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Autor: Heuser, Georg
In: Deutsche Bauzeitung 24 (1890); S. 565 - 576
 
Der Gefachstil, eine werdende Bauart
 
Darwin gelangte bekanntlich zu seinen Gedanken über die natürliche Zuchtwahl durch die von ihm dauernd betriebene künstliche Züchtung. In einem für uns sehr interessanten Gleichniss, welches wir in der Zusammenfassung des 21. Kap. Bd. IV fanden, sucht er die Wirksamkeit der künstlichen und natürlichen Zuchtwahl durch die Thätigkeit des Architekten zu erklären, welche ja als gutes Beispiel der sorgfältigen Auswahl bevorzugter Formen gelten kann. -
Ueberhaupt erkennt man in der Entwicklungs-Geschichte der durch menschlichen Geist geschaffenen Erscheinungswelt ebenso klar die Abstammung und Umbildung der Formen wie bei den durch die Natur entstehenden Gebilden. So konnte es nicht fehlen, dass bald nach der Herausgabe der Werke Darwins die menschlichen Formgedanken in gleicher Weise eingehend durchforscht wurden wie die Naturformen und dass man beide nach gleichen Gesichtspunkten beurtheilte. Schon im Jahre 1869 nahm Semper in einem in Zürich gehaltenen Vortrage Gelegenheit, sich über die beginnende darwinistische Auffassung der Architektur auszusprechen. Während ihm die Ansicht noch bedenklich erschien, dass auch die Baustile sich nach den Gesetzen der natürlichen Züchtung, Vererbung und Anpassung fortentwickeln , begegnen wir dieser immer mehr in der neueren Fachlitteratur. -
Ihrer Darlegung ist auch jener Aufsatz in der Wiener Bauzeitung gewidmet, welcher das stetige Werden von Baustilen in zwei Entwicklungsreihen durch Querschnitte erläuterte, bei denen wir zuletzt der Formen des Gefachstils gedachten. Eine Stütze für unsere Ausführungen fanden wir in dem von K. Kapp herausgegebenen Werke: "Grundlinien einer Philosophie der Technik"; in demselben sind die neueren Entdeckungen aufgeführt, welche beweisen, dass unsere künstlichen Schöpfungen stets eine Nachbildung, eine Projektion natürlicher Organe sind, und in ihr häufig sogar uns bisher unbekannte Vorbilder haben, ihr also unbewusst nacherfunden sind. (Vergl.: Was ist Kunst? Jhrg. 1886 d. Bl.)
Die Kunst kann sich demnach ebenso wenig von der Natur befreien, wie der Geist vom Körper, die Kraft vom Stoff. So weit diese einheitlich aufzufassen sind, so weit sind es auch künstliche und natürliche Organismen.
Häckel spricht die Ueberzeugung aus, dass die namentlich durch Lamarek, Göthe und Darwin begründete  "e i n h e i t l i c h e  N a t u r a n s c h a u u n g"  einen Fortschritt in der wissenschaftlichen Erkenntniss bedeute, den man künftig als den größten Wendepunkt in der Geistesgeschichte der Menschheit betrachten werde. (Deutsche Rundschau Bd. 33 S. 88.) Um sich lossagen zu können von dem Glauben an eine zwiespältige Natur, der menschenfreundliche Zwecke und Bestimmungen zugrunde liegen, ist ein umfangreiches Wissen nicht erforderlich, aber die neue Saat wird doch nur in denjenigen wenigen Berufskreisen reif aufgehen, welche geistigen Stoff aufzunehmen gewohnt sind. Der Techniker huldigt vielfach der materialistischen Denkweise. Mathematik und Naturwissenschaft führen bei ihm sogar zu einseitiger, trockner Bildungsart. In einem Vortrag über "Kulturgeschichte und Naturwissenschaft", den du Bois-Reymond im März 1877 in Köln hielt (Deutsche Rundschau Bd. 13) beklagte er: "dass die technische Seite der naturwissenschaftlichen Thätigkeit immer mehr in den Vordergrund tritt, dass der Idealismus erliegt im Kampfe mit dem Realismus und ein Reich der materiellen Interessen beginnt."
Bei den vielen Neubildungen jedoch auf sozialen und technischen Gebieten darf man die strenge Auslese nach der Idee des Guten und Schönen nicht so rasch erwarten, erst allmählich erfolgt die Ausscheidung krankhafter und hässlicher Gestaltungen. Mögen darum einstweilen noch die neueren Bestrebungen in wirren Zuständen und nüchternen Konstruktionen sich wiederspiegeln, so glauben wir doch, dass die Freude an Ordnung und Formvollendung auch hier bald sich bemerkbar machen wird und insbesondere mit jenem Wendepunkt im Geistesleben ein Baustil seinen Anfang nimmt, welcher der Ausdruck einer höheren Kulturentwicklung ist. -
Derartige Betrachtungen über das Schaffen der Natur und des Menschen, über die natürliche und künstliche Außenwelt haben unseren Studien einen fruchtbaren Untergrund gegeben. Die gewonnene Auffassung über Artenbildung auch bei Gefügen und Gebilden von Menschenhand bestärkten uns in der Ueberzeugung, dass die überall nach dem Prinzip "Gurt und Steg" entstehenden Eisen-Fachwerkbauten sowie auch die vielfach in anderen Rohstoffen aufkommenden Gefachformen die bedeutungsvollen Anzeichen eines werdenden Baustiles sind. Vorläufig haben wir im Jahrg. 1888 d. Bl. nur das Rippwerk, das Wand- und Deckensystem als erfunden bezeichnet und das durch die vergleichende Betrachtung dreier dargestellter Querschnitts-Systeme klar gelegt.
Wiewohl somit die Hauptsache gegeben ist, findet doch die Ueberzeugung, dass danach ein neuer Baustil auch in Stein und anderen Rohstoffen möglich ist, nur langsam Vertreter, weil eben die noch nüchternen, starren Formen bei den meisten Beschauern Missfallen hervorrufen und darum selten anregend wirken. Erst wenn die Gefachformen mit der allmählich eintretenden Verzierung anmuthen und Beifall finden, wird der Glaube an einen entstehenden Baustil allgemeiner werden. Es ist deshalb dankbar und geboten, wenn - gleich wie in unserem Vortrage - jetzt dasjenige Kunstmittel in gesonderte Weise beleuchtet wird, das in zweiter Linie inbetracht kommt:
D i e  V e r z i e r u n g  d e r  S t a b i l r a h m e n.
