Jeder ist Ornamentiker: in seiner
Schrift; und
doch wissen wir von der Art, wie ornamentale Schöpfungen im
Geiste des Künstlers vor
sich gehen, fast nichts. Man liebt ein schönes Linienspiel,
trotzdem es nichts erzählt,
dann und wann zeichnet man auch im halben Bewusstsein Liniengespinnste
und Ornamentspiele
vor sich hin, wie man etwa eine Melodie summt oder ein Lied pfeift;
doch das Geheimnis ist
damit nicht gelöst. Das Selbstverständliche im Leben
pflegt ja in der Regel das
Mystische zu sein, weil das uns ganz natürlich Scheinende
nicht ein Produkt der Logik,
sondern der autokratischen Instinkte ist.
In dem Streit unserer Tage, ob das Ornament floral oder linear sein
solle, ist ein
wichtiges Argument kaum vorgebracht. MEIER-GRAEFE hat es einmal in
diesen Blättern
angedeutet, als er von LEMMEN sprach. Es ist der Vergleich der
Handschrift eines
Künstlers mit seinen Ornamenten, seines Unbewussten mit dem
Bewussten. Nichts kann nun
interessanter sein, als ein Studium der merkwürdigen
Verwandtschaft der Schrift- und
Ornamentzeichen unserer modernen Nutzkünstler. Ein Vergleich
ist mir möglich gewesen bei
VAN DE VELDE, LEMMEN, BEHRENS und vielen andern, deren
künstlerische Ausdrucksform
weniger prägnant ist. ECKMANN und ENDELL, zwei besonders
lehrreiche Persönlichkeiten,
fehlen mir leider. In VAN DE VELDE'S Schrift ist alles Energie. Die
Buchstaben sind
gewissermassen auf ihren Ursprung zurückgeführt; aber
neben der primitiven, eckigen,
eigensinnigen Ausdrucksform, die nur das Notwendigste andeutet, steht
oft unvermittelt ein
kleiner dekorativer Schwung, der verrät, wie die ornamentalen
Zuckungen der Hand vom
Verstand und von der Liebe zur Phrasenlosigkeit gebändigt
worden sind. Es ist die
charaktervollste Handschrift, die mir je begegnet ist. LEMMEN'S Schrift
ist dieser
verwandt; doch ist sie unfertiger, weniger diszipliniert, nicht
gleichmässig kräftig,
sondern ruckweis energisch, und einzelne Buchstaben lösen sich
unorganisch, als kleine
selbständige Ornamente vom Ganzen ab. LEMMEN hat mehr weichen
Schwung im Handgelenk als
VAN DE VELDE; aber ihr fehlt die straffe Selbstzucht der Logik. In
seiner Schrift wie in
seinen Ornamenten ist alles mehr Impromptu, der organische Fluss ist
häufig unterbrochen.
Dieser ist wieder ganz bei BEHRENS vorhanden, den es auch in den
Fingern juckt, mit der
Feder zeichnerisch umherzufahren. Einzelne seiner grossen lateinischen
Buchstaben sind
vollkommene, schöne Ornamente. Jedes Wort ist nur eine
verschlungene Linie; er setzt nie
ab. Seine Schrift ist gross, deutlich, aufrichtig und ehrlich bis in
den letzten Punkt,
sie ist repräsentativ und verrät Freude am
Prächtigen. Manches ist schlechthin schön.
-
Die Schlussfolgerung aus solchen Vergleichen liegt nahe. Die
Graphologie ist eine
ernsthafte Wissenschaft geworden, sie versteht es zuweilen mit
verblüffender Sicherheit,
von der Schrift auf den Charakter zu schliessen. Man muss also auch vom
Ornament auf die
Individualität des Künstlers raten können.
Das thut, mehr oder weniger bewusst, auch
jeder Feinsinnige. Wenn dem so ist, müssen wesentliche Teile
ornamentaler Schöpfungen
aus Gefühlslinien und Temperamentskurven bestehen. Daraus
ergiebt sich dann weiter: dass
das Gefühl ebenso lebhaft mit der Linie operiert wie z. B. mit
der Musik und dass, wie
jeder Seelenregung eine bestimmte Tonfolge entspricht (siehe:
HELMHOLTZ: "Die Lehre
von den Tonempfindungen") gewissen Empfindungen auch ganz bestimmte
Linien antworten.
Ich habe mit verschiedenen Personen einen Versuch gemacht. Ich
wählte solche - nicht
Maler - die fähig sind, sich mit Hilfe der Phantasie in ein
dramatisch gespanntes Gefühl
hineinzureden, gab ihnen einen Zeichenstift, mit der Weisung, sich eine
ausgesprochene
Stimmung zu suggerieren, z. B. die der Energie, Sinnlichkeit,
Müdigkeit u. s. w. und
dann, auf dem Punkte der höchsten Intensität, das
Gefühl mit dem Zeichenstift in einer
unter dem Zwange der Notwendigkeit stehenden Linie oder Bewegung zu
entladen.
