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Autor: Gurlitt, Cornelius
In: Deutsche Kunst und Dekoration - 5 (1899 - 1900); S. 212 - 222
 
Deutsche Baukunst
 
In neuester Zeit hat man den Amerikanern die Führung in der Baukunst zugewiesen, als den Unbefangenen, die, nicht durch den Ballast der Stile früherer Zeit bedrängt, uns die neue Kunst geben würden; vorher waren es die Engländer, die in ihrer Gothik einer dauernden Formüberlieferung folgen und dadurch uns empfehlenswerth wurden; vorher das Barock und Rokoko, die Deutsch-Renaissance als die letzten starken Zeugen eigener Ueberlieferung. Jedesmal haben Eifrige die Richtigkeit ihrer Ansicht, den Werth des geraden modischen Vorbildes zu alleinigem Recht steigern wollen. Man benutzte einen Stil zum Knüppel gegen den anderen, um den womöglich zu erschlagen. Jetzt ist's der Amerikanismus. Ich für meine Person war nie »drüben«, aber ich kenne doch ein gut Theil amerikanischer Bauten. Man kann sich sehr wohl über amerikanische Kunst aus dem American Architect, American Builder; den Building News, den verschiedenen in jüngster Zeit in rascher Folge erschienenen amerikanischen Publikationen, der deutschen Veröffentlichung von P. Graef: Neubauten in Nordamerika (Berlin, Julius Becker), mit ihrer in deutsche Darstellungsweise besonders umgearbeiteten und daher für Deutsche verständlicheren Aufnahme, z. Th. auch aus einzelnen Heften der Innen-Dekoration von Alexander Koch, ein Urtheil über amerikanische Kunst bilden. Ich sehe da wohl eine kräftige Sonderart und viel lehrreiche Anregungen*); aber ich sehe ebensoviel historisches Studium.

*) Vgl. namentlich auch November-Heft 1895 der »Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration«, woselbst zahlreiche moderne amerikanische Innen-Architekturen, Kamine, Möbel etc. abgebildet sind; ferner in Koch‘s »Moderne Innen-Architektur«, Bd. II. S. 50-76, eine Auswahl Arbeiten amerikanischer Architekten. D. R.


Mit Eifer messen und publiziren die Amerikaner ihre eigenen alten Werke, ihren »Kolonialstil«. Auch sie suchen national-historisch zu sein. Auch sie schauen nebenbei nach fremden Stilen aus. Sie sehen Europa von der Ferne als Studienfeld an und sind hinsichtlich der Wahl des Stiles weniger durch nationale Grenzen beschränkt, als wir; sie suchten Länder auf, wohin die Studien der europäischen Völker weniger drangen: Spanien, Südfrankreich und die Byzantinischen Lande. Wer ihre ausgezeichneten Publikationen kennt, wer des grössten ihrer Meister, des H. H. Richardson, Werke studirte, der findet, dass die südeuropäische Kunst des 10.-13. Jahrhunderts heute in Amerika die frühere Vorliebe für Japan verdrängt hat: in jedem naturalistischen Blatt, in jedem Profil, in der gesammten Auffassung des Aufbaues, der Quaderung, der Gruppirung findet man byzantinisch-romanische Anklänge. Nun ist es gewiss sehr richtig, dass in dieser Frühkunst, wie in jeder solcher viel Anregendes steckt, eine gewisse Naivität, eine gewisse Befreiung von der Regel. Wie der Prärafaelismus segensreich wirkte, so thut das auch der Prägothicismus - um ein abscheuliches Wort mehr einzuführen. Es ist also gut, den Anregungen von drüben zu folgen. Es ist aber nicht gut, sie für besser zu halten, als die, welche von den anderen »primitiven« Kunstarten, der Deutsch-Renaissance, der Spätgothik oder vom Japonismus kommen, der ja auch in Amerika ein starkes Wort eingeworfen hat. Mir will scheinen, als sei es sehr thöricht, wollten wir die bisher erlangten architektonischen Ausdrucksmittel beiseite legen, für falsch erklären, um uns von nun an aus Palermo, Toledo oder Tokio über New York und Chicago neue zu holen, die doch sicher nicht mehr die Unseren werden können, als die Alten es sind.

