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Autor: Görres, Joseph von
In: Regensburg: Manz (1842); 136 S.
 
Der Dom von Köln und das Münster von Strasburg
 
Der Ertrag ist zum Dombau bestimmt.

Regensburg, 1842.
Verlag von G. Joseph Manz

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Als im Jahre 1814 durch ganz Teutschland, in gutem Willen und bei wenig Mitteln, viel Seifenblasen geblasen worden über Denkmale, die man der Befreiung bauen wollte; da hat am 20. November in Nr. 151 des rheinischen Merkurs ein Aufsatz, betitelt: Der Dom in Köln, gestanden, mit dem wir gegenwärtige Schrift einleiten wollen.

»Es sind der Reden viel gegenwärtig in gemeinem Umlauf, von großen Denkmalen, die der Zeit errichtet werden sollen. Die Riesensäule soll, aus ihrer tausendjährigen Ruhe aufgerüttelt, nach dem Schlachtfelde an der Elbe wandern. Zierliche Tempelhallen sollen sich dort erheben, und große Wasserwerke Teutschland durchziehen, der Rhein soll aus all seinen Inseln Bilder und Säulen hegen. Der Wille ist gut und der Vorsatz lobenswerth; aber wenn wir nun unsre Armuth zusammentragen ihn auszuführen, dann haben wir doch nur zuletzt den Franzosen nachgeahmt; wie wir auch unbewußt gethan, als wir die Plätze unsrer Städte und unsre großen Männer, im besten Willen sie zu ehren, jüngst umgetauft. Wollen wir teutsch verfahren, dann wenden wir vorerst die Kraft, die eitel nach Außen sich verbreiten möchte, gegen uns selbst zurück; wir lassen die Idee, die in uns hineingetreten, mehr und mehr durchleuchten unser Inneres, und es durchwärmen; wir reichen einer dem andern die Leuchte hin, daß er sein Licht daran entzünde; wir

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legen selber an uns Hand an, wie der Künstler sie an Erz und Steine legt: und wenn wir es dann zu einer rechten Gestalt gebracht, und uns in einem rechten Willen aneinander schließen, dann ist unser Volk selber eine leuchtende Ehrensäule, wie noch keine in der Geschichte gestanden hat. Und hat das Innere erst sein Recht erlangt, dann mag es auch dem Aeußeren wohl zu Theile werden, und das Leben kann sich fröhlich offenbaren in Formen und Bildungen, die es spielend der Natur abgewinnt; während es jetzt noch mit ihr ängstlich und knechtisch darum ringen muß. Am liebsten aber wird es dann der Vergangenheit sich zuwenden, eben weil es seine Eitelkeit nicht sucht, und was sie Großes wegen allzu mächtiger Gewaltigkeit der Ideen unvollendet zurückgelassen, ergänzen und vollenden wollen; indem es dasselbe wie ein heiliges Vermächtniß betrachtet, den späten Enkeln zur Vollziehung hingegeben.«

»Ein solches Vermächtniß ist der Dom in Köln, und ist auch in uns die teutsche Ehre wieder ausgerichtet, wir können nicht mit Ehren ein anders prunkend Werk beginnen, bis wir dieses zu seinem Ende gebracht, und den Bau vollends ausgeführt haben. Trauernd schwebt die Idee des Meisters über diesem Dome, er hat sie vom Himmel herab beschworen; aber den Leib haben alle Geschlechter, die an ihr vergangen sind, ihr nicht ergänzen können; und so flattert sie halb Geist und halb verkörpert, wie beim Sterbenden oder Ungeborenen, um die gewaltige Masse; und kann nicht sich ablösen und wiederkehren, noch auch zur Geburt gelangen, um ein viel tausendjähriges Alter auf Erden durchzuleben. Ein ewiger Vorwurf steht der Bau vor unsern Augen, und der Künstler zürnt aus ihm hervor, daß so viele Menschenalter nicht zur Wrklichkeit gebracht, was er allein, ein schwacher sterblicher Mann, in seines Geistes Gedanken getragen hat. Auch ist ein Fluch darauf gesetzt gewesen, als die Bauleute sich verliefen, und also hat der zornige Geist geflucht: so lange soll Teutschland in Schande und Ernie-

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drigung leben, preisgegeben eigenem Hader und fremdem Uebermuthe, bis sein Volk sich wieder der Idee zuwendet, von der es sich, der Eigensucht nachjagend, losgesagt; und bis es durch wahrhaftige Gottesfurcht, gründlich treuen Sinn, festes Zusammenhalten in gleicher Begeisterung, und bescheidene Selbstverleugnung, wieder tauglich worden, solche Werke auszuführen, wie es sie bis jetzt in seiner Versunkenheit aufgegeben. Die Nächsten haben der wahrsagenden Stimme gelacht, und bei sich überlegt, wie sie es wohl selbst durch eigenen Verstand abwenden, und zu einem guten Ende bringen wollten; aber Jahrhunderte haben den Fluch getragen, und an uns ist er vollzogen worden. Und weil wir darüber uns wieder auf uns selbst besonnen haben, darum ist auch an uns der Ruf ergangen: zu vollenden, wo jene es gelassen, und auszuführen, was ein Geschlecht, dem wir gleich werden wollen, angefangen. Wahrlich! Herr v. Kotzebue, Weinbrenner, Wiebeking, und wie sie alle heißen, die mit Planen zu Monumenten sich abgegeben; Schöneres, Tüchtigeres, Herrlicheres werden sie nicht ersinnen, als dieses in höchster Künstlichkeit einfachste Werk, das uns in jenem Dome vor Augen steht. In seiner trümmerhaften Unvollendung, in seiner Verlassenheit ist es ein Bild gewesen von Teutschland, seit der Sprach- und Gedankenverwirrung; so werde es denn auch ein Symbol des neuen Reiches, das wir bauen wollen! Die anarchische Zeit, die zwischen dem Abbrechen und dem Wiederanfang liegt, werde betrachtet, als sey sie dem Bösen nach gar nicht vorhanden; und knüpfen wir in der That wie hier im Bilde wieder an, wo die Letzten der guten Zeit abgelassen. Es ist wie ein Gelübde der Väter, das wir zu lösen gehalten sind. Wenn die Kräfte Teutschlands zur Vollendung sich verbinden, dann kann leicht zur Ausführung gebracht werden, was Stadt und Provinz mit großer Anstrengung so weit hinaus geführt. Nicht leicht und lustig aber soll man das Vorhaben nehmen, wie man seither in solchen Dingen gewohnt gewesen; als Gegenstand

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eines müßigen Hin- und Herredens; nein, verständig soll man Zeit und Kräfte überlegen, und dann, wenn die Ausführung gesichert ist, werkthätig zur Vollziehung schreiten. Es ist nicht das Werk eines Menschenalters, noch kann es der Armuth angemuthet werden. Darum sey hier die erste Anregung nur gegeben, und der Vorschlag künftiger Berathung der Nation empfohlen.«

Zehn Jahre später erschien das große Domwerk von S. Boisseré. Dieselbe Stimme, die im Merkur also geredet, hat damal in Nr. 60 »der Heidelberger Jahrbücher von 1824« mit bewillkommendem Zuruf das Erscheinende begrüßt. Nicht ohne eine freudige Gemüthsbewegung rüstet sich, beginnt die Anzeige; der Berichterstatter, gegen dies Werk sich einer Verpflichtung zu entledigen, die ihm zugleich die Ehre des Gesammtvaterlandes, die es auszubreiten unter andern die Bestimmung hat; als auch die engeren Verhältnisse der Landsmannschaft zu seinem Gegenstande, wie zu seinem Urheber ausgelegt.  B e g o n n e n  mit jugendlichem Eifer in einer trüben Zeit, wo es schien, als sey der Geist, der alle diese Denkmale hervorgetrieben, alt und lebensmüde auf immerdar davon gewichen, und die Hülle werde nun, der Verwesung hingegeben, bald zerfallen und zerstieben;  f o r t g e f ü h r t  mit Muth und Beharrlichkeit, unbekümmert um das wüste, wilde, verworrene Treiben, das um die verödeten Hallen lärmte;  k ä m p f e n d  ohne Unterlaß mit tausend Schwierigkeiten und Hindernissen, die wenn überwältigt und abgewiesen, immer mit wechselnden Formen aufs neue in den Weg getreten; hat das Werk doch endlich so vielfach ungünstige Verhältnisse überwunden, und tritt nun siegreich an das Licht hervor. Alles in demselben ist gründlich, tüchtig und gut gemacht, Jedem ist sein Recht geschehen; nichts ist übereilt, nichts mit gleißender Lüge übertüncht; alles wahr, wie die Natur in ihren Werken. Darum ist das Abbild würdig in seiner Art, wie das Urbild in der Seinigen; es darf sich ihm in Ehre beigesellen, und wie die

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Künstler, die zur Vollführung beider Kunstgebilde mitgewirkt, jeder in seiner Art, ausgezeichnete Virtuosität bewährt; so hat auch von den Urhebern, der, so später nachgekommen, dessen, der früher vorhergegangen, nicht unwerth sich bewiesen. Sollte Meister Gerhard, oder wer sonst der Schöpfer des wundersamen Werks gewesen, dies wohlgelungene Conterfei erblicken; es würde ihn in innerster Seele freuen, und er würde seines Geistes Kind mit froher Ueberraschung, wie es in ihm gelebt, ein Ebenbild gewahren, und den Urheber desselben, mit dem üblichen Handwerksgruße als seinen Geistesverwandten und seinen Freund begrüßen. Das ist das höchste und das größte Lob, mit dem wir unsern Freund und Landsmann ehren; und der beste Dank, den wir ihm für das, was er gethan und gesorgt, erkannt und gebildet hat, zuzuerkennen vermögen. Und siehe da! während es geworden, und unter der stillen Pflege des Urhebers unablässig innerlich gewachsen und zugenommen; sind außen, wenn nicht die bösen Zeiten, doch die bösesten abgelaufen; und wenn auch die guten sich noch nicht zeigen wollen, so sind doch das Vertrauen und die Zuversicht nicht zu Schanden worden. Es war nur der Winter, der den Baum entlaubt, nicht der Tod, der ihn bis zum Marke ausgedörrt; es rührt, wenn auch nur leise, aufs neue sich in ihm das ewig junge, grünende Leben; und kann es auch nur schwer den Fesseln der Erstarrung sich entwinden, so ist sein Athem doch wieder fühlbar; es regen sich die Pulse, der Funken glimmt, und die Gefahr ist glücklich abgewendet. Wenn die Abconterfeiung eines so gründlich tüdesken Werkes vor zwanzig Jahren, einem hochmüthigen antiken Dilettantism nur schüchtern zu nahen sich hätte herausnehmen dürfen, und höchstens auf höhnisch herablassende Duldung rechnen konnte; so begegnet sie jetzt einem ganz anderen Interesse, in dem die wiedererblühte Ehre des vaterländischen Alterthumes, mit dem wiedererweckten religiösen Sinne in einem stets mehr erstarkeuden Triebe sich verbindet, und der willkommenen

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Erscheinung den Weg bereitet. Der Geist, der zürnend dem Bettelstolze elender Zeitläufte sich verschlossen, öffnet versöhnt sich dem wiedererweckten bessern Sinne; jene kirchlichen Denkmale werden verständlich in dem Maaße, wie sie wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung dienen; und so wächst die Empfänglichkeit für Alles, was mit ihnen zusammenhängt in demselben Verhältniß, wie sie ihre Bedeutung fürs Leben wiedergewonnen. Darum ist dies Werk zur guten Stunde an den Tag getreten, und wenn wir gleich beim Eingange unser: Glückauf! ihm entgegenrufen, so hat damit nur die Formel Wort gefunden, womit seine Glückssterne es bei der Geburt begrüßt; und es ist damit zugleich die Gesinnung aller bessern Zeitgenossen ausgesprochen.

Der Verfasser dieses Werkes sagt im Abschnitte: von der Vollendung des Domgebäudes p. 49 über diesen Gegenstand Folgendes: Bei dieser Betrachtung drängt sich uns der so oft ausgesprochene Wunsch auf, daß die Enkel den von den Vorältern begonnenen Wunderbau vollenden möchten. Im siebenzehnten Jahrhundert, kurz nach dem westphälischen Frieden, zweifelte man nicht an der Ausführbarkeit eines so schwierigen Unternehmens. Crombach, von dem lebhaftesten Eifer für den Fortbau beseelt, berichtet: daß der Erzbischof Maximilian Heinrich von Bayern wirklich dazu entschlossen war; und daß er ihm zu Ende des Jahres 1653 erlaubte, dies in seinem Buche über die drei Könige öffentlich bekannt zu machen. Aber die traurige Verwicklung, worin dieser Fürst, durch seine unselige Verbindung mit Ludwig XIV., gegen die Holländer gerieth, hinderte ihn an der Ausführung seines großen Vorhabens. Was damals ausführbar schien, dürfte in unsern Tagen auch noch dafür gehalten werden. Ohne zu erwähnen, was vor Kurzem für die Herstellung und Ergänzung von Kirchen dieser Bauart in England und Frankreich Bedeutendes geschehen ist, haben wir an der Vollendung des Mailänder Doms ein außerordentliches, vollkommen überzeugendes Bei-

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spiel erlebt. Ueberdem fehlt nicht so viel an der Vollendung des Kölnischen Gebäudes, als auf den ersten Anblick scheint. Denn erwägt man, daß der Chor ganz vollendet ist, und daß im Uebrigen die Unteren, fast alle bis zu einer bedeutenden Höhe aufgeführten Theile des Gebäudes, gerade die größten Massen erfordert haben; so findet sich, daß mehr als die Hälfte des Ganzen erbaut ist. Die Grundfesten haben keine Veränderung erlitten; das Gestein der aufgeführten Theile ist noch so gesund, daß sie außer den Verzierungen und einigen Ueberwerken keiner wesentlichen Ausbesserung bedürfen, und die Construction würde bis auf die Wölbung und Unterstützung der Haupthalle keine Schwierigkeiten darbieten, deren Ueberwindung zweifelhaft wäre. Nur rücksichtlich des letzten Punktes ist zu bedenken: daß wir in solchen überaus kühnen Wölbungen nicht mehr geübt sind; und daß trotz aller Berechnungskunst, die uns in so weit höherm Grade als unsern Vorfahren zu Gebote steht, die Praxis ihre eigenen unentbehrlichen Vortheile vor der Theorie hat; wie wir das aus so vielen, und namentlich aus den in der Schiffbaukunst gemachten Erfahrungen wissen. Es kam also auf einen Versuch an, oder daß man, was bereits in alten Zeiten bei dem Münster von York geschehen ist, das Gewölbe der Haupthalle von Zimmerwerk erbaut. Jedoch ist hier nicht der Ort, die Frage näher zu erörtern. Das würde der Gegenstand einer besondern Abhandlung seyn; und immerhin würde die Frage nur durch die That ganz gelöst werden können. Hiezu aber gehört der beharrliche Wille eines mächtigen Fürsten, und die Begünstigung eines langen glücklichen Friedens. Träfe beides zusammen, so könnte, was man seit Jahrhunderten kaum gehofft, endlich noch zu Stande kommen; und die Ufer des Rheines würden dann ein neues Weltwunder vollendet sehen, welches die riesenhafte Größe des orientalischen Alterthums, mit dem ganzen Reichthum europäischer Kunst und Bildung in sich vereinigte.

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Zwanzig Jahre sind vergangen, seither daß das gesprochen worden, und der mächtige Fürst hat sich gefunden; und am beharrlichen Willen wird es ihm nicht fehlen; da er mit dem Vorsatz sich all diese Zeit hindurch und länger schon getragen, und jetzt nur zur Ausführung bringt, was er früher sich vorgenommen. Friedrich Wilhelm IV., als König von 5 - 6 Millionen katholischer Unterthanen, hat den Ausbau des Schiffes übernommen; wie er als König von 8 - 9 Millionen Protestanten, durch den Bau des Doms in Berlin, die Schmach vom Protestantism wegzunehmen Sinnes ist, daß er alle die Zeit seiner Dauer hindurch kein nennenswerthes Kirchengebäude aufgeführt. Die Thürme und die Vorhallen jenes Werkes sollen, sagt man, dem Eifer der Katholischen überlassen bleiben; damit sie vom Gemeingeist aller Stammsgenossen brüderlich unterstützt, an dieser ihrer Aufgabe sich versuchen. Die eine der Vorbedingungen ist sohin erfüllt, und es wird allein noch darauf ankommen, ob eine höhere Macht auch die Andere, eines langen glücklichen Friedens gewährt. Bei der jetzigen Stimmung der Geister, ist dieses Dona nobis pacem ! allerdings ein schwer zu gewährendes Gesuch; aber bisher, wie unwillig die Murrenden auch widerstrebt, eine unsichtbare Gewalt hat sie entwaffnet, und nicht losgegeben; ins andere Viertheil eines Jahrhunderts geht der gebetene Gottesfrieden schon hinüber; und es wird wohl Rath werden, die Fristen noch weiter auszudehnen. Wie dem werden möge, in den ersten Tagen des Septembers sollen die Grundsteine zu dem neuen Werke gelegt werden; und die Bauhütte, seit so vielen Jahrhunderten zerstreut, hat auf's Neue sich gesammelt, und soll nun wieder Zirkelkunst und ihre Gerechtigkeit mit Gott auslegen. Der Bau wird also, wider Verhoffen, beginnen, und vertrauensvoll werden die, welche seiner sich angenommen, ihn zu fördern sich bemühen; die fernere Fügung der Umstände, daß es zur Vollendung komme, dem überlassend, zu dessen Ehre sie sich zu dem

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Unterfangen gesellt. Das ist der solideste Grund, auf dem das Unternehmen ruht, daß es nicht als Monument einem erstorbenen Glauben sich erbaut; sondern einem lebendigen und wiederbelebten als Wohnstätte sich zusammenfügt. Damals, als der Fortbau unterbrochen worden, glaubten Viele in seinen Hallen auch die Worte zu vernehmen: Laßt uns von hinnen ziehen! wie im Tempel von Jerusalem Schreckhafte zu nächtlicher Stunde sie vernommen. Aber die Ausgewanderten sind zurückgekehrt; ihre Nähe verräth sich durch das Wetterleuchten, das die Nacht erfüllt, und das freudige Aufzucken der Geister, so oft der Strahl ausgeht. Sie dürfen dort einer künftig zu vollendenden Gemeinde nicht erst die sie fassende Vierung bauen und errichten; sondern die schon fertige Gemeinde wartet ungeduldig der Steine, daß sie sich zur Vollendung fügen. Die Hütte ihrerseits weiß auch, was sie soll; und des Gewerkes Gerechtigkeit ist ihr nicht länger mehr unbekannt. Nach den letzten Zeiten, wo die Fortführung denen, die die Kunst vergessen und verloren, auch mit Recht verboten war; hat der Geist sich auf's Neue zusammennehmend, die ihm gebliebenen Denkmäler sich gründlich angesehen; und bald sie im Innersten durchschauend, der in ihnen lebenden Seele sich wieder zu bemeistern gewußt. Wie zum Versuche hat er darum, an Ergänzungen alter Bauten, und an einfachen Entwürfen Neuer, nicht mit Unehre sich versucht; also daß er jetzt mit Selbstvertrauen zur Ausführung des Größeren sich wenden kann. Die Praxis, die nun ihre Schule öffnet, wird die verlornen Traditionen bald wieder gewinnen; und in kurzem, wie nicht zu zweifeln, die Neubelebten so erwecken; daß jene oben berührte Schwierigkeit mit den hohen, kühnen Bogenwölbungen, sie nicht länger mehr erschrecken darf. Denn die Hütte ist in einem Lande aufgerichtet, wo die Natur selbst ihrem Thun vorgearbeitet; und unter den vulkanischen Produkten des Rheines und der Eifel wird leicht sich ein solches finden, das in seiner schlackenartigen Natur, die nöthige Festigkeit mit

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der natürlichen Leichtigkeit, verbindet, um solcher Kühnheit gerecht zu seyn. So trifft Alles in dieser Zeit zusammen, um dem begonnenen Unternehmen, wenn mit Beharrlichkeit fortgesetzt, den Erfolg zu sichern; das Beharren aber wird durch den Geist gesichert, der wieder in das Leben umher zurückgekehrt.

Da nun die Dinge sich so hoffnungsvoll gestaltet, so findet fern und nahe jeder Geistesverwandte des Werkes sich aufgefordert, seinen Stein, in allen Kanten wohl gevieret, beizutragen, damit er willig sich in's Ganze füge. Nicht von Steinen aber lebt der Mensch allein; sondern von dem höheren Worte, das ausgehend aus seiner Quelle mit Geistesschärfe, der Materie Ungestalt erst belebt und formirt; und dann alle Elemente zur geistigen Gestalt zusammenfügt. Der Verfasser dieser Schrift hat mit ihr der Bauhütte eine solche Doppelgabe zugedacht, indem er die Resultate seines Nachdenkens über die Kunst in ihr zusammenfaßt; und den Ertrag des kleinen Werkes den Zwecken des Domvereins bestimmt. Die Hauptideen, die ihm zum Grunde liegen, hat er damal bei Gelegenheit von Boisseré's Domwerk bekannt gemacht; ein so enger Kreis der Hörer aber ist der Zeit ihnen zu Theil geworden, daß wenn sie jetzt, noch einmal im Geist erwogen, in Mitte eines um ein Großes erweiterten Umkreises sich vernehmen lassen, sie größtentheils dort auf Hörer, theilweise einer neuen Generation angehörig, treffen werden, denen sie gänzlich unbekannt geblieben, und die sie freundlich aufnehmen mögen. Sie sollen die, der Sache ohnehin schon Zugeneigten, nur noch mehr für sie erwärmen; damit das Gelübde der Väter sich wirklich löse, und der Dom nun wahrhaft ein Denkmal der Befreiung werde; nicht blos von der Unterdrückung des Nachbarvolkes, sondern von den eigenen Bethörungen, Vorurtheilen und Zwieträchtigkeiten, die allein diese Unterdrückung über uns hereingezogen.


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Es gibt eine zweifache Weise, in der ein großer Kirchenbau sich entwerfen und vollführen läßt; und die Entscheidung für die Eine oder die Andere wird die Ausführung wesentlich bedingen. In der ersten Weise ist ein begabter Geist, auf die Höhe seiner Kunst gestellt, gänzlich von aller äußeren Hemmung frei gegeben; er kann beim Entwurfe seines Werkes ungehindert im Strome der Begeisterung seines Genius gehen; und wenn dann, in der Stunde der Empfängniß, die Idee des Ganzen in ihm aufgeleuchtet, mag er sie sofort, unbekümmert und unbeengt, in sich zeitigen, und in allen ihren Gliederungen sie gestalten. Tritt er dann mit dieser seiner Composition in die Wirklichkeit hinaus; dann hindert auch hier ihn keine schon bestehende Form, die er zu achten und zu bewahren hätte; sondern die rohe ungeformte Materie wartet allein des Gesetzes, das er ihr auflegt; und indem sie sich sogleich willig dem Gebote fügt, wird das Werk, im Haupte des Künstlers empfangen, sofort nach dem Gleichniß des Urbildes im Steine sich ausgebähren. In dieser Art und Weise hat die Genesis des Doms von Köln begonnen und sich vollführt; und die Idee, warm dem Haupte des Urhebers entsprüht, hat im Drachenstein sich eingeleibt; und langsam zwar aber lebenskräftig ist der Wunderbau aus der Erde aufgestiegen, allmählich alle andern Werke der Menschen, Häuser, Kirche, Thürme überragend. Wo die Einheit zur Herrschaft gelangt, soll  E i n e s  in  A l l e m  seyn, und  A l l e s  soll in  E i n e m  sich wiederfinden. Nach diesem Typus, in dem auch die Natur alle ihre Hervorbringungen gebildet, hat auch hier der Geist in seinem Schaffen und Gestalten gewaltet. Ein Leben athmet in dem Werke, ganz im Ganzen und ganz in jedem Gliede, in der Vielheit einfältig und in der Einfalt überreich; und indem dies Leben, frei im Stoffe schaltend, aus Stein und Metall den mächtigen Leib überall im Ebenmaße sich angebildet; muß eine überall sich selber gleiche Form Zeugniß geben, von der heitern Vollendung und Rundung der einwohnenden Gedanken-

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fülle. Ein streng Gesetz der Bildung und Gestaltung reicht vom Allgemeinsten zum Besondersten, vom Höchsten bis zum Tiefsten; es läßt jedem Einzelnen Raum in seinem Umkreise zur freiesten und reichlichsten Entfaltung; allein es duldet nicht, daß der besondere Bildungstrieb üppig das Element durchbreche, und vorlaut über die zartgeschwungene Wellenlinie der harmonischen Begränzung des Ganzen sich erhebe. Vielstämmig im Säulen- und Pfeiler- und Pyramidenwalde sich erhebend; die Stämme in den Bogen vielästig verzweigt; die Zweige vielblätterig in dem Laubwerk aufgeschlossen; aus den Blättern vielblumig Formen von Rosen und Lilien sprossend, deren Kronen wieder vieltheilig sich in Blumenblätter spalten: so geht ein Maaß und eine Regel durch den ganzen Gliederbau, und zwingt so das Widerstrebende wie das Folgsame in ein organisches Gefüge. Aber es liegt diese Regel keineswegs wie eine mathematische Formel nackt und knochigt, erstarrt selber und erstarrend, in der Masse; sie birgt sich vielmehr in ihr wie eine einwohnende Gemüthskraft: sie von innen heraus durchdringend wie ein Centralfeuer, und mit Leben tränkend, aus einem warm schlagenden Herzen hervor, was an sich kalt und leblos ruht. Indem in solcher Weise die bildende Kraft um sich her die Bahnen der Umläufe schlingt, und die widerstrebenden Massen in sie hinüberzieht, sie abrundend, sänftigend und dann aneignend und beherrschend; erhält durch sie das Todte die Begeistigung, und sie gebietet nun in ihrem Reiche einzig durch den Reiz der Schönheit und des Gefälligen. Wie in einer vollstimmigen Musik, die Zahl in's Innerste zurückgegangen, von da, aus vielgliederigen Verhältnißreihen, die Maschen ihres mannigfach verschlungenen Netzes knüpft, das unsichtbar dem Auge, blos dem Ohre in den Wohllauten vernehmlich wird, die seinen Schwingungen entquellen; so hat die Geometrie, in den alten Fels einschlagend, das feste Gestein sprossend aus seiner vieltausendjährigen Ruhe herausgetrieben; und so ist der graue Drachenstein zur Mutter des Doms geworden. Darum ist, ein

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Wunder in der Geschichte, der Grundidee dieses Werkes, so weit sie sich ausgesprochen, menschliche Laune und menschlicher Wankelmuth fern geblieben; der Meister hat den Entwurf gegeben, und nun haben die nach ihm gekommen, mit dem Instinct der Bienen emsig fortgeschafft; und so ist ihnen der Bau, wie aus eigenem Triebe, unter den pflegenden Händen ausgewachsen. Mit bewunderungswürdiger Selbstverläugnung haben, die Lenker des Werkes, Jahrhunderte lang nicht wie Baukünstler sich gehalten, sondern nur wie Gärtner die Saat des ersten Meisters sorgsam gehütet; sie haben in allem Wesentlichen entsagend eigner Meisterschaft, nur sein Gewächs gepflegt, die Triebe ihm beschnitten, die Aeste eingebogen und jeden an seiner Stelle angeheftet; und so ist die Idee des Urhebers, die in seiner Seele raumlos gegenwärtig war; die hernach im Entwurfe auf dem Pergamente nur wenige Quadratfuße eingenommen, endlich unverkümmert und unversehrt, in jenen gewaltigen colossalen Verhältnissen, in die Wirklichkeit hineingetreten. Er selbst hatte im Grundriß die Sacristei, ein nothwendiges Uebel, ausgenommen, keinen Auswuchs des Plans geduldet; weislich hatte er auch in ihm, durch die sieben Capellen des Chors, für jenen Particularism der Frömmigkeit vorgesorgt, der so gern beschränktere Räume für die stillere Andacht sucht: und so ist es ihm gelungen, unter Mitwirkung einer Bauhütte, die, ein wohlbesetztes Orchester, mit aller Virtuosität des Kunstgeschicks seine Composition treu und unverschnörkelt ausgeführt; sein Werk ganz in seinem Sinne, als habe er Jahrhunderte hindurch fortgelebt, so nahe der Vollendung entgegenzuführen; und aus ganzem Steine einen in allen Theilen harmonischen Kunstbau herauszuhauen. Nur als die Enkel der Kindeskinder derjenigen, die seiner Schule angehört, in die Unmacht herabgesunken, und statt zu fördern stritten und krittelten, hat er abgelassen und ist zürnend davongegangen; und hat eines bessern Geschlechtes gewartet, die offen gebliebene Lücke vollends auszufüllen. Darum hat Boisseré in jenem Domwerke mit

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Recht gesagt: »Dieser Dom, eines der größten und vollkommensten Gebäude der sogenannten gothischen Baukunst, in allen seinen wesentlichen Theilen nach einem und demselben Plane im reinsten Style angelegt; durch keine fremdartigen Zusätze entstellt, und wenn auch in der Ausführung nicht ganz vollendet, doch aus dem ursprünglichen Entwurfe leicht herstellbar zu einem Ganzen von der höchsten Einheit und Vollständigkeit, kann und muß eben darum zu einem Muster der alten Kirchenbaukunst dienen, an dem sich ihre Regeln und Gesetze, ihr innerlicher Geist und ihr einwohnendes Leben am füglichsten darstellen und demonstriren läßt.« Dieser Ausspruch, was man auch neuerdings gegen ihn vorgebracht, ist ohne allen Zweifel wohl begründet, wie damals so auch zur Stunde; mit der Beschränkung freilich, die sich von selbst versteht: daß er nur im Ganzen und Großen, und für diese würdigste Art des Kirchenstyles gilt; ohne andere, in späterer Kunst begründete Wechsel dieses Styles, die alle ihr inneres Recht in sich haben, auszuschließen; und dem Geiste wehren zu wollen, noch Besonderes, das hier sich noch in seinen Ursprüngen verhüllt, weiter zu entfalten und auszuführen.

So hat in der ersten Weise die Kunst sich ausgelassen; und weil der kölnische Bau, in Haupt und einem Theile seines Rumpfes ausgeführt, in allen seinen ausgewirkten Gliedern, so viele deren die Kunstfertigkeit der Menschen vom alten Naturbaum gelöst, tadellos und unbescholten, in Mitte seiner andern riesenhaften Brüder steht; darum kann er mit Recht als der Kanon dieser Weise gelten. Aber es giebt noch eine andere zweite Art, in der sich die hervorbringende Kunstkraft versuchen konnte, und die man die Weise des historischen Wachsthums nennen möchte. Nicht ein Geist hat, so scheint es, in dieser die Idee des Werkes, rund und ganz und geschlossen, in der Ueberschattung seiner Einbildungskraft, empfangen, und die Geister, die nach ihm geboren worden, haben sie dann nur langsam im Stoff zu

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Tag gefördert: sondern eine ganze Folge und Dynastie von Geistern, hat, was dem ersten nur im Keime zugekommen, von Haupt zu Haupt es transfundirend, allmählich weiter fortgebildet; und alle insgemein und jeder insbesondere, kann nun sein Anrecht auf das Ganze geltend machen. Nicht mit einem Schlage ist dann die Idee aus dem Haupte ihres Urhebers schon erwachsen und gezeitigt, und mit all ihrer Trefflichkeit angethan, hervorgesprungen; sie ist vielmehr durch langsamen Ansatz, in allmähliger Genesis, das Werk vieler Geister, und das Kind vieler Väter, nach und nach hervorgegangen. Die Strömung der Zeit hat die Werdende in sich aufgenommen, und ist sie in ihrem Flusse immer ihrer selbst mächtig, und darum in sich harmonisch geblieben; dann gilt das  E i n s  in  A l l e m, und das  A l l e s  in  E i n e m, das bei der andern Weise im  R a u m e  Geltung hat, hier in der  S u c c e s s i o n, in der vom Ersten bis zum Letzten alles wohl zusammenstimmt. Es mag auch dann sich fügen, daß eine solche fließende Idee, durch ein schon stehendes früheres Werk, anderer Conception, sich begränzt findet; daß ihr Meister sich gedrungen sieht, den Grundriß, in dem die Eigene sich ausgesprochen, in den einer früheren einzutragen; und nun beide durch Uebergänge vermittelnd, vorkommende Dissonanzen in Harmonie zu lösen. Dann wird ein noch zusammengesetzteres Werk zu Stande kommen, und dem Künstler wird es dann wie dem Staatsmanne ergehen; wenn die socialen Verhältnisse einen Umbau und Fortbau gebieten. Er kann das schon Bestehende nicht niederreißen, und es von Grund auf neu wieder nach einer Idee erbauen; denn die Menschen wollen unter Dach und Fache wohnhaft bleiben. In den Augenpunkt der Idee des Ganzen muß er dann sich setzen; aus ihr hervorbilden, erweitern, steigern und fortführen, und also allmählich das Werk den Bedürfnissen anbequemen: glücklich für ihn, wenn er wirklich noch eine Idee im Baue findet, und frühere Baufrevel sie nicht längst vertrieben und ausgetilgt. Die Kunstwerke, die

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in allen diesen Fällen hervorgegangen, sind nicht concrete Ideen, die sich in der Masse zu mächtigen Individuen eingeleibt; es sind Ideengeschlechter, die in einer Folge von Generationen, durch den Wechsel von Zeugung und Tod durchgehend, sich ineinanderleben, und also adliche Geisterfamilien bilden, die die Zeiten erfüllen. Ihr wesentlicher Charakter ist daher die Bewegung; das Wandelbare und Verfließende ist ihre Natur, und ihr Gesetz; sie geben sich in einem steten Wechsel der Formen kund, der, weil er nur in historischer Einheit zusammengehalten wird, auch nur in historischer Weise sich darstellen läßt. Bilden die Kunstformen, wie im Orient, sich nur leise und allmählich, und fortdauernd in einem inneren Naturtrieb um; dann können aus diesen Flurionen doch sehr harmonische Werke, wie die ägyptischen Tempelgebäude, hervorgehen. Sind aber die Wechsel rasch und scharf abbrechend, wie in dem in Allem markirten, alles beugenden und brechenden Occident: dann sind die Uebergänge oft schwer zu finden gewesen; und die Harmonie, oft unrein, ist vollends in Zeiten ganz verschwunden, wo Unverstand den still fördernden Kunsttrieb gänzlich abgelähmt.

Die Frage entsteht, welche von den beiden Weisen wird im Interesse der Kunst vorzuziehen seyn? jene, wo ein Geist über viele Generationen gebietet, die der Ausführung seiner Idee sich willig hingegeben; oder die Andere, wo eine Folge von Geistern sich in die Erfindung theilt, jeder nur seine eigene Generation beherrschend; sonst aber den Geistern der vorangegangenen, in der Harmonie einer inneren Wahlverwandtschaft verbunden.

Auf den ersten Blick sollte die zweite Art den Vorzug verdienen, denn die vereinte Kraft vieler Geister wird mehr vermögen, als der Vereinzelte auch des sonst Begabtesten; und indem immer Einer fortwebt an der Webe des Andern, dem vorgefundenen aus dem eignen Grunde stets zulegend, muß zuletzt ein Werk entstehen; in dem zu

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dem eingelegten Capitale des einen Geschlechtes, immer das des folgenden sich fügt, und so der stets wachsende Stock jedem Anspruche genügen mag. Diese Annahme jedoch ist trügend. Denn die Cumulation, so weit sie zulässig ist, gilt auch in der andern Weise; über diesen Punkt hinausgetrieben, aber widerspricht sie der innersten Natur und dem Wesen dieser Kunst. Jedes Kunstwerk in ihr ist nämlich ein geschlossenes Individuum, das einen tiefen Keimcrystall in sich beschlossen hält, aus dem es in einem bestimmten, festgeordneten, unabänderlichen Gesetze in allen seinen Gliedern sich entfalten muß; eben so wie der Mensch aus dem Grundkeime einer Persönlichkeit sich entwickelt, und diese seine Entwicklung nicht das vereinte Werk mehrerer solcher Keime seyn kann. Die Grundidee eines solchen Domes, muß also immer von  e i n e m  Geist ausgehen; ist sie erst im Grundrisse ins Daseyn eingetreten, dann arbeitet sie sich von selbst, in ihrem ihr eingepflanzten Gesetze, in allen ihren Gliederungen, im Aufrisse heraus; und es bedarf keines zweiten und dritten Geistes, um sie zu ergänzen und fortzuführen. Wollte er dem ersten Grunde etwa einen zweiten beifügen, dann würde mit dieser Superfötation auch sogleich die Entzweiung in das Werk eintreten; der neue Keim brächte auch ein neues Gesetz seiner Entwicklung mit, in seinen Geltungen mehr und mehr widersprechend der, die das erste Gesetz herbeigeführt. Es würde also leicht Verwirrung in die natürlichen Bildungstriebe kommen, und die Gefahr liegt vor, daß wenn es in den Uebergängen versehen wäre, Alles in eine monströse Doppelgeburt ausschlagen könnte. Derselbe Mensch mag verschiedene solche Keime zum Daseyn bringen, und an einzelnen Bauwerken sie sich entfalten lassen; aber mehrere Geister mögen nicht leicht eine solche keimhafte Mehrheit einem und demselben einsäen, ohne die gesetzmäßige Entfaltung desselben zu gefährden. Die Natur durch ihre Reiche geht dieselben Wege; jede Pflanze wird in ihrem Gesetze aus ihrem Samen hervorgetrieben; Stamm und Ver-

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zweigung und Verästlung, Zahl und Form und Stellung der Blätter bis in die Blume hinein: alles wird durch das im Keime schlafende, im Wachsthum nur sich entwickelnde Gesetz bedingt. Aber zwei verschiedene Gesetze hat die Natur nie in dieselbe Pflanze gelegt; und nur die Willkühr des Menschen bringt Bastarde hervor; die aber ohne sich fortzupflanzen wieder vergehen. So wird es also auch um die Kunstwerke beschaffen seyn, und wir werden denen der ersten Ordnung, in einem Geiste gezeugt und empfangen und gezeitigt, und von vielen geschlechtlosen Arbeitsbienen am Tageslicht ausgeführt, den Vorzug einräumen müssen.

