vom Architekten Dr.
Jakob Prestel (Mainz)
Gemäß dem eklektischen Sinne unserer neueren
archäologischen Forschung, welche dir
Kritik der Kunst aus dem Banne individueller Anschauung zu befreien
sich bestrebte und
heute in den Stilen nicht mehr abstract geschlossene Erscheinungen als
vielmehr nur formal
und zeitlich anders gestaltete Typen und Raumesbegriffe der
Monumentalweise erblickt, kann für die nächste
Zukunft von einer einseitigen
stilistischen Kundgebung in der Architektur keine Rede sein. Von diesem
Gesichtspunkte ist
selbst die Mode, welche in jüngster Zeit nach wechselnder
Laune frühere Stilkundgebungen
auf die architektonische Tagesordnung setzt und solche mit mehr oder
minderem Geschick dem
jetzigen Comfort anzupassen beliebt, von nicht bestreitbarer
Berechtigung, und wird diese
artistische Maskerade voraussichtlich noch eine geraume Periode die
Monumentalweise
dominieren. Dass anderseits durch dieses unstäte Tasten einer
modekranken Architektur
für die Baukunst keine Grundlage einer fruchtbringenden
Zukunft geschaffen werden könne,
darf nicht minder als unleugbare Thatsache hingestellt bleiben. Dem
denkenden Kunstfreunde
muss sich bei Betrachtung der heutigen architektonischen Manier
unwillkürlich die Frage
aufdrängen, ob aus den obwaltenden Verhältnissen
für die Zukunft sich überhaupt noch
eine eigenartige Stilistik zu gestalten vermöge. Aus dem stets
wachsenden
architektonischen Chaos unmittelbar eine belebende Genesis der Kunst zu
erwarten,
verbietet die traurige Erfahrung, dass gerade in jüngster
Periode mit der Zunahme der
architektonischen Manieristik eine stetig sich mehrende Verrohung des
ästhetischen
Theiles der Stile, sowie ein Unverständnis ihrer gesetzlichen
Ordnung zu verzeichnen ist,
während in den baulichen Compositionen der Jetztzeit mehr eine
technische Routine als
eine logischharmonische Combination der Raumbegriffe zu Tage tritt. Ein
Fortfahren auf
dieser Bahn mag immerhin in Händen eines begabten Artisten
eine eigenartige Wiedergabe
des gewählten Vorbildes zu erzeugen imstande sein, eine Schule
der Zukunft kann diese
wesen- und ziellose Richtung niemals ins Leben rufen. Die Annahme, dass
die Zukunft
überhaupt keine selbstbewusste Monumentalweise mehr erzeugen
könne, wäre
gleichbedeutend mit dem Irrthum, den künftigen Geschlechtern
ihre zeitliche Culturmission
abzusprechen; und sie wird durch die historische Erfahrung widerlegt,
welche beweist, dass
jede Weltperiode nach ihrer spirituellen Richtung eine entsprechende
Monumentaläußerung
hervorgebracht hat. Da anderseits die Erfahrung lehrt, dass in dem
Reiche der Architektur
nichts aus sich selbst erstanden, vielmehr ein stetes
allmähliches Hervorgehen des
Werdenden aus den Elementen des früher Geschaffenen
nachzuweisen ist, so muss auch die
Baukunst unserer Zukunft aus den lebensfähigen Elementen der
heutigen Weise sich
erbilden. Die Frage, ob die Monumentaläußerung
unseres Jahrhunderts noch die genügenden
fruchtbringenden Keime berge und welcher Art diese seien,
lässt sich nur beantworten,
wenn wir auf die Prämissen zurückgehen, aus welchen
unsere vergleichende Stilkunde und
objective Kunstkritik sich im Wesen erbildet hat. Hier begegnen wir der
Thatsache, dass
der erweiterte Aufschwung unserer archäologischen Wissenschaft
auf dem tieferen Studium
der hellenischen Kunst basiert, wie zugleich die Frage nach Ursprung
und Entwicklung der
letzteren zu der ersten vergleichenden Betrachtung der vorzeitlichen
Stile leitete. Mit
dem fortschreitenden Studium der griechischen Version wurde die
Kunstwissenschaft in die
erweiterte combinierte Kunstwelt der Diadochenzeit und nach ihr in das
gewaltige Gebiet
der römisch-griechischen Weise übergeführt.
Als integrierten Theil der römischen
Almater fand man die antike christliche Kunst sich entfalten, aus deren
Consequenzen unter
Leitung neuer nationaler Culturprincipien die mittelalterliche
Architektur resultierte.