Gurlitt_Deutsche Baukunst01.gif (70824 Byte) H. CHRISTIANSEN. Verglasung für ein Schlaf-Zimmer

Ein Architekt, der jetzt viel genannt wird, ist Bruno Schmitz. In welchem Stil baut er? Man kann antworten: Romanisch, wie die Amerikaner. Was ihn aber fähig machte, so romanisch zu bauen, wie er thut, das ist die Kenntniss unserer künstlerischen Gesammt-Entwickelung. Wer ihn kennt, weiss, dass auch er ebensowenig »naiv« ist, das heisst aus dem architektonischen Nichts heraus neu schafft, wie irgend einer der leitenden Amerikaner. Auch wer jenseits des Ozeans Führer der Modernen sein will, hat seine feste stilistische Schulung hinter sich. Die Naiven, künstlerisch Unausgebildeten bauen dort, wie Tausende von Beispielen lehren, schlecht und recht irgend einen historischen Stil; die Höchstentwickelten allein machen sich vom Stile frei oder überwinden in sich einen Stil durch den andern, um so zum eigensten und daher schlagendsten Formausdruck zu kommen. Wir stehen sichtlich inmitten eines Wandels im Geschmack. Das Entscheidende in diesem ist nicht der Wechsel der stilistischen Form, sondern der Kampf gegen die alten; bisher als schön, jetzt als langweilig empfundenen Verhältnisse; gegen die durch Antike und Renaissance festgestellten, in der Gothik in anderer Weise doch mit gleicher Absicht aufgestellten Regeln von lang zu breit und hoch sowohl in den Baugliedern als in der Raumgestaltung. Da liegt der Schwerpunkt des Neuen neben der veränderten Auffassung des Werthes der Farbe und der neuen Empfindung in der Linienführung. Darin liegt auch das Revolutionäre der neuen Kunst. Denn während seit Vitruv die »Gesetze schöner Verhältnisse« scheinbar feststanden, wenigstens für feststehend gehalten wurden, sucht man jetzt den Reiz im Durchbrechen dieser Gesetze zu Gunsten einer für den besonderen Zweck dienlichen Form. Die Säule - um ein Beispiel zu wählen - soll nicht mehr nach »Proportionen«, sondern in Beziehung zu der von ihr getragenen Lasten gezeichnet werden, vielleicht dick und kurz oder lang und schlank, je nachdem sie viel oder wenig zu tragen hat. Die Proportionen wurden im Laufe der Zeit durch Angewöhnung des Auges festgestellt, jetzt will man entschlossen dieser zuwider handeln, indem man auf das Bedürfniss als Meister der Form zurückgeht: also auf die Zeiten vor dieser Feststellung der Gesetze.

Gurlitt_Deutsche Baukunst(239920 Byte) HANS CHRISTIANSEN-DARMSTADT.Grosses Rund-Fenster. In der Durchfahrt eines Schlosses in der Charente (West-Frankreich)

