sind in dem Bestreben, den Stand zu heben, dazu gekommen, großen Wert auf umfassende nationalökonomische und juristische Ausbildung zu legen. Man sollte aber doch mehr noch das Prinzip betonen, daß eine gute technische Ausbildung absolut gleichwertig ist einer guten juristischen, daß richtige technische Vorbildung ebenso gut wie die juristische den Menschen befähigt, leitende Stellungen einzunehmen, organisatorisch zu wirken, die Dinge von einem höheren Standpunkt aus aufzufassen. Das gilt zweifellos für den Architekten. Damit soll natürlich nur gegen den Zwang zur Nationalökonomie protestiert werden, nicht gegen die möglichst umfassende Gelegenheit zum Studium derselben an Technischen Hochschulen - auch für den Architekten.

siehe auch:
Gurlitt, Cornelius
Osthaus, K. E.
Fuchs, C. J.
Schäfer, Karl
Fischer, Theodor
Avenarius, Ferdinand
Muthesius, Hermann