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Autor: Fritsch, Theodor
In: Gartenstadt - 2. Titel-Ausg.; Leipzig: Hammer (1912); 32 S.
 
Die Stadt der Zukunft
 
VORWORT
zur zweiten (Titel-)Auflage

Die vorliegenden Schrift erschien Ende des Jahres 1895 mit der Jahreszahl 1896. Sie hat in Deutschland keinerlei Beachtung gefunden, weder in der Presse, noch in den Parlamenten oder sonst im öffentlichen Leben. Ein angesehener Parlamentarier, dem ich sie überreichte, bemerkte dazu: "Ein sehr schöner Gedanke! Aber wir werden es wohl nicht erleben, daß er verwirklicht wird." -

Mehr Beachtung fand die Schrift in England, wo drei Jahre später  E b e n e z e r  H o w a r d  seine Schrift "The Garden-City of To-morrow" erscheinen ließ, die - ohne Nennung des deutschen Urhebers - den Gedanken in etwas breiterer Weise dem englischen Volke zugänglich machte. Das hatte dort den Erfolg, daß sich in England eine "Gartenstadt-Gesellschaft" bildete, die auch bald mit dem Bau einer sogenannten "Gartenstadt" begann, wenn es auch nicht viel Anderes war, als eine Kolonie von Arbeiter-Häusern mit etwas Gartenland dabei. Nun erst erweckte der Gedanke auch die Aufmerksamkeit in Deutschland, und auch hier entstand nun eine Gartenstadt-Bewegung. (Es scheint beinahe eine unvermeidliche Notwendigkeit zu sein, daß deutsche Ideen erst den Umweg über das Ausland nehmen müssen, ehe sie in ihrer Heimat auf Beachtung zählen können.) Dem Wunsche einiger Freunde folgend, gebe ich eine zweite Auflage der Schrift in den Buchhandel, die heute allerdings nur ein  h i st o r i s c h e s  I n t e r e s s e  haben kann. Ich habe deshalb auch die Schrift nicht neu bearbeitet, sondern gebe sie in ihrer ursprünglichen Fassung heraus. Auch die beigelegten Pläne, die ebenfalls in ihrer alten Form belassen sind, erheben keinen Anspruch auf Mustergiltigkeit; sie wollen nur in einfachster Gestalt das Schema des Grundgedankens veranschaulichen *)

*) Man beachte das Schlußwort auf Seite 30.


Leipzig, den 18. März 1912
Theod. Fritsch


Seit Jahrtausenden baut man Städte als Mittelpunkte des Verkehrs, des Handels, des nationalen und politischen Lebens, als Sitze der Regierung, der Kunst- und Kultur-Pflege. Dennoch ist man noch nicht dahin gelangt, diese Häuser-Meere wohlgeordnet nach einem vernünftigen, weitsichtigen Plane anzulegen. Fast alle unsere Städte, soweit sie nicht, beispielsweise wie Festungen, besonderen Zwecken dienen, sind Gebilde des blinden Zufalls - ohne Plan und Ziel angewachsen und zusammengewürfelt. Aus kleinen Anfängen, aus ehemaligen Ansiedelungen oder Dörfern entstanden, haben sie sich, regellos nach allen Seiten sich erweiternd, aufgehäuft, wie Laune, Zufall und kurzsichtiges Privatinteresse es mit sich brachten. -

Jeder baute, wo und wie er wollte. Wo vor ungezählten Jahrhunderten ein armseliges Gefährt irrend seinen Weg durch eine öde Heide suchte, da windet sich jetzt, genau in den gleichen planlosen Krümmungen, die Hauptstraße einer Großstadt, und wolkenragende Gebäude drängen sich an diesem Irrpfade jenes urzeitlichen Karrenfahrers zusammen. Denn der Spur des ersten Wagens folgten andere; der Zufalls-Pfad wurde zum Gewohnheits-Wege; an der krummen Straße bauten sich Hütten auf, und der Weg wurde zur Grenze des Eigentums. An Stelle der Hütten erwuchsen festere Häuser, gewissenhaft die regellosen Windungen des ehemaligen Fahrwegs bewahrend, und heute fragt man die stolzen Stein-Paläste der inneren Großstadt vergeblich, warum sie sich in so unsinnigen Krümmungen und schiefen Winkeln zusammenpferchen und keine bessere Ordnung zufinden wußten. Unselige Rechts- und Eigentums-Verhältnisse sind ebenso wie die Kurzsichtigkeit der städtischen Verwaltungen mit daran schuld, das die Großstadt ein wüster Häuserhaufen blieb, anstatt eine vernünftig geordnete, der Gesundheit und Schönheit dienliche, dem Verkehr und der wirtschaftlichen Entfaltung gerecht werdende Gestaltung anzunehmen. Der ehemalige Marktsflecken oder das ehemalige Fischerdorf mit seinen engen winkeligen Gassen ist nun gerade zum Mittelpunkte der Weltstadt geworden, weil - durch Zufälligkeiten geleitet - um jenen unscheinbaren Kern herum die Bebauung sich nach allen Seiten gleichmäßig ausdehnte. Und so drängt sich nun gerade in den ältesten engsten und schiefsten Gassen der Strom des großstädtischen Lebens beängstigend zusammen. -

Aber die Engigkeit und Schiefe der alten Stadtviertel wäre noch nicht das Schlimmste; was vor Allem fehlt, das ist die "innere Ordnung", der Plan, die Scheidung nach Zweck und Wesen. Was will die Fabrik neben dem Lustschloß, die Kaserne neben dem Kunst-Tempel, der Schlachthof neben der Schule, das Bordell neben dem Gotteshause ? -

Es ist wunderlich genug: an allen, auch den kleinsten Dingen arbeitet heute der Menschengeist, rastlos auf Verbesserung sinnend; vom Hosenknopf bis zur Stechnadel, vom Billard-Queue bis zum Federhalter sind alle möglichen Dinge fortgesetzt Gegenstand der erfinderischen Vervollkommnung; nur an die Verbesserung und vernünftige Gestaltung des Größten und Wichtigsten, was uns umgiebt , an den zweckmäßigen Aufbau der Städte hat noch keiner gedacht. Daran ist vielleicht ein Stück Wahnglaube mit schuld. Man hat sich gewöhnt, das Anwachsen der Städte als etwas der menschlichen Macht sich Entziehendes, als das Erzeugniß einer vis major zu betrachten, sei diese "höhere Macht" auch nur der gewaltige Herr Zufall. Doch das dürfte sich als ein Vorurteil erweisen. Die Städte sind ebenso ein Erzeugniß der menschlichen Willkür wie irgend ein ander Ding, das der Mensch mit seinen Händen schafft. Und der Mensch hat die Pflicht, den Werken seiner Hand das Wesen der Vernunft und Ordnung einzuhauchen. Vernunft und Ordnung fehlen aber in dem Bebauungs-Plane der heutigen Großstädte. Was will es besagen, daß man die Straßen der sich immer mehr erweiternden Vorstädte etwas breiter und einigermaßen geradlinig zu gestalten sucht? Die Ordnung der Gebäude nach ihrem inneren und äußeren Charakter muß man noch immer vermissen. Eine zweckmäßige Ordnung sollte vor Allem die einzelnen Teile nach ihren inneren Beziehungen harmonisch gruppiren. Eine Stadt muß etwas mehr sein als ein Konglomerat von Gebäuden und Menschen, sie sollte ein organisches Wesen sein mit vernünftiger Gliederung und mit der Fähigkeit ausgestattet, wachsend sich zu erweitern, ohne ihr Grundwesen zu Verlieren und dem Gesetze ihrer Entwicklung ungetreu zu werden. Wenn die Städte des Mittelalters aus eng zusammengepferchten Häusermassen bestanden, so ist das zu entschuldigen. Sie dienten lediglich als Burgen und Festungen, waren durch Mauern und Wälle in ihre freien Entwicklung gehemmt und sollten auf engem Raume das Notdürftigste vereinigen, was zur Verteidigung und Erhaltung des wehrhaften Bürgertums erforderlich war. Seitdem aber hat sich Zweck und Wesen der Städte erheblich geändert. An Stelle der engen Burg ist die freie offene Stadt getreten, der Sitz und Mittelpunkt der Industrie, des Handels, des freien Verkehrs. Aber die moderne Stadt weiß sich in ihre neuen Aufgaben noch nicht zu schicken. Eine Untugend dieser Häuser-Ungeheuer ist es noch, daß sie ihre eignen Kinder in schlimmer Gefräßigkeit, oft nach kurzer Lebensdauer, wieder verschlingen. Heute reißt man einige noch recht wohl bewohnbare Häuser nieder, um eine Fabrik an ihrer Stelle zu errichten; in zehn Jahren muß die Fabrik wieder weichen, weil eine Markthalle oder ein Bahnhof notwendiger Weise an diese Stelle kommen muß, und wiederum in einigen Jahrzehnten macht eine veränderte Disposition, ein Straßen-Durchbruch od. dergl., abermals ein Abtragen dieser Baulichkeiten nötig. Ein unökonomisches Sichselbstverzehren ist ein Merkmal dieser planlosen Häuser-Haufen. -