Und eine solche ist die in Südfrankreich besonders blühende romanische; eine solche ist aber in gewisser Form auch die Spätgothik und das Barock. Man hat seit ein paar Jahren nicht unmittelbarer empfinden gelernt, das 20. Jahrhundert wird uns nicht an jener kindlichen Schauens- und Bildnerkraft übertreffen, die man Naivität nennt. Wir sind nur noch viel nervöser geworden, und die Amerikaner sind es noch mehr als wir, sodass wir das Einerlei einer festgestellten Form nicht ertragen und am Vielerlei einer formalistisch tastenden Zeit unsere Freude haben können. Beileibe möchte ich nicht den Anschein erwecken, als halte ich dies für einen Fehler. Immer vorwärts in der künstlerischen Freiheit! Sie allein führt zur eigenen Form. Der Amerikanismus kann gut auf unsere Entwickelung wirken, zwar sicher nicht, wenn wir ihn nachahmen; vielleicht aber dadurch, dass er Dinge, Regeln und Begriffe entwerthet, an denen wir jetzt noch hangen. Aber - wenn wir uns in der deutschen Bauwelt umsehen - wir hangen gar nicht mehr so fest an veralteten Gesetzen, wie die Meisten zu glauben scheinen, oder wie die Verkünder des neuen Stiles uns glauben machen wollen. Der Stil ist schon da, in der Architektur da ohne literarisches Accouchement. Vergleiche ich amerikanische und deutsche Bau-Zeitungen, so erscheint wahrlich nicht als feststehend, dass jene die unseren an Frische übertreffen. Ich bin in den letzten Jahren viel in Frankreich und England herumgereist und habe dort Mancherlei gesehen: Allen Respekt vor England! Aber jenseits der Ardennen wird stark mit Wasser gekocht, gibt's einige geistreiche Architekten, viele Macher und noch mehr Nachläufer. Nur baut Frankreich in Paris und weiss Frankreich, von wem und was in der Hauptstadt Paris gebaut wird.

Gurlitt_Deutsche Baukunst03.gif (80108 Byte) HANS CHRISTIANSEN. Kunst-Verglasungen
Gurlitt_Deutsche Baukunst04.gif (39400 Byte) HANS CHRISTIANSEN. Erker-Fenster

Bei uns dagegen baut man aller Orten. Es ist ja für den, der die »Provinz« in Deutschland, Frankreich und England kennt, nicht schwer gemacht, zu sehen, wie einseitig, wie beschränkt das französische Leben dem Deutschen und Britischen gegenüber ist; einen wie viel geringeren Aufwand an geistiger Kraft das Land dort braucht, um in Paris den Anschein des Blühens zu erwecken, weil es sich ganz auf eine Stadt konzentrirt; und wie öde es in weiten Land-Strecken aussieht. Als bei uns vor 30, 40 Jahren nur in Berlin, München und vielleicht Dresden und Stuttgart gebaut wurde, kannten wir die Namen unserer Architekten, spielte die Architektur ihre Rolle in der Kunstkritik und Kunstgeschichte. Jetzt fehlt schon seit Jahrzehnten auch nur der Versuch einer deutschen Architektur-Geschichte der Gegenwart. Nicht weil es nicht der Mühe lohnt, sondern weil sich Niemand fand, die Riesenleistung zu sichten und kritisch zu bewältigen.

Gurlitt_Deutsche Baukunst(196209 Byte) HANS CHRISTIANSEN-DARMSTADT.Entwurf für Kunst-Verglasung

