Ein Klick auf das Druckersymbol startet den Druckvorgang des Dokuments Drucken
 
Autor: Meyer, Hannes
In: Bauhaus - 2 (1927); 3. - S. 5
 
Das Propagandatheater co-op
 
hannes meyer - basel und jean bard - genf

spielort:

die internationale ausstellung des genossenschaftswesens und der sozialen wohlfahrtspflege (e·i·c·o·s) in gent, belgien

spielzeit:

15. juni - 15. september 1924

spielherr:
der verband schweizerischer konsumvereine (v·s·k)

spitzenorganisation von 516 konsumgenossenschaften mit 360000 schweizer familien unter weitblickendem führer: bernhard jäggi, mit seltem verständnis für unsern

vorschlag:
es sei diese tausendste gelegenheit zu übergehen, hunderttausend ausstellungsbesucher mit üblichem, architektonisch oder kaufmännisch aufgeputztem wust der waren, tabellen und modelle ausstellungsmüde zu machen. es sei dieser anlaß zu verpassen, "schweiz" vor internationalem publikum durch kuh, châlet, schokolade, schießstand mit schwyzerin in landestracht bloßzustellen. hingegen sei erster versuch zu wagen, mit zeitgemäßer kleinbühne im gebärdenspiel lebendige landesvertretung unser 30 ausstellenden ländern auszuüben.

spielraum:
so wurde schweizerischer stand der e. i. c. o. s. zuschauerraum, ein langer saal in rot. signalrot signalisierte überall wärme und hetzte zur propaganda: signalrote decke, signalrote sitzbänke, signalrote wandeinfassungen, und in der saalmitte ein übergroßer glasschaukasten: die vitrine co-op, signalrotes terrarium der co-op / standard / artikel genossenschaftlicher bedarfsdeckung. am saalende über rechteckausschnitt der bühne und musikdosenhaftem fonopavillon in signalroten lettern:
l e  t h é â t r e  c o - o p.

ergebnis:
in der folge brachte dreimonatige spielzeit an 100 aufführungen gegen 15000 zuschauer, brachte arbeitsvolk aller schichten, vlamen, wallonen, analfabeten, kriegswaisen, internationale.

das thema "schweizerisches genossenschaftsleben" aktuell und allumfassend im lande der 12000 genossenschaften, wo selbst der schweizerische staat als eid-genossenschaft sich formte, aus des vorwurfs vielgestalt wurden die vier kernfragen der arbeit, familie, kleidung, handel ausgeschnitten und ins gebärdenspiel übersetzt. so entstanden vier querschnitte durch genossenschaftliche umwelt, als schaustück ohne anfang und ohne ende, moralinfreie zustandsschilderung schweizerischen gemeinschaftslebens. schwierigkeit war, wort- und sprachlos mit dem esperanto der geste genossenschaftliches wesen festzuhalten, genossenschaftliche ideen zu umschreiben, genossenschaftliche wohltat zu beweisen; sie besiegte ausdruckreichstes können und sinnfälligstes gebärdenspiel der beiden welschen meister des "dynamisme", monsieur und madame  j e a n - b a r d.

im zusammenspiel menschengroßer puppen mit dem schauspielenden menschen erstanden unsrer kleinbühne geahnte reize und reichtum der gegensätze: mensch kontra puppe, sozial: co-op contra antico-op. hier die durch herz, hirn, sitte, affekt und intellekt diktierte bewegung des menschen. dort die gefühlsfreie, scham- und geistlose, ungebremste haltung und hingabe der puppe, absolutes "spiel". mensch und puppe unerbittlich dirigiert durch den stahlstift in der rotierenden rille der grammofonplatte. zeitentsprechendes musizieren eines zeitgenössischen durcheinanders von jazz / peer gynt, jodler, choral / jazz / militärmarsch, gounod, volkslied / jazz / dalcroze, tingeltangel, walzer / jazz; geräuschvolle illustration der bühnenvorgänge.

unsere spielmittel bejahten restlos unser zeitalter der radio, kino, fono, mecano, elektro, auto. daher wirkte theater co-op in spielbewegung automatisch, in musikgeräusch mechanisch, in bühnenvision kinematografisch. sprache ward ausgemerzt aus gründen leichterer faßlichkeit und weil gebärde schönste internationale zeichensprache hinweg über bildungsschicht und landesgrenze. klar zeigten sich die lebenskräfte unserer volksbühne: ihre kleinheit sichert wirtschaftlichkeit; ihre bühnentechnik vereinfacht mobilhaltung; ihre sprachlosigkeit erweitert aktionskreis; ihre einfachheit macht sie volkstümlich.

idealste arbeitsgemeinschaft des welschschweizers mit dem deutschschweizer bestimmte scenario, spiel, musik, gebärde und puppe. vermummt und vermengt sind dein und mein unsrer arbeitsgemeinschaft, und von beiden kennt keiner grenze eigenen tuns, doch jeder dessen losung: bewußte abkehr von literarischer bühne; freudiges bekenntnis zur synthese des absoluten propagandatheaters mit dem ziel:

menschenseelen durch das schauspiel von körper,
licht, farbe, geräusch und bewegung zu erschüttern.


