von Dr. Heinrich Pudor (Berlin)
Man hört heute oftmals die Ansicht ausgesprochen, dass in
unseren modernen Bahnhofsbauten, Markthallen, Brückenbauten
und Maschinenhallen mehr moderne Kunst stecke, als in den modernen
Kirchen, Palastbauten und Regierungsgebäuden. Das ist insofern
richtig, als in jener Eisenarchitektur der Geist der Moderne, auf
Technik und Maschinenbau beruhend, sich ausspricht, in dieser letzteren
Steinarchitektur dagegen Reste von abgegrabenen Culturperioden in
Erscheinung treten. Der Eisenarchitektur gehört die Zukunft -
soviel ist sicher. Eine andere Frage ist die, ob ihr die Gegenwart in
dem Sinne gehört, dass sie schon heute stilarchitektonisch,
also künstlerisch mitreden darf. Und diese Frage muss verneint
werden. Die Eisenarchitektur ist bisher lediglich technischer,
maschineller Art. Sie beobachtet nur technische Gesetze und kennt nur
technische Werte. Wenn wir in der Steinarchitektur nur
architektonisches Wissen und Benützung verjährter
Stilformen finden, so begegnen wir in der Eisenarchitektur noch nicht
einmal dem Versuche, die Gesetze der Kunst auf den Eisenbau anzuwenden.
Dort herrscht das Kunst-Wissen, hier das technische Wissen, dort fehlt
es an Originalität, hier am künstlerischen
Maßstab, und hier wie dort mangelt es am
künstlerischen Können.
Das, was uns an den modernen Eisenbauten imponiert, ist das Technische,
nämlich die Spannweite der Bogen, die Tragkraft des Eisens,
das Netzwerk der Rippen, die Durchsichtigkeit des Baues, nicht aber
irgend etwas Künstlerisches, sei es nun die Art, wie die
Stützen die Last des Gewölbes in sich aufnehmen, oder
die Verbindung der eisernen Glieder. Offenbar eben ist das
künstlerische Moment überhaupt noch nicht in das
Bewusstsein des Ingenieurs getreten: er hat noch nicht daran gedacht,
noch nicht sich bemüht, künstlerische Gesetze in der
Eisenarchitektur walten zu lassen. Die Eisenarchitektur war
für ihn Technik und Mechanik, aber nicht Kunst. Selbst das,
was bei dem Wahrzeichen der modernen Eisenarchitektur, bei der Tour
Eifel, die Phantasie gefangen nahm, war nicht irgend welches
künstlerische Moment, sondern die Besiegung technischer
Schwierigkeiten, die ungeheure Höhe dieses auf einem Gerippe,
so luftig wie ein Spinnengewebe aufgeführten Baues, das in der
Höhe meterweit dem Winde entsprechend hin- und herschwanken
konnte und doch gegen jeden Einsturz oder jede Bedrohung, der Tragkraft
des Eisens zufolge, gefeit war, ja, man hätte
höchstens den Vorwurf machen können, als ob die
eisernen Stützen immer noch zu stark waren, als ob der
Tragkraft des Eisens noch immer nicht genug zugemuthet war.
Und ähnlich bei der die Phantasie nicht minder
gefangennehmenden Maschinenhalle der 1889er Pariser Ausstellung. Auch
hier war das, was Bewunderung erregte, etwas Technisches,
nämlich die ungeheure Spannweite der Bogen und die daraus sich
ergebende Großräumigkeit der Halle. In dieser
Beziehung war der Glaspalast der Londoner Weltausstellung des Jahres
1856, also der jetzige Crystal Palace das Vorbild und eigentlich das
erste Monumentalwerk des modernen Eisenbaues. Aber hier wie dort fehlt
es an jedem künstlerischen Element.