Die romanische Version erwies sich ebenso als würdiger Nepote
der römisch-christlichen
Weise, als die Gothik, ihrer Wundergeburt enthüllt, mit ihrer
formal structiven Tendenz
für sich die strengste logische Folgerung des christlichen
Kirchenschemas
versinnbildlicht. In ähnlichem Sinne erkannte man in der
Renaissance nicht mehr die
Nachfolge der mittelalterlichen Richtung, als vielmehr eine Reaction
gegen die zu sterile
Stilistik der späteren Gothik durch die Rückkehr zum
Zenite aller Baukunst, der
classischen Antiken. Die Stilkunde hat aus diesen Ergebnissen die
Erkenntnis einer
allgemeinen geistigen Verwandtschaft aller architektonischen Richtungen
geschöpft, welche
in den alten Stilversionen, die, analog der Religion jener
Völker, noch eng geschlossene
nationale Kundgebungen waren, in geschiedener Art zur Darlegung kamen,
deren Formensprache
in der hellenischen Baukunst zum ersten in sich vollendeten Ausdrucke
gelangte. Auch den
Griechen waren ihre Stile noch etwas national Eigenthümliches,
und es fanden die Typen
ihres Tempelschemas erst in der späteren horaci-italischen
Monumentalkunst eine objective
Verwendung, indem man dieselben den reichen compositen Gedanken jener
Bauschöpfungen
dienstlich machte. Erst in der Hochrenaissance Italiens tritt das
bewusste Streben nach
völlig objectiver Verwendung der classischen Stilelemente und
einer herauszugestaltenden,
geläuterten Bauwelt zu Tage, welches ideale Ziel zu erreichen
die frühe eintretende
Richtung auf die Wirkung der Masse im Zopfstile behinderte. Den
bahnbrechenden Mustern der
classischen Baukunst in unserem Jahrhunderte bleibt das hohe Verdienst,
diesen
spirituellen Connex der Stile nicht nur erkannt, vielmehr zugleich in
geistreichen
Schöpfungen mustergiltig verewigt zu haben. Zu welch
unübertrefflichen Resultaten diese
freie Beherrschung der classischen Formensprache leiten könne,
hat u. a. Gottfried Semper
in seinen Wiener Burgbauten bewiesen, in denen die Antike in ebenso
reiner wie verjüngt
freier Weise zum Ausdruck gelangt. Wenn diese bis heute von wenigen
Kunstkoryphäen im
Wesen erkannte und befolgte Kundgebung der classischen Stiltypen,
untrüglich in ihren
Consequenzen, eine kaum erschöpfliche Fundgrube für
neue, lebensbeseelte Gebilde in der
Architektur eröffnen müsste, so sei keineswegs
behauptet, dass die Baukunst einzig im
Zurückgreifen auf die gräco-italische Stiltendenz zu
frischen Resultaten gelangen
könne. Nicht in der Wahl des stilistischen Vorbildes, als
vielmehr in der Art, »wie«
das neu zu Schaffende zu dem Gegebenen sich verhalte, ist die
Richtschnur eines
zukünftigen Schaffens zu suchen.
Zur Beantwortung dieser tiefernsten Frage sei bedeutet, dass zur
Grundlage all dieses
Schaffens eine möglichst erweiterte Erkenntnis der
vergleichenden Stilistik gefordert
werden müsse. Denn wenn wir allgemein giltige Formenlaute in
der Architektur der Welt
anerkennen, welche in den Stilen in geschiedenen Idiomen, und
diesbezüglich in mehr oder
minder vollkommener Formensprache sich äußern, so
muss dem inventarischen Genie einer
künftigen Architektur diese allgemeine Formensymbolik
verständlich und geläufig sein.
Nur eine objective Kundgebung der formal structiven Gedanken der
Stilversionen, nicht die
einseitige Betonung eines Stilidioms kann hier zu bahnbrechenden
Folgerungen im
Kunstgebiete leiten. Mit anderen Worten, nicht eine directe, wenn noch
so geistreiche
Imitation, als vielmehr eine auf Grundlage der in allen Stilen
wiederkehrenden
Gesetzlichkeit und Eurhythmie basierte Combination des Gegebenen, doch
niemals Vermengung
der Stiltypen kann bei ästhetisch makelloser Gestaltung der
Formerscheinung neue
lebensfähige Motive der Baukunst erzeugen, vorausgesetzt, dass
in der Spätzeit andere
Cult- und Lebensformen zugleich anderen architektonischen Ausdruck
erheischen. Wenn die
Monumentalweise als kosmogonischste der Künste stets die
strengste Wahrung ihrer Regeln
verlangen muss, so muss auch für die Zukunft als
natürliche Grenze einer jeden
künftigen Baurichtung die Scheu vor allem unstilistisch
Willkürlichen als erste Regel
bestehen, eine Klippe, an welcher gerade die neueste Architektur,
welche im Grunde aus
analogen Prämissen sich zu entwickeln begonnen hatte, so
bedenklich scheiterte und heute
von dem Strudel des Absurden in grundlose Bahnen geleitet wird. |