Dass sich im allgemeinen die Verzierung dem Gefüge unterordnen soll, daran sei nur mit einem Satz aus dem "Grundriss der bildenden Künste" von H. Riegel erinnert: "Es schien nöthig, hier in aller Kürze anzudeuten, auf welchem Prinzipe die Baustile beruhen, um namentlich außer Zweifel zu setzen, dass nicht im Ornament. sondern in der Konstruktion, deren Schlüssel wiederum die Decke ist, das Wesentliche derselben besteht." (S. 209)
Hierbei ist jedoch nicht zu vergessen, dass es auch Fälle giebt, in denen Zweck und Gefüge eines Bauwerks gegen die Zierart sehr zurück treten. Bei unsern glatten Zimmerwänden und Decken, wo eine Konstruktion nicht sichtbar ist, erlangt der Schmuck sogar volle Selbständigkeit und es können bloße Dekorationsstile entstehen, wie das Rococo. Auch wo das Gefüge zur natürlichen Herrschaft gelangt, unterscheidet man doch nach den Merkmalen seiner Verzierung den Stil eines Volkes und den eines jeden Meisters; bei denselben konstruktiven Grundgedanken lassen sich durch neue Zierformen immer wieder andere Bauarten bilden. Selbst heute noch treibt die Renaissance frische Blüthen und auch in diesem Stile können hervor ragende Bauten noch Schule machen; so bildet sich an unserm Reichstagsbau die eigenartige Kunstweise von Wallot, der schon manche begabte Schüler angehören. (S. 536 Jhrg.1889 d. Bl.)
Darum mögen auch die Gefachstile, kaum im Entstehen, je nach Kunstübung so rasch auseinander arten und wahrscheinlich auch in bekannten Bauweisen aufgehen, dass es schwer sein wird, für alle eine bestimmte Bezeichnung zu finden. Wenn schon bei den einfachen, gleichseitigen und runden Stützen sich so viele Säulenordnungen ergaben, dann muss das um so mehr bei den Gefachformen der Fall sein, die durch ihre ungleichartigen Seiten die Motive der Ausschmückung um das Doppelte vermehren.
Es wurde dereinst ein umfangreicheres Lehrbuch als das von Mauch erforderlich sein, um alle nach dem Prinzip "Gurt und Steg" sich abzweigenden Zierstile einheitlich festzustellen. Es ist also von vorn herein klar, dass wir einen einzelnen, bestimmten Zierstil nicht abzugrenzen haben; wir können nur versuchen, aus der gegebenen neuen Werkform allgemeine Regeln für viele Gattungen zukünftiger Kunstformen abzuleiten. Das möge nunmehr im Nachfolgenden nach zwei Haupt-Gesichtspunkten geschehen. -

1.  D i e  V e r z i e r u n g  n a c h  G e f ü g e,  K r a f t l e i s t u n g  u n d  B a u z w e c k.
Wir betrachten zunächst die Verzierung der Gurtgefache nach dem Gefüge, abgesehen davon, ob sie als Stütze oder Träger verwandt werden. -
Die  G u r t u n g  erhält einen, ihrem Wesen und ihrer Thätigkeit entsprechenden künstlerischen Ausdruck, wenn man sie als Flechtband, Kette, Pflanzen-Rippe usw. ausbildet; überhaupt mit all den Ziermotiven, welche wir bereits an der Untersicht des Stein-Architravs und den Fascien der Konsolen kennen. -
Der  S t e g  kann ebenso wie der Gurt als Zierband gekennzeichnet werden, jedoch gewinnt das Gefüge der Stabilrahmen an größerer Deutlichkeit, wenn man den Steg in wohlthuendem Gegensatz zum Gurt behandelt, mithin seine  a b w e i c h e n d e  G e s t a l t b a r k e i t  h e r v o r  h e b t,  also die Baukörper verschiedenseitig
ausbildet. Zu den mannichfaltigen Bandmustern und Fries-Ornamenten kommt demnach namentlich das Motiv der  D u r c h b r e c h u n g.
Die damit bezweckte Stoffverminderung wird zu einem schätzbaren Kunstmittel, wenn sie als der lichte Zwischenraum von Band-, Ranken- und Figuren-Verzierung erscheint. In geometrischer Theilung treten solche Oeffnungen in der Stegwand bei dem so vielfach angewandten Gitterwerk hervor. Dasselbe kann außer der Verzierung der Grenzstäbe noch eine reichere Ausbildung erhalten, wenn die Gefache statt offen, theilweise oder ganz geschlossen sind und rythmisch wechselnd ein Ornament erhalten.
Die Gurtung hat nur in Ausnahmen eine Durchbrechung und so kann der Fehler nicht eintreten, dass lichte Verzierungen sich gegenseitig verwirren.
Es kann ferner der Unterschied der Seiten betont werden durch die Querrippen, welche zur Verstärkung der Stegwand gewöhnlich angebracht werden. Man erhält dabei geometrische Gefachmuster wie vorhin; jedoch wird hier die Theilung durch mehrfache Gurtrahmen erreicht, die sich durch verschieden profilirte und gezierte Saumränder von einander unterscheiden lassen. Im allgemeinen sei schließlich davor gewarnt, dass der Zweck, einzelne Glieder durch Zierart hervor zu heben und verständlich zu machen, nicht durch zu starke Häufung verfehlt werde. Oft braucht man überhaupt Rahmen und Füllung gar nicht plastisch zu schmücken, namentlich wenn die Gurtungen sich durch andere Farbe und anderen Rohstoff schon kräftig von der Stegwand absondern.
