VORWORT
zur zweiten (Titel-)Auflage
Die vorliegenden Schrift erschien Ende des Jahres 1895 mit der
Jahreszahl
1896. Sie hat in Deutschland keinerlei Beachtung gefunden, weder in der
Presse, noch in
den Parlamenten oder sonst im öffentlichen Leben. Ein
angesehener Parlamentarier, dem ich
sie überreichte, bemerkte dazu: "Ein sehr schöner
Gedanke! Aber wir werden es wohl
nicht erleben, daß er verwirklicht wird." -
Mehr Beachtung fand die Schrift in England, wo drei Jahre
später E b e
n e z e r H o w a r d seine Schrift "The
Garden-City of To-morrow"
erscheinen
ließ, die - ohne Nennung des deutschen Urhebers - den
Gedanken in etwas
breiterer Weise
dem englischen Volke zugänglich machte. Das hatte dort den
Erfolg, daß
sich in England
eine "Gartenstadt-Gesellschaft" bildete, die auch bald mit dem Bau
einer
sogenannten "Gartenstadt" begann, wenn es auch nicht viel Anderes war,
als eine
Kolonie von Arbeiter-Häusern mit etwas Gartenland dabei. Nun erst
erweckte der Gedanke auch die Aufmerksamkeit in Deutschland,
und auch hier
entstand nun eine Gartenstadt-Bewegung. (Es scheint beinahe eine
unvermeidliche
Notwendigkeit zu sein, daß deutsche Ideen erst den Umweg
über das Ausland nehmen
müssen, ehe sie in ihrer Heimat auf Beachtung zählen
können.) Dem Wunsche einiger Freunde folgend, gebe ich eine zweite
Auflage der
Schrift in den
Buchhandel, die heute allerdings nur ein h i st o r i s c h e
s I n t e r e s
s e haben kann. Ich habe deshalb auch die Schrift nicht neu
bearbeitet, sondern gebe
sie in ihrer ursprünglichen Fassung heraus. Auch die
beigelegten Pläne, die ebenfalls in
ihrer alten Form belassen sind, erheben keinen Anspruch auf
Mustergiltigkeit; sie wollen
nur in einfachster Gestalt das Schema des Grundgedankens
veranschaulichen *)
*) Man beachte das
Schlußwort auf Seite 30.
Leipzig, den 18. März 1912
Theod. Fritsch
Seit Jahrtausenden baut man Städte als
Mittelpunkte des Verkehrs, des Handels, des nationalen und politischen
Lebens, als Sitze
der Regierung, der Kunst- und Kultur-Pflege. Dennoch ist man noch nicht
dahin gelangt,
diese Häuser-Meere wohlgeordnet nach einem
vernünftigen, weitsichtigen Plane anzulegen.
Fast alle unsere Städte, soweit sie nicht, beispielsweise wie
Festungen, besonderen
Zwecken dienen, sind Gebilde des blinden Zufalls - ohne Plan und Ziel
angewachsen und
zusammengewürfelt. Aus kleinen Anfängen, aus
ehemaligen Ansiedelungen oder Dörfern
entstanden, haben sie sich, regellos nach allen Seiten sich erweiternd,
aufgehäuft, wie
Laune, Zufall und kurzsichtiges Privatinteresse es mit sich brachten. -
Jeder baute, wo
und wie er wollte. Wo vor ungezählten Jahrhunderten ein armseliges
Gefährt irrend seinen Weg durch eine
öde Heide suchte, da windet sich jetzt, genau in den gleichen
planlosen Krümmungen, die
Hauptstraße einer Großstadt, und wolkenragende
Gebäude drängen sich an diesem Irrpfade
jenes urzeitlichen Karrenfahrers zusammen. Denn der Spur des ersten
Wagens folgten andere;
der Zufalls-Pfad wurde zum Gewohnheits-Wege; an der krummen
Straße bauten sich Hütten
auf, und der Weg wurde zur Grenze des Eigentums. An Stelle der
Hütten erwuchsen festere
Häuser, gewissenhaft die regellosen Windungen des ehemaligen
Fahrwegs bewahrend, und
heute fragt man die stolzen Stein-Paläste der inneren
Großstadt vergeblich, warum sie
sich in so unsinnigen Krümmungen und schiefen Winkeln
zusammenpferchen und keine bessere
Ordnung zufinden wußten. Unselige Rechts- und Eigentums-Verhältnisse sind ebenso wie
die Kurzsichtigkeit der
städtischen Verwaltungen mit daran schuld, das die
Großstadt ein wüster Häuserhaufen
blieb, anstatt eine vernünftig geordnete, der Gesundheit und
Schönheit dienliche, dem
Verkehr und der wirtschaftlichen Entfaltung gerecht werdende Gestaltung
anzunehmen. Der
ehemalige Marktsflecken oder das ehemalige Fischerdorf mit seinen engen
winkeligen Gassen
ist nun gerade zum Mittelpunkte der Weltstadt geworden, weil - durch
Zufälligkeiten
geleitet - um jenen unscheinbaren Kern herum die Bebauung sich nach
allen Seiten
gleichmäßig ausdehnte. Und so drängt sich
nun gerade in den ältesten engsten und
schiefsten Gassen der Strom des großstädtischen
Lebens beängstigend zusammen. -
Aber die Engigkeit und Schiefe der alten Stadtviertel wäre
noch nicht das Schlimmste; was
vor Allem fehlt, das ist die "innere Ordnung", der Plan, die Scheidung
nach
Zweck und Wesen. Was will die Fabrik neben dem Lustschloß,
die Kaserne neben dem
Kunst-Tempel, der Schlachthof neben der Schule, das Bordell neben dem
Gotteshause ? -
Es ist wunderlich genug: an allen, auch den kleinsten Dingen arbeitet
heute der
Menschengeist, rastlos auf Verbesserung sinnend; vom Hosenknopf bis zur
Stechnadel, vom
Billard-Queue bis zum Federhalter sind alle möglichen Dinge
fortgesetzt Gegenstand der
erfinderischen Vervollkommnung; nur an die Verbesserung und
vernünftige Gestaltung des
Größten und Wichtigsten, was uns umgiebt , an den
zweckmäßigen Aufbau der Städte hat
noch keiner gedacht. Daran ist vielleicht ein Stück Wahnglaube mit schuld. Man hat
sich gewöhnt, das
Anwachsen der Städte als etwas der menschlichen Macht sich
Entziehendes, als das
Erzeugniß einer vis major zu betrachten, sei diese
"höhere Macht" auch nur der
gewaltige Herr Zufall. Doch das dürfte sich als ein Vorurteil
erweisen. Die Städte sind
ebenso ein Erzeugniß der menschlichen Willkür wie
irgend ein ander Ding, das der Mensch
mit seinen Händen schafft. Und der Mensch hat die Pflicht, den
Werken seiner Hand das
Wesen der Vernunft und Ordnung einzuhauchen. Vernunft und Ordnung fehlen aber in dem Bebauungs-Plane der heutigen
Großstädte. Was
will es besagen, daß man die Straßen der sich immer
mehr erweiternden Vorstädte etwas
breiter und einigermaßen geradlinig zu gestalten sucht? Die
Ordnung der Gebäude nach
ihrem inneren und äußeren Charakter muß
man noch immer vermissen. Eine zweckmäßige
Ordnung sollte vor Allem die einzelnen Teile nach ihren inneren
Beziehungen harmonisch
gruppiren. Eine Stadt muß etwas mehr sein als ein Konglomerat von
Gebäuden und Menschen, sie sollte
ein organisches Wesen sein mit vernünftiger Gliederung und mit
der Fähigkeit
ausgestattet, wachsend sich zu erweitern, ohne ihr Grundwesen zu
Verlieren und dem Gesetze
ihrer Entwicklung ungetreu zu werden. Wenn die Städte des
Mittelalters aus eng
zusammengepferchten Häusermassen bestanden, so ist das zu
entschuldigen. Sie dienten
lediglich als Burgen und Festungen, waren durch Mauern und
Wälle in ihre freien
Entwicklung gehemmt und sollten auf engem Raume das
Notdürftigste vereinigen, was zur
Verteidigung und Erhaltung des wehrhaften Bürgertums
erforderlich war. Seitdem aber hat
sich Zweck und Wesen der Städte erheblich geändert.