Was wir hier nur so im Allgemeinen festgestellt, wird am einleuchtendsten practisch sich bewähren: wenn wir dem Kölner Dom, in dem die erste Ordnung ihren sprechendsten Ausdruck gefunden; das Vorzüglichste, was die Kunst in Teutschland nach der zweiten Ordnung hervorgerufen, in Parallele entgegen setzen. Das wird die Cathedrale in Straßburg seyn, in ihrer Art eben so treu die Gattung, in der ein fließend gewordener Kunstgeist gebildet, aussprechend. Tritt in solcher Weise die plastische Ruhe, das Stehende, Stammhafte, Seinerselbstgewisse, Unbewegtbewegende des einen Werkes; dem Strömenden, innerhalb gewisser Schranken langsam und mit Maaß wechselnden, in bestimmten Absätzen Fortstrebenden des Andern gegenüber; dann kann jedem sein Recht geschehen, und der urtheilende Sinn zur Vergleichung Beider den rechten Standpunkt finden. Diejenigen unter den Lesern, die beiden Bauwerken fern, nicht durch den physischen Augenschein zu ihrer Kenntniß gelangen mögen, werden der Nachbildung, die Boisseré von dem Einen gemacht, die Erzählung von der allmählichen Metamorphose, die das Andere durchlaufen, wie sie sich hier ausspricht, gegenüberstellen; dabei etwa die architectonischen Ausnahmen, die seither S. v. Bayer vom Münster gemacht, zu Hilfe nehmend; und sie werden dann leicht erkennen: wie verschieden Beide in ihrem allmählichen Wachsthum sich verhalten, indem das Eine von den

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Wurzelblättern hinauf wie eine Pflanze sich nur stets entwickelt und erweitert hat; während das Andere, ein Werk gebundener und sich selbst bindender Willkür, an jede räumliche Veräußerung seiner Hauptmomente, auch eine innerliche der Grundform, doch durchhin innerhalb der Gränze des noch Erlaubten, geknüpft. Die aber, welche an Ort und Stelle bei der Grundsteinlegung gegenwärtig, den niederrheinischen Bau vor Augen haben; werden durch dies Bild des oberrheinischen, das ich in der Luftspieglung vor ihnen aufsteigen lasse, nur um so besser sich in Stand gesetzt sehen, ein solches vergleichende Urtheil zu fällen. Ich selber habe geglaubt, dadurch wenigstens einigermaßen eine Pflicht der Pietät und Dankbarkeit gegen eine Stadt zu erfüllen, die damals in der Zeit meines Exils, in ihren Mauern mich freundlich aufgenommen, und die hinwiederum mir werth geworden, und wollte zugleich damit mir selber einen Denkstein der Erinnerung setzen.

Ehe wir aber die Darstellung selbst beginnen, muß zuerst in Kürze gemeldet werden, auf welchem Grunde sie ruht, und welche Sicherheit sie für ihre Wahrhaftigkeit zu bieten hat. Sie hat aber zuvörderst eigene vieljährige Anschauung zur Unterlage genommen; die mit anderwärts geschärftem, nicht eben blödem Auge geübt, durch den Eifer und die Liebe, die sie ihrem Gegenstand zuwendet, wenigstens zum Theil die Nachtheile ersetzt, die der Mangel einer durchgreifend vertrauten, praktischen Bekanntschaft mit ihm bei sich führt. Sie soll sich ferner gründen auf die Auszeichnungen, die die Aelteren,  K ö n i g s h o f e n,  S p e c k l i n, der Werkmeister  H e c k l e r  gemacht ; aus denen so wie aus den früher bei der Hütte noch vorhandenen Traditionen und Papieren alle Spätern, Schad, Gilomann, Grandidier, geschöpft; nur daß der Letztere auch noch die Archive des Münsters nicht ohne Furcht zu Rath gezogen. Sie soll sich endlich gründen auf die Ansicht der ursprünglichen Risse und Entwürfe der Meister, die glücklicherweise einem großen Theile

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nach erhalten, jetzt im Frauenhause auf der Schaffnerei bewahrt werden; und deren Verzeichniß, da es noch nirgend bekannt geworden, wir hier unserer Auseinandersetzung voransenden wollen. Es sind aber Folgende. Zunächst in fünf großen Pergamentrollen eben so viele Zeichnungen, die nach unserer Ueberzeugung entweder von Erwins Hand selbst entworfen sind, oder doch unter seinen Augen gefertigt wurden. Nro. 1. Der Prachtriß des mittleren Theiles der Vorderseite, von fester, kräftiger Zeichnung; alle Verzierungen und alles Laubwerk ausgetuscht, alle Bildernischen, Träger und Decken bis ins kleinste Detail angegeben, die Bilder jedoch selber ausgelassen; und eben dieser Ausführung wegen wahrscheinlich bestimmt, den Bauherren vorgelegt zu werden. Ursprünglich war in der Zeichnung nur das Portal sammt der Rose angegeben; darüber hinaus aber ist ein anderes Pergament angesetzt, woraus eine viel spätere Hand den Aufriß, des lange nachher beigefügten Glockenhauses, über der Rose zugesetzt; unten die Gallerie mit den zwölf Aposteln umgebend Christus mit seinen Engeln; höher hinaus die Evangelisten, und im Giebel das jüngste Gericht; darüber noch eine dreifache Bogenstellung, die man in der Ausführung beim Baue weggelassen: alles in roherer, aber doch im Architektonischen correkter Zeichnung; nur die Figuren ungelenk ausgeführt, aber dafür mit Farben angemalt. 2. Ansicht der rechten Hälfte der Vorderseite des Münsters, darstellend das kleine Seitenportal, die rechte Hälfte des Größeren, mit der gleichfalls halbirten Rose, sammt dem ganzen Thurme bis hinaus zur obern Gallerie; bei den Pfeilern und Säulen, und an allen kleinern vortretenden Theilen, überall gleich Durchschnitte und Profile beigefügt, so wie unten für die größeren Massen; so daß nicht zu verkennen, wie auf der Hütte nach diesem Entwurfe gearbeitet worden. Auch hier reicht die Visirung in der Mitte nur bis zur Gallerie über der Rose; dort aber ist auf einem ebenfalls, wie es scheint, später angesetzten Pergamente, der Aufriß des Glockenhauses,

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jedoch dießmal mit weniger Verzierungen, als es in der wirklichen Ausführung zeigt, beigefügt. 3. Dieselbe Ansicht aus dem Innern der Kirche heraus gefaßt; die kleine in Gyps ausgeführte Rose über der großen Thüre; höher hinauf die innere Ansicht der großen Rose, und dann auch hier die Zeichnung bei der Gallerie über ihr abbrechend: Alles genau so vorgestellt, wie es ausgeführt worden, und in demselben Style wie die beiden vorigen. 4. Der Grundriß des südlichen Thurmes; an rechter Stelle Alles eingetragen, was bis ans Ende des zweiten Stockwerkes in ihm enthalten ist. 5. Der gleiche Grundriß für das dritte Stockwerk von den großen Schneckenstiegen herunter nach abwärts; beide Pläne sehr genau das wirklich Vorhandene darstellend, und von vielfältigem Gebrauche in der Hütte stark abgegriffen. Diesen fünf Plänen schließen sich drei Andere an, die von den Baumeistern der später hinzugefügten Theile des Werks herrühren. Darunter befaßt Nro. 6. den Grundriß des obern achteckigen Thurmes, und der vier Schnecken auf der Kehrseite von Nro. 5.; scharf, genau, umständlich und bis in's Einzelnste bestimmt im Entwurfe, in der Ausführung wohl gezeichnet und gut gehalten; befassend alles Vorfindliche bis zum Helme hinauf. Ein erster Versuch desselben Risses ist auch auf den Rücken von Nro. 4. hingeworfen. Nro. 7. Grundriß des Helmes von da, wo Hülz angefangen, bis zur Spitze des Thurmes, auch die Laterne mit eingeschlossen. Alles ist hier, wie es in der Ausführung sich wiederfindet; nur daß im obern Theile eine Abänderung statt gefunden, indem man dort das Viereck, statt des in der Zeichnung bis oben hin durchlaufenden Achtecks, in die Construction eingelegt. Nro. 8. Ansicht des ganzen Thurmes, von der Fläche des Wächterhauses bis zur Spitze, aus zweierlei Pergament, und wahrscheinlich auch von zweierlei Händen; wovon die Eine die untere Hälfte des Achtecks zwischen den vier Schnecken bis zum obern Bogenfenster, wo die Bilder der Schutzpatronen des Gewerkes sitzen, und das Zeichen von Hülz

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zuerst erscheint, eingetragen; die Andere aber den Helm das Werk dieses Meisters, auf jener Unterlage fortgeführt. Neben diesen acht Originalrissen, die dem wirklich ausgeführten Gebäude angehören; finden sich dann noch einige andere einer zweiten Visirung, die entweder Erwin selbst, oder ein anderer Meister den Bauherren, wahrscheinlich zur Auswahl, vorgelegt. Eine große, über zehn Fuß lange Zeichnung der linken Hälfte der Vorderseite, gibt einen vollständigen Begriff von der Idee dieses Projectes; das zwar nicht so einfach großartig, als das wirklich Ausgeführte, aber in seiner Art meisterhaft und originell erscheint. Drei reichgezierte Bogenhallen; eine schöne, doch minder als die wirkliche, geschmückte Rose, zwischen zierlichen eng gedrängten Bogenfenstern, die in vielen Stellungen übereinander sich erheben, bis zum achteckten Untersatze des eigentlichen Thurmes; der ein enger eingeschriebenes Achteck darüber sich erhebt, und endlich in eine mit Blättern reich belaubte Spitze von gleich vielen Ecken endet. Alles zusammen bildet ein ungemein reiches, dem Auge gefälliges Ganze; das ohngeachtet des geringen Umfanges, in der Ausführung wegen der unendlich vielen Einzelnheiten, noch kostspieliger geworden seyn würde, als das jetzige Werk. Aus der Betrachtung aller dieser Reste; aus der Vergleichung und Verknüpfung aller der Anschauungen, die sich von dem Vorhandenen so wie von den Spuren des Vergangenen abziehen lassen, haben sich dem Berichterstatter die folgenden Ergebnisse, über die Entstehung und den Fortgang und die Geschichte des Baues; über sein charakteristisches Wesen und seine Art, und die Stelle, die ihm gebührt; und über das Verhältniß, in das er zum Kölner Dome tritt, herausgestellt; die er in gedrängtester Kürze hier mittheilen will, ehe er weiter in der Beurtheilung des Hauptgegenstandes geht.

Als am Schluße des ersten Jahrtausends der christlichen Zeitrechnung, mit dessen Ablaufe man in den Vorstellungen

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des Chiliasms dem Weltende entgegensah, die Zeiten statt wie man gefürchtet, abzubrechen, vielmehr ohne sich aufzuhalten, rasch ins eilfte Jahrhundert voranschritten; suchte man, erfreut wieder im neuen Jahrtausend Fuß gefaßt zu haben, und durch die ausgestandene Angst zur Frömmigkeit gestimmt, zuerst mit Gott von der verjüngten Zeit wieder Besitz zu nehmen, und die neu gewonnene Frist vor allem in seine Ehre zu verwenden. Ein allgemeiner Eifer ging nun durchs christliche Europa, die Gotteshäuser, die meist aus ärmlichen Anfängen hervorgegangen; durch allmählichen Zubau ohne sonderlichen Plan erweitert, zuletzt als die Zeit des gefürchteten Umsturzes aller Dinge nahe kam, kaum mehr nachgebessert, frühe und stark gealtert hatten, wieder zu verjüngen und zu erneuen; und so begann auch am Rheine wie allerwärts, im Wetteifer der Fürsten, Städte, Klöster eine rasch fördernde Thätigkeit; und beinahe gleichzeitig wurde, wie zu den Münstern in Dijon, Basel, Toul, Speier, Worms, Mainz, Trier, und vielen Andern; so auch zu dem in Straßburg der Entwurf gemacht. An der Stelle des alten, durch Krieg und Himmelsfeuer zerstörten Pipinisch Carolingischen Werkes, wurden 1015 die Grundfesten eines größeren Baues, vom Bischof  W e r n e r  von  H a b s b u r g, zuerst gelegt. In den Tiefen wölbte sich in flachrunden Bogen die Crypta auf kurzen stämmigen Säulen, mit unten abgerundeten Würfelknäufen, die weiter nach hinten mit Grotesken sich verzieren; und ein Bogenfenster außen mit der Zickzackverzierung, wie sie auch am westlichen Chore von Worms, und in England, an den sogenannten sächsischen gleichzeitig und früher erbauten Kirchen, sich häufig findet, mußte sparsam die Dunkel dieses unterirdischen Werks erleuchten. In Anlage und Ausführung ganz und gar der Kaisergruft in Speier vergleichbar, den Chor und seine Vorhalle in ihrem ganzen Umfang unterbauend; mit ihnen in völlig gleicher Arbeit, blos mit schmalen Schlageisen, ohne alle Glättung rauh aber tüchtig ausgeführt; muß sie in der

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ganzen Anlage als ein Werk des eilften Jahrhunderts, und nicht etwa als ein Rest der früheren Zeit betrachtet werden; ob es gleich gar wohl möglich, ja sogar wahrscheinlich ist, daß man Pfeiler und Säulen des alten Münsters dazu benutzt, und in den neuen Bau verwendet. Neben ihr erhebt sich zunächst die Vorhalle des Chors, auf vier überstarken Pfeilern, mit eingeblindeten Säulen umsetzt; die indem sie oben in vier gewölbte Spitzbogen aufgehen, wovon die beiden zur Seite südlich und nördlich wieder zwei eingeschriebene kleinere umschließen, aus zwei mächtigen zwischen den Pfeilern eintretenden Säulen ruhend, alle zusammen die achteckigte Kuppel tragen; die mit vier ihrer Seiten auf diesen Spitzbogen, mit den vier Andern, auf vier kleineren, in den Winkeln ihnen quer Aufgesetzten, lastet. An diesen Kern schließt sich nun nach Osten der eigentliche Chor, nach innen halbzirkelförmig nach außen viereckt, fest und massiv aus großen Quadern gefügt; rechts und links von zwei angebauten Capellen, der des hl. Andreas und des hl. Johannes eingefaßt. Dann folgen südlich und nördlich die beiden Seitentheile des Kreuzes, die sogenannten Georgs- und Lorenzcapellen, in edeln, großen Verhältnissen hoch und luftig den Pfeilern der Vorhalle sich anfügend. Zuletzt endlich das Schiff, im Stamme sich nach Sonnenniedergang hinziehend, und aus einem Mittelgange mit zwei Abseiten zusammengesetzt. So fügte das Ganze sich in hergebrachter Form, östlich vom Kreuzgange oder dem sogenannten Bruderhofe, mit mehreren Capellen im viereckten Umgange, eingefaßt; westlich aber von einem großen Vorhofe, gleichfalls mit bedeckten Säulengängen, umschlossen; der in weiter, geräumiger Ausdehnung, vom jetzigen Fischermarkte über den Gärtnermarkt, bis gegen den obern Theil der Gerwerbslaube, sich verbreitete; viele Kapellen in seinem Raum befaßte, und im Grunde durch ein bedecktes Vestibul in die Kirche führte.

So war es um dies alte Werk beschaffen, das wahr-

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scheinlich in dieser Form, um die Hälfte des eilften Jahrhunderts, schon völlig vollendet, den ganzen Umfang des alten Götterhaines, an dessen Stelle es ursprünglich getreten war, erfüllen mochte. Sein eigenthümlicher Charakter und der Kunststyl, in dem es ausgeführt war, läßt sich gegenwärtig nur noch von den östlichsten Theilen, dem Chor mit seiner Vorhalle und den Seitenarmen des Kreuzes, die ihre ursprüngliche Form noch am treuesten bewahrt, durch Combination und Induction abziehen. Jene vier genannten Theile des Gebäudes bestehen in ihrer wesentlichen Anlage noch, wie die ersten Gründer sie ausgeführt. Denn man bemerkt, wie sie Alle durch das Uebergreifen der Quadern, im sogenannten Verbande hin und herüber, vom Grunde bis zur größten Höhe hinauf, auf's Genaueste verbunden sind; so daß sie also nothwendig gleichzeitig und gleichförmig miteinander, und nach dem ersten Entwurfe des Meisters entstanden sind. Auch der alte Meisel, jener rauhe, der die Oberfläche des Steines in dichten, engen, scharfen Furchen nur bepflügt, ist sich überall von unten bis oben gleich geblieben, und seine Spuren sind aller Orten sichtbar; während der neuere weicher und behender geführte, überall in diese alten Werke wie in rohe Felsmassen einschneidend, seine Spuren nicht getilgt. Was noch durch diese Handschrift des Eisens seine unverletzte Ursprünglichkeit bewährt, zeigt überall den Charakter der Bauart, die man mit dem Namen der byzantinischen zu bezeichnen sich gewöhnt, und die besser und umfassender die romanisch-byzantinische genannt werden kann. Der Gesammteindruck, den diese Bauweise macht, ist der, den eine nüchterne, ihrer selbst bewußte, aber in Einfalt gehaltene und gemessene Größe gewähren kann; phantasielos aber nicht aus Nothwendigkeit, sondern aus freier Wahl; dürftig nicht aus Armuth, sondern aus freiwilliger Entsagung, scheint sie in eine gewisse Befangenheit der Formen verhüllt, sich auszulassen; weil sie allen irdischen Prunk in Gottes Nähe unzureichend und unziemlich glaubt, und alle schöpferische Lebens-

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fülle sich noch gern in der rauh beschuppten Knospe beschlossen hält. Darum ist die einzige äußere Verzierung der achteckten Kuppel eine einfach umlaufende Stellung der damals allgemein üblichen kleinen Säulenart; die mit ihren schmucklosen Capitälern kleine halbcylinderförmige Gewölbe trägt; über denen eine einfache Verzahnung wie von vorstehenden abgerundeten Sparrenköpfen hinläuft; während eine zweite Aehnliche unter dem Fuß der Säulen sie zu tragen scheint. Eine gleiche Verzahnung zieht sich noch jetzt unter dem Dache des Chores um; und sie ist, nach einzelnen Profilen zu schließen, die hier und da in den Winkeln sich verstecken, ursprünglich um die Seitenflügel des Kreuzes auf gleicher Höhe, und wahrscheinlich auch um die ganze Kirche hergelaufen. Wagrecht hinziehende Randleisten, deren Reste ebenfalls am Chore sichtbar sind, haben dann die äußeren Wände dieser Seitenflügel von oben nach unten in drei Stockwerke abgetheilt; und einfache oder mehrfach zusammengekuppelte Säulen, aus einem in der Wand eingelassenen Sockel stehend; auch wohl ein angelegter Widerhalter, wie an der Ostseite des Südlichen; oder ein blos über die übrige Wand hervorgearbeiteter Vorsprung, wie an den beiden Vorderseiten; haben von der Rechten nach der Linken die Wand jedes Stockwerkes wieder in zwei Spiegel zerfällt, die an den offengebliebenen Seiten ähnliche Vorsprünge schließen. Auch in's Innere der beiden Flügel hat diese einfach schickliche Eintheilung sich fortgesetzt. Von den obern Capitälern der Säulen, die in die großen Pfeiler der Vorhalle des Chores geblendet sind, liegt eine doppelte Verzahnung oben um die drei Wände jeder Capelle herum; um das dritte Stockwerk vom zweiten abzuscheiden; und eine ähnliche, von den mittleren Capitälern auf halber Höhe dieser Säulen, und auf gleicher mit denen, die am Eingange in die Abseiten des Schiffes stehen, sollte das zweite vom untersten trennen; während in die Wände eingelassene, unten pfeifenartig verlaufende Säulen, von oben nach unten jede der drei Wände in zwei Hälften theilten. So

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haben sich die ganzen, in großer Solidität schwer aufliegenden Würfelmassen, durch unten weit auslaufende, schief angelehnte, stämmige Widerhalter gestützt, überall an ihren Flächen in große, durch keine Verzierungen durchschnittene Steintafeln getheilt; und man hat gesorgt, daß sie auch nur durch sparsame Oeffnungen durchbrochen wurden. Das oberste Stockwerk ist an beiden Vorderseiten der Seitenflügel den beiden Rosen bestimmt; die gleich der am Münster von Basel aus kurzen, starken Speichen radförmig sich zusammenfügen; und über sich die dreieckten Giebel, mit einer kleinen Säulenstellung verziert, aufgerichtet tragen. An den Seitenwänden nehmen zwei kleine enge, rundbogige Fenster ihre Stelle ein, wie sie sich oben, an der westlichen Wand des südlichen Seitenflügels, noch erhalten haben; und wie sie schmäler und enger noch, obgleich vermauert, am Chore durch die innere Ueberweisung durchscheinen. Das mittlere Stockwerk war an der Vorderseite zwei ähnlichen Fenstern bestimmt, ist aber an den Nebenwänden mit großen runden eingetieften Bogen ausgefüllt. Das untere Stockwerk endlich wurde nach vorne, von den Portalen der großen Zugänge, die wie an den nördlichen noch unversehrt gebliebenen sichtbar wird, aus wenigen Säulen sich zusammensetzten, und oben durch einfache mit Laubwerk verzierte Bogen geschlossen waren, eingenommen; seitwärts aber öffnete es sich den verschiedenen andern Zugängen und Communicationen, und nahm östlich auch in Nischen Altäre auf. Oben aber war Alles mit hölzernen Tonnengewölben bedeckt, in der Mitte von einer großen aufgerichteten Säule getragen, seitwärts aber auf die Eckpfeiler und Pillaster gestützt; wie ihre Spuren, die sich unter dem jetzigen höheren Gewölbe, halbkreisförmig um die Quadern der Westseite des südlichen Nebenflügels, noch sichtbar ziehen, leicht verrathen.

Dies war die Gestalt der beschriebenen Theile der Kirche, so weit sie aus ihrem gegenwärtigen Zutande sich abnehmen läßt. Das Schiff aber war, wie Grandidier, entweder aus

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einer im Archiv vorhandenen Beschreibung entnommen, oder wie er in der alten Visirung des ersten Meisters ersehen, - die ehemals gleichfalls aus der Schaffnerei bewahrt wurde, jetzt aber unglücklicherweise verloren ist -, durch zwei Reihen wahrscheinlich viereckter Pfeiler, die bedeckte Gallerien trugen, der Länge nach in drei Abtheilungen getheilt, zu denen vorn drei große Eingänge führten. Altäre standen gegen die Enden der Abseiten; die mittlere Abtheilung aber war hinten durch einen Lettner geschlossen, und mit drei Thüren durchbrochen, einer größeren in der Mitte und zwei kleineren ihr zur Seite, die auf eben so viel Stiegen hinauf zum Chore führten; wo der Fronaltar unter einer von vier Säulen getragenen Kuppel sich erhob. Bei wahrscheinlich gleicher Länge wie die jetzige Kirche, an die überall Erwins Vorderseite sich nur anlehnt, hatte sie auch nahe gleiche Höhe; da die mittlere Abtheilung des Schiffes, bis über die äußerste Wölbung des Spitzbogens, am vordern Eingange der Vorhalle des Chores reichte; wo über der flachgetäfelten hölzernen Bühne, der Dachstuhl bis an die untere Verzahnung, die außen die achteckigte Kuppel umzieht, sich erhob. An hellen Tagen entdeckt sich das leicht, wenn man unten aus der Kirche zu der Wand über jenen Spitzbogen aufblickt; wo dann die Spuren des Endbalkens der Bühne und des darüber zu beiden Seiten aufsteigenden Daches, unter einem Theile jener Verzahnung, die bei der höheren Spannung der jetzigen Gewölbe in's Innere der Kirche gefallen, sichtbar werden. Auch die Abseiten hatten dieselbe Höhe, wie gegenwärtig; was bei der fortgesetzten Verhältnißmäßigkeit der Theile, schon als Folge aus den angenommenen Dimensionen jener mittleren Abtheilung, sich ergibt; außerdem aber seine Bestätigung in dem Daseyn eines äußeren Frieses gewinnt, das aus langschweifigen Drachen, sonderbaren Thiergestalten und Menschenköpfen mit Laubwerk grotesk verschlungen, ehemals offen zu Tage, in langem Zuge unter dem Dache der linken Abseite an der Wand hin, und um die Widerhalter derselben herumlief; hernach

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aber durch die Gewölbe der später angebauten Martinscapelle versteckt, erst kürzlich wieder gefunden wurde. Nach Zeichnung und Ausführung ganz in demselben Styl gehalten, wie er in den gleich grotesken Säulenköpfen der kleinen Altarhalle, in der alten Lorenzcapelle gleich daneben, sich kund thut; scheint es zu beweisen, daß der Theil des Gebäudes, dem es angehört, bald nach Vollendung jener Seitenflügel begonnen wurde; und also ursprünglich schon dieselben Dimensionen, wie gegenwärtig noch behauptete.

So stand das Werk, im Geiste der Zeit, die es hervorgebracht, gleichmäßig von einem Ende zum andern in seinem Sinn vollendet, ein Gegenstand der Befriedigung für alle Zeitgenossen; und es war dem fromnen, selbst viel bauenden Kaiser Heinrich, beim ersten Besuche so werth geworden, daß ihn die Lust anwandelte, dort für den Ueberrest seines Lebens zu Chor zu gehen; und er, als man ihn mit Mühe von diesem Vorsatze abgebracht, im sogenannten Chorkönig wenigstens einen Stellvertreter bepfründete. Zwei Jahrhunderte lang befriedigte es alle Ansprüche der folgenden Geschlechter, die in bescheidener Selbstbeschränkung kein Verlangen nach Größerem fühlten; bis endlich einem hochbegabten Geiste der wunderbare Fund gelungen, und ein neues Stufenjahr der Kunst herbeigekommen. Wie jene Aloe ganze Menschenalter hindurch zu schlummern scheint, indem Sommer und Winter an ihr vorübergehen, ohne daß sie in ihrem grünen Stachelpanzer ein merkliches Lebenszeichen von sich gäbe; dann aber, wenn ihre Zeit gekommen, in raschem Schuße und plötzlich mit Blüthen bekrönt ihren Stengel in die Höhe treibt; so ist es auch um den bildenden Geist in der Kunst gethan. Auch er scheint ganze Zeiträume hindurch sich einzuspinnen; dann aber, wenn er also in sich selbst beschlossen und gesammelt, zur rechten Schnellkraft herangewachsen, rüstet er sich mit einemmale loszuschlagen; und die Hüllen seiner Verpuppung durchbrechend, schwingt er plötzlich zu einer ungeahneten Höhe sich hinan. Ein solcher Durchbruch war denn auch jetzt, zum

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Erstaunen der Zeitgenossen eingetreten; aus der schlichten, ernsten, spröden, schwer und hart auftretenden alten Kunst, war eine neue, reiche, lebendig sprossend wie die Palmenwälder aus den Corallenriefen der Südsee hervorgeblüht. Kühnanstrebend und doch im Grunde wohlbefestigt; in den größten Massen leicht und lustig wie der schöne Baumschlag; alle Fülle des Stoffes durch die inwohnende Gewalt bezwungen, und sinnvoll und bedeutend von dem in die Formen verhüllten tiefsinnigen Geist geordnet: so gab sogleich sich kund, im Beginne seiner Wirksamkeit, der neu erwachte Bildungstrieb. Die geistige Macht, die hier so auffallend sich dargethan, konnte ihre Einwirkung auf die Gemüther nicht verfehlen; und wenn zuvor die Armuth aus der Noth eine Tugend gemacht, so schien dem plötzlich gewonnenen dankbaren Reichthum das Beste kaum gut genug, um das Haus des Herrn damit auszuschmücken. Und es breitete sich schnell ein neuer Eifer ins christliche Europa aus; jeder wollte die neue Kunst dem eigenen Haushalte gewinnen; und es begann nun für jene alten Münster, die man nicht von Grunde auf in der neuen Weise umbauen, sondern wenigstens, wie es beim Straßburger der Fall gewesen, ihr anähnlichen wollte, eine zweite umbildende Zeit, die die neue Art wie ein Propfreis zur Veredlung auf den alten Wildling setzte.

Die neue Bauschule übernahm diese Umbildung, wahrscheinlich in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts. Den Chor und seine Vorhalle scheint sie absichtlich nur wenig berührt zu haben; indem sie sich begnügt, an jenem allein die fünf oder sieben schmale enge Fenster, in drei große, geräumige nach ihrer Art verzierte, umzuwandeln. Sichtbarer fällt ihre Einwirkung im nördlichen Seitentheile des Kreuzes in die Augen. An der Vorderseite hat sie die alten Rosen in ihrer Form gelassen, und anfangs auch die rundbogigen Fenster blos erweitert, und mit Säulen und Verzahnungen über den Bögen, zu verzieren unternommen, wie am innersten Fenster der Westseite sichtbar ist; bald aber davon abgehend,

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hat sie allen andern die spitzbogigte Form gegeben, und sie in dem Maaße, wie die Arbeit fortgeschritten, immer reicher verziert. Da sie statt der alten hölzernen Decken Steingewölbe aufgelegt, und diese, bei flacherer Spannung, eine Erhöhung der Wände möglich machten; so hat sie diesen gewonnenen Raum benutzt, außen statt der alten einfachen Verzahnung unter dem Dache, eine dreifache anzubringen; unter der noch eine vierte Reihe, mit der Schärfe auswärts gekehrter Prismen, über den gewöhnlichen runden kleinen Bogenstellungen zieht; auf denen Allen dann nach oben das gothische Geländer, mit den Pyramiden in den Giebelecken, ruht. Innen hat sie gleichfalls allen Thüren und Zugängen die spitzbogigte Form gegeben; die Wandpilaster alle bis zum Grunde fortgeführt, und unten mit Fußgestellen, oben aber mit zierlichen Capitälern ausgestattet. Da durch die Erweiterung der Fenster nach oben und unten hin, das Verhältniß der drei Stockwerke ohnehin sich aufgehoben; hat sie auch durch die alten andeutenden Leisten und Verzahnungen sich nicht aufhalten lassen, sondern sie meist weggeschlagen; und sie in beliebigen Höhen mit Andern, aus zierlichem Laubwerke gewunden, ersetzt, oder sie auch gänzlich weggelassen.

Noch stärker und tiefer hat später ihre Umbildung in den südlichen Seitenflügel des Kreuzes eingeschnitten. Auch hier scheint an der Westseite, eine fortschreitende Einwirkung von innen nach außen, sich zu verrathen; da, in der hintern Tafel des obersten Stockwerkes, noch die alte Mauer mit zwei rundbogigten kleinen Fenstern, und darüber die vierfache Verzahnung mit den Bogenverzierungen sichtbar sind; während die vordere Tafel, wie man deutlich an den Verbindungsstellen mit der hinteren erkennt, völlig neu aufgebaut wurde; und darum ein spitzbogigtes Fenster und eine neue Verzierung. aus Eichenblättern zeigt, die auch die ganze östliche Seite entlang unter dem Dache hinzieht. Innen ist überall unverkennbar das Bestreben ausgesprochen, durch leitende

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Uebergänge die Zeiten und ihre Werke auf eine gefällige Weise zu verknüpfen; und also mit einer künstlichen Einheit die bunte, zerfallende Mannigfaltigfeit zusammenzuhalten. Darum ist die alte radförmige Rose in die zierlichere, aus zweimal acht concentrischen Kreisen, um einen mittleren hergestellt, verwandelt worden. Darum sind die Fenster spitzbogigt geschlossen, und in zierliche Gewande eingekleidet. Die runden, großen, flach in die mittleren Tafeln der westlichen Wand eingetieften Verzierungsbogen, sind jeder mit drei Spitzbogen unterbaut; die auf zierlichen, jetzt wieder ungeschickt vermauerten kleinen Säulchen, über einem gothischen Geländer ruhen.

Statt der einfachen Thüre, die, wie am andern Flügel, inwendig eine oben auf ihrem Gewölbe ruhende Mittelsäule trug; sind zwei Portale getreten, außen rundbogigt überwölbt, seitwärts mit Säulenlauben ausgesetzt; während nach innen zwischen den zwei Thüren jene große Säule bis zum Fußboden verlängert wurde, und mit ihr alle andern in den Ecken so wie jene, die die Wände theilen. Die vier aufgelegten Gewölbe werden zwar auch, wie die jenseits, von einer in der Mitte der Capelle aufgerichteten großen Säule getragen; aber diese Säule ist nicht einfach wie dort, sondern aus vier größeren für die Hauptgurtbogen der Gewölbe, und vier kleineren für die Querbogen zusammengekuppelt; während außerdem noch acht im Profile herausgewendete Kanten zwischen den Säulenstämmen vortreten. An ihr sind, in drei Ordnungen übereinander, aus Tragsteinen zwölf Bilder, immer je vier und vier, rund umher zwischen den größeren Säulen eingesetzt: Evangelisten und Engel des Gerichtes, mit dem Richter selber oben in der Höhe; jede unter eigenem Obdach, nach gothischer Weise, aber aus rundbogigen Elementen gefügt; und nicht mit Spitzsäulen, sondern mit kleinen viereckten, absatzweise abnehmenden Thürmchen überbaut, die eben so auch das äußere Portal verzieren. An diesem Säulenbündel, so wie an allen andern, die innen

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und außen bis hinauf in die Spitzsäulen in schlanken Formen sich erheben; sind die Knäufe nicht mehr jene alten, die an den in die Pfeiler der Vorhalle des Chors eingeblendeten Säulen noch unberührt geblieben: breite Massen, die nicht mit gewachsenem Blattwerke sich umlauben; sondern mit nach Art einer künstlichen Stickerei auf eine seltsame Weise mit Schnüren sich durchflechten. An die Stelle dieser ungefugen Formen sind wohlgestaltete, glockenförmige Knäufe getreten; an denen das geschmeidige Laub, zierlich nach außen gebogen, die Spitze in sich selbst einrollt; dem Auge ungemein gefällig, aber in ganz anderer Weise, als die spätern gothischen Gebilde derselben Art. Wie an diesen Säulen, so ist an der Construction dieses ganzen Seitenflügels der Uebergang des Romanischen in die neue Weise ausgedrückt; denn die ganze untere Hälfte ist in jenem Styl gehalten, geht aber in der oberen allmählich in die Spitzform über, während auch die nördliche Hälfte wieder älter als der südliche Anbau erscheint: So hat das Alte überall dem neu eingekehrten Geiste sich fügen müssen, der jedoch seinerseits wieder schonend, die Rechte alles wohlbegründeten Bestehenden, anerkannt; und indem in solcher Weise die Vergangenheit der Gegenwart freundlich entgegenkam, damit einer noch mehr gesteigerten Zukunft der Weg bereitet würde, ist aus diesem Zusammenwirken ein sehr erfreuliches Ganze hervorgegangen. Und der Meister, nachdem er vollendet hatte, sah daß gut war, was er gemacht; und erfreut über das Werk, das seine gleiche Meisterschaft in der alten wie in der neuen Kunst bewährte, gestattete er, daß sein Bild an der nordöstlichen Ecke der Capelle aufgestellt wurde: wie er, auf das Geländer gelehnt, mit prüfendem, scharf messendem Auge, und mit bedeutsamen Blicke an der Mittelsäule hinauf sieht. Es ist, ein ehrenwertes, kräftiges, wohl durchgearbeitetes, dabei gutmüthiges, ächt alemannisches Gesicht; das recht gut das von Erwin, seyn könnte, wenn die Sage nicht bei ihm verstummte, und man einmal glaublich gefunden,

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daß die Seinigen an einem Orte, der von dem seines eigenthümlichen Wirkens so fern abgelegen ist, sein Bild errichtet hätten. Doch war allerdings, auch zu seiner Zeit, die nachhelfende Verschönerung gerade an dieser Stelle sehr geschäftig; die Inschrift einer Bildsäule am Portale verkündete ausdrücklich, wie des Meisters kunstreiche Tochter Sabine sie geschaffen. Die schönen Basreliefe an diesen Thüren wurden wahrscheinlich um diese Zeit ebenfalls aufgerichtet, und an der Außenseite wohl noch Manches umgebildet. Selbst unter Hülz hatte die Emsigkeit an dieser Stätte noch nicht aufgehört; die gothische Füllung der östlichen großen Doppelfenster ist von ihm eingelegt, wie ihr Styl dem Kundigen auf den ersten Blick schon verrathen würde: wenn die außen aus ihrer untern Böschung eingehauene Jahreszahl 1447 es auch nicht betheuerte.

Jener Meister selber, oder ein Kunstverwandter seines Geistes, ist sofort zur Umbildung des Schiffes fortgeschritten. Wenn im Chore das Alte geflissentlich unversehrt geblieben, dann aber, im Fortschritt vom nördlichen zum südlichen Seitenflügel, allmählich das Neue sich vorgearbeitet; so sollte es hier nun ganz und gar als das herrschende Element erscheinen. Darum nahm der Meister jene zusammengesetzte Säule, auf der sein Auge so bedeutsam ruht, weil er in ihr den Keim und das Saamkorn erblickte, aus dem, wie er im Geiste voraussah, der ganze künftige Prachtbau sich entwickeln sollte; und indem er sie in ihren Elementen noch reicher und gefüllter zusammensetzte, flocht er aus ihren Verzweigungen die ganze kunstreiche Säulenlaube des Werks zusammen. Vier große Stämme, in seiner Ordnung in die Ecken des Säulenbündels gestellt, fassen wie dort je zwei und zwei einen Stamm mittleren Calibers zwischen sich; dem aber hier noch rechts und links einer vom kleinsten zur Seite steht, die daher auch sechszehn eng profilirten Pfeilerkanten Raum gestatten, sich vorzudrängen. Zwölf solcher Säulenbündel in der Mitte, und eben so viele Ausschnitte

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an den Wänden der Abseiten, hat er, statt der alten massigen Tragepfeiler, seinem Werke zur Stütze und zum Fundamente aufgerichtet. In den Gewölben aber knüpfen die Verästlungen also sich zusammen: daß von jedem Paare der mittleren Pfeiler, die gegenüberstehenden großen Ecksäulen, mit den beiden kleinsten vereint, die Ihnen zur Seite gehen, die gerade überlaufenden dreigliedrigen Schwibbogen des Gewölbes geben; während die zunächstfolgenden Säulen mittleren Calibers in ihren Verlängerungen, sich in den Zwischenbogen des großen Zwerggewölbes kreuzen. Und wieder müssen nach auswärts in gleicher Weise, die diesen entsprechenden Glieder der ganzen und der halbirten Pfeiler, mit ihren Fortsetzungen in den Gewölben der Abseiten sich begegnen; während die noch übrigen zwei zusammengesetzten Gliederungen am Mittelgange in die Spitzbogen sich zusammenschließen; die ihm entlang, den hohen Fenstern zur Unterlage, hinziehen, in den Seitengängen aber in die Gewände der untern Fensteröffnungen sich verlieren. Aus so wenig Keimen in so einfachen Linien gepflanzt, beim Wachsthum in so natürlichen Verhältnissen geordnet, und in ihren Fortsetzungen so kunstreich in einander verzogen; erwuchs ihm nun sein ganzer Säulenhain, auf demselben Grunde, wo der alte Tribocher Herkuleswald tausend Jahre früher gegrünt.