Der Zweck dieses Schriftchens soll es sein, nach Grundregeln für die Städte-Bauten der Zukunft zu suchen und die wichtigsten Wohnsitze der Menschen nach besseren Plänen zu gestalten als bisher, - ihnen Sinn und Form zu geben, - ein Bestreben, dessen Berechtigung und Notwendigkeit heute allerdings vielleicht bestritten werden wird. Städte, und vor allem Großstädte gelten heute als ungesunde Auswüchse der Civilisation, als "Wasserköpfe" und "Pestbeulen der Kultur"; Kingsley nannte sie sogar "Schweineställe der Cultur" und leider mit einem gewissen Recht. Es könnte daher als unangebracht erscheinen, die Begründung neuer Städte zu planen und für den Ausbau zukünftiger Großstädte neue Grundzüge zu entwerfen. Die soziale Erkenntnis steht heute aus den Standpunkte, daß sie im Ackerbau und dem Landleben die eigentliche Quelle der nationalen Kraft und Gesundheit erblickt, und daß sie an Stelle des "Zuges nach der Stadt" besser eine "Flucht nach dem Lande'' in's Werk gesetzt sehen möchte. Andererseits wird man sich nicht verhehlen dürfen, daß es für eine größere Nation und ihre manchfachen Bedürfnisse notwendiger Weise Städte geben muß. Die Oekonomie des Cultur-Lebens erfordert, daß es Centren für den Handel und Verkehr, Vereinigungen großer Menschenmassen für gewisse Produktions-Zweige, politische Centralen als Sitze der Regierung usw. giebt. Die Hochschulen erreichen eine Vereinigung zahlreicher lehrender und lernender Kräfte in Verbindung mit vielerlei wissenschaftlichen Materialien und Instituten, ein Ansammlung nationaler Kunstschätze u. dergl.; -

Die Versammlungen größerer Körperschaften, große nationale Feste, Congresse und dergl. erfordern zeitweilig die Unterbringung großer Menschenmassen in Gasthöfen usw., und alle diese Bedingungen kann nur eine größere Stadt erfüllen. So Vieles, was heute einen unentbehrlichen Faktor im Leben eines großen Volkes ausmacht, kann ohne größere Städte nicht gedacht werden. Wenn es nun aber einmal Städte geben muß, so sollte man sie wenigstens vernünftig anlegen. Ja, bei näherem Zuschauen entdecken wir, daß gewisse schwere Schäden des heutigen Großstadt-Lebens gerade in der planlosen unvernünftigen Gestaltung dieser Städte ihre Wurzel haben. Viele gesundheitliche und auch sittliche Schäden sind ja lediglich auf die unvernünftige Engigkeit und Gedrängtheit des Zusammenwohnens zurück zu führen, wobei die Kostspieligkeit der Wohnungen noch einen besonders verschlimmernden Faktor bildet. Weil die enge Altstadt als Mittelpunkt gerade der gesuchteste Geschäftsplatz ist, so hat man hier die Ausnutzung der Bodenfläche in's Unvernünftige gesteigert. Auf jedem engen Hofe sind thurmhohe Hinterhäuser errichtet und bis in die Keller- und Boden-Räume hinein drängt sich die Miets-Bevölkerung in unheimlicher Dichtheit zusammen. Luft und Licht mangeln, Rauch, Staub und Lärm steigern sich hier oft zur Unerträglichkeit. Was weiter diese Städte so unvernünftig erscheinen läßt, ist die Planlosigkeit in der Verteilung der Gebäude, Rauchende und lärmende Fabriken drängen sich zwischen Mietskasernen, Villen, Kirchen und öffentliche Gebäude . . . . . alles zu einem Kunterbunt der unsäglichsten Art vermischend. Und dieses vernunftlose Durcheinander, das aller Gesetzmäßigkeit Hohn spricht, das überall die nackte kurzsichtigste Selbstsucht und Vorteils-Gier durchblicken läßt, ist es gerade, das den Städten ihren schlimmen Charakter gibt und auch einen schädigenden Einfluß auf Geist und Sittlichkeit ihrer Bewohner ausübt. Muß nicht eine Umgebung, die in allen ihren Erscheinungen die Regellosigkeit und Ordnungs-Widrigkeit zur Schau trägt, jede vernünftige Planmäßigkeit vermissen läßt, auch in dem Menschen, der darinnen groß wird, den Geist der Unvernunft, der Verwirrung und Zuchtlosigkeit groß ziehen? Würde nicht andrerseits gerade eine Stadt, die in allen ihren Teilen das Erzeugnis eines klaren weitschauenden Geistes wäre, die in edler Regelmäßigkeit und Schönheit sich aufbaute, auch ordnend und richtend auf den Menschengeist zurück wirken? In der Wildniß, im Chaos entfachen sich die wildesten und rohesten Triebe, während selbst die Bestie an Ungeberdigkeit verliert, wo sie sich in den Schranken einer überlegenen ordnenden Gewalt fühlt. Der Geist der Ordnung, die Macht der Harmonie wirkt zähmend auch auf das roheste Gemüt. Selbst die edleren Schöpfungen der Kunst und Architektur, deren jede größere Stadt sich erfreut, verlieren meist ihre Kraft, ihre Weihe und Würde, weil eine störende Umgebung sie erdrückt und schändet - "ein widerwärtiges Netz krummer Gassen und geräuschvoller Verkehrs-Adern verdunkelt die ganze Herrlichkeit von allen Seiten". . . . "Die wüste tötliche Planlosigkeit des Ganzen verhindert vollständig jede einzelne harmonische Wirkung". So sagt ein moderner Schilderer von den vereinzelten Herrlichkeiten London's.*)

*) Gustav F. Steffen: "Aus dem modernen England". Aus dem schwedischen von Dr. Oskar Reyher "mit 134 Text-Illustr. und 11 Tafeln''. Leipzig, Peter Hobbinq, 1895.