Bei den Straßen-Ueberführungen der Kölner Stadtbahn wird das Eisenfachwerk gegenwärtig recht ansprechend durch verschiedene Farbentöne architektonisch gegliedert, was wir schon früher gegenüber dem ewig grauen Einerlei empfohlen haben. -
Hinsichtlich des sinnbildlichen Ausdrucks der Kraftleistung der Stabilrahmen ist zunächst in Erwägung zu ziehen, dass die Gurtung sowohl wie der Steg je nach Benutzung der Bautheile wechselnd auf Zug und auf Druck in Anspruch genommen werden. Es ist daher nicht immer angänglich, sie ihrer wechselnden Thätigkeit entsprechend zu zieren; z. B. dann, wenn der stützende Theil ohne Unterbrechung im Winkel oder Bogen in den getragenen übergeht. Dasjenige Ornament genügt daher, welches überhaupt versteifte Flächen uns deutlich macht; den Ausdruck ihrer Leistungsfähigkeit erkennen wir dann mehr in ihrem Zusammenwirken; wir wissen erfahrungsmäßig, dass zwei Flächenstreifen, im rechten Winkel zusammen gefügt, sich gegenseitig Stabilität verleihen und bei verschiedener Lage die nöthige Festigkeit haben können.
Bei alledem aber dürfen wir doch im besonderen die Verzierung derjenigen Stabilrahmen erörtern, die auf relative Festigkeit beansprucht werden, nämlich der horizontal liegenden Gefachträger. Hierüber spricht sich Karl Boetticher in seiner "Tektonik der Hellenen" nur in einem Satz aus, der hier aber große Wichtigkeit gewinnt. Er sagt S. 92:
"In der neueren Konstruktion zur Erzeugung hoher eiserner Gitterbalken für die Ueberspannung gewaltiger Weiten, namentlich zwischen Brückenpfeilern, lässt sich eine solche Vereinigung jener Festigkeiten mit Augen verfolgen und wahrnehmen: denn die absolute Festigkeit in den Langeisen (Gurten) ist durch die rückwirkende Festigkeit der sie tragenden und zugleich verbindenden gekreuzten Gittereisen (Stege) zur relativen Festigkeit in der Leistung gebracht." Hier ist zwar zu berichtigen, dass die obere Gurtung nicht auf Zug, sondern auf Druck in Anspruch genommen wird, jedoch haben wir hier das Zugeständniss, dass Boetticher durch Anwendung des Prinzips "Gurt und Steg" bei Balkenträgern die relative Festigkeit als wahrnehmbar gemacht erkennt.

Heuser_Der Gefachstil1.gif (35504 Byte)

Nach ihm haben nun die Griechen den Architrav, das Epistilion, als Steinband, als eine Summe auf einander liegender Fascien (vergl. Taf. 30 der Tektonik u. beistehende Querschnitte) ausgebildet; er sagt hierüber S. 93: "lst so nur mittels des Vorbildes absoluter Festigkeit von den hellenischen Tektonen die relative Festigkeit der Balkenglieder vergleichsweise bildlich dargestellt, ein anderer gleich treffender Ausdruck für diesen Begriff von ihnen aber nicht gefunden worden, dann lässt sich entschieden behaupten, dass einen anderen, gleich analogen Ausdruck hierfür auch eine andere Kunst niemals wird finden können."
Als ob er fühle, eine andere Meinung sei doch noch möglich, wiederholt er S. 102:
"Wird man übrigens unbedingt zugeben müssen, dass sich die Eigenschaft der relativen Festigkeitsleistung überhaupt durch keine andere Bildform vergleichsweise ausdrücken ließ, als vermittels der absoluten Festigkeitsleistung in der Fascia, dann wird auch Niemand vermögend sein, eine andere Weise zu finden, um die verschiedenen Grade dieser Leistung auszudrücken, als nur mittels Anwendung der verschiedenen Gattungen von Fascien und ihrer diesen Graden entsprechenden Verfielfachung."
Diese beiden Ausprüche können trotz ihrer Entschiedenheit unsere durch den ersten Satz bekräftigte Anschauung nicht ändern, dass ein hochkantig aufliegender geschlossener oder durchbrochener Steg, der durch einen oder mehre Gurte (vgl. Abbild. a, b, c), versteift wird, durch solche Gestaltung den Eindruck macht, dass er auf relative Festigkeit inanspruch genommen werden kann. Einem vollformigen, hochkantig aufliegenden Balken sehen wir das allerdings auch an; aber das wird nicht künstlerisch verdeutlicht, wenn man ihn als mehrfach auf einander liegende Gurte (A, B, C), auffasst und ausbildet. Vielleicht haben das auch die Griechen nicht gethan und die Verzierung und Theilung der Hochseite hat anderen Ursprung und Bedeutung. Jedenfalls halten wir diese gewohnte Form des Architravs nicht für die künstlerisch einzig zulässige, sondern stellen diejenige als eine berechtigte daneben, welche durch das Prinzip "Gurt und Steg" in der Baukunst sich Geltung verschafft. -
Vergleichen wir einen Tragbalken des Gefachstiles mit dem des griechischen, indem wir dabei die Art des Rohstoffes ganz außeracht lassen. Bei dem griechischischen Architrav wird der Sinn des verzierenden Flechtbandes dem Auge nicht sofort verständlich; man muss erst wissen, dass derselbe aus mehren, auf einander liegenden Fascien bestehen soll. Er wird nur so gedeutet und man wird an Beispielen suchen müssen, wo die Gurte einmal gesondert werden, um für sich zu tragen, zu verbinden oder zu umrahmen. Eine solche Sonderung wird erst bei dem Gurt-Bogen und Balken der Gothik allgemeiner, dieser besteht aus gebündelten Rippen, welche für sich bestehen können und sich zu Maaßwerk aus einander zweigen. ( Abbild. A, B, C ,)
Bei dem doppelThoch.JPG (767 Byte) Träger dagegen ist das Gefüge sofort erkennbar. Auch wenn mehre Gurte angewandt sind, die sich als mehrfach auf einander liegende Zierprofile darstellen, so gewinnt jeder Selbständigkeit, indem er zu einem Rahmen sich absondert, um Gefachmuster zu bilden und den Steg zu versteifen.  D i e  B e d e u t u n g  e i n e r  a u f  d i e  S t r u k t u r  b e z ü g l i c h e n  V e r z i e r u n g,  e t w a  e i n e s  F l e c h t b a n d e s,  i s t  d e m n a c h  h i e r  u n s c h w e r  z u  e r r a t h e n.