Aber neu war noch die Kunst, sie hatte durch vielfältige Uebung das kecke Selbstvertrauen und die rechte Kühnheit noch nicht gewonnen; die schwere Masse gab nicht so mit einem Male auf Gnade und Ungnade dem anstrebenden Gedanken sich gefangen; noch wollte die alte Gewohnheit so plötzlich aus dem Brauche sich verdrängen lassen. Darum geschah es, daß dieser unbekannte Meister, obgleich ein starker, gewandter Discuswerfer, doch nicht vermochte, gleich aus den ersten Versuch der schweren Wurfscheibe jenen im Fluge zugleich kräftigen, und in der Bewegungslinie zierlichen Schwung zu geben; daß sie in schön gewölbtem, weit

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gespanntem Bogen, zugleich zum höchsten Punkte steigt, und zum entlegensten gelangt. Beim Betrachten seines Werkes läßt sich nicht verkennen, daß ihm ein großes Verständniß seiner Kunst, und ein nicht gemeines Talent beiwohnte. Die Disposition des Ganzen ist untadelhaft; kleine Unregelmässigkeiten, die ja mit unterlaufen, sind auf eine geschickte Weise dem Auge entzogen und versteckt; und wie die Anlage groß und edel, so erscheint auch die Ausführung in ernster Strenge gründlich und gewissenhaft. Aber die Formen drückt auch fühlbar eine gewisse nachwirkende, oder auch freiwillig übernommene Schwerfälligkeit; die an den ältesten Theilen am sichtbarsten, sie noch gewaltsam an der Erde niederhält, und der sie sich in den jüngsten kaum ganz entwinden. Da, nach der Natur der Sache, die äußere Wand der Abseite zuerst geordnet, und dann erst auf den großen Pfeilern die Bogenbrücke durchs Schiff geschlagen wurde, den höheren Seitenwänden, an die die Reihe zuletzt gekommen, zur Unterlage; so sind jene ersten Incunabeln des Werkes natürlich in ihren Formen auch die befangensten, über ihr Recht hinaus, und läutern sich dann erst ganz allmählich bis zu den höheren Gewölben hinauf. Darum sind die Fenster jenen Abseiten gegen die Höhe allzubreit, in ihren Verhältnissen daher gedrückt; in ihrem stumpfen Bogenschlusse weniger gefällig: Füllung und Gewände schwer und fett und massig, das Ganze dem Style der Glasmalereien, die sie umschliessen, völlig entsprechend. Noch stärker und mehr ungeschlacht drängt die Masse, in den schweren, kurzen, wenig durchbrochenen Spitzsäulen, auf gleichen Untersätzen und Wiederhaltern vor; und es hat dem Uebelstande wenig nur begegnet, daß man hinter den drei vordersten später, zur Verstärkung des niedergehenden Druckes, höhere Gibel aufgerichtet. Auch die äußeren Strebebogen, mit einer kleinen Rose nur burchbrochen, können diesen Eindruck allzu großer Wucht der niederziehenden Masse nur verstärken. Weit freier und fröhlicher erheben nach innen sich die Pfeiler und die

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Bogen; der alte herbe Styl, der das Unterholz zu ihren Füßen in unansehnlichern Formen niederhält, hat höher hinauf, im heitern Sonnenscheine des treibenden Kunstgeistes, Läuterung und Zeitigung gewonnen; und so sind sie in einer vollkräftigen Vegetation freudig über jene dumpfer beschattete Region hinausgestiegen, um oben im Wipfel in die bunte tropische Blüthenpracht der Fenster sich auszuthun. Dieser Theil des Werkes besitzt Alles, was schön und groß und edel ist; nur das Schönste in dem Schönen, der eigentliche Silberblick der Kunst, ist ihm allein versagt geblieben; weil die Masse noch als eine letzte Schlacke, im Reste allzu großer Stämmigkeit der Säulen und Verzagtheit in den Bogen, die durchbrechende Begeistigung trübend überdeckt. Im Jahr 1275 hatte der Meister sein Werk unter Dach gebracht, und war nun abgetreten.

Immer noch fern von der Vollendung war der Bau; denn die Vorderseite war noch unberührt geblieben, und mit ihr und den Thürmen fehlte dem Ganzen Schluß und Harmonie. Dem stets wachsenden Eifer der Bauherren, und ihren immerfort gesteigerten Ansprüchen an die Kunst, fügte sich aber ein gleichmässig vorwärts strebender Bildungstrieb in ihr glücklich an; und als nun ein glücklicher Stern dem Werke, in Erwin von Steinbach, den größten Meister zugeführt, den diese Zeit und die nach ihr kommenden gesehen; da wanderte in seinem Gefolge die neue Kunst, in ihrer ganzen Pracht und Herrlichkeit in diesen ihren Tempel ein. Mit ihm endet jene zweite umbildende, und zugleich in ihren Kunstbestrebungen stets wachsende Zeit; und die nun beginnende dritte des fröhlich blühenden Styls, stellt frei und frank ohne alle Mischung und Uebergänge ihre Werke hin. Der Meister legte seine Entwürfe vor, die, wie wir gesehen, noch vorhanden sind; und als diese gebilligt wurden, schritt man sofort zur Ausführung. Im Jahr 1277 am St. Urbanstage legte er, 27 Schuhe tief unter der Erdoberfläche, den Grund zu seinem unsterblichen Werke; und es wuchs unter

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seiner Leitung, und der Sorge des Bischofs Conrad rasch und gedeihlich auf; so daß bis zum Jahre 1291 das unterste Stockwerk, mit den drei Portalen, bis zu den Standbildern der Könige hinauf, vollendet war. Als die Arbeit nun sofort ins zweite Stockwerk voranschritt, und nach dem Verhältniß zu schließen, wie sie früher sich gefördert, nicht viel über die Hälfte der großen Rose gelangt war; erhob sich 1298 jener furchtbare Brand, der, nachdem er die Theile der Stadt um die Kirche her verzehrt, zuletzt auch die Gerüste der Arbeiter ergriff; und von da aus den Dachstuhl, die Bühne, und alles, was brennbar in der Kirche war, verzehrte; und durch die Gewalt der Hitze viel Steinwerks und Gezierde an Wänden, Pfeilern und Säulen spengte. Der frühere Meister hatte, wie Specklin berichtet, die Kirche noch nicht mit Gewölben überdeckt; sondern nur mit einer hölzernen Bühne sie geschlossen, wodurch das Feuer überall freien Zutritt gewonnen. Erwin, nachdem er die Muthlosigkeit der Bauherrn bezwungen, die das Werk beinahe rückgängig gemacht; wußte das Unglück bald in den Vortheil des Baues zu wenden, und stellte, nach den Worten der Aufzeichnungen, das Versehrte besser und schöner wieder her, als es je zuvor gewesen. Specklin sagt ausdrücklich: von ihm rührten die obern Fenster mit dem  U m g a n g  her; und in der That diese Fenster sind den untern so unähnlich, daß man sie nicht wohl demselben Meister beilegen kann; und in ihrer Art so gut und trefflich und großartig angelegt und ausgeführt, daß sie gar wohl Erwins würdig sind, der bei dieser Gelegenheit wohl auch die Veränderungen am südlichen Seitenflügel des Kreuzes vorgenommen. Da die neu aufgelegten Gewölbe, nur wenig unter der alten hölzernen Decke, mit dem Fuße ihrer Schwibbogen auf den großen Pfeilern ruhten, um von da aus in bedeutender Erhebung anzusteigen; so benutzte er in diesem Falle den bedeutenden Raum, den sie nach oben zwischen ihren Schenkeln faßten, um die Fenster in ihn zu erweitern; und ihnen also jene hohen, edeln Formen mitzu-

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theilen, daß sie wieder zum leitenden Tone, aus dem alten Werke in seinen Bau, dienen konnten. Auch die Mariencapelle beim Lettner hat er 1316 aufgerichtet. Dieser Lettner war ein zierlich Werk aus schlanken, durch Spitzbogen verbundenen Säulen, und schön durchbrochenen Giebeln, abwechselnd mit wohlbelaubten Spitzsäulen componirt; reichlich mit Bildsäulen besetzt, und oben durch ein leichtgeschnittenes Geländer wohl geschlossen und begränzt. Während der alte Lettner der ersten Kirche, an dessen Stelle er getreten, in drei Pforten gegen den Chor geöffnet war; erschien an diesem die mittlere, größere, zugebaut, und statt ihrer erhob sich, in der mittelsten Halle des Werkes, der Marienaltar; in den Urkunden auf der Schaffnerei der  F r ü g e, d. i. Frühaltar genannt, weil die erste Messe frühmorgens an ihm gelesen wurde. Er wurde zugleich als der eigentlich städtische Altar betrachtet, und da ihn eine päpstliche Urkunde vom J. 1252 auf alle Zeit von jedem Interdict befreit; so erweist sich, weil am alten Werke kein Altar an dieser Stelle Raum gefunden, daß der neue damals schon vorhanden, und mit dem Lettner wahrscheinlich nicht lange vorher, also vom Meister des Schiffes, errichtet worden. Er war also kein Werk Erwins; und da er, von dem großen Gewölbebogen der Kuppel geschützt, den Brand überlebt; fügte ihm nun der Meister seine Capelle an, die den ersten Pfeiler des Schiffes links umfassend, in leichten Formen sich erhob; und oben am Geländer in großer gothischer Schrift den englischen Gruß enthielt. Und wie er also innerlich für die Zierden der Kirche sorgte, so hat er auch äußerlich in aller Weise sie geschmückt. Außen über den großen Fenstern fügte er schön durchbrochene gothische Umgänge bei; gleiche zogen auch oben sich um die achteckigte Kuppel hin, und indem er über ihnen acht spitze, mit Rosen künstlich ausgesetzte Giebel ausgerichtet, die durch eben so viele Dächer mit einem kleinen Mittelthürmchen sich verbanden; erhielt das Ganze die Gestalt einer Bischofsmütze, die diesen Theil des Gebäudes aufs füglichste be-

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gränzte. Erwin durch alle diese Zwischenarbeiten vielfältig beschäftigt, konnte dem Hauptwerke natürlich nur getheilte Sorgfalt zuwenden; und da es also nach dem Brande schwerlich, mit dem gleichen Triebe wie vorhin, fortgewachsen, so hat er bis zu seinem Tode, der 1318 erfolgte, schwerlich das ganze zweite Stockwerk vollenden können.

Ihm folgte als Werkmeister sein Sohn Johannes, neben der Schwester nicht der einzige Künstler in dieser kunstreichen Familie. Denn ein anderer Bruder, der um 1330 gestorben, hat die Stiftskirche von Haselach, wie seine dortige Grabschrift meldet, gebaut; oder vielmehr, wie ihr Ansehen zu verrathen scheint, nur umgebaut; und nach Johannes Müller rührt auch von ihm her, was am Berner Münster diesseits des Jahres 1321 entstanden ist. Während Johannes des Vaters Werk in seinem Entwurfe, und dem aus ihn vererbten Geiste, weiter führte; gab er auch den Beweis einer selbsttthätig hervorbringenden Kraft an der Katharinencapelle, die er 1331 dem .Bischof Berthold an der südlichen Abseite des Münsters angebaut. Schöne, hohe, schlanke Fenster, innen mit gefälligen Bildern in zarten, süßen Farben ausgesetzt, die gleich einem lieblichen Marienbilde aus ihrem Glaste tönen; außen mit wohlgeschnitzten Giebeln überbaut, zwischen denen auf schmalen Widerlagen leichte Spitzsäulen sich erheben; so ist diese Doppelcapelle eingerichtet, eine anmuthige Idylle dem größeren, ernsten Kirchengebäude angeschlossen. Nur die Gewölbe stören in etwas den Gesammteindruck des Ganzen; da im sechszehnten Jahrhundert, als die alten höheren, von denen noch einige Bogen oben unter dem Dache an den Pfeilern stehen geblieben, schadhaft geworden, Specklin ein neues, allzu künstlich verschränktes, und dabei die Spitzbogen der Fenster mit seinen Schenkeln blendendes aufgelegt. Am Hauptwerke aber hat der junge Meister, das zweite Stockwerk mit der Rose, soweit es der Vater unvollendet zurückgelassen, bis zum Ende fortgeführt. Er hat dann im dritten den südlichen, oder Könighovens alten

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Thurm, bis zur obern Galerie am Wächterhause hinaufgetrieben; und auch am nördlichen oder neuen Thurme den Fortbau, bis auf eine bedeutende Höhe hin, gefördert; aber ihn nicht bis zum Schlusse fortgeführt, da sein Tod, der 1339 eingetreten, dem Nachfolger die Vollendung, im Jahre 1365, zugetheilt. So war durch den alten und den jungen Meister, und wer sonst nach ihren Ideen sich fügend den Faden weiter fortgesponnen, binnen sechzig und mehr Jahren das unsterbliche Werk gegründet worden; und sie konnten mit mehr Recht, als der Meister von Bern, oben auf die Zinne die stolzen Worte schreiben: thu mir's nach! Jener Silberblick, der früher bei noch ungarer Masse immer nicht erscheinen wollte, war nun glücklich aus ihr aufgeblitzt; und dies ihr Werk in seiner Speißung wohlgemischt, in allen seinen Formen wohlgelungen, tönt nun wie eine im Gusse glücklich gerathene Glocke, überall, wo man es anzuschlagen versucht, die innere Harmonie seines ganzen Wesens in Wohllaut aus: Ein Kunsterzeugniß, wie ohne Makel so auch ohne Tadel, steht es ein Siegesmal dem Geiste aufgerichtet; der nun ganz und völlig der Masse Meister geworden, daß sie gänzlich ihrer alten Widerspenstigkeit entsagend, in Allem folgsam und willfährig dem Gebieter sich erweist, und seinen Ideen in ihrem Fluge folgt ; als habe sie mit der angeborenen Schwere auch die Trägheit abgelegt, und scheue nun geflügelt nicht ferner mehr zum Höchsten hinanzusteigen.

Nach dem Hingange beider Meister ist, wie es scheint, eine Pause in der weiteren Förderung des Werkes eingetreten; ob man gleich nicht sieht, was in den zwar unruhigen Zeiten doch insbesondere die nähere Veranlassung dazu gegeben. Sicher aber ist, daß man in dieser Zwischenzeit über die Fortsetzung andern Raths geworden, und von Erwins ursprünglichem Plane abzugehen beschlossen hat. Dieser Plan war, harmonisch mit den Dimensionen des schon vorhandenen Gebäudes, nur auf ein Werk mittleren Umfangs, und

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diesem entsprechender gemäßigter Höhe der Thürme berechnet worden; so daß die Ausführung mit drei Menschenaltern füglich sich bestreiten ließ. Darum sollte, wie Boisseré richtig vor dreißig Jahren schon erkannt, die Vorderseite nur zwei Stockwerke erhalten, die auf der Höhe der Rose endeten; dann aber die Seitentheile des jetzigen dritten, als Anfang und Untersatz der Thürme, in die Höhe steigen; die nun nach Art des Freiburger, in eine durchbrochene Pyramide zu enden die Bestimmung hatten. So lange Johannes lebte, war man diesem Plane getreu geblieben; und er hatte darum, die jetzt verdeckte nördliche Seite des südlichen Thurms, mit allen ihren Verzierungen bis auf die Rosetten unter der obern Gallerie, völlig so sorgfältig ausgeführt; als ob sie wie es jener Entwurf verlangte, immerfort dem Auge ausgesetzt zu bleiben die Bestimmung hätte. Eben so hat man noch an der südlichen Wand des nördlichen Thurmes, bis etwas über eines Mannes Höhe, verfahren; von da an aber die gleiche Ausarbeitung der weiter hinauf liegenden Verzierungen als völlig unnütz aufgegeben. Denn, ermuntert durch den bisherigen guten Fortgang der Arbeit und die Pracht des Werkes, und voll frischen Muthes für die Fortsetzung, hat man, sich selbst überbietend, die Ansprüche bis zum Colossalen fortgesteigert; und so Erwins ursprünglichen Plan als allzu enge und ungenügend aufgegeben. Darum beschloß man: jene Untersätze beider Thürme durch ein Mittelwerk zu einem neuen Stockwerk zu verbinden; und über diesem dann erst die beiden Thurmpyramiden, bis zu einer von der Kunst noch nie erstiegenen Höhe, hinaufzutreiben. In folge dieses neuen riesenhaften Entwurfes beendigte man daher, von 1386 ab, jenen nördlichen Untersatz; und nachdem man ihn, es ist nicht abzusehen, aus welchem Grunde, einige Fuß höher als den südlichen hinaufgeführt; verband man beide durch das Glockenhaus: eine gewaltige, feste, aber nur sehr sparsam durchbrochene und verzierte, und darum schwerfällig aus Quadern gethürmte Masse, die oben mit

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Gallerien umfaßt, in die Plateform auslaufen sollte. Der Erbauer dieses Verbindungswerkes ist wahrscheinlich jener Werkmeister aus Schwaben, von dem die Reimchronik, verwechselnd die Vollendung der Untersätze des Thurmes mit der des Thurmes selber, sagt: ungebauen blieb des Helmes Obertheil am Werke, bis man Einen aus Schwaben bracht, ward nun vollendt das Wunder. Dieser Meister, der  n a c h  Hülz, wo man die Folge aller Werkmeister genau kennt, keine Stelle findet; muß daher wohl hier eingeordnet werden. Er ist vielleicht jener Nicolas von Lohr oder Ulrich von Ensingen, von denen der jüngere Heckler redet; und ihm ist alsdann die Vollendung des sogenannten alten Thurmes, und der Bau des Glockenhauses beizulegen.

Dieser Bau, in dem die bezwungene und niedergekämpfte Masse, noch einmal siegreich vom Grunde aufgestiegen, kann füglich als eine eingeschobene anomalische Bildung an die Scheide der Zeiten treten; wo die dritte blühende Kunstperiode in eine vierte, von äußerlich und technisch noch rüstig vorschreitender Kraft, aber von innerlich stets mehr und mehr sinkender Energie in den Hervorbringungen übergeht; und die alte Großartigkeit in allmählich zunehmende kleinliche Verkünstlung sich verliert. Diese neue, vierte Zeit beginnt daher, als man nach Specklins Ausdruck, nachdem jene Vorarbeiten beendigt waren, lustig auf die vier Schnecken zugefahren; aber nicht unter Leitung des Hülz, wie er irrig dort hinzusetzt, sondern wahrscheinlich der beiden Jungherrn von Prag; deren Namen Pr. Schweighäuser der Jüngere, bei Gelegenheit seiner vielfältigen, der Kunst wie der Wissenschaft gleich ersprießlichen Forschungen, an einer andern bisher übersehenen Stelle in seinen Handschriften aufgefunden, und die auch unter dem Namen Pragenses bei Guillomann vorkommen. Ihnen muß daher Grund und Aufriß des Achtecks, mit jenen Schneckenstiegen bis zum Helme, zugeschrieben werden, die beide noch gegenwärtig vorhanden sind. Nicht unwerth ist dies Werk der Brüder der Unterlage, auf der es kühn und

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lustig, in allen Richtungen durchbrochen, und doch in dem, was an ihm körperhaft geblieben, fest gefügt, kräftig ausstrebend, und in allen größeren Formen dem Auge wollgefällig, sich erhebt. Aber im Einzelnen läßt sich nicht verkennen, wie der Geist seines gewonnenen Sieges stolz, und nun sich überhebend, bereits seine Herrschaft, wenn auch Anfangs nur leise, zu mißbrauchen beginnt; und üppig in Seltsamkeiten und Künsteleien sich gefallend, indem sein Werk räumlich immer weiter in die Höhe steigt, nach allgemeinen Naturgesetzen in Wahrheit immer tiefer sinkt, und die Kunst mit sich in die Tiefe zieht. Schon an der unteren Thüre findet sich statt des gewöhnlichen Spitzbogens die umgekehrte Accolade; wo sonst die Bogenlinie erhoben nach aufwärts die abgegränzten Räume schloß, kehrt sie nun nach unten die Wölbung hin; und indem am Berührungspunkte die Schenkel sich durchkreuzen, nach oben in Gestalt einer zweiten umgekehrten Hyperbel sich verlängern, und wieder mit andern ihnen entgegenkommenden sich vielfältig verflechten; entstehen die Verschlingungen gedrückter Bogen, die zwar vollkommen kunstgerecht, doch mißfällig, wie sie durch ihre Verschränkung und Verschnörkelung dem Auge sind, nie ein alter Meister sich erlaubt, herrschend sind hier. Die größere Magerkeit der Verzierungen; die kürzeren stumpfen, gedruckten Lilien an den Endigungen der Bogen; die Untersätze der Bilder, in aus einander geflochtenen knotigten Aesten; die kleinen gewundenen Säulchen, die schon ganz unten zu erscheinen beginnen: Alles bezeichnet einen sinkenden Styl, und eine Kunst, die, nachdem sie das Höchste erreicht, in leiser Umbeugung wie ein springend Wasser sich dem Rückfall wieder entgegen wendet. Und eben weil auf dieser Stufe nicht mehr die Kunst, den mit Besonnenheit sich hingebenden Künstler, ergreift, und besitzt; sondern dieser in steter Anstrengung der Kunst sich zu bemeistern strebt: darum drängt sich nun auch gern die Person aus dem Kunstwerk vor; und so erscheinen hier auch zum erstenmale die Zeichen der Werkmeister, von denen keine Spur weder am Werke

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Erwins, Vater und Sohn, noch an dem älteren Körper der Kirche sich vorfindet. Ja, jene beiden Figuren über der Thüre des Thurmes, die man gewöhnlich für Erwin und seinen Sohn gehalten; möchten wahrscheinlicher den beiden Brüdern, Urhebern des Baues, an dem sie gefunden werden, angehören; und in diesem Falle mehr Wahrscheinlichkeit darbieten, daß sie den Urbildern ähnlich sehen, als wenn sie die älteren Meister vorstellen sollten, die längst gestorben, als sie errichtet wurden. Ihr Unternehmen aber, nachdem 1384 durch einen abermaligen Brand das Dachwerk bis zum Chore hin zerstört, begonnen, scheint gegen das Ende des vierzehnten Jahrhunderts seine Vollendung erreicht zu haben; da gegen 1404 der Balierer des Werkes, C. Frankenberger, der Kirche das sogenannte traurige Marienbild, ein Werk der beiden Brüder, wahrscheinlich in Gemäßheit ihres letzten Willens, verehrt; wo es dann in einer eigenen Nische der Verehrung ausgesetzt wurde, die noch jetzt, obgleich vermauert, mit der alten Inschrift am Anfange der linken Abseite, am nordöstlichen Pfeiler des Thurmes sichtbar ist.

Die Zeiten liefen in ihrer Strömung weiter, höher stieg das Werk, tiefer aber sank die Kunst. Denn das Aufwärtsstreben des Geistes hat seine Gränze, und die willfährige Dienstbarkeit der Natur ihr Maaß; ist jener einmal erst zum Stillstand gelangt, dann übt diese ihr altes Recht, und hängt all ihre Trägheit und all ihr Gewicht an den Ermüdenden, um ihn wieder hinabzuziehen. Peter Hülz übernahm nun das Werk an der Stelle, wo die Vorgänger es gelassen. Da wo der Helm sich dem untern Achtecke einfügt, wo die Bilder der zwei Schutzheiligen des Gewerkes sitzen; wo sein Zeichen, das Dr. Schweighäuser zuerst bei Specklin entdeckt, an drei Treppen zuerst sichtbar wird; und wo eine kleine Figur mit einem Sacke auf dem Rücken, wahrscheinlich sein Bild seyn soll, dort beginnt sein Wirken und sein Theil. Auch er ist noch ein wackerer Meister; sein Entwurf ist kühn, sinnreich, wohl durchdacht, und kunstfertig und tüch

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tig ausgeführt, aber ihm fehlt die alte Einfalt. Von Italien aus hatte eine verwandte Kunstweise, zu seiner Zeit und früher, über das südliche Teutschland sich verbreitet; Venedig insbesondere hatte in ihr als Vermittlerin zwischen dem Orient und Occident gestanden; und Augsburg und andere Südstädte auf der Handelsstraße den Norden mit ihr bekannt gemacht. Ihrer Einwirkung konnte der Kölnische Meister sich noch weniger als seine Vorgänger verschließen. Als er daher seine Säulen wie Basalte in vielen großen Stufen zu einer Riesenstiege übereinander gewälzt, hatte er allerdings einen großen Gedanken großartig aufgefaßt; als er aber spielend diese Massen mit einem Netzwerk von Carniesen, dessen Fäden sich vielfältig in verschobenen, viereckten Massen kreuzen, überwarf und zusammenfügte; brach er selbst, indem er das Große durch mißfällige Künstelei verhüllte, den Eindruck, den es sonst durch sich selbst gemacht. Inzwischen war es ihm doch beschieden, ein Werk, das so viele Geschlechter durch so manche Jahrhunderte betrieben, nicht zwar seinem gänzlichen Schlusse, aber doch dem Punkte zuzuführen, wo es abgebrochen wurde. Nachdem er seinen ursprünglichen Plan in der Ausführung selbst abgeändert hatte, dadurch, daß er am Ende der acht Stiegen, das ursprüngliche Achteck, weil die zunehmende Verengerung nicht ferner mehr seine Fortsetzung erlauben wollte, in ein Viereck umgewandelt; setzte er nach Vollendung der vier Stiegen die Laterne mit der Krone auf; und schloß endlich auf einer Höhe, die man nach allen den Veränderungen, die seit seiner Zeit mit dem Gipfel des Helmes vorgegangen, nahe 437 Pariser Fuß gefunden, die wundersame Pyramide dieses Thurmes. Die vier Spitzsäulen aber, die nach seinem Entwurfe die vier großen Schneckenstiegen krönen sollten, hat er wahrscheinlich zu vollführen unterlassen; weil er sich überzeugt, daß sie der Spindel allzu nahe gerückt, in den meisten Ansichten ihrem Gesammteindruck, der ohnehin schon in der Zeichnung besser ist, als in der Wirklichkeit, nur nachtheilig gewesen wären.

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Nachdem er geendet hatte, wurden oben in der höchsten Spitze, da wo über der höchsten Krone, die letzten Steinmassen des Thurmes, unter dem Kreuze innen in einen spitzigen Winkel zusammenliefen, zwei Schlüssel, mit den Anfangsbuchstaben, wahrscheinlich der Führer des Werkes, bezeichnet, aufgehängt; um damit auszudrücken: daß nun der Bau zu seinem Ende gekommen, und der Meister, nachdem er ihn beschlossen, davon gegangen.

So war 1439 unser Frauen-Werk vollendet, oder vielmehr, man begann, ermüdet von so vieljähriger Anstrengung, nahe beim Ziele davon abzulassen. Denn der bildende Geist, auf jene Höhe gelangt, fühlte seine Kraft erschöpft; wie in jenem physikalischen Kunststücke war er in der letzten Periode, nur scheinbar dadurch höher gestiegen, daß er in Wahrheit herabgefallen; jetzt that er noch oben auf dem Gipfel einige Flügelschläge der Freude über das gelungene Werk, und stürzte sich nun in die Tiefe. Denn es nahten jetzt die Zeiten, wo die Kraft, von ihrer bisherigen Bahn abweichend, für ihre Hervorbringungen ganz andere Richtungen einschlagen sollte. Alle geistige Vegetation, die seither nach der Höhe zum Ueberirdischen gestrebt, sollte jetzt unten an der Erde fester sich bewurzeln, und in vielen Trieben und Sprossen eines dichten Unterholzes sie begrünen. Darum lösten sich die großen Kräfte, die zu solchen Werken viele Geister in enger, willigen Gemeinsamkeit gebunden; und indem jeder nun nach eigenem Wohlgefallen seines Weges, nach eigenen Zwecken ging, gab die Vielartigkeit dieser Richtungen allerdings das Schauspiel einer großen Regsamkeit; aber das innere höhere Leben erstarrte, wie das Aeußere bewegter wurde, und nichts Gesammtes mochte mehr zu Stande kommen. Denn wo jeder klügeln und vernünfteln, keiner aber mit der That eingreifen mag; wo jeder gebieten, keiner gehorchen will, da kann aus vielen einzelnen Wesen nimmer ein gemeines Wesen werden. Um jedoch das Gespenst eines solchen hervorzubringen, sah man nach und nach zu jenem

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scheußlichen Mechanism sich gedrungen; der, indem er die rinnenden und sprudelnden Quellen des Lebens im Volk verschüttet, und an ihre Stelle seine künstlichen Zuleitungen aus stets dürstenden Cisternen setzt; der Ruin alles Großen, Edeln und geistig Uebergreifenden geworden; zugleich aber auch die Kette, an der ein entartetes Geschlecht seine Erbärmlichkeiten büßt. In diesem ist dem Baue dann seine fünfte Zeit herangekommen, die anfangs noch in aller Tüchtigkeit nachwirkend Einzelnes gebaut; bald aber durch die hemmenden Kräfte mehr und mehr geirrt, zum gänzlichen Stocken kömmt; und endlich in ihr Gegentheil umschlagend, durch alle Grade allmählicher Auflösung bis zur wüthendsten Zerstörung sich verirrt. Was die nachhaltende Hervorbringungskraft der früheren Zeit, am Anfange dieser, noch gewirkt, hat meist in kleineren Zusatzbauwerken, in Nachbesserungen und Auszierung des Innern sich gefallen. So hat Jost Dotzinger von Worms, Wiederhersteller der Brüderschaft der freien Männer, und Nachfolger des Kölnischen Meisters, der 1449 gestorben, im Jahr 1453 ganz im Style desselben den Taufstein angefertigt; 1455 aber setzte er den Chor mit Quadersteinen aus, und schmückte wahrscheinlich bei dieser Gelegenheit die großen Fenster desselben mit gothischen Füllungen, gleichen Gewändern und Glasgemälden aus; 1459 legte er endlich unter einem erneuten Dachstuhl neue Gewölbe, an der Stelle der alten schadhaft gewordenen, dem ganzen Schiffe auf. Johann Hammerer, der ihm 1474 als Werkmeister gefolgt, baute 1485 die Kanzel; und 1488 das neue Archiv außen an die südliche Abseite angelehnt; jene ein kunstreiches, wohl gedachtes, fleißig ausgeführtes, dieses ein festes, seinem Zwecke wohl entsprechendes Werk; beide aber im zunehmend künstlichen Style angelegt. Gleichzeitig aber errichtete er unten im Chore einen Umgang aus Säulen und Bogenstellungen, und ließ seine Gewölbe, im byzantinischen Malerstyle, oben mit dem jüngsten Gerichte, tiefer unten mit den Bildern der alten Propheten übermalen. Im Jahre 1489 wurde die große Orgel,

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ein schön geschnitztes, reiches, prachtvolles Werk des Friedrich Koebs von Anspach, mit gemalten Doppelthüren, an die Stelle der alten aufgerichtet. Jacob von Landshut, der 1494 das Werk übernahm, hat im gleichen Jahre den Grund zu dem neuen Portale, am nördlichen Seitentheile des Kreuzes, gelegt, das nach seinem Tode erst geendet worden. Die Verkünstelung hat hier ihr Aeußerstes erreicht; nach oben und nach unten hohle Bogen, wie Schnüre behandelt, verflechten sich in allen Richtungen durcheinander, wobei zwischendurch auch der byzantinische Bogen wieder ungerufen hervorspringt; die steinernen Nebenäste sind wie an Stacketten aufgezogen, und zierliche Rosenzweige in voller Blüthe, sind mit vieler Galanterie an schicklichen Stellen darüber hingestreut. Gleichzeitig wurde 1501 statt des alten Altares ein neuer aufgerichtet; ein künstlich Schnitzwerk, mit vielen Geschichten aus dem Leben der heiligen Jungfrau, in einer Blätterlaube eingefügt; ein Werk, so viel man aus den Zeichnungen ersieht, nicht ohne Verdienst. Im Jahr 1516-20 wurde endlich die Martinscapelle, vom Werkmeister Conrad Wagt, in einem der Zeit geläufig gewordenen, nicht übeln gothischen Currentstyl schlecht und recht aufgeführt; damit war die positive Reihe der Hervorbringungen an diesem Werke völlig geendet; und es begann sofort die Negative der Zerstörungen, die es sich gefallen lassen mußte.

Nach vielem Getümmel, dessen Zeuge das Münster seyn mußte, kam die Reformation in den Besitz der Kirche. Sie hat den Chor geschlossen; die Bilder, Grabmäler und Inschriften als ärgerliches Götzengeräthe weggeschafft; ein halbes hundert Altäre niedergerissen, und dafür einen neuen Altartisch vor dem Lettner aufgerichtet; die Säulengänge in den Abseiten unschön mit hölzernen Gestühlen verkleidet; die aufgehängten im Kriege erbeuteten Fahnen, und die Eitelkeit der Welt in den bunten Wappen der Geschlechter: Alles hat weichen müssen, und einige biblische Sprüche verkündeten dann vom Chor herab die vollbrachte Reinigung. Das Alles

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war der puritanische Eifer und zum Theil die Narrheit der Zeit; sonst aber, obgleich die neue Confession nahe anderthalb Jahrhunderte, nur durch das zehnjährige Interim unterbrochen, im Besitze des Gebäudes geblieben, muß man ihr das Zeugniß geben, daß sie wesentlich nichts am Körper des Werkes versehrt; vielmehr mit gleicher Sorgfalt, wie es ehemals geschehen, für die Erhaltung desselben gewacht und gehandelt hat. Denn noch hielt man es nicht für tugendhaft, ein Haus Gottes in ein Raspelhaus umzuwandeln; noch war die ungemeine Entdeckung schon gemacht, durch Niederreißung alter Kunstgebäude der Städte leere Plätze zur Verschönerung zu gewinnen. Erst 1681, als, bei der Vereinigung Straßburgs mit Frankreich, die Kirche den Katholiken zurückgegeben wurde, begannen die Zeitläufte dem Gebäude selbst gefährlicher zu werden. Ein barbarischer Kunstgeschmack, wie er damals gang und gäbe war, wurde auch hier, da im Tumulte vieljähriger Religionskriege, die alte Ueberlieferung gänzlich ausgegangen, willig aufgenommen; und übernahm es herablassend, die rohe Ungeschlachtheit dieser Werke finsterer Jahrhunderte, zu verfeinern, und zarterem Geschmacke genießbar zu beizen und umzuschaffen. In der besten Absicht zu verschönern, und nun erst dem Bau die Krone aufzusetzen, wurde daher von Seiten der Bauherren übel in ihm gewirthschaftet; und am meisten der Chor mußte diesen falschen Bildungstrieb hart empfinden. Der geschnitzte Altar des Niclas von Hagenau konnte zunächst vor dem abgefeimten neuen Geschmacke keine Gnade finden; er wurde daher weggebrochen und zur weiteren Verzettlung aufs Land gegeben. An seiner Stelle aber errichtete nun 1685 der Bischof Egon von Fürstenberg, im damaligen römischen Kirchenstyle, nach Fremery's Zeichnung, ein Kunstgebäude aus Marmor, vergoldetem Holze, Säulen, Guirlanden und Posaunenengeln; ein Musterwerk des Ungeschmackes, aber im Lande damals als ein Wunder der Welt geachtet. Um die Pracht und Herrlichkeit nun den Andächtigen zur Schau zu legen, mußte

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der schöne Lettner weichen; von dem nichts als ein altes, wohlgezeichnetes, aber sehr seltenes Blatt übrig geblieben. Auch Erwins zierliche Mariencapelle wurde niedergerissen, dafür aber der Säulengang des Chors 1692 mit einer Holzvertäflung bedeckt; und das wohl gehobelte Werk mit den Wappen von vierzehn Prinzen und Grafen, Mitgliedern des großen Capitels, ausgeschmückt. Als man 1732 ohne Noth, und gegen alle Grundverhältnisse der Kirche, den Chor ins Schiff verlängerte; wurden nach M. Massouls Zeichnungen die geschmackvollen Gallerien fürs Orchester angelegt, später auch die neue Sacristei im gleichen Styl gebaut. Da im Jahr 1759 ein abermaliger Brand das ganze Dachwerk der Porkirche verzehrte, ein Theil der Gewölbe des Schiffes und Chores einstürzte, und den schönen Hochaltar mit geschmolzenem Blei verdarb; da wurden zunächst außen auf der Bischofskappe, die noch stehenden sechs schönen Giebel, herabgeworfen; statt ihrer aber das Ganze in demselben Maaße verunzierend, wie jene es verschönert hatten, aus der Südwestseite der Kuppel ein Thurm angebaut, und zu ihrer Verstärkung durch einen übergeschlagenen Bogen mit ihr verbunden. Innen aber wurde bei seiner Herstellung der Chor vollends in die neueste Mode eingekleidet, von unten bis oben mit den wohl gekräuselten Locken schöner Gypsrocaillen aufs rührendste behangen; dabei die altfränkische Bogenfüllung mit den Farbengläsern aus den großen Bogenfenstern aufs sorgfältigste herausgeworfen; daß nun das Licht der damaligen Aufklärung in vollen Strömen Zutritt hatte, und Chor und Clerus und die Geheimnisse des Altars umfloß; während nur das Volk im Schiffe, in der heilsamen Dämmerung des gebrochenen Lichtes, zwischen Tag und Dunkel erhalten wurde.