An Stelle der engen Burg ist die
freie offene Stadt getreten, der Sitz und Mittelpunkt der Industrie,
des Handels, des
freien Verkehrs. Aber die moderne Stadt weiß sich in ihre neuen Aufgaben noch
nicht zu schicken. Eine Untugend dieser Häuser-Ungeheuer ist es noch,
daß sie ihre eignen Kinder in
schlimmer Gefräßigkeit, oft nach kurzer Lebensdauer,
wieder verschlingen. Heute reißt
man einige noch recht wohl bewohnbare Häuser nieder, um eine
Fabrik an ihrer Stelle zu
errichten; in zehn Jahren muß die Fabrik wieder weichen, weil
eine Markthalle oder ein
Bahnhof notwendiger Weise an diese Stelle kommen muß, und
wiederum in einigen Jahrzehnten
macht eine veränderte Disposition, ein
Straßen-Durchbruch od. dergl., abermals ein
Abtragen dieser Baulichkeiten nötig. Ein
unökonomisches Sichselbstverzehren ist ein
Merkmal dieser planlosen Häuser-Haufen. -
Der Zweck dieses
Schriftchens soll es sein,
nach Grundregeln für die Städte-Bauten der Zukunft zu
suchen und die wichtigsten
Wohnsitze der Menschen nach besseren Plänen zu gestalten als
bisher, - ihnen Sinn und
Form zu geben, - ein Bestreben, dessen Berechtigung und Notwendigkeit
heute allerdings
vielleicht bestritten werden wird. Städte, und vor allem Großstädte gelten
heute als ungesunde Auswüchse der
Civilisation, als "Wasserköpfe" und "Pestbeulen der Kultur";
Kingsley
nannte sie sogar "Schweineställe der Cultur" und leider mit
einem gewissen
Recht. Es könnte daher als unangebracht erscheinen, die
Begründung neuer Städte zu
planen und für den Ausbau zukünftiger
Großstädte neue Grundzüge zu entwerfen. Die soziale Erkenntnis steht heute aus den Standpunkte, daß
sie im Ackerbau und dem
Landleben die eigentliche Quelle der nationalen Kraft und Gesundheit
erblickt, und daß
sie an Stelle des "Zuges nach der Stadt" besser eine "Flucht nach dem
Lande'' in's Werk gesetzt sehen möchte. Andererseits wird man sich nicht verhehlen dürfen,
daß es für eine größere Nation
und
ihre manchfachen Bedürfnisse notwendiger Weise Städte
geben muß. Die Oekonomie des
Cultur-Lebens erfordert, daß es Centren für den
Handel und Verkehr, Vereinigungen
großer Menschenmassen für gewisse
Produktions-Zweige, politische Centralen als Sitze der
Regierung usw. giebt. Die Hochschulen erreichen eine Vereinigung
zahlreicher lehrender und
lernender Kräfte in Verbindung mit vielerlei
wissenschaftlichen Materialien und
Instituten, ein Ansammlung nationaler Kunstschätze u. dergl.;
-
Die Versammlungen
größerer Körperschaften, große
nationale Feste, Congresse und dergl. erfordern
zeitweilig die Unterbringung großer Menschenmassen in
Gasthöfen usw., und alle diese
Bedingungen kann nur eine größere Stadt
erfüllen. So Vieles, was heute einen unentbehrlichen Faktor im Leben eines
großen Volkes ausmacht,
kann ohne größere Städte nicht gedacht
werden. Wenn es nun aber einmal Städte geben muß, so sollte
man sie wenigstens vernünftig
anlegen. Ja, bei näherem Zuschauen entdecken wir,
daß gewisse schwere Schäden des
heutigen Großstadt-Lebens gerade in der planlosen
unvernünftigen Gestaltung dieser
Städte ihre Wurzel haben. Viele gesundheitliche und auch sittliche Schäden sind ja
lediglich auf die unvernünftige
Engigkeit und Gedrängtheit des Zusammenwohnens zurück
zu führen, wobei die
Kostspieligkeit der Wohnungen noch einen besonders verschlimmernden
Faktor bildet. Weil
die enge Altstadt als Mittelpunkt gerade der gesuchteste
Geschäftsplatz ist, so hat man
hier die Ausnutzung der Bodenfläche in's
Unvernünftige gesteigert. Auf jedem engen Hofe
sind thurmhohe Hinterhäuser errichtet und bis in die Keller-
und Boden-Räume hinein
drängt sich die Miets-Bevölkerung in unheimlicher
Dichtheit zusammen. Luft und Licht
mangeln, Rauch, Staub und Lärm steigern sich hier oft zur
Unerträglichkeit. Was weiter diese Städte so unvernünftig erscheinen
läßt, ist die Planlosigkeit in der
Verteilung der Gebäude, Rauchende und lärmende
Fabriken drängen sich zwischen
Mietskasernen, Villen, Kirchen und öffentliche
Gebäude . . . . . alles zu einem
Kunterbunt der unsäglichsten Art vermischend. Und dieses
vernunftlose Durcheinander, das
aller Gesetzmäßigkeit Hohn spricht, das
überall die nackte kurzsichtigste Selbstsucht
und Vorteils-Gier durchblicken läßt, ist es gerade,
das den Städten ihren schlimmen
Charakter gibt und auch einen schädigenden Einfluß
auf Geist und Sittlichkeit ihrer
Bewohner ausübt. Muß nicht eine Umgebung, die in allen ihren Erscheinungen die
Regellosigkeit und
Ordnungs-Widrigkeit zur Schau trägt, jede vernünftige
Planmäßigkeit vermissen läßt,
auch in dem Menschen, der darinnen groß wird, den Geist der
Unvernunft, der Verwirrung
und Zuchtlosigkeit groß ziehen? Würde nicht
andrerseits gerade eine Stadt, die in allen
ihren Teilen das Erzeugnis eines klaren weitschauenden Geistes
wäre, die in edler
Regelmäßigkeit und Schönheit sich aufbaute,
auch ordnend und richtend auf den
Menschengeist zurück wirken? In der Wildniß, im Chaos entfachen sich die wildesten und
rohesten Triebe, während
selbst die Bestie an Ungeberdigkeit verliert, wo sie sich in den
Schranken einer
überlegenen ordnenden Gewalt fühlt. Der Geist der
Ordnung, die Macht der Harmonie wirkt
zähmend auch auf das roheste Gemüt. Selbst die edleren Schöpfungen der Kunst und Architektur,
deren jede größere Stadt sich
erfreut, verlieren meist ihre Kraft, ihre Weihe und Würde,
weil eine störende Umgebung
sie erdrückt und schändet - "ein
widerwärtiges Netz krummer Gassen und
geräuschvoller Verkehrs-Adern verdunkelt die ganze
Herrlichkeit von allen Seiten". .
. . "Die wüste tötliche Planlosigkeit des Ganzen
verhindert vollständig jede
einzelne harmonische Wirkung". So sagt ein moderner Schilderer von den vereinzelten Herrlichkeiten
London's.*)
*) Gustav F. Steffen: "Aus
dem modernen England". Aus dem schwedischen von Dr. Oskar Reyher "mit
134 Text-Illustr. und 11 Tafeln''. Leipzig, Peter Hobbinq, 1895.
Und das Bild, was er sonst noch von jener
Riesenstadt entwirft, paßt mehr oder minder auf alle
Großstädte der Welt: "Die
großen Verkehrs-Adern sind alle häßlich
und planlos, viele sogar erbärmlich unsauber.
