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Autor: Haupt, Albrecht 
In: Deutsche Bauzeitung 41 (1907); Nr. 72,  S. 507 - 511
 
Das National-Germanische in der Baukunst
 
(Zu den Artikeln von Blunck und Lichtenberg in No. 62 und 82 Jahrgang 1906 der „Deutschen Bauzeitung".*)
 
Es ist ein hocherfreuliches Zeichen, daß das Für und Wider einer national-germanischen Richtung, wie sie Seeßelberg in besonderer Auffassung öffentlich mehrfach verfochten hat, lebhaft erörtert wird, wie es auch durch Blunck und Lichtenberg hier geschehen ist. Ja es mehren sich die Zeichen, daß der Gegenstand keineswegs mehr ein gleichgültiger ist, wie noch vor wenigen Jahren, da maßgebende Männer mit Achselzucken und einigem Hohn darüber zur Tagesordnung überzugehen empfahlen. Auch Blunck's scheinbarer Widerspruch gegen Seeßelberg bezieht sich, glaube ich, mehr auf dessen eigentümliche, etwas schwärmerische Art, die alle Kunst und Poesie bis zur Dithyrambe in der Baukunst ihren Ausdruck finden lassen will, während Blunck selber darauf besteht, daß der reale Boden des Technischen nicht wieder verlassen werde zugunsten, wie er fürchtet, phantastischer Illusionen. Es will mir scheinen, als ob Blunck, wie es ja in der Natur jeder Kontroverse liegt, seinen Widerspruch um ein Erhebliches schärfer ausspricht, als er ihn wirklich meint, weil er eben der Klarheit halber das für erforderlich erachtet. Denn wir kennen ja ihn und sein eigenes Wirken in streng nationalem Kreise hinreichend, um zu wissen, daß er in Hinsicht auf das Nationale tatsächlich kaum anders fühlen wird als Seeßelberg und, wie Blunck richtig sagt, bereits

*) Anmerkung der Redaktion. Der Artikel befindet sich schon seit längerer Zeit in unseren Händen. —
manche Andere. Es ist durchaus erwünscht, zu betonen, daß Seeßelberg wenigstens hierin keineswegs so allein steht, wie Prof. v. Lichtenberg glaubte. Ich nenne u. a. Dr. L. Wilser- Heidelberg — und gestatte mir hier auf eine schon ältere, zuerst als Manuskriptgedruckte Schrift von mir, die dann 1904 in der „Architektonischen Rundschau" (X. und XI. Heft) mit Illustrationen abgedruckt wurde: „Von germanischer Baukunst" hinzuweisen. Und wer Augen hat, sieht unter den Werken unserer jüngeren Architekten-Generation bereits eine nicht geringe Zahl, die bewußt oder unbewußt an das National-Germanische, sogar an die Art seiner ältesten Denkmäler, anknüpfen. Selbst bei Bruno Schmitz ist das erfreulich zu bemerken. Mothes hat schon vor zwanzig Jahren eine Reihe von Bauwerken in Italien für die Germanen in Anspruch genommen und auf eine nationale Auffassung der Baukunst hingewirkt, Lübke sich ihm angeschlossen. Was Blunck verlangt und beanspruchen muß, wird als Grundlage jedes Architektur-Studiums stets unentbehrlich sein, und wird Seeßelberg am wenigsten missen wollen. Aber die „weltmännische" Bildung des Architekten, womit Blunck an Kosmopolitismus in der Baukunst, wie er doch Gott sei Dank endlich aufgehört hat, gedacht zu haben scheint, darf sicher nur im Sinne einer Erweiterung unseres Bildungskreises gemeint sein, nicht aber zur Abkehr vom Nationalen Anlaß geben. Es unterliegt ferner keinem Zweifel, daß Seeßelberg nur etwas mehr Platz und Berechtigung für die eigentümliche Art seiner Lehre heischt. An sich eignet sie sich nur für bestimmte Individualitäten in der Lehrerschaft, keineswegs jedoch für die Anfänger in der Kunst. Zurzeit aber ist sie höchstens nur geduldet, und darin hat Seeßelberg sicher Recht, wenn er wünscht, daß auch seiner Art der Lehre in Wechselwirkung mit den anderen, an sich sozusagen objektiven Lehrgegenständen und Methoden für vorgeschritteneres Studium die erwünschte Freiheit gegeben und die erforderliche Berechtigung zugestanden werde. Man muß annehmen, daß er es so gemeint hat und daß schließlich auch Blunck dieser Einschränkung der Seeßelberg'schen Richtung ihre Berechtigung keineswegs versagen wird.