Bei Gefachträgern kann es als ein Mangel erscheinen, dass ein Schmuck auf der Stegseite bei stark vortretender Gurtung oft verdeckt wird. Perspektivische Schwierigkeiten, die jede kräftige Formenbildung in großer Höhe macht, treten bei weniger ausgetieften Gefachträgern nicht hervor. Einen solchen aus Stuck, der mehr als Fries erscheint, hat Hr. Brth.  P f l a u m e  bereits ausgeführt im Wartesaal des alten Kölner Zentral-Bahnhofes, der nun bald verschwinden wird. Die Fries-Füllung ist gut von unten sichtbar, aber ein für bequeme Betrachtung so geeignetes Zierband auf der unteren Seite fehlt; die Gurtung ist durch Kunstmittel nicht hervor gehoben.
Bei der überlieferten Architrav-Form sind die durch Perlschnur und Kymation vermittelten Ausladungen von unten gesehen, gut wahrnehmbar, aber weil sie dem Gurtband parallel laufen, wird dem Auge die hoch gehende Seite nicht so deutlich, wie bei einem Gefachträger, wo auch senkrechte Theilungen und Verstärkungen des Steges diesen im Gegensatztz zur liegenden Gurtseite sofort als aufrecht stehend erkennbar machen können. -
Den 4. interessanten Querschnitt, den der Blattscheibe einer Zuckerrohr-Art fanden wir dargestellt zu einem Aufsatz über: "Das Knochengerüst der Pflanzen" von Arno   N a g e l  (Westermann'sche Mhfte. Bd. 64). Es lag nahe, die Abbildung den beistehenden Durchschnitten zuzufügen und wir können damit an dieser Stelle passend einen kleinen Nachtrag zu der anfangs genannten "Philosophie der Technik" von Kapp einschalten. Nagel schöpft zum Theil seine Mittheilungen aus Schwendener's Werk über die "Mechanische Theorie der Blattstellungen", und ein Satz daraus sei auch hier angeführt: "Unsere eisernen Riesenbrücken, unsere Tunnelbauten, alles, was der Scharfsinn moderner Ingenieure an dahin Gehörigem hervorbringt - seit ungezählten Jahrtausenden haben, in der Stille des Waldes, in der Tiefe der Seen und Ströme, in Steppen und auf Bergeshöhen, Pflanzen weit komplizirtere Probleme in schweigendem Schaffen gelöst:  d u r c h  d e n  U n t e r g a n g  d e s  U n v o l l k o m m e n e n,  d a s  U e b e r l e b e n  u n d  V e r e r b e n  d e s  B e s s e r n."  Bei vorliegendem Blatte hat die obere Seite nur Zug auszuhalten, daher sind hier nur Gurte entstanden, die untere Seite ist auf relative Festigkeit beansprucht, daher hier der einfachThoch.JPG (715 Byte) Querschnitt. Wer den Gefachstil als kunstschöne Erscheinung für unmöglich hält und die Verzierung der doppelTwage.JPG (768 Byte) Formen nach Kraftleistung und Gefüge damit für überflüssig, den könnte dieser Querschnitt in seinem Zweifel bestärken. Denn wie in der monumentalen Baukunst das Eisen vielfach im Stuck, so verschwinden hier die haltenden Rippen vollständig in der Blattmasse. Die Natur giebt hier selbst das Beispiel, wie die Fülle der Stoffbekleidung allein die äußere Erscheinung bestimmt. Es ist dies jedoch nur ein besonderer Fall; bei den meisten Blättern sieht man das Astwerk der versteifenden Rippen; die Fächer-Palmen erhalten sogar ihre ganze Form durch die Wellen- und Zickzack-Versteifung. Manche Gräser und Pflanzenstengel bekommen ihren Halt durch vortretende Längsrippen, welche das bekannte Motiv geworden sind, um die Straffheit der Säulen auszudrücken; sie sind ebenso geeignet, um die Gurtbänder der Stabilrahmen zu verzieren gemäß ihrem Gefüge und ihrer Dienstleistung. Dass zu jeder Zeit künstlerisch erwogen werde, wann eine Kernform ganz in schmückender Hülle aufgehen darf, daran möge uns also das Knochengerüst der Pflanzen hier schließlich erinnert haben. -
Fassen wir jetzt die  s t ü t z e n d e n  F o r m e n  ins Auge, diejenigen Stabilrahmen, welche eine rückwirkende Festigkeit erfordern. Hier liegt es vor allem nahe, zu der mit einem Flechtband verzierten Gurtung der horizontalen Träger eine gegensätzliche Verzierung zu wählen für die senkrecht stehende Gurtung der Stütze. Hier sind die aufwachsenden Blätter- und Stengelrippen das natürliche Vorbild. Im ganzen wird man die Tragfähigkeit weniger durch die Verzierung wie durch die nach unten zunehmende Masse in die Erscheinung bringen, so dass etwa Unterglieder, Sockel und Postamente als vollformige Stirnkörper zu behandeln wären. Die Stützen können hierdurch eine so lebendige, organische Gestaltung erhalten, wie sie an bisherigen Baustilen noch nicht hervor getreten sind. Das bewährte Ausdrucks-Mittel, die Kraftleistung durch ungebogene Blätter und Bänder zu zeigen, entspricht der Eigenschaft der biegsamen Gurtung so sehr, dass die mittels  S p i r a l e n,  V o l u t e n  und  K a r t u s c h e n  ausgebildeten Kapitelle und Sockel zu  d e n  b e s o n d e r e n  M e r k m a l e n  d e s  G e f a c h s t i l e s  gehören werden. Als eine schätzenswerthe Bereicherung unserer Kunstformen kommen hierzu noch die  G e l e n k l a g e r,  welche sich eben so wirksam gestalten und verzieren lassen, wie Kapitelle und Konsolen und womit sich die neue Architektur noch mehr den Werkformen der Maschinen-Baukunst nähert. Diese Drehpunkte sind eine Organ-Projektion thierischer Knochen-Gelenke und wurden als solche bei unsern darwinistischen Betrachtungen in der Wiener Bauzeitung besprochen. -
Zu der beigefügten Abbildung (auf S.1) gab die Gestaltung der großen Sockelleger vom neuen Frankfurter Bahnhof den Anlass, doch haben unsere Deckenbinder nicht wie dort eine Kastenform, auf welche wir am Schlusse dieses Aufsatzes noch zurück kommen.