In solcher Weise vielfältig mißhandelt von den Freunden, kam dann endlich die Kirche auf die Revolution, und mußte nun auch die Liebkosungen der Feinde sich gefallen

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lassen. Ein Gebäude, das hoch alle Wohnungen der Menschen überragt, und auf ihm ein Thurm, der 447 Fuß über die Gemeinheit zu ebener Erde sich zu erheben unterfängt; mußte der Verrücktheit, die der Köpfe sich bemeistert, als ein unverzeihlich anmaßender Aristocratism erscheinen; und es wurde beschlossen, den Stolzen zu demüthigen, und ihn der übrigen Erde gleich zu machen. Doch stemmte sich die gewaltige Masse, wie damals jene ägyptische Pyramide; als es einem Sultan eingefallen, sich an ihr zu versuchen: viel Menschen nagten in halben Jahres Frist so viel aus ihr heraus, daß unten in den Trümmern Material genug für eine neue aufgesammelt schien; während die Alte, von unten auf betrachtet, kaum eine merkliche Scharte zeigte. Die Zeiten hatten große Eile, sie konnten sich nicht bei so langwierigem Geschäft verspäten; und darüber wurde, aus Gregoires Vorschlag, der Beschluß im Convent genommen, alle alten Denkmale zu schonen, und so war der Bau gerettet. Doch hatten sie zuvor alle Steinmetzen der ganzen Gegend aufgeboten, und die hatten mehr als vier Wochen lang, alles was von Bildnerwerk vorhanden, abgeschroten, weggemeiselt und zertrümmert; und so wurden nahe an vierhundert Bilder von ihren Standplätzen herabgeworfen, die Schnitzarbeiten zerstört, und Alles was einem Wappen ähnlich sah, fortgeschafft. Nur wenige Bildsäulen an den Seitenportalen, der alte Krutzmann am Thurme, weil er sich als ein Heide legitimierte, und die kleinen Bilder der Meister in der Höhe, entgingen dem Gemetzel; und nur die Sorgfalt eines Tischlers rettete mühsam die schönen Basreliefe auf der Grete, Tod und Krönung der Mutter des Herren. Nachdem aber durch solche Bemühung das Gebäude von dem abergläubischen Wuste innerlich und äußerlich nun vollends gar gesäubert war; wurde es in die Liste der guten Bürger aufgenommen, und eine rothe Kappe dem Thurme aufgesetzt. Mit den später kommenden Zeiten war schon leichter sich abzufinden; dem Münster wurden, durch

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die thätige Verwendung der Vertreter des Landes, seine beträchtlichen Einkünfte gerettet; und so mochte der Vorwand der Baufälligkeit, der in der kaiserlichen Zeit manchem schönen Alterthum sein Daseyn kostete, und auch diesem ein paarmal mit bösem Auge nahe trat, doch nicht haften auf die Länge; und das Werk, glücklicher als so viele seiner Brüder, war den critischen Zeitläuften, wenn auch nicht wohlbehalten, doch im Wesentlichen, bis auf die Bilder, ungekränkt entschlüpft. Seither ist die allgemeine politische Restauration, ihm auch für die seinige, zu gut gekommen. Das Verderben hat sein Ziel gefunden, und nachdem die Reihe der Verneinungen zu ihrem äußersten Glied gelangt, beginnt sichtlich eine neue Folge wirklicher Hervorbringungen. Es konnte nicht fehlen, Mißgriffe mancherlei Art mußten im Anfang ihren Fortgang hemmen; und Manches, was nach vorwärts zu streben schien, zum wirklichen Rückschritt machen. Aber indem man die Erfahrung klug benutzt, und nach Aufgebung des eiteln Wahns, durch moderne Stümpereien dem Alten nachzuhelfen, sich allmählich in seinen Geist einstudiert, und mehr und mehr in ihm zurecht gefunden; ist man allmählich wieder auf die Spur des guten Wegs gelangt, auf dem die Gründer des Werks zuerst gegangen; und was seither, unter der Oberaufsicht der städtischen Behörde, unter der Leitung eines eigenen Werkmeisters, und der Ausführung des früheren Ballierer Sauer von Fuld, eines wackern Mannes aus der alten Steinmetzenschule, gebaut und geordnet worden, muß man im ganzen als löblich und wohlgemacht anerkennen. So hat man den obern Theil des kleinen Thürmchens, an der Stiege auf die Plateforme, da seine Schadhaftigkeit einen Umbau nothwendig machte, neu aufgesetzt; und man muß die Arbeit für untadelhaft, und der aus Erwins bester Zeit völlig gleich kommend, anerkennen. Dasselbe muß allen andern Nachbesserungen, theils im Körper des Gebäudes, theils in seinen Verzierungen, die man mit großer Sorgfalt überall, wo die Zeit ihre Rechte zerstörend geübt, ergänzt,

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nachgerühmt werden. Im großen Portale hat man die Spitzbogen der Laube wieder, mit denselben Vorstellungen in Bildhauerarbeit, ausgesetzt, die sie ehedem verzierten; und wenn diese Arbeit auch Manches zu wünschen übrig läßt, so ist doch nichts, was das Auge verletzte; und man bemerkt sichtbar an ihrem Urheber ein löbliches Bestreben, mehr und mehr in den Geist der Urbilder einzudringen. Auch im Innern der Kirche ist die Sorgfalt für die Verschönerung nicht ganz unthätig geblieben, obgleich bisher der Erfolg den Absichten weniger als an den äußeren Theilen entsprochen. So hat man die häßlichen Tapeten, die ehemals einen großen Theil des Jahrs hindurch, die Säulenstellungen verunzierten, weggeschafft; aber dafür die alte Kanzel neu vergoldet und bemalt, die ernst und bescheiden wie sie ist, im alten ehrbaren Gewande besser sich gefiel, als in dem neuen Flitterstaate. Auch dem großen Chore hat diese Aufmerksamkeit sich zugewendet, man geht eben jetzt damit um, ihn des widerwärtigen Putzes zu entledigen, womit der Ungeschmack des vorigen Jahrhunderts ihn angethan; und man muß hoffen, daß die, denen die Entscheidung darüber zusteht, für die alte allein paßliche ernste Einfalt sich bestimmen werden; und nicht für irgend eine grassirende neugothische Decorationseleganz, die im Mischmasch aller Formen blos theatralische Effekte sucht. Es wäre zu bedauern, wenn zu einer Zeit, wo das, was wesentliche Bestimmung dieses Hauses ist, der Gottesdienst, sich stets mehr und mehr in alter Würde, und in rechtem Ernst und Eifer mit immer zunehmender Theilnahme der Gemeinde ordnet; ein äußerer Mißklang der Formen die allgemeine Harmonie durch kleinliche Tändelei stören wollte.

Wir sind dem oberrheinischen Gotteshaus durch alle die Jahrhunderte seiner Lebensalter hindurch gefolgt; die Gegenwart, bei der wir jetzt angekommen, führt uns zu dem Punkt zurück, von dem wir ausgegangen: die Parallele des alemanischen und des fränkischen Werkes nämlich. Es wird aber

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offenbar, wenn wir die Chronik des einen Gebäudes, die sich hier erzählt, mit der Beschreibung und dem ergänzten Bilde, das Boisseré von dem andern entworfen hat, in Vergleichung setzen; daß jenes die ganze und volle Geschichte Teutschlands ist, wie sie in allen ihren Momenten wirklich sich begeben; dieses aber die episch symbolische Vorbildung dessen, was es im Geiste und in der Intention der alten politischen Meister werden sollte; wäre nicht der böse Feind in die Bauherren hineingefahren, und hatte Zwietracht unter sie gesäet. In der That, wie die Geschichte jenes Baues in fünf, oder wenn bis zum Ursprunge zurückgegangen wird, in sieben Gezeiten sich darstellen läßt; so ist auch die Geschichte Teutschlands in ähnlicher Gliederung getheilt. Jener alte heilige Hain der Tribocher, wo unter den drei Buchen die drei großen Götter der Nation aufgerichtet standen, und unter ihnen in Mitte vor Allen geehrt, Thor - Herkules; ist die Urzeit der Nation, von Waldesnacht umhüllt, vom Wehen der Sage in Baumeswipfeln durchrauscht. Die Buchen dorren und die Götter fallen vor dem Kreuze; eine einfache Kirche, wie die alten handschriftlichen Aufzeichnungen - man weiß nicht aus welchen Urkunden - sie beschreiben; statt der alten großen Truhtensteine enggeschlossene Mauern ohne Fenster, die das Licht abgehalten, damit die Andacht keine Störung irre; statt der drei Buchen drei Altäre ohne Bilder; dreigliedrig der alte Bau wie der alte Hain; den Männern die rechte Seite zugetheilt, den Weibern die linke, in der Mitte die Priesterschaft: das ist die Merovingische Zeit, am Uebergang vom Heidenthum zum Christenthum, von der freien Eidgenossenschaft zur Einherrschaft, und vom Feld- und Waldleben zum städtischen. Das Neue kämpft allmählich sich zur Herrschaft durch, und die Grundmauern der europäischen Gesellschaft werden in der Carolingischen Zeit für immerdar gelegt; die Crypta beschließt in ihrem Dunkel die Symbole dieses alten Ophionidenreiches. Nun kommt die sächsische Zeit heran: einfache, ernste, schlichte

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Sinnesart; unzerstreute und darum entschiedene Willenskraft; nicht mehr die rohen Naturmassen von Stonehenge, die Kieselinge von Marpriasfelsen, noch ferner aber Marmorglätte; überall nun schon die regelrechte, nirgend winkelschiefe Würfelmasse, und aus solchen Werkstücken Staat und Kirche rüstig aufgebaut. Der Chor mit seinen Seitenflügeln steht ein Denkmal dieser bescheiden kräftigen Sinnesweise. Sofort kommen die Salier heraufgezogen: ein großes, tragisches Geschlecht; starke Kräfte und heiße Leidenschaften in wirrem, wüstem Treiben rastlos umgejagt; in Hader und Zwietracht die Nation bis zum Grunde aufgerührt; ihre Zeit, die Zeit der großen Jahresstürme, damit das wachsende, steigende Prinzip die Oberhand, und die Fülle der herben Kräfte die Entwicklung gewinne. Darum für sich selbst Periode der Läuterung und Erweckung nach auswärts, Vorschule und Durchgang zu einem Andern, was da kommen soll; das daher auch im Schiffe des Gebäudes ihre Gebilde mit seinen eigenen Hervorbringungen bedeckt, und sie beinahe unkenntlich macht. Hat die Rebe im Frühling der Geschichte zuerst zu weinen angefangen, dann Blatt und Blüthe hervorgetrieben, ist die schwellende Frucht im Laufe der Jahrhunderte sofort allmählich zu ihrer Reife gelangt: dann ist der gepreßte Most nun, da die schwere Hefe nach niederwärts sich ausgeschieden, und die wilden Geister nach aufwärts davongegangen, zu Wein geworden; und es kommen alle Künste, aus dem begeisterten Quell zu schöpfen; und weissagen wie die Schatten, nachdem sie von dem Opferblut des Odysseus getrunken. So hat in der  s c h w ä b i s c h e n  Zeit derselbe Kunsttrieb, der aus lebendigem Material das Reich gebaut, nach gleichen Bildungsgesetzen auch jene Münster aus todten Steinen aufgerichtet; und Schiff und Vorderseite an unser Frauen Werk geben Zeugniß vom Wirken dieser Zeit. Wie die Ebben und die Fluthen aber erst dann eintreten, wenn längst schon der Mond durch den Mittagskreis gegangen; so folgt auch in allen diesen Perioden

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die Kunst mit ihren Hervorbringungen den Zeiten, die sie bedingt; und so muß auch hier ihre höchste Entwickelung, die den Zeiten der  H o h e n s t a u f e n  angehört, in die der ersten Habsburger sich übertragen. Ueber den Scheitelpunkt hinausgetrieben, aber beginnt unter den Lützenburgern die Kurve im absteigenden Schenkel sich zu neigen, und der Thurm muß ihr als Asymptote folgen. Vollendet am Anfange von Friederichs wieriger und schwieriger Regierung, bezeichnen nur einzelne Fragmente den Rest seines Jahrhunderts; an dessen Ende auf Maximilian sich die letzten Strahlen der scheidenden Sonne sammeln. Nun entscheidet sich die Umkehr, neue Gährungen entwickeln die scharfe, strenge, fressende, antiseptische Essigschärfe; die Begeisterung muß nüchterner Skepsis ihre Stelle räumen, die Kunst entweicht vor der Künstlichkeit; da wo der südliche Thurm ansteigen sollte, bezeichnet eine große Leere die Zeit der Reformation. Die Jahrhunderte, die nun am Gebäude vorüberströmen, können ihm ferner nichts mehr geben, sie wissen nur zu nehmen; und so wird es mehr und mehr abgenagt und ausgespült, und verarmt am schnellsten, wo geschmackloser Unverstand es gern bereichern möchte. Denn seine Mauern, stumme Zeugen jeder folgenden Misere, können doch ihrer Einwirkung sich nicht entziehen; die Barbareien moderner Gallicismen, jegliche Verschrobenheit und die Kräuseleien des herrschenden Ungeschmacks; die Gemeinheit, Schlaffheit und Elendigkeit eines Gott und allem Edeln, Großen entfremdeten Jahrhunderts: alles muß die Spuren seiner Schande im Steine hinterlassen. Das Salz der Erde ist nun dumm geworden im Vaterlande, und selbst die Schärfe kahnigt; die Zeit modert eine stille Lache: denn Gott ist von ihr gewichen, und die Jauche gährt in fauligter Bewegung. Da bindet Simson die Fackeln an die Schwänze von dreihundert Füchsen, und jagt sie in die Saaten der Philister: denn die Erde soll nicht mehr in Wasser untergehen. Die fressenden Flammen verzehren Schutt und Stoppeln, die stinkenden

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Pfützen werden durchgebrannt, das Haus des Herrn steht mitten in den Flammen; sie züngeln an seinen Wänden hinauf, und brennen allerwärts ihre Spuren ein: aber die starke Masse steht unversehrt; und wie die Feuer verfliegen, ergänzt sich schnell, was ausgefallen; und oben auf der höchsten Zinne verkündet das Kreuz, das Oelblatt das die Taube mitgebracht, die nahende andere Zeit.

So ist also in Wahrheit das Münster von Straßburg, so wie alle, die seines Gleichen sind, ein Stück der Weltgeschichte in Stein und Eisen aufgeschrieben, und kunstgerecht je nach den Epochen in Bücher abgetheilt. Nicht so der Dom von Köln. Fünf Jahrhunderte sind ihm nur ein einzig Lebensalter; darum wie er die riesenhaften Glieder im Raume auseinanderbreitet, ist die Zeit, und zwar die gute Zeit, ihm stehend geworden; und wie er rückwärts nicht die Beschränkung der Jugend kennt, so soll ihn vorwärts die Hinfälligkeit des Alters nicht berühren. Darum ist er, wie Minerva in voller Rüstung aus dem Haupte des Zeus hervorgesprungen, so aus dem Geiste seines Urhebers in ganzer Vollendung herausgegangen; und die Zeit hat nur Vulcans Stelle bei diesem Geburtswerke vertreten. Darum herrscht nur ein Styl im ganzen Werke; vom Höchsten zum Tiefsten, vorn Aeußersten zum Innersten, vom Ganzen zum Besondersten ist es in einem und demselben Geiste, wie gedacht so ausgeführt; und daher in strengster Folge überall, innerlich wie äußerlich, in reinster Harmonie und vollster Selbstgleichheit abgeschlossen; und dieser Styl, großartig überall aus dem Ganzen bildend, ist derselbe, den man in der alten Plastik mit dem Namen des edeln, ernsterhabenen zu bezeichnen pflegt. Das Straßburger Münster hingegen ist gewachsen, wie jener Cyklopenbaum am Aetna, wo ein Jahrtausend viele Stämme in einen Stamm verbunden; der nun vom Alter ausgehöhlt, ein ganzes Haus in seinem inneren Raum beschließt. Darum wie an den Jahresringen sich des Baumes Sommer zählen, so an den Gliedmassen dieses großen


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Werkes die Alter der Kunst; und wenn wir sie von den ersten Anfängen gegen die Mitte in stetem Wachsthum begriffen finden, so sehen wir sie von dort bis zum Ende im fortdauernden Sinken niedergehen; nur die Mitte selbst, Erwins großes Werk, darf sich keck und getrost jenem andern gegenüberstellen; eben so musterhaft im gefällig Schönen, wie das Andere im edel erhabenen Style,  S o p h o k l e s  neben  A e s c h y l o s.  So hat jedes der beiden Meisterwerke seine Ehre, die ihm gebührt: die Jahrbücher der Zeiten, die Chronik des Vaterlandes vom Urbeginne an durch alle Lebensalter, seine Herrlichkeit und seine Trauer, alles ist in dem Einen ausgelegt; aber nur die durchgebildete volle Harmonie, die schöne Einheit, und durch Fremdartiges ungetrübte Schöne des andern, kann canonisch seyn. Darum hat Boisseré gründlich Recht, wenn er den Kölner Dom als Canon der gesammten teutschen Baukunst erklärt, und an ihn alle die Forschungen knüpft, die er über diese Kunst angestellt.

Der Faden der Geschichte des Baus in Köln hat an die Sage jener drei Weisen aus dem Morgenlande sich angesponnen, die nach der Eroberung von Mailand 1162, durch die Schenkung des Kaisers, nach Köln gewandert; von der damaligen Welt eben so als das Kostbarste der gemachten Beute betrachtet, wie in jener andern Belagerung der Graal, den die Genuesen als ihren Antheil vor allen andern Schätzen sich gewählt. Daß man diesen hochverehrten Resten in Teutschland ein würdig Haus zu bauen unternommen, ist natürlich und dem Geist der Zeit gemäß; daß aber, wie man vermuthet, auch die Politik der Kaiser einen Antheil an diesem Bau gehabt, will nicht eben so klar einleuchten. Drei Gekrönte, kommend im Namen aller Andern, wie viel Ihrer das weite Morgenland in sich beschließt; um, erfüllend die Weissagungen alter Seher, das neugeborne Kind anzubeten: sie bildeten ein großes, schönes, bedeutungsvolles Bild; - die symbolische Darstellung und Verwirklichung einer uralten Priesteranschauung, die die Zeit zum voraus angekündet, wo

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Aller Knie sich beugen würden vor dem einzigen Gotte; - aber profane Politik als solche konnte unmöglich sonderlichen Gefallen an diesem Bilde haben. Die Idee lag in jener Zeit allzu nahe, statt des Kindes den spätern Statthalter desselben auf Erden einzutragen; dann knieten die drei gekrönten Häupter, als Mandatarien des Fürsten dieser Welt, der geistigen Herrschaft des Dreifachgekrönten ihre Huldigung darzubringen; daran aber konnten die stolzen, schwäbischen Kaiser kein Ergötzen haben; und die Stelle aus Otto von Freysingen deutet gerade unmittelbar darauf hin, daß sie die Sache aus diesem Gesichtspunkt angesehen haben. Eben in den großen Kriegen zwischen Papst und Kaiser, die die vorhergehenden Jahrhunderte erfüllt, hatten die zwei Mächte, geistliche und weltliche, Krummstab und Schwert, sich auf's Bestimmteste geschieden; und jede hatte gelernt zu suchen das Ihrige, und jede wußte ihr Gebiet zu wahren gegen fremden Einspruch. Krieger und Staatskluge als Solche fanden sich damals nicht leicht getrieben, Kirchen im höchsten Style zu erbauen; Paläste, Rathhäuser, allenfalls Erbbegräbnisse, das sind die Kunstwerke, die sie mit Vorliebe pflegten; die Kirchen aber überließen sie der Priesterschaft. So war denn auch der Kölner Dom das Werk der teutschen Priesterschaft, und es sollte, als das erste und größte seiner Art, die Ehre teutscher Nation, auch in den Angelegenheiten, die nicht sind von dieser Welt, den umliegenden Völkern verkünden; und insofern hatten auch die Kaiser ein Interesse an seiner Förderung. Seither, wo die Priesterschaft verarmt, sind Königthum und die Völker für sie eingetreten, und haben des Fortbaus sich wieder angenommen; und die Kunde verlautet, daß nicht etwa blos drei Könige zur Grundsteinlegung ziehen; sondern daß viele Mächtige der teutschen Erde sich auf die Wanderschaft zu geben Willens worden. Das ist allerdings ein Zeichen der Zeit, die aus der Tiefe der Höhe entgegenstrebt; es will aus der Nacht, sich zum Tage wenden, und selbst die Wässer der Politik, die seither in die Wildniß sich verlaufen, wollen wiederum

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zum alten Bett einlenken. Denn die Seher tief im Morgenlande haben in den Sternen ein Kind gesehen, und die Kunde ist herüber gekommen: daß in den Völkern der Abendlande, ein uralter und doch ewig junger Geist, wiedergeboren worden, dem es gegeben sey, eine neue Zeit herbeizuführen. Eben, will ein Menschenalter zu Ende gehen, seit die Väter der Wandernden in den Aufgang zur Kaiserstadt an der Donau hingezogen, um dort den Grundstein zu einem andern Bau, dem des erneuten teutschen Reichs zu legen. Hätten sie und ihre Staatsmänner die Begeisterung der Gründer und Werkmeister jener alten Dome zur Tagsatzung hingebracht; jene Begeisterung, die des Ihren nicht achtend, Alles, was sie hingibt, im Ganzen und im Großen des gemeinsamen Werkes wiederzufinden vertrauen kann; hätten sie gleich ihnen sich entschließen können, all das Ihre an eine große Idee zu setzen, gewiß, das es ihnen durch ihre Signatur gehöht, gemehrt und gesichert wieder zukommen werde; hätten sie die Symmetrie der teutschen Kunst, und die Ordnung und den höchsten und vornehmsten Grund des Dreiecks und der Vierung, wie jene Baumeister ihn verstanden, erkannt: es wäre wohl ein ander Werk aus ihrem gemeinsamen Thun hervorgegangen. Der sociale Bau, einem solchen Grunde aufgesetzt, hätte nicht, durch den Zufall zusammengewürfelt, und an losem Faden angereiht, den Stürmen der Zukunft sich Preis gegeben; sondern um eine lebendige Mitte wohl gegliedert, in diesen seinen Gliederungen streng geschieden, und doch wieder eng verwachsen; hätte er, indem er von der besseren Vergangenheit nicht losgelassen, auch eine bessere Zukunft in sich beschlossen; und Sicherheit und Wohlgedeihen der Gesellschaft wäre nicht abhängig worden, ausschließlich von der Tüchtigkeit und dem guten Glück der jedesmaligen Zeitgenossen; sondern indem die Errungenschaft jeder Zeit sich in ihr angehäuft, wäre sie mit den Jahrhunderten immer reicher geworden, und fester und gediegener, und hätte nicht in der Gunst der Fügungen ihre einzige Gewähr suchen dürfen.

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Jene nun, die damals diesen Bau gegründet, der nach so vielen Jahrhunderten fest und wohlgesichert vor unseren Augen steht, und nun in demselben Geiste, der ihn so weit geführt, zur Vollendung gebracht werden soll; waren von dieser Gesinnung noch belebt, und Plan und Ausführung sind von ihr ausgegangen. Es war damals noch um die Ordnung des Reiches also gethan, daß im linken Rheinufer, hauptsächlich der priesterliche Antheil vom ganzen Ländergebiete desselben, ausgeschieden war. Hier, wo durch die Franken dies Reich selbst gegründet worden, war um die Macht und die Kraft des Gesammtwillens auch der ganze Apparat zu seiner Weihe und Heiligung geeint; zudem auch die Fülle der Einsicht und Erkenntniß, damals noch immer hauptsächlich auf die Priesterschaft beschränkt, versammelt; und selbst, als der Sitz der Herrschaft sich tiefer in's Innere des Landes senkte, wurde dieser Theil immer als sein Haupt und der Sitz der höheren Facultäten angesehen. Dort war der Ort der drei geistlichen Wahlfürsten; mächtige Territorialherren in ihrem eigenthümlichen Gebiete, breiteten sie als Metropolitane ihren geistlichen Einfluß über Hoch- und Niederteutschland, und den Theil von Gallien aus, der später noch dem Reiche geblieben; während sie als die Augen des Kaisers, als die Kanzler des Reichs, so lange seine Verfassung aufrecht stand, auch die Leitung der meisten öffentlichen Angelegenheiten des Staats besorgten. Neben ihnen herrschten in diesem Gebiete noch andere mächtige Prälaten: die Bischöfe von Lüttich, Worms, Speier, Straßburg, Basel: selbst bis zu seinen Quellen, die das Bisthum Chur in sich beschloß, war der Rheinstrom geistlich; während zahlreiche Klöster, verhältnißmäßig so viele wie in Italien; reiche Abteien, manche so reich wie die Erzbischöfe, dicht gedrängte Stifter über das ganze westliche Stromgebiet ausgestreut, das Priesterthum und die Priesterweise vollends dort herrschend machten. Wie darum in Aegypten die Thebais, die denselben hierarchischen Charakter hatte, auch die größten Denkmäler des Priestergeistes in sich beschließt; so

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mußte auch der Antheil der teutschen Leviten, wie überhaupt die größte Masse kirchlicher Gebäude, so auch das größte und trefflichste von Allen, den Canon der ganzen Kunst, in sich bewahren. Es fanden aber dort glücklicherweise, zugleich mit dem Sinne und dem Triebe auch die nöthigen Talente sich beisammen; und diesen Talenten fehlten nicht die zeitlichen Mittel, ohne die all ihr Streben fruchtlos gewesen wäre. Was jene ersten, die natürlichen Anlagen, betrifft, so ist es sicher nicht zufällig, daß in demselben Winkel des Reiches, wo früher die Baukunst jene Blüthe erreicht, später die blühendste, originellste, geistreichste Malerschule sich erhob; und als auch diese abgeblüht, die neuere Musik ihre ersten, kräftigsten Flügelschläge eben dort gemacht. Was aber die Mittel anbetrifft, die jedem großen, weit aussehenden Unternehmen Nerv und Rückhalt geben müssen, so waren auch diese nirgendwo reichlicher vorhanden; und es scheint, als habe Gott jene Gegenden, wo man, ohne übrigens dem Irdischen sein Recht zu weigern, ihm am eifrigsten gedient, auch am meisten gesegnet, und mit Glücksgütern ausgestattet. Der Rhein war damals, was er wieder zu werden strebt, die große Pulsader des teutschen Lebens; was die weiten Wassertraßen Asiens dem schwarzen und mittelländischen Meere zugeführt, was aus Cameeles Rücken seine Wüsten durchwandert hatte; was das verschlossene Afrika mühsam aus seinem Innern in den großen Kreislauf der Güter hineingegossen: das Alles sammelte sich in den Lagunen von Venedig, und der Rhein trug es treulich und emsig in den Norden. Schon in den Römerzeiten hatten zahlreiche Städte an den Ufern dieses Lebensstromes sich angesiedelt; die schöpften fleißig Jahrhunderte lang den Goldsand, den er mit sich führte; und langsam wuchs der Hort, den sie sich angesammelt. Denn die Mauern schützten ihn, daß er nicht wieder unter den Händen räuberischer Nachbaren zerrann; und die Freiheitsliebe der Bürger wehrte, daß ihn nicht mächtige, verschwenderische Dynasten durch ihre Finanzkünste verzehrten. Unter allen diesen blü-

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henden Städten aber war keine blühender als Köln, weil sie in günstiger Lage, nahe bei den gewerbreichen Niederlanden, selbst am thätigsten sich zu rühren verstand; und den Erwerb, den der Strom ihr zugeschwemmt, verdoppelte durch eigene innere Industrie, die einen Theil der vorüberströmenden Waaren im Tausche an sich brachte, und damit weiter wucherte. Volkreich wie keine, war sie daher mächtig geworden wie ein Freistaat des Alterthums, und weit und breit erkannten alle rheinischen Städte ihre Hegemonie. Sie gehorte dem Gebiete jenes Kirchenfürsten an, dessen geistliche Obmacht alle Niederlande anerkannten, und in dessen Gebiete der Sitz der germanischen Weltherrschaft im Anbeginne des Reichs gewesen. Die Nachbarn hatten, zum Theil schon früher, ihre Cathedralen unter weniger günstigen Verhältnissen gebaut; Andere zögerten noch, weil sie die Mittel nicht beisammen hatten: hier trafen Entschluß, Talent und Reichthum, wie die drei Schweizer am Rütli, im glücklichsten Augenblick zusammen; der Brand des alten Domgebäudes entschied, und so wurde Köln die Stätte, wo sich der Wunderbau erhob. Nicht also durch eine Wirkung zufälliger Umstände ist dies Gebäude an dieser Stelle aufgestiegen; durch eine Art von historischer Nothwendigkeit ist es vielmehr gerade dort und nicht anderswo hervorgegangen; und eben weil nicht der Kaiser und die weltliche Macht es gegründet, sondern die Theocratie es Gott zu Ehren und sich zum unzerstörbaren Denkmal aufgebaut, ist es gerade in dieser Gegend zur Wirklichkeit gekommen. Wenn aber in solcher Weise die weltliche Macht, bei der Begründung und Ausführung dieses Kirchenbaues, nur einen untergeordneten Einfluß ausgeübt; so hatte dagegen die Art, wie sie in den zunächt vergangenen Zeitläuften, der geistlichen Gewalt gegenüber sich gehalten, den entschiedensten auf die Form und die eigenthümliche Weise, in der das Gebäude vollendet wurde. Denn, was wir bisher die gothische Baukunst genannt, ist eben nur eines der großen Resultate, die aus dem Kampfe beider Mächte hervor-

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gegangen; es ist das Werk des in diesem Streite bis zur höchsten Elasticität gesteigerten Oppositionsprincips; das, innerhalb des kirchlichen Gebiets beharrend, in der Kunst wie überall, einen eigenthümlichen Spielraum sich abgemarkt; und umgeben von den reichen Mitteln, die ihm die Gunst der Zeiten zugeführt, und unterstützt von allen den regen Kräften, die jene große Bewegung entzündet hatte; nun im Bunde mit der ernsten Frömmigkeit der damaligen Geschlechter, jene großen unsterblichen Denkmale gründete, die als die großen Gränzsteine des germanischen Geistes und seines weitverbreiteten Reiches, Zeugniß von ihm geben. Damit diese Vorstellung, von der Entstehung der neuen Kunstweise, nicht ohne die nöthige historische Begründung bleibe, wird es unumgänglich seyn, einen Blick auf die frühere zurückzuwerfen; damit deutlich werde, wie es zugegangen, daß von ihrem Stamme eine, ihr in so Vielem Unähnliche, sich abgelöst, und in teutscher Erde eigenthümlichen Bestand gewonnen.

Wenn man die Werke griechischer Baukunst sich zergliedert, gelangt man auf die einfachsten Wurzelgestalten reiner Geometrie: den gleichseitigen und ablangen Würfel, den Cylinder das Prisma und das Dreieck; aus denen, wie aus ursprünglichen Elementen, alle stereometrischen Constructionen dieser Bauweise sich zusammensetzen. Das für alle Form ungemein reingestimmte Auge dieses Volkes hatte frühe schon bemerkt, was auch die Aegyptier schon vor ihm gesehen: daß die verschiedenen Dimensionen eines gevierten Raumes, schon für sich, einen Accord bilden; dessen Intervalle, je nachdem sie in wechselnden Verhältnissen abgemessen sind, bei aller Einfalt, doch durch diesen Wechsel den Gesammteindruck also modificiren: daß bestimmten, gattungsweise festgestellten Combinationen, jedesmal bestimmte Laute in der Tonleiter der Empfindungen Antwort geben. Noch schärfer halte dies, bei jenen cylindrisch geformten Säulen, sich dem aufmerksamen Sinne ausgesprochen; das geometrische Verhältniß stimmte sich hier, bei vorherrschendem Uebergewicht der Längendimension an

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ihnen, fühlbarer und darum reiner aus; durch stete Wiederholung der Säulenstellung prägte es sich tiefer und voller dem Sinne ein; und vielfache harmonisch geformte Zuthat, in den Kapitälern und Untersätzen, erhöhte und verstärkte seinen Eindruck. So gelang es demselben Kunstsinne, der mit seinem Ohre ausgefunden, welche poetische Rhythmen, und welche musikalische Tonfolgen diesem oder jenem herrschenden Gefühle am besten zusagen; auch in den verschiedenen Säulenordnungen, wie dort die natürlichen Familien der Tonarten, so hier der Formengeschlechter auszufinden, und das eigenthümliche Gemüthsgebiet eines Jeden abzugränzen. Indem ihre Künstler nun jene gevierten Massen, als den eigentlichen Körper des Gebäudes, in der ihren Verhältnissen am meisten zusagenden Stimmung, mit der harmonisch verwandten Säulenstellung verbanden; diese selbst wieder in mannichfaltig wechselnden Folgen und Verbindungen ordneten; an paßlicher Stelle die großen, dreieckten, mit Bildern ausgesetzten Giebelfelder über ihnen errichteten; und das Ganze sparsam wie mit kunstreichem Geschmeide, durch mancherlei Schmuck verzierten, entstanden jene herrlichen Tempelgebäude der alten classischen Zeit: in denen die finstere Materie, durch den innerlich einwohnenden Kunstgeist erheitert, den Beschauer mit erquickender Gemüthlichkeit anlacht; und die gleichwie das wohl geworfene Gewand den ganzen Gliederbau sichtbar macht, so den Glanz ewiger Jugend, der von den einwohnenden Göttergestalten strahlt, durchscheinen lassen; mit dem sie, den Lichtmagneten gleich, also sich getränkt, daß sie nach Jahrtausenden, obgleich Greise an Jahren, selbst in ihren Trümmern noch in unverwelklicher Jugendschöne blühen.

Wenn aber der Kunstsinn für diese Griechentempel alle seine Gaben aufgeboten, so hatte dagegen der technische Verstand nur geringeren Aufwand für sie gemacht; und bei großem Abgang an Mitteln in dieser Hinsicht, waren sie so im Umfang wie in der Zusammensetzung sehr beschränkt ausgefallen. Das aber wollte den Römern in keiner Weise ge-

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nügen; sie, die, nachdem sie den Thurmbau, den die Völker bei ihrer Zerstreuung in alle Lande eingestellt, bei Gründung ihres Weltreichs in der eigenen Heimath wieder aufgenommen, ihn mit einer Pracht und Größe zu vollführen suchten; wie nur ein Volk, mit den Mitteln aller Andern ausgerüstet, es zu unternehmen wagen durfte. Sie sannen daher lange, wie den Elementen griechischer Schönheit noch die Größe beizufügen; und es gelang ihnen endlich, als sie die Kunst zu wölben vollends erfunden hatten; und also, den einfachen geometrischen Elementen hellenischer Architektonik, noch die Kreisform, mit dem ganzem Reichthum ihr angehöriger Kunstformen hinzugetreten war. Wie in den Gurtbögen der Gewölbe Stein an Stein sich im Kreise fügt, bis der Schlußstein oben alle schließt und besiegelt; so hatten sie die Völker auch in's große Rund Ihrer Herrschaft, nach Winkelmaß und Richtscheit, zugehauen und eingefügt. Alle Zwischenräume der Bögen hatten sie mit Steinschutt, und dem Mörtel ihrer Sprache und Gesetze ausgemauert; und oben, wo sich alle Schwibbögen kreuzten, stand die vergötterte Roma als der Schluß des ganzen Gewölbes; das nun, eine weite Rotunda, sich selber tragend und zusammenhaltend ihr ganzes Ländergebiet umfing. Die Entdeckung, Symbol ihrer Herrschaft, und auf denselben mathematischen Grundsätzen, wie ihre Politik, beruhend; kam daher vor allem Andern ihnen zu, und sie wußten von der Gemachten den besten und geläufigsten Gebrauch zu machen. Die Griechen hatten nur flach zu decken verstanden, und das Decken darum häufig ganz unterlassen; und wo überdem Alles in die gerade Linie sich ausgezogen, konnten auch die großen Oeffnungen, und theilweise die verbindenden Glieder der Säulenstellungen, keine Ausnahme machen. Die Römer deckten ihre Werke, und gränzten sie dadurch als ein geschlossenes Ganze völlig von ihrer Umgebung ab. Da der Umfang des Gewölbes keine andere Schranken hat, als die ihm der, durch den Seitendruck endlich doch überwundene Widerstand ihres eigenen Ma-

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teriales, und der sie zusammenhaltenden Seitenmauern setzt; so war für die Größe und Ausdehnung ihrer Gebäude fortan der weiteste Spielraum aufgethan, den selbst der übermüthige Baugeist ihrer Kaiser nicht zu erfüllen vermochte. Der Erfindung der einfachen Cylindergewölbe folgte bald die zusammengesetztere der hemisphärischen; und indem sie die, ihnen eigenthümliche Kreisform des alten Vestatempels, mit einem solchen Kreisgewölbe deckten, entstand, selbst Bild der Welt, ihr weltberühmtes Pantheon. Vieleckige Tempel mit Kuppeln überwölbt schlossen sich diesen Kreisründen an. Die Form ihrer Gewölbe theilte bald auch, den größeren Öeffnungen und ihren Gesimsen, sich mit; indem sie oben durch Bogen geschlossen, in den Bädern Diocletians schon je drei und drei, zwei niedere an den Seiten mit einer höheren Mittleren verbunden, und durch Säulchen getheilt, erscheinen. Das leitete darauf, auch die Säulenstellungen, statt der geradlinigten Architrave durch solche aufgesetzte Bogen zu verbinden; die nun in Arcaden das Tempelhaus umziehen, oder sonst sein Inneres verzieren. So entstand, zugleich mit einer neuen paßlich zusammengesetzten Säulenordnung, neue eigenthümliche Römerweise der griechischen entgegen; und in ihr baute in Pracht und Herrlichkeit die Mauerkrone sich zusammen, womit die hohe Herrin die stolze Stirne kränzte.

