Neben Theorie und Praxis vollendet
die
Philosophie den Baumeister im Adel der Gesinnung; dass er nicht
anmassend, sondern
gewissenhaft und rechtschaffen sei und der Habsucht abhold sich zeige,
denn kein gutes
Werk kann ohne Uneigennützigkeit und Lauterkeit der Gesinnung
wohl gedeihen. Auch soll
derselbe nicht begehrlich sein, Aufträge zu erlangen, vielmehr
zur Erhaltung seines guten
Rufes mit Strenge seine Würde bewahren, wie die echte Weisheit
dieses gebietet. Der antike Autor, welcher mit diesen bedeutungsvollen Worten die
verlangte Bildungsstufe
eines Baukünstlers charakterisirt, fordert überdies
neben gründlichen stilistischen
Kenntnissen eine Erfahrung in den weitesten Wissensgebieten, so der
Psychologie,
Astronomie, Geschichte, Musik, Rechtswissenschaft und sogar Medicin,
damit der Architekt
bei seinen Bauausführungen den ästhetischen wie
technischen, den gesetzlichen wie
hygienischen Verhältnissen, verbunden mit den klimatischen
Bedingnissen des Landes,
gerecht zu werden im Stande sei.
Diese universelle Bildung war bereits in hellenischer Periode das
Erforderniss der
Anerkennung eines bewährten Architekten. So rühmt
Pythios, der Erbauer des
Athene-Tempels zu Priene, mit Stolz von seinem Stande, dass ein echter
Baukünstler wohl
nicht Specialistin jedem Fache sein könne, aber unter allen
Ständen über das höchste
Gesammtwissen in dem Reiche der Kunst und Wissenschaft gebieten
müsse. Diese das
menschliche Wissen in jeglicher Richtung berührende
Erkenntnis, verbunden mit einer für
alles Schöne und Naturwahre empfänglichen
Geistesanlage, kann zugleich einzig die
Erklärung der Entstehung der unerreichten classischen Bauart
geben und dürfte der neuen
Welt den Leitfaden zu künftigem, höherem und
monumentalem Schaffen bieten.
Denn gleichwie das Studium jenes geistig künstlerischen
Strebens und Wirkens der Antike
die verjüngte classische Weise der Renaissance beseelte und
förderte und von der idealen
Tendenz der Sturm- und Drangperiode beginnend, die schöne
Frucht der classischen Richtung
unseres Jahrhunderts zeitigte, so hat die Missachtung des idealen
Sinnes im Baufache heute
eine Verirrung in's Leben gerufen, welche der Antike selbst in ihrem
Ersterben noch
unbekannt blieb.
Eine bessere Spätzeit wird hingegen in der sinnwidrigen
Vermengung der Kunsttypen, der
erstarrten oder entarteten Stilistik der neuesten Baurichtung, welche
mit Vorliebe die
allem ästhetischen Gefühl hohnsprechenden
Eisenstangen mit massivem Steinbau verbindet
oder gar erstere an Stelle älterer, würdiger
Architektur zu stellen beliebt, sich einen
Rückschluss auf das künstlerische
Verständniss und Wissen unserer Baukünstler bilden,
welcher der Mehrzahl zu üblem Lobe gereichen muss. Dieses Urtheil, das sich leider auf die Baurichtung der heutigen
gesammten Culturwelt
beziehen lässt, wird in der herbsten Form nicht die Unwahrheit
berichten, wenn man
bedenkt, welch eigennütziges, geistloses Streberthum fast
aller Orten die
Aussenarchitektur dominirt und welche Elemente bis herab zum
schwindelhaften Unternehmer
sich den Namen des Architekten anmassen und im Baufache zu arbeiten
sich erdreisten.
Wenn wir ferner von den römischen Autoren belehrt werden, dass
die Baumeister ihrer Zeit
sich mit Abscheu von jenen wendeten, welche sich bei Baulustigen als
Fachleute anbieten
liessen, da nach der Alten Anschauung in der Baukunst nicht der
Arbeitgeber, sondern der
schaffende Künstler gebeten werden müsse - wie
verachtungsvoll muss eine Spätzeit von
der Selbstachtung und Würde des Baufaches unserer Tage denken,
wo das Arbeitbetteln auf
der Tagesordnung steht und die Reclame in so niedriger Form sich
eingebürgert hat, dass
selbst Kirchenbaumeister von Ruf es nicht unter ihrer Würde
halten, am Baugerüst der von
ihnen geleiteten Bauwerke auf grossem Schilde der Welt ihren Namen zu
verkünden und ihrer
Mitwelt hiedurch zu betheuern, wie weit eine den Unlauteren ergebene
Bauperiode den Namen
der Göttin Architektur zu entweihen wage.
Dr. J. Prestel, Architekt |