Sobald man von der Spannweite der Bogen und dem Netzwerk der eisernen
Rippen abstrahiert und sein Augenmerk auf tiefer liegende Dinge
(Constructionsfragen, Verbindung der Stützen, Aufnahme der
Traglast und Vermittlung der letzteren, Ausbildung der
stützenden Pfeiler und Verbindungsglieder etc.) richtet, sieht
man nicht nur Misslungenes und Verfehltes und künstlerisch
Unbefriedigendes, sondern absoluter Mangel an jeder
künstlerischen Tendenz tritt zutage. Beispielsweise kann man an
modernen Bahnhofshallen häufig
bemerken, wie die eisernen Balken, welche eine ganze
großräumige Halle tragen, da, wo sie die
stützende Mauerwand erreichen, auf Consolen sitzen, die so
groß sind, dass man ihnen allenfalls zutraut, irgend eine
Porträtbüste zu tragen. Es ist ja wahr, dass die Last
dieser Rippen nicht eigentlich von diesen Consolen getragen wird,
sondern von den Mauerwänden, in die sie sich einsenken, dann
aber kommt es darauf an, dem auch äußerlich Ausdruck
zu verleihen und es unserem, so fein empfindenden Auge zu erkennen zu
geben, wo die Stützen ruhen, was stützt und was
trägt, was die Last überträgt und
vermittelt. Und daran eben fehlt es: an der Sichtbarmachung der
constructiven und statischen Gesetze. Und der Grund ist der, dass diese
constructiven Gesetze beim Eisenbau ganz andere sind, als bei der
Steinarchitektur, dass man daher die Formen der letzteren auf erstere
nicht anwenden konnte, oder, wenn man es doch that, Fiasco machte.
Vergleichen wir die Steinhalle (Steingewölbe) mit der eisernen
Halle. Bei jener kommt die Last des Gewölbes auf die ganze
Breitseite der Mauern zu liegen. Bei dieser, wo es sich also um Rippen,
in die das Netz des Gewölbes zerlegt ist, handelt, kommt die
Last m e h r a u f P u n k t e
a l s a u f F l ä c h e n zu
ruhen, nämlich auf die Punkte, in denen das Ende einer Rippe
den stützenden Pfeiler erreicht. Dieses constructive Moment
muss nun äußerlich zum Ausdruck gebracht werden.
Darin liegt das, was die Bau-Kunst ausmacht. Und man darf nicht etwa
denken, dass der Eisenbau weniger mit Bau-K u n s t zu thun
habe, als der Steinbau, nein, eher verhält es sich umgekehrt.
Zum mindesten stellt der Eisenbau constructive und tektonische Aufgaben
in weit reinerer Form, als der Steinbau. Aber um diese zu
lösen, bedarf es des Schaffens aus dem Empfinden heraus,
bedarf es des Zurückgehens zur Quelle, bedarf es des echten
und originalen Empfindens.
Eine Art Fingerzeig bietet höchstens der gothische
Gewölbestil, bei welchem ebenfalls nicht die
Mauerfläche die Stütze bildet, Aber hier sind es die
Ecken, in denen sich die Last des Gewölbes sammelt,
während es bei dem Eisenbau einzelne Punkte ebensowohl der
Mauerflächen als der Ecken sind. Und wie dies
Verhältnis zum Ausdruck zu bringen, darüber war man
in Verlegenheit. Die ganze Mauer als Stützfläche zu
behandeln, gieng nicht an, denn diese bildet eben nicht in allen ihren
Punkten die Stütze. Statt nun bestrebt zu sein,
äußerlich diejenigen Punkte zum Ausdruck zu bringen,
welche die Last in sich aufnehmen, im übrigen aber die
Mauerfläche leicht und luftig zu behandeln, gieng man
schematisch vor und führte starke Mauern auf, die lediglich
da, wo die Enden der eisernen Rippen aufsitzen, Consolen tragen. Und
diese kunstlose Bauweise erstreckte sich bis ins einzelnste. Man
sehe sich eine beliebige eiserne Brücke an und forsche darnach,
wie die einzelnen Glieder verbunden sind, wie das stützende
und gestützte und wie das vermittelnde und
übertragende Glied behandelt ist. Man sehe zu, ob man einen im
entferntesten künstlerischen Versuch der Belebung,
Schmückung und Gestaltung der einzelnen Glieder findet. Nein,
nur Schienen, Nägel und Nieten kennt die Eisenarchitektur. Und
erst recht kam sie in Verlegenheit bei der Anlage des
Außenbaues. Denn hier wurde die Schwierigkeit erhöht
dadurch, dass eine Verbindung mit der Steinarchitektur eingegangen
werden musste. Man braucht nur das Äußere einer
beliebigen Bahnhofshalle anzuschauen, um auch hier über die
völlige Rathlosigkeit und Hilflosigkeit nicht im Zweifel zu
sein. Und zwar ist das Bild hier noch unerquicklicher deswegen, weil
man hier die überlieferten Formen der Steinarchitektur
früherer Zeiten planlos adoptierte.