Das_Theater_1.gif (44933 Byte)
die arbeit co-op

1. die arbeit co-op
thema: gegensatz der akkordarbeit im privatbetrieb und der lohnarbeit im genossenschaftsbetrieb

ein arbeitstag! - im dunkel der hinterbühne eine fabriklerin. sie gähnt. sie schafft akkord. akkord ist mord. der patron. er ist gereizt. er hetzt. er verschwindet. sie frühstückt. er fährt dazwischen. er hetzt weiter. er nickt ein . . . sie tritt aus. er fährt auf. er hetzt weiter. sie schafft akkord. akkord ist unlust. akkord ist hetze. akkord ist mord. - dunkelkeit.
in der helle der vorderbühne ein arbeiter co-op. er liest und pfeift. - eine sirene: er werkt, im gleich-maß, im gleich-takt, ste-tig, freu-dig, re-gel-mä-ßig. eine sirene: er stoppt. - - ein sprung: das kind mit papa's essen. es tänzelt, singt, fällt um. eilt davon. der vater jagt ihr nach. - singsang und familiensinn treiben die fabriklerin herbei. sie ist wach. sie blickt in eine welt. - helligkeit.
am fono: j'en ai marre / gounod: totentanz einer marionette / das brienzerbüürli / bernermarsch / dalcroze: le petit noël

2. der traum co-op
thema: einer armseligen familie erscheint im traumgesicht die wahre genossenschaft

elend! eine mutter und zwei kinder schlafen. eine kaffeekanne schwankt im raum. eine schwarze spinne. entsetzen der mutter. sie schlägt die kinder. - auftreten des vaters. die spinne flieht. stille und erwartung. - aus einem papier wickelt der vater ein brot. das papier ist ein co-op=plakat. das plakat an der wand; erregung der familie.
schlummer. schlafen. schnarchen. stöhnen. als co-op=standard gaukeln herab: würste, waren, wickelkind. - entschwinden.
die blechhand der rückvergütung kommt herab. - entschwindet. das familienbild der zukunft spukt an der wand, - entschwindet. gier in den träumern. der spuk zerfällt. erwachen. zukunftsfreude.
am fono: zopfenberger mazurka / peer gynt suite: anitra's tanz und tanz in den hallen des bergkönigs / gruß aus nottwil

3. das kleid co-op
thema: vereinfachung der lebenshaltung durch standardisierten volksanzug

zwei damenfüße trippeln vorbei, zwei herrenfüße sind hinterher. - zwei damenbeine erscheinen. zwei herrenbeine dazu. vier beine davonlaufend. - ein damenrock. eine herrenhose. idyll.-konfektion! ein weib geht vorbei, ein mann hinterher. sie ist modisch, er bizarr gekleidet. sie ist verkäuferin, er ist käufer. beide treten in den laden. sie zeigt ihm ein puppenpaar in ältester tracht (5 unterröcke!) er ist entsetzt. sie zeigt ihm ein puppenpaar in neuester mode (38er taille!) er ist abermals entsetzt. beide hilflos. der engel co-op. mit der schachtel co-op. darin das volkskleid co-op. verzückt fällt der mann um. das weib hilft ihm auf. er wird bekleidet. es ist erreicht. beide tanzen.
am fono: la java / l'orient / dä vom allggi / die alten schweizer / la nuit de chine

4. der handel co-op
thema: ausschaltung des zwischenhandels durch einigung des erzeugers mit dem verbraucher

ein schweizer jodellied. noch ein schweizer jodellied. ein vorhang in den schweizer landesfarben. dahinter eine schweizer landschaft, mit schweizer kuh, schweizer schießstand, schweizer drahtseilbahn und schweizer berghotel. davor eine schweizerische verbottafel. darunter eine schweizerische sitzbank. darauf eine schweizer hausfrau und ein schweizer bauer -
sie strickt. sie wird romantisch: - der mond geht auf. er schneuzt. er spuckt. ein licht geht ihm auf. - zwei schweizer unter gegenseitiger anziehung. schweizerische liebessehnsuchtstränenstimmung. -
plumps: ein spekulant! - plumps: ein migroshändler! - plumps: eine krämersfrau! - plumps: ein musterreisender! - schreckhafte ernüchterang der hausfrau und des bauern. - er bietet ihr eine rübe. sie bietet ihm ein fünffrankenstück. nie erhielt er soviel. nie zahlte sie weniger. jene viere lebten auf kosten dieser zwei. - die viere tanzen. die zwei verjagen sie. die viere verduften. die zwei umhalsen sich. der engel co-op (bauer + hausfrau = ewige treue).
am fono: le rang des vaches / echojodel / entlibucher kuhreigen / yes, we have no bananes / credo du paysan

