Allseitiges Streben nach frisch belebenden Motiven in dem Gebiete
der Kunst, welches in unserer jüngsten Welt zu einem
krankhaften Haschen nach
Niedagewesenem im Gebiete der Artistik sich auswuchs, legt auch der
strengen Wissenschaft
die Frage zur Beantwortung vor, ob und wie es der Architektur
überhaupt ermöglicht sei,
neue Ideen im Gebiete der Monumentalweise zu ersinnen und zu
verwirklichen. Bei der
Erläuterung dieses schwierigen Problems muss vor allem betont
werden, dass nach der
Erfahrung der Weltgeschichte die Kunst eine verjüngte
Wesenheit der Architektur niemals
aus einer Variation ihrer decorativen Argumente allein, als vielmehr
nur auf Grundlage
einer anders gestalteten Verbindung ihren zugehörigen
Raumesideen erbildet hat. Indem in
der Zeit die frisch gestaltete bauliche Conception für ihr
tektonisches Gerüste eine
seinem Organismus entsprechende Kundgebung der Formaltypen verlangt,
muss die Kunst aus
dem universellen Gebiete der architektonischen Formensprache die
entsprechenden Formlaute
entlehnen, und wird aus dieser Verschmelzung der ornamentalen Elemente
mit den neuen
Raumesgedanken eine verjüngte Stilversion sich
allmählich entfalten. Wenn auf diesem in
allen Kunstperioden sich wiederholenden Processe die Stilgeschichte
sich entwickelte, so
hat im gleichen Sinne jede willkürliche Abweichung von jener
naturgemäßen Entwicklung,
insbesondere jedes gehaltlose Spiel mit den formalen Typen zur
Corruption der Stile
geführt, gleichwie die erschlaffende, zu neuen Variationen der
Raumesideen nicht mehr
befähigte Phantasie der Zeiten zum Manirismus und Verfalle der
Stilversionen leiten
musste.
Auf die Frage, welche Bahn unserer heutigen Architektur zur
Begründung neu belebender
Motive sich darbiete, kann allein mit dem Hinweis auf die i n
t e r n a t i o n a l
e c l a s s i s c h e W e i s e als die
ewig unermessliche Fundgrube
ästhetisch geistiger Ideen hingewiesen werden. Ihre aus dem
artistischen Geiste der
ganzen poläarktischen Welt zusammengefügten baulichen
Elemente, welche in den
Monumentalschöpfungen der hellenischen Könige durch
die Combination der orientalischen
Raumesmotive mit der hellenischen Stilistik eine Fülle
baulicher Gedanken rhythmisch
vereinten, die in Romas Weltarchitektur zu concreter Formensprache
reifen sollten, hat
zugleich alle jene Probleme im Principe gelöst, welche als
fruchtbringende Factoren für
die fernste Zukunft der Baukunst fortbestehen. So hat dereinst die
christliche Weise von
der gräcoitalischen Almamater das Basilika-Hallenschema und
das Centralkuppelsystem
ererbt und aus ihrer ästhetischen Vermählung die
weite mittelalterliche Kunst
erschaffen. Nachdem die mit dem System des Rundbogens organisch
verwachsenen romanischen
Versionen ihre Abklärung gefunden hatten, strebte die Baukunst
nicht neue Systeme, doch
weitere Plangedanken zu entfalten, und erfüllte der Spitzbogen
jene Function, welche die
weitgehendsten Verbindungen des Hallenschemas gestattete, wie zugleich
der in dem
Maßwerke plastisch geoffenbarte Structurgedanke die
stilistische Tendenz der Gothik
bedingte.
Der Renaissance als der verjüngten Tochter Romas erwuchs,
neben ihrem Zurückgreifen und
Verwendung der decorativen Elemente der Antike, zunächst aus
der Combination des
tonnengewölbten Saales der altitalischen Kunst mit dem
bestehenden kirchlichen Planschema
ihr bahnbrechendes Grundmotiv, und feiert dieselbe in der organischen
Vereinigung dieser
neuen Planidee mit der Kuppel den Zenith ihrer künstlerischen
Erscheinung. Durch die
Accomodierung mit den classisch formalen Argumenten bezeichnet zugleich
die Renaissance
ein Fortschreiten auf dem Wege der objectiven Entwickelung der
Architektur, indem dieselbe
deren internationale Formensymbolik in ihrem Wesen weiter leitete. Da
ihre Meister diese
Bahn wohl mit feinem künstlerischen Gefühle, doch
weniger geklärtem Bewusstsein
verfolgten, und bald nicht mehr in der organisch sich entwickelnden
Raumescombination,
sondern in dem Spiele der formalen Elemente Neues zu erfinden strebten,
fiel die
Monumentalweise von der Pseudoarchitektur der Scheinfaçaden
in das Schnörkelwesen des
Zopfes, und fand in dem Formengewirre des Rococos ihren zur
Weiterentfaltung unfruchtbaren
Abschluss.