Wer unter den »Gebildeten« kennt z. B. Hugo Licht, ausser etwa in Leipzig, wo er Stadtbaurath ist, und wie viele selbst in Leipzig wissen wohl, dass er unter seinen Fachgenossen für einen der Ersten gilt? Er ist in seiner Entwickelung bezeichnend für die Wandlung, welche die deutsche Baukunst in den letzten Jahrzehnten durchgemacht hat. Einst zeigte er mir ein Studienblatt, das er bei Strack an der Berliner Bauakademie vor 30 Jahren gezeichnet hatte. Die sorgfältigste, in jeder Linie ängstlich abgewogene Hellenik alter Berliner Richtung, gezeichnet wie Kupferstich. Gewiss eine gute Schule: Denn die Berliner der alten Bötticher'schen Art, die Schinkelianer, waren ganze Kerle! Einig mit sich in ihrem Streben und ihren kunstphilosophischen Ueberzeugungen und somit kritisch unantastbar, so lange man ihre Lehre nicht widerlegen konnte. Wenn gleich jetzt diese längst als falsch erkannt ist, so zeigte sich an den alten Berlinern, dass nicht der Glaube seinem Inhalte nach, sondern dass die Gläubigkeit die beruhigte Sicherheit des Wollens und Schaffens gibt. Dann kam die Zeit Lucae's, die beginnende Hinneigung zur italienischen Renaissance unter der Führung der Wiener Meister und Sempers. In Berlin steht nahe der Herkulesbrücke jenseits des Lützowplatzes ein grosser Zinskasten mit Sgraffitenschmuck, der gewiss keinem der Vorbeiwandernden mehr auffällt: Er war in seinen breiteren, vollsaftigeren Formen uns jungen, gleichfalls aus Wien kommenden Architekten ein Siegeszeichen der neuen Richtungen über die »Tektoniker«. Damals hörte man zuerst Licht's Namen als den des Erbauers dieses Hauses unter den Fachleuten lauter nennen. Mehr geschah das freilich durch allerhand Sammelwerke, über die Baukunst der Gegenwart, die er bei dem vor einiger Zeit verstorbenen Verleger Ernst Wasmuth herausgab. Ich bin selbst einer der »Autoren« dieses merkwürdigen, unvergesslichen Mannes gewesen und weiss, wie er solche Sammelwerke machte. Er brauchte nicht die Arbeitskraft, sondern nur den Rath eines Fachmannes, und er suchte sich aus der Menge der Architekten den zum Autor aus, von welchem er glaubte, dass er die Zukunft und deren künstlerisches Bedürfniss errathen könne. Und mit diesem wählte er aus der Menge des Darstellbaren heraus, was den Langsameren später gefallen werde. Auch wenn er Altes veröffentlichte, dachte er als kluger Geschäftsmann stets daran, ob es etwa bald zu einem Zukünftigen werden könnte, wie dies ja zuweilen vorkommt.

Gurlitt_Deutsche Baukunst06.gif (57697 Byte) Hans Christiansen. »Frühling« und »Winter« Oberlicht -Fenster für ein Restaurant

Und da war Licht der beste, den er finden konnte. In rascher Folge machte Licht alle Wandel der Mode mit, ohne dabei je zu einem langweiligen »Stil-Echten« zu werden, das heisst, ohne je die Herrschaft einer einzelnen Form-Art über sich anzuerkennen. Im Leipziger Museumsumbau pflegte er, durch das Bestehende gezwungen, noch die Renaissance, doch mit einem Zug zur späteren Abart, zu Sansovino; am Konservatorium für Musik wurde er freier, dem Barock zustrebend und sagte sich in der Dekoration des reizenden Konzertsaales dieses Hauses schon vom alten Schema der Innen-Architektur völlig los; im Predigerhaus bei St. Nikolai gab er sich in deutscher Renaissance. Er hat wie so Viele versucht, in dieser monumental zu werden. Das ist ihm freilich so wenig geglückt wie einem anderen. Das 16. Jahrhundert in Deutschland ist in seiner 2. Hälfte im Kleinen gross, im Grossen klein. Aber Licht hat doch das herausgefunden was jener Zeit eigen ist: das Zusammenstellen grosser ungeschmückter Flächen mit reich verzierten und daher doppelt wirksamen Einzelheiten! wenn er gleich nicht wagte, nach alter Art hierbei mit der Einzelheit aus dem Maassstab des Ganzen herauszufallen.

Gurlitt_Deutsche Baukunst07.gif (118709 Byte) HANS CHRISTIANSEN. Fenster für ein Bade-Kasino