In einer anderen Richtung aber, der von mir schon mehrfach genannten nationalen, möchte ich mich möglichst vollständig auf Seeßelberg's Seite stellen und rechne ganz bestimmt darauf, gerade hierin den Beifall aller deutschen Architekten, erst recht den Blunck's, zu finden. Es wird allerhöchste Zeit, daß unsere moderne und modernste Kunst sich darauf besinne, daß sie die hohe Pflicht hat, national zu sein, ja daß diese Pflicht heute allem anderen voran geht, so lange es sich darum handelt, einen gemeinsamen Weg, gemeinsame Ziele für unsere Kunst zu gewinnen. Die sondergearteten Einzelinge muß man ja ihrem ihnen eigentümlichen Streben überlassen, wie sie der Geist treibt, aber jenes Gemeinsame muß heute allen deutschen Künstlern bindend sein, die den Beruf und die Nötigung in sich fühlen, endlich auch dem wiedergewonnenen Deutschtum, dem erstarkten Germanentum einen künstlerischen Ausdruck zu verschaffen und so an ihrem Teil zur stärkeren Festigung und zum Ausbau des Vaterlandes beizutragen. Es kann nicht laut genug betont werden, daß wir künstlerisch, insbesondere in der Baukunst, seit anderthalb Jahrtausenden immer und immer wieder in Abhängigkeit vom Auslande geraten sind, daß jede neue Wendung in ihr uns von Fremden gebracht ist, und daß jede selbständig germanische wie enger begrenzte deutsche Kunstregung der Vergangenheit nach kurzem Wollen wieder verschwand. Den südlichen Nationen Europas, insbesondere den Griechen und Italienern, war es vergönnt, sich künstlerisch völlig auszusprechen; nicht minder den Franzosen, in begrenzterem Maße auch Spaniern und Portugiesen. Heute endlich, insbesondere nach 1870, ist an den Deutschen, möglichst im Bunde mit den übrigen germanischen Ländern, die Reihe, wenn je dieser Augenblick irgend einmal als gekommen angesehen werden kann. Das Germanentum ist heute politisch auf dem Höhepunkte angelangt. Politische Höhepunkte im Leben der Nationen aber sind stets von Höhezeiten der bildenden Künste begleitet oder gefolgt gewesen, nach einem wie es scheint ehernen Entwicklungsgesetz. Und so kann sich das gegenwärtige künstlerische Ringen, das ganz ohne Zweifel auf germanischem Boden, vielleicht zuerst dem englischen, sich entfesselte, und das offenbar die romanischen Völker kaum berührt, nur als einen Gärungsprozeß, einen Zustand der Wehen um ein neu zu Schaffendes ansehen. Von dem bisherigen Ergebnisse braucht man noch keineswegs befriedigt oder gar begeistert zu sein — wenn man nicht schon an solchem Gären und Ringen Freude hat — und trotzdem dem mächtigen Vorwärts-Wollen die Anerkennung nicht zu versagen.

 

Es scheint mir, so stark der Strom auch ist, bis heute, wenigstens in der Baukunst, noch kein fester Punkt von Bedeutung gewonnen zu sein, wenn es nicht die Erkenntnis ist, daß die einfache Masse, der Baukörper als künstlerischer Grundgedanke die Hauptsache sei und der Schmuck, das Ornament, die Nebensache, ja das Hinderliche, wenn man der künstlerischen Aufgabe zu Leibe rücken will, — und daß ferner inbezug auf Farbe und Stimmung ganz neue Aufgaben gestellt und somit auch ganz neue Richtungen eingeschlagen sind. Es ist dies bis heute mehr Erkenntnis als Tat, aber künstlerische Ziele sind wenigstens dadurch bezeichnet und ins Auge gefaßt. Der Weg dahin muß allerdings erst gebahnt werden. Denn er führt durch bis jetzt fast nicht bebaute Wildnis. Das aber ist ganz unzweifelhaft: gelingt es, eine wirklich neue Richtung in der Baukunst zu schaffen, so muß diese eine rein germanische sein, wenigstens was uns anlangt. Daß auch das Slaventum sich an diesem Ringen kräftig beteiligt und von gleichen Kunstkämpfen ergriffen ist, diese Beobachtung kann uns in unserer Auffassung nur bestärken. Und künstlerisch ist dieses junge Streben wohl zu beachten.