Besonders dankbare Aufgaben sind der modernen Eisenarchitektur beim
Warenhausbau gestellt. Denn bei diesem kommt es einerseits darauf an,
große, helle Räume herzustellen, und anderseits
bedeutende Tragkraft zu entwickeln. Beiden Aufgaben vermag der Eisenbau
in hervorragender Weise gerecht zu werden. Und mechanisch und technisch
genommen löste man diese Aufgaben vortrefflich. In
Verlegenheit war man auch hier nur bei der Frage der Verbindung des
Eisenbaues mit dem Steinbaue. Mauerflächen konnte man hier,
der großen Fenster wegen, nicht brauchen. Statt deren gab es
Pfeiler und Stützen. Diese Menge großer Pfeiler aber
hatte eine starke einseitige Betonung der Verticalen zur Folge, zumal
man diese Pfeiler durch schwere steinerne Ummantelung noch mehr ins
Auge fallen ließ und sich nicht bemühte, die
Horizontale zu betonen, damit diese der Verticalen nur
annähernd das Gleichgewicht halte. So sehen denn diese
modernen Warenhäuser gewöhnlich aus, w i
e K i r c h e n, d i e n u r b
i s a u f d i e S c h i f f e f
e r t i g g e w o r d e n s i n d, d e r
e n P f e i l e r a b e r a u f
T h ü r m e, d i e s i e t r a g
e n s o l l e n, a n g e l e g t s i n
d. Man kann thatsächlich bei diesen
Warenhäusern häufig Pfeiler sehen von einer
Stärke, wie bei der Façade des Mailänder
Domes oder dem Langschiff des Kölner Domes. Und man versteht
diese Dichtigkeit der Pfeiler hier um so weniger, als nirgends
angedeutet ist, dass sie die Last ganzer Stockwerke in sich aufnehmen.
Dagegen müsste an den Punkten, bei denen die horizontalen
Schienen in die verticalen Stützen übergehen, die
Verbindung äußerlich zum Ausdruck gebracht sein,
damit das Auge der Construction nachfühlen kann; auf solche
Weise allein würde aus der Technik Kunst. Ein noch schwererer Fehler, den man begangen hat, ist der, dass man die
eisernen Stützen nach außen verlegte, statt nach
innen. Aber ebenso wie die Natur, mit der alleinigen Ausnahme der
Crustaceen, das Knochengerüst nach innen verlegt hat und es
nach außen mit Fleisch und Blut bekleidet hat, muss auch der
Architekt, der in Eisen baut, das G e r i p p e n a
c h i n n e n v e r l e g e n,
andernfalls wir stets fragen würden, wo denn der Thurm sei,
den die Pfeilermassen tragen sollen. Kommt dagegen das
Eisengerüst nach innen zu liegen, bieten sich für die
Gestaltung des Äußeren ganz neue und
äußerst dankbare Aufgaben. Die schweren
Mauerflächen werden überflüssig, und
für Licht und Luft, für Fleisch und Blut,
für Fenster und Zierwerk ist reichlich Gelegenheit gegeben.
Endlich darf der Architekt, der in Eisen baut, niemals das oberste
künstlerische Gesetz vernachlässigen: aus dem
Charakter des Materials heraus die Formen zu entwickeln. Dahingegen
sehen wir heute da, wo eiserne Basen, Consolen, Capitäle,
Träger, Stützen und Verbindungsglieder zur
Ausführung kommen, dass sie in Stein, nicht in Eisen gedacht
sind, weil man nämlich einfach die Formen der Steinplastik auf
das Eisen übertragen hat, anstatt aus dem Charakter des
Eisenmaterials heraus neue Formen zu finden. Wird doch das Eisen
gegossen und geschmiedet, "der Stein dagegen gehauen". War es nicht
geradezu frevelhaft, die Steinbauformen auf den Eisenguss zu
übertragen? Aber hier berühren wir einen Krebsschaden
des gesammten künstlerischen Schaffens unserer Tage, besonders
des Kunstgewerbes, dass wir nämlich zu wenig a u
s d e m G e i s t e d e s M a t
e r i a l s h e r a u s die Formen entwickeln.
Indessen wird dieser Übelstand heute ziemlich allgemein als
solcher erkannt, nicht nur von Männern, wie Ruskin, sondern
auch von Eckmann und van de Velde. Welche großen und außerordentlich dankbaren
Aufgaben der Eisenarchitektur noch harren, mag nur angedeutet werden.