Die bisher genannten Motive, welche die Kraftleistung und das Gefüge deutlich machen helfen, kommen in der Zeichnung zur Anwendung; die Gurtung wirkt als biegsames Band von elastischer Kraft und es war hier möglich, einen raschen Uebergang von Eisen- zu Steinformen, von der dünnen, durchbrochenen Stegwand bis zur vollen tragfähigen Masse des Postaments zu bilden. Bei letzterem bemerkt man außer den in ganz freier Weise angewendeten Gefachformen auch anderweitige Stirnkörper. Aehnliche finden sich an römischen Matronensteinen und und Aschenkästchen, wie wir sie im Werke: "Köln und seine Bauten" (S. 26) diagonal aufgestellt zur Darstellung brachten. Bei diesen fügten die Römer zu den wechselnden Verzierungen, welche durch das ungleiche Maaß der Seiten bestimmt wurden, meist als sehr ausdrucksvolle Stirnformen noch den Stein abdeckende Voluten, Bogen und Giebel. -
Bei den gelegentlich der Kölner Wander-Versammlung ausgestellten Wettentwürfen zum Zentral-Bahnhof traten Versuche der Detailausbildung von "Gurt und Steg" und eines entsprechenden Sockels wie in unserer Abbildung nicht hervor; die Bemühungen waren mehr auf gefällige Gestaltung des ganzen Gitterwerks gerichtet. (No. 71 Jhrg. 1888 d. Bl.)
Hinsichtlich des "Bauzwecks" sei am Schlusse dieses Abschnitts noch an einige Punkte erinnert. Der Zweck des Gliedes im einzelnen, soweit seine Kraftleistung infrage kommt wurde schon berührt. Es wird meist zu erwägen sein, ob man die schmale Gurt- oder die breite Steg-Seite zur Hauptansicht zu machen hat und welche Seite demnach durch Verzierung am meisten hervor zu heben ist. So wechselt z. B. die Bedeutung der Seiten je nach Anbringung von Wänden, Gittern und sonstigen Raumabschlüssen. In der beigefügten Zeichnung erhielt die eine Seite durch Anfügung einer Bank einen lebhafteren Ausdruck, welcher überhaupt bei allem Entwerfen zuerst durch die Zweckform und den Rohstoff erreicht werden darf. Die Verzierung wird sich ferner richten müssen nach der monumentalen Bedeutung des ganzen Bauwerks, wobei also auch sinnbildlicher Schmuck zur Anwendung kommt. Wie sehr für solche Fälle die tiefen Gefache zu stark vortretendem Bildwerk geeignet sind, lehren deutlich die Bogen- und Giebel-Verdachungen der Fenster und im großen Maaßtab der Giebel (Tympanon) klassischer Tempel. Der Gefachstil leitet demnach zu lebendigem, figürlichem Schmuck, je nach den Ansprüchen, die an ein Baudenkmal gestellt werden.
Weisen wir endlich noch auf die kunstgewerblichen Zwecke hin, so erhält die Verzierung den weitesten Spielraum. Hier kann die kunstvollste Durchbrechung des Steges wechseln mit voller plastischer Behandlung desselben und mehrfach aneinander geschmiegte Gurtbänder lassen sich zu mannichfaltigen Gefachmustern absondern und zu freien Endigungen ausbiegen. -

(Schluss folgt.)

Der Gefachstil, einer werdenden Bauart.
(Schluss.)
2.  D i e  V e r z i e r u n g  n a c h  B i l d s a m k e i t  d e r  R o h s t o f f e.
Es ist nunmehr die Vorstellung darauf zu richten, wie die im vorigen Abschnitt abgeleiteten Verzierungen in verschiedenen Rohstoffen entstehen, sich gestalten und stilisirt werden.
Die Stabilrahmen erhalten ihr schärfstes Gepräge, wenn man sie ausschließlich aus Flächen zusammen fügt, welche gefalzt und gebogen die nöthige Starrheit besitzen.
Das ermöglichen vor allem die Platten aus metallischen Stoffen, wie die  E i s e n b l e c h e,  dann auch  P a p i e r m a s s e  und Leder, ferner Holz, Glas und Thon. Indem wir unsere für den Vortrag bestimmten Modelle aus Pappdeckel fertigten, ließ sich der Einfluss der durch den Rohstoff gegebenen Technik auf den Stil in größerer Tragweite erkennen. Man gelangt bald dazu, eine Verzierung, eine anmuthige Gestaltung nicht durch Umkantung, sondern durch Umbiegung, durch Bogenversteifung zu erreichen und so entsteht als natürliche Endigung des Gurtbandes die Spirale und die im vorigen Abschnitt angeführte Eigenschaft des umgürtenden Rahmens gelangt zum vollsten Ausdruck. Verziert man weiter mit Hilfe von Flächen, dann ergiebt sich von selbst auch das durch einander gesteckte und gedrehte Kartuschenwerk, wie es in der deutschen Renaissance so vielfach in Stein nachgebildet wurde.
Die Musterhefte der heutigen Kunstschmiede-Werkstätten zeigen an Zierbrücken und Treppenrampen derartig verzierte Gurtgefache in  S c h m i e d e i s e n.  Neben den schmückenden Voluten sind es hier die zusammen haltenden Schrauben, Rosetten und Nieten, welche solchen Erzeugnissen aus metallischen Flächen eine Eigenart verleihen. Das Prinzip   "G u r t  u n d  S t e g"  t r i t t  b e i m  S c h m i e d e n  i n  e i n h e i t l i c h e r  u n d  v e r s t ä n d l i c h s t e r  W e i s e  in die Erscheinung.