Die bildende Kunst ist in ihren Phasen viel weniger von den politischen Wellenbewegungen zu trennen, als man gewöhnlich annimmt. Sie lebt nicht in einer Sphäre dem Irdischen fremd und abgewandt; am allerwenigsten die Bau- Kunst, welche vielmehr ein Ergebnis reiner Tatsächlichkeiten bleibt, widergespiegelt im künstlerischen Geiste. Und deshalb freut man sich einer Bestrebung wie der Seeßelbergschen, vorallem, weil sie national-germanisch sein will. Charakteristisch genug ist es, daß der Halb-Skandinavier Seeßelberg seine Ziele in Deutschland zu erreichen sucht. Ich kann es nun wohl verstehen, daß Blunck die Arbeiten der Seeßelbergschen Schule in „Helm und Mitra" nicht klar genug, noch als etwas flitteriges Formenwerk erscheinen. Woher soll die junge Schule ihr Formentum nehmen? Daß diese Jugend sich das Allerlei, das ihr im Charakter entspricht, erst zusammensuchen muß, daß in diesem alt-neuen noch kein rechtes Gerippe ist, ja die künstlerischen Grundsätze selbst gefunden werden müssen, ist nur natürlich und, wie ich glaube, nicht einmal schädlich. Man vergleiche damit die Tatsache, daß die allerneueste Richtung in der Baukunst rein vom Ornamentalen und Formalen ausging, von einem reichlichen Ueberschwang neuen Schmuckes, dem äußerlichsten, und sich heute doch erheblich vertieft hat bis zu einer beinahe gesuchten Einfachheit oder Massigkeit, die dem Ornament fast feind ist. Und auch in der Vergangenheit haben sich neue „Stile" zuerst im Gewande wirren Ornamentes, dann ganz langsam im Tatsächlichen und Körperlichen eingeführt, so die Renaissance. Daher ist dieses Versuchen, den neuen Kunstgedanken erst einmal ein vielleicht noch unvollkommenes germanisches Kleid umzuhängen, mit voller Freude zu begrüßen, denn es ist ein Anfang. Daß das heute gegebene Material nicht besser und reicher ist, kann den Kunstjüngern wahrhaftig nicht zum Vorwurf gemacht werden, ist vielmehr die Folge Jahrhunderte alter Unterlassungssünden. Wäre nur der zehnte Teil soviel Arbeit, wie sie Deutsche geleistet haben, um die Herrlichkeit griechischer Kunst zu ergründen, auf die Reste germanischer alter Kunstbetätigung verwandt, so hätten wir heute einen ganz anderen Schatz von Mitteln, wenigstens unsere eigene künstlerische Art zu kennen, im eigenen Hause ein wenig Bescheid zu wissen. Es läßt sich in keiner Hinsicht bestreiten, daß tatsächlich die eingehende und liebevolle Beschäftigung mit den Denkmälern vaterländischer Kunst, ihre sorgfältige Pflege, die Blunck mit Recht beansprucht, eine der vornehmsten Schulen für Kenntnis und inneres Verständnis in der Baukunst bilden; auch in nationalem Sinne. In jedem unserer alten Bauwerke steckt ein gut Stück deutscher und germanischer Kunst, und dem bereits Wissenden wird das Eindringen in Erfindung und Verwirklichung, in künstlerisches und technisches Entstehen des Bauwerkes ein hoher Genuß und eine reiche Lehre sein. Aber das wird man kaum behaupten dürfen, daß es ziemlich gleichwertig sei, ob man dabei als Anregung für eigenes künstlerisches Schaffen einen ägyptischen Sarkophag, ein Museum, ein Frühwerk echt französischer Gotik auf deutschem Boden, eine Verpflanzung italienischer Renaissance zu uns, oder ein von rein germanischem Wesen und Blut durchflossenes urdeutsches Bauwerk vor sich hat.