Es ist etwas Seelenloses, etwas zermalmend Materialistisches in dieser
einförmigen meist
abstoßend häßlichen
Häuserwüste von schmalen zwei- und dreistockigen
Gebäuden, die
mit riesigen Waren-Magazinen abwechseln. -
Eine Wüste, die die
Hand der Natur geschaffen
hat, können wir noch schön finden, denn es ist etwas
wie Seele in ihr. Eine Wüste aber
von Menschenhand, nach strengsten armseligen
Geschäfts-Grundsätzen hergestellt, ist
gräßlich; - ihr fehlt jede Spur einer Seele: sie
erinnert an die Leiche eines
Idioten." -
Wie wäre nun eine neue Stadt vernünftig anzulegen? Die äußere Regelmäßigkeit allein
tut es nicht. Wohl hat man hier und da versucht,
Städte nach strengen geometrischen Grundsätzen
aufzubauen; so vor Allem neuere
amerikanische Städte mit ihren langweiligen regelrechten
Häuser-Vierecken. Aber auch
solche Städte sind tote Gebilde, ohne organisches
Gefüge, denn hinsichtlich der
Gebäude, die diese Vierecke ausfüllen, zeigt sich die
alte verwirrende Regellosigkeit
und Unvernunft. Zu einer vernünftigen Ordnung gehört,
daß Gleiches an Gleiches sich
anschließt, Verwandtes mit Verwandtem sich paart. Was wäre natürlicher, als daß man eine
räumliche Scheidung der Gebäude nach ihrer
Bauart und Bestimmung vornähme? Ist es ein realer Zustand,
daß man neben den Theatern,
Museen und Kirchen rauchende Fabrikschlote errichtet? Aber nicht nur
das schönheitliche
Interesse gebietet eine Scheidung der Gebäude nach ihrem Zweck
und Charakter, auch
ökonomische Vorteile sind damit verknüpft. Wieviel
sparsamer könnte der Verkehr unter
den Fabriken und Produktions-Werkstätten sein, wenn in sie in
engen Viertel dicht
beieinander lägen, durch Verkehrs-Wege, Schienen-Geleise,
vielleicht sogar durch
Wasser-Straßen miteinander verbunden - in einem Viertel, das
die beste Verbindung mit den
Bahnhöfen und Häfen des Flusses oder Kanals
hätte! Wieviel mühsame Transporte der
Rohmaterialien und Halb-Produkte könnten bei solcher
planmäßigen Aneinanderordnung
erspart werden! Heute liegen die Fabriken verteilt in und um eine
Großstadt; die
Materialien und Produkte müssen oft auf weiten Umwegen von
einer zur anderen Werkstatt
oder nach den weit abgelegenen Verladungs-Plätzen geschleppt
werden, und so machen die
Lastfuhrwerke gerade die verkehrsreichsten Straßen der
Großstadt in unheimlicher Weise
unsicher. Eine vernünftige Entscheidung der Baulichkeiten wäre
nach folgenden Gesichtspunkten
vorzunehmen. Monumentale öffentliche Gebäude, die
nicht gerade den alltäglichen
Verkehrs-Bedürfnissen dienen, wie Museen, Opernhaus,
Hochschule, Bibliothek, Rathaus,
Dom, oberster Gerichtshof, Regierungs-Gebäude usw.
würden auf einem freien, möglichst
reichlich bemessenen Platze zu gruppieren sein, der den idealen
Mittepunkt des gesammten
Stadtplanes bildet - von allen Stadtteilen gleichgut erreichbar. Um
diesen Platz herum
würden zunächst Privat-Bauten von monumentalem
Charakter (vornehme Villen) zu
gruppieren. Daran würden sich Wohnhäuser besserer
Art, dann gewöhnliche Wohn- und
Geschäftshäuser anschließen, ferner ein
Viertel für kleine Werkstätten und
Arbeiter-Wohnungen, Alles zonenweise abgegrenzt. Die Fabriken
wären in die äußerste
Peripherie der Stadt zu verweisen, in die Nachbarschaft der
Bahnhöfe - mindestens einige
Kilometer von dem klassischen Viertel der Innen-Stadt entfernt. So wäre von vornherein eine Reihe von
Mißständen zu vermeiden, an denen
gegenwärtig
die Großstädte kranken. Heute sind Anlage und Ausbau der Vorstädte meist ganz planlos
erfolgt. Wie Polypen-Arme
sind sie an den verkehrsreichsten Straßen entlang
hinausgewachsen, ohne daß man darauf
bedacht gewesen wäre, diesen gewaltigen Vororten untereinander
eine ausreichende
Verbindung zu sichern. Dicht neben einander gelegene Vorstädte
von 10 - 20,000 Einwohnern
sind oft ohne jede genügende Verkehrs-Straße unter
einander; Bahnhöfe, Fabrikviertel u.
dergl. drängen sich dazwischen, und so muß sich der
Verkehr aus diesen Flügeln
ebenfalls durch die enge Innenstadt ergießen, das
Gedränge bis zur Unerträglichkeit
steigernd. Alles das will vermieden sein. Seitdem an Stelle der eng-umfriedeten Burg die weite offene Stadt
getreten ist mit ihrem
Bedürfnissen nach leichtem Verkehr und freier Bewegung, ist
dem Städtebau eine neue
veränderte Aufgabe erwachsen. Wenn man seither noch nicht
daran gedacht hat, für den
Aufbau der heutigen Städte nach einer guten praktischen Regel
zu suchen, so mag zur
Entschuldigung dienen, daß sich das Anwachsen der
Großstädte ganz unerwartet und nach
ganz neuen und unübersehbaren Bedingungen und
Bedürfnissen vollzogen hat. Heute aber
wissen wir zur Genüge, aus welchen baulichen Elementen eine
moderne Großstadt sich
zusammensetzen wird und wirtschaftlichen und sozialen
Bedürfnissen sie notwendiger Weise
gerecht werden muß. Wir wissen, daß wir neben
Wohnhäusern verschiedenen Charakters,
Geschäfts-Läden und Werkstätten haben
müssen, daß Fabriken und Bahnhofe gebraucht
werden, die der nötigen Arbeiter-Wohnungen bedürfen;
wir wissen daß wir Schulen,
Gerichte, Theater, Museen, Krankenhäuser, Centralen zur
Beleuchtung, Wasser-Versorgung,
Straßen-Bahnen ec. und die zugehörigen
Beamten-Wohnungen nötig haben, daß wir den
reichen Leuten ein vornehmes Villenviertel schaffen müssen und
dergl. mehr. Auch das
Bedürfnis nach Garten-Plätzen (Mietgärten)
besteht, und ihm sollte in ausgiebigster
Weise Rechnung getragen werden. Bis heute finden sich alle diese Bestandteile plan- und regellos
über alle Bezirke eines
städtischen Weichbildes verteilt in oft widersinnigem
Durcheinander. Ökonomische wie
ästhetische und gesundheitliche Rücksichten lassen es
geraten erscheinen, daß man
rauchende, staubende, rußende und lärmende
Industrie-Werkstätten nicht zwischen Villen
und Wohnhäuser, nicht zwischen Krankensäle, Schulen
und Kunst-Institute einschiebt,
vielmehr auf einem gesonderten Gelände vereinigt, wo schon der
erleichterte Verkehr der
Werkstätten untereinander einen wertvollen Vorteil bietet.
Ebenso wird man die
eigentlichen Geschäfts-Viertel, die Kaufläden und
Warenhäuser, mit Vorteil in einem
besonderen Bezirke vereinigen - abseits von den Wohnungen und
Anstalten, in denen Geist
und Körper Ruhe und Erholung finden sollen. Den Fabriken
hätte sich selbstverständlich
in einem durch Alleen und Gartenplätze ausgefülltem
Abstande ein Arbeiter-Viertel, den
Geschäfts-Häusern ein Viertel von bequemeren
Wohnungen anzuschließen. Es entsteht nun die Frage, wie sonst diese Viertel zu einander zu legen
sind und welche
Gestalt ihnen zu geben ist, um die Entwicklung und Ausbreitung jedes
einzelnen derselben
für alle Zeiten zu sichern, ohne daß sie einander
beeinträchtigen. Eine Lösung dieser Aufgabe bietet sich in der Anordnung von
Ring-Zonen, die sich um einen
Mittelplatz gruppieren. In den Mittelpunkt selbst wäre der
Platz für die monumentalen
Gebäude zu verlegen. Fig. 1 zeigt das Schema eines solchen Städte-Planes. Die Sache
ist so zu denken, daß die
Bebauung an der radialen Linie a b beginnt und im Kreisbogen um den
Mittelpunkt c
fortschreitet. Die einzelnen Zonen sind durch breite Gürtel-
oder Ringstraßen zu
trennen, die mit Alleen und Anlagen versehen sein mögen. Jede
Zone nimmt nur Gebäude
eines bestimmten Charakters auf, wobei jedoch jede
Einförmigkeit vermieden werden kann.
