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Autor: Koch, F. E.
In: Deutsche Bauzeitung: 26; (1892); Nr. 92; S. 597
 
Zur Stellung der Gothik in der modernen Baukunst
 
Der Unterzeichnete fühlt sich in hohem Grade geehrt durch die Autorschaft des gegen ihn gerichteten Artikels in No: 92 der Dtschn. Bztg.; und gewiss werden mit ihm alle Kollegen, die sich für die Entwicklungs-Geschichte der Baustile interessiren, dem geehrten Hrn. Verfasser des Aufsatzes „Die Stellung der Gothik" betreffend, dankbar sein für die von ihm gegebenen werthvollen Mittheilungen. —

Je dankbarer aber wir sein müssen, von solcher Autorität Mittheilungen der genannten Art entgegen nehmen zu können, desto mehr muss der Unterzeichnete es bedauern, dass der geehrte Verfasser es für nöthig findet, seine Entgegnung auf das persönliche Gebiet überzuleiten! — Absichtlich hatte der Unterzeichnete es vermieden, Namen zu nennen, da seine Kritik nicht den Personen, sondern der Sache galt. Derselbe hatte sich daher bemüht, möglichst objektiv die von ihm angeregte Frage zu behandeln und bedauert nun umsomehr; dass der Hr. Opponent ohne weiteres sich der Voraussetzung hingiebt, dass meine Kritik gegen die Bauten des Hrn. Möckel gerichtet ist, während diese Annahme durchaus unrichtig ist, indem nur für einen Theil der von mir als Beispiele vorgeführten Bauten dem genannten Herrn die Meisterschaft zufällt! Der Unterzeichnete bedauert ferner, dass seinem Aufsatz in No. 82 dies. Blattes so unlautere Motive wie die des „verhaltenen Grolle" unterlegt werden. Ich beschränke mich aber darauf, als Entgegnung auf diese Unterstellung zu bemerken, dass mir persönlich Hr. Möckel nicht mehr imwege ist, da ich am Abschluss einer 50 jährigen Thätigkeit stehe, so dass ich es jüngeren, wohl mehr bei der Berufung des genannten Herrn betheiligten Kollegen überlassen muss, auf diesen Angriff zu antworten. — Eine thatsächliche Berichtigung aber erfordern einige Aeusserungen des geehrten Verfassers; und ich muss bitten, mir nachzuweisen, wo ich die „schlechten  Konstruktionen" des Hrn. Möckel getadelt habe, während ich im Gegentheil ausdrücklich dem auf diese Bauten verwandten Fleiss und schönen Material Anerkennung gezollt habe! Ebenso muss ich gegen, die mir unterstellte wegwerfende Aeusserung über die Hannoversche Schule Verwahrung einlegen und kann nur aufrichtig bedauern, wenn einzelne Aeusserungen in meinem Aufsatz in so Sinn entstellender Weise reproduzirt werden. Auf den wissenschaftlichen Theil der an mich gerichteten Entgegnung eingehend, unterwerfe ich mich gern der Autorität des geehrten Verfassers rücksichtlich seiner Ausführungen über den romanischen Stil, ohne dadurch den Ausspruch, dass mein Aufsatz „eine  Menge  Irrthümer" enthalte, als zutreffend anzuerkennen! Denn wenn der geehrte Herr seine Ansicht, dass der romanische Stil nicht als deutscher, sondern als französischer Abkunft zu betrachten ist, damit beweisen will, dass schon 1060 in Périgueux Säulen-Kapitäle ausgeführt sind, die die Motive für solche um 1160 an St. Michael in Hildesheim ausgeführte Kapitäle abgegeben haben, so dürfte das nicht als ein Beweis für jene Behauptung anzusehen sein. Denn schon 1015 wird die Krypta von St. Michael geweiht und schon 1033 wird die Kirche, nachdem die erste Anlage abgebrannt war, nach dem ursprünglichen Plan Bernward's wieder aufgebaut! Im Jahre 986 wird Heinrich I. in der Basilika zu Quedlinburg beigesetzt; 961 wird die zu Gernrode gegründet und schon bald nach dem Jahre 1000 werden am Rhein die ersten Versuche mit dem Wölben gemacht! — Hiernach scheint es bedenklich, für den romanischen Stil den Franzosen die Priorität zuzuerkennen, umsomehr, als doch die Bauten dieses Stils in Frankreich einen sehr abweichenden Charakter zeigen. Denn so weit der Unterzeichnete unterrichtet ist, macht sich in Süd-Frankreich an den gewölbten Basiliken dieser Zeit ein Anschluss an die spätrömische Bauweise geltend, wobei als Eigenthümlichkeit das Tonnengewölbe über den Seitenschiffen auftritt, während im Norden durch die Normannen eine etwas langweilige Architektur