Eine anderweitige, reichere Gestaltung, wie sie bei Holz, Thon, Stuck und Stein möglich ist, war bisher beim Eisen nur durch Stanzen und Gießen möglich und nur stellenweise ließen sich die Zierformen des Bildhauers bei den großen metallischen Gefügen anwenden. -
Gegenwärtig eröffnet nun die  W a l z t e c h n i k  der künstlerischen Behandlung des Eisens ein neues, weites Feld. Die mehrfach genannten Profileisen mit angewalztem Ziermuster von L.  M a n n s t a e d t  & Co. in Kalk bei Köln finden bereits weit gehende Anwendung. Der Kunstschlosser Paul  H e i n r i c h s   in Berlin betreibt die Verarbeitung derselben als bevorzugten Geschäftszweig; hübsche Arbeiten auch anderer dortiger Werkstätten waren im Kölner Kunstgewerbe-Museum ausgestellt.
Was wir indessen schon früher befürwortet haben, ist die Verwendung solcher Ziereisen nicht blos für kleinere kunstgewerbliche Gegenstände, sondern auch für Groß-Konstruktionen, weil eben dadurch die künstlerische Ausbildung metallischer Hochbauten herbei geführt wird. Wie uns Hr. Mannstaedt mittheilt, sind noch viele Schwierigkeiten zu überwinden, um Ornamente unmittelbar an die Gurt- oder Stegseite von doppelTwage.JPG (768 Byte) -Eisen anzuwalzen, aber statt diese mit Profileisen zu bekleiden, geht man jetzt dazu über,  s i e  g l e i c h  a u s  v e r z i e r t e n  B a n d-  u n d  W i n k e l e i s e n  z u s a m m e n  z u  n i e t e n.  Indem hierbei die  N i e t s t e l l e n  im  M u s t e r  v o r g e s e h e n  werden, entsteht eine neue Art von Zierbändern mit kräftig betonter Theilung. Ein Fortschritt liegt auch darin, dass jetzt schon viel ausgetieftere Ornamente gewalzt werden, so dass deren Hauptlinien sich auch in kleinem Maaßstab kräftig zeichnen lassen, mithin am Bauwerk in der Ferne gut erkennbar sind. Bei allen Groß-Konstruktionen wird man sich selbstverständlich nur auf deutliche Sehweite der Zierbänder bedienen; die Ingenieure werden dieselben als Verstärkungsgurte am Fuße von Hallenbindern gelegentlich verwenden können, wie dies an der von uns mitgetheilten Zeichnung des Gelenklagers auf S. 565 geschehen ist.
Die Nachfrage wird bald zu weiteren Verbesserungen drängen; so wären  d u r c h b r o c h e n e  M u s t e r  erwünscht für die Stegwand und wo möglich gleich mit Nietlöchern auch für die Gurtung. Leichter wird es angehen, den beiden Saumrändern der Bandeisen ein Muster, etwa Perlstab, zu geben, um zwischen liegende Gurte zur Geltung zu bringen, also mehrfach aufeinander liegende Profile abwechselnd zieren zu können.
Mit diesen gereihten Mustern nähern wir uns der gewohnten Formensprache der Stein-Architektur und wie wir in dieser die Kraftleistung und das Gefüge durch Blatt- und Blumenreihen betonen können, so ist das jetzt auch in Eisen erreichbar!
Boetticher sagt (§ 7). "dass blos glatte Profile, ohne Vollendung durch Malerei, bei den Alten undenkbar gewesen seien". Da man nun in unserm Klima nicht alle Profile bemalen könnte, so wurden sie von der damaligen Berliner Schule sämmtlich gewissenhaft mit plastischem Ornament versehen. Dass das jetzt in unserm bisher als so spröde verschrieenen Metall so leicht geschehen kann, ist eine große Errungenschaft; doch muss man sich hüten, dass der frühere Fehler, jedes der aufeinander liegenden Profile bis zu gegenseitiger Beeinträchtigung zu schmücken, bei Verwendung der Walzeisen vermieden werde.
Es sei nun weiter auf einige allgemeine Regeln hingewiesen, die sich dem Rohstoff gemäß ergeben. Tiefe Gefache, welche bei Stoffen mit dünnen Wänden entstehen, erhalten einen passenden Schmuck, wenn dieser ebenfalls aus dünnen Flächen gebildet erscheint. Da es nun beim Gefachstil meist auf Stoffersparung ankommt, so wird mit seinem Gefüge auch seine Verzierung gewöhnlich eine metallische Schärfe gewinnen. Dieselbe wird bei Blättern und Blumen hervor gerufen, wenn sie nicht, wie gewöhnlich bei plastischem Pflanzen-Ornament, mit ihren Flächen auf dem Grunde aufliegen, sondern  m i t  i h r e n  s c h a r f e n  R ä n d e r n  f r e i  v o r t r e t e n.
Ein Beispiel hierfür sind die  P o r z e l l a n-B l u m e n,  welche auch auf Vasen und Tellern eingebrannt sind, sowie die oftmals broncirten  M a r k a r t s t r ä u ß e.  Dieselben führen zu stilvoller Anordnung weit vorspringenden Pflanzenschmucks und könnten Anlass geben, neue Naturformen in die Architektur einzubürgern. Reiche Anregung hierzu bietet auch das neuerdings von M. Gerlach heraus gegebene Prachtwerk:  "D i e  P f l a n z e  i n  K u n s t  u n d  G e w e r b e".  Die naturwissenschaftliche Methode, welche hierbei befolgt wird, und welcher auch der Gefachstil seine Entstehung verdankt, führt diesem vielleicht eine Ornamentik zu, welche sich von denen früherer Stile durchaus unterscheidet. Das systematische Erfassen schmückender Naturformen allein ergiebt freilich noch keinen selbständigen Baustil.