Eine zweckmäßige Reihenfolge der Zonen vom
Mittelpunkte aus würde sich im allgemeinen
in folgender Weise empfehlen:
Zone I (Mittelplatz): Monumentale öffentliche Gebäude;
Zone II: Villen monumentalen Charakters:
Zone III: Bessere Wohnhäuser;
Zone IV: Wohn- und Geschäftshäuser;
Zone V: Arbeiter-Wohnungen und kleine Werkstätten;
Zone VI: Fabriken, Bauhofe, Lagerplätze ec;
Zone VII: Gärtnereien, Mietgärten usw.
Fig. 1:
Zonen-Einteilung
Diese Einteilung ist selbstverständlich nicht so zu verstehen,
daß in den einzelnen
Zonen jedes Gebäude von andrer Bestimmung ausgeschlossen
wäre, daß etwa alle
Geschäftsläden n u r in Zone IV
zu finden sein dürften. Vielmehr wird man
Verkaufstellen für allerlei Tages-Bedürfnisse
(Bäckerwaren, Viktualien, Medicamente
ec.) in allen Stadtteilen dulden müssen, wo die bequeme
Befriedigung des Bedarfs es
fordert. Ebenso werden Schulen, Post-Anstalten, Volks-Theater, usw. in
allen Zonen
notwendig sein. Im übrigen aber würde schon der
ökonomische Vorteil es gebieten, daß
die größeren Geschäfte,
Werkstätten und Fabriken im Interesse des wechselseitigen
Verkehrs sich in einheitlichen und benachbarten Zonen vereinigen. Nimmt
man hinzu, daß einem solchen Bebauungs-Plane ein wohl
durchdachtes und auf
Jahrzehnte vorausgeplantes Straßen-Netz zugrunde gelegt
werden kann, - daß ferner dem
Ausbau und der zweckmäßigsten Verzweigung der
Straßen-Bahnen, der Wasser- und
Gas-Leitungen, der Beschleusung usw. keinerlei hemmende Schranken im
Wege stehen, sondern
alles dieses in der freiesten und günstigen Weise angeordnet
werden kann, so leuchtet
ein, daß hier eine Reihe wichtiger Vorteile vereinigt werden
können, die einer solchen
neuen Stadt einen erheblichen Vorsprung vor allen alten
Großstädten sichern würden. Auf der beiliegenden
farbigen Tafel sind zwei Entwürfe solcher
Stadt-Pläne dargestellt.
Es ist selbstverständlich kein unbedingtes Erfordernis,
daß die Abgrenzung der Zonen
eine kreisförmige sei, vielmehr wird, falls man vorwiegend
gerade Straßen erstrebt, die
Abgrenzung nach einem beliebigen Vieleck vorzuziehen sein. Ebenso
besteht keine
Notwendigkeit, dem Plane etwa eine strenge, zur Einförmigkeit
ausartende Symmetrie zu
geben; vielmehr kann - unter Einhaltung der Grundzüge der
Zonen-Einteilung - den
einzelnen Vierteln die große Manchfaltigkeit in der
Straßen-Führung vorbehalten
bleiben. Es ist auch keineswegs ein starres Festhalten an dem
ursprünglichen Grund-Schema
notwendig. Vielmehr muß die Möglichkeit gegeben
sein, einzelne Zonen auf Kosten der
benachbarten zu erweitern. Wenn beispielsweise das
Raum-Bedürfnis in Zone III oder IV
ungleich rascher wächst als in Zone V oder VI, so
würde die Zonengrenze in
entsprechender Weise zu verschieben sein. So können
beispielsweise an Stelle der
ursprünglichen Kreis-Zonen spiralförmig sich
erweiternde Zonen treten, wie in Fig. 2
angedeutet ist. Das wird vielleicht sogar die Regel werden. Wenn nun
als idealer Zustand einer so angelegten Stadt etwa die
Bebauung einer
Halbkreis-Fläche gedacht werden muß, so ist doch
anderseits nicht ausgeschlossen, daß
die Bebauung über den Halbkreis hinaus fortschreitet und sich
mit der Zeit zum vollen
Kreise schließt. Im ökonomischen Interesse
wäre die Größe des Bebauungs-Planes so zu
bemessen, daß dieser Zustand erst in 150-200 Jahren eintreten
könnte. Der neu
heranwachsende Stadtteil würde dann, in spiralförmig
sich erweiternden Zonen, den
inneren monumentalen Teil der Altstadt schonend umfassen und nur die
minderwertigen,
inzwischen baufällig gewordenen Häuserreihen der
äußeren Zonen verdrängen und durch
neue ersetzen. (Siehe Fig. 2) So gliche die Stadt einem lebenden
Organismus, der seinen
gesunden dauernde Kern bewahrend, seine morschen absterbenden Glieder
verzehrt, durch neue
ersetzt und sich so ewig verjüngt. Allem ehrwürdig
Alten könnte hierbei die
weitgehendste Schonung angedeihen - im Gegensatz zu den heutigen
Städte, wo der Zwang der
Verhältnisse oder die Spekulation alles Alte
pietätlos vernichtet.
Fig. 2:
Spiralförmig sich erweiternde Zonen
Eine solche Stadt würde, wenn man sie von ihrem
Ausgangs-Punkte nach den neu angebauten
Stadtvierteln im Bogen durchwanderte, ein lehrreiches Bild der
allmählichen Entwicklung
der Bauweisen durch die verschiedenen Jahrzehnte hindurch bieten. Es
würde nicht, wie in
den heutigen Städten, Altes und Neues planlos und kunterbunt
sich mischen und nicht, wie
es heute überall der Fall ist, Neues rücksichtslos
das Alte zerstören, ehe es
ausgedient und seine Bestimmung vollendet hat. Zu den Vorteilen einer
solchen Anordnung gehören noch
folgende: Das monumentale und
vornehme Viertel der inneren Stadt bleibt unberührt von dem
Treiben der industriellen und
geschäftlichen Vorstädte; dennoch ist es durch seine
centrale Lage aus allen Teilen der
Stadt leicht zugänglich und behält seine
beherrschende Stellung bei der fortschreitenden
Bebauung. Weil dieses innere Viertel zuletzt entsteht, ist für
seine Ausgestaltung nach
jeder Hinsicht freies Spiel vorbehalten, und so kann dieses Viertel in
seinen Proportionen
jederzeit der Entwicklung der übrigen Stadt angepaßt
werden. Denn diese neue Stadt wächst - entgegen der Entstehung
bisheriger Städte - n i c h
t v o n i n n e n n a c h a u
ß e n, v i e l m e h r
v o n a u ß e n n a c h i n n e
n. Die ersten Ansiedelungen entstehen in den Zonen IV, V und VI (Wohn-
und
Geschäfts-Häuser, Werkstätten, Fabriken ec.)
und erst bei der fortschreitenden
Entwicklung beginnt allmälig der Anbau in Zone III und II.
Erst wenn die Stadt zu
ansehnlichem Umfang angewachsen ist, wird sie daran denken
können, große monumentale
Gebäude in Zone I zu errichten. Da alle großen
Produktions-Stätten sowie die
Waren-Häuser und Lager-Plätze in enger
Nachbarschaft liegen und unter sich, wie mit den Bahnhöfen und
Häfen durch Schienen und
Wasserstraßen verbunden sind, ist die gesammte innere Stadt
von jenen geräuschvollen und
störenden Lastfuhr-Verkehr befreit, der heute die
Straßen unserer Großstädte
erfüllt
und den Verkehr darinnen geradezu beängstigend und
gefährlich macht - zugleich die
Unterhaltung der Fahrstraßen zu einem immer gewaltiger
anschwellenden Ausgabe-Posten im
städtischen Budget gestaltend. Man achte nur einmal darauf,
welche Unzahl von
verschiedenartigen Last-Fuhrwerken sich durch die engen
Hauptstraßen unserer Städte
drängen muß, ohne dort etwas zu tun zu haben. Bei
der vorgeschlagenen Bebauungs-Art wird
sich aller Waren- und Güter-Verkehr in den
äußeren Zonen abspielen, während in den
inneren Zonen - abgesehen von gelegentlichen Möbeltransporten
und vielleicht der Zufuhr
von Brenn-Materialien - kaum ein Lastwagen etwas zu suchen hat. Die
Bahnlinien schneiden radial in das Stadtgebiet ein, den gesamten
Bebauungs-Plan in
weitem Bogen umfassend, so daß sie die freie Entfaltung des
Straßen-Netzes in keiner
Weise beengen. Der Plan setzt allerdings ein weites, ebenes
Gelände voraus,
wie es sich in
Fluß-Niederungen ja überall findet. Eine
mäßige Erhebung der Mittelstadt, besonders
des den Mittelpunkt bildenden Teiles, würde nur willkommen
sein und die architektonische
Wirkung erhöhen. Im Mittelpunkt könnte ein
mächtiges monumentales Gebäude, vielleicht
ein gewaltiger Kuppelbau gedacht werden, etwa ein Dom *) , ein
Kunst-Tempel, ein
stattlicher Regierungs-Palast oder dergleichen. Vermöge der
großen radialen
Hauptstraßen bliebe der Blick der Bewohner aus allen Teilen
der Stadt auf diesen
erhabenen Mittelpunkt gerichtet.