Das Christenthum wurde Erbe all dieses Prunkes der Heidenzeit, so viel davon die Völkerbewegung überdauert hatte. Siegreich zog es ein in die von ihren alten Besitzern verlassenen Göttertempel und Basiliken; aber es fand nicht Raum, in ihnen sich auszubreiten. Die Weise seines Gottesdienstes forderte weite, geräumige Hallen, um große Massen Volkes aufzunehmen, das mit Auge, Ohr und Herz überall der Feier der Mysterien, und der Verkündigung des Worts, nahe seyn sollte. Dies Volk war aber nach der Hierarchie, die sich schnell in der neuen Kirche ausgebildet, in bestimmten, allmählich ansteigenden, und sich veredelnden Gliederungen innerlich geordnet und abgetheilt, die nothwendig ent-

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sprechende Abtheilungen im Gebäude forderten. Die gesammte Christengemeine war der Leib, den der Erlöser auf Erden sich geheiligt hatte; von den äußersten Gliedmaßen bis zum Haupte lief ein Typus der Organisation hindurch; der in jedem abgesonderten Organe stets sich wiederholend, Alle insgesammt unter dem gleichen Bildungsgesetze zusammenhielt. Um diesen im Gottesdienste jedesmal sich selbst opfernden Leib aufzunehmen, wurde die Kreuzesform beliebt, die auch das erste große Sühnopfer aufgenommen. Also wurden allmählich die Würfelmassen alter griechischer Tempel zusammengerückt; bis sie im Schiffe, den beiden Seitenflügeln, der Vorhalle des Chores und der Halbrotunda hinter ihr, sich in die gesuchte Form vereinigt hatten. Gegen Morgen hin erhob sich in der Regel ein hohes Säulenthor des Vorhofs, das die Kirche vom bunten Markte, und dem prosanen Treiben der Welt abschloß. Es führte auf den offenen Platz des Atrium, umgeben mit Säulenlauben; hier waren Becken sprudelnden Quellwassers zur Reinigung; hier wurden die Catechumen in den Anfangsgründen der Lehre unterrichtet, und Rückfällige und Büßende aufgenommen. Durch verschiedene sich folgende Vorhöfe gelangte man nun zum Eingange der Kirche, mit drei Thüren verschlossen; eine höhere mittlere, und zur Seite zwei kleinere; von Erz gegossen, mit schönen Vorstellungen bildender Kunst geschmückt. Sofort öffnete das Schiff seine weiten Räume den kirchlichen Genossen; es prangte mit hohen Säulengängen, die es in drei Hallen theilten; das Licht hatte freien Zugang, die Decke war mit Cedernholz getäfelt, der Fußboden aber mit Marmor belegt. Im Chore wurde das Allerheiligste vom Presbyterium, für die höhere Geistlichkeit, umgeben, und hohe Stühle waren dem Bischofe und den Priestern geordnet. In Mitte des von einem schönen Gitter umzogenen Heiligthumes war endlich der Altar errichtet; angebaute Säle aber dienten zu Sacristeien. So war die prachtvolle Kirche von Tyrus eingerichtet, nach dem Zeugniß; des Eusebius,

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der sie selber eingeweiht. So war im Wesentlichen, nach dem gleichen Zeugnisse, auch die Grabeskirche in Jerusalem beschaffen. So ist St. Clemens in Rom (bei S. d'Agincourt) eingerichtet, so alle ältesten Kirchen des frühesten Christenthums; so auch, theils erweitert im Plane, theils abgekürzt, die schöne Paulskirche in der Constantinischen Zeit, als eine der Mutterkirchen des Christenthums, in aller damals erreichbaren Pracht aufgebaut. Das Atrium ist enge eingezogen; aber vier Reihen prächtiger, zum Theil antiker, korinthischer Säulen theilen das Schiff in fünf Räume, und eine mit Laubwerk schön verzierte Bogenstellung verbindet diese Säulen; dann folgt höher das Getäfel mit den Bildern, darüber die obere Reihe kleiner rundbogiger Fenster, endlich zu oberst das Gebälke ohne Wölbung. Nach demselben, nur noch mehr vereinfachten Plane, war auch die alte Peterskirche gleichfalls zur Zeit Constantins gebaut; schlankere unbelaubte Säulen tragen statt der Bogenstellung ein geradlinigtes Gesimse; das Getäfel ist eingeschwunden, dagegen vorn das Atrium geräumiger beigefügt.

Von je aber hat zwischen den nahe verwandten Stämmen, dem Griechischen und dem Italischen, Nebenbuhlerei und Eifersucht bestanden. Jeder von beiden hat zu seiner Zeit die Welt beherrscht; jeder seine Sprache und seine Bildungsweise durch die Macht der Waffen im größten Wirkungskreise über der Erde ausgebreitet; und während der Eine, selbst als er dem Andern dienstbar geworden, seine geistige Ueberlegenheit in alle Weise geltend machte; ließ dieser sein practisches Herrschergeschick und seine Willensstärke für Alles einstehen, und jede sonstige Blöße decken. In Folge dieses Wetteifers hatte, als der Ueberdruck der andringenden Völker das Gewölbe römischer Weltherrschaft zu sprengen drohte, und man es mit neuen Streben zu unterfangen sich genöthigt gesehen; das Reich sich in ein  O e s t l i c h e s  und ein  W e s t l i c h e s   getheilt, und auch in die Kirche hatte die Neigung zu gleicher Scheidung sich fortgepflanzt.

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Diese innere Entzweiung strebte zunächst, auch in der Kunstdarstellung sich auszusprechen, und als Justinian sich entschloß, der Metropole des byzantinischen Reiches auch ihre große Mutterkirche aufzubauen; strengte der Genius des Morgenlandes alle seine Gaben an, damit auch jetzt wieder das christliche hellenische Land, die christliche Roma, mit einem neuen Wunder der Welt überflügeln möge. So entstand die  S o p h i e n k i r c h e. Auch hier waltete noch die alte Vorliebe für das Würfelförmige in den Tempelconstructionen vor, und leitete die Wahl auf das griechische, gleichschenkliche Kreuz; das hier dem Vierecke des Grundrisses eingeschrieben, fortan das herrschende in dieser Kirche wurde. Ein solcher Würfel, in so gewaltigen Dimensionen aufgethürmt, und mit flacher Ebene, oder ungebrochenem Dache nach oben hin gedeckt, wäre aber dem Auge unerträglich geworden; und hätte durch einförmige, breite, plumpe Schwere alle Regeln der Kunst verletzt. Das leitete daraus, seine Mitte weit vorragend zu erhöhen, und diese Vorragung in eine Kuppel abzurunden; die nothwendig dort ihre Stelle fand, wo die vier Arme des Kreuzes sich in Mitte des Gebäudes kreuzten. Da aber nach der Absicht desselben die Durchsicht hier von allen Seiten frei seyn mußte, so konnte sie nur auf vier große gewölbte Bogen, die wieder aus vier gewaltigen Eckpfeilern ruhten, ausgesetzt, in der Schwebe über dem eingeschriebenen Viereck des Grundes hängend stehen. Und so faßte der Künstler die große Idee, seine Kuppel, 115 Fuß im Durchmesser, aus schwindelnder Höhe von 186 Fuß jenen Bogen und Pfeilern aufzulegen; und indem er ihr östlich und westlich in abfallender Erhebung zwei Halbkuppeln beigefügt, die gegen die Enden des Kreuzes wieder in einer dritten Stufe in Nebenkuppeln sich niedersenken, bis diese endlich den Porticus erreicht; gelang es ihm, die gesetzte, festgewurzelte, stämmige Ruhe des Vierecks mit der gehaltenen allumfangenden Geschlossenheit der Kugelform, auf eine dem Kunstsinn wohlgefällige, und dabei erhaben strenge Weise glücklich zu

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vereinigen. Für die Kuppel hatte man eigene, überaus leichte Ziegel gebrannt. Phrygien hatte seinen weißen Marmor mit rothen Adern hergegeben, Lybien seinen blauen. Vom celtischen Norden war der schwarze hergekommen; von anderwärts her der purpurfarbene, während Aegypten seinen sternbesäeten Alabaster gespendet. Von allen diesen Marmorarten wurden unter Anderm die hundert Säulen des Innern ausgehauen, während mit wellenförmigen Platten gleichen Steines der Boden sich belegte. Das Viereck war in ein Oval abgerundet; oben waren die Emporbühnen für die Frauen angebracht, während die Männer unten ihre Stelle fanden. Das Chorgeländer war von Bronze gegossen, ohnfern davon war rechts der Stuhl des Kaisers hingestellt, links der des Patriarchen. Der Altar ruhte auf goldnen Säulen, und zu dem Metall des Tisches waren Edelsteine beigemischt; alles Geräthe war vom gleichen Metall; Holz war nur zu den Thüren verwendet worden. Und das byzantinische Reich sah mit Stolz auf dies Werk seines Geistes; es war ihm eine Eingebung von oben, die das himmlische Jerusalem, wie es der Seher mit der Ruthe ausgemessen, auf die Erde herabgezogen, und in der Kuppel es mit einem irdischen Firmament gedeckt; und sein Kaiser rühmte sich, er habe Salomon besiegt.

So hatte das Christenthum seine eigenthümliche Baukunst sich geschaffen, aber die neue Kunstsprache theilte sich gleich im Beginne wieder in zwei Mundarten; eine lateinische für das Abendland, und eine byzantinische für die morgendländischen Reiche. Im Verhältnisse wie von jenen beiden Mittelpunkten, in die sich die erste jüdischchristliche Kirche in Jerusalem erschlossen hatte, Heidenapostel zur Bekehrung der Völker ausgingen, verbreitete sich auch eine zwiefache Bauweise in alle Welt. Wie die derselben Bildungsstufe entsprechende Malerei für Christus, die Apostel, die Propheten und die Heiligen stehende, unveränderliche, immer wiederkehrende Typen hatte, die man sich von Kloster zu Kloster und von

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Provinz zu Provinz mitgetheilt; so hatte auch diese Baukunst ihre bleibenden Formen; wechselnd nur mit der Zunge jenes doppelten Idioms, und fortgepflanzt theils durch die unmittelbare Ueberlieferung der Baukünstler, die aus einer oder der andern Schule ausgegangen; theils durch Miniaturgemälde in den Büchern, durch Silberarbeiten an Altären und Reliquienkasten, deren Architektur immer und ohne Ausnahme in demselben Style wiederkehrt. Denn auch Rom war hinter den Orientalen nicht zurückgeblieben, und bewurzelte seine Kirchenbaukunst ebenso in der antikrömischen Kunst, wie Byzanz die seine vorzüglich der Altgriechischen aufgesetzt. Wie die Römerherrschaft aber den alten Gegensatz innerhalb gewisser Schranken zurückgehalten; so beschränkte auch hier die Einheit des Glaubens und die Kirchengemeinschaft anfangs die keimende Divergenz. Als aber die beiden Kirchen sich zu scheiden angefangen, spaltete sich auch der Kunststyl; und die Getrennten wurden um das  g r i e c h i s c h e  und das  l a t e i n i s c h e  Kreuz gesammelt. Die älteren Basiliken, bisweilen rund, und die Baptisterien, im Achteck angelegt, erbauen sich wohl auch in beiden Kunstkreisen; wie auch bisweilen die Form des Schiffs gewählt wird, die wie es scheint, in den zweichörigen Kirchen, am Ost- und Westende, später hervortritt. Erst seit der Trennung beider Kirchen wird schärfer geschieden. Noch der primitiven Weise angenähert, ist die Kunst von Rom aus zu den germanischen Völkerschaften gekommen, als diese zum Christenthume übergegangen. Zuerst hatten sie die Gothen angenommen, als sie Italien und mit ihr die Weltstadt in Jahrhundert langem Besitz gehalten. Alles, was aus Theodorichs Zeit noch übrig ist, die Franziskanerkirche in Ravenna angeblich von ihm gebaut; seine Palläste und Schlösser, von denen man noch Abbildungen zu haben glaubt; endlich sein Todtenmal, ein edel strenges, in seiner ernsten Einfalt des großen Mannes, dessen Asche es bewahrte, gar wohl würdiges Werk: Alle sind sie im altromanischen Styl gebaut, den die spätern Italiäner seit dieser

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Zeit, ihre eigene Vaterschaft vergessend, den  s c h w e r e n  G o t h i s c h e n  genannt. Er gelangte weiterhin zu den Nachfolgern der Gothen, den  L o n g o b a r d e n, und im Laufe ihrer Herrschaft, bis zu einer gewissen Entwicklungstufe mit einiger Eigenthümlichkeit fortgebildet, nahm er den Namen des  L o m b a r d i s c h e n  an. Die Gallier hatten ihn früher schon in ihre Heimath hinüberverpflanzt, und die Kirche von Tours mit ihren 120 Säulen, wie Gregor. Turon. sie beschreibt, war schon um 460 in der romanischen Weise gebaut. Die Merovinger hatten die Bauart auch in ihrem Gebiete angesiedelt, und nun errichtete Karl der Große, wie er auch italiänische Musik in Metz und St. Gallen angepflanzt, ihr eine Hütte bei seinem Dom und Pallastwerk in Aachen, von wo aus sie in seinen zahlreichen Kirchenbauten, - der Sage nach so viele wie Schriftzeichen im Alphabete, - sich über sein ganzes Reich verbreitete, und dort später den Namen der  A l t f r ä n k i s c h e n  erhielt. So hatte auch Alfred, nach dem theilweisen Vorgange der Bretonen und der christlich gewordenen Heptarchie, sie neuerdings in der Entwickelung, die sie bis aus seine Zeit erreicht, in sein Inselreich hinübergetragen. Ninian, der die Steinkirche in Whithern gebaut, war schon in Rom unterrichtet; jetzt zog der große Angelsachenkönig eine neue Schule römischer Künstler in sein Reich, und die schlugen dort ihre Hütte auf; und Alles, was in seiner Zeit und mehrere Jahrhunderte später gebaut wurde, ist romanisch. So Oxford, so die alte Kirche von Canterbury, die Eadmer "veterem ecclesiam Romanorum opere factam" nennt; während Beda ausdrücklich hinzusetzt: ad imitationem ecclesiae beati Petri. Und es wurde die Weise, dort zu Lande, sich in absonderlicher Schwere und Stämmigkeit gestaltend, fortan die  S ä c h s i s c h e  genannt. In Spanien hatten die gothischen Könige der Kunst denselben Dienst geleistet. Als im Jahr 777 der König Fauila auf der Jagd verunglückt, baute Alphons der Katholische, sein Nachfolger, seinem Andenken das Münster

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zu St. Peter in Villa nueva, aus drei Langschiffen so wohl und dauerhaft gefügt, daß Alles 869 Jahre nach der Erbauung noch vollkommen unversehrt erhalten war. Am Portale und seinen Säulen sah man, nach der Weise jener Bauart, die Umstände seines Todes auf der Bärenjagd in Stein abgebildet. *) Wie hier in dem fernsten Westen, so war dieselbe Kunst auch in den äußersten Norden vorgegangen. Als das Christenthum dort eingedrungen, setzte man in dem scandinavischen Stonehenge, dem Odinstempel von Upsala, den vier großen Marksteinen des, einem doppelten Achtecke eingeschriebenen Vierecks, eine Capelle aus Quadern mit acht großen rundbogigen Oeffnungen aus, von den nordischen dreieckten Giebeln überbaut; und schloß sie mit einem kreuzförmigen Gebäude ein, das auf den übrigen sechszehn Malsteinen ruhte.

Wie hier im Abendlande in solcher Weise Rom im Kunstgebiete weithin strahlend geworden, so aber auch Byzanz im Morgenlande. Als der Russenczar Wladimir Sinnes wurde, in seinem Reiche eine neue Religion einzufüh-
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*) Die Beschreibung dieses Bildes wollen wir hier mit den Worten einer alten spanischen Chronik mittheilen, da sie merkwürdig genug die Kleidung der alten gothischen Könige schildert: "En otra parte de la puera desta iglesia esta este cauallero sin armas, los vestidos largos hasta los pies; encima dellos una amanera de almatica sin' mangas, labrada por toda la orilla, estrecha por los costados, con unos laros como passamanos con botones; la cabeça descubierta con large cauellera, los çapatos puntiagudos, el cauallo en que yba sin pretal ni gurupera, solo tenia silla, estribos y freno. La muger tiene el tocado alto, con una toca por debasco de la barua, como lo usan agora las labradoras mus ruas, y aun muchas hijas dalgo de aquellas montannas; sobre los vestidos tiene otra ropa como la del rey larga hasta los todillos, y presa por los ludos y escotada. Este es el trage mas antiquo, que se halla de los reyes de Espanna, y my digno de ser nodato que deniade ser el de los godos. Despues tomaron nuestros reyes el vestir de los moros, saluo los turbantes, que no los asaron."

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ren; sandte er nach Restors Berichte zehn weise Männer in verschiedene Lande, um zu erforschen, welches Volk Gott auf die seiner würdigste Weise ehre. Die Gesandten fanden bei den mahometanischen Bulgaren elende Tempel, traurige Gebete, unheimliche Mienen; und zogen, da sie an diesem Dienste keinen Gefallen hatten, zu den Katholischen nach Teutschland. Dort trafen sie nun zwar einen geordneten Gottesdienst, aber, wie sie sagten, Ceremonien ohne Würde und Großheit. Sie kamen endlich auch nach Constantinopel. Mögen sie die Herrlichkeit unseres Gottes sehen! sagte der Kaiser, und hieß sie in die Sophienkirche führen; wo der Patriarch in seinen Amtsgewändern den Gottesdienst versah. Die Pracht des Tempels, die Anwesenheit des ganzen griechischen Clerus, die reichen Gewande, die Zierde der Altäre, der Duft des Weihrauchs, der Gesang des Chores, das Schweigen des Volkes und die Würde des Dienstes, ergriffen die Russen so, daß es ihnen schien: dieser Tempel sey wirklich das Haus des Allmächtigen, und daß er sich dort unmittelbar den Sterblichen offenbare. Sie machten ihrem Fürsten den glänzendsten Bericht von dem, was sie gesehen; und dieser entschloß sich, den Glauben der Griechen anzunehmen. Er nahm die griechische Stadt Cherson weg, und entführte ihr heiliges Geräthe; nachdem er des Kaisers Schwester sich als Gattin beigelegt, zerstörte er die alten Götterbilder seines Reiches; und ließ geschickte Baumeister von Constantinopel kommen, die ihm in Kiew eine Steinkirche zur Ehre der heiligen Jungfrau bauten. Der Styl, den diese Künstler mitgebracht, wurde fortan canonisch im ganzen Reiche; und was es sonst von ältern Bauwerken in sich beschließt, ist Alles in ihm ausgeführt. Was die Reisenden uns von den Ueberresten alter Kirchen, die die früheren byzantinischen Kaiser in den caucasischen Ländern erbaut, berichten, führt alles auf diesen Mittelpunkt zurück. Eben so die in Kleinasien und Syrien zerstreuten, zum Theil in Moscheen umgewandelten altchristlichen Gebäude. Es ist also

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eine nicht zu bezweifelnde Wahrheit, daß die Sophienkirche in Byzanz und die Basiliken von St. Peter und St. Paul, als die beiden Beziehungspunkte aller Kunst, durch viele Jahrhunderte gegolten; und daß von ihnen der zwiefache Grundtypus aller Bauwerke der mittleren Zeiten ausgegangen. Indem man beide als die Brennpunkte einer Curve nimmt, kann man um sie her eine Folge concentrischer Ellipsen ziehen; in deren Peripherien alle größeren Gebäude dieses Styles fallen, und deren gemeinschaftliche große Achse von Spanien zum Caucasus hinzieht; während die kleine von Sicilien durchs adriatische Meer und Illyrien, nordwärts an die Gränze der germanischen und ostslavischen Völker, läuft. Ueber dem Kreuzungspunkte beider Achsen, in den Lagunen von Venedig, hat die mächtige Republik, - durch ihren Ursprung eben so sehr, wie durch ihre Interessen und Besitzungen dem Morgenlande und dem Abendlande zugleich verwandt, - in ihrer Marcuskirche auf lateinischem Grunde ein byzantinisches, der Sophienkirche nahe befreundetes, Werk hergestellt.

In Teutschland hatten die Kaiser der drei Dynastien, die der Carolingischen gefolgt, eben wie die Fürsten des Reichs in ihren zahlreichen Bauwerken, getreulich zur römischen Schule sich gehalten; und zwischendurch nur etwa da und dort in Einzelheiten in die Byzantinische übergegriffen. Nun aber nahten die Zeiten, wo im germanischen Norden eine neue dritte sich gründen und ausbilden sollte. Der große Streit mit den Päpsten hatte unter der ostfränkischen Dynastie sich mit Heftigkeit entzündet, und Jahrhunderte hindurch fortgesetzt, immer größere Kreise schlagend, die Nation in allen ihren Tiefen und Untiefen aufgeregt. Anfangs scheinbar ein Zwist um Formen und Gerechtsame, war dieser bald in einen Kampf entgegengesetzter Principien, des theocratischen und des politischen, ausgeschlagen; und hatte bald den Charakter einer großen, tief in der Natur der Dinge, der Menschen und der Stämme begründeten

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Zwietracht angenommen; die schnell alle Elemente der europäischen Gesellschaft durchdringend, in mannigfaltig wechselnden Gestalten zum Vorschein kam. Die Teutschen waren, als er zu diesem Stadium gelangt, - den Streit aus dem politischen Gesichtspunkte angesehen, - zur Einsicht gekommen: daß es hier der eigenste Geist der früher bezwungenen  l a t e i n i s c h e n  Völkerschaften sey; der, da er im  O b e r p r i e s t e r t h u m  eben so seinen Mittelpunkt gefunden, wie jener der  G e r m a n i s c h e n  im  K a i s e r t h u m, ihnen nun entgegentrete; um die letzten Reste des früher aufgelegten Joches abzuschütteln, ja wo möglich der Sieger selber sich zu bemeistern. Es war natürlich, daß, so wie die Streitenden zu diesem Verständniß gelangt, jeder fortan in seiner Eigenthümlichkeit sich abzuschließen, und in allen seinen Ausbreitungen auf's Bestimmteste zu begränzen strebte, um im vollen Gefühle seiner Persönlichkeit dem Gegner entgegenzutreten. Die Teutschen insbesondere, da sie zum zweitenmale in den Kampf mit der weltbeherrschenden Roma sich verwickelt fanden, mußten sich in ihrer ganzen Nationalität zusammennehmen; und da in der ernst religiösen Zeit von einer Glaubensspaltung nicht die Rede seyn konnte, fand das Oppositionsprincip nur innerhalb des festgeschmiedeten Bandes der Gesammteinheit Raum, sich auszulassen. Und es wendete sich nun mit aller Energie, die es durch diesen Widerstand im langwierigen Kampfe gewonnen, gegen Alles hin, was sonst der Geist, die Art und die Physiognomie eines Volkes, in der auf's strengste gesonderten Eigenthümlichkeit ausarbeiten und gestalten mag. So warf es sich denn auch ins Kunstgebiet; und wie die einheimische Sprache unter der Kirchensprache sich hervorzuarbeiten begann, wie in ihr eine eigenthümliche Poesie sich begründete; so wurde auch eine  g i b e l l i n i s c h e  Architektur gefordert, die der alten   W e l s i s c h e n  entgegentretend, auch hier die Nation als eine selbstständige bezeichne.

Mancherlei wars, was dem germanischen Stamme,

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als er nur erst sich zu fühlen begonnen, an der alten romanisch-byzantinischen Baukunst nicht ferner mehr zusagen wollte. Schon äußerlich, wie die Sprache der Romanen, in ihrer Vokalenfülle, ihrem an die markirte Schärfe des Consonanten gewöhnten Ohre, allzu weich und unmännlich vorkam; so mußte ein inneres Verlangen sie treiben, ihre eigene, scharfgehaltene, in strenger Zeichnung fest umrissene; in jede Form sich fügende Muskelsprache, auch in ihren Bauwerken, jenen verfließenden Wellenformen gegenüber, auszudrücken. Dies Verlangen konnte nur dann befriedigt werden, als man den Spitzbogen in seiner Bedeutung erkannt; und ihn nun in die Steinurkunden der Zeit aufnehmend, die gothische, scharfe, nach aufwärts strebende Lapidarschrift, der runden, in ihren Theilen sich immer gegenseitig nivellirenden und mässigenden Romanischen, entgegen auszubilden, und ihr gegenüberzustellen angefangen. Weiter vermißte er in ihr jenes  m y s t i s c h  m e t a p h y s i s c h e  Princip, wozu er nicht blos im Gebiete der Wissenschaft, sondern eben so sehr in dem der Einbildungskraft, ja selbst im Leben mit vorherrschendem Hange sich neigt. Die Baukunst in allen ihren Hervorbringungen nur das schwerste irdische Element handhabend, schien die Befriedigung dieses Triebes beinahe gänzlich auszuschließen; und doch hatte selbst in sie das Christenthum jenes geistige Ferment gelegt. Aber es wollte die Nordischen bedünken, daß es in seiner ganzen Stärke noch bei weitem nicht gewirkt; und daß darum die Masse für ihren hochstrebenden Sinn allzu sehr vorwiege, weil sie klumpig und schwer am Grunde sitzen geblieben. Es kann aber in einer, ausgedehnte Räume mit plastischen Gebilden umschreibenden Kunst, das Metaphysische nur in jene höhere Perspektive gelegt werden; die sich im Auge des Beschauenden, auf eine geistige Weise, theils aus dem Verhältniß der Dimensionen quantitativ; theils aus dem Spiele von Schatten und Licht physisch; und endlich aus der gesetzmäßigen Gliederung aller Theile qualitativ entwickelt. Wir Alle wissen, daß Gott in uns und

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um uns unser Inneres durchdringt, ohne dem, was außer uns ist, sich zu entziehen; und daß er tiefer, als jede Tiefe, doch zugleich auch das Höchste überfliegt: und doch liebt unsere Einbildungskraft am meisten, ihn nach oben aufzusuchen, und über sich wendet sich jedes Herz, das sich ihm entgegen richtet. Die  H ö h e  ist uns daher auch an Gebäuden Symbol und Ausdruck des  E r h a b e n e n ; eben wie die Dimensionen der Länge, vom profanen Eingang bis in die Geheimnisse des Allerheiligsten, uns die  T i e f e n  des Werkes bezeichnet; an dem die  B r e i t e  dann für die Auslegung der Symmetrie, und für die allmähliche, harmonische Entfaltung der Grundformel in ihre Wurzelzahlen und ihre Proportionen übrig bleibt. Nun zeigte zwar die romanische Form des langen Kreuzes sich der Tiefe günstig; allein da ihre einfachen antiken Säulen nur mäßige Belastung, und also nur eine beschränkte Höhe dem Gebäude gestatteten, fand doch auch wieder seine Länge sich begränzt; da sie, über ein gewisses Größtes hinausgetrieben, den Mißstand der mangelnden Höhe, nur noch augenfälliger hervorgehoben hätte. Die byzantinische Weise, dadurch, daß sie die Massen zusammendrängte, und nun stammhafte Pfeiler mit ihr beladen konnte, erlaubte zwar zu größeren Höhen hinaufzusteigen; aber indem sie im gleichseitigen Kreuze die Breite der Länge gleichsetzte, vernichtete sie die Größe des Eindrucks wieder durch die Schwerfälligkeit, die die allzu nahe sich zudrängende Dimension, ins Werk hineingetragen; und fand dadurch auch selbst in jenem Ansteigen auf einem gewissen Punkte sich festgehalten. Beide Formen hatten überdem den runden Bogen mit einander gemein, und auch in ihm fand jene, stets über sich strebende geistige Federkraft, auf eine höchst mißfällige Weise sich beschränkt. Die Kreislinie ist allerdings die erste unter den Linien, sie hat auch allerdings eine Freiheit in sich; aber nicht mehr, als ihr der Radius gestatten will; Alles, was hinausstrebt über die Gränze, die er jeglichem Bestreben setzt, führt er schnell ins

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Geleis zurück; in dem nun alle Theile, jeder dem Andern gleichgestellt, in eintöniger Einerleiheit nebeneinander liegen. Der Kreis ist physisch die Linie aller streng centrirten Naturbewegungen; geistig das Symbol der enger oder weiter bindenden absoluten Gewalt, die keine Opposition in ihrem Bereiche duldet, und er erweckt durch seine geordnete Ruhe, sein schönes Gleichgewicht und die genügsame Geschlossenheit, ein wohlthätiges Gefühl, in jeder innerlich ausgeglichenen Natur; während er die vorwärts und aufwärts strebende allwärts beschränkt, und ein ängstliches, drückendes und peinliches Nebengefühl in ihr weckt. Selbst das Gewölbe des Himmels würde drückend schwer sich uns auflegen, hätte nicht eine glückliche optische Täuschung das Kreisrund in eine Ellipse ausgezogen; und wenn nicht die Sterne mit ihrem Lichte durch die crystallene Veste brechend, auch der Einbildungskraft den Weg zu gleichem Durchbruch bahnten. Solche Ausgleichung im Unendlichen mag aber nie ein Werk von Menschenhand erreichen; und wie sehr die Griechen rühmend das Halbrund ihrer Kuppel ins Hyperbolische hinausgezogen; schwer von schweren Untersätzen und breiten widerhaltenden Wänden getragen, wollte der Eindruck in keiner Weise dem gemachten Aufwand entsprechen; und das Gebäude vermochte den Ansprüchen der neu aufstrebenden Zeit nicht zu genügen.

Ein Anderes, was der germanischen Völker Art und Wesen, an den vorgefundenen Kunstwerken versehrte, war: daß sie ihren logisch wissenschaftlichen Sinn, gewöhnt überall, eine reiche Fülle mannigfaltiger Elemente, scharf und lebendig unter einem organischen Gesetz zu fassen, durch die schwebende Beziehungslosigkeit der sparsamen Glieder, die sie zusammensetzten, beleidigten und verwirrten. Die alten griechischen Bauwerke befriedigten in ihrer beschränktern Sphäre diesen Natursinn auf's vollkommenste; alle ihre Elemente sind wie aus einem Grunde aufgetrieben, auf's genaueste zusammen verwachsen und ineinander gegliedert; nirgendwo

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hat gesetzlose Willkühr Absprünge und unmotivirte Ausweichungen sich erlaubt, oder mißgeborne Ungestalten eingeschoben: Alle sind sie in züchtiger Einbildungskraft empfangen, und nachdem sie in einer gesunden, kräftigen Natur ihre Zeitigung erlangt, ins Licht hinausgeboren; und blicken nun mit eben so hellen Augen in das Gemüth, wie des Euclides mathematische Lösungen in den Verstand. Die Römer sind ihrerseits bei größerer Aufgabe, nur theilweise und in ihren besten Werken, zu gleicher Durchbildung gelangt; aber selbst die Geringeren in ihrer guten Zeit, mochten nie völlig, von der strengen Gesetzlichkeit und Consequenz ihres ganzen Wesens, sich lossagen. Die christlichen Werke aber hatten, wie wir gesehen, in der allgemeinen Anordnung ihrer großen Massen und Abtheilungen, zwar allerdings ihre bestimmte Gesetzlichkeit; der Kunstinstinct hatte bei ihnen tastend, meist das Rechte bewußtlos findend, fortgewirkt: aber es war darum keineswegs noch zu einem durchgebildeten System gediehen; und die ökonomische Zweckmäßigkeit dehnte sich noch nicht durchgreifend auf die ästhetische Anordnung ihrer constitutiven Elemente aus; die sie nur zu einem Artefacte, keineswegs aber zu einem Naturwerk zu verbinden wußten. So sind die Elemente jener Paulskirche in Rom: die Corinthische Säule mit der Bogenstellung, der getäfelte viereckte Spiegel, und das einfache enge, rund gewölbte Fenster; alle diese Glieder aber haben hier nur zufällig sich zusammengefunden, sie sind nicht in einer innern Nothwendigkeit auseinander hervorgegangen; und sind daher auch durch keinen innern geistigen Verband in wechselseitiger Unterordnung zusammenverwachsen und vereint. Noch weniger wollen in der Sophienkirche die kleinen Künste gefallen, die man angewendet, die Massen zu brechen und die Einförmigkeit weitausgedehnter Flächen aufzuheben; jene Säulen, die man in zwei Stockwerken übereinander in Reihen aufgestellt; jene schweren Gesimse, mit denen man die Wände durchzogen; jene rundbogigen Fenster, die man oben in drei

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Reihen übereinander angebracht; jene Marmorbuntheit und Verschwendung von Mosaik, die überall das Auge zu bestechen sucht. Selbst das byzantinische Säulenkapital ist häufig durch dieselbe unnatürliche Künstlichkeit, die der ganzen Bauart anhängt, ausgezeichnet. Eine zahllose Menge von Kleinigkeiten, gebrochene Linien, Schnörkel, Bänder, Federn sind musivisch aneinander gelegt; alles zusammen ist in einen Teig geknetet, aber nirgendwo tritt ein großes plastisches Gesetz hervor, in dem das Alles zu einem gegliederten Ganzen sich vereinigt hätte: Die Zeiten waren indessen zu einem anderen, und höheren reif geworden; sie strebten in die reichere Kunstfülle, die sie um sich her angehäuft, dieselbe Einheit und gesetzmäßige Gliederung einzutragen, die die Griechen in der größeren Einfachheit der antiken Kunst hervorgerufen, und wollten mit diesen ihren Ansprüchen sich nicht abweisen lassen.

Also sann der Kunstgeist zum andernmale: um wie er früher in den Baukünstlern des Alterthums, das der Zeit, dem Orte, dem Volksinn und der Gelegenheit entsprechendste ausgesonnen; so auch jetzt in den germanischen Völkern, das ihrer Sinnesart und Weise Angemessenste auszufinden, damit zugleich das bisher herrschende durch gesteigerte Trefflichkeit überboten und verdunkelt werde. Die Kreuzzüge hatten den Orient aufgeschlossen, und der Reichthum der Natur wie Kunstformen, der dort trieb, mußte die Gemüther vielfach anregen und befruchten. Man hatte dort den Spitzbogen, als ein decorirendes Glied saracenischer Baukunst vorgefunden. Durch die Aufnahme war allerdings der Reichthum der Bauglieder vermehrt, aber es war damit noch wenig oder Nichts geschehen. Nicht der Spitzbogen selber war die Entdeckung, es war nur ihr formaler Theil; aber daß ein reicher, epischer Geist den Fund verstand, und als wirkliches Kunstelement ihn die Welt handhaben lehrte; indem er in ihm den Keim erblickte und befruchtete, aus dessen organischer Entwicklung sich eine ganz neue Kunstform gestal-

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ten konnte, das war die eigentliche Substanz der gemachten Entdeckung. Er mußte erst den Ursprung der beiden Grundformen dieses Bogens aus dem gleichseitigen Dreieck, oder zweien in einander gelegten Quadraten durchschauen; das mußte ihn zu der Anschauung hinüberführen: wie das Dreieck und das Quadrat innerhalb der Haltung des Kreises gefaßt, der Grund aller neuern Architektonik sey; und er mußte nun diese Grundformen erst mit einander zu verbinden wissen; und dann erst war sein großes Werk gethan. Der Spitzbogen war nur der Anstoß zu ihm gewesen, und er mochte schon lange zufällig dem Rundbogen beigemischt gebraucht worden seyn; ehe dann er den hochbegünstigten gefunden, der ihn ergriffen, und sich durch ihn zum Weiterforschen bestimmen lassen. - Wir haben gesehen, wie die Kuppel über der Vorhalle des Chors am Münster von Straßburg, auf vier großen Spitzbogen ruht, die von Pfeiler zu Pfeiler sich hinüberbrücken. Es kann seyn: daß man, bei der Umbildung der alten Kirche, die früheren Rundbogen in spitze verwandelt, und dann darüber die Kuppel mit ihrem Säulenumgang neu aufgesetzt. Aber dann begreift man schwer, warum man den großen Scheidebogen zwischen Schiff und Chor, mit dem Schnitte der Gewölbe und andern Bogen nach dem Sechseck, so disharmonisch stumpf nach dem Achteck eingeschnitten; auch will die Arbeit, Farbe und Verwitterung des altergrauen äußeren Umganges und seiner Verzierungen, nicht mit neuem Aufbau zusammenstimmen. Es wäre auch möglich, daß man später Spitzbogen statt der runden, nicht eingeschroten aber eingelegt. Dann ist aber wieder unverständlich, warum man die mühsame Arbeit auch auf die Seitenbogen also ausgedehnt: daß man nicht bloß die beiden kleinen, die auf der großen Säule ruhen, zu Spitzbogen gemacht; sondern selbst diese Umwandlung auf die großen in den Speichern vermauerten, sie umfassenden Bogen ausgedehnt; ja sogar auch auf die vier kleinern, die ihnen in den Ecken aufgesetzt, im Innern des

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Kuppel sich verstecken, zugespitzt. Es scheint also, daß diese vier Bogen schon bei Errichtung der alten Kirche im eilften Jahrhundert bestanden haben; wo sie dann, in dem übrigens romanischen Gebäude, als eine bloße, nicht mißfällige Anomalie ohne weitere Bedeutung mit unterliefen.