Am Polizeigebäude wurde er erst ganz er selbst. Die undankbare Aufgabe, ein schlecht gelegenes Geschäftshaus ohne viel Aufwand wirkungsvoll zu gestalten, ist musterhaft gelöst und zwar im romanischen Stil, wenn man so will, amerikanisch, freilich nach Plänen vom Jahre 1886, also aus einer Frühzeit, in der die Leiter der neuesten Bewegung noch nicht aufgestanden waren. Die ganze Frische einer gesunden Nützlichkeitsrichtung, das heisst jener Realismus, der über die anständige Zweckerfüllung nicht hinauszugehen braucht, brachte dann die Markthalle: Wer Freiheit in der Verwendung der Stile für ein Merkmal der Leute von drüben hält, der kann an diesem Bau auf Anklänge an den Palazzo Vecchio in Florenz, auf belgischen Backsteinbau, süddeutschen Barock und modernste Eisen-Konstruktionsart sich die reichste Auswahl der Anregungen zusammensuchen. Wer aber weiss, dass der Architekt nur durch typische Formen reden kann und dass bei solchen Nutzbauten die schwerste Aufgabe ist, den spröden Zweck nicht zu verbergen, sondern erst recht lebendig wirken zu lassen; wer nicht selbst mit gelehrtem, also unkünstlerischem Sinn nach alten Anklängen sucht, der wird gestehen, dass hier eine Sicherheit und in sich geklärte Kraft die Formen meisterte, in der ihn kein Architekt irgendwelchen Landes übertrifft. Der Bau wurde ja nicht »schön«, im landläufigen Sinn, aber er wurde eine wahrhaftige Markthalle und ein Ding, dem man allezeit ansehen wird, dass sie ein Werk unserer Zeit ist: Bequem, der Grösse der Stadt entsprechend würdig, dem Zweck entsprechend nüchtern: denn das ist eben der Witz, dass eine Markthalle nicht wie ein Stillleben im Grossen, nicht malerisch und nicht romantisch aussehen soll, sondern wie eine Markthalle - und nichts darüber und darunter!

Gurlitt_Deutsche Baukunst08.gif (192446 Byte) HANS CHRISTIANSEN-DARMSTADT. Kunst-Verglasung. Im Treppen-Hause eines Pariser Hauses

Ein besonderer Trick der Amerikaner ist die freie Behandlung der Rustika. Ich wüsste nicht, dass einer sie geistreicher durchgebildet hätte, als Licht am Grassi-Museum in Leipzig. Es ist wieder in Renaissanceformen gehalten. Es kann ja sein, dass wir einer Zeit entgegengehen, welche sich völlig von den historischen Gebilden frei sagt. Ich glaube aber nicht, dass dadurch das Wesen der Kunsterneuerung getroffen wird. Die selbständige Verwendung der Form ist der entscheidende, die Fähigkeit, den Zweck des Baues zur Erscheinung zu bringen: Nicht durch das Ornament, durch Embleme: Ob da Krautköpfe als Kapitäle und Rüben als Zahnschnitte, Marktweiber als Karyathiden verwendet werden, ist sehr gleichgültig. Es handelt sich darum, dem Bau in seinen Maassen eine Form zu geben, die den Zweck bekundet und dabei die Form über die gemeine Nützlichkeit hinaus künstlerisch zu beleben und zu gestalten. Nicht des Baumeisters Handschrift, sondern der Zweck soll dem Bau die Eigenart geben.

Gurlitt_Deutsche Baukunst09.gif (98263 Byte) HANS CHRISTIANSEN Vestiaire-Fenster. In einem Schloss in der Charente

