Ein Klick auf das Druckersymbol startet den Druckvorgang des Dokuments Drucken
 
Autor: Puhlmann
In: Deutsche Bauzeitung - 17 (1883); 72. - S. 425 - 427
 
Zur ästhetischen Behandlung von Eisenkonstruktionen
 
Der in No. 60 dies. Bl. enthaltene Artikel "Zur ästhetischen Behandlung von Eisenkonstruktionen" stellt nicht nur allgemeine Gesichtspunkte für die Ausbildung des Guss- und Schmiede-Eisens auf, sondern führt auch Beispiele aus der französischen Litteratur an, welche als nachahmungswerthe Vorbilder für die Lösung derartiger Aufgaben anempfohlen werden. *)
___
*) Anmerkung der Redaktion


Nach unserer Auffassung war jene Empfehlung allerdings nur in bedingtem Sinne gemeint, in sofern es sich speziell um die dekorative Behandlung der Blechträger und um das allgemeine Prinzip handelte, die ästhetische Wirkung einer Eisenkonstruktion durch die Gestaltung der konstruktiven Theile selbst und nicht lediglich durch äußerliche Zuthaten zu erzielen. Keinesfalls scheint es uns Absicht des Hrn. Verfassers der in No. 60 abgedruckten Abhandlung gewesen zu sein, die mitgetheilten Beispiele in jeder Beziehung als mustergiltig hinstellen zu wollen. An sich beeinträchtigt dieser Umstand natürlich den anregenden Werth der hier vorliegenden weiteren Besprechung des Themas in keiner Weise. Der Unterzeichnete, welcher während seiner Thätigkeit bei der Berliner Stadt-Eisenbahn vielfach Gelegenheit gehabt hat, sich mit der ästhetischen Ausbildung des Eisens zu beschäftigen, ist in Bezug auf die dort aufgestellten Sätze meistentheils so abweichender Ansicht, dass er auch ohne die Aufforderung des Verfassers zu einer Diskussions-Eröffnung über den Gegenstand sich zu einer Antikritik angeregt gefühlt haben würde, welche sich insbesondere gegen die in jenem Artikel aufgestellten Vorbilder richten soll. Die Frage, ob Guss- oder Schmiede-Eisen für die Konstruktionen des Hochbaues oder diejenigen Ingenieur-Bauten zur Anwendung kommen muss, welche sich der guten Form nicht völlig entkleiden wollen, wird im allgemeinen immer derjenigen Funktion gemäß zu lösen sein, welche den Eisentheilen innerhalb der Konstruktion angewiesen wird. Tritt das Eisen aber dekorativ auf, so wird eine möglichst einheitliche Lösung der gestellten Aufgabe auf Grund des gegebenen Materials allen willkürlich geschaffenen Kombinationen stets vorzuziehen sein. Denn sie entspricht am meisten dem künstlerischen Grundsatze, dass bei aller Mannichfaltigkeit der Formgebung die Einheit des Grundgedankens durchblicken muss. Ist also das Schmiedeisen der Haupt-Faktor der Konstruktion, so wird dasselbe Material als Ausdruck der ästhetischen Bekleidung zu wählen sein, während es im anderen Falle nur dazu dienen wird, die ideelle Auffassung des Kunstwerks als eines einheitlichen Ganzen zu verwirren.