So war es also um diese Entdeckung ohngefähr eben so beschaffen, wie um die der Oelmalerei; die man gewöhnlich dem Van Eyk beizulegen pflegt. Oel unter die Pigmente zu mischen, um ein geschmeidiges, markiges, haltbares Material für den Pinsel zu gewinnen, lag viel näher; als ein junges Feigenblatt so lange im Eiweiß umzupeitschen, bis aus der Mischung seiner Milch mit der Gallerte, die sogenannte Temperatur der nach ihr genannten Malerei, entstand. Das Letzte konnte eher noch eine Entdeckung genannt werden, als das Erste; was gleich von selber sich darbot, und daher auch lange vor dem angeblichen Entdecker in Ausübung gesetzt wurde. Die alten Rechnungen über den neuen Kirchenbau in Ely, im Archive dieser englischen Kirche, enthalten schon unter dem Jahre 1325 die Rubrik: 3 ½ Laginae olei pro imaginibus super columnas depingendis; und unter 1339: 31 Lagen. olei empti pro coloribus temperandis; dazu die Pigmente oldfarbe, Bleiweiß, Grünspan, Vermilion, Cynoper, Azur, de albo Vernich, Silberblätter und Goldsyn. Nicht also dies war das Verdienst des großen Mannes, das seinen Namen schnell durch die ganze damalige Kunstwelt ausgebreitet; sondern weil er in der ältern Entdeckung den Keim einer neuen Kunstform erblickt, und diese aus ihm zu entwickeln verstand. Er war eben auch, wie jener große unbekannte Baumeister, in ein Stufenjahr seiner Kunst gestellt; die alten stehenden Kirchenformen wollten ihn und seine Zeit nicht ferner mehr befriedigen; und er erkannte: daß die, in conventionellen Schranken verpuppte Kunst, nur dadurch in einem erweiterten Daseyn sich erneuen mochte; daß sie, jene Mumiendecken durchbrechend, wieder zur Natur zurückkehrte, und in ihrem Jungbrunnen sich frische Jugend schöpfte. Beim ersten

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Versuch dieser Rückkehr ergab sich dem Künstler sofort: daß die Tonleiter der alten Malerei zu arm sey, und in viel zu weit getheilten Intervallen fortschreite; als daß sie der Fülle und Mannigfaltigkeit zu genügen vermöchte, die diesem in einem unerschöpflichen Reichthum von Formen, Gestalten, Tönen, Accorden, Reflexen und Assonanzen aufquellenden Born entströmten. In dem er aber seine reichere chromatische Tonleiter auf der Pallete besetzte, erkannte er nun auch bald: daß die alte trockene Temperatur zu starr und spröde, das Spiel und Ineinanderscheinen jener zarteren Töne und Halbtöne, beschränke; und daß dieser Widerstand kaum unter der Hand des kunstfertigsten Meisters sich bezwingen lasse. Und als er lange nach einem geschmeidigeren Verbande für seine Harmonien umhergeforscht, führte ein günstiger Stern ihn zu dem Oele; und sein Genie wußte nun sogleich des neuen Werkzeugs sich mit großer Meisterschaft zu bemächtigen, und ihm Alles abzugewinnen, was es irgend zu leisten im Stande war. Da unter seinem Pinsel das Oel wie ein Glasfluß dem durchscheinenden Grunde sich auflegte, bildete sich eine Art von catoptrischer Glasmalerei; vollkommener als die dioptrische, da sie nicht wie diese an die ungewisse Wirkung des Feuers gebunden ist. Der Schmelz stand auf seinen Bildern, wie ein klarer, heiterer, durchsichtiger Luftkreis, mit warmen Dünsten zur Genüge satt getränkt; und indem er in diesem gläsernen Meere seine Pigmente wie ein zartes Gewölk ausgoß, dessen plastisch wohlgeformte Theile er, in allen Uebergängen und den feinsten Schattirungen, kunstreich ineinander zu arbeiten wußte; brach sich an ihm das einfallende Licht gluthwarm wie im Morgen- und Abendrothe am Südhimmmel; und die Folie des Spiegels warf, wie dort die Gränze der Atmosphäre, die schöne Luftspiegelung in's Auge zurück. Neben den Consonanzen und Dissonanzen, die in dem  N e b e n e i n a n d e r s e t z e n  der Farben sich ergaben, fanden sich nun auch noch jene Andern hinzu, die die aus ihrer Uebereinandersetzung in den Lasuren sich entwickelten; so daß,

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indem darin dem alten Grunde sich eine neue Farbendimension aufsetzte, daher jenes chromatisch zauberhafte Spiel der auf's Zarteste abgestuften Mitteltöne entstand, wie sie diese Luft perspective nöthig machte.

Das war Eyk's große Erfindung, damit vermochte er den gesteigerten Ansprüchen der Zeit an Form und Farbe Genüge zu leisten, und damit wurde er Gesetzgeber in seiner Kunst. Und gerade wie er, in ächt germanischem Natursinn, die ganze Fülle des Lebens in diese Kunst hineingetragen, und zugleich auch in jener Luftperspective, im weitesten Sinne die metaphysische Höhe und Tiefe in ihr, hervorgerufen; so hat jener Baukünstler, durch die Verbindung des Spitzbogens mit den gekuppelten Säulenschaften, zugleich die Gesetzmäßigkeit eines Naturwerks, und die Erhabenheit und Tiefe eines geistigen darzustellen gewußt; und indem auch er in die gewaltigen Dimensionen des Kunstwerks, die ihm eigenthümliche Luftperspective, hineinzulegen verstanden; ist auch in die Baukunst das mystische Prinzip eingetreten, und diese dadurch aus ihren alten engen Schranken hervorgebrochen. Dadurch, daß er bis zu den innersten Mitten der Kunst vorgedrungen, da wo ihre idealen Einheiten verborgen liegen; und nun das Gesetz entdeckt, in dem sie in ihrer naturgemäßen Entfaltung voranschreiten; war der Synthese der Weg gebahnt, den sie zu dieser Entfaltung einhalten mußte; und das Geheimniß war gefunden: den ganzen Bau streng gesetzlich in den Aufriß hinüberzuführen; so daß er dann auf analytischem Wege durch die Werkmeister ausgeführt, in wenigen kurzen Formeln, die sich in Reihen lösten, gefaßt werden mochte. Er hatte der Natur ihre Verfahrungsweise abgesehen, wenn sie die Eichel, in die Erde geborgen, nun durch die Macht der die Feuchte bebrütenden Wärme, wieder hinauf zum Lichte in ihr Wachsthum treibt; und den kaum sichtbaren Keimpunkt in ihr, zu einem vielastigen, hochragenden Baum in die Lüfte auseinander breitet. So mochte denn auch die Fläche dieser durchschnittenen Eichel daguerrotypisch seinen Grundriß fassen;

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und legte er ihn dann in die Erde, und übernahm das unermüdet emsige Thun der Menschen dann das Geschäft, was dort die Elemente verrichtet; dann wurde der graphische Keim in assimilirtem Stoffe sprossend, und stieg nun in seinen Stämmen zur Höhe auf. Aus solchem Samen, in die rheinische Erde eingesäet, wie anderwärts in andere Marken, ist dann der Dom in Köln aufgewachsen; und neben ihm sind die anderen Gewächse aufgegangen, die im christlichen Welttheil zum heiligen Haine sich verbunden. An seinen Portalen hin, der Erdoberfläche entlang, fünf Stämme in einen verwachsen; oben breitet er seitlich seinen Wipfel aus, der im Chore wieder in die Runde sich zusammenfaßt, wo siebenstrahlich die reiche Blüthe in den sieben Capellen sich auseinander thut; die all ihren Segen im gemeinsamen Mittelpunkte, im Geheimniß des Hochaltars, sammeln.

So ist also diese Entdeckung im Kunstgebiete, zunächst vergleichbar jener andern, die man im folgenden Zeitalter im wissenschaftlichen Gebiete gemacht. Wie dort die alten Meister das tiefste Geheimniß irdischer Baukunst ergründet; so haben hier Andere, ihnen geistesverwandt, die cosmischen Mysterien der Architektonik des Himmels ausgeforscht. Der letzte Fund ist uns historisch näher gerückt, als der erste, und wir wissen besser um ihn Bescheid, und wie er nicht eines Mannes Werk gewesen; sondern viele Kräfte sich gemeinsam zum Suchen verbunden, und nun viele Menschenalter vorübergegangen, ehe das Werk zu seinem Ziele gediehen. Die alte Architektonik, auf den Augenschein und den nach ihm urtheilenden Menschenverstand, kunstreich in der Kreislinie, in Eykeln und Epicykeln aufgebaut, mußte erst durch  C o p e r n i c u s  zerstört und abgetragen werden; ehe dann aus dem rechten, centralen Gesichtspunkte, eine neue Visirung des Planetenhimmels an ihre Stelle treten mochte. Dann mußte der  t e u t s c h e  K e p l e r  die formalen Gesetze der cosmischen Bewegungen erst entdecken: die  e l l i p t i s c h e  Bahn der Bewegung der Weltkörper, das Analogon des Spitzbogens; das

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Verhältniß von  r ä u m l i c h e r  D i s t a n z  und   z e i t l i c h e r  U m l a u f s b e w e g u n g ; und den Ausdruck der letzteren in ihrer Theilung durch die  p r o p o r t i o n a l e n  A u s s c h n i t t e  d e r  B a h n e b e n e. Weiter mußten, vorzüglich  I t a l i ä n e r  und  H o l l ä n d e r, die Gesetze der  M e c h a n i k  dieser Bewegungen und  d e s  F a l l s  d e r  K ö r p e r   ausfinden; so wie die Erscheinungen, durch die Zusammensetzung der  K r ä f t e  hervorgerufen, construiren. Da durch das Alles die Probleme verwickelter geworden, und die bisherige mathematische Analyse und Synthese ihnen nicht länger gewachsen war, so mußte eine neue, höhere, eindringendere gefunden werden; und der  t e u t s c h e  L e i b n i t z  und der  E n g l ä n d e r  N e w t o n   gemeinsam die Entdeckung der  I n f i n i t e s i m a l r e c h n u n g   bewirken. Jetzt erst war es demselben Britten vorbehalten, die eigentliche substanzielle Idee, die  G r a v i t a t i o n, die allen Weltformen zum Grunde lag, und das  Q u a d r a t g e s e t z  ihrer Wirkung auszufinden. Nun erst war das Mysterium des ganzen Baues ausgefunden; nun konnte geometrisch sein Grundriß, und im   P r o b l e m  d e r  d r e i  K ö r p e r  sein Aufriß vollendet werden; nun ließ die Visirung des ganzen Werkes, durch Formeln, auf die Grundkräfte gebaut, und in Reihen sich entfaltend, aus dem innersten Fundamente sich entwickeln. Indem dann die Beobachter aller europäischen Völker nah, die technische Schärfe der Messung, immer weiter trieben; indem die Rechner durch viele Generationen unermüdet den also gefundenen Stoff zusammenfaßten; konnte endlich der  f r a n z ö s i s c h e  L a p l a c e, in seiner Mecaneque celeste, so den Himmelsdom in seiner ganzen Vollführung erbauen.

Um die Kirchenbaukunst wird es nun wohl eben so beschaffen gewesen seyn; sie ist nicht eine so einfache Sache, daß sie sogleich ganz und vollkommen ausgerüstet, in eines Mannes Geist aufgegangen wäre. Auf dem Wege, den  E i n e r  zuerst eingeschlagen, sind  V i e l e  gefolgt; und indem Jeder seinen Theil dazu gesteuert, konnte endlich ein Solcher kommen, der das Ganze nun befassend, es in einem Werke ausgedrückt, dessen Variationen dann durch alle Arten des Sty-

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les liefen. Wie die Sterne des Himmels um die Milchstraße, ihre Beziehungsfläche; am stärksten sich zusammendrängen, von da an aber abfallend weiter auseinandergehen; so ist es auch um die Dome und Münster bestellt, die gleichfalls auf eine solche Ebene sich beziehen. Es ist zunächst das alte  A u s t r a s i e n, am Niederrheine bis zum Meeresufer; dann das alte  N e u s t r i e n, tiefer westlich in Frankreich um die Normandie hergelagert; endlich  S ü d e n g l a n d  jenseits des Canales. Gälen haben in allen diesen Gebieten als Ureinwohner gesessen; dann aber sind die fränkischen Germanen eingebrochen, und haben zuerst das rheinische Land in ein germanisches umgewandelt; dann auch in Neustrien sich zum herrschenden Volk erhoben; während die Sachsen das Gleiche in England erwirkt. Am Rheine hat also das teutsche Blut jedes andere verdrängt, in Neustrien und England mit gälischem sich gemischt; und machdem es in der Normandie noch einmal sich transfundirt, hat die normanische Eroberung die Brücke zwischen dem Continent und dem Inselreiche aufgebaut. Die Künste sind, wie man voraussetzen muß, dort erfunden worden, wo sie am reichsten geblüht; und so werden denn auch das rein teutsche Blut, und das aus gälisch und bretonischem gemischte, in die Pflege des architektonischen Fundes sich getheilt haben; eben wie die drei Völker es auch gewesen, die vorzüglich die Mechanik des Himmels ausgeführt. Die nächste Frage ist nun: in welchen Verhältnissen ist diese Theilung geschehen? welches Volk kann die Priorität in Anspruch nehmen? aus welchem Kreise ist etwa der Kepler der Kunst hervorgegangen? Bei dem Mangel positiver Nachrichten, wird es jedem Stamme gleich schwer werden, seinen Vorgang vor dem andern nachzuweisen. Das gemischte Blut war unter Richard Löwenherz und Philipp August, vorher und nachher, im engeren Verkehre mit dem Orient gewesen, als das Teutsche; es nimmt die Priorität großer Bauwerke des neuen Styls in Anspruch. Aber der Spitzbogen entscheidet noch nicht; vielfach erscheint er auch

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später in Gebäude älteren Datums eingelegt; und die Kämpfe, an denen Teutschland verblutete, während Frankreich und England in steigendem Wohlstand aufblühten, erklären leicht den späteren Betrieb großer, kostbarer Bauwerke. Alle Völker waren damal im lebhaftesten Verkehre miteinander, jede Entdeckung verbreitete sich schnell von Einem zu dem Andern; und die allgemeime Theilmahme erschwert es dann der Folgezeit, den Ausgangspunkt auszufinden. Was aber doch für Teutschland entscheidend spricht, ist: daß man damals in England die neue Kunst, die  t e u t s c h e  K u n s t  genannt. Als die Normannen das Inselreich eroberten, brachten sie noch die romanische Weise mit, und übten sie bis zum XIII. Jahrhundert aus. Die Cathedrale von Lincoln, 1123 geendigt, war in diesem Styl gebaut; so auch die von Canterbury, vor dem großen Brande von 1174. Nun, am Anfange jenes Jahrhunderts, ward Wilhelmus Senonensis zu ihrem Wiederaufbau berufen, und von ihm ist geschrieben in der Chronik des Gervasius: vir admodum strenuus, in ligno et lapide artifex subtilissimus, ad lapides formandos torneumata fecit valde ingeniosa, formas quoque ad lapides form. sculptoribus tradidit. Weiterhin heißt es von seiner Arbeit: Ibi coelum ligneum egregia pictura decoratum, hic fornix ex lapide et toso levi decenter composita est. Endlich nochmal: Utrinque pilarios apposuit, quorum duos extremos in circuitu columnis marmoreis decoravit. Das war noch Alles romanisch; aber das Umstellen der Pfeiler mit Säulen deutete schon von ferne auf die neue Kunst; eben wie die schlanken, auch sogar schon gekuppelten Säulenschafte; die außen am Chore und dem Portale der St. Michaelskirche in Pavia, aus der Lombardenzeit vom Fußboden bis zum Dache reichen. Nach ihm, erst im Anfange des XIII. Jahrh., erscheint die spitzbogige Baukunst; und wird sogleich durch den Namen der  T e u t o n i s c h e n, von der Altsächsischen und Normannischen, unterschieden. In den Actis pontif. Eboracensium von Stubbs sagt Alured von

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dieser Zeit: Supra ostium chori aere et auro opereque incomparabili pulpitum fabricari fecit, et ex utraque parte pulpiti arcus, et in medio supra pulpitum arcum eminentiorem, crucem in summitate gestantem, similiter ex aere, auro et argento opere Teutonico fabricatam erexit. Man sieht deutlich, wie um die Zeit, als dieser Lettner gebaut wurde, eine neue Kunstweise eingewandert, die man mit einer eigenen Benennung zu bezeichnen nothwendig fand; um sie von der einheimischen, und der von den Eroberern früher eingeführten, zu unterscheiden; und man nannte sie die Teutsche, von dem Lande, das sie erfunden hatte. Es war um diese Zeit wohl noch so viel Normännischer Patriotism in den Baronen vorhanden, die jene Gebäude bauten; um nicht zu dulden, daß man eine Bauart mit dem Namen der Teutschen bezeichnet hätte, die ihnen wirklich aus der alten Heimath zugekommen: um so mehr, da ihre englischen Unterthanen, die sie unter dem Joche hielten, nähere Stammverwandte dieses Volkes waren, als sie selber.

Fragen wir aber nun, näher tretend, nach der teutschen Provinz und dem Stamme des gesammten Volkes, von wo die Erfindung ausgegangen; so wird uns die geographische Vertheilung der Kunstwerke, ihre allmählig zunehmende Häufigkeit, die gesteigerte Ausbreitung ihrer Dimensionen und die stetig wachsende Trefflichkeit, auf die Spur des allgemeinen Brennpunktes der gesammten Bestrebung führen; die nothwendig ohngefähr auf die Stelle fallen muß, wo sich der Canon des ganzen Kunstgeschlechtes findet. Wir haben gesehen, wie für die alte Weise  B y z a n z  und  R o m  die beiden Centralpunkte gewesen; indem dieselbe dreifache, allmählig fortschreitende Steigerung von Zahl, Umfang und Modalität zuletzt auf diese beiden Punkte, wie die Abweichungen und Neigungen der Magnetnadeln unter verschiedenen Längen und Breiten, auf die beiden Pole deuten. Die Sophienkirche und die Basiliken Roms sind diese beiden Kunstpole; um sie her hat die bildende Kraft das meist rohe Material in seinen

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Wirkungskreis hineingezogen; um sie her haben die meisten und größten Bauwerke sich zusammengedrängt, und von ihnen aus kann man nun mit Meridianen und Parallelkreisen die christliche Erde umziehen; in denen allmählig, wie die Entfernung von gemeinsamer Mitte wächst, der dort wachsame Kunsttrieb mehr und mehr erstirbt; bis in Scandinavien, nur wenig unscheinbare Gemäuer, noch schwache Spuren seines Wirkens trage; die wie Flechten und Moose des Nordcaps, als die letzten glimmenden Funken der erlöschenden Bildungskraft, erscheinen. So weit das Netzwerk dieser Kreise geht, wurde jene zwiefache Kirchensprache geredet; und wie die Gemeine im Abendlande ihre frommen Gefühle in der schön gerundeten lingua latina betete und sang, begleitet von einem Chorale, der gleicherweise von Ton zu Ton, in einfach großen Bogenstellungen, edel und würdig signirt hinzog; so mußten auch selbst die Steine des Tempels diese Sprache reden, und sich in die Rundung fügen. Aber es ist eine stete Neigung im Menschen, von der Einheit abzufallen, von der festgestellten Form sich loszusagen, und der Fülle und bunten Mannichfaltigkeit ihres Naturells sich hinzugeben. In dieser Neigung waren aus dem Mutterstamrne viele Wurzelsprossen, die Volkssprachen, ausgegangen, und wucherten im täglichen Lebensverkehr in üppiger Lebendigkeit. Verachtend sah die stolze Herrin auf diese Bastarde, es war die Sprache der Bauern und des Pöbels, die Gemeinen redeten in diesem profanen Idiome unter einander; um mit Gott und von Gott zu reden, mußten sie die edlere Mundart wählen. Im Norden aber galt anderes Maaß und abweichendes Gewicht. Die Kirche in ihrer Verbreitung hatte im germanischen Stamme erst den rechten Grund und Boden vorgefunden; aber auch wie die recht eigentlich zusagende Sinnesweise, so dagegen eine eigene Sprache dort angetroffen. Die lingua tedesca, selbst schon spitzbogig in ihrer ganzen Natur und Art, war keineswegs die Sprache des Pöbels, sie war die Sprache der Herren, die ganz Europa bezwungen hatten; sie war die

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der Kaiser, die weitgebietend das ganze Abendland beherrschten, und sie trat nicht farblos, blöde und bescheiden wie gegenwärtig auf; sondern ihre reich betonten, scharf accentuirten, bestimmt markirten Brustlaute wollten die Italiäner der damaligen Zeit, nach Aussage ihrer Chroniken, als die Sprache des drückendsten Hochmuthes bedünken. Eine Zeit lang ließ diese stolze Eigenthümlichkeit sich bereden, in die fremde Mundart sich zu fügen; aber sie konnte ohnmöglich bleibend sich befestigen. Als die Kaiser anfingen, in die Behandlung weltlicher Geschäfte die teutsche Sprache einzuführen, und die Urkunden in ihr abzufassen; als eine eigenthümliche Poesie sich ausgebildet, die die früheren lateinischen Gedichte, aus Volksliedern und Sagen sie ergänzend und verjüngend, in große epische Gesänge umarbeitete; da entstand auch ein gleichmäßiges Streben, die alten romanischen Kirchen in eigenthümlich teutsche umzuschaffen. Dies Bestreben mußte, wie wir gesehen, nach der Natur der Sache am bestimmtesten da sich offenbaren, wo die teutsche Theocratie ihren eigenthümlichen Sitz genommen; wo das Reich und seine ganze Verfassung zuerst entstanden, und ganz im germanischen Style sich ausgebildet, und von wo es sodann sich über das ganze Abendland verbreitet hatte; dort, wo Krönungsstadt, Pallast und Kaisergruft, Anfang, Mitte und Ende der Herrschaft, Alles sich zusammenfand. Das war also das Gebiet der Franken am Mittel- und Niederrhein, den größten Theil der Flußgebiete von Mosel, Maas und Schelde in sich begreifend, und jenseits des Rheines mit Altsachsen und Thüringen gränzend. Dort steht in Köln der Canon der ganzen Kunstweise aufgerichtet, und zwar nicht etwa vereinzelt und verloren, in Mitte einer weitum von Kunstwerken ausgeleerten Oede; sondern in der reichsten Umgebung einer Stadt, der jedes Jahrhundert, das an ihr vorbeigezogen, irgend ein bedeutend Denkmal zum Gastgeschenke zurückgelassen, und die man daher nicht ohne Grund das teutsche Rom genannt. Um sie her ist die ganze Provinz

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mit ähnlichen Denkmalen erfüllt; von den Mündungen der Maas am Strom hinauf, durch Belgien gegen Lüttich, und die Ardennen durch Lothringen hindurch, bis an die Moselquellen im Elsaß; dann den Rhein entlang an seinen Ufern hinab, zeigt beinahe jede bedeutende Stadt wenigstens einen Versuch; und wo in den Metropolen kein solches Werk sich findet, erkennt man leicht die Ursache, in der Bedeutsamkeit und Größe des früher bestandenen Romanischen, das man anzutasten sich mit Recht gescheut. Um diese Mitte her lassen nun eben solche Parallelkreise sich ziehen, wie die alte Kunst sie um ihre Brennpunkte hergezogen; und da die neue so hoch im Norden festen Fuß gewonnen, so hat sie von da aus in dieser Richtung mit einer Kraft sich ausbreiten können, die jene aus größerer Entfernung nie erreicht. Und sie ist nun schnell in alle Lande ausgegangen, weil sie allerwärts congeniale Elemente vorgefunden, die das alte Weltreich der Teutschen, bei allen Völkern des Abendlandes, zurückgelassen. Frankreich, besonders in seinem nördlichen Theile, Teutschland noch viel näher als jetzt verwandt, - das Gebiet der Karlinger unserer alten Gedichte, - hat sie am ersten aufgenommen; und mit großer Thätigkeit durch eingeborne Meister zu ihrer Ausbildung beigetragen. Unter allen Provinzen dieses Landes aber hat sie keine mit mehr Liebe gepflegt, als die  N o r m a n d i e; die zweimal ins Teutsche übersetzt, durch Franken und Normannen, einen tüchtigen Volksschlag zu Bewohnern sich gewonnen, bei dem die Kunst eine eigenthümlich schöne Zunge sich gebildet. Als sie über das Meer nach England sich verbreitet, hat der unter der Eroberung wie unter einer Lawine verschüttete teutsche Stammgeist, schnell unten in der Tiefe den Anklang wahrgenonnnen; er hat sich rasch gerührt, und der Angelsachsen alte Art hat sich in ihr aufs Neue durchgearbeitet; und die Cathedralen dieses Landes geben Zeugniß von ihrer Wirksamkeit. Auch in Spanien haben die Hidalgos, die hijos del godos oder Gothensöhne, wie sie sagen, noch einmal das alte Blut in ihren Adern

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gefühlt; sie haben, wie Boisseré. erzählt, von Köln Meister der neuen Kunst mitgenommen, und die haben dort das heimische Reis auf den mohrischen Säulenwald gepropft; und in Burgos die teutsche Stiftshütte hoch über dem schweren, massiven, iberischen Grundgemäuer aufgeschlagen. Selbst Italien hat der verhaßten Weise sich nicht zu entziehen vermocht; der nachhaltende Longobardengeist im Norden bildete die Ueberleitung, und von da aus hat der Fluch, wie spät noch Vasari beweglich klagt, die Halbinsel von einem Ende zum andern durchzogen. Aber dieser Fluch ist nicht ohne Segen für das Land und die Kunst überhaupt geblieben. Dort war  D a n t e  aufgestanden; tiefsinnig wie irgend je ein teutscher Meister, und in Symbolen plastisch zugleich und mystisch, wie keiner, der nach ihm gekommen; hatte er der Volkssprache sich bemeistert, die erst vor Kurzem, seit der Mitte des 12. Jahrhunderts, zaghaft den Kreisen der Bildung sich genaht, und sie schnell in den Mittelpunkt derselben hineingesetzt. Zur nämlichen Zeit, als  E r w i n  v o n  S t e i n b a c h  sein großes Werk vollführt, und teutsche Meister in Italien nach ihrem  G r u n d e  Visirung stellten; baute auch er in dieser Sprache das große Münster der Poesie, die divina commedia auf. Pandämonium zugleich und Pantheon, wie das ägyptische Labyrinth die Hälfte seiner Hallen, eine große Krypta und ein anderes Purgatorium des heiligen Patricius, unter der Erde bergend; strebt sie von jenen Abgründen hinauf, die keine Nacht erhellt und wo keine Liebe wohnt, in stets erweiterten Stufen, die er vielleicht der Arena von Verona, wo er geschrieben, abgesehen; durch die Regionen, in denen ein zweifelhaftes Zwielicht langsam dämmert, endlich am Licht des Tages dort alle Planetenhimmel kühn nach aufwärts, bis dahin, wo im Allerheiligsten die Herrlichkeit des Herrn das Haus erfüllt; in der alle Liebe sich im Schauen löst, und alle einströmende Erkenntniß immer wieder ausströmt in Liebe und Verlangen. Sein Werk war ein Romanisches, aber mit dem Geiste jener metapysi-

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schen Mystik durchdrungen, aus der die teutsche Kunst hervorgegangen; wie er auch ein Gibelline gewesen, und über die Würde und Bedeutung des Kaiserthums das beste Werk in seiner Zeit geschrieben. Wie in ihm die Poesie den Einwirkungen des herrschenden Geistes sich nicht verschlossen; so hat auch die Baukunst seines Landes dem von Norden her Wehenden sich keineswegs versagt. Indem teutsche Baumeister vielfältig in Italien Kirchen im rundbogigen Style ausgebaut, haben sie die Gesetze des spitzbogigen in sie eingetragen; und so erst hat auch der Romanische jene schöne, wohlgefällige Ausbildung erlangt, in der er mit der nordischen Weise wetteifert.

Wir haben die welthistorische Wichtigkeit, und das Wesen der großen Entdeckung, umständlich auseinanderzusetzen uns bemüht; damit das teutsche Volk, indem es in ihr auf seine eigenste Seele sich zurückbesinnt, das redende Denkmal seiner alten Ehre und die Handveste seines angestammten Adels in dem Besten, was sie hervorgebracht, wieder erkennen möge. Boisseré hat in dem Magister Gerardus Lapicida, Rector fabricae nostrae den Dommeister zu erkennen geglaubt. Steinmetz war das Gewerk, dem er angehörte; er war in ligno et lapide artifex, wie jener Wilhelmus Senonensis, der zugleich ohne alle Frage der Baumeister der Cathedrale von Canterbury gewesen. Darum heißt er Rector fabricae, die Uebersetzung des teutschen Werkmeisters; unter welcher Bezeichnung Gerhard auch ausdrücklich unter den Wohlthätern von St. Ursula vorkommt. Er wäre also der Newton der neuen Architektur gewesen; nicht der Vater der Kunstform, die schon vor ihm bestanden, aber der Begabteste und Kunstgeübteste unter dessen Abkommen, der die Ueberlieferte schnell auf den Gipfel der Vollendung hinaufgetrieben. Unter der Pflege dieses wackern Meisters ist das angefangene Werk zuerst in seinem Grund aufgewachsen; aber schon im Beginne zeigen sich die ersten Glieder der langen Reihe von Hindernissen, die anfangs minder bedeutend, bald in wach-

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sender Kraft mit den fördernden Trieben sich in Kampf versetzten; und da ihre Exponenten stets in dem Verhältnisse wuchsen, wie die der Andern im Werthe sanken, die allmählich ermattenden Bestrebungen zuletzt nothwendig gänzlich aufheben und vernichten mußten. Die Arbeit war in all der Schnellkraft und Lebendigkeit, die die schwäbische Zeit in der Nation entwickelt hatte, unternommen worden; hätte dasselbe Geschlecht, das sie angefangen, sie auch vollenden können, sie wäre sicher in der Ausführung nicht zurückgeblieben; aber in einem zerfallenden Reiche, auf die Zusammenwirkung vieler Generationen, angewiesen, konnte sie dem Loose, trümmerhaft zu bleiben, kaum entgehen. Schon daß die Grundlegung in die böse kaiserlose Zeit gefallen, bezeichnete ein übles Horoscop. Die Wahl  R i c h a r d s  v o n  C o r n w a l l  brachte zwar englisches Geld zur Kirchenfabrik, aber in politischer Simonie gewonnen, konnte es keinen Segen bringen; so wenig wie jenes, das man in Straßburg den Juden abgestohlen, und dann in unser Frauen-Werk angelegt. Als die Kraft noch vorhielt, störte die Zuchtlosigkeit den Bau, die sich in der Anarchie des Reichs entwickelte. Geistlicher Hochmuth begann die Köpfe der Kirchenfürsten zu verrücken, daß sie die althergebrachte Freiheit ihrer Städte unter die Füße traten. Plebejischer Hochmuth, den der zunehmende Wohlstand in diesen entwickelt hatte, begünstigte ihre Pläne; indem er von innen heraus das gemeine Beste untergrub, das sie von außen anfeindeten. Die gährende Masse durchfuhren in allen Richtungen sich kreuzende Kriegesblitze, die zwischen den weltlichen Nachbaren um Rechte, Besitz und Erbfolgen sich entzündeten; und in dem Tumulte steten Haders konnte der Bau nur langsam von der Stelle rücken. Neu ermuthigt durch den Anblick des endlich 1322 vollendeten Chores, schritten die bildenden Kräfte mit Emsigkeit im Baue weiter; beinahe immerfort umlärmt vom Kriegsgeschrei, förderten sie, so viel an ihnen war, das Werk, dessen Ehre bald in alle Lande sich ausbreitete. Aber wie die Pfeiler stiegen und die Schwib

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bogen sich reiften, sank immer tiefer der Stern des Reiches; Verberben, das von oben herab niederstieg, vereinte mit anderem, das von unten aufgestiegen, einträchtig sich in der Mitte, um das Ganze zu verderben. Unter solchen Umständen konnte wenig Gedeihliches gefördert werden; und wo ja eine bessere Kraft erschien, mochte sie kaum in ihren Tagen des Unkrauts Meisters werden, das frühere Fahrlässigkeit und Teutschvergessenheit gesäet. So blieb der Dom von Köln unvollendet, und steht nun ein Torso des teutschen Hercules, und wie Boisseré treffend sagt: »ein doppeltes Denkmal des erhabensten Geistes, des beharrlichsten Willens und kunstreichsten Vermögens, und hinwieder der Alles störenden Zwietracht, ein Sinnbild der gesammten Geschichte des teutschen Vaterlandes. Als die Titanen das alte Reich zerrissen, mußte das Werk in seiner Durchtrümmerung ein Denkmal des Frevels der Nachwelt zeugen.«

Sollen wir nun, nachdem wir also vom Meister und der Kunst geredet, zuletzt noch einen Blick auf seinen Bau hinwerfen; dann kann dabei hier nur von der Kernidee die Rede seyn, die er ihm zum Grunde gelegt, und die dann im Werke sich ausgewickelt und entfaltet hat. Es gibt aber zwei große, Alles durchherrschende Grundverhältnisse, jedes wieder mehrfach in sich selbst zerfallend, die als herrschende Momente das gesetzliche in allen Erzeugnissen der teutschen Baukunst bedingen, und am Kölner Dome, als dem Canon und Inbegriff ihrer Trefflichkeit, am klarsten und vollständigsten zu Tage treten. Das Erste ist das  M a t h e m a t i s c h e, das blos die abgezogenen Anschauungen von Allem, was  G r ö ß e  ist, im Werke beherrscht; und darum in einer ersten Unterabtheilung  a r i t h m e t i s c h  d i e  Z a h l,  g e o m e t r i s c h  d i e  F o r m  ordnet und regelt. In einer zweiten Unterabtheilung wird dies Verhältniß in zwei andere sich auflösen: wovon das Eine des Werkes Maaß im  G r u n d r i s s e  begreift, wie er aus seinen  Z a h l w u r z e l n  und  G r u n d f o r m e n  sich zusammensetzt; die Andere seine Gerechtigkeit in seiner ganzen physisch  k ö r -

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p e r l i c h e n  Masse, wie sie  s t e r e o m e t r i s c h  aus gewissen   G r u n d f i g u r e n, in bestimmten  a r i t h m e t i s c h e n  Z a h l e n p r o p o r t i o n e n, sich aufbaut, zu ordnen unternimmt. Beide Verhältnisse zusammengefaßt und auf die Gesetze der Anschaung bezogen, werden daher die  M a t h e m a t i k  des Werkes begründen, die ihm gleichsam als sein Verstand einwohnt, in den die Idee zunächst sich aufgeschlossen. Wie aber in der Musik auch eine arithmetische und analytische Formel wohnt; die aber ins Gemüth aufgenommen, nach eigenthümlich ihm eingepflanztem Gesetze der Consonanz und Dissonanz, eine Umbildung und naturkräftige Belebung erfährt; so wird es auch der mathemetisch streng abgegränzten Form ergehen; sie wird in der gleichen Region, in der Schönheit der Umrisse und der  H a r m o n i e  der Theile, erst das rechte Leben gewinnen. Ein drittes Verhältniß wird diesen Beiden sich beifügen, das wir mit dem Namen des  L e b e n d i g p l a s t i s c h e n  bezeichnen können; in dem jene Beziehungen dadurch, daß sie an eine höhere Ordnung von  G r u n d g e s t a l t e n, und an einen höheren Ausdruck des  l e b e n d i g  F l i e ß e n d e n  sich knüpfen, in die Gesetzmäßigkeit eines höheren Reichs hinübertreten; und die Ideen, indem sie in  p f l a n z e n h a f t e n  und  m e n s c h l i c h e n  Gestalten ihren symbolischen Ausdruck suchen, darin zugleich den Schlüssel zur Deutung jener Hieroglyphen geben, die aus den untergeordneten Formen des Materiellen sich tiefer hinab gefügt. Durchgehen wir in der Folge, wie wir sie hier gestellt, diese verschiedenen Grundverhältnisse, um auf die bequemste und lichtvollste Weise die Anschauung des Kunstwerkes uns zu ordnen, und in ihren innersten Elementen zu begründen.

Man weiß, wie man in der Crystallographie die Gestalten zweiter Ordnung ableitet, von gewissen einfachen Urformen, indem man diese stets wachsend denkt durch Ueberlagerung von Lamellen, die parallel mit vorhandenen Durchgängen, auf ihre Flächen sich angesetzt. So wird es auch ähnlich um die Bauwerke beschaffen seyn; auch hier werden solche

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Urformen zum Grunde liegen; in den Ansatzmassen aber, die sich an sie lagern, wird der Wechsel jener Formen und das Gesetz der Ablagerung, wie es dort die Crystallsysteme und die Strahlungsysteme bedingt, hier auch eben so die Bausysteme bestimmen. Wie man daher im einen Falle, von der Gestalt einer zusammengesetzten Crystallisation, aus jene einfache Grundform schließen kann; so wird auch im Andern das Gleiche, bei den secondären Formenplexen im Kirchenbaue, statthaft seyn. Wie die Stiftshütte der Hebräer, so ist die Kirche noch jetzt, aus drei wesentlichen Elementen, zusammengesetzt: dem  A l l e r h e i l i g s t e n, dem  H e i l i g e n, und dem  V o r h o f. Das Allerheiligste soll die  t r i u m p h i r e n d e  Kirche aufnehmen, das Heilige die  S t r e i t e n d e, der Vorhof den  U e b e r g a n g  der Welt in die Kirche vermitteln. Drei Formen entsprechen am füglichsten im Christenthum diesem dreifachen Berufe: der  K r e i s, das  K r e u z  und das  g l e i c h s e i t i g e  V i e r e c k. Im  K r e i s e  bezieht sich Alles auf die Einheit des Mittelpunkts, der seine Mannigfaltigkeit im strengen Gesetz der Einfalt zusammenfaßt; er ist also, wie im Irdischen Ausdruck aller unbedingten Herrschaft, so aufs Höhere bezogen, Symbol der Macht, die die Gottheit im Weltall übt; und das Gebiet ihres Waltens wird für die Einbildungskraft am füglichsten mit ihm umschrieben. Der Theil des Gebäudes, von dem angenommen wird, daß er der Sitz dieser höheren Kräfte sey , das  A l l e r h e i l i g s t e  mit seinem ganzen Zubehör, erscheint daher, in allen seinen Constructionen, in der Form dieser Curve gebunden und abgegränzt. Das  K r e u z  aber, wie es seine Arme nach allen Richtungen hin ausbreitet, abwärts und seitwärts einladend gegen das Getümmel der Welt, aufwärts anbetend gegen das Heiligthum; ist der Ausdruck der sich zu Gott erhebenden  G e m e i n d e, die es in allen ihren Abtheilungen aufzunehmen die Bestimmung hat. Das  V i e r e c k  endlich ist die Figur der  W e l t   an sich in ihren Gegensätzen; am Eingang der Kirche sich findend, gestattet es daher den Durchgang dieser Welt, die

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es umfaßt, und bildet daher das Atrium mit den Zugängen. Im Grundrisse jeder christlichen Kirche werden daher die drei Formen sich finden müssen; wenn auch selber noch nicht als letzte Grundformen, doch als solche zweiter Ordnung. Der Dom in Köln ist aber nicht in dieser einfachen Ordnung aufgebaut, er ist ein zusammengesetztes Werk, im Grundrisse in der Anlagerung ähnlicher Formen an die ursprünglichen, nach einem bestimmte Gesetz, gestaltet; so daß ein u m s c h r e i b e n d e s  Aeußere, ein  u m s c h r i e b e n e s  Innere in sich befaßt. So zerfällt also die Chorrundung in zwei concentrische um den gemeinschaftlichen Mittelpunkt, der nach der Strenge mitten auf den Hochaltar fallen soll; eine innere, die das Allerheiligste umgränzt, eine äußere, die den  U m g a n g  um dasselbe mit den  s i e b e n  C a p e l l e n  bildet. Eben so liegt im Kerne des lateinischen Kreuzes ein  i n n e r e s  U m s c h r i e b e n e s, dessen Mitte jene Vierung vor dem Chore bildet, das sich dann um eine andere Vierung gegen das Allerheiligste hindehnt, abwärts durch den mittleren Gang in zwei andern hinzieht, während eine auf jeder Seite die Seitenflügel des Kreuzes bildet. Dies innere Kreuz wird alsdann von einer  ä u ß e r e n  D u p l i c a t u r  eingeschlossen; in der die Nebengänge des Schiffs und der Seitenflügel, so wie die Umgänge um den Chor bis zur Rundung hin begriffen sind. Endlich erscheint auch in der Vorhalle, das eigentliche Atrium in der Mitte, mit dem Haupteingang, von den beiden Seitenhallen mit ihren Zugängen, den eigentlichen Untersätzen der Thürme, umschlossen und eingefaßt. Die ganze Kirche besteht also aus einem Einsatz zweier Kirchen; wovon die umgebende, als die Armirung der Umgebenen, dieser in allen Formen und Umrissen folgt; und indem sie ihre Einheit mit der Zweiheit, in der sie sich aufgeschlossen, umschließt, diese in allen ihren Elementen wiederholt. Und wie nun im Chore die innere umfaßte Rundung das Allerheiligste in sich birgt, und daher der Potenz nach höher steht, als die umfassende mit ihren

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Capellen; so ist auch durch das ganze Gebäube, im Kreuze, in der Vorhalle und überall, das Innere in der Einheit das Edlere, Höhere, mehr vergeistigte; das Aeußere in der Zweiheit aber die Hülle, die dem Irdischen mehr zugewendet, eine Stufe tiefer sich ordnet und befestigt.