Die Resultate sind sehr merkwürdig. Es herrscht immer dieselbe
Tendenz. Die Linie der
Energie z. B. ist nicht, wie man wohl denken möchte, eine
Gerade, sondern eine wagerecht
fortschreitende Bewegung, etwa wie ein deutsches, sehr lang gezogenes
und abgerundetes m.
Es ist wie Atemholen in der Linie. Ist sie nur aus der Gewohnheit des
Schreibens zu
erklären? Ich glaube nicht. Es ist die Wappenlinie der
modernen Ornamentik, die damit
unter einem guten Zeichen steht. Die Bewegung der geschlechtlichen
Sinnlichkeit ist noch
charakteristischer; nur ist der Gegenstand etwas heikel zu
erklären. Es ergab sich stets
eine mehr oder weniger zittrige Spirale, die, von aussen sich
verjüngend, in einem Punkte
mit starkem Druck endigt. Es ist, meinem Gefühl nach, hierin
der männliche Drang nach
dem Zielpunkt der zeugenden Kraft illustriert. Es ist die Urform der
Volute, die durch die
ganze Ornamentgeschichte geht, vor allem durch die sinnenfrohe Kunst
der romanischen
Völker, der Renaissance. Man kann die Beispiele
vervielfältigen und es gewährt grosse
Freude, solches Liniengestammel dann mit fertigen Ornamenten zu
vergleichen. Nur eins muss
stets bedacht werden: einen andern Wert, wie den für die
Erkenntnis haben solche
Experimente nicht; Ausgangspunkt für die
künstlerische Produktion können sie n i
e sein.
Die ornamentalen Spielereien in der Schrift sind natürlich
nicht im geringsten
künstlerisch; es muss zum Instinkt der Verstand, der feste
Boden des Gesetzes
hinzukommen. Nichts ist gesetzmässiger, organischer als ein
gutes Ornament; aber es ist
unbeweisbar. Wir müssen wieder mitten in die Metaphysik hinein.
Das architektonisch angewandte Ornament hat die Aufgabe, indem es
schmückt, das erregte,
sehr anspruchsvolle Kausalitätsbedürfnis zu
befriedigen. Da giebt es irgendwo etwas zu
stützen, zu umklammern, zu verbinden - nur scheinbar, denn in
Wahrheit thut es das
Material; aber das genügt dem Menschen nicht, er will nicht
nur wissen, dass ein
Lagerndes gestützt, ein Strebendes gehalten ist, sondern
sehen, wie es geschieht und da
der tote Stoff das statische Geheimnis nicht preisgiebt, so dichtet der
Künstler dem
Material menschliche Instinkte an: das ist dann Kunst. Eine erhabene
Lüge, nichts weiter;
eine Paraphrase über die eigenen Instinkte.
Dieser Vorgang entdeckt uns aber das Gesetz. Denn was ist der Instinkt
für das Gleichmass
der wirkenden Kräfte anderes, als ein
Schwingungsgefühl der Harmonie unseres
Körperbaues, als ein wohliger Reiz der sicher in sich ruhenden
körperlichen Architektur.
Man frage einen rechten Künstler, wie er Ornamente entwirft
oder man sehe ihm zu: er
erlebt sie! Er sitzt, in sich versunken, vor dem Blatt und
wägt als ein auf seinen
Instinkt Horchender jede Linie mit Balancierbewegungen nach. Er
suggeriert seiner
Phantasie das Gefühl des Stützens oder Tragens - und
flugs zieht er die Linie, die seine
Empfindung auslöst; er turnt mit den Armen, als tanze er auf
dem Seil - und gleich hat er
einer Kurve das symmetrische Gegenspiel gefunden. So entstehen gute
Ornamente -
originelle. Weil das Gesetz uns allen aber gleichermassen eingeboren
ist, empfindet der
Laie die schöpferische That des Künstlers lebhaft
nach.