Eine Ausnahme wird nur dann angängig sein, wenn es sich nicht mehr um die ästhetische Umhüllung der Konstruktion sondern um die Erfüllung eines praktischen Zweckes handelt. So könnte z. B. bei Herstellung eines Brücken-Geländers die praktische Fürsorge, den Geländer-Griff aus Rundeisen zu formen, mit Recht Veranlassung bieten, das Geländer-Motiv überhaupt aus dieser Einheit heraus zu entwickeln. In besonderen Fällen, wo das Schmiedeisen nicht mehr gefügig genug ist, sich der schmiedeisernen Konstruktion anzupassen, wird das Prinzip des einheitlichen Materials freilich nicht mehr streng fest gehalten werden dürfen, vielmehr eine mäßige und geschickte Verwendung gusseiserner Theile erlaubt sein. Es wird hiernach in jedem einzelnen Falle kaum zweifelhaft erscheinen, nach welcher Seite die Wahl des Eisenmaterials zu fallen habe. Schwieriger als die Wahl des Materials ist aber die Behandlung desselben und es wird in dieser Hinsicht namentlich deswegen so viel gesündigt, weil die Eigenschaften eines guten Konstrukteurs und Aesthetikers selten in einer Person vereinigt sind und bei Bearbeitung hierher gehöriger Projekte der Konstrukteur ganz unabhängig vom Architekten operirt, demselben vielmehr nach Aufstellung des konstruktiven Systems überlässt, nach ästhetischer Seite einen Rettungs-Versuch mit demselben anzustellen. Hat der Architekt alsdann mehr oder weniger geschickt den einzelnen Theilen des ungefügigen Gerippes die Maske der Schönheit vorgehängt, so glaubt ein jeder von beiden seine Schuldigkeit gethan und dem Werke den Stempel eines modernen Architekturstücks aufgedrückt zu haben, während in Wirklichkeit dasselbe nur den Gegensatz zweier unvermittelter Elemente kund giebt. Ein Kunstwerk im engeren Sinne des Worts lässt sich eben nur schaffen aus der harmonischen Empfindung von Nützlichkeit und Schönheit.

Hätte sich die Berliner Stadt-Eisenbahn das Prinzip eines solchen gemeinschaftlichen Wirkens von vorn herein und grundsätzlich zu eigen gemacht, so würde sie nicht jene lange Musterkarte gelungener und misslungener Leistungen aufzuweisen haben, wie sie an diesem Bauwerk hervor treten. Auch würde sie alsdann nicht nöthig gehabt haben, zum Surrogat des farbigen Anstrichs ihre Zuflucht zu nehmen. Denn wenn auch zugegeben werden kann, dass die Dekoration der größeren Eisenflächen mit vielem Geschick ausgeführt ist, und die Farben unter sich sowohl wie mit dem Eisen-Material trefflich zusammen gestimmt sind, so wird nach strengerer Auffassung ein solches Hilfsmittel dennoch verwerflich erscheinen müssen und es dürfte die partielle Veredelung des Metalles durch einen Zink-, Bronze- oder Gold-Ueberzug die Grenze bilden, über welche hinaus der Anstrich dem Grundstoffe nicht nachhelfen sollte.
Was aber insonderheit die in jenem Artikel verpönten Blechträger anbetrifft, so wird zunächst nicht bestritten werden können, dass dieselben ein unentbehrliches Konstruktions-Mittel sind, die Querverbindungen, nämlich Konsole, Querträger u. s. w. daran zu befestigen; auch ist nicht wohl einzusehen, warum dieselben nicht durch Aufschraubungen von allerlei Art für das Auge gefällig sollten gemacht werden können. Würde aber auch jene wichtige Rücksicht auf die Konstruktion wegfallen, so würden die Blechträger bei Wahrnehmung des guten Aussehens dennoch keine Durchbrechung erleiden dürfen; denn es würde durch die Maschen das verwirrende System von Querträgern, Diagonal-Versteifungen, Rinnen etc. an der Unterfläche einer solchen Ueberführung blos gelegt, - es würden also Konstruktions-Theile in das Bereich der Vorderansicht gezogen werden, welche einen Anspruch auf künstlerische Ausbildung nicht erheben dürfen, und daher gern durch den breit vorliegenden Längsträger verdeckt werden.