Trennt man daher durch Wegschlagen aller Duplicaturen die Fundamentalformen des Umhüllenden von dem Umhüllten; dann bleibt als Grundform zweiter Ordnung des ganzen Werkes, uns allein die folgende Grundform der alten Kirche übrig.



S. ist hier das Allerheiligste, V der Vorhof, der Rest, um die Grundvierung  a  b  c  d  her, das Kreuz oder das Heilige, aus den Seitenarmen  g  und  h, der Vorhalle des Allerheiligsten  f  oder dem Chore, und  i,  k  dem eigentlichen Schiff bestehend. Denkt man sich, im Sinne des Meisters, an diese Elemente der Grundform, Vorhof und Kreuz und Halbkreis, gleichartige Elemente in jeder Richtung angelagert; dann stellt sein Grundriß, wie er in der Ausführung vor Augen liegt, sich wieder her. So erhält die Vierung V, die Vorhalle, die zwei gleichen Vierungen zur Seite, über denen die Thürme errichtet wurden. Zwischen ihr und der nächsten Vierung  k  des Mittelschiffes wird dem Kreuze eine gleiche angeschoben; eine zweite an seinen linken Seitenflügel in  g, und eine dritte an den rechten in  h  angesetzt; endlich eine vierte dem Obertheil des Kreuzes  f  im Chore, als eine Verlängerung der Vorhalle des Allerheiligsten, beigegeben. Das also verlängerte und erweiterte Kreuz wird nun

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in seinem dreigevierten Stamme, von den Thurmvierungen bis zu denen der Seitenarme, rechts und links jedesmal mit drei neuen Vierungen umstellt, die dann die Abseiten des Schiffes bilden werden. Die beiden neuangesetzten Vierungen der Kreuzesarme werden ihrerseits wieder, jene mit einer Vierung, umstellt; so daß die angelagerte in zwei Hälften getheilt, in der einen östlich, in der andern westlich sich ihr ansetzen. Die beiden Vierungen des Chores, im Obertheil des Kreuzes, werden gleichfalls zu jeder Seite rechts und links, mit zwei andern, der Länge nach umfaßt und so ist die zweitheilige Duplicatur des Kreuzes hergestellt. Die Halbirung der Grundvierung in zwei Parallelogramme, bei den Seitenarmen des Kreuzes angewendet, hat die gleiche Theilung aller andern Vierungen, die des Mittelganges ausgenommen, nothwendig herbeigeführt; so theilen sich daher nun um ihn her die beiden Seitenschiffe, jedes in zwei Gänge; und die Zahl der Säulenbündel in ihnen verdoppelt sich in jeder solchen Vierung, mit Zugabe noch eines überhin. So geht nun das Anwachsen des Werkes zum Allerheiligsten über; indem die vier Nebenschiffe, nachdem sie die Seitenarme des Kreuzes durchdrungen, von rechts und links her einander entgegenkommend, sich in seine Rundung fügen. Wie auf die Duplicatur des Chores, so werden auf die des Allerheiligsten, vier neue Vierungen verwendet, die nach dem Kreise eingebogen, nach außen in die sieben Capellen sich zusammenschließen, nach innen aber den Umgang bilden. So hat die Synthese wieder hergestellt, was die Analyse zuvor geschieden hatte, den Grundriß des Baumeisters nämlich; und so muß die angegebene Figur wirklich als die einfachste Grundfigur des Domes gelten.

Betrachten wir nun die Kernform des Werkes uns näher, so sehen wir im Chore sieben Seiten eines Zwölfecks dem Halbkreise eingeschrieben. Die Vierungen, die dem übrigen Bau zu Grunde liegen, werden hier aus den Mittelpunkt dieses Halbkreises bezogen, um den sie sich ordnen

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sollen. Sie müssen sich also ineinander richten und so zusammenschieben, daß sie als sieben Dreiecke sich um das Centrum ordnen. Die Vierecke haben also hier die Einwirkung einer centrirenden Kraft erfahren, die indem sie dieselben in allen ihren Theilen convergent gemacht, sie in Kreisausschnitte eingebeugt. Der einen Grundform erster Ordnung im Gebäude, der Vierung, hat sich also, durch die Wirkung dieser Kraft, eine zweite, die eines centrirten Dreiecks beigesellt, in das jene sich umgebildet. Und so mußte es, nach der Bestimmung dieser Abtheilung des Baues, sich in ihm gestalten. Es hat nämlich die Gemeinde, die  W e l t  der  G o t t h e i t  das Werk erbaut, damit sie sich in ihm erbaue; und daß, indem sie in Andacht sich zu ihr erhebt, der Herr hinwiederum hier an geweihter Stätte sich zu ihren Opfern und Gebeten herablassen möge. Und daraus eben ist das ganze Gebäude eingerichtet, indem der Aufgang aus der Höhe des Ueberirdischen, für die im Kreuze versammelte Gemeinde, in der Rundung des Allerheiligsten eingetreten; dem gegenüber dann die Thürme, indem auch sie, anstrebend in ihrer Weise, auf die Höhe des Irdischen sich erschwingen, symbolisch durch ihre Gestalt und durch der Glocken Ruf, die Bestimmung des Gotteshauses allum entbieten und verkündigen. Und da nun, wie in dieser seiner Bestimmung, so auch in und zu seinem Baue,  G o t t  und die  W e l t  nothwendig sich verbinden müssen; so werden auch die Grundelemente seiner ganzen Zusammensetzung ein  G ö t t l i c h e s  und ein  N a t ü r l i c h e s  seyn; deren Symbole als die zwei Grundformen des ganzen Grundrisses sich darbieten müssen. Diese Grundformen sind das  D r e i e c k, Symbol der Einheit Gottes in der Dreiheit; und die  V i e r u n g, Symbol der Welt und der Natur, in ihrer vierfach geschiedenen elementarischen Zusammensetzung. Das  D r e i e c k  und das  V i e r e c k  sind daher die  G r u n d f o r m e n, und die Zahlen  d r e i  und  v i e r  die  W u r z e l z a h l e n  ganzen Werkes. Und zwar wird am

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Allerheiligsten, da es von der Herrlichkeit Gottes erfüllt seyn soll, das  G ö t t l i c h e  dem  N a t ü r l i c h e n  sich einbilden müssen; also daß auch die äußere Construction die völlige Durchdringung beider ausdrücken muß. Das Göttliche ist also hier eben die einende Kraft, die alle irdische Vierung in den Kreisausschnitt centrirt; ein Bild dessen, was der Zweiung der streitenden Kirche, in der Einung der triumphirenden begegnen soll. Es wird aber auch, die ganze Construction in der Rundung des Chors, durch die Uebereckstellung von vier Dreiecken gewonnen; indem man ein gleichseitiges Dreieck nach und nach, in die vier Ecken einer dem Kreise eingeschriebenen Vierung, umlegend, die vier Seiten dieses Vierecks im umschreibenden Zwölfeck triangulirt; oder die drei des Dreiecks in Umschreibung quadrangulirt; und also, in der vollkommenen Durchdringung des Dreiecks, und des Vierecks, das Product beider durch einander, das  Z w ö l f e c k  zusammensetzt, in dem nun des  C h o r e s  M a a ß  und  G e r e c h t i g k e i t  begründet ist. Da das Allerheiligste in seinem Grunde zunächst fünf Seiten des Zwölfecks erhält, so ist dadurch die  F ü n f z a h l  in ihm hervorgerufen. Indem aber seine Rundung in einer ausbeugenden Linie mit den Pfeilern des Chores sich verbindet; so tritt mit den zwei angefügten Seiten auch die  S i e b e n z a h l  aus der Fünfzahl hervor; die sich denn sofort auf die umschreibende Rundung, die sieben Gewölbe des Umgangs, und die sieben Capellen, ausbreitet. Die Capellen selbst, da sie als dem umschreibenden angehörig, eine Stufe tiefer, als das Allerheiligste stehen; sind daher nicht aus der Zahl 3 x 4 oder dem Zwölfeck, sondern aus der Zahl 2 x 4, in der Ueberecksstellung zweier Quadrate, oder dem Achteck construirt, und bieten die Fünfzahl in ihren Seiten, die Vierzahl in ihren Ecken dar. Und da nun das alte zerstörte Tabernakel wahrscheinlich nach der Neunzahl gebildet war; so erscheinen in diesem Theile des Werkes alle Primzahlen, zwei, fünf, sieben, eben so wie die zwischenfallenden und zusammengesetzten, sechs, acht, neun,

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zehn, zwölf durch den Eintritt der Dreizahl in die Vierzahl; so wie die entsprechenden Formen durch den des Dreiecks in das Viereck hervorgebracht, die also hier als die wahren Wurzeln der ganzen Composition gelten müssen.

Um die Construction des Kreuzes, die eben so, wie alles Andere, von des Chores Maaß und Gerechtigkeit bedingt, erscheint, wird es, nur unter ihm eigenthümlichen Verhältnissen, dieselbe Bewandtniß haben. Als seine inwendigste Grundgestalt muß jene Vierung  a   b  c  d, in Mitte des ganzen Gebäudes am Kreuzungspunkte seiner Arme, dienen; die eben, weil sie als Kern des Kreuzes und mithin das Heiligste im Heiligen erscheint, bestimmt war, in einer eigenen Capelle die Särge der drei Könige aufzunehmen. Diese Vierung, an den Ecken von vier Säulenbündeln, jeder zu viermal vier Schaften umstellt, ist also das Sinnbild der bauenden Gemeinde; die aus ihm als der natürlichen Grundform die Kirche zu bauen unternimmt, in der sie für sich und die Welt den Aufgang zur Höhe sucht. Der Weg aber, in dem dieser Aufgang geschieht, ist der Weg des Kreuzes; und die Grundform der Vierung muß sich daher zunächst in die Kreuzesform erschließen. Denn Gott, wann er im Allerheiligsten niedersteigt zur Welt,  d u r c h d r i n g t   und  v e r ä h n l i c h t  durch  G n a d e  das Geschaffene, das er zugleich befaßt; die Welt hingegen und die Gemeinde, die zu Gott ansteigt, vermag ihn nicht zu durchdringen, noch weniger zu befassen, sie  f ü g t  sich ihm nur in Demuth und Liebe an; und während er durch sein Beitreten in einer Art von Transsubstantiation Irdisches dem Göttlichen einbildet, kann sie aus eigener Macht nur allmählich, durch zunehmende  H e i l i g u n g  ihm nahen, immerfort jedoch in ihrer Creatürlichkeit beharrend. Jene Transsubstantiation ward im Allerheiligsten zunächst architektonisch durch die Kreisform ausgedrückt, wo die Gottheit in ihrer Einheit als Centrum steht. Indem sie aus dieser Einheit aber nun in die Dreiheit sich erschließt; mit ihrem ersten Gliede im Centrum beharrend, mit dem zweiten

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sich der irdischen Zweiheit, dem Grunde aller Vierung, in der Peripherie eingebend; mit dem dritten als Radius sie ordinirend, wird diese Zweiheit in der Rundung des Kreises gesammelt. Indem nun wieder in diesem Kreise, die Dreizahl sich der gevierten Zweizahl eingehend, sich zur Zwölfzahl mit ihr durchdringt; hat eben so das Dreieck mit dem Viereck zum Zwölfeck des Allerheiligsten sich formirt. Hier nun im zweiten Theil des Grundrisses, soll das heiligende Ansteigen der Gemeinde eben so versinnlicht werden; das mag aber nur geschehen, wenn die Vierung sich durch Anneigung und Aggregation also in die Dreiung fügt; daß, ob sie gleich als vorherrschend den gevierten Charakter in der Verbindung fortbewahrt, doch zugleich an allen Elementen die Signatur der Dreizahl aufgedrückt erhalte. Das vermag aber unter den Figuren allein die Kreuzgestalt zu leisten, in welcher auch die Heiligung ursprünglich begründet worden, die in der versammelten Gemeinde sich auf diesem Grunde nur fortsetzen soll. Umsetzt man jene Grundvierung in der Mitte, mit vier gleichgemessenen, ähnlichen Vierecken, also daß jedes sich an eine ihrer Seiten fügt; dann hat man das griechische Kreuz gewonnen, dessen Kerngestalt überall in allen Armen wiederkehrt, und die, indem sie also sich zusammensetzen, daß in der Länge dreimal sich dasselbe Element zusammensetzt, und eben so in der Quere, und nun die zwei Dreizahlen sich in der Mitte kreuzend schneiden, äußerlich die Signatur der Dreiheit angenommen. Betrachtet man die Grundvierung als Würfelmasse, und vier ähnliche Würfel um sie her zu diesem Kreuze verbunden; dann sieht man von den sechs Seiten dieser Masse vier auseinandergelegt, und da die Grundvierung die fünfte ist; so bleibt die sechste nun allein zurück, die auch als Würfel an einen der Arme des griechischen Kreuzes angesetzt, das lateinische Kreuz  K i g h f  in unserer Grundform zweiter Ordnung bildet. Hier unterlegt sich die Vierzahl abermal als Grund, erscheint auch in den vier Vierungen der Länge wieder, durchkreuzt in der Mitte

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mit einer Dreiung; so zwar, daß doch alle ihre Elemente eine doppelte Dreiung oder die Sechszahl zusammensetzen. Die Grundzahlen werden, durch den Ansatz einer neuen Vierung, an jeden Arm des Kreuzes, in dem ausgeführten Grundriß wohl gemehrt, das Gesetz des Ansatzes aber bleibt dasselbe. Im griechischen Kreuze würden vier Dreizahlen dann, aus einer Neunzahl gebildet, sich durchkreuzen; im Lateinischen drei solcher in derselben Einheit verbundenen Dreizahlen, mit einer einfachen zur Zehnzahl sich einen. Da für die Duplicaturen oben und unten, die Zahlwurzeln der verschiedenen Arme des eingeschriebenen Kreuzes, sich verdoppeln; in den Seitenarmen aber rechts und links nur eine aus zwei Hälften zusammengesetzte Einheit sich hinzufügt; so erscheint das ganze volle Kreuz im Stamme aus neun Einheiten; in jedem seiner Seitenarme aus dreien; in seinem obern Ende nach dem Chore hinauf aus sechs komponirt: also daß die Grundvierung, an die sich Alle anlegen, nach der Triangularzahl drei, sechs, zweimal drei und neun in ihm zu  e i n  u n d  z w a n z i g, oder sieben Dreiungen in vier Richtungen, sich aufgeschlossen. Wie also in der Chorrundung alle Zahlen und Gestalten, aus der Durchdringung der Viere durch die Drei, hervorgegangen; so entwickeln sich hier Formen und Zahlen, indem die viere mit dem Kreuzeszeichen sich bezeichnend, sich in die drei umsetzt; und dabei vom Einfachen zum Zusammengesetzten, vom Gleichseitigen zum Ungleichseitigen allmählich übergeht.

Werfen wir endlich, um die Deutung des ganzen Grundrisses zu vollenden, den Blick auf die dritte der drei Abtheilungen hin, aus denen er sich zusammensetzt; so finden wir auch diese nach demselben Grunde wie die vorigen entworfen und ausgeführt. Da es der profanste und weltlichste Theil des Gebäudes ist, wird nothwendig auch die Vierung in ihm herrschen; und wie gegenüber die vier in die drei aufgegangen; so wird umgekehrt hier die drei durch die vier gebunden, und in ihr mehr als sonst irgendwo latent. Die Dreizahl der Vierungen, aus denen dieser Theil besteht, setzt sich

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also schlecht und recht also aneinander; daß die Grundvierung des Atriums sich in ein ablanges Viereck zu beiden Seiten hin ausbreitet; so daß die gleichseitige Gestalt nur in eine Spielart von sich selber, in die Ungleichseitige sich erschließt. Diese Verhüllung der drei durch die herrschende vier wird auch wieder dadurch angedeutet, daß jede der  v i e r  Seiten der  d r e i  Vorhallen, aus  d r e i  Pfeilern, sich zusammensetzt; so daß also auch hier aus der Wurzel der Dreiheit sich die Achtzahl erzeugen muß. Indem aber durch den Zutritt des Mittelpfeilers in den Seitenhallen die Neunzahl sich erzeugt; wird dadurch nichts anders hervorgebracht, als daß die größere Vierung sich in vier kleinere zerlegt, an deren vier Ecken sich die vier großen Pfeiler stellen. Und wieder, indem jener mittlere Pfeiler dadurch entsteht, daß zwei Vierecke im Kreuze sich verbinden; erscheint auch hier untergeordnet die Dreizahl, indem je drei und drei Schafte immer kleeblattartig in einander verwachsen sind; so daß der ganze Pfeiler aus 24 Schaften sich zusammensetzt. Dasselbe Prinzip der Gliederung tritt auch an allen andern Pfeilern, die diesem Theile angehören, als herrschend vor; so daß also eine und dieselbe Regel, ein Maaß und eine Gerechtigkeit durch den Grundriß des ganzen Gebäudes geht: so zwar, daß in seinem Kopftheil das unsichtbare Dreieck die verschwundene Vierung im durch den Kreis, dem Symbol des All, umschriebenen Zwölfeck in sich aufgenommen; im Fußtheile den Vorhallen hingegen die Vierung, von den äußersten Ausstrahlungen der drei berührt, in das ablange Viereck sich ausgezogen; im Mitteltheile durch die Kreuzesform das allmähliche Ansteigen der sichtbaren vier zur verhüllten Dreiheit, dargestellt wird. So ist es beschaffen um den Grundriß des Werkes, der zwei Dimensionen desselben in sich befaßt. Die eine wird durch den Hochaltar, und den Stand der Priesters vor ihm bestimmt. Dort findet bei der Einheit des Ganzen der Grund seiner Tiefe sich ausgetieft, von dem nach vorwärts und nach rückwärts sich die eine Dimension ausdehnt.

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Nach vorwärts führt sie in die äußere Rundung zu den sieben Capellen hin, die also an die eine progressive Richtung dieser Dimension sich stellen. Nach rückwärts führt sie zur Vorderseite des Gebäudes und seinen Zugängen hinunter, die also an ihre zweite regressive Richtung sich ordnen. Vom Hauptportal bis zu dem Altare verinnert sich die Kirche mehr und mehr, centrirt sich stärker und immer stärker; während sie vom Altare bis zur äußeren Runde der Capellen sich wieder mehr veräußert, und excentrischer wird, aber einem anderen, tieferen Inneren angehörig. Diese Dimension ist daher die der gradativen Steigerung und des Nachlasses im Bau, der mittlere Gang bis zum Altare und darüber hinaus liegt in ihrer Linie. Die zweite Dimension wird die der Breite seyn, am entschiedensten in den Seitenarmen des Kreuzes hervortretend, aber auch gegen alle anderen Seiten hingerichtet. In ihr bildet die erste Dimension, dem Mittelgange entlang, die dirigirende Mitte mit der Einheit; von wo ab nach den beiden Seiten hin, der Epistel- und der Evangelienseite, das Mannigfaltige stets zunimmt; so daß es an ihrem Ende in dem Reichthum der beiden Seitenwände zum Ausdrucke kommt. Von jener Mitte ab aber sind alle Verhältnisse in dieser Linie gleich gewogen, die Symmetrie und Harmonie des ganzen Bauwerks ist daher an sie geknüpft.

Als die zweite Form der ersten Grundverhältnisse haben wir die Gerechtigkeit des ganzen Werkes, wie es körperlich über seinen Fundamenten sich erhebt, anerkannt. Hier tritt den beiden Dimensionen des Grundrisses noch die Höhe mit ihren eigenthümlichen Verhältnissen bei; und indem die physische Masse, nach Maaßgabe des unterlegten Risses, auch diesen Beziehungen sich gefugt, ist das Ganze in seiner architektonischen Vollendung hervorgegangen. Alle einfachen  a r i t h m e t i s c h e n  Verhältnisse des Grundrisses werden daher hier in der Potenz gesteigert; und alle  G r u n d f o r m e n  bestimmte  f i g u r i r t e  M a s s e n, die den wesentlichen Charakter jener Grundform, nur eigenthümlich nach ihrer Bestim-

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mung modificirt, bewahren. Hat der Grundriß sich gebildet, indem die Fundamentalvierung in der Mitte mit andren Wurzeln sich umstellt, bis sich der ganze Entwurf des Werkes gestaltet; so tritt jetzt statt jener Vierungen die  G r u n d w ü r f e l m a s s e  ein, und andere solcher Massen werden nun darüber hin und daran gewälzt; und auf solche Weise wird der Grundriß in den Aufriß hinübergezogen. Beginnt dies Werk zunächst bei dem Würfel, über dem  a b c d  der Centralvierung aufgerichtet, dann werden die andern Würfel, 50 Fuß in's Gevierte, auf ihn bezogen; und der erste, auf die obere Seite jenes ersten aufgelegt, wird nun der Centralwürfel des steigenden Kreuzes. Um den ansteigenden Stamm desselben zu bilden, wird noch ein zweiter Würfel diesem Centralen aufgelegt; zwei andere werden an die beiden Seiten desselben, je nach der Länge oder der Breite, angeschoben, um die Arme desselben zu bilden, und so ist das griechische Kreuz vollendet. Um dies in ein lateinisches umzuwandeln, muß nach abwärts noch eine fünfte Würfelmasse, für die Grundvesten des Gebäudes in der Erde, zugegeben werden; und das entstandene Kreuz wird sich nun aus zwei solchen Würfeln erheben, sich um einen nach jeder Seite ausbreiten, und endet oben in einen fünften. Dies Kreuz, das im Grundrisse horizontal gelegen, steht jetzt im Aufriß vertical aufgerichtet. Mit dem Fuße wurzelt es in einem Würfel in dem Todtenreiche; über der Erde aber steigt es in drei solcher Massen auf, und breitet sich in drei gleichen nach seitwärts aus: das heißt die größte Höhe des Gebäudes ist seiner Breite, oder dem Drittheil seiner Länge gleich. So ist in ihm die dritte Dimension in Höhe und in Tiefe ausgedrückt. Die Höhe aber ist das Reich der Gnade, im Gegensatze mit dem Reiche der Natur, das der Tiefe angehört. Jene strebt dem Ueberweltlichen entgegen, die andere ist der Erde zugekehrt, alles Erdhafte ruht hier auf breiter Basis fest gegründet; oben aber ist des Himmels Stätte, Sitz der höheren Mächte, wohin die Gebete mit den Rauchwolken des Opfers steigen; in der Mitte, dem Einen näher als dem

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Andern aber ist der Menschen Sitz gegründet. Das Untere längst dieser Linie wird daher zu den Oberen in dem nämlichen Verhältniß stehen; wie das Hintere, um der großen Eingänge am Atrium, zum Vordern im Allerheiligsten und dem Altare. Statt des Altares aber ist in der Höhe, wie auf der des Sinai die Herrlichkeit der Gottheit, der zur Rechten der pontifex maximus seinen Sitz genommen; während statt der Priester in den Gestühlen, die Chöre der höheren Geister sich ordnen. Das alles ist über alle Kirche und jeden irdischen Bau hinaus; aber an diesem muß doch etwas diesem Moment entsprechen, das sich dem Einflusse aus diesen transcendenten Regionen öffnet; und dies wird das obere Geschoß in der Höhe des Gebäudes seyn. Wie die Chorrundung überall von der Kreislinie umschrieben ist; so auch dieser Theil des Gebäudes von den Gurtbogen, denen die Gewölbe aufgelegt erscheinen. Wie in einer Anschauung des Alterthums, die Sterne des natürlichen Himmels, nur Oeffnungen in seinen Gewölben sind, durch die das Feuerlicht des Empyreums durchbricht, und in die niedrigen Regionen sich ergießt; so sind diese Gewölbe mit goldenen Sternen bedeckt, um symbolisch den Durchbruch des Reichs der Gnade und seines höheren Lichtes, ins Reich der Natur und seine Dunkelheiten, auszudrücken. Diese auf die Gemeinde von oben herab niedersteigende Gabe muß sich, um ihr zuzukommen, im Absteigen mehr und mehr naturalisiren und einleiben; und das wird zunächst in den Seitenarmen des aufgerichteten Kreuzes geschehen. Diese Seitenarme, durch Ansatz neuer Würfel in der Richtung der Breite verlängert, treffen zuletzt auf die großen Fenster über dem Seitenportale, und überhaupt auf die höheren Seitenfenster, so wie sie in der Richtung der Länge angesetzt, zuletzt auf die Fenster der Chorrundung und der Rose treffen. Die aber sind, wie physisch bestimmt, das Naturlicht der Höhe zuzulassen; so geistig geordnet das höhere Geisteslicht, in Farben gebrochen und zur Gestalt begränzt, zuzulassen; und da nun die Kirchengeschichte

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oben in der Höhe über der Profangeschichte spielt, so wird es jene Geschichte seyn, die von dort niederkömmt, und ihr inneres, heiligendes Licht in diesen Gestalten spielen, und jenem empyreischen Lichte, als aneignender Strahl, zutreten läßt. Die vereinten Strahlen werden noch weiter niedergehen, und sich in's dritte Geschoß der Kirche versenkend, eine letzte Brechung, Aneignung und Verleiblichung erfahren, um der Gemeinde sich hinzugeben. Denkt man sich das Kreuz über dem Hochaltare aufgerichtet; dann wird die höhere Mitte mit der irdischen Mitte durch den herabgestiegenen Strahl verbunden; der Aufgang aus der Höhe hat im Mysterium des Altares der irdischen Substanz sich eingegeben, um die Gemeinde zu sättigen und zu heiligen. Fährt derselbe Strahl noch ein Geschoß tiefer hernieder, dann dringt er in die Crypta unter dem Chore, und in's Reich der Todten ein; und erquickt auch diese in der Todtenfeier, wie er mit denen gethan, die noch lebend auf der Erde umwandeln. So tritt also die Dreizahl und die Vierzahl auch in dieser Dimension herrschend hervor. In drei Geschoße theilt sich jeder Würfel des Seitenganges, wie Boisseré bemerkt, - vom Boden bis zur Fensterbrüstung; das Fenster selber, und zuletzt das Gewölbe; - in drei eben so die oberen Würfel des Mittelganges, - vom inneren Gesimse über der Pfeilerbrücke, durch den Umgang bis zur Brüstung der großen Fenster, die Fensterhöhe bis zu den Capitälern der obern Säulenbündel, endlich die Gewölbe bis zum Schlußstein. - Da nun in der Pfeilerbrücke die drei Stockwerke sich in zwei umwandeln, - vom Fußboden bis auf die Höhe der Säulencapitäler, und von da bis zur Höhe der Spitzbogen, und dem inneren Gesimse; so wird die Wand des Mittelganges in ihren drei Geschoßen, doch wieder wie der Grundriß in fünf getheilt erscheinen; und die Höhe dieses Ganges wird sich zu der der Seitengänge wie fünf zu zwei verhalten. Die Dreizahl und die Vierzahl überall wiederkehrend, wie auch in den Gewölben sich nicht vermissen lassen, und sie sind deßwegen im Spitz-

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bogen erbaut. Dieser Spitzbogen gewinnt sich aber in der einen Form nach dem Achteck, aus der Uebereckschiebung zweier Quadrate; oder in der andern aus gleichseitigen Dreieck oder dem druidischen Sechseck, aus zwei in's Kreuz ineinander geschobenen solchen Dreiecken, construirt. Und weil dadurch, daß das Dreieck den Bogen bricht, im Verhältniß mit der Abnahme des gebrochenen Winkels, der Seitendruck sich mindert, und darum auch geringere Festigkeit des Materials gefordert wird, und sohin auch ein leichteres angewendet werden mag; so konnte auch technisch durch den Spitzbogen das Streben nach der Höhe am besten befriedigt werden. Wie nun aber, nach alter Lehre, die Himmel in der Neunzahl getheilt erscheinen, und innerlich wieder in der Dreizahl verbunden sind; so werden auch die Gewölbsysteme, in der Dimension von Innen zu Außen, sich gleicherweise dreifach gliedern; und also vom Sanctuarium aus über den neun Vierungen sich ausbreiten.

Was sich in dieser Darstellung für Schiff und Chor als herrschendes Grundgesetz erwiesen; wird auch, obgleich in eigenthümlicher Weise, für die dritte Abtheilung des Werkes und das Aeußere sich geltend machen. Hier treten als wesentlich unterscheidend die Thürme aus dem Ganzen vor. Im Thurme will das Irdische, obgleich zu Gottes Ehre, doch aus eigener Macht und Kraft zur Höhe streben; er ist daher, obgleich theilnehmend an der Weihe des Ganzen, doch der profanste Theil des Werkes; und die Sage blickt an ihm scheu hinauf und knüpft gern an ihn, wie an jenen Bau in der Ebene von Sinear, Erzählungen vom Hochmuth der Meister, die an ihm zu Fall gekommen. Auf dem Grunde des Vierecks muß er sich erheben, und das  G e v i e r t e  an ihm durchweg und mit ihm die  M a s s e  herrschend seyn; und da die dritte ansteigende Dimension die beiden andern Beharrenden überflügeln soll; so wird nothwendig der aufgerichtete  a b l a n g e   W ü r f e l  sich als die Grundgestalt ergeben. Drei

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Würfel übereinandergewälzt bilden den Untersatz des Thurmes, aus dem sich dann das vierte Stockwerk, aus einem zwiefachen in's Kreuz geschobenen Viereck, oder dem Achteck construirt, erhebt. Da aber das Höchste, was Irdisches durch sich selbst ansteigend erreichen mag, nicht aus dem Kreise physischer Elemente zu brechen vermag; so wird der höchste Theil der Sonnenbahn, den der Adler in steilrechtem Steigen erfliegt, durch das Symbol des Feuerelementes, das auch vor allen andern die Höhe sucht, bezeichnet seyn; und der Helm wird eine achtseitige Spitzsäule sich erheben, und sein Gipfel in dasselbe Kreuz sich öffnen, aus dem er unten hervorgewachsen. Und obgleich nun auf der Höhe, die Dreizahl der Vierzahl erst völlig Meister wird, so wird sie doch selbst der untersten Tiefe, wie wir im Grundriß gesehen, nicht gänzlich sich entziehen; und auch in der Zahl und Disposition der Thürme sich kund geben: da entweder, wie in  K ö l n  und und anderwärts, zwei Thürme zur Seite des Atriums mit einem Dritten über der Grundvierung sich im Dreieck vereinigen; oder, wie in  F r e i b u r g, einer über dem Atrium mit zwei andern zur Seite des Chores, und der Grundvierung im Winkel des Kreuzes, sich verbindet. Aus den nämlichen Gründen, die diese Verhältnisse und Formen an den Thürmen herbeigeführt, werden sie auch über alles das sich ausbreiten, was am Aeußeren des Gebäudes in die Höhe strebt. Darum werden die Dächer die prismatische Gestalt erhalten, nach demselben Principe, das dem Helme die pyramidalische gegeben. Da in den Widerhaltern die inneren Säulenbündel der Nebengänge, über den Umkreis der Gewölbe hinaus, das Höhere suchen; so werden sie dieses nur in der thurmförmigen Gestalt erlangen, und diese Gestalten werden sich außen, wie die Säulenschafte innen im Kreuze bilden. Da endlich zur Brechung geradlinigter Gesimse die Fensterbogen mit Spitzgiebeln sich bedecken; so wird an diesen das Grunddreieck einfach aus Stäben zusammengesetzt sich wieder vordrängen; und so Alles, was außen den in sich ge-

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schlossenen Körper überragt, die eine und selbe irdische Signatur erhalten.

Nun aber ergibt sich, wenn wir mit prüfendem Blick zunächst von Innen heraus das ganze Werk betrachten, daß es wesentlich aus nichts als aus Kreisbogen und Säulenbündeln besteht. Alle Lasten sind jenen Bogen aufgelegt, und diese vertheilen sich auf die Pfeiler, also daß das Ganze allein auf diesen ruht, und in sie nach abwärts immer zusammenläuft; die Mauer an sich aber völlig bedeutungslos als bloße Ausfüllung zum Uebergang erscheint.  B o g e n  und  P f e i l e r, oder vielmehr dessen Element, der Säulenschaft, sind sobin die wesentlichen Glieder, aus denen der ganze Bau also sich zusammensetzt, daß der Bogen immer die höchste Höhe sucht, der Schaft aber sich ihm unterstellt. Die Säulenschafte werden eben so in Säulenbündel sich zusammenschließen, wie sie oben in die Bogen auseinandergehen; der Grundriß aber wird die Beschaffenheit jener Bündel und die Gliederung der Bogen schon enthalten, und Beides wird der Stelle entsprechen, die sie im Gliederbau des Werkes einnehmen. So sind in den sieben Capellen auch die Pfeilerbündel aus sieben Schaften gebildet. Die Säulenbündel des Allerheiligsten erscheinen aus vier breiteren Schaften in's lateinische Kreuz gestellt; zwischen sie aber die kleinern, paarweise längst dem Stamme, einzeln nach einwärts über den Armen eingeordnet; also das Ganze aus zehn Schaften bestehend. Im Thurme herrscht eben so die Achtzahl vor, aus gleich vielen dreigetheilten Kleeblättern sich zusammensetzend. Daraus deutet sich Alles, was sonst noch diesem Theil des Grundrisses angehört, wie z. B. auch die Stellung der Schafte in den Säulenbündeln. Jene des eingeschriebenen Kreuzes haben zur Grundform ihrer Ordnung ein zwiefaches griechisches Kreuz; Eines dem Andern also eingeschoben, daß die Arme des Ersten in die Zwischenräume des Zweiten fallen; und somit, indem die acht Vierungen schachbretähnlich eine neunte Mittlere umstehen, und nun die vier Ecken mit vier großen, die acht des Andern mit acht

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kleinern Säulen sich besetzen, die Zwölfzahl von Schaften sich ergeben muß. In den Seitengängen aber sind zwei griechische Kreuze wieder kreuzweise ineinandergestellt, und da an jedes der vier Ecken beider eine Säule tritt; so erscheint der Pfeiler dort aus acht Schaften componirt. Eben wie also das Allerheiligste nach dem Zwölfeck gebildet ist, die sieben Capellen tieferer Ordnung aber nach dem Achteck; so sind auch im höheren eingeschriebenen Kreuze die Säulen nach der Zwölfzahl, im tiefer stehenden Umschreibenden nach der Achtzahl in Kreuzesform geordnet. In den vier Säulenbündeln der Grundvierung aber verbinden sich beide Ordnungen: indem zwei Kreuze kreuzförmig sich ineinanderstellen, und ein drittes schachbrettartig sich einlegt; so daß also für dieses Fundament des Schiffes, in sechszehn Schaften die Vierzahl vierfach genommen, nach dem Dreieck dreimal im Kreise sich zusammenstellt; während in den zehnschaftigen Pfeilern des Allerheiligsten die drei Kreuze excentrisch im Dreieck also sich verbinden, daß sieben der beiden ersten kreuzförmig ineinandergeschobenen, mit drei des andern an der Stelle des achten zusammenwachsen. Derselbe Grund der Ordnung verbreitet sich sogar auf die äußeren Widerhalter, von denen die mittleren sich näher auf das Innere und darum Höhere, die vorderen auf das Aeußere und darum Geringere beziehen. Weil aber nun das abwärts gezogene lateinische Kreuz mehr irdischem Bedürfnisse dient, und darum das Griechische in sich befaßt, das sich ihm einschreiben läßt; darum sind die vorderen Widerhalter im lateinischen Kreuz aus sechs Thürmen, die mittleren im griechischen aus fünf, die des Chores aber aus beiden, die in eine Figur von zehn Thürmen gewachsen, zusammengesetzt.

Ein kräftiger Baum, wie sie besonders in den tropischen Gegenden wachsen, erscheint so charakteristisch in allen seinen Theilen ausgewirkt; daß man die ganze Ausbreitung seiner Höhe bis an seine Wurzel verfolgen kann, und sein Wipfel schon unten am Stamme angelegt erscheint. Dieselbe Be-

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wandtniß hat es um die Säulenbündel. Im Grundriß ist ihre ganze Verästelung schon ausgedrückt, und man erhält diese, wenn man die Linie der Höhendimension ihm aufsetzend, ihn nun mit allen seinen Aus- und Einbeugungen in diese Linie hinüberträgt.*)
Im  U n t e r s a t z e  wird dann auch der  V o r h o f  sich wiederholen, der nun seinerseits wieder, nach einem nothwendigen Gesetze, in den  S c h a f t, dem  S t a m m e  des Kreuzes entsprechend, übergeht, und in ihm zur Höhe anstrebt, die, im Verhältniß Durchmesser stehend, diese sechs- oder siebenmal in sich befaßt, oben aber mit dem  C a p i t a l e  endet. Aus diesem treten dann die  G e w ö l b b o g e n  hervor, wie in jener ältern Vorstellung des Kreuzes mit schiefstehenden Seitenhölzern, diese  K r e u z e s a r m e   bildend. In der Mitte geht weiter als oberer Theil, etwa ein neues  S ä u l e n b ü n d e l  daraus hervor; das wieder bis zu seinen Capitälern, in der Höhe des zweiten Geschoßes, steigt, und zuletzt in die  G u r t b o g e n  der Gewölbe übergeht. - Indem nun alle diese Gurtbogen, wieder absteigend in den Schenkeln des Gewölbes, in die Säulenschafte übergehen, und diese von allen Seiten sich sammelnd in die Pfeilerbündel sich vereinigen; ist, nachdem die undurchbrochene Mauer als gänzlich entbehrlich ausgeschieden, das schlanke, leichte, bis ins Einzelnste in fortgehender Gliederung durchgebildete Wesen der Bauart erst ausführbar geworden. Und die Regel, die also in der Ganzheit eines der großen Glieder des Gebäudes; das da
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*) Die ganze Verfahrungsweise dabei hat Friedr. Hoffstadt in seinem gothischen Abc-Buch, Frankfurt 1840 bei Schmerber, auszulegen angefangen; und dies für Alle, die sich für die Sache ernstlich interessiren wollen, unentbehrliche Buch, wird wohl jetzt, bei der steigenden Theilnahme, auch zur Vollendung kommen. Hoffstadt gehört auch durch sinnige Auffassung, Einfalt und Kunstinstinct ganz der Schule jener alten Meister an, aus der seine Kunst hervorgegangen.