Und das Bild, was er sonst noch von jener Riesenstadt entwirft, paßt mehr oder minder auf alle Großstädte der Welt: "Die großen Verkehrs-Adern sind alle häßlich und planlos, viele sogar erbärmlich unsauber. Es ist etwas Seelenloses, etwas zermalmend Materialistisches in dieser einförmigen meist abstoßend häßlichen Häuserwüste von schmalen zwei- und dreistockigen Gebäuden, die mit riesigen Waren-Magazinen abwechseln. -

Eine Wüste, die die Hand der Natur geschaffen hat, können wir noch schön finden, denn es ist etwas wie Seele in ihr. Eine Wüste aber von Menschenhand, nach strengsten armseligen Geschäfts-Grundsätzen hergestellt, ist gräßlich; - ihr fehlt jede Spur einer Seele: sie erinnert an die Leiche eines Idioten." -

Wie wäre nun eine neue Stadt vernünftig anzulegen? Die äußere Regelmäßigkeit allein tut es nicht. Wohl hat man hier und da versucht, Städte nach strengen geometrischen Grundsätzen aufzubauen; so vor Allem neuere amerikanische Städte mit ihren langweiligen regelrechten Häuser-Vierecken. Aber auch solche Städte sind tote Gebilde, ohne organisches Gefüge, denn hinsichtlich der Gebäude, die diese Vierecke ausfüllen, zeigt sich die alte verwirrende Regellosigkeit und Unvernunft. Zu einer vernünftigen Ordnung gehört, daß Gleiches an Gleiches sich anschließt, Verwandtes mit Verwandtem sich paart. Was wäre natürlicher, als daß man eine räumliche Scheidung der Gebäude nach ihrer Bauart und Bestimmung vornähme? Ist es ein realer Zustand, daß man neben den Theatern, Museen und Kirchen rauchende Fabrikschlote errichtet? Aber nicht nur das schönheitliche Interesse gebietet eine Scheidung der Gebäude nach ihrem Zweck und Charakter, auch ökonomische Vorteile sind damit verknüpft. Wieviel sparsamer könnte der Verkehr unter den Fabriken und Produktions-Werkstätten sein, wenn in sie in engen Viertel dicht beieinander lägen, durch Verkehrs-Wege, Schienen-Geleise, vielleicht sogar durch Wasser-Straßen miteinander verbunden - in einem Viertel, das die beste Verbindung mit den Bahnhöfen und Häfen des Flusses oder Kanals hätte! Wieviel mühsame Transporte der Rohmaterialien und Halb-Produkte könnten bei solcher planmäßigen Aneinanderordnung erspart werden! Heute liegen die Fabriken verteilt in und um eine Großstadt; die Materialien und Produkte müssen oft auf weiten Umwegen von einer zur anderen Werkstatt oder nach den weit abgelegenen Verladungs-Plätzen geschleppt werden, und so machen die Lastfuhrwerke gerade die verkehrsreichsten Straßen der Großstadt in unheimlicher Weise unsicher. Eine vernünftige Entscheidung der Baulichkeiten wäre nach folgenden Gesichtspunkten vorzunehmen. Monumentale öffentliche Gebäude, die nicht gerade den alltäglichen Verkehrs-Bedürfnissen dienen, wie Museen, Opernhaus, Hochschule, Bibliothek, Rathaus, Dom, oberster Gerichtshof, Regierungs-Gebäude usw. würden auf einem freien, möglichst reichlich bemessenen Platze zu gruppieren sein, der den idealen Mittepunkt des gesammten Stadtplanes bildet - von allen Stadtteilen gleichgut erreichbar. Um diesen Platz herum würden zunächst Privat-Bauten von monumentalem Charakter (vornehme Villen) zu gruppieren. Daran würden sich Wohnhäuser besserer Art, dann gewöhnliche Wohn- und Geschäftshäuser anschließen, ferner ein Viertel für kleine Werkstätten und Arbeiter-Wohnungen, Alles zonenweise abgegrenzt. Die Fabriken wären in die äußerste Peripherie der Stadt zu verweisen, in die Nachbarschaft der Bahnhöfe - mindestens einige Kilometer von dem klassischen Viertel der Innen-Stadt entfernt. So wäre von vornherein eine Reihe von Mißständen zu vermeiden, an denen gegenwärtig die Großstädte kranken. Heute sind Anlage und Ausbau der Vorstädte meist ganz planlos erfolgt. Wie Polypen-Arme sind sie an den verkehrsreichsten Straßen entlang hinausgewachsen, ohne daß man darauf bedacht gewesen wäre, diesen gewaltigen Vororten untereinander eine ausreichende Verbindung zu sichern. Dicht neben einander gelegene Vorstädte von 10 - 20,000 Einwohnern sind oft ohne jede genügende Verkehrs-Straße unter einander; Bahnhöfe, Fabrikviertel u. dergl. drängen sich dazwischen, und so muß sich der Verkehr aus diesen Flügeln ebenfalls durch die enge Innenstadt ergießen, das Gedränge bis zur Unerträglichkeit steigernd. Alles das will vermieden sein. Seitdem an Stelle der eng-umfriedeten Burg die weite offene Stadt getreten ist mit ihrem Bedürfnissen nach leichtem Verkehr und freier Bewegung, ist dem Städtebau eine neue veränderte Aufgabe erwachsen. Wenn man seither noch nicht daran gedacht hat, für den Aufbau der heutigen Städte nach einer guten praktischen Regel zu suchen, so mag zur Entschuldigung dienen, daß sich das Anwachsen der Großstädte ganz unerwartet und nach ganz neuen und unübersehbaren Bedingungen und Bedürfnissen vollzogen hat. Heute aber wissen wir zur Genüge, aus welchen baulichen Elementen eine moderne Großstadt sich zusammensetzen wird und wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnissen sie notwendiger Weise gerecht werden muß. Wir wissen, daß wir neben Wohnhäusern verschiedenen Charakters, Geschäfts-Läden und Werkstätten haben müssen, daß Fabriken und Bahnhofe gebraucht werden, die der nötigen Arbeiter-Wohnungen bedürfen; wir wissen daß wir Schulen, Gerichte, Theater, Museen, Krankenhäuser, Centralen zur Beleuchtung, Wasser-Versorgung, Straßen-Bahnen ec. und die zugehörigen Beamten-Wohnungen nötig haben, daß wir den reichen Leuten ein vornehmes Villenviertel schaffen müssen und dergl. mehr. Auch das Bedürfnis nach Garten-Plätzen (Mietgärten) besteht, und ihm sollte in ausgiebigster Weise Rechnung getragen werden. Bis heute finden sich alle diese Bestandteile plan- und regellos über alle Bezirke eines städtischen Weichbildes verteilt in oft widersinnigem Durcheinander. Ökonomische wie ästhetische und gesundheitliche Rücksichten lassen es geraten erscheinen, daß man rauchende, staubende, rußende und lärmende Industrie-Werkstätten nicht zwischen Villen und Wohnhäuser, nicht zwischen Krankensäle, Schulen und Kunst-Institute einschiebt, vielmehr auf einem gesonderten Gelände vereinigt, wo schon der erleichterte Verkehr der Werkstätten untereinander einen wertvollen Vorteil bietet. Ebenso wird man die eigentlichen Geschäfts-Viertel, die Kaufläden und Warenhäuser, mit Vorteil in einem besonderen Bezirke vereinigen - abseits von den Wohnungen und Anstalten, in denen Geist und Körper Ruhe und Erholung finden sollen. Den Fabriken hätte sich selbstverständlich in einem durch Alleen und Gartenplätze ausgefülltem Abstande ein Arbeiter-Viertel, den Geschäfts-Häusern ein Viertel von bequemeren Wohnungen anzuschließen. Es entsteht nun die Frage, wie sonst diese Viertel zu einander zu legen sind und welche Gestalt ihnen zu geben ist, um die Entwicklung und Ausbreitung jedes einzelnen derselben für alle Zeiten zu sichern, ohne daß sie einander beeinträchtigen. Eine Lösung dieser Aufgabe bietet sich in der Anordnung von Ring-Zonen, die sich um einen Mittelplatz gruppieren. In den Mittelpunkt selbst wäre der Platz für die monumentalen Gebäude zu verlegen. Fig. 1 zeigt das Schema eines solchen Städte-Planes. Die Sache ist so zu denken, daß die Bebauung an der radialen Linie a b beginnt und im Kreisbogen um den Mittelpunkt c fortschreitet. Die einzelnen Zonen sind durch breite Gürtel- oder Ringstraßen zu trennen, die mit Alleen und Anlagen versehen sein mögen. Jede Zone nimmt nur Gebäude eines bestimmten Charakters auf, wobei jedoch jede Einförmigkeit vermieden werden kann. Eine zweckmäßige Reihenfolge der Zonen vom Mittelpunkte aus würde sich im allgemeinen in folgender Weise empfehlen:

Zone I (Mittelplatz): Monumentale öffentliche Gebäude;
Zone II: Villen monumentalen Charakters:
Zone III: Bessere Wohnhäuser;
Zone IV: Wohn- und Geschäftshäuser;
Zone V: Arbeiter-Wohnungen und kleine Werkstätten;
Zone VI: Fabriken, Bauhofe, Lagerplätze ec;
Zone VII: Gärtnereien, Mietgärten usw.
 