das kleid co-op
Das_Theater_2.gif (46552 Byte)
kreis der freunde des bauhauses

werben sie mitglieder für den
kreis der freunde des bauhauses

mindestbeitrag jährlich 10 mk. (für das zweite und jedes weitere mitglied einer familie ermäßigt sich der beitrag). geldsendungen bitten wir an die kreissparkasse dessau auf das konto 2826 "kreis der freunde des bauhauses" oder auf das postscheck-konto magdeburg 2084 einzuzahlen.
die mitglieder erhalten die bauhauszeitung kostenlos und besondere vergünstigungen für alle unsere veranstaltungen.
die beiträge und stiftungen werden für die förderung der bauhausproduktion
und die stützung der bauhausstudierenden verwendet.
 
die bauhausbücher verlag albert langen, münchen, hubertusstraße27 

01 walter gropius, internationale architektur geheftet - 5 mk. leinen 7 mk.
02 paul klee, pädagogisches Skizzenbuch geheftet - 6 mk. leinen 8 mk.
03 ein versuchshaus des bauhauses geheftet - 5 mk. leinen 7 mk.
04 die bühne im bauhaus geheftet - 5 mk. leinen 7 mk.
05 piet modrian, neue gestaltung geheftet - 3 mk. leinen 5 mk.
06 theo van doesburg, grundbegriffe der neuen gestaltenden kunst geheftet - 5 mk. leinen 7 mk.
07 neue arbeiten der bauhauswerkstätten geheftet - 8 mk. leinen 8 mk.
08 i. moholy-nagy, malerei, fotografie, flim geheftet - 7 mk. leinen 9 mk.
09 w. kandinsky, punkt und linie zur fläche geheftet - 15 mk. leinen 18 mk.
10 j. j. oud, holländische architektur geheftet - 6 mk. leinen 9 mk.


in vorbereitung:
11. walter gropius, die neuen bauten des bauhauses in dessau
12. k. malewitsch, die gegenstandslose welt
13. reklame und typografie des bauhauses
aufsätze z. t. mit bildbeigaben von oskar schlemmer
"der theatralische kostümtanz" europa-almanach verlag kiepenheuer potsdam "tänzerische mathematik" musikblätter des
anbruch wien · sonderheft "der tanz in unserer zeit"
"mechanisches ballet" bühnenvolksbund e. v. berlin - sammelband "tanz und reigen" 1927
"der neue bühnenbau" und "die bühne im bauhaus" almanach des theaters der stadt münster i. w.
"moderne bühnenmittel" magdeburgische zeitung 15.5. 27
"abstraktes theater" berliner illustrierte zeitung 1.1.27

bücherbesprechungen
"der tanz der zukunft"
von f. b ö h m e (delphin-verlag) das buch zieht die große linie vom alten ballett zum neuen tanz unter einbeziehung des abstrakten kostümtanzes und   mechanischen balletts bis zum maschinell organisierten farbigformalen lichtspiel.
"körperseele"
von f. giese (delphin-verlag) eine umfassende geschichte des menschlichen körpers, der modernen systeme gymnastischer bildung und der verschiedenen ausdrucksarten in körper- und kostümtanz.

"geschichte des tanzes"
von j.schikowsky (büchergilde gutenberg berlin) eine replik des tanzes aller zeiten, beginnend bei den urvölkern, über antike, mittelalter, neuzeit bis zu deren letzten tänzerischen manifestationen.

"jazz"
von paul bernhard (delphin-verlag) eine interessante darstellung der herkunft, entwicklung und des zukunftswertes der jazzband; seiner instrumente, instrumentation und kompositionselemente, unterstützt durch text- und notenbeigaben.

"das stegreiftheater"
verlag des vaters. gustav kiepenheuer-verlag potsdam.der gegenüber mechanisch-maschinellen tendenzen auf dem gebiet der bühne überaus wertvolle versuch, den ursprung theatralischen spiels aus improvisation und einem minimum an szene aufzuzeigen. in "die gottheit als komödiant" u. a. derselben schriftenreihe wird das thema ins metaphysische erweitert.

"die schaukunst der japaner"
dramen, szenenbilder und schauspielerporträts des altjapanischen volkstheaters von
m a r i a p i p e r. verlag walter de gruyter & co. berlin und leipzig
(preis brosch. mk. 12. -). in diesem ausgezeichneten werk wird die fänomenale intensität und bildkraft des ins kultische eingebetteten japanischen schauspiels offenbar. möge diesem werk bald ein solches über das chinesische theater folgen!

"individualität"
zweimonatsschrift für filosofie und kunst. herausgeber: w i l l y s t o r re r und hans reinhard. amalthea-verlag. alle bezirke des geistigen umfassend, sind die "theatrum mundi" betitelten abschnitte forum grundsätzlicher abhandlungen. o. s.