Da nun dieselben Kräfte unsern Körper und alles
Organische nach gleichen Gesetzen bauen,
so sehen wir überall Ornamente, wo das uns Verwandte sich
manifestiert, unser Organismus
ist gewissermassen ein Instrument, dessen Saiten in Mitschwingung
versetzt werden. Ein
Tropfen Tinte in ein Glas Wasser gespritzt, Zigarrenrauch in ruhiger
Luft, die Welle, die
Pflanze, eine wehende Fahne, die Photographie einer Moräne,
Knochenbildungen und
Muskelstränge - kurz: überall sind Ornamente. Die
Symmetrie ist immer angenehm, weil wir
selbst symmetrisch gebaut sind, der Rhythmus berührt uns
freudig, weil alles in uns, vom
klopfenden Herzen bis zum eilenden Schritt rhythmisch ist und wir dem
die Zeit teilenden
Tempo ein solches, das den Raum gliedert, als Gleichnis
entgegenzustellen trachten. Der
Kreis ist das ewig schöne und vollkommene Ornament, weil in
ihm der denkbar
sinnfälligste Ausgleich zweier Kräfte - der
centrifugalen und centripetalen -
stattfindet.
Der grosse, einzige Bautrieb, der alle Dinge geschaffen, hat auch uns
nach demselben
Richtmass gebaut; darum ist uns das Gesetz, wo wir ein Zipfelchen davon
sehen, verwandt,
das heisst: schön. So tanzt die ganze Schöpfung um
uns, mit uns im gleichen Rhythmus.
Die Grenze zieht der Intellekt. Den Kreis verstehen wir mit einem
Blick, auch die doppelt
gebogene Linie ist noch ein Wohlklang. Viel weiter reichen unsere
stumpfen Sinne nicht.
Darum sind die niederen Organismen so viel bessere Anregungen
für Ornamente als die
höheren, komplizierteren. Unser Empfinden reagiert - bildlich
gesprochen - nur auf reine
Schwingungsverhältnisse. Ein Pflanzengebilde ist als Ganzes
viel zu mannigfaltig für den
Kunstsinn; es wird auch nie rein künstlerisch genossen,
sondern philosophisch dazu. Die
Blume mit rhythmisch geordneten Blättern, das einzelne Blatt,
die grosse Linie des
Stengels, das ist noch ornamental, weil im Tiefsten unseren Sinnen
verwandt -
verständlich; aber wir müssten tausendmal
schärfere Sinnesorgane haben, um mit dem
ersten Blick - und in der Kunst ist der erste Blick alles - die
unendlich sich kreuzenden
Gesetze zu umfassen, die in einem höheren Organismus
thätig sind. Einen Fortschritt der
Menschheit scheint es hierin nicht zu geben, es herrscht das
physikalische Gesetz, dass an
Kraft verloren geht, was an Vielfältigkeit gewonnen wird, und
umgekehrt. Die
Ornamentlehre ist nebenbei unserm Begriffsvermögen ein Exempel
"für, was drein geht
und nicht drein geht".
Die Abstraktion ist also das eigentliche Gebiet des Ornamentikers.
Diese merkwürdigen
Kunstgebilde sind in Wahrheit tabellarische Linien der ewigen
Weltstatik, Paraphrasen
über eingeborene Instinkte, Versuche, die grosse
Kausalität der Weltarchitektur im
Verkleinerungsspiegel aufzufangen, ein fröhlicher Tanz mit der
Hand - alles das zugleich.
Die Schöpfungswahl des Künstlers ist unendlich; aber
in jedem einzelnen Falle steht er
unter dem Zwange seiner Vorstellungen, seine Linien sind dann entweder
notwendig oder sie
taugen nichts. Eine Willkür giebt es streng genommen nicht;
Instinkt und Temperament
schliessen einen festen Bund, der allen Werken organisch motivierende
Kraft verleiht. Der
Gedanke, irgendwo ein Ornament anzubringen, kann absurd sein, es kann
sich um eine
Zwecklosigkeit auf einem Blatt Papier handeln: in sich muss doch alles
geschlossen sein,
eins muss das andere bedingen, die freie architektonische Phantasie
muss den
Notwendigkeiten der Tektonik folgen.
Der geniale Ornamentiker, der Medium genug ist, um die ewigen Gesetze
mit heissem
Temperament aus den Tiefen des Instinktes heraufzubeschwören,
ist sehr selten. Es
scheint, dass die Bedingungen für ihn am Anfange einer Epoche
schöpferischen Vermögens
besonders günstig liegen. Er entdeckt dann alles aufs neue,
findet verloren gegangene
Wahrheiten wieder und erlöst, als Exponent der Volksseele,
eine lange verschwiegene
Sehnsucht. Auch hier gilt das Wort, dass alles schon gedacht worden
sei, dass es nur
darauf ankäme zu versuchen, es noch einmal zu denken. Die Zeit
erweitert eine neue
Ornamentnorm dann bald zur Stiltype. Es handelt sich stets nur um
wenige einfache
Grundformen, in denen das Temperament der ganzen Zeit sich spiegelt;
diese werden
tausendfältig variiert und ausgeschmückt. Dass der
künstlerische Besitz des Genies
unter viele kleine Talente geteilt werden muss, bevor der Nation ein
Stil reift, scheint
eine Notwendigkeit zu sein und es geht darum nicht an, darüber
zu schelten. Die
architektonischen Künste brauchen viele Arbeiter. So selten
die geniale Begabung in der
Ornamentkunst ist, so verbreitet sind die nachempfindenden, femininen,
die aus einer
Andeutung ein Ganzes zu machen wissen. Vor allem die frischen, von
Gedankenblässe gar
nicht angekränkelten Talente, die nur dem gymnastischen Drange
des Handgelenkes zu folgen
brauchen, um linearen Wohlklang zu erzeugen, sind reichlich vorhanden.