*) Ich denke mir in diesem
Dom allerdings etwas Gesunderes, Deutscheres und
Vernünftigeres gepredigt als für gewöhnlich
in den heutigen Kirchen.
Eine wichtige Vorbedingung für das Gedeihen
einer solchen Stadt wäre allerdings zu
erfüllen: D e r g e s a m m t e
G r u n d u n d B o d e n m u
ß G e m e i n d e - E i g e n t h u
m s e i n u n d b l e i b e n,
er ist nur pachtweise auf größere
Zeiträume (60 - 90 -120 Jahre) zur Bebauung an die
Bürger zu überlassen, wie ich
solches in meiner Schrift "Zwei Grundübel" (Bodenwucher und
Börse)
ausführlich dargelegt habe. Nur auf Gemein-Eigentum kann sich
ein großes städtisches
Gemein-Wesen frei und gesund entwickeln. Nur hierbei ist es
möglich, die freie Entfaltung
aller Gemein-Interessen zu sichern und den Bedürfnissen des
öffentlichen Verkehrs in
jeder Hinsicht gerecht zu werden. Alle heutigen
Großstädte drohen zu ersticken in den
Schlingen der privaten Boden-Spekulation und der unsinnigen Steigerung
der Boden-Preise. Alle schönen Pläne, die dahin gehen, in den Centren
der alten Großstädte durch
Straßen-Erweiterungen und Durchbrüche Luft und Raum
für den anschwellenden Verkehr zu
schaffen, scheitern an den ungeheuren Summen, die die Boden-Erwerbung
verschlingen würde.
Wo man 500, ja 1000 oder 2000 Mark für jeden Quadratmeter
Bodenfläche fordert, da kann
die Entwicklung unmöglich den öffentlichen
Verkehrsinteressen gerecht werden und sich
das Straßennetz nach weitschauenden vernünftigen
Plänen
gestalten. Eine Folge der unsinnigen Boden-Preise sind aber ferner die Engheit der
Bebauung, die unsinnig hohen Mieten, wie überhaupt die
Kostspieligkeit des gesammten großstädtischen
Lebens. Eng, ungesund, häßlich und
teuer, das sind die Haupt-Eigenschaften unserer
großstädtischen Wohnungen und Einrichtungen. Eine neue Stadt auf verpachtetem Gemeinde-Boden könnte alle
diese Uebel vermeiden. Sie
würde in gesundheitlicher und schönheitlicher
Hinsicht sich ungleich vorteilhafter
entfalten können als alle Städte der Gegenwart. Die
Mietpreise könnten halb so hoch
sein als in den heutigen Großstädten. Und neben
andern Annehmlichkeiten, die die neue
Stadt ihren Bewohnern böte, würde nicht unerheblich
in's Gewicht fallen, daß sie von
ihren Einwohnern e i n e s e h r g e r i
n g e o d e r g a
r k e i n e k o m m u n a l e S t e u e
r z u e r h e b e
n b r a u ch t e. Der Ertrag der Bodenpacht und die
fortschreitende
Wert-Steigerung des Bodens würde die Gemeinde Verwaltung in
die Lage setzen, alle
öffentlichen Ausgaben zu bestreiten und in freigebigster Weise
für die Gesundheit und
Bequemlichkeit ihrer Bürger zu sorgen. Sie könnte
allerhand Wohlfahrts-Einrichtungen und
Verschönerungen in der Stadt einführen, ohne zuvor an
den Steuer-Säckel zu appellieren
und das städtische Budget mit ungeheuerlichen Forderungen zu
belasten. Denken wir uns eine solche neue Stadt auf industrieller Grundlage
entstehend, so würde
sie sich etwa in folgender Weise entwickeln. An einem Platze, der durch
gute
Eisenbahn-Verbindungen und durch die Nähe eines schiffbaren
Flusses die Anlage
begünstigt, entstehen einige Fabriken (Zone VI) mit den
zugehörigen Arbeiter-Wohnungen
(Zone V). Die Unternehmer herbei zu ziehen kann nicht schwer halten,
wenn man ihnen so
günstige Bedingungen zu bieten vermag, wie es hier der Fall
ist: direkte Wasserstraße,
Schienen-Geleise, billige Boden-Pacht und billige Wohnungen. Die
billige Boden-Pacht, die
auch alle anderen Lebens-Bedürfnisse verbilligt, gestattet
auch eine billige Produktion. Ein zu schaffendes Stück Kanal gibt den Werkstätten
Verbindung mit dem Flusse, ein
Schienen-Geleise die Verbindung mit dem Bahnhofe. Wo Fabriken und
Arbeiter in größerer
Zahl sich vereinigen, machen sich auch bald einige
Geschäfts-Läden und Warenhäuser
nötig. Diese sowie die Beamten-Wohnungen u. dergl. siedeln
sich angrenzend in Zone IV an.
Will sich der Fabrikant ein elegantes Wohnhaus oder eine vornehme Villa
errichten, so ist
er nach Zone III oder II zu erweisen, wo durch parkähnliche
Anlagen bei Zeiten eine
schöne Umgebung zu schaffen ist. -
Siehe Fig. 3. -
Fig. 3: Beginn der
Bebauung
Neue Fabriken, Werkstätten, Bauhöfe usw. gliedern
sich an, immer in derselben Zone
fortschreitend, d. h. in der Flucht des allmälig weiter zu
führenden Kanals. Ihnen folgt
in gleichem Schrittmaß die Vermehrung der Arbeiter-Wohnungen,
Wohn- und
Geschäfts-Häuser usf. Auch die nötigen
Schulen und sonstige öffentliche Anstalten sind
in der entsprechenden Zone zu errichten. (Fig. 4, 5 und 6 zeigen die
Stadt in
verschiedenen Entwickelungs-Stadien. Die an den
äußeren Zonen beginnende Bebauung dehnt
sich allmälig in der Richtung des Umfanges und nach innen aus.)
Fig.
4: Erstes Stadium der Bebauung
Fig. 5: Zweites
Stadium
Fig. 6. Drittes
Stadium
Die ganze Bebauung schreitet organisch, man möchte sagen, nach
dem Gesetz der
Krystallisation, in einer Richtung fort. Erst wenn die Stadt eine
gewisse Größe erreicht
hat, wird sie daran denken können, monumentale
öffentliche Gebäude, (Theater, Museen, Rathaus usw.
zu errichten, die nun in Zone I, dem
ideellen Mittelpunkte des ganzen Bebauungs-Planes, ihren Platz finden.