Wo nun im Unterschied zur eben betrachteten Gestaltungsart sich der Rohstoff nicht zu dünnen Flächen gestalten lässt, oder leicht, wohlfeil und bildsam genug ist, um besser in voller Masse verwandt zu werden, da wird, im Einklang mit den weniger hoch und scharf umrandeten Gefachen, auch das Ornament vollformiger. Man sieht das an den mit einem Stirngurt ausgebildeten Steinkonsolen, an welchen überhaupt zu erkennen ist, wie weit die Gefachformen in Gusseisen, Holz, Gips, Zement, Stein und ähnlichen gestaltbaren Rohstoffen ihre höchste monumentale Verkörperung erhalten können, wie weit sich Gurt und Steg losgelöst von vielen technischen Schwierigkeiten verzieren lassen. Zugleich aber ist auch wahrnehmbar, dass gerade diese  B e f r e i u n g  v o m  Z w a n g  dahin führt, dass der anfängliche  S t r u k t u r-G e d a n k e  ganz  v e r l a s s e n  wird und dass mehr rudimentäre Formen übrig bleiben, deren Ursprung nicht immer zu errathen ist. -
Die Verbindung jener Gefache ans dünnen Flächen mit solchen aus voller Masse giebt das Mittel zu lebhafter, gegensätzlicher Wirkung verschiedener Rohstoffe, wie sie unsere Abbildung auf S. 565 für  "S t e i n  u n d  E i s e n"   zeigen sollte. Der in vorigem Abschnitt erwähnte Ausdruck zunehmender Tragfähigkeit lässt sich so in höchster Steigerung erreichen.
Inbetreff des Grades der je nach dem Rohstoff möglichen Durchbrechung der Zierart des Steges brauchen wir für Schmiedeisen und Gussmetall nicht erst an Beispiele zu erinnern; wie weit die Durchbrechung in Sandstein gehen kann, zeigen die figurenreichen Bekrönungen des Lettners im Dom zu Hildesheim.
Zum Schluss sei noch der an die Hand gegebenen Art des künstlerischen Schmucks in jenen Fällen gedacht, wo die Stegwandung aus anderm Rohstoff besteht als die Gurtung. Eine gute Wirkung ist dann leicht zu erreichen durch den Wechsel der  F a r b e  wie der  B i l d u n g s a r t  des Stoffes. Man wird vielfach den Steg aus loser, gut gestaltbarer Füllmasse herstellen können, die dann von anderen dehnbaren Stoffen zu festen Baukörpern umgürtet wird. Zu der vollformigen Zierart des Steges lässt sich dann das freie, schwungvolle Ornament der Gurtseite in reizvollen Gegensatz bringen. -
Unsere gesammten Ausführungen können wir zum Schluss wohl dahin zusammen fassen, dass die doppelTwage.JPG (768 Byte) Formen nicht nur in tektonischer, sondern auch in ornamentaler Beziehung von größter Bedeutung sind, dass aber in letzterer von einem ausgeprägten, abgeschlossenen Zierstil noch nicht die Rede sein konnte. Es ist zunächst Gefachstil in Renaissanceformen, dem wir hier und da begegnen und zu dem auch wohl unsere zahlreichen eignen Arbeiten zu rechnen sind. Diese dürfen aber entschieden deshalb neuartig genannt werden, weil sie alle nach Gefüge, Stoff und Zweck eine Verzierung zeigen, die nicht in "einer Ebene", sondern in zwei senkrecht aufeinader stehenden Ebenen perspektivisch gedacht sind und so durchgängig verschiedenseitige Baukörper darstellen. Immerhin kann man aber den Stil als noch im Werden begriffen, als noch nicht zu künstlerischer Reife gediehen ansehen; gewiss aber braucht man die Wahl eines Namens nach dem bereits gegebenen Gefüge nicht als verfrüht zu bezeichnen. Eine bessere Bezeichnung als das von uns vorgeschriebene Wort "Gefachstil" ist bisher nicht aufgetaucht; auch hat sie uns zu Widersprüchen und bedenklichen Verwechslungen bis jetzt nicht geführt. Wenn Hr.  P l ü d d e m a n n  im Jahrg. 1886 d. Bl. vorschlug, statt "Stabilrahmen" einfach "Stegeisen" zu sagen, so ist dem entgegen zu halten, dass letztere Bezeichnung nicht für alle Rohstoffe verwendbar sein würde.
Dass sich für die werdenden Formen der neuen Kunstweise in den Fachkreisen überhaupt vorläufig nur eine geringe Theilnahme regt, darf nicht befremden, da den im rüstigen Schaffen begriffenen Künstlern theoretische Erwägungen ferner zu liegen pflegen. Immerhin hätten wir jedoch erwarten dürfen, dass Hr. Albert  H o f m a n n  in Reichenberg, welcher im vorig. Jahrg. d. Dtschn. Bztg. über die kunstgeschichtliche Stellung der Bauten für die letzte Pariser Weltausstellung sich ausliess, von unseren seit 1881 alljährlich bekannt gemachten Abhandlungen und Zeichnungen einige Kenntniss gehabt hätte. Indessen, gerade weil der Verfasser wohl nicht Gelegenheit hatte, die früheren Jahrgänge dieser und der Wiener Bauzeitung zu lesen, ist für uns seine selbständige Meinung sehr beachtenswerth. Auch er gelangt zu der Ansicht, "dass wir, angesichts der gewaltigen Fortschritte unserer modernen Eisentechnik uns mancher überlieferten Gewöhnungen entschlagen müssen"; doch führt er nur als Beispiel an, dass das Verhältniss zwischen "Last und Stütze" sich wesentlich verschieben müsse und giebt dabei die unbestimmte Andeutung, dass man für dünnere Stützen vielleicht unbewusst ästhetische Gesetze schaffen werde. Wir halten in diesem Punkte unsere Deutung für ausgiebiger, dass unter all den Gefügen, die sich bei Eisenbauten ausführen lassen, das Prinzip "Gurt und Steg" als das neue Element in unserer Kunst erscheint. Es führt nicht allein zu einem  s e l b s t ä n d i g e n  G e f a c h s t i l,  s o n d e r n  vermag, wie  a l l e  b a h n b r e c h e n d e n  V e r b e s s e r u n g e n,  d a s  b i s h e r  G e w o r d e n e  n e u  z u  b e l e b e n,  d i e  S t i l e  n a c h  "S t ü t z e  u n d   L a s t"  w i e  a u c h  d i e  n a c h  "R a h m e n  u n d  F ü l l u n g"  m i t  n e u e r  R e g e l  z u  d u r c h d r i n g e n. -  Im übrigen war es erfreulich, unsere Meinung von anderer Seite mehrfach bestätigt, wenn auch keineswegs überholt zu sehen. Wir rechnen dahin die Aeußerung Jul. Lessings: "dass die moderne Eisen-Konstruktion ein umstürzendes Element von mindestens eben so großer Gewalt in sich birgt, als die Spitzbogen-Konstruktion der Gothik," sowie seine Forderung, dass sich die Architektur aus der Geschmeidigkeit des Eisens heraus ihre Formen schaffen müsse auch für  A u f g a b e n  m o n u m e n t a l e r  W i r k u n g.