Fritsch_Die Stadt01.gif (11617 Byte) Fig. 1: Zonen-Einteilung

Diese Einteilung ist selbstverständlich nicht so zu verstehen, daß in den einzelnen Zonen jedes Gebäude von andrer Bestimmung ausgeschlossen wäre, daß etwa alle Geschäftsläden  n u r  in Zone IV zu finden sein dürften. Vielmehr wird man Verkaufstellen für allerlei Tages-Bedürfnisse (Bäckerwaren, Viktualien, Medicamente ec.) in allen Stadtteilen dulden müssen, wo die bequeme Befriedigung des Bedarfs es fordert. Ebenso werden Schulen, Post-Anstalten, Volks-Theater, usw. in allen Zonen notwendig sein. Im übrigen aber würde schon der ökonomische Vorteil es gebieten, daß die größeren Geschäfte, Werkstätten und Fabriken im Interesse des wechselseitigen Verkehrs sich in einheitlichen und benachbarten Zonen vereinigen. Nimmt man hinzu, daß einem solchen Bebauungs-Plane ein wohl durchdachtes und auf Jahrzehnte vorausgeplantes Straßen-Netz zugrunde gelegt werden kann, - daß ferner dem Ausbau und der zweckmäßigsten Verzweigung der Straßen-Bahnen, der Wasser- und Gas-Leitungen, der Beschleusung usw. keinerlei hemmende Schranken im Wege stehen, sondern alles dieses in der freiesten und günstigen Weise angeordnet werden kann, so leuchtet ein, daß hier eine Reihe wichtiger Vorteile vereinigt werden können, die einer solchen neuen Stadt einen erheblichen Vorsprung vor allen alten Großstädten sichern würden. Auf der beiliegenden farbigen Tafel sind zwei Entwürfe solcher Stadt-Pläne dargestellt. Es ist selbstverständlich kein unbedingtes Erfordernis, daß die Abgrenzung der Zonen eine kreisförmige sei, vielmehr wird, falls man vorwiegend gerade Straßen erstrebt, die Abgrenzung nach einem beliebigen Vieleck vorzuziehen sein. Ebenso besteht keine Notwendigkeit, dem Plane etwa eine strenge, zur Einförmigkeit ausartende Symmetrie zu geben; vielmehr kann - unter Einhaltung der Grundzüge der Zonen-Einteilung - den einzelnen Vierteln die große Manchfaltigkeit in der Straßen-Führung vorbehalten bleiben. Es ist auch keineswegs ein starres Festhalten an dem ursprünglichen Grund-Schema notwendig. Vielmehr muß die Möglichkeit gegeben sein, einzelne Zonen auf Kosten der benachbarten zu erweitern. Wenn beispielsweise das Raum-Bedürfnis in Zone III oder IV ungleich rascher wächst als in Zone V oder VI, so würde die Zonengrenze in entsprechender Weise zu verschieben sein. So können beispielsweise an Stelle der ursprünglichen Kreis-Zonen spiralförmig sich erweiternde Zonen treten, wie in Fig. 2 angedeutet ist. Das wird vielleicht sogar die Regel werden. Wenn nun als idealer Zustand einer so angelegten Stadt etwa die Bebauung einer Halbkreis-Fläche gedacht werden muß, so ist doch anderseits nicht ausgeschlossen, daß die Bebauung über den Halbkreis hinaus fortschreitet und sich mit der Zeit zum vollen Kreise schließt. Im ökonomischen Interesse wäre die Größe des Bebauungs-Planes so zu bemessen, daß dieser Zustand erst in 150-200 Jahren eintreten könnte. Der neu heranwachsende Stadtteil würde dann, in spiralförmig sich erweiternden Zonen, den inneren monumentalen Teil der Altstadt schonend umfassen und nur die minderwertigen, inzwischen baufällig gewordenen Häuserreihen der äußeren Zonen verdrängen und durch neue ersetzen. (Siehe Fig. 2) So gliche die Stadt einem lebenden Organismus, der seinen gesunden dauernde Kern bewahrend, seine morschen absterbenden Glieder verzehrt, durch neue ersetzt und sich so ewig verjüngt. Allem ehrwürdig Alten könnte hierbei die weitgehendste Schonung angedeihen - im Gegensatz zu den heutigen Städte, wo der Zwang der Verhältnisse oder die Spekulation alles Alte pietätlos vernichtet.

Fritsch_Die Stadt02.gif (8536 Byte) Fig. 2: Spiralförmig sich erweiternde Zonen

Eine solche Stadt würde, wenn man sie von ihrem Ausgangs-Punkte nach den neu angebauten Stadtvierteln im Bogen durchwanderte, ein lehrreiches Bild der allmählichen Entwicklung der Bauweisen durch die verschiedenen Jahrzehnte hindurch bieten. Es würde nicht, wie in den heutigen Städten, Altes und Neues planlos und kunterbunt sich mischen und nicht, wie es heute überall der Fall ist, Neues rücksichtslos das Alte zerstören, ehe es ausgedient und seine Bestimmung vollendet hat. Zu den Vorteilen einer solchen Anordnung gehören noch folgende: Das monumentale und vornehme Viertel der inneren Stadt bleibt unberührt von dem Treiben der industriellen und geschäftlichen Vorstädte; dennoch ist es durch seine centrale Lage aus allen Teilen der Stadt leicht zugänglich und behält seine beherrschende Stellung bei der fortschreitenden Bebauung. Weil dieses innere Viertel zuletzt entsteht, ist für seine Ausgestaltung nach jeder Hinsicht freies Spiel vorbehalten, und so kann dieses Viertel in seinen Proportionen jederzeit der Entwicklung der übrigen Stadt angepaßt werden. Denn diese neue Stadt wächst - entgegen der Entstehung bisheriger Städte -  n i c h t  v o n  i n n e n  n a c h  a u ß e n,  v i e l m e h r  v o n  a u ß e n  n a c h  i n n e n. Die ersten Ansiedelungen entstehen in den Zonen IV, V und VI (Wohn- und Geschäfts-Häuser, Werkstätten, Fabriken ec.) und erst bei der fortschreitenden Entwicklung beginnt allmälig der Anbau in Zone III und II. Erst wenn die Stadt zu ansehnlichem Umfang angewachsen ist, wird sie daran denken können, große monumentale Gebäude in Zone I zu errichten. Da alle großen Produktions-Stätten sowie die Waren-Häuser und Lager-Plätze in enger Nachbarschaft liegen und unter sich, wie mit den Bahnhöfen und Häfen durch Schienen und Wasserstraßen verbunden sind, ist die gesammte innere Stadt von jenen geräuschvollen und störenden Lastfuhr-Verkehr befreit, der heute die Straßen unserer Großstädte erfüllt und den Verkehr darinnen geradezu beängstigend und gefährlich macht - zugleich die Unterhaltung der Fahrstraßen zu einem immer gewaltiger anschwellenden Ausgabe-Posten im städtischen Budget gestaltend. Man achte nur einmal darauf, welche Unzahl von verschiedenartigen Last-Fuhrwerken sich durch die engen Hauptstraßen unserer Städte drängen muß, ohne dort etwas zu tun zu haben. Bei der vorgeschlagenen Bebauungs-Art wird sich aller Waren- und Güter-Verkehr in den äußeren Zonen abspielen, während in den inneren Zonen - abgesehen von gelegentlichen Möbeltransporten und vielleicht der Zufuhr von Brenn-Materialien - kaum ein Lastwagen etwas zu suchen hat. Die Bahnlinien schneiden radial in das Stadtgebiet ein, den gesamten Bebauungs-Plan in weitem Bogen umfassend, so daß sie die freie Entfaltung des Straßen-Netzes in keiner Weise beengen. Der Plan setzt allerdings ein weites, ebenes Gelände voraus, wie es sich in Fluß-Niederungen ja überall findet. Eine mäßige Erhebung der Mittelstadt, besonders des den Mittelpunkt bildenden Teiles, würde nur willkommen sein und die architektonische Wirkung erhöhen. Im Mittelpunkt könnte ein mächtiges monumentales Gebäude, vielleicht ein gewaltiger Kuppelbau gedacht werden, etwa ein Dom *) , ein Kunst-Tempel, ein stattlicher Regierungs-Palast oder dergleichen. Vermöge der großen radialen Hauptstraßen bliebe der Blick der Bewohner aus allen Teilen der Stadt auf diesen erhabenen Mittelpunkt gerichtet.