Gleichzeitig
entstehen außerhalb der Fabrik-Zone Gärtnereien,
Molkereien und ähnliche Anstalten, die
die Stadt mit Nahrungs-Mitteln versorgen; weiterhin auch
Mietgärten für die städtische
Bevölkerung, die mit Sommerhäuschen und kleinen
Villen besetzt sind. Dieser äußersten Zone schließen sich
ländliche Betriebe an, zwischen denen in einigem Abstande von
der Stadt wieder Villen-Kolonien sich
ansiedeln können. Auf solche Weise bildet das Weichbild der Stadt einen
allmäligen Übergang zu ländlichen
Zuständen; es löst sich allmälig auf in
Gärten, Felder und Forsten, derart, daß eine
Grenze zwischen Stadt und Land kaum wahrnehmbar ist und die Stadt
gleichsam als eine
dichtigere Krystallisation des ländlichen Lebens erscheint. Die vorliegenden Pläne erheben nun keineswegs Anspruch auf
Mustergültigkeit; sie sind
auf's Geratewohl entworfen und wollen nur den Grundgedanken
veranschaulichen. Im konkreten
Falle würde Manches noch besser zu ordnen sein. Vor allem
würden die Spezial-Techniker
für Eisenbahnen, Kanal-Bau, Post, Telegraphie,
Straßenbahnen, Wasserleitung,
Beleuchtung, Schleusenbau usw. ihre besonderen Ideale verwirklichen und
durch günstige
Wahl der Centralen, vorteilhafte Verzweigung ihrer Anlagen u. dergl. m.
ihren Systemen
eine Abrundung und Vollkommenheit geben können, wie sie in
vorhandenen Städten aus
allerlei Beschränkungen nicht erreichbar war. Hier, wo es sich
um eine Planung auf
jungfräulichem Boden handelt, kann den verschiedenartigsten
Wünschen Rechnung getragen
werden; denn selbst die Straßenführung ist
nötigenfalls den besonderen Erfordernissen
einer vorteilhaften Wasser-Versorgung, Beschleusung usw. anzupassen. In e i n e m Punkte beispielsweise könnte
die neue Stadt ein Ideal
verwirklichen, das den alten Großstädten bisher
unerreichbar schien. Zu den unschönsten
und störendsten Umständen im
großstädtischen Verkehr gehört das
fortwährende
Aufreißen und Pflastern der Straßen, das bald im
Interesse der Gas- oder Wasserleitung,
bald zur Legung neuer Kabel, zur Reparatur der Schleusen usw.
erforderlich ist. Es bietet
nicht nur einen häßlichen Anblick und eine garstige
Belästigung des Verkehrs, sondern
verschlingt auch ungeheure Summen für diese endlosem
Erdarbeiten, Pflasterungen etc. Eine
neu entstehende Stadt könnte diesem Mißstand von
vornherein ausweichen, indem sie -
wenigstens unter allen Hauptstraßen entlang - unterirdische
Tunnel führte, die zur
Aufnahme sämtlicher Rohrleitungen, Kabel, Schleusen usw.
dienten und damit zugleich den
Vorteil leichter Zugänglichkeit für alle diese
Leitungen böten. Die erhöhten
Anlage-Kosten würden durch die späteren Ersparnisse
im Betrieb und die sonstigen
Vorteile reichlich ausgewogen werden. Auch ein schmalspuriges
Schienen-Geleis könnte
dieser unterirdische Tunnel aufnehmen und damit die unterirdische
Abfuhr von Kehricht
Schnee und dergl. ermöglichen. Selbst eine Untergrundbahn
wäre hier am Platze. Figur 7 zeigt den Querschnitt einer solchen untertunnelten
Straße. Der Tunnel vereinigt
hier: Wasserleitungs-Rohre, Gasleitungen, Rohrpost, elektrische Kabel
für die
Beleuchtung, für telegraphischen, telephonischen und
Straßenbahn-Betrieb, Schleuse und
Schienen-Geleis. Für ein kräftige Ventilation dieser
Tunnel müßte allerdings Sorge
getragen sein, um die Ansammlung schädlicher Dünste
und Gase zu verhüten.
Fig. 7: Tunnel
unter den Straßen
Noch vorteilhafter wäre es vielleicht, in verkehrsreichen
Straßen - besonders im
Geschäfts Viertel - den gesamten Fahrdamm nebst den Trottoirs
auf einen von Säulen
getragenen eisernen Unterbau zu legen und auf solche Weise eine obere
und untere
Verkehrs-Straße zu schaffen. Die letztere würde
dabei hauptsächlich dem Güter-Verkehr,
die obere dem Personen-Verkehr dienen. Siehe Fig. 8. -
Das Licht kann
die untere Straße
durch ein Trottoir von Glasplatten oder auch durch elektrische
Beleuchtung erhalten.
Fig. 8:
Straße mit oberer und unterer Fahrbahn
Wenn es nötig ist, die Vorzüge des neuen
Städte-Bildes noch weiter auszumalen, so sei
nochmals an folgendes erinnert. Die Vereinigung der
Industrie-Werkstätten und der
Handelshäuser in besonderen Vierteln erleichtert diesen den
Verkehr unter einander auf's
Beste. Die Nachbarschaft der Bahnhöfe ermöglicht eine
Schienen-Verbindung nicht nur für
die Fabriken, sondern auch für alle
größeren kaufmännischen Geschäfte.
Hauptpost und
Markthallen, die selbstverständlich in die
Geschäfts-Viertel zu legen sind, haben von
ihren Höfen aus ebenso direkte Schienen-Verbindung, wie alle
Speicher, Lager-Höfe,
großen Kaufhäuser usf. Der Wagen- und Güter-Verkehr in den Straßen der
Stadt wird dadurch erheblich vermindert.
Die vornehmeren Stadt-Viertel der inneren Zonen bleiben von dem
geräuschvollen Verkehr
völlig bewahrt. Der Mittelplatz, gleichsam das "klassische
Viertel" oder das
"Allerheiligste" der Stadt, ist allem lärmenden Getriebe
entrückt. In
vornehmer Ruhe erheben sich hier, von hübschen Park-Anlagen
wie von einem "heiligen
Hain" umgeben, in mächtigen herrlichen Formen würdige
Bauwerke und Denkmäler.
Gleichwohl münden alle radialen Hauptstraßen der
Stadt auf diesem Platze, machen ihn von
überallher leicht erreichbar und lassen den Blick aus allen
Stadtgegenden auf diesem
idealen Mittelpunkte ruhen. Der erschöpfte Geschäftsmann, Beamte und Arbeiter
kann über all dem lärmenden
Tages-Getriebe leicht entfliehen: nach dem friedlichen Inneren der
Stadt oder nach der
freien Luft der Felder und Wälder hinaus. Aber auch inmitten
der dichteren Straßenzüge
ist hinlänglich für freie Plätze und
grüne Oasen gesorgt. Die Bebauung ist im Ganzen
eine weitläufige und viel weniger dichte als die unserer
heutigen Großstädte, da keine
selbstsüchtige Spekulation, kein Bodenwucher die Scholle
verteuert, sondern ein billiger
Pachtzins an die Gemeinde die reichliche Erwerbung von Bau und
Gartenland für Jedermann
ermöglicht. In den inneren drei Zonen wäre die "offene Bauweise" (das
Einzelstehen der
Häuser mit zwischenliegenden Gartenflächen) zur
Bedingung zu machen. Das Ideal ist eine
Gartenstadt. Abweichend von der ununterbrochenen Bebauung der Zonen, wie sie in den
farbigen Planen
dargestellt ist, zeigt Fig. 9 (unter sonstiger Einhaltung des
Zonen-Prinzips) eine
Ausbauung in einzelnen Flügeln an den Haupt-Radialen entlang,
während
dazwischen-liegende breite Park-Anlagen tief in die Stadt einschneiden
und gleichsam deren
Lungenspitzen bilden. Vielleicht verdient diese Bebauungs-Art den
Vorzug vor allen andern.
Solchergestalt würde sich die Großstadt gleichsam in
eine Reihe von Kleinstädten
auflösen, die aber durch ihre centrale Lage ein organisches
Ganzes bilden.
Fig. 9:
Flügelförmige Bebauung mit einspringenden Waldungen
oder Park und
Garten Plätzen
Im Einzelnen ließen sich bei dieser Bebauung auf einem Boden,
der nicht durch seine
Kostspieligkeit zur Knauserei zwingt, der nicht durch vorhandene alte
Straßenzüge und
durch die beliebigen Grenzen einengender Privat-Grundstücke
allerlei Rücksichtsnahmen auferlegte sondern die freie
Entfaltung vernünftiger
Ansprüche zuläßt, noch allerlei
vorteilhafte Einrichtungen treffen. So würde sich
empfehlen, innerhalb der Häuser-Vierecke (oder Sechsecke)
gemeinsame Spiel- oder
Gartenplätze vorzusehen und so vor allem die
Tummelplätze der Jugend von der Straße nach
geschützteren Orten zu verlegen. Ebenso
würde es vorteilhaft sein, die bebauten Blocks auf einer Seite
für eine Einfahrt offen
zu lassen, um nicht nur bei Feuers-Gefahr sondern auch für
gewisse wissenschaftliche
Zwecke (Abfuhr von Müll und dergl.) die Grundstücke
von ihrer Rückseite zugänglich zu
machen. Fig. 10 und 11 zeigen Beispiele einer solchen Bebauung.