Unsere heutige Zeit, welcher zur objectiven Kunstbetrachtung eine
reichlich genügende
Fülle archäologischen Materiales zur Seite steht, hat
ihr angebahntes Ziel nicht
erreicht, indem man vielfach zu einseitig besondere Kunsttendenzen
verfolgte, hierauf in
einem unfruchtbaren Specialistenthum sich verlor, oder, einer Mode des
Augenblickes
huldigend, ohne psychologischen Zusammenhang von dem Culte einer
bevorzugten
Stilerscheinung zum anderen übersprang und auf solche Weise
jene Prämissen zu vergessen
begann, auf welchen jede bedeutsame Kundgebung der Architektur, deren
Erkenntnis allein
aus der vergleichenden Anschauung der Stilistik gefolgert zu werden
vermag, sich
aufrichten kann. Wie man bei den mannigfachen neueren baulichen Richtungen schmerzlich
eine leitende
geistige Idee vermisst, so leiden die einzelnen Gebilde nicht minder an
einer
Gedankenarmuth der Raumesmotive, indem die heutzutage keineswegs reiche
Auswahl der
landläufigen Vorbilder prototypisch stets wiederkehrt und der
Wechsel der Erscheinungen
nur mehr in der verschiedenartigen Überkleisterung mit den
ornamentalen Elementen
älterer, meist zusammengehöriger Stilarten besteht. An Stelle des Fortschreitens auf diesem unheilbringenden Wege muss
unsere Baukunst die
Erneuerung frischer Lebensgeister in der Aufnahme neuer Raumesideen
suchen, welche
dieselbe, wie bemerkt, in dem Zurückgehen auf die artistisch
objective Bahn der antiken
Weltarchitektur finden wird. Nun birgt die i n t e r n a t i o n a l e A n t i k
e, neben ihrer
logischen Formensymbolik, ein für unsere Jetztzeit ebenso
fruchtbringendes wie
unbekanntes Motiv, nämlich das des e u r h y t h m i
s c h b e h e r r s c h
t e n b a u l i c h e n C o m p o s i t
s. Dasselbe beruht in der
harmonischen Zusammenstellung eines aus verschiedenen Elementen
bestehenden Baucomplexes
mit Einschluss der umgebenden Natur nach vorher ästhetisch
berechnetem Plane, und fand
der einst in der Anlage der neu geschaffenen Städte Alexanders
wie der Diadochenzeit
seine nie wieder erreichte gewaltige Manifestation. Seine für
unsere Tage vorbildliche
Prägung erhielt das Motiv in der organisch zusammengeordneten
Bauanlage der römischen
Villa, neben welcher der Kaiserpalast mit seinen durch Arcaden und
Gartenanlagen
vereinten, dem privaten, gesellschaftlichen und staatlichen Leben, wie
dem religiösen
Culte geweihten Prachtbauten eine Fülle baulicher Ideen
darbietet, deren einzelne
Baugruppen für sich allein schon als anregende Momente
genügen dürften.
Eine durch das Studium der antiken Ruinen und Überlieferung
der Autoren erneute
Erkenntnis des künstlerischen Princips jener Art der
Baugattung dürfte den sicheren
Anhaltspunkt bieten, das c o m p o s i t e b a u l
i c h e M o t i
v wieder als bewusstes künstlerisches Moment in die
Architektur einzuführen. Aus
dem rhythmisch geschaffenen Einklange zusammengeordneter Baugruppen mit
Zuordnung der
umgebenden Natur unter das System der baulichen Composition
würden, im Gegensatze zu der
einheitlichen Kolossalmasse der heutigen Monumentalgebilde, wie der eng
aneinandergeschichteten Privatpaläste oder nüchtern
nebeneinander gestellten Villen,
wieder neue mit wechselndem Bilde und regem Leben erfüllte
bauliche Compositionen
verjüngend die Architektur bereichern. Gleichzeitig mit diesem
Siege der h a r m o
n i s c h e n W e c h s e l w i r k u n g g e t r e
n n t e r B a u g e
b i l d e über die heute üblichen isoliert
gestalteten Baukörper würde
untrüglich die Architektur zugleich eine geziemend eigenartige
neue Gestaltung ihrer
Formaltypen erschaffen, wie die übrigen bildenden
Künste, vornehmlich die Plastik, in
den erweiterten, frei disponierten Bauanlagen wieder die ihr geziemende
reiche Entfaltung
und das rhythmische Zusammenwirken mit der Baukunst finden
würde.
Dr. J. Prestel |