eingeführt ist, die für Deutschland kaum ein Beispiel abgegeben haben dürfte. Allerdings ist es deshalb nicht als ausgeschlossen anzusehen, dass einzelne Bautheile Nachahmung in Deutschland gefunden haben, wie z. B. das Kapitäl aus der vom Hrn. Verfasser erwähnten Zentralkirche St. Front zu Périgueux. Wenn wir ausserdem die überaus geringfügigen Beispiele von romanischen Kirchen in Frankreich inbetracht ziehen und den Umstand hinzufügen, dass mir hier mindestens kein Beispiel eines grösseren Profanbaues in diesem Stil bekannt ist, dagegen aber die reichen Beispiele in Deutschland in Vergleich stellen, von denen der geehrte Verfasser selbst schon sowohl für Kirchen- wie für Profanbauten eine hübsche Blumenlese giebt, so dürfte wohl der Irrthum, dessen der Unterzeichnete sich schuldig gemacht haben soll, wenn er den romanischen Stil als echt deutscher Abkunft ansieht, kein gar so grosser sein. Eine Zurückweisung des Unterzeichneten mit seiner Behauptung: „dass die Gothik nur für die Kirchen des katholischen Kultus da sei" betreffend, können die in No. 92 d. Ztg. gegebenen Daten nicht dazu beitragen, die in No. 82 ausgesprochene Ansicht zu modifiziren. Die Gothik hat nur an den grossen katholischen Kathedralen ihre Ausbildung gewonnen, und wo immer wir auf die schwachen Versuche stossen, gothische Formbildung für profane Gebäude zu verwenden, da tritt diese in durchaus modifizirter Weise auf! — Dass die Gothiker schon damit fertig werden, grössere Monumentalbauten in ihrem Stil auszubilden, das wird ja nicht bestritten. Nur darum handelt es sich, ob die Prinzipien des gothischen Stils vereinbar sind mit den modernen Anforderungen, ohne solche künstliche Hilfsmittel anwenden zu müssen, wie die von mir gerügten Flachbogenfenster in einer mit Spitzbogen geschlossenen Blendnische am Posthause zu Rostock usw. Und was danach kommt, wenn mit Gewalt gothisch gebaut werden soll, das weiset das hübsche neue Rathhaus in München nach, wo die der Fassade zu Liebe angebrachten schmalen Maasswerkfenster so wenig Licht in das Gebäude einlassen, dass man am hellen Tage Licht brennen muss! Wenn; wie der geehrte Verfasser ausführt, namhafte Architekten eine evangelische Kirche im  Geiste  der  Gothik entwerfen, dann aber Renaissanceformen für die Architektur verwenden, so dürfte wohl die grössere Mehrzahl der Architekten dies für einen grossen Fehler ansehen! — Denn nicht die gothischen Architekturformen sind es, die der Benutzung der Gothik für ein protestantisches Gotteshaus im Wege sind, sondern die von dem mittelalterlichen Baugedanken kaum zu trennende Basilikenform, deren Langschiff dem katholischen Kultus die erwünschte Gelegenheit giebt, seine Prozessionen zu entwickeln, während die protestantische Predigtkirche einen möglichst zentralisirten Grundriss verlangt. — Und wenn vielleicht unter den „Gebildeten" aus den Laienkreisen manche noch an der gothischen Form für eine protestantische Kirche hängen, so ist das die alte Gewohnheit. Dass auch die „Gebildetsten" sich dieser Neigung hingeben, — dagegen spricht schon der Umstand, dass für den Dombau der deutschen Kaiserstadt der Zentralbau Raschdorff 's zur Ausführung gelangt! — Dem etwas mystischen Vergleich zwischen dem Eindruck, den eine gothische Spitzbogenkirche der durch Kuppelgewölbe geschlossenen Zentralkirche gegenüber auf das Gemüth und die Anregung zum Gebet machen soll, kann ich nicht beipflichten! Vergleichen wir z. B. den Eindruck, den man beim Eintritt einmal in den Kölner Dom; dann in die Theatiner Kirche in München empfindet, so imponirt die Grossartigkeit des ersteren, verwirrt aber die Sinne und lässt kalt! Die Theatinerkirche dagegen mit der ruhigen Pracht und leichten Uebersichtlichkeit des ganzen Raumes stimmt unwillkürlich zur Andacht! Doch das sind Gefühlssachen, über die man nicht streiten darf. — Dagegen kann ich der Ansicht, dass die Besprechung von Streitfragen der vorliegenden Art ganz unnütz ist, nicht beipflichten. Dieselbe regt zum Nachdenken an und trägt wesentlich zur Klärung der Ansichten bei. —

Güstrow, im November 1892, F. E. Koch