Fig. 10
Fig. 11
Auch wäre zu erwägen, ob man nicht, wenigstens in den
vornehmeren Stadtteilen, eine
Unterscheidung zwischen Hauptstraße und Wirtschafts-Weg
machen könnte, derart, daß eine
engere Straße für den wirtschaftlichen Fahr-Verkehr
an den Rückfronten der Grundstücke
entlang zu führen wäre, wie in Figur 12 dargestellt
ist.
Fig. 12
Fig. 13 zeigt das Gesamt-Bild einer solchen Stadt mit Umgebung. Es ist
dabei angenommen,
daß die Stadt an eine zu beiden Seiten des Flusses gelegene
Altstadt A-A sich anbaut. -
B-B sind die Bahnhöfe, H-H die Häfen des Kanals,
S-S-S die Stationen der Ringbahn.
Fig. 13:
Gesamt-Bild der Stadt mit Umgebung
Bedenken könnte man noch hegen gegen den unmittelbaren
Anschluß der Fabrik-Zone an die
Stadt. Der Rauch der Fabriken würde bei ungünstiger
Wind-Richtung immerhin in die
Innenstadt dringen, und man könnte das Übel nur
dadurch vermindern, daß man bei Anlage
der Stadt die vorherrschende Windrichtung in Betracht zöge. Im
mittleren Deutschland mit
seinem vorherrschenden Westwind würde man also das
Fabrik-Viertel immer nach dem Osten
verlegen. Der Vorteil ginge allerdings verloren, sobald die Stadt sich
zum vollen Ringe
schlösse. Eine bessere Lösung des Problems würde darin zu
finden sein, daß man die Fabrik-Zone
noch weiter hinausrückte und sie durch eine breite Zone von
Gärten, Äckern und Wäldern
von der Innenstadt trennte. Das Fabrik-Viertel würde sich dann
günstig in eine Reihe von
Vorstädten auflösen, die gleichwohl durch ihre
centrale Lage zur Innenstadt die gleichen
Vorteile genössen, wie eine unmittelbar sich
anschließende Fabrik-Zone. -
Siehe Fig. 14.
Fig. 14 Stadt mit
abgesonderten Fabrik-Vorstädten
Wie schon gesagt, ist die Verwirklichung des Planes gedacht auf der
Grundlage der
Boden-Gemeinschaft. Der Bauende bepachtet von der Gemeinde ein
Stück Land auf 60, 90, 120
Jahre. Nach Ablauf dieser Zeit kann die Gemeinde die Rückgabe
des Bodens fordern oder
auch den Vertrag unter Berücksichtigung der inzwischen
veränderten Umstände erneuern.*)
*) Die englischen
Verhältnisse, bei denen nach 99 Jahren der Boden mit allem was
darauf steht, unentgeltlich an die Krone bezw. die Landlords
zurückfällt, sollen hierbei n i ch
t als Muster dienen.
Der Pachtpreis wird für die verschiedenen
Zonen selbstverständlich ein verschiedener sein. Um die
Produktions-Verhältnisse billig
zu gestalten, muß der Boden für die Fabriken und
Arbeiter-Wohnungen wohlfeil abgegeben
werden. In den heutigen Großstädten zahlt man
für das an der äußeren Peripherie
gelegene Areal zu Fabrikzwecken pro Quadrat-Meter durchschnittlich,
10-25 M. Kaufpreis.
Das bedeutet eine jährliche Zins-Belastung von 40 Pfg. bis 1
Mark für den Quadratmeter.
Die neue Gemeinde, die eine große unbebaute Fläche
(vielleicht geringwertiges Ackerland)
wohlfeil erwirbt, würde in der Lage sein, den Quadrat-Meter
Land für Fabrikzwecke u.
dergl. gegen einen Pachtpreis von 10-20 Pfg. jährlich
abzulassen. In den inneren Zonen würde der Pachtpreis pro m auf 50 Pfg. bis 1 M. und
höher steigen können. Wer in
dem Mittelpunkte einer so schönen Stadt wohnen will,
würde diese Abgabe nicht zu hoch
finden. Heute zahlt man in Großstädten für
Villen-Terrain (nicht im Inneren der Stadt)
mindestens 40-60 M. pro
m, also
einen Zins von M. 1,50-2,50 jährlich. Die Gemeinde-Verwaltung der Zukunfts-Stadt würde aus diesen
Pacht-Erträgen
wahrscheinlich alle öffentlichen Ausgaben bestreiten
können und kaum nötig haben, die
Einwohner noch mit sonstigen Kommunal-Steuern zu belästigen. Es ist selbstverständlich, daß man dieses
Bebauungs-System auch dem weiteren Ausbau
jeder bereits b e st e h e n d e n Stadt zu Grunde
legen kann - sofern sich
dieselbe noch nicht allzu sehr zu einem unförmlichen Ungeheuer
ausgewachsen hat. In jeder
entwicklungs-fähigen Klein- und Mittel-Stadt sollte
man dieses Bebauungs-System in
Anwendung bringen, um der Stadt die Zukunft zu sichern.
Man würde nur einen außerhalb der bebauten
Stadtteile günstig gelegenen idealem
Mittelpunkt zu wählen haben, um, an die bestehenden
Straßenzüge anschließend, die
Bebauung allmählig in das Zonen-System über zu
führen. Auf dem farbigen Plane Entwurf
II ist eine solche Entwicklung dargestellt, ebenso in Figur 13 der
Text-Abbildungen. Wie die Fernhaltung der Boden-Spekulation und des Hypotheken-Wuchers
auf die Gesundung der
gesamten Wirtschafts-Verhältnisse wirkt, dafür gib
England ein Zeugnis ab. In England
gibt es keinen verkäuflichen Grund und Boden und k e
i n e H y o t h e k e
n. Alles Land gehört der Krone und ist den
Land-Lords in Lehen gegeben. Die
Land-Lords genießen den Renten-Ertrag des Bodens, haben aber
nicht das Recht, diesen
Boden zu verkaufen oder mit Schulden zu belasten. Eine Folge davon ist,
daß in der
größten und volkreichsten Stadt der Welt,
i n L o n d o n, d i e
M i e t e n d r e i b i s v i e
r m a l b i l l i g e
r sind a l s i n a l l e
n G r o ß st ä d t e n d e
s F e st l a n d e s. Man mietet dort eine Villa
mit Garten und Park für den
nämlichen Preis, den man in Berlin für ein armseliges
enges Stockwerk zahlt. In diesen
Verhältnissen wurzelt ein Stück Geheimniß
der wirtschaftlichen Kraft Englands.*)
*) Näheres siehe:
"Zwei Grund-Uebel: Boden-Wucher und Börse."
Eine Folge der teuren Mieten ist aber die
fürchterliche Zusammendrängung der
Bevölkerung auf engem Raume, die Engigkeit der
Wohnungs-Verhältnisse bei uns. Wie aber die Dichtheit der Bevölkerung in unmittelbarem
Verhältnis zur
Sterblichkeits-Ziffer und auch zu gewissen sittlichen
Zuständen steht, wird durch
folgende Zahlen beleuchtet:
Mag man nun die Zahl der außerehelichen Geburten für
einen Maßstab der
Sittlichkeit erachten oder nicht; jedenfalls steht sie in einem
Verhältniß zu der
Wohlhabenheit oder Kümmerlichkeit der Lebensführung
eines Volkes. Manches Kind muß bei
uns nur deshalb außerehelich geboren werden, weil seine
Erzeuger nicht die Mittel
erschwingen können, um einen selbständigen Haushalt
zu begründen. Auch erhöht die Not
die Versuchung. -
Und hieran sind wesentlich die hohen Mietpreise und
die hierdurch
hervorgerufene Verteuerung der gesammten Lebensführung mit
schuld. Die hohen Mietpreise
aber sind zurück zuführen auf Boden-Verschuldung und
Boden-Wucher. Diese aber wird man
nicht hindern, solange unser falsches Boden-Recht die heimatliche
Scholle zum Spielball
des Leichtsinns und der Gewinnsucht macht. In einem Vaterlande, dessen
Grund und Boden mit
75 000 Millionen Mark Grundschulden belastet ist und der deshalb einen
jährlichen
Zins-Tribut von 3 Milliarden aufbringen muß, kann auch das
sparsamste und fleißigste
Volk auf die Dauer nicht gedeihen. -
Ich bin ungerecht gewesen, wenn ich behauptete, es
beschäftige sich Niemand ernstlich mit der Verbesserung des
Größten und Wichtigsten,
was uns umgibt. Ein noch Größeres als die Stadt gibt
es, um dessen Verbesserung sich
Viele, nur Allzuviele bemühen: das ist d e
r S t a a t. Der Staat ist
in seinem Wesen zum guten Teil ein abstrakter und theoretischer
Begriff, und mit
Abstraktionen läßt sich wunderleicht hantieren. So
lange es sich nur um theoretische
Luft-Gebilde handelt, ist unsere Zeit außerordentlich
schöpferisch, aber an das greifbar
Wirkliche wagt sich der schulmäßig verbildete
Verstand nur schüchtern heran. Darum
nehmen die Vorschläge, wie man den Staat zu verbessern
hätte, kein Ende; leider nimmt
sich Niemand die Mühe, diese Phantasie-Staaten auf ihre
Verwirklichungs-Fähigkeit zu
prüfen. Und fast alle suchen das Übel an der
Oberfläche: Des Übels Wurzel steckt - wie
alle Wurzeln - i m B o d e n. Stecken wir uns das Ziel darum enger! Beginnen wir damit, eine Stadt
vernünftig und
planvoll zu gestalten, vielleicht, daß wir, von einem solchen
festen Punkte ausgehend,
allmälig auch zu einem vernünftig geordneten Staate
gelangen.