Hatte in der vorstehenden Auseinandersetzung noch eine gewisse Uebereinstimmung mit den im betr. Artikel vorgetragenen Anschauungen geherrscht, so muss sich der folgende Theil gänzlich in Gegensatz zu demselben stellen, sofern es sich nämlich darum handelt, die dort mitgetheilten, dem Auslande entlehnten Beispiele einer Kritik zu unterwerfen. Denn, weit entfernt, dieselben als mustergiltig anzuerkennen, wird eine gewissenhafte Beurtheilung sie in die Kategorie derjenigen Beispiele versetzen müssen, welche als gänzlich verfehlt zu bezeichnen sind. Dieselben beweisen wieder einmal, dass man in Frankreich nur mit einer gewissen Keckheit zu dessiniren braucht, um in Deutschland seine Bewunderer zu finden. Wenden wir uns zunächst zu dem Glashofe des Palais du tribunal de commerce, so ist hier die Vermittelung zwischen Eisen-Konstruktion und Umfassungswand ebenso gewaltsam wie unschön herbei geführt. Die Teller tragenden Jungfrauen, welche die Stützlinie der Hauptträger markiren, nehmen hier, um sie den schlanken Konstruktions-Theilen des Eisen-Gerippes anzupassen, fast den Miniatur-Maaßstab jener Zwergfiguren an, welche die Postamente der Berliner Humboldt-Monumente umkriechen, stehen aber trotzdem mit ihrem massigen Umfange in einem nicht zu rechtfertigenden Gegensatze zu dem starren Gefüge der Blechsparren, als deren Trag-Elemente sie funktioniren sollen. Wie kann wohl da eine harmonische Perspektiv-Wirkung erzielt werden, wo so heterogene Elemente gewaltsam zusammen geschoben sind? Allerdings hat der Entwerfende diesen Gegensatz heraus gefühlt und ihn durch ein dekoratives Zwischenglied architektonisch zu vermitteln gesucht. Dieser Versuch ist aber völlig gescheitert. Denn abgesehen von dem künstlerisch höchst zweifelhaften Werthe dieser Dekorationen werden sie durch das Abdeckungs-Gesims des runden Abakus vollständig dem Anblick entzogen und müssen daher als überflüssige Zuthaten angesehen werden. Dasselbe gilt von der farbigen Dekoration des Wand-Aufstandes über dem Gesimse, welche günstigen Falls nur in ihrem oberen Theile zur Geltung kommt. Indessen soll auf diesen Punkt weniger Gewicht gelegt werden. Als ein Verstoß muss es jedoch angesehen werden, wenn die Blechsparren zum Theil von Malerei, zum anderen aber von Rosetten durchbrochen werden, eine Kombination, welche zu heterogen ist, um eine einheitliche Wirkung zu erzielen. Um die Sparren luftig erscheinen zu lassen, mussten sie stärker durchbrochen werden, um sie gefällig zu machen, mit einem geeigneten Dekorations-Werk versehen werden, wie es sich in der Eisenblech-Architektur reichlich genug darbietet. Sollte aber der figürliche Wandschmuck aus architektonischer Rücksicht fest gehalten werden, so empfahl es sich eine Doppelsparren-Konstruktion anzuordnen und dieselbe etwa durch Gitterstäbe in geeigneter Weise zu verschnüren.