*) Ich denke mir in diesem Dom allerdings etwas Gesunderes, Deutscheres und Vernünftigeres gepredigt als für gewöhnlich in den heutigen Kirchen.


Eine wichtige Vorbedingung für das Gedeihen einer solchen Stadt wäre allerdings zu erfüllen:  D e r  g e s a m m t e  G r u n d  u n d  B o d e n  m u ß  G e m e i n d e - E i g e n t h u m  s e i n  u n d  b l e i b e n,  er ist nur pachtweise auf größere Zeiträume (60 - 90 -120 Jahre) zur Bebauung an die Bürger zu überlassen, wie ich solches in meiner Schrift "Zwei Grundübel" (Bodenwucher und Börse) ausführlich dargelegt habe. Nur auf Gemein-Eigentum kann sich ein großes städtisches Gemein-Wesen frei und gesund entwickeln. Nur hierbei ist es möglich, die freie Entfaltung aller Gemein-Interessen zu sichern und den Bedürfnissen des öffentlichen Verkehrs in jeder Hinsicht gerecht zu werden. Alle heutigen Großstädte drohen zu ersticken in den Schlingen der privaten Boden-Spekulation und der unsinnigen Steigerung der Boden-Preise. Alle schönen Pläne, die dahin gehen, in den Centren der alten Großstädte durch Straßen-Erweiterungen und Durchbrüche Luft und Raum für den anschwellenden Verkehr zu schaffen, scheitern an den ungeheuren Summen, die die Boden-Erwerbung verschlingen würde. Wo man 500, ja 1000 oder 2000 Mark für jeden Quadratmeter Bodenfläche fordert, da kann die Entwicklung unmöglich den öffentlichen Verkehrsinteressen gerecht werden und sich das Straßennetz nach weitschauenden vernünftigen Plänen gestalten. Eine Folge der unsinnigen Boden-Preise sind aber ferner die Engheit der Bebauung, die unsinnig hohen Mieten, wie überhaupt die Kostspieligkeit des gesammten großstädtischen Lebens. Eng, ungesund, häßlich und teuer, das sind die Haupt-Eigenschaften unserer großstädtischen Wohnungen und Einrichtungen. Eine neue Stadt auf verpachtetem Gemeinde-Boden könnte alle diese Uebel vermeiden. Sie würde in gesundheitlicher und schönheitlicher Hinsicht sich ungleich vorteilhafter entfalten können als alle Städte der Gegenwart. Die Mietpreise könnten halb so hoch sein als in den heutigen Großstädten. Und neben andern Annehmlichkeiten, die die neue Stadt ihren Bewohnern böte, würde nicht unerheblich in's Gewicht fallen, daß sie von ihren Einwohnern  e i n e  s e h r  g e r i n g e  o d e r  g a r  k e i n e  k o m m u n a l e  S t e u e r  z u  e r h e b e n  b r a u ch t e.  Der Ertrag der Bodenpacht und die fortschreitende Wert-Steigerung des Bodens würde die Gemeinde Verwaltung in die Lage setzen, alle öffentlichen Ausgaben zu bestreiten und in freigebigster Weise für die Gesundheit und Bequemlichkeit ihrer Bürger zu sorgen. Sie könnte allerhand Wohlfahrts-Einrichtungen und Verschönerungen in der Stadt einführen, ohne zuvor an den Steuer-Säckel zu appellieren und das städtische Budget mit ungeheuerlichen Forderungen zu belasten. Denken wir uns eine solche neue Stadt auf industrieller Grundlage entstehend, so würde sie sich etwa in folgender Weise entwickeln. An einem Platze, der durch gute Eisenbahn-Verbindungen und durch die Nähe eines schiffbaren Flusses die Anlage begünstigt, entstehen einige Fabriken (Zone VI) mit den zugehörigen Arbeiter-Wohnungen (Zone V). Die Unternehmer herbei zu ziehen kann nicht schwer halten, wenn man ihnen so günstige Bedingungen zu bieten vermag, wie es hier der Fall ist: direkte Wasserstraße, Schienen-Geleise, billige Boden-Pacht und billige Wohnungen. Die billige Boden-Pacht, die auch alle anderen Lebens-Bedürfnisse verbilligt, gestattet auch eine billige Produktion. Ein zu schaffendes Stück Kanal gibt den Werkstätten Verbindung mit dem Flusse, ein Schienen-Geleise die Verbindung mit dem Bahnhofe. Wo Fabriken und Arbeiter in größerer Zahl sich vereinigen, machen sich auch bald einige Geschäfts-Läden und Warenhäuser nötig. Diese sowie die Beamten-Wohnungen u. dergl. siedeln sich angrenzend in Zone IV an. Will sich der Fabrikant ein elegantes Wohnhaus oder eine vornehme Villa errichten, so ist er nach Zone III oder II zu erweisen, wo durch parkähnliche Anlagen bei Zeiten eine schöne Umgebung zu schaffen ist. -

Siehe Fig. 3. -

Fritsch_Die Stadt03.gif (12481 Byte) Fig. 3: Beginn der Bebauung

Neue Fabriken, Werkstätten, Bauhöfe usw. gliedern sich an, immer in derselben Zone fortschreitend, d. h. in der Flucht des allmälig weiter zu führenden Kanals. Ihnen folgt in gleichem Schrittmaß die Vermehrung der Arbeiter-Wohnungen, Wohn- und Geschäfts-Häuser usf. Auch die nötigen Schulen und sonstige öffentliche Anstalten sind in der entsprechenden Zone zu errichten. (Fig. 4, 5 und 6 zeigen die Stadt in verschiedenen Entwickelungs-Stadien. Die an den äußeren Zonen beginnende Bebauung dehnt sich allmälig in der Richtung des Umfanges und nach innen aus.)

Fritsch_Die Stadt04.gif (8711 Byte) Fig. 4: Erstes Stadium der Bebauung
Fritsch_Die Stadt05.gif (10822 Byte) Fig. 5: Zweites Stadium
Fritsch_Die Stadt06.gif (18763 Byte) Fig. 6. Drittes Stadium