NACHWORT
zur zweiten Auflage
Leipzig, Mitte März 1912
Es sind 16 Jahre vergangen, seit ich diese Schrift zum ersten Male in
die
Welt sandte. Es hat sich inzwischen Niemand gefunden, der ernstlich an
der Verwirklichung
der hier erörterten Ziele Anteil genommen hatte. Wohl ist
heute das Wort
"Gartenstadt" in aller Leute Mund, allein, was man heute so nennt, hat
mit den
Grundgedanken dieser Darlegungen wenig zu tun. Als
Gartenstädte bezeichnet man heute
Landhaus-Siedelungen, die - nicht erheblich verschieden von sonstigen
Villen-Vierteln -
eine etwas weitläufigere Bauweise einhalten und zu jedem Haus
ein Stück Gartenland
geben. Von dem Gedanken der Boden-Gemeinschaft und Unverschuldbarkeit
des Bodens weiß man
dabei gewöhnlich nichts, noch weniger von einem organischen
Aufbau des Ganzen in einer
Zonen-Gliederung. So laufen solche Unternehmungen in vielen
Fällen kaum auf etwas Anderes
hinaus, als auf Boden- und Bauspekulation. Ich selber habe inzwischen meine Auffassung hinsichtlich des Zieles in
etwas verändert.
Zur Zeit der ersten Entwürfe dieser Plane galt die
Großstadt noch als das ersehnenswerte
Ziel für alle soziale Entwicklung; die
Vergrößerung und der luxuriöse Ausbau der
Städte galt als eins der vornehmsten Kulturziele. Inzwischen
haben die Anschauungen
darüber - wenigstens in dem weitblickenden Teile der
gebildeten Klassen - eine Wandlung
erfahren. Wir haben erkennen müssen, daß dem Volke
in seinen Großstädten und
Industrie-Zentren schwere Gefahren drohen; sie sind kein Boden
für ein dauerndes Gedeihen
der Geschlechter; die Bewohner der Städte sind einem raschen
Aussterben preisgegeben. Wie
statistische Untersuchungen erwiesen haben, besteht die
Stadt-Bevölkerung selten über
drei Generationen hinaus. Fände nicht ein beständiger
Zuzug vom Lande statt, so wären
alle Großstädte längst ausgestorben. Man
forsche nach, wo die Eltern und Großeltern
der heutigen Stadtbewohner gelebt haben, und die Spur wird fast immer
auf das Land zurück
führen. Nach einer Untersuchung des Dr. Ammon in Karlsruhe hat sich ergeben ,
daß von hundert
Menschen, die vor etwa hundert Jahren in einer Großstadt
lebten, in der nächsten
Generation nur noch etwa 57 Nachkommen vorhanden waren, in der zweiten
Generation 31, in
der dritten 17, und in der vierten verschwinden sie ganz. Ausnahmen
bestehen nur da, wo
das Geschlecht inzwischen durch ländliches Blut aufgefrischt
wurde. Die zunehmende
Unfruchtbarkeit der städtischen Geschlechter ist
überall auffällig. In Berlin sind 27
Prozent der Ehen kinderlos. Und dabei darf nicht vergessen werden,
daß die modernen
Großstädte erst in den letzten Jahrzehnten ihre
riesige Ausdehnung angenommen haben und
ihren verzehrenden und aufreibenden Charakter erst recht ausbildeten.
Was man vor hundert
Jahren eine große Stadt nannte, wäre heute kaum eine
Mittelstadt. Die Städte sind also völker-verschlingende Ungeheuer,
und wir haben keine Ursache, sie
ohne Not zu vermehren. Unser Ziel muß sich im Hinblick auf
das dauernde Gedeihen der
Nation in eine andere Richtung wenden. Wenn bisher das ganze Volk
geradezu von einem
Großstadt-Rappel besessen war und Alle - bis zum letzten
Tagelöhner-Kinder im Dorfe -
nur das eine Sehnen kannten, sobald als möglich nach der Stadt
zu kommen, so müssen wir
heute darauf bedacht sein, diesen irregeleiteten Trieb sobald als
möglich umzukehren. Aus dem Großstadt-Fieber in Verbindung mit dem einseitig
ausgearteten
Handels-Industrialismus droht uns der Untergang der Nation; und wir
lernen heute erst
verstehen, warum die alten Kulturvölker ein so
plötzliches Ende gefunden haben. Sie
starben an "Volks-Erschöpfung", nachdem der frisch sprudelnde
Quell des
ländlichen Lebens versiegte, nachdem der Bauernstand
verkümmerte, die proletarisierten
Massen sich in den Hauptstädten anhäuften und dort
ihren Untergang fanden. Eines Tages
blieb der Zuzug vom Lande aus und Stadt und Land verödeten.*)
*) Vergl. die Zeitschrift
"Hammer" (Leipzig) Nr. 83 "Volks-Erschöpfung".
Wir sind diesem Zustande schon bedenklich nahe
gekommen. Während vor 40 Jahren das Deutsche Reich noch zwei
Drittel Land-Bevölkerung
und ein Drittel Stadtvolk zählte, hat sich heute das
Verhältnis nahezu umgekehrt. Das
eine Drittel Landvolk von heute ist aber auf die Dauer nicht im Stande,
den
Geburten-Ausfall der Großstädte zu decken. Die
Nation muß also in Zukunft an Zahl
zurück gehen und das nachdrängende
Ausländertum, besonders vom Osten her, wird bald die
deutschen Wohnstätten besetzen. Dann wird Deutschland aber
aufhören, ein d e u t s
ch e s Land zu sein. Eine Gesundung der Verhältnisse kann nur gefunden werden, wenn
es gelingt, den
wahnwitzigen "Zug nach der Stadt" in einen vernünftigen "Zug
nach dem
Lande" umzuwandeln. Der Anfang dazu ist gemacht. Die Verderblichkeit
des Stadtlebens
ist inzwischen Vielen zum Bewußtsein gekommen, und so regt
sich in ihnen das Verlangen,
in ländlichen Verhältnissen ein neues
vernunftgemäßes Leben zu beginnen. So ist die
"Erneuerungs-Gemeinde" in's Leben getreten und hat eine
"Siedelungs-Gesellschaft Heimland " begründet, die nun jedem
Stadtmüden die
Gelegenheit bieten will, sich auf dem Lande nieder zu lassen. Die
Gesellschaft besitzt
hier bereits ein Gut in der wald- und seen-reichen Ost-Prignitz, wo die
ersten
Niederlassungen vorbereitet werden. Es soll dort in den
nächsten Jahren eine
Gartenbau-Kolonie entstehen, die in noch höherem
Maße
als die "Gartenstadt" die Bedingungen für ein gesundheitliches
und
vernunftgemäßes Leben bieten wird.*)
*) Prospekte und
Niederlassungs-Bedingungen sind vom Hammer-Verlage, Leipzig,
Königstr. 27 zu beziehen.
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