Um übrigens dem hier vorliegenden Beispiele gegenüber nicht einen rein negirenden Standpunkt einzunehmen, ist in umstehender Skizze der Versuch gemäßen Lösung der Aufgabe gemacht worden. Natürlich soll hiermit nicht gemeint sein, dass diese Lösung gerade die beste für den vorliegenden Fall überhaupt mögliche sein würde. Aber eine eingehende Kritik ist dem beurtheilten Produzenten gegenüber immer wenigstens einen Vorschlag zur Abhülfe der gerügten Mängel schuldig und der Unterzeichnete durfte es daher nicht unterlassen, ein Bild von derjenigen Auffassung beizufügen, wie sie ihm den gegebenen Verhältnissen nach als passender erschien. In Ansehung der bloßen Konstruktion wird sich beim Glashofe des Palais du tribunal nichts Wesentliches einwenden lassen. Anders verhält es sich mit dem zweiten in der Abhandlung aufgeführten Beispiele, der  D e c k e n - K o n s t r u k t i o n  i n  d e r  B i b l i o t h e k  d e r  É c o l e  d e  d r o i t.  Hier ist es zunächst der konstruktive Theil, welcher das Bedenken des Technikers erregen muss. Was die gewählte Konstruktion im allgemeinen anbetrifft, so kann bei der nur fragmentarischen Wiedergabe derselben eine statische Nachweisung über ihre Brauchbarkeit um so weniger aufgestellt werden, als Notizen über Eisenstärken, Gewicht der Glastafeln oder sonstige Belastungs-Annahmen nicht gegeben sind. Doch muss es von vorn herein als ein prinzipieller Fehler angesehen werden, dass die gedrückten und gezogenen Konstruktions-Theile von gleicher Façonirung gewählt sind, anscheinend sogar dieselben Querschnitts-Dimensionen besitzen, gleichviel welcher Kräfte-Einwirkung sie Widerstand zu leisten haben. Die Durchbrechung der gewölbten Decke oder Voute durch eiserne Konstruktions-Theile widerspricht so sehr jedem ästhetisch geschulten Gefühle, dass eine Auflehnung dagegen vom Ueberfluss erscheint. Es ist in der That nicht einzusehen, warum der Urheber jenes Projekts nicht Dach- und Decken-Konstruktion prinzipiell getrennt hat. Wollte er vielleicht die freitragende Länge der Decken-Blechträger vermindern? Dieselben werden aber in ihrem Zusammenhange mit dem Dache nur auf Zug in Anspruch genommen. Auch musste für diesen Fall das durch die Blechträger hindurch gezogene Zugband direkt genug mit dem Vertikalbleche an der Umfassungswand in Verbindung gesetzt werden, um nicht an der Auflagerstelle Biegungs-Momente hervor zu rufen. Der Zug, welcher vom Scheitel der Eisenkonstruktion her sich geltend macht, wird durch die von dem Knoten-Punkt am Blechträger ausgehende Strebe nach dem Auflagerpunkte derselben übertragen; eine nochmalige Verstrebung zwischen Zugband und Sparren dicht darüber anzubringen, war überflüssig. Das durchbrochene Vertikal-Blech entbehrt fast jeder Verbindung mit den Blechbalken der Decke und kann daher nur als eine dekorative Beigabe angesehen werden. Der Lorbeer ist ein fremdartiger Schmuck, welcher zu der im übrigen bloß gelegten Konstruktion nicht passt. Bei der an dritter Stelle angezogenen Galeria Vittoria Emanuele zu Mailand ist ein Versuch zu einer organischen Vermittelung der Bogenträger und Wandpfeiler überhaupt nicht gemacht worden und es erscheint dieselbe daher an dieser Stelle nicht diskutirbar, wenngleich das Auskerben der Zwischenbleche als eine glückliche Konzeption nicht in Abrede gestellt werden soll.

Alles in allem kann sich der Verfasser nicht wie jener Artikel auf den Standtpunkt stellen, diese Beispiele zum Studium zu empfehlen und, wenn ihm auch Beispiele aus der französischen Litteratur bekannt sind, welche diesem Zwecke weit besser entsprechen würden, so ist er überdies der Ansicht, dass in Bezug auf die Ausbildung des Schmiedeisens der französische Kollege eher bei uns in die Lehre geschickt werden könnte als umgekehrt. Eine gegenseitige Belehrung unter deutschen Technikern hält aber auch er für wünschenswerth. Denn ein wechselnder Turnus von Ansicht und Gegenansicht kann nur dazu dienen, die unter dem Schleier subjektiver Empfindung verborgenen Wahrheiten zu lüften und allgemein giltige Gesichtspunkte für die ästhetische Behandlung des Eisens hervor zu kehren.

Berlin, 5. August 1883
Puhlmann, Reg.-Baumeister