Die ganze Bebauung schreitet organisch, man möchte sagen, nach dem Gesetz der Krystallisation, in einer Richtung fort. Erst wenn die Stadt eine gewisse Größe erreicht hat, wird sie daran denken können, monumentale öffentliche Gebäude, (Theater, Museen, Rathaus usw. zu errichten, die nun in Zone I, dem ideellen Mittelpunkte des ganzen Bebauungs-Planes, ihren Platz finden. Gleichzeitig entstehen außerhalb der Fabrik-Zone Gärtnereien, Molkereien und ähnliche Anstalten, die die Stadt mit Nahrungs-Mitteln versorgen; weiterhin auch Mietgärten für die städtische Bevölkerung, die mit Sommerhäuschen und kleinen Villen besetzt sind. Dieser äußersten Zone schließen sich ländliche Betriebe an, zwischen denen in einigem Abstande von der Stadt wieder Villen-Kolonien sich ansiedeln können. Auf solche Weise bildet das Weichbild der Stadt einen allmäligen Übergang zu ländlichen Zuständen; es löst sich allmälig auf in Gärten, Felder und Forsten, derart, daß eine Grenze zwischen Stadt und Land kaum wahrnehmbar ist und die Stadt gleichsam als eine dichtigere Krystallisation des ländlichen Lebens erscheint. Die vorliegenden Pläne erheben nun keineswegs Anspruch auf Mustergültigkeit; sie sind auf's Geratewohl entworfen und wollen nur den Grundgedanken veranschaulichen. Im konkreten Falle würde Manches noch besser zu ordnen sein. Vor allem würden die Spezial-Techniker für Eisenbahnen, Kanal-Bau, Post, Telegraphie, Straßenbahnen, Wasserleitung, Beleuchtung, Schleusenbau usw. ihre besonderen Ideale verwirklichen und durch günstige Wahl der Centralen, vorteilhafte Verzweigung ihrer Anlagen u. dergl. m. ihren Systemen eine Abrundung und Vollkommenheit geben können, wie sie in vorhandenen Städten aus allerlei Beschränkungen nicht erreichbar war. Hier, wo es sich um eine Planung auf jungfräulichem Boden handelt, kann den verschiedenartigsten Wünschen Rechnung getragen werden; denn selbst die Straßenführung ist nötigenfalls den besonderen Erfordernissen einer vorteilhaften Wasser-Versorgung, Beschleusung usw. anzupassen. In  e i n e m  Punkte beispielsweise könnte die neue Stadt ein Ideal verwirklichen, das den alten Großstädten bisher unerreichbar schien. Zu den unschönsten und störendsten Umständen im großstädtischen Verkehr gehört das fortwährende Aufreißen und Pflastern der Straßen, das bald im Interesse der Gas- oder Wasserleitung, bald zur Legung neuer Kabel, zur Reparatur der Schleusen usw. erforderlich ist. Es bietet nicht nur einen häßlichen Anblick und eine garstige Belästigung des Verkehrs, sondern verschlingt auch ungeheure Summen für diese endlosem Erdarbeiten, Pflasterungen etc. Eine neu entstehende Stadt könnte diesem Mißstand von vornherein ausweichen, indem sie - wenigstens unter allen Hauptstraßen entlang - unterirdische Tunnel führte, die zur Aufnahme sämtlicher Rohrleitungen, Kabel, Schleusen usw. dienten und damit zugleich den Vorteil leichter Zugänglichkeit für alle diese Leitungen böten. Die erhöhten Anlage-Kosten würden durch die späteren Ersparnisse im Betrieb und die sonstigen Vorteile reichlich ausgewogen werden. Auch ein schmalspuriges Schienen-Geleis könnte dieser unterirdische Tunnel aufnehmen und damit die unterirdische Abfuhr von Kehricht Schnee und dergl. ermöglichen. Selbst eine Untergrundbahn wäre hier am Platze. Figur 7 zeigt den Querschnitt einer solchen untertunnelten Straße. Der Tunnel vereinigt hier: Wasserleitungs-Rohre, Gasleitungen, Rohrpost, elektrische Kabel für die Beleuchtung, für telegraphischen, telephonischen und Straßenbahn-Betrieb, Schleuse und Schienen-Geleis. Für ein kräftige Ventilation dieser Tunnel müßte allerdings Sorge getragen sein, um die Ansammlung schädlicher Dünste und Gase zu verhüten.

Fritsch_Die Stadt07.gif (23207 Byte) Fig. 7: Tunnel unter den Straßen

Noch vorteilhafter wäre es vielleicht, in verkehrsreichen Straßen - besonders im Geschäfts Viertel - den gesamten Fahrdamm nebst den Trottoirs auf einen von Säulen getragenen eisernen Unterbau zu legen und auf solche Weise eine obere und untere Verkehrs-Straße zu schaffen. Die letztere würde dabei hauptsächlich dem Güter-Verkehr, die obere dem Personen-Verkehr dienen. Siehe Fig. 8. -

Das Licht kann die untere Straße durch ein Trottoir von Glasplatten oder auch durch elektrische Beleuchtung erhalten.

Fritsch_Die Stadt08.gif (19475 Byte) Fig. 8: Straße mit oberer und unterer Fahrbahn

Wenn es nötig ist, die Vorzüge des neuen Städte-Bildes noch weiter auszumalen, so sei nochmals an folgendes erinnert. Die Vereinigung der Industrie-Werkstätten und der Handelshäuser in besonderen Vierteln erleichtert diesen den Verkehr unter einander auf's Beste. Die Nachbarschaft der Bahnhöfe ermöglicht eine Schienen-Verbindung nicht nur für die Fabriken, sondern auch für alle größeren kaufmännischen Geschäfte. Hauptpost und Markthallen, die selbstverständlich in die Geschäfts-Viertel zu legen sind, haben von ihren Höfen aus ebenso direkte Schienen-Verbindung, wie alle Speicher, Lager-Höfe, großen Kaufhäuser usf. Der Wagen- und Güter-Verkehr in den Straßen der Stadt wird dadurch erheblich vermindert. Die vornehmeren Stadt-Viertel der inneren Zonen bleiben von dem geräuschvollen Verkehr völlig bewahrt. Der Mittelplatz, gleichsam das "klassische Viertel" oder das "Allerheiligste" der Stadt, ist allem lärmenden Getriebe entrückt. In vornehmer Ruhe erheben sich hier, von hübschen Park-Anlagen wie von einem "heiligen Hain" umgeben, in mächtigen herrlichen Formen würdige Bauwerke und Denkmäler. Gleichwohl münden alle radialen Hauptstraßen der Stadt auf diesem Platze, machen ihn von überallher leicht erreichbar und lassen den Blick aus allen Stadtgegenden auf diesem idealen Mittelpunkte ruhen. Der erschöpfte Geschäftsmann, Beamte und Arbeiter kann über all dem lärmenden Tages-Getriebe leicht entfliehen: nach dem friedlichen Inneren der Stadt oder nach der freien Luft der Felder und Wälder hinaus. Aber auch inmitten der dichteren Straßenzüge ist hinlänglich für freie Plätze und grüne Oasen gesorgt. Die Bebauung ist im Ganzen eine weitläufige und viel weniger dichte als die unserer heutigen Großstädte, da keine selbstsüchtige Spekulation, kein Bodenwucher die Scholle verteuert, sondern ein billiger Pachtzins an die Gemeinde die reichliche Erwerbung von Bau und Gartenland für Jedermann ermöglicht. In den inneren drei Zonen wäre die "offene Bauweise" (das Einzelstehen der Häuser mit zwischenliegenden Gartenflächen) zur Bedingung zu machen. Das Ideal ist eine Gartenstadt. Abweichend von der ununterbrochenen Bebauung der Zonen, wie sie in den farbigen Planen dargestellt ist, zeigt Fig. 9 (unter sonstiger Einhaltung des Zonen-Prinzips) eine Ausbauung in einzelnen Flügeln an den Haupt-Radialen entlang, während dazwischen-liegende breite Park-Anlagen tief in die Stadt einschneiden und gleichsam deren Lungenspitzen bilden. Vielleicht verdient diese Bebauungs-Art den Vorzug vor allen andern. Solchergestalt würde sich die Großstadt gleichsam in eine Reihe von Kleinstädten auflösen, die aber durch ihre centrale Lage ein organisches Ganzes bilden.

Fritsch_Die Stadt09.gif (86129 Byte) Fig. 9: Flügelförmige Bebauung mit einspringenden Waldungen oder Park und Garten Plätzen

Im Einzelnen ließen sich bei dieser Bebauung auf einem Boden, der nicht durch seine Kostspieligkeit zur Knauserei zwingt, der nicht durch vorhandene alte Straßenzüge und durch die beliebigen Grenzen einengender Privat-Grundstücke allerlei Rücksichtsnahmen auferlegte sondern die freie Entfaltung vernünftiger Ansprüche zuläßt, noch allerlei vorteilhafte Einrichtungen treffen. So würde sich empfehlen, innerhalb der Häuser-Vierecke (oder Sechsecke) gemeinsame Spiel- oder Gartenplätze vorzusehen und so vor allem die Tummelplätze der Jugend von der Straße nach geschützteren Orten zu verlegen. Ebenso würde es vorteilhaft sein, die bebauten Blocks auf einer Seite für eine Einfahrt offen zu lassen, um nicht nur bei Feuers-Gefahr sondern auch für gewisse wissenschaftliche Zwecke (Abfuhr von Müll und dergl.) die Grundstücke von ihrer Rückseite zugänglich zu machen. Fig. 10 und 11 zeigen Beispiele einer solchen Bebauung.