Wir verlangen heute für die Innenräume in erster
Linie Luft und Licht und Großräumigkeit; diesen
Forderungen zu genügen, ist aber der Eisenbau am meisten
angethan. Man wird einst drei Phasen architektonischen Baues
unterscheiden, desjenigen in Holz, desjenigen in Stein und endlich
desjenigen in Eisen. Perspectivisch wirkt von diesen drei Stilen am
meisten der Eisenbau, weil das Eisen die größte
Tragkraft besitzt und daher den geringsten Flächenraum in
Anspruch nimmt, sodass der Raum selbst am luftigsten gestaltet werden
kann. Dem Holzbau war es um die Intimität der Räume
zu thun, er feierte daher die größten Triumphe in
der Innenarchitektur. Dem Steinbau war es um kraftvolle Massen zu thun;
er triumphierte im Palastbau; und was den Kirchenstil anbetrifft, schuf
der kraftvolle romanische Stil mehr aus dem Charakter des Materials
heraus, als der gothische Stil, der die Massen in Zierwerk
auflöste. Die Halle dagegen, mit Bogen von gewaltigster
Spannweite und einem Gerippe wie von Spinnenfäden, bringt uns
erst die Eisenarchitektur. Aber keiner der beiden anderen Stile hat die
gleichen Schwierigkeiten zu überwinden wie die
Eisenarchitektur. Holz und Stein architektonisch zu verbinden war nicht
annähernd so schwer, als das Eisen mit dem Stein und mit dem
Holz zu verbinden. Als die Baukunst in ihrer geschichtlichen
Entwickelung zu dem Punkte gekommen war, bei dem es galt, von der
Holzarchitektur zur Steinarchitektur überzugehen und jene mit
dieser zu verbinden, nahm man einfach die vom Holzbau
überlieferten Formen in die Steinarchitektur hinüber:
sogar der Mutulisims geht im letzten Grunde auf die Sichtbarmachung der
Balkenköpfe beim Holzbau zurück, und man wird wenig
Formen in der Steinarchitektur finden, die nicht aus dem Holzbau sich
heraus entwickelt haben. Die Eisenarchitektur dagegen kann nicht das thun, was die
Steinarchitektur that, die überlieferten Formen des Holz- und
Steinbaues herübernehmen. Denn wie schon oben betont: das
Eisen wird gegossen und geschmiedet, nicht gehauen und nicht
gesägt. Die Eisenarchitektur muss daher wohl oder
übel daran denken, neue Formen aus dem Geiste des
Eisenmaterials heraus zu schaffen. Zugleich giebt eben dieser Umstand
die Entschuldigung für das bisherige Fiasco des
künstlerischen Eisenbaues bezüglich der Einzelformen.
Noch niemals wohl hat es eine Kunst so schwer gehabt, als die moderne
Eisenarchitektur. Der beste Rath, den man einstweilen der Eisenarchitektur in der eben
besprochenen Richtung geben kann, ist der, dass sie die
künstlerischen Formen daher nimmt, wo das gleiche Material zur
Anwendung kommt, nämlich aus dem Kunstgewerbe, soweit dieses
mit guss- und schmiedeeisernen Arbeiten zu thun hat. Hier wird man
manche brauchbare Formen finden, die sich mit Erfolg auch in der
Architektur verwenden lassen, zum mindesten da, wo es sich um
Ausschmückung, Verbindung der einzelnen Glieder,
Abschlüsse, Bekrönungen, Basen, Capitäle und
Consolen handelt. Bietet doch überhaupt die moderne
schmiedeeiserne Technik hervorragende Leistungen kunstgewerblicher
Thätigkeit. Die Art, wie bisher die großen Eisenwerke den
kunstgewerblichen Theil ihrer Aufgabe erfüllen, ist wenig
erfreulich. Ob man nun die neue Schwebebahn Elberfeld-Barmen oder die
neue Berliner elektrische Hochbahn oder irgend einen Laternenpfahl oder
eisernen Brückenpfeiler ansieht, immer tritt einem entweder
Kunstverwirrung oder Kunstlosigkeit entgegen. Kann man doch sogar
Laternen sehen, bei denen den Pfahl einfach eine Eisenschiene bildet.
Und leider empfinden viele Menschen diese künstlerische
Öde nicht einmal. Dagegen ist dringend zu fordern, dass die
großen Eisenwerke kunstgewerbliche Künstler
anstellen, welche nicht n u r z e i c h n e
n, sondern auch f o r m e n und
p l a s t i s c h e m p f i n d e n gelernt haben,
und dass sie sich bemühen, nunmehr, da wir über das
Kindheitsalter der Eisentechnik hinaus sind, nicht nur technisch und
mechanisch, sondern auch künstlerisch befriedigende Leistungen
zu geben. D e n n a u c h d i e
E i s e n a r c h i t e k t u r g e h ö r
t i n d a s B e r e i c h d e
r b i l d e n d e n K ü n s t e,
z u m m i n d e s t e n i s t d i e
s d e r W e g, d e n s i
e i n Z u k u n f t z u n e h m
e n h a t. |