Es würde nicht eben schwer fallen, die Fassade des Grassi-Museums ins Romanische umzustimmen, ohne wesentliche Aenderungen in den Maassen einzuführen. Man könnte auch die Säulenknaufe mit naturalistischem Blätterwerk belegen - warum nicht? - aber ich meine, dass damit der Bau nicht eigenartiger würde oder wenigstens nicht viel. Modern aber ist, wie Licht die Innenräume wieder mit jener Sachlichkeit ausstattete, die ihnen angemessen ist: Nüchtern, wo sie Niederlagsräume sind, wenn auch solche für Kunstgewerbe; so nüchtern, dass selbst die Dümmsten in Versuchung kommen, die ausgestellten Gegenstände anzusehen, statt um sich zu starren. Denn wenn jetzt das Stichwort ausgegeben wird, man solle die Kunstwerke in Museen so hängen und aufstellen, dass die Umgebung mit auf den Beschauer wirke, also »stilvoll«, so meine ich, dass das nur ein historischer Zopf mehr ist, der den Kunstwerken und den Museen angehängt wird. Man soll in den Tagen des Rufes nach Wahrheit sich nicht scheuen, auch in den Museen wahr zu bleiben: Ein Museum ist ein Speicher und alle Dekorationskunst wird ihn nur für die Schwersichtigen zu etwas Anderem machen. Licht's jüngste Arbeit ist der Plan für das Rathhaus zu Leipzig, mit dem er in einem Wettbewerb siegte. Er siegte aber namentlich mit einem zweiten ausser Wettbewerb stehenden, das Programm umgestaltenden Entwurf. Ein paar Worte über diesen, da er bezeichnend für die Fragen ist, um welche sich jetzt das Ringen in der Baukunst dreht. Zunächst kehrt der Plan sich gegen das Einordnen der Monumentalbauten in die Fluchtlinie der Strassen oder in deren Achse. Er stellt den Bau schräg zu den Strassen und schafft ihm dadurch eine Ansicht übereck, welche ihn nicht zu der jetzt so beliebten gewaltsamen Unsymmetrie zwingt. Er braucht nicht »malerisch« entworfen zu werden, da er ohnehin malerisch wirken wird. Die so sehr vernachlässigte und thatsächlich in Deutschland allein auf dem Tapet stehende Frage des künstlerischen Städtebaues findet hier zu einem ihrer Theile eine interessante Lösung. Das ist ein bemerkenswerther Sieg über die Vorherrschaft von Winkel und Lineal, der grössten Feinde des architektonischen Fortschrittes. Und dann ist das Gute an dem neuen Plan die völlige Zweckmässigkeit im Innern und Aeussern. Nirgends hinter grossartiger Architektur das Zimmer eines armseligen Stadtschreiberleins: Nur die Fest- und Versammlungsräume sind nach aussen schon durch ihre grossen Fenster kenntlich gemacht und reicher entwickelt, sonst herrscht wieder die Ehrlichkeit, ein Geschäftshaus als solches zu kennzeichnen: dadurch ruhige Massen, einfache Linien und die erhöhte Wirkung des Auszuzeichnenden.

Gurlitt_Deutsche Baukunst11.gif (188203 Byte) H. CHRISTIANSEN. Vestiaire-Fenster. Für ein Schloss in der Charente. (Sämmtl. Ausführungen in Opaleszent-Glas.)

Mir war es darum zu thun, einmal an einem deutschen Baukünstler den Beweis zu erbringen, dass wir Deutsche uns nicht in die Ecke zu stellen brauchen, wenn von neuer Kunst die Rede ist. Das Ding sieht aus der Nähe oft anders aus, wie von draussen. Allen Respekt vor der englischen und französischen Malerei. Ich habe mich nie gescheut, ihren Ruhm nach besten Kräften zu verkünden, darauf hinzuweisen, wo sie die unsrige nach meiner Ansicht übertrifft. Aber ich möchte mich gegen die neuen Heine und Börne in der Kunst verwahren, die von der Seine aus durch Schimpfen uns zu bessern versuchen. Aus der alten Unsitte, das Fremde für vornehmer zu halten als das Heimische, haben wir wenigstens den Vortheil geerbt, das Fremde ohne Voreingenommenheit würdigen zu können. Aber wie ich glaube, dass wir in der Malerei den Franzosen die Waage halten, bei ihnen die Menzel, Böcklin, Klinger auch nicht dutzendweise wachsen; mir scheint, als verlaufe das englische Kunst-Hochwasser sich mehr und mehr und komme hinter Watts und Holman Hunt nicht eben ein zu grosser Schwall neuer Kräfte; und so möchte ich doch auch bitten, dass in der Baukunst erst einmal Umschau bei uns gehalten werde, ehe man nach fremden Errettern ruft. Hier war von Einem die Rede, nicht weil er ein Einziger sei, sondern weil er auch Einer ist, an dem sich die feste Kraft und die rasche Beweglichkeit der deutschen Baukunst erweist. Wäre er ein Franzose, wie sehr behagte er den Neuesten! Nun aber lebt er in Leipzig und ist Stadtbaurath: Da kann für sie doch um Alles in der Welt nicht viel dahinter stecken!

Cornelius Gurlitt