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Autor: Prestel, Jacob
In: Wiener Bauindustrie-Zeitung - 17 (1900); S. 134 - 137
 
Der Architekt der Antike und Neuzeit
 
Neben Theorie und Praxis vollendet die Philosophie den Baumeister im Adel der Gesinnung; dass er nicht anmassend, sondern gewissenhaft und rechtschaffen sei und der Habsucht abhold sich zeige, denn kein gutes Werk kann ohne Uneigennützigkeit und Lauterkeit der Gesinnung wohl gedeihen. Auch soll derselbe nicht begehrlich sein, Aufträge zu erlangen, vielmehr zur Erhaltung seines guten Rufes mit Strenge seine Würde bewahren, wie die echte Weisheit dieses gebietet. Der antike Autor, welcher mit diesen bedeutungsvollen Worten die verlangte Bildungsstufe eines Baukünstlers charakterisirt, fordert überdies neben gründlichen stilistischen Kenntnissen eine Erfahrung in den weitesten Wissensgebieten, so der Psychologie, Astronomie, Geschichte, Musik, Rechtswissenschaft und sogar Medicin, damit der Architekt bei seinen Bauausführungen den ästhetischen wie technischen, den gesetzlichen wie hygienischen Verhältnissen, verbunden mit den klimatischen Bedingnissen des Landes, gerecht zu werden im Stande sei.

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Diese universelle Bildung war bereits in hellenischer Periode das Erforderniss der Anerkennung eines bewährten Architekten. So rühmt Pythios, der Erbauer des Athene-Tempels zu Priene, mit Stolz von seinem Stande, dass ein echter Baukünstler wohl nicht Specialistin jedem Fache sein könne, aber unter allen Ständen über das höchste Gesammtwissen in dem Reiche der Kunst und Wissenschaft gebieten müsse. Diese das menschliche Wissen in jeglicher Richtung berührende Erkenntnis, verbunden mit einer für alles Schöne und Naturwahre empfänglichen Geistesanlage, kann zugleich einzig die Erklärung der Entstehung der unerreichten classischen Bauart geben und dürfte der neuen Welt den Leitfaden zu künftigem, höherem und monumentalem Schaffen bieten.

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Denn gleichwie das Studium jenes geistig künstlerischen Strebens und Wirkens der Antike die verjüngte classische Weise der Renaissance beseelte und förderte und von der idealen Tendenz der Sturm- und Drangperiode beginnend, die schöne Frucht der classischen Richtung unseres Jahrhunderts zeitigte, so hat die Missachtung des idealen Sinnes im Baufache heute eine Verirrung in's Leben gerufen, welche der Antike selbst in ihrem Ersterben noch unbekannt blieb.

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Eine bessere Spätzeit wird hingegen in der sinnwidrigen Vermengung der Kunsttypen, der erstarrten oder entarteten Stilistik der neuesten Baurichtung, welche mit Vorliebe die allem ästhetischen Gefühl hohnsprechenden Eisenstangen mit massivem Steinbau verbindet oder gar erstere an Stelle älterer, würdiger Architektur zu stellen beliebt, sich einen Rückschluss auf das künstlerische Verständniss und Wissen unserer Baukünstler bilden, welcher der Mehrzahl zu üblem Lobe gereichen muss. Dieses Urtheil, das sich leider auf die Baurichtung der heutigen gesammten Culturwelt beziehen lässt, wird in der herbsten Form nicht die Unwahrheit berichten, wenn man bedenkt, welch eigennütziges, geistloses Streberthum fast aller Orten die Aussenarchitektur dominirt und welche Elemente bis herab zum schwindelhaften Unternehmer sich den Namen des Architekten anmassen und im Baufache zu arbeiten sich erdreisten.

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Wenn wir ferner von den römischen Autoren belehrt werden, dass die Baumeister ihrer Zeit sich mit Abscheu von jenen wendeten, welche sich bei Baulustigen als Fachleute anbieten liessen, da nach der Alten Anschauung in der Baukunst nicht der Arbeitgeber, sondern der schaffende Künstler gebeten werden müsse - wie verachtungsvoll muss eine Spätzeit von der Selbstachtung und Würde des Baufaches unserer Tage denken, wo das Arbeitbetteln auf der Tagesordnung steht und die Reclame in so niedriger Form sich eingebürgert hat, dass selbst Kirchenbaumeister von Ruf es nicht unter ihrer Würde halten, am Baugerüst der von ihnen geleiteten Bauwerke auf grossem Schilde der Welt ihren Namen zu verkünden und ihrer Mitwelt hiedurch zu betheuern, wie weit eine den Unlauteren ergebene Bauperiode den Namen der Göttin Architektur zu entweihen wage.

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Dr. J. Prestel, Architekt