In ihrem Schaffen
ist immer noch viel Originalität, weil Temperament darin ist.
Schlechte Ornamente entstehen schematisch. Die geistlosen Nachahmer
spekulieren vor allem
auf den unzerstörbaren Zauber der Symmetrie. Irgend ein
Krixelkraxel, im Spiegel
verdoppelt, sieht schon dekorativ aus. Spiegel und Pauspapier sind die
vornehmsten
Werkzeuge dieser Strauchdiebe. Sie setzen ihr Spiegelglas quer
über eine fremde Zeichnung
und es präsentiert sich ihnen ein neues Ornament. Aber scharfe
Augen sehen es, wenn etwas
auf solchen Diebeswegen gefunden ist: es ist stets ein
Aneinanderreihen, die organische
Folge fehlt. So ist die Manier der hunderttausend Dilettanten, die
Industrie und Gewerbe
mit "Entwürfen" versorgen. Gerade der "moderne Stil" ist ein
gefundenes Fressen für die armen Zeichnerlein; mit der
abstrakten Linie lässt sich alles
machen.
Mehr oder weniger dilettantisch ist auch das florale Ornament, wie es
allgemein verbreitet
ist. Man wende nicht die Gotik und Renaissance ein. Dort ist alles
tektonisch konsequent
und die stark stilisierten Pflanzenformen sind nur als Gleichnis
für das Gesetz benützt,
oder sie bekränzen naturalistisch das feste ornamentale
Gerippe wie im Rokoko. Man kann
natürlich auch von der Pflanze ausgehen; aber ebensogut von
einer Qualle, einem
Wellenspiel, einer Klexographie oder - vom Instinkt allein.
Die Blume wird als Anregung stets am beliebtesten sein, weil das
Gesetzmässige in ihr so
rein, keusch und übersichtlich ist und unser Empfinden daneben
so viele herzliche
Beziehungen zu diesem Wunder der Schöpfung unterhält.
Der Naturalismus im Ornament
scheint eine gute Schule: ohne England gäbe es vielleicht
keinen VAN DE VELDE. Ein
starker Beweis gegen die naturalistische Ornamentkunst liegt aber in
den Thatsachen, dass
die alten Völker am liebsten mit geometrischen Figuren
operierten und dass die Griechen,
ein Volk, das sein ganzes Leben überreich mit Blumen
schmückte, mit feinem Takt alles
Florale aus ihrer Kunst fernhielten.
Die Gegenwart experimentiert noch; wir erleben den frühesten
Anfang eines neuen Stils.
Nur in solcher Zeit, wo jeder Laie latent an den Kunstevolutionen
beteiligt ist, können
Meditationen, wie diese, überhaupt geschrieben werden - und
sogar Leser finden. Das
Problem liegt in der Luft und die heitere Sinnenfreude, die ohne
heftiges Nachdenken
geniesst, kann sich erst ausleben, wenn es gelöst sein wird.
Wir sehen schon die ersten
Resultate. VAN DE VELDE ist als Ornamentiker ein Treffer der
Kunstgeschichte. Er ist das
individualisierte Gesetz, ein Instrument der Notwendigkeit. Seine
Genialität besteht aus
einer einzigen fixen Idee; aber die ist erhaben und fruchtbar wie der
Nil. Von den
Geheimnissen der Tradition und der Völkerpsychologie, die in
der seltsamen inneren
Verwandtschaft aller moderner Ornamentiker zu Tage treten, sei
diesesmal abgesehen; sonst
sprengt der Stoff die Spalten. Es sei nur darauf hingewiesen, wie
gleichmässig das
Empfinden der ganzen Zeit ist. Das giebt gute Hoffnungen. Wie freudig
sind auch die
sogenannten "Ausschreitungen" zu begrüssen, z. B. ENDELL'S
wild gewordene
Linienkunst. Diese Impressionen eines hungrigen Auges, die dem
Fanatismus des jungen
Uebereifers, der Kraftprobe arbeitswütiger Instinkte
entspringen, sind der Most, aus dem
sicher ein trinkbarer Wein wird. Die Philister mögen auf den
Rücken fallen und ruhig
liegen bleiben. |