Im Anschluss hieran seien auch uns noch einige Bemerkungen ans Anlass jener jüngsten Pariser Schöpfungen des Eisenbaues gestattet. Die Maschinen-Halle, der bis jetzt am weitesten überspannte Raum der Welt, läßt sich in das System von "Stütze und Last" nicht einfügen; die gewaltigen Bogenbinder sind einfach ohne jede Verzierung aus "Gurt und Steg" gebildet und machen eine klare rhythmische Wirkung. Hingegen traten in mehren großen Galerien der Ausstellung Verzierungen bei den runden Zwickeln der Stegwandung hervor, wobei meist wichtige Kartuschen und Wappen unvermittelt auf die Gitterstäbe gelegt waren, eben so und nicht besser wie im Jahre 1878. Versuche in anderer Richtung zeigten sich auch an dem aus Eisen gefertigten Abtheilungs-Portal der "Galerie für Metallwaaren." Hier war die überlieferte Stein-Architektur meist in Schmiedeisen nachgebildet und dabei gelangte der metallische Charakter der Konsolen zum Bewusstsein, welche denn auch aus stark gekrümmten Blechstreifen gebildet waren, aber ohne eine füllende Stegwandung. Das viel angewandte Bekleiden der Eisengebinde mit Stoff-Vorhängen und Schnürwerk ergab keine brauchbaren, einheitlichen Kunstmotive. Wohlgefällig war dagegen der große Aufgang zur Maschinen-Halle aus Gefachträgern konstruirt; doch kennt man schöner ausgeführte Treppenwangen von Berliner Kunstschlössern. - Welchen Vorzug Stabilrahmen vor dem kastenförmigen Gitterwerk haben, das zeigte sich, wo dieses in verschiedenen Hallen und am Eiffelthurm hervor trat.*
*) Beiläufig gesagt, erweisen dies auch die an sich schön geschwungenen Binder der Frankfurter Bahnhofs-Halle. Die drei oder vierfachen durchsichtigen Stabwände der Kastenform verwirren sich unter einander, sie geben keinen klaren Rhythmus. Wollte man einen solchen unruhig wirkenden Gitterkasten nach dem Gefüge künstlerisch verzieren, so müssten die Wandungen so weit geschlossen werden, dass sie einen störenden Durchblick nicht zulassen.
An den vier Ecken der Kuppel des Marsfeld-Domes waren solche allseitig ziervoll durchbrochene Kastenbögen als Abstrebung angewandt, die man aber als künstlerischen Gewinn wohl nicht zu weiterer Nachahmung empfehlen wird.  N i c h t  d i e  D u r c h b r e c h u n g  a n  s i c h,  n i c h t  d a s  i n  d e r  E i s e n-K o n s t r u k t i o n  s o  v i e l  s i c h t b a r e  G i t t e r w e r k  s c h ä t z e n  w i r  f ü r  u n s e r e  K u n s t  a l s  e i n e  b e d e u t s a m e  N e u e r u n g,  s o n d e r n  d a s  h i e r  z u e r s t  s o  w e i t  g e h e n d  a n g e w a n d t e  P r i n z i p  "G u r t  u n d  S t e g,"  b e i  w e l c h e m  j e  n a c h  R o h s t o f f  d u r c h b r o c h e n e  G e f a c h e  a u s f ü h r b a r  s i n d,  o h n e  d i e  D e u t l i c h k e i t  z u  b e e i n t r ä c h t i g e n.
In welcher Weise der Thon in Verbindung mit dem Eisen gebracht wurde, ist noch besser als an den Ausstellungs-Bauten selbst aus den Musterheften der Firma Emile Muller & Cie., Ivry près Paris zu ersehen. Man bemerkt auf diesen Blättern eine Fülle von nützlichen Bauformen, die alle aus dünnen Flächen gebildet sind, aber es ist meist Hohlkörper-Konstruktion. Der Thon zwingt nicht wie das Eisen zu offenen Gefachen, welche jedoch einseitig als Decken-Kasette auf der Ausstellung mehrfach zur Verwendung kamen. Im allgemeinen war es mehr die Farbe, die bunte Glasur, weniger die ungewöhnliche Form, wodurch die Keramik ihre glänzenden Triumphe feierte. Die Leistungen derselben erkennt auch Hr. Albert  H o f m a n n  an, hebt aber mit Recht hervor, dass das Bemühen, die Eisen-Konstruktion und Dekoration in Einklang zu bringen, den französischen Architekten nicht gelungen ist. Sie lieben das Experiment, wie wir früher sagten, aber es fehlt die systematische Durchbildung. -
Die in diesem Aufsatz vielleicht zu deutsch-gründlich erörterte Verzierung solcher Fachwerk-Gefüge haben auch wir in unsern seit Jahren angefertigten perspektivischen Entwürfen angestrebt und es können diese wohl einen Vergleich mit den Formgedanken unserer Nachbarn aushalten.
Mögen in Zukunft noch andere Stoffe als Eisen für neue baukünstlerische Gebilde infrage kommen, mögen zu Thon und Glas noch Aluminium, Magnesit, Zelluloid usw. hinzu treten:
Heuser_Der Gefachstil2.gif (3697 Byte) dem Zuge unseres technischen Zeitaltalters entsprechend, wird es immer um ein Kunstprodukt sich handeln, dem allseitige Bearbeitung gegeben und bei welchem auf Ersparniss gesehen werden muss. Darum ist zu erwarten, dass neben den Konstruktionen in  V o l l f o r m e n  (a) und solchen in  H o h l f o r m e n  (b) (Röhren von Mannesmann), es die  G e f a c h f o r m e n  (c) sein werden, welche mit  N a t u r n o t h w e n d i g k e i t  sich dem Kunstschaffen des Menschen aufdrängen. -

Cöln, Mai 1890, G.  H e u s e r.