Noch einmal sei es wiederholt: den Bauwerken echt germanischer Herkunft auf deutschem und fremdem Boden und ihrem eingehenden Studium ist bis heute fast keinerlei Mühe und Arbeit gewidmet worden, nicht einmal von Deutschen. Wie sollen wir wissen, wie wir eigentlich sind, ohne die Bekleidung der jedesmaligen Stilmode? Unser Eigenstes ist uns am fremdesten! An unseren Hochschulen wird mit unsäglicher Sorgfalt alles von Kunst und Kunstgeschichte gelehrt, was — ausländisch ist. Von Assyrier-, Aegypter-, Griechen- und Römertum an bis zum spätesten Franzosentum. Hie und da kümmert ein kärgliches Kolleg über Backsteinbau mit besonderer Berücksichtigung des Norddeutschen; neben allgemeinem Mittelalter wird noch ein weniges deutsche Renaissance gelesen. Das ist aber ziemlich alles. Wer glaubt es, wenn wir hören, daß über den Kaiserdom zu Aachen bis heute noch kein noch dünnes Spezialwerk erschienen ist? Ueber Karolingerwerke haben wir nur zwei bescheidene Hefte von Adamy: über Lorsch und Steinbach! Wer glaubt es, daß von dem Grabmal des Theoderich in Ravenna, von seinen anderen Bauwerken ganz zu geschweigen, noch nicht einmal eine zuverlässige Aufnahme erschienen ist? *) Das beste darüber sind ein paar schwache Holzschnitte bei Mothes! Von der Burg Dietrichs von Bern zu Verona, seinem Palast in Ravenna wissen wir nichts! Nicht ein Spatenstich ist da noch gemacht. Ich will die Herrlichkeit unserer Ausgrabungen und ihrer Ergebnisse in Pergamon, Olympia; Babylon, bei den Pyramiden nicht verkleinern; aber der Vergleicht ist schmerzhaft. **) Die Goten der Völkerwanderung waren ein deutscher Volksstamm. Der prachtvollste und geistig reichste jener Zeit. Fast ein Jahrhundert war außer Byzanz die ganze Kulturwelt Süd-Europas unter gotischem Szepter. Drei Jahrhunderte herrschten die Westgoten in Spanien. Wer hat sich von uns schon um die Spuren dieser ersten in die Kulturwelt tretenden Deutschen gekümmert? Italiener und Spanier empfinden sie als einen fremden Splitter in ihrem Fleische; ihre Kunstwerke aber reklamieren sie für ihre eigenen Vorfahren. Alles, was unsere Stammesgenossen sonst schufen, gilt ihnen und noch gar zu vielen humanistisch-römischen Gelehrten kurzer Hand als barbarisch. Geschichtsfälschung geht Hand in Hand damit. Die Zerstörung Roms durch die Vandalen, der Name „Vandalismus" in seinem Gebrauche sind längst widerlegte geschichtliche Lügen, die in vielen Schulen noch immer ihr Dasein fristen. Dafür weiß man aber da nichts vom ruhmreichen Vandalenreich Genserichs. Seit Jahren ist es mir ein Beruf gewesen, den Spuren unserer altdeutschen Stammesverwandten, der Goten, Burgunder, Franken, Langobarden nachzugehen, diese Völker künstlerisch kennen zu lernen. Das Ergebnis ist ein fast überreiches. Vor allem in der Baukunst. Das Bild, das die Westgoten nicht nur bis zum Einbruch der Araber, sondern noch bis ins 10. Jahrhundert in Asturien uns bieten ist in einer sonst künstlerisch armen Zeit das Reichste und Feinste, was unter solchen Verhältnissen nur denkbar ist. Wir aber — wissen davon nichts! Selbst den Merowingerwerken in Frankreich ist wenig genug Aufmerksamkeit gewidmet, von den burgundischen gar nicht zu reden.
Und in Deutschland? Ja, wenn man die eigenartige älteste rein deutsche Pfalzkirche, Kaiser Heinrichs I. Hauskapelle, wie vermutlich die seiner Vorfahren, hinter Mist­

*) Anmerkung des  Verfassers. Inzwischen doch ein Aufsatz mit guten Zeichnungen in Lützow's Ztschr. f. bild. Kunst von Jos. Durm.
**) Anmerkung der Redaktion. Und wie steht es mit der Erforschung germanischer Einflüsse im nördlichen Spanien und anderen romanischen Ländern, mit dem Versuch des Nachweises, daß die italienische Frührenaissance vielleicht auf deutsche Keime zurückzuführen ist und möglicherweise an die sächsische Proto-Renaissance anknüpft?

haufen und Entenställen unter dem Stroh einer Scheune halb unterirdisch versteckt, noch heute im Privatbesitz (zum Glück in dem eines einsichtigen Mannes) suchen muß, — die Wipertikrypta in Quedlinburg — so darf man billig fragen, ob auch unsere Denkmalpflege, die so Treffliches leistet, wirklich hier jedem Erfordernis bis zur Wunschlosigkeit zu genügen stark genug ist, wie Blunck es hofft. Kurz, Studium, Untersuchung, Aufnahmen, Ausgrabungen, Veröffentlichungen und andere Mittel sind für uns selbst und unsere eigenen deutschen wie germanischen ältesten und jungfraulichen Denkmäler höchst notwendig, aber bis heute noch nicht aufwendbar gewesen; und die Lehre rein deutsch-nationaler Baukunst, wie der ganzen frühgermanischen Kunstwelt und ihre Darstellung auch nicht. Man gebe den jungen Schwärmern der Seeßelberg'schen Richtung auch von seiten der Denkmalpflege mehr und originaleres Material, wahrhaft gediegene Grundlagen für das Studium und die Erkenntnis wirklich germanischen Kunstwesens; dann wird die Klage über die noch etwas oberflächlich-theatralische Richtung der germanischen Jüngsten rasch genug ganz gegenstandslos sein. Jedoch vor allem: man strebe mit allen guten Mitteln dahin, unsere Baukunst zu nationalisieren, und man sorge ferner so bald als möglich, daß dieser Richtung auch in wissenschaftlicher Hinsicht die ihr gebührende unentbehrliche Berücksichtigung an unseren Hochschulen zuteil werde. Die Denkmalpflege im besten Sinne wird dabei nicht zu kurz kommen. — Albrecht  Haupt.