Fritsch_Die Stadt10.gif (5969 Byte)  Fig. 10
Fritsch_Die Stadt11.gif (12285 Byte) Fig. 11

Auch wäre zu erwägen, ob man nicht, wenigstens in den vornehmeren Stadtteilen, eine Unterscheidung zwischen Hauptstraße und Wirtschafts-Weg machen könnte, derart, daß eine engere Straße für den wirtschaftlichen Fahr-Verkehr an den Rückfronten der Grundstücke entlang zu führen wäre, wie in Figur 12 dargestellt ist.

Fritsch_Die Stadt12.gif (8856 Byte) Fig. 12

Fig. 13 zeigt das Gesamt-Bild einer solchen Stadt mit Umgebung. Es ist dabei angenommen, daß die Stadt an eine zu beiden Seiten des Flusses gelegene Altstadt A-A sich anbaut. -

B-B sind die Bahnhöfe, H-H die Häfen des Kanals, S-S-S die Stationen der Ringbahn.

Fritsch_Die Stadt13.gif (53504 Byte) Fig. 13: Gesamt-Bild der Stadt mit Umgebung

Bedenken könnte man noch hegen gegen den unmittelbaren Anschluß der Fabrik-Zone an die Stadt. Der Rauch der Fabriken würde bei ungünstiger Wind-Richtung immerhin in die Innenstadt dringen, und man könnte das Übel nur dadurch vermindern, daß man bei Anlage der Stadt die vorherrschende Windrichtung in Betracht zöge. Im mittleren Deutschland mit seinem vorherrschenden Westwind würde man also das Fabrik-Viertel immer nach dem Osten verlegen. Der Vorteil ginge allerdings verloren, sobald die Stadt sich zum vollen Ringe schlösse. Eine bessere Lösung des Problems würde darin zu finden sein, daß man die Fabrik-Zone noch weiter hinausrückte und sie durch eine breite Zone von Gärten, Äckern und Wäldern von der Innenstadt trennte. Das Fabrik-Viertel würde sich dann günstig in eine Reihe von Vorstädten auflösen, die gleichwohl durch ihre centrale Lage zur Innenstadt die gleichen Vorteile genössen, wie eine unmittelbar sich anschließende Fabrik-Zone. -

Siehe Fig. 14.

Fritsch_Die Stadt14.gif (63298 Byte) Fig. 14 Stadt mit abgesonderten Fabrik-Vorstädten

Wie schon gesagt, ist die Verwirklichung des Planes gedacht auf der Grundlage der Boden-Gemeinschaft. Der Bauende bepachtet von der Gemeinde ein Stück Land auf 60, 90, 120 Jahre. Nach Ablauf dieser Zeit kann die Gemeinde die Rückgabe des Bodens fordern oder auch den Vertrag unter Berücksichtigung der inzwischen veränderten Umstände erneuern.*)

*) Die englischen Verhältnisse, bei denen nach 99 Jahren der Boden mit allem was darauf steht, unentgeltlich an die Krone bezw. die Landlords zurückfällt, sollen hierbei  n i ch t  als Muster dienen.


Der Pachtpreis wird für die verschiedenen Zonen selbstverständlich ein verschiedener sein. Um die Produktions-Verhältnisse billig zu gestalten, muß der Boden für die Fabriken und Arbeiter-Wohnungen wohlfeil abgegeben werden. In den heutigen Großstädten zahlt man für das an der äußeren Peripherie gelegene Areal zu Fabrikzwecken pro Quadrat-Meter durchschnittlich, 10-25 M. Kaufpreis. Das bedeutet eine jährliche Zins-Belastung von 40 Pfg. bis 1 Mark für den Quadratmeter. Die neue Gemeinde, die eine große unbebaute Fläche (vielleicht geringwertiges Ackerland) wohlfeil erwirbt, würde in der Lage sein, den Quadrat-Meter Land für Fabrikzwecke u. dergl. gegen einen Pachtpreis von 10-20 Pfg. jährlich abzulassen. In den inneren Zonen würde der Pachtpreis pro Quadrat.JPG (763 Byte) m auf 50 Pfg. bis 1 M. und höher steigen können. Wer in dem Mittelpunkte einer so schönen Stadt wohnen will, würde diese Abgabe nicht zu hoch finden. Heute zahlt man in Großstädten für Villen-Terrain (nicht im Inneren der Stadt) mindestens 40-60 M. pro Quadrat.JPG (763 Byte) m, also einen Zins von M. 1,50-2,50 jährlich. Die Gemeinde-Verwaltung der Zukunfts-Stadt würde aus diesen Pacht-Erträgen wahrscheinlich alle öffentlichen Ausgaben bestreiten können und kaum nötig haben, die Einwohner noch mit sonstigen Kommunal-Steuern zu belästigen. Es ist selbstverständlich, daß man dieses Bebauungs-System auch dem weiteren Ausbau jeder bereits  b e st e h e n d e n  Stadt zu Grunde legen kann - sofern sich dieselbe noch nicht allzu sehr zu einem unförmlichen Ungeheuer ausgewachsen hat. In jeder entwicklungs-fähigen Klein- und Mittel-Stadt sollte man dieses Bebauungs-System in Anwendung bringen, um der Stadt die Zukunft zu sichern. Man würde nur einen außerhalb der bebauten Stadtteile günstig gelegenen idealem Mittelpunkt zu wählen haben, um, an die bestehenden Straßenzüge anschließend, die Bebauung allmählig in das Zonen-System über zu führen. Auf dem farbigen Plane Entwurf II ist eine solche Entwicklung dargestellt, ebenso in Figur 13 der Text-Abbildungen. Wie die Fernhaltung der Boden-Spekulation und des Hypotheken-Wuchers auf die Gesundung der gesamten Wirtschafts-Verhältnisse wirkt, dafür gib England ein Zeugnis ab. In England gibt es keinen verkäuflichen Grund und Boden und  k e i n e  H y o t h e k e n.  Alles Land gehört der Krone und ist den Land-Lords in Lehen gegeben. Die Land-Lords genießen den Renten-Ertrag des Bodens, haben aber nicht das Recht, diesen Boden zu verkaufen oder mit Schulden zu belasten. Eine Folge davon ist, daß in der größten und volkreichsten Stadt der Welt,  i n  L o n d o n,  d i e  M i e t e n  d r e i  b i s  v i e r  m a l  b i l l i g e r  sind  a l s  i n  a l l e n  G r o ß st ä d t e n  d e s  F e st l a n d e s.  Man mietet dort eine Villa mit Garten und Park für den nämlichen Preis, den man in Berlin für ein armseliges enges Stockwerk zahlt. In diesen Verhältnissen wurzelt ein Stück Geheimniß der wirtschaftlichen Kraft Englands.*)

*) Näheres siehe: "Zwei Grund-Uebel: Boden-Wucher und Börse."


Eine Folge der teuren Mieten ist aber die fürchterliche Zusammendrängung der Bevölkerung auf engem Raume, die Engigkeit der Wohnungs-Verhältnisse bei uns. Wie aber die Dichtheit der Bevölkerung in unmittelbarem Verhältnis zur Sterblichkeits-Ziffer und auch zu gewissen sittlichen Zuständen steht, wird durch folgende Zahlen beleuchtet:

Fritsch_Die Stadt15.gif (17453 Byte)

Mag man nun die Zahl der außerehelichen Geburten für einen Maßstab der Sittlichkeit erachten oder nicht; jedenfalls steht sie in einem Verhältniß zu der Wohlhabenheit oder Kümmerlichkeit der Lebensführung eines Volkes. Manches Kind muß bei uns nur deshalb außerehelich geboren werden, weil seine Erzeuger nicht die Mittel erschwingen können, um einen selbständigen Haushalt zu begründen. Auch erhöht die Not die Versuchung. -

Und hieran sind wesentlich die hohen Mietpreise und die hierdurch hervorgerufene Verteuerung der gesammten Lebensführung mit schuld. Die hohen Mietpreise aber sind zurück zuführen auf Boden-Verschuldung und Boden-Wucher. Diese aber wird man nicht hindern, solange unser falsches Boden-Recht die heimatliche Scholle zum Spielball des Leichtsinns und der Gewinnsucht macht. In einem Vaterlande, dessen Grund und Boden mit 75 000 Millionen Mark Grundschulden belastet ist und der deshalb einen jährlichen Zins-Tribut von 3 Milliarden aufbringen muß, kann auch das sparsamste und fleißigste Volk auf die Dauer nicht gedeihen. -