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aus den vier Säulenbündeln der Grundvierung, und dem auf ihnen ruhenden Gewölbe sich zusammensetzt, heraustritt, konnte nun erst auch auf alle untergeordneten Theile des Ganzen sich verbreiten. So ist also der Spitzbogen ruhend auf seinen Säulenschaften, wie er mit andern ihm Aehnlichen die große Bogenbrücke längs dem Mittelgang hinschlägt, nichts als der verkleinerte Gewölbebogen mit seiner Unterstützung. Dieser selbe Bogen mit seinen Untersätzen trägt sich dann auch, auf die ihm gegenüberstehende Wand des Seitenganges, über; weit aber hier dem Lichte der Zugang eröffnet werden soll, wird sie in bestimmter Räumlichkeit durchbrochen, und der Spitzbogen wird nun der obere Schluß des Fensters, dessen Gewandung seine Säulenschäfte bilden. Dies Fenster wird wieder gegliedert, und durch einen mittleren Säulenstab getheilt, der die Schenkel zwei engerer, dem größeren eingeschriebenen Spitzbogen trägt; deren jeder sodann zwei noch kleinere befaßt, die auf den Stäben einer zweiten Theilung ruhen. Die Zwischenräume der Bogen werden sofort mit Kleeblättern, Kranzblumen, Rosen ausgefüllt, die nach demselben genetischen Gesetze wie die Säulenbündel sich construiren, das denn auch wieder alles Architektonische der Glasmalerei beherrscht. Werden die Seitengewande einer Mehrzahl solcher schlankausgezogenen, noch öfter getheilten Fenster, aber also eingelenkt: daß alle mit ihren unten zusammenlaufenden Enden in einer Mitte, je nach den Systemen um das Dreieck oder das Viereck, sich vereinigen; dann entsteht die große Rose, deren eigentliche Stelle über dem Haupteingang dem Chore gegenüber ist, wo noch einmal die ganze geordnete Farbenpracht der Welt, zur Verherrlichung des Dienstes, das Atrium durchleuchtet. Reihen sich aber dieselben, aus Spitzbogen und Stäben und Pfeilern zusammengesetzten Durchbrechungen in gerader Linie zugweise an einander, dann entstehen die unter den Fenstern hinlaufenden Bogengänge. So geht also eine Regel von einem Ende zu dem andern, und vom Zusammengesetzten

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bis zum Einfachsten durch den ganzen Bau; und dies Einfachste ist auch hier die Vierung, verbunden mit der Dreiheit im Säulenbündel und im Spitzbogen.

Das bisher Gesagte bahnt den Weg zur Entwicklung der im ganzen Werke herrschenden Verhältnisse, die wir aber hier nur leicht berühren, weil der Raum uns zu drängen beginnt. Diese Verhältnisse theilen sich zuvörderst in  r a t i o n a l e  und   i r r a t i o n a l e. Der Ausdruck alles Irrationellen ist die  C u r v e, die, weil sie durchgängig nicht quadrirt werden kann, ihren transcendenten Character um so mehr kund giebt, je verwickelter ihre Gleichung wird. Wie darum die Curve allen höheren Theilen der Kirche angehört, so ist das irrationale Verhältniß gleichfalls in die dort ausgeführten Constructionen als das vorherrschende hineingelegt. Und weil die Kirche als ein Ganzes gefaßt aus einem zwiefachen, einem höheren und tieferen Element besteht; so wird schon in den beiden Dimensionen ihres Grundrisses ein irrationelles Verhältniß liegen; und weil dieser Grundriß in allen Gebilden überall sich wiederholt, muß das Verhältniß das Grundverhältniß aller vorkommenden Glieder seyn. Boisseré hat den Grund der Irrationalitäten und Ungleichheiten im Technischen gesucht, und es wird auch bei denen von minderer Bedeutung, zum Theile, ohne Zweifel wohl der Fall seyn. Manche der Größeren mögte man aus der Ellipse, als der vorausgesetzten Curve dieser Gebäude zu deuten sich geneigt finden; wenn man glauben könnte, daß die alten Meister wirklich die Deutung in ihr versucht. Man wird sie also wohl sicherer in den Kunstinstincten suchen, und so wird uns ihr Vorkommen zu jener Aesthetik der Kunst hinüberführen, die wir als den andern Gesichtspunkt zuvor in der Ordnung festgestellt. Es ist freilich eine Mathematik in dem Werke, wie eine analytische Formel in der musikalischen Composition; aber sie reducirt weit nicht alles auf ihre scharfumschriebene Function, sondern das Schöne hat in ihr ebenfalls sein Recht, nach dem, wie dort das Ohr, so hier das Auge, als Richter urtheilt. Das

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Auge aber über sich, in die Ferne, und in die Breite hingerichtet, kann allein entscheiden; welches die günstigste, dem Ganzen zusagende Höhe, Stellung und Relation der einzelnen Glieder des Ganzen sey. So gehen im Grundriß, wie man den großen Eingängen allmählich naht, die Säulenstellungen dort um fünf Fuß weiter auseinander, als gegen den Chor hin. Es ist wie es scheint, das Auge gewesen, was hier entschieden, und das perspectivische Zusammenrücken langer Säulenreihen noch verstärkend, die Entferntesten in der Wirklichkeit näher zusammengestellt, damit sie noch ferner entlegen scheinen möchten. Dasselbe wird mit allen Verhältnissen gegen die Höhe hin der Fall seyn müssen. Weil nämlich in allem Ansteigenden das System des Dreiecks herrschen muß, aus gleichem Grunde, warum es im Helme des Thurmes herrscht; darum werden alle ansteigenden Linien des Grundrisses, die selbst in seinen beiden Dimensionen aus ihm hervorgegangen, in gleichseitige Dreiecke zusammengerückt; und als die wirklich ausgeführte Höhe aller Theile wird die senkrechte Theilungslinie dieses Dreiecks angenommen. Darum erscheint die Höhe der obern Capitale der großen Halle von 125 Fuß auf 110, die der untern Capitale an den Seitenhallen von 50 auf 44 verkürzt; während die Gewölbe nach dem Sechseck im Spitzbogen ausgeführt, in der Haupthalle in einer Höhe von 39 Fuß, die Tiefe des Allerheiligsten unverändert wiedergeben, in den Nebengängen aber sich auf 19 spannen. Das Verhältniß der Totalhöhe der Seitengänge zu der des mittleren Hauptgewölbes wird daher nahe wie 63 :149, das ist ohngefähr wie 2 : 5 seyn müssen, und von ihm werden alle andern Höhenverhältnisse im Gebäude bedingt erscheinen. Der Grund des Irrationalen in allen diesen Verhältnissen wird im Systeme des gleichseitigen Dreiecks liegen, in dem alle Werthe für die senkrechten Linien nothwendig mit dem Factor √3 verbunden sind. Auch diese Regel ist aus der mathematischen Perspective hergenommen; aber das Auge hat auch die Luftperspective zu Rathe

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gezogen, und so verstärkt die Anwendung des Erfühlten die Wirkung um ein Großes. - Alle diese Verhältnisse aufs mannigfaltigste getheilt und abgestuft, durch zahlreiche Uebergänge ineinander übergeleitet, auf die kunstreichste Weise nach den Regeln des  r e i n e n  S a t z e s  zusammen componirt, bilden nun die  M e l o d i e  und die  H a r m o n i e  des ganzen Werkes; die dem Auge, das sie gleich beim Eintreten in großen Massen überschaut, jene tiefe, wundersame Rührung geben, wie sie nicht leicht ein anderes Menschenwerk erweckt. Was aber überwiegend die Art und Weise dieser Rührung bedingt, ist der Ausdruck von Einfalt, Größe und Erhabenheit, herrschend in Mitte der reichsten Fülle; der, wie wir gesehen, aus einem dreifachen Elemente sich zusammengesetzt: dem extensiv  M a t h e m a t i s c h e n, aus großartiger Verbindung gewaltiger Formen mit edeln Verhältnissen hervorgegangen; aus dem  i n t e n s i v  g e n e t i s c h e n, das die in regelmäßiger Progression, vom Größten zum Kleinsten hinab, und vom Einfachsten zum Zusammengesetztesten hinaus schreitende Gliederung bedingt; endlich aus dem  O p t i s c h e n, das, in dem durch den Farbenglanz gedämpften Lichte, eine künstliche Luftperspective in die innern Räume des Werkes einträgt.

Im bisherigen ist die Genesis, der eigentlichen Körperlichkeit des Kirchengebäudes, in ihren allgemeinsten Zügen entwickelt worden; die Untersuchung kann aber nur dadurch zu ihrem Schluß gelangen, daß sie auch das Moment, das wir früher mit dem Namen des   o r g a n i s c h  und  l e b e n d i g  P l a s t i s c h e n   bezeichnet haben, der Betrachtung unterwirft. Als in den ersten Schöpfungstagen, das Feste von dem Erdgewässer geschieden war, da entsproßte den trocken gelegten Höhen das Paradies der Pflanzenwelt; darauf regte sich das Leben in zahlreichen Thiergeschlechtern; und zuletzt erst erschien im Menschen die Krone, das Verständniß und die Deutung des ganzen Werkes. So ist des Künstlers Wort auch zuerst in den großen architektonischen Formen des Baues Stein geworden; und nun, nachdem dieser Unterbau voll-

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endet ist, streben die Mysterien der Zahlwurzeln und der Grundformen nach dem Tageslicht hinaus; und die verhüllten Räthsel der blos mathematischen Gestaltung suchen in höherem Gebiete ihre Lösung. Am Uebergange aus jener physischen Symbolik in die geistige, liegt aber zunächst Alles, was pflanzenhaft im Werke aufgesproßt. Das Verhältniß der Vegetation zu ihrer Unterlage aber ist, überall in der Natur, durch das Licht vermittelt; also zwar, daß die unorganische Gestaltung aller Orten, wo sie aus dem Gipfel ihrer Erschließung angelangt, nun dem Lichte sich eröffnet, und mit der Pflanzendecke sich umkleidet. Darum wird das pflanzenhaft Sprossende, im Ganzen jedoch, weil es keine Form verhüllen soll, nur sparsam angewendet, überall nur auf den höchsten Höhen der Glieder des Baues und an den scharfen Kanten, zum Vorschein kommen. Darum krönt sich der Säulenschaft oben mit dem belaubten Capitale; darum verlieren sich die Gewölbebogen, wenn sie nicht höher zu steigen vermögen, in dem mit der Blätterkrone gezierten Schlußsteine; darum schmückt sich das Gesimse, als die obere Gränze der unter ihm liegenden Wand angenommen, mit dem Laubgewinde; darum erscheint der höchste Forst des Daches wie in Stein bemoost, und die Kanten der Helme von Thurm und Thürmchen und der Spitzgiebel sind allerwärts ausgeblattet. Daß aber die Kunst, obgleich frei schaltend mit den reichen Schätzen der Pflanzenwelt, doch wieder gewisse prototypische Grundgestalten zum allgemeinsten Gebrauche vorgezogen, haben Boisseré und Metzger in ihren Werken auf's beste nachgewiesen. Jener hat nämlich als die drei am Dome herrschenden Grundgestalten ausgemittelt: auf unterster Stufe die Gestalt des Frauenschuhs, aus zweiter die krauser erschlossene des Blatts vom Bärenklau; auf dritter, und darum hauptsächlich am Chore angewendet, die des Akeley, kleeblattartig in drei Blätter getheilt und jedes Blatt am Rande dreifach eingeschnitten. Eine vierte Form, die der Blume von der Schwertlilie, hat der Verf., weil er

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sie seltner vorgefunden, als eine zufällige bezeichnet; ihr Vorkommen gerade am Endpunkte der Kreuze auf den höchsten Gipfelpunkten, zeigt indessen, daß sie keineswegs als unwesentlich blos neben den Andern hinläuft. Sie ist das Stammeszeichen der alten Franken, und soll vielleicht eben die Erfindung als eine altfränkische bezeichnen. Wie aber nun am reichsten die äußere, die Naturseite des Gebäudes, in Laub und Blumen aufgegangen; so sind auch die Thiergestalten ausschließlich auf sie hingewiesen. Phantastisch erfunden und zusammengesetzt, oder aus der Wirklichkeit entnommen, sollen sie die wilden, rohen Naturkräfte bezeichnen; die aus dem Reiche des Heiligen gewiesen, doch in seinem Dienste, die Heloten des Hauses, zu den gröbsten Verrichtungen, dem Abführen der Wasser vom Dache sich bequemen; oder sonst in den Winkeln hockend, zur bedeutsamen Belebung und Verzierung des Ganzen dienen. Das Innere hingegen ist vorzugsweise, wie menschlichen Zwecken angeeignet, so auch menschlichen Gestalten eingeräumt. Wenn aber überall, der höchsten Entwickelung des Tieferen, das Pflanzenhafte entsproßt; dann müßte auch über den Capitälern der Säulen die Stelle der Bilder seyn, wenn diese nicht schon überall zum Tragen der Bogen sich verwendet fänden. Darum sind an den Seiten der Säulen belaubte Tragsteine angebracht, gleichsam hervortretende Capitale kleinerer Säulenschafte, auf denen die Figuren unter ihren Lauben stehen. So erhält jedes Hauptglied der Pfeilermassen sein eigen Standbild, und auch für die Zwischenräume ist vorgesorgt, daß sie nicht leer und einsam bleiben. Da diese Zwischenräume über den Bogen, von den Fenstern des Hauptganges eingenommen sind, so hat die Glasmalerei es über sich genommen, hier ihre Farbengluthen anzuzünden. Die Naturgeister des Lichts hat sie also in die Dienstbarkeit gezwungen, daß sie fortan nie anders, als nachdem sie zuvor die Gestalten verklärter Gottesfreunde angenommen, die geweihten Räume zu durchziehen wagen. Und alle diese

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Bilder in Stein und Feuer ausgewirkt, sind nicht etwa planlos ausgestreut, wie der Zufall sie zusammengewürfelt; sondern das ist eben die Krone des ganzen Werkes, daß sie nach denselben organischen Gesetzen, durch die es sich gestaltet hat, in ihm ausgetheilt, als die inwohnende Begeistigung seinen verschiedenen Gliedern sich einfügen. Wie nämlich die Glieder der Reihen, in denen die Wurzelzahlen des Kunstbaues sich verflechten, in dem Verhältnisse in ihrer Geltung gesteigert werden, wie sie ihrem Endgliede im Allerheiligsten näher kommen, und in gleichem Maaße die Formen sich veredeln; so steigen auch diese ihre geistigen Exponenten, in ihrem idealen Werthe, im Gebiete der Heiligkeit; und durch ihr Beitreten hat zugleich die todte Formel erst die rechte Beseelung erlangt, und die bloße Tonfolge den Text, der sie deutet und erklärt. Als das Bedingende dieser Steigerung aber wird mit Recht der Fortschritt der Offenbarung in der Geschichte angenommen: wie aus jenem glimmenden Funken, der in der Nacht des Falles trübe fortgeleuchtet, durch die Folge der Jahrhunderte immer hellere Effulgurationen hervorgebrochen; die bald stehend geworden, erst zur Dämmerung und dann zum lichten Tage ineinandergeflossen. Die Verkündiger und die Zeugen dieses Fortschrittes, wie sie von Geschlecht zu Geschlecht erst die Verheissung und dann die Erfüllung überliefern, sind daher die lebendigen Exponenten jener architektonischen Reihe; weil sie in der geistigen Kirche dieselbe Geltung haben, wie die Glieder dieser Reihe in ihrem körperlichen Nachbild. So wird also das Werk zur großen Bilderbibel; vom Paradiese aus, in den Lauben der Eingänge, aufgestellt, wandert ein Zug ehrwürdiger Gestalten in die innern Räume, und jede besteigt die Stätte, die ihr bereitet ist. Die Propheten, die Boten der Zukunft, - die zwölf kleinern zuerst, dann die vier größeren, - finden ihre natürliche Stelle in der Mittelhalle des Kreuzes bis zur Vierung; ihnen rechts und links ordnen sich die Patriarchen, Gesetzgeber, Priester, Richter

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und Könige der alten Zeit. Die Grundvierung wird dann die Stelle der vier Evangelisten mit ihren symbolischen Thieren seyn, weil sie die Lehre vom Kreuze zuerst verbreitet haben; ihnen zur Seite in den Armen die Kirchenväter, und die Thäter und Bekenner des Wortes, die Heiligen und Märtyrer. Dann zieht hinaufsteigend durch den Chor und rechts und links in die Seitengänge sich ausbreitend, der neue Bund weiter nach vorwärts; zuerst die Apostel, und über ihnen in den Fenstern die Ahnväter des Logos nach dem Fleische, die Könige von Juda; und im Mittleren die übrigen Stammväter der Maria, aufgezeichnet über dem Bilde von der Huldigung des Kindes durch die drei Könige. Zur Zwölfzahl fügen sich dann, auf den beiden innersten Pfeilern, der Logos in seiner irdischen Gestalt zusammt der Mutter; und die zwiefache Sieben umschließt den Altar, die Stätte, wo er geistig unter der Hülle des Symbols sich verbirgt; während der Geist in die sieben Capellen seine sieben Gaben niederstrahlt. Und so ist die Deutung des Ganzen Allen verständlich ausgesprochen; die stummen Pfeiler haben ihren Laut gefunden und sprechen ein heilig Wort; auch der Glast, der durch die Fenster bricht, muß sich in gleicher Sprache articuliren. Wie nun die Pfeiler durch die großen Bogenzüge sich verbinden, so knüpfen die Worte rhythmisch in einen erhabenen Hymnus sich zusammen; der, wie er an der Himmelsveste der Gewölbe von Sphäre zu Sphäre höher steigend, in ihren Harmonien sich verklärt; endlich in der höchsten, begleitet vom Posaunenschall der drei Hierarchien der Himmelsgeister, jubelnd in ein einzig Wort aufgehet, in dem Schlüssel und Deutung, wie der Geschichte, so auch des ganzen Werkes liegt.

So ist es um den Kölner Dom beschaffen, das bewundernswürdige Erzeugniß eines der größten Geister, die je über die Erde wandelnd, die leuchtende Spur ihres Daseyns auf ihr zurückgelassen. Wie man zu den Höhen des Baues in einem mit Ehrfurcht gemischten Erstaunen blickt, so erweckt

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der Blick in die Tiefen dieses Genius ganz die gleichen Gefühle in der Seele. In dem Urheber eines solchen Werkes haben die seltensten Gaben, in einem Maaße wie sie nur dem ausgezeichnetsten Sterblichen zu Theil werden, in voller Harmonie und einem Gleichgewichte sich vereinigen müssen, wie sie gleichfalls, in dem vielfältig zerrissenen und verschobenen Leben, nur in den sparsamsten Ausnahmen sich zu behaupten vermögen. Eine schaffende Einbildungskraft, fruchtbar wie die Natur, da wo sie im fröhlichsten Spiele an der Hervorbringung der mannigfaltigsten Formen sich ergötzt; ein geistiges Vermögen, das bis zum innersten Grund der Dinge dringt, und von dort aus in der Idee, das weiteste Gedankenreich, ohne sichtbare Anstrengung zu beherrschen die Kraft besitzt; eine Anschauung, die, wie der Blitz das Verschlossenste durchdringt, und mit ihrem Licht das Dunkelste zur Durchsichtigkeit erhellt; ein Verstand, der alle Verhältnisse mit klarem, lichtem Auge überschaut, und das Verworrenste sogleich in großen Massen zu fassen, und das Vielfältigste in der Macht des einfachsten Gesetzes zusammenzuhalten versteht; ein Sinn endlich, der auf's Reinste gestimmt, die zartesten Beziehungen zu empfinden und wiederzugeben weiß: das Alles hat in einem schönen Ebenmaaße sich in ihm verbinden müssen, damit er den Gedanken eines solchen Werkes nur zu fassen vermochte. Sollte der Entwurf aber durch sein Zuthun zur Ausführung gelangen, dann mußte allen diesen Eigenschaften auch noch der beharrlichste Wille, das ausgedehnteste technische Kunstgeschick, und eine Fülle praktischer Kenntnisse und Einsichten sich beifügen, die schon allein für sich die tüchtigste Persönlichkeit in Anspruch nehmen. Hätte nur einseitig eine große Phantasie in ihm gewaltet, sie möchte wohl, wie die jenes trefflichen Dichters, den Entwurf eines Graltempels aufgefaßt, aber wie dieser gleich zum Voraus auf jede Möglichkeit einer Ausführung verzichtet haben. Hätte blos ein scharfer, rechnender, analysirender, scholastischer Verstand in ihm geherrscht, er hätte wohl ein überaus künstlich

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und regelrecht gesetztes Werk herauspunktirt und calculirt; aber es wäre nichts als ein Kunststück, ein todtes, kaltes Machwerk herausgekommen, ein Compendium der Mechanik aus Stein gesetzt. Hätte wieder nur das schöne Kunsttalent allein ihm beigewohnt, nie wäre es für sich so ungeheuer Massen Herr geworden; die der Geist erst bändigen muß, ehe sie dem bildenden Sinne sich ergeben. So aber, wie er war, und wie er sich gezogen zum Meister aller Meister und sein zum Canon aller Meisterschaft in seiner Kunst; durfte er kühn zum Kampfe, nicht mit dem Drachen, sondern zum schwereren mit dem Drachenfelsen nahen; und es konnte ihm nicht mißlingen, der Ungestalt dies Wunder von Gestalt, Form, Ebenmaaß und Bedeutung abzuringen. Und den rohen Gebilden, wie er sie aus der Natur in seine Kunstwelt eingeführt, ist seine Bildungskraft eine andere Natur geworden; ein Kunstgesetz gleich dem Natürlichen, in Wenigem viel beschließend, ist plastisch auf's Neue in sie eingetreten; und sie hat sich nach ihm umgestaltet, und eben wie in der physischen Welt müssen selbst scheinbare Anomalien immer seine Macht zuletzt bewähren. So hat er in spielender Leichtigkeit die schwersten Probleme aufgelöst; jene gewaltigen, breiten Massen, aus denen die Thürme sich zusammensetzen, es ist als ob sie an Ort und Stelle gelegt, wie aus einem Schooße in innerer Triebkraft zur Höhe hinangestiegen, von des Meisters Hand nur in ein zierlich Geflechte verschlungen wären. So hat im hohen Chore durch die Macht seines Genius der Stein Steines Art verloren, und beinahe die eines andern Elementes angenommen; wie Springwasser steigen die Säulenschafte nebeneinander gerade über sich zur Höhe auf, und biegen dann rechts und links nach allen Seiten um; und indem sie mit andern, denen sie auf halbem Wege begegnen, zusammenstießen; bilden sie jene schönen Bogengänge, die das Allerheiligste umweben. Und da in solcher Weise Alles von einem Ende zu dem andern großartig, in den edelsten Verhältnissen angelegt, zweckmäßig zusammengefügt, mit Liebe

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gepflegt und mit Treue vollendet worden, ist das Werk ohne Gleichen hervorgegangen, das jetzt im Geiste seines Urhebers sich vollenden soll. Die, welche in früherer Zeit der Ausführung sich angenommen, haben sich von seinem Geist beherrschen lassen; und was man seither Kugler für die Ungleichheit dieser ihrer Ausführung beigebracht; ruht auf der Verwechslung unerlaßlich strenger Gesetzlichkeit, mit der Zuthat eigener Färbung, Schreibart, Physionomie und technischer Ausführung, die mit vollem Rechte keine Zeit sich nehmen läßt; so wie auf der Mißachtung der nothwendigen Verbindung, in der Grundriß und Aufriß stehen. Die Fortarbeitenden werden an der Gewissenhaftigkeit ihrer Vorgänger sich ein Muster nehmen.
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So nun möge zu dem neuen Werke auch in glücklicher Stunde sich der neue Grundstein legen. Es ist wohl schon auch die Weise der alten Zeit gewesen, jedem der größeren Glieder der Dome, den Säulenbündeln und Pfeilern eigenen Grund feierlich zu unterlegen; die Wohlthäter des Werkes, die dabei zugegen, beluden dann den Grundstein mit den Gaben und den Renten, die sie der Ausführung für ihren Theil bestimmt. Die aber, welche jetzt zu ähnlichem Zwecke sich versammelt, mögen eingedenk seyn, daß es nicht ein leeres Schaugepränge sey, daß sie hier geeint; in den Fundamenten ist ein neuer Quellbrunn der Zeit zu Tag getreten, den zu fassen und ans Licht zu leiten, sie übernommen haben. Das Werk, das sie mit dem ersten Hammerschlag beginnen, ist nicht ein Werk des Augenblicks; viele Jahre werden vorübergehen, bis es zum Ende gekommen; nicht der Rauch augenblicklicher, leicht verfliegender Begeistrung mag es zu diesem Ende führen; sondern große Beharrlichkeit, Standhaftigkeit, und manches Opfer wird gefordert, um es von diesem ersten Steine bis zum Schlußstein hinauszuführen. Das Geschlecht, das die Schuld ver-

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gangener Jahrhunderte zu tilgen übernommen, hat keine leichte Last auf sich geladen; aber ist die Bürde einmal auf die Schultern gelegt, sie will bis zum Ziele getragen seyn. Den Grundstein haben die Bürger mit Ihren Händen angefaßt, zum Zeichen dem Gelübde, das sie geleistet; ihre Ehre ist nun verpfändet, bis sie an ihrem Theile ihr Versprechen gelöst. Die Höhe reizt uns, sagt der Lehrbrief, nicht die Stufen; den Gipfel im Auge, wandeln wir gerne auf der Ebene. So aber darf es hier nimmer ergehen; Stufe um Stufe will langsam erstiegen seyn; Rasten sind wohl an füglichen Stellen angebracht; aber abgelassen darf nur werden, wenn die Höhe erstiegen ist; wenn anders die Zeiten nicht erzwungenen Einhalt gebieten. »Aller Anfang ist wohl heiter, die Schwelle ist der Platz der Erwartung, aber jenseits darf nicht sogleich die Ermüdung nahen.« Also Beharrlichkeit thut Noth, sie wird von den Katholischen auch vor Allen gefordert werden, weil für sie ein großer Zweck vor Augen steht.

Feste, gesicherte Beharrlichkeit mag aber immer ohne geordnete Ruhe seyn. Das Werk ist aus der größten Disziplin der Kräfte hervorgegangen; wie konnten die, welche zur Vollendung Hand anlegen, anders als durch sie zu ihr gelangen. Also ein  g e o r d n e t e s  Thun überall, und nicht ein  w i r r e s  Treiben; nicht nun dahin, und wieder dort hinaus, nun dort angefangen und schnell wieder abgelassen; nicht ein Drängen zur Höhe hinauf, damit es den Leuten in die Augen scheine, unbekümmert, ob es auch um den Grund sicher stehe. In all euerm Thun sey Ordnung und Folge; vom  N o t h w e n d i g e n  sey überall euer Ausgang, mit dem  U n s c h e i n b a r s t e n   mögt ihr am sichersten beginnen, damit was geschehen, gründlich und wohlgemacht erscheine, und Euch ein gutes Facit übrig bleibe, hätte die Ungunst der Zeiten euch ja vom Werk verscheucht. Sachte also vorwärts, gemessenen Schrittes, ruhigen Ueberblickes, nie einen Schritt weiter auf der Bahn, ehe das Werk des Vorherge-

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henden wohl befestigt steht: kurz haltet Euch in Allem, wie die alte Hütte es gehalten. Die alten Meister haben nicht die Heerpauken vor sich schlagen lassen; schlecht und recht sind sie immer vorangegangen; und wenn sie ihr Bestes gethan, haben sie noch allzeit für unnütze Knechte sich gehalten. Sie haben ihr Lob nicht mit breiten Backen ausgeblasen, ihre Namen nicht an den Wänden in großer Fractur eingegraben; die Wohlthäter, die ihnen die Mittel dargereicht, haben ihre Gaben auch nicht mit steinerner Bescheinigung erzählen lassen, noch die stummen Steine zu geschwätzigen Zeugen ihrer Milde abgerichtet. Sorgt vor Allem für den guten Geist, aus dem ihr handelt, »Worte sind gut, aber weit nicht das Beste; wer die Kunst ganz besitzt, und sie zu gutem Zwecke übt, mag nur thun, und redet selten viel; wer aber in halber Kenntniß zu nichtigem Ziele geht, ist immer irre, und redet große Worte.« Schon hören wir um die alten Thürme sich ein groß Geschwirr erheben, die Thurmheher schießen, die Mauern umkreißend, auf und nieder und thun, als seyen sie am Baue sehr geschäftig. Auch Krähen und Dohlen verführen großen Lärm; die Hagelgänse fallen mit obligaten Stimmen in die Musik ein, und reden ihre Kreiße, schlingend von Spitzbogen, und geflügelten Säulenbündeln. Die Käuze, die das Oel in den Kirchen aus den Lampen saufen, und die Fledermäuse, die der Tumult und das viele Treppensteigen der Leute, aufgestört, flattern tageblind und unsicher umher, und murren ihr altes Lied, von den Finsternissen, des Mittelalters, die ihr renoviren wollt. Das ist so die Art der leichten Luftbewohner; thut nicht in ihrer Weise; es wird Alles spurlos verfliegen, wie auch die officielle Geschäftigkeit in die Tiefe verrinnen wird. Ihr allein werdet dann, ist der Saus und Braus vorüber, ungestört bei der Arbeit bleiben, und sorgt nur jetzt und immer, daß Alles, was ihr thut, wohlgethan ausfalle.

Erinnert Euch immerdar, daß Ihr ein Haus Gottes erbauen sollt; vor Gott aber will freilich das Beste; was die

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Menschen vermögen, gar nicht viel bedeuten. Die Conception eines Andern tüchtig auszuführen, ist allerdings ein verdienstlich und erfreulich Werk, und alles Preises werth; aber zur Eitelkeit kann es keinen Vorwand geben. Also laßt den Gockelhahn, den Lieblingsvogel der Zeit, nimmer an Euch heran; laßt ihn nicht auf jeden Stein sich setzen, den ihr gelegt, und die That in die Welt mit immer sich höhenden Schrei auskrähen. Bedenkt, fünf Geschosse hat der Thurm, jedes wieder drei große Gliedmassen, die wieder in untergeordnete Glieder sich von einander lösen; so ist es eine hohe Leiter, bis die 500 und mehr Fuß erstiegen sind. Sollte er nun bei jedem nur ein halbes Intervall höher intoniren, zählt an den Fingern nach, in welchem Ton der Gambe das krähende Thier sich zuletzt versteigen würde. Also thut der Sache Einhalt gleich im Beginne, in der Stille um Euch her werdet ihr am besten vorwärts kommen; das ist so euere Art, ich kenne sie ja, und laßt Euch durch schlechtes Beispiel nicht verleiten, von ihr abzugehen, und in das lärmige Wesen Euch einzulassen. Noch weniger mögt Ihr zu gottverhaßtem Hochmuth neigen; die Sage hat es ja auch Euch erzählt, wie es denen ergangen, die sich darin verstiegen. Auch der Kern der Nation wird auf Euerer Seite seyn, und Alle, die von ihren schwächlichen Belleitäten unterdessen einem entschiedenen Willen entgegengereift: sie alle werden erkennen, daß solche Werke vollführen, und nicht viel Redens von ihnen machen, ein Anfang von Gesetztheit und Würde ist, der auch allem umher Achtung gebietet.

Den jüdelnden Speculationsgeist der Zeit, ihn haltet ab vom Werke; umfriedet es mit einer Dornenfassung, und legt Gitter in die Eingänge, daß der Vielhufer sich verfängt. Er steht schon in den Nebenstraßen, und macht kopfschüttelnd auch seine Visirung von dem alten Baucolossen. Wer hätte das doch denken können, daß die alte Ruine noch ein gangbarer Artikel werde? Die Narrheit der Menschen ist unergründlich, so laßt uns sie dann mit Kolben laufen!

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Der Stein, obgleich mit allerlei Schnörkelwerk verdorben, ist immer noch gut und brauchbar, und das Material hat seinen Werth. Setzen wir den Aufbau aus Actien, eine je auf die Quadratelle des Bestehenden hypothezirt, der Papiere, viel tausende an der Zahl, wie der Augenschein ergiebt, bringen wir dann im Umlauf an der Börse; die Beiträge der Domnarren werden zu Prämien verwendet; das belebt die Circulation, die auf und nieder rasch von Statten geht. Im schnellen Umschlag mehrt sich der Gewinn, der Thurm ohne sich zu rühren und selber einzusetzen, gewinnt große Summen, die nach Belieben auf den Ausbau des Fehlenden, oder den Abbruch des Bestehenden verwendet werden mögen. Im ersten Falle hebt sich der Verkehr, und es steigt die Industrie, im Andern wird der Luxus niedergedrückt. Ihr seht, »es sind ihrer viele, und es wird ihnen wohl zusammen;« aber dem Werke wird ihr Spiel nicht frommen; es wird sich mindern und nicht mehren, wenn ihnen die Bestellung des Altars überlassen bleibt. Also baut mit Steinen, und nicht mit Papier, mit allerlei subtilen Künsten verklebt und zusammengepappt.

Noch ein letztes Wort, wäre wohl zu wünschen, daß es der alte Meister zu allen Versammelten, Hohen und Niedern, wenn sie am bestimmten Tage ihren Einzug in die Kirche halten, und nun der Hall der Domglocken eine Art von Heimweh in ihrer Seele weckt; eine Schwäche, der sich da auch der Gebildete bei solcher Gelegenheit nicht entziehen mag: Seyd mir mit Gott willkommen, erlauchte Fürsten und Herren, und ihr Alle, hochgeehrte Herren, wie ich Euch hier versammelt sehe! so möcht' er beginnen: Sechs Jahrhunderte hab' ich Euerer schon gewartet; vom Tage an, wo die, welche Euch vorangegangen, den ersten Stein gelegt. Im überlangen Warten wollt ich bald verzagen; glücklich, daß doch endlich der Tag herbeigekommen. Meines Herren Haus, der Steinbau, er ist unterdessen eisgrau worden; verwittert zum Theil ist seine Masse, denn die Wässer

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des Himmels haben sie ausgespült, seine Blitze sind einschlagend an ihr und sie durchfurchend hinabgefahren; jedes vorüberziehende Jahr hat sie in seinem Wellenschlage angenagt; doch steht sie noch ewig jung in ihrer Schöne. Blickt hinauf, und seht die große Scharte; es ist als hätte der böse Feind mit dem Hammer sie hineingeschlagen; nun ihr wißt es ja, wer den Hammer ihm geschmiedet, ich will den Tag nicht mit böser Erinnerung stören. Der lahm gewordene Kranich oben, er regt sich wieder munter; ihr kommt dem Werke einen neuen Grundstein zu unterlegen; ihr wißt es nicht, wir oben sehn's aber, daß es auch der Stein eurer Zukunft ist. Tretet darum, erlauchte Herren ein in diese Hallen! ihr werdet Euch darinnen wie zu Hause finden; denn es ist auch eins der vielen Allerteutschen Häuser. Seht die alten Steincolossen, die Pfeilerbündel, die ich hingesetzt; umsonst haben sie seit so vielen hundert Jahren die breiten Schultern dargeboten, wenn jemand sich finde, die hohen Gewölbe ihnen aufzulegen, damit sie in ihnen zu einem stammhaften Säulenvolke sich verbinden mögten. Keiner hat sich dazu gefunden, Bretter hat man daher zuletzt über ihnen zusammengenagelt, und die Sprießen ihnen aufgesetzt, damit er sich zu einem Nothdach wölbe, und das versammelte Volk vom Regen nicht beregnet, vom Schnee nicht beschneit, und allen Winden nicht gar zum Spiel werde. Nun es ist ein  Z e i c h e n   gewesen für die künftige Wölbung, und alle Zeichen haben eine Bedeutung; wer aber blos mit Zeichen wirkt, steht im Lehrbrief, der ist ein Pedant, ein Heuchler oder ein Pfuscher. Es wird schon anders werden; ich habe es dem harrenden, ungeschlachten Steinvolke verkündet; aber ach, erlauchte Herren, wollet es ihm nicht übel deuten; sie glauben's kaum; sie haben schon allzu lange Zeit mit Warten hingebracht; darüber ist ihr Gedächtniß blöde worden, und erinnert sich nur der Dinge aus erster Jugendzeit, nicht aber dessen, was ihnen nahe rückt. Seht links an den Fenstern die Farbenpracht und

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die Meisterschaft; seht die vier Gewölbe, wie sie zur Probe schwebend sich aufgestellt; seht aber den Bettel und die Armuth gleich daneben, es ist der Pallast des reichen Crösus auf die Gant gesetzt. Weicht ihr armen, magern Kirchenmäuse; ihr würdet eine schlechte Zierde des Festes seyn; bleibt in euern Löchern, damit ihr den Leuten nicht unter die Füße kommt! Wir sind beim Chore angelangt, der Herr hat in ihm die Zeit sich abgeschlossen; draussen ist unterdessen das wirre Treiben fortgegangen. Tretet ein und schaut, wie der Gott in der Geschichte sich wohnlich eingerichtet, in dem Hause, das die Kirche ihm aufgebaut; Alles einfach, aber groß und vielbedeutsam, wie im Hause, das er in der Welt sich aufgebaut. Hier aber will viel Redens sich nicht geziemen; Schweigen wird rathsam seyn; drum tretet ein, und laßt schweigend vom dort wehenden Geiste Euch durchdringen; es ist auch der Geist, in dem man Völker regiert und ordnet. Seyd ihr dann des Geistes voll, dann geht hinunter und legt den Stein, und Gottes Segen wird auf ihm ruhen, denn an Gottes Segen ist Alles gelegen.

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