Ich bin ungerecht gewesen, wenn ich behauptete, es beschäftige sich Niemand ernstlich mit der Verbesserung des Größten und Wichtigsten, was uns umgibt. Ein noch Größeres als die Stadt gibt es, um dessen Verbesserung sich Viele, nur Allzuviele bemühen: das ist  d e r  S t a a t.  Der Staat ist in seinem Wesen zum guten Teil ein abstrakter und theoretischer Begriff, und mit Abstraktionen läßt sich wunderleicht hantieren. So lange es sich nur um theoretische Luft-Gebilde handelt, ist unsere Zeit außerordentlich schöpferisch, aber an das greifbar Wirkliche wagt sich der schulmäßig verbildete Verstand nur schüchtern heran. Darum nehmen die Vorschläge, wie man den Staat zu verbessern hätte, kein Ende; leider nimmt sich Niemand die Mühe, diese Phantasie-Staaten auf ihre Verwirklichungs-Fähigkeit zu prüfen. Und fast alle suchen das Übel an der Oberfläche: Des Übels Wurzel steckt - wie alle Wurzeln -  i m  B o d e n. Stecken wir uns das Ziel darum enger! Beginnen wir damit, eine Stadt vernünftig und planvoll zu gestalten, vielleicht, daß wir, von einem solchen festen Punkte ausgehend, allmälig auch zu einem vernünftig geordneten Staate gelangen.


NACHWORT
zur zweiten Auflage
Leipzig, Mitte März 1912

Es sind 16 Jahre vergangen, seit ich diese Schrift zum ersten Male in die Welt sandte. Es hat sich inzwischen Niemand gefunden, der ernstlich an der Verwirklichung der hier erörterten Ziele Anteil genommen hatte. Wohl ist heute das Wort "Gartenstadt" in aller Leute Mund, allein, was man heute so nennt, hat mit den Grundgedanken dieser Darlegungen wenig zu tun. Als Gartenstädte bezeichnet man heute Landhaus-Siedelungen, die - nicht erheblich verschieden von sonstigen Villen-Vierteln - eine etwas weitläufigere Bauweise einhalten und zu jedem Haus ein Stück Gartenland geben. Von dem Gedanken der Boden-Gemeinschaft und Unverschuldbarkeit des Bodens weiß man dabei gewöhnlich nichts, noch weniger von einem organischen Aufbau des Ganzen in einer Zonen-Gliederung. So laufen solche Unternehmungen in vielen Fällen kaum auf etwas Anderes hinaus, als auf Boden- und Bauspekulation. Ich selber habe inzwischen meine Auffassung hinsichtlich des Zieles in etwas verändert. Zur Zeit der ersten Entwürfe dieser Plane galt die Großstadt noch als das ersehnenswerte Ziel für alle soziale Entwicklung; die Vergrößerung und der luxuriöse Ausbau der Städte galt als eins der vornehmsten Kulturziele. Inzwischen haben die Anschauungen darüber - wenigstens in dem weitblickenden Teile der gebildeten Klassen - eine Wandlung erfahren. Wir haben erkennen müssen, daß dem Volke in seinen Großstädten und Industrie-Zentren schwere Gefahren drohen; sie sind kein Boden für ein dauerndes Gedeihen der Geschlechter; die Bewohner der Städte sind einem raschen Aussterben preisgegeben. Wie statistische Untersuchungen erwiesen haben, besteht die Stadt-Bevölkerung selten über drei Generationen hinaus. Fände nicht ein beständiger Zuzug vom Lande statt, so wären alle Großstädte längst ausgestorben. Man forsche nach, wo die Eltern und Großeltern der heutigen Stadtbewohner gelebt haben, und die Spur wird fast immer auf das Land zurück führen. Nach einer Untersuchung des Dr. Ammon in Karlsruhe hat sich ergeben , daß von hundert Menschen, die vor etwa hundert Jahren in einer Großstadt lebten, in der nächsten Generation nur noch etwa 57 Nachkommen vorhanden waren, in der zweiten Generation 31, in der dritten 17, und in der vierten verschwinden sie ganz. Ausnahmen bestehen nur da, wo das Geschlecht inzwischen durch ländliches Blut aufgefrischt wurde. Die zunehmende Unfruchtbarkeit der städtischen Geschlechter ist überall auffällig. In Berlin sind 27 Prozent der Ehen kinderlos. Und dabei darf nicht vergessen werden, daß die modernen Großstädte erst in den letzten Jahrzehnten ihre riesige Ausdehnung angenommen haben und ihren verzehrenden und aufreibenden Charakter erst recht ausbildeten. Was man vor hundert Jahren eine große Stadt nannte, wäre heute kaum eine Mittelstadt. Die Städte sind also völker-verschlingende Ungeheuer, und wir haben keine Ursache, sie ohne Not zu vermehren. Unser Ziel muß sich im Hinblick auf das dauernde Gedeihen der Nation in eine andere Richtung wenden. Wenn bisher das ganze Volk geradezu von einem Großstadt-Rappel besessen war und Alle - bis zum letzten Tagelöhner-Kinder im Dorfe - nur das eine Sehnen kannten, sobald als möglich nach der Stadt zu kommen, so müssen wir heute darauf bedacht sein, diesen irregeleiteten Trieb sobald als möglich umzukehren. Aus dem Großstadt-Fieber in Verbindung mit dem einseitig ausgearteten Handels-Industrialismus droht uns der Untergang der Nation; und wir lernen heute erst verstehen, warum die alten Kulturvölker ein so plötzliches Ende gefunden haben. Sie starben an "Volks-Erschöpfung", nachdem der frisch sprudelnde Quell des ländlichen Lebens versiegte, nachdem der Bauernstand verkümmerte, die proletarisierten Massen sich in den Hauptstädten anhäuften und dort ihren Untergang fanden. Eines Tages blieb der Zuzug vom Lande aus und Stadt und Land verödeten.*)

*) Vergl. die Zeitschrift "Hammer" (Leipzig) Nr. 83 "Volks-Erschöpfung".


Wir sind diesem Zustande schon bedenklich nahe gekommen. Während vor 40 Jahren das Deutsche Reich noch zwei Drittel Land-Bevölkerung und ein Drittel Stadtvolk zählte, hat sich heute das Verhältnis nahezu umgekehrt. Das eine Drittel Landvolk von heute ist aber auf die Dauer nicht im Stande, den Geburten-Ausfall der Großstädte zu decken. Die Nation muß also in Zukunft an Zahl zurück gehen und das nachdrängende Ausländertum, besonders vom Osten her, wird bald die deutschen Wohnstätten besetzen. Dann wird Deutschland aber aufhören, ein  d e u t s ch e s  Land zu sein. Eine Gesundung der Verhältnisse kann nur gefunden werden, wenn es gelingt, den wahnwitzigen "Zug nach der Stadt" in einen vernünftigen "Zug nach dem Lande" umzuwandeln. Der Anfang dazu ist gemacht. Die Verderblichkeit des Stadtlebens ist inzwischen Vielen zum Bewußtsein gekommen, und so regt sich in ihnen das Verlangen, in ländlichen Verhältnissen ein neues vernunftgemäßes Leben zu beginnen. So ist die "Erneuerungs-Gemeinde" in's Leben getreten und hat eine "Siedelungs-Gesellschaft Heimland " begründet, die nun jedem Stadtmüden die Gelegenheit bieten will, sich auf dem Lande nieder zu lassen. Die Gesellschaft besitzt hier bereits ein Gut in der wald- und seen-reichen Ost-Prignitz, wo die ersten Niederlassungen vorbereitet werden. Es soll dort in den nächsten Jahren eine Gartenbau-Kolonie entstehen, die in noch höherem Maße als die "Gartenstadt" die Bedingungen für ein gesundheitliches und vernunftgemäßes Leben bieten wird.*)

*) Prospekte und Niederlassungs-Bedingungen sind vom Hammer-Verlage, Leipzig, Königstr. 27 zu beziehen.