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Autor: Fritsch, Karl Emil Otto
In: Deutsche Bauzeitung - 10 (1876); S. 383 - 386
 
Wie kann die Baukunst wieder volksthümlich gemacht werden?
 
Vorgetragen auf der 2. General-Versammlung des Verbandes deutscher Architekten und Ingenieur-Vereine *)
von K. E. O. Fritsch

Hochgeehrte Versammlung! Wenn ich vor Sie hintrete mit der Frage: "W i e  k a n n  d i e  B a u k u n s t  w i e d e r  v o I k s t h ü m l i c h  g e m a c h t  w e r d e n?" so will ich durch diese Fragestellung nicht etwa den Glauben aussprechen, als liesse sich jenes Ziel mit zur Hand liegenden Mitteln willkürlich erzwingen. Wenn die Baukunst wieder volksthümlich wird, so kann dies nur geschehen in einer langsamen, allmälichen Entwickelung, unter dem stetigen Einfluss natürlicher Kräfte und durch die stille, gleichsam unbewusste Arbeit vieler Geschlechter. Anmaassung und Thorheit wäre es, diesem Vorgange einen bestimmten Weg anweisen zu wollen. Aber so klein der Einfluss auch sein mag, den die Gegenwart auf die Lösung solcher Zukunftsfragen ausüben kann, so steht sie ihnen doch keineswegs völlig machtlos gegenüber und es wäre nicht minder thöricht, die Hände zaghaft in den Schooss zu legen, weil das Ziel ein so entferntes und die Mittel zur Erreichung desselben so ungewisse sind. Wenn man ein Bedürfniss vom Range einer Lebensbedingung erkannt zu haben glaubt, wenn man von Sehnsucht erfüllt ist nach der Herbeiführung eines Zustandes, der die Erlösung von den Uebeln der Gegenwart zu verheissen scheint, so soll man die Verwirklichung dieses Ideals nur immerhin klar und fest in's Auge fassen, ob die eigene Kraft auch unzureichend und ein naher Erfolg aussichtslos ist. Es gilt vor Allem nur, dass die Bedeutung einer solchen Aufgabe  l e b e n d i g  werde in den Köpfen und Herzen einer grösseren Genossenschaft. Ist erst dies gelungen, so bildet ihre schliessliche Lösung nichts weiter als eine  F r a g e  d e r  Z e i t.  Mag ein Jeder sie versuchen mit den Mitteln und auf den Wegen, die er für die richtigen hält. Auch wenn er irrt, wird seine Arbeit nicht verloren sein für die Nachfolger, welche über ihn hinweg mit frischer Kraft an seine Stelle treten, bis endlich im Zusammenwirken Aller der rechte Weg gefunden ist und das ersehnte Ziel erreicht wird. -

In diesem Sinne wage ich es, die in Rede stehende Frage hier anzuregen und um Ihre Aufmerksamkeit für dieselbe zu werben. Sie wird freilich nicht zum ersten Male aufgeworfen und ich bin schwerlich im Stande, Gedanken vor Ihnen zu entwickeln, die nicht vielleicht schon besser an anderer Stelle zum Ausdrucke gelangt wären. -

Ich wage es trotz alledem in der Ueberzeugung, dass ihnen bisher gerade in den Kreisen unserer Fachgenossen noch nicht die genügende Würdigung zu Theil geworden ist. -

Ich wage es in der Hoffnung, dass sie selbst in mangelhafter und flüchtiger Form, an diesem Ort und bei dieser Gelegenheit vorgetragen, eines gewissen Eindruckes auf diejenigen nicht verfehlen werden, die vor allen berufen sind, an dem Streben und Ringen nach jenem idealen Preise wirksamen Antheil zu nehmen. Denn ich weiss keine Forderung, die wichtiger wäre für die gedeihliche Fortentwickelung unserer Kunst - keine, von deren Erfüllung in solchem Grade ihre Lebensfähigkeit abhängt, als die Forderung: dass die Baukunst, endlich aus ihrer Isolirung erlöst, wieder ein Theil des Volksthumes werde und in diesem, ihrem natürlichen Boden den Quell ihres Wachsthumes und Fortschrittes wiederfinde. -

*) Der vom Vorstande des Verbandes zu erstattende amtliche Bericht über die Verhandlungen der Münchener General-Versammlung, der mit dieser No. der Deutschen Bauzeitung beginnen sollte, ist leider auf Hindernisse gestossen, die sein Erscheinen verzögere. Um den durch die Versammlung gelieferten Stoff trotzdem möglichst schnell bewältigen zu können, gestatten wir uns den Bericht vorzugreifen und den nachstehend in seinem vollen Wortlaute mitgetheilten Vortrag ausserhalb jenes Rahmens zu veröffentlichen D. R.


Es braucht wohl kaum des Näheren hervorgehoben zu werden, dass man in strengerer Auffassung die Baukunst nicht ausser Zusammenhang mit den anderen Künsten sich denken darf. Das Ideal, nach dem wir zu streben haben, ist demnach kein anderes, als dass die Kunst überhaupt wiederum jene Stellung einnehme, die sie zu den Zeiten ihrer höchsten Blüthe, im Alterthume wie im Mittelalter und im Cinquecento, bei den an der Spitze der Kultur stehenden Nationen behauptet hat - in den Zeiten, da das gesammte Leben des Volkes von der Kunst derart durchtränkt war, dass man mit ihren Gebilden nicht blos die Erzeugnisse des Luxus schmückte, sondern jedem Werke der Menschenhand die Weihe einer schönen Form zu geben trachtete. -

Eine Beschränkung auf das Gebiet der Baukunst wird unter den hier vorliegenden Verhältnissen jedoch nicht zu vermeiden sein. Sie wird sich auch wohl entschuldigen lassen durch die leitende und selbstständige Stellung, welche die Baukunst gegenüber den anderen bildenden Künsten einnimmt. Wie sie unter ihnen die grösste Einbusse an Volksthümlichkeit erlitten hat, so unterliegt es wohl keinem Zweifel, dass ein Sieg derselben über die Gleichgültigkeit und Verständnisslosigkeit, die ihr zur Zeit noch vielfach entgegenstehen, zugleich den Sieg der Kunst in sich schliesst. -

Lassen Sie uns zunächst einen kurzen Rückblick werfen auf den kulturgeschichtlichen Vorgang, wie die Baukunst ihre Volksthümlichkeit verloren und damit zugleich einen allmälichen Niedergang erfahren hat. Dieser Vorgang ist kaum aus sich allein zu erklären, sondern steht in enger Beziehung zu der tiefgreifenden Umwälzung des gesammten Volkslebens, welche an der Schwelle unseres modernen Zeitalters erfolgte. Mit der Auflösung der zahllosen mittelalterlichen Gemeinwesen und der Neubildung grösserer Staatskörper unter dem Einflusse der emporsteigenden Fürstenmacht ging im geistigen Leben der europäischen Völker bekanntlich Hand in Hand das Hervortreten des  I n d i v i d u a l i s m u s,  der losgelöst von den Banden der bisherigen Ueberlieferung und anknüpfend an die Vorbilder der antiken Welt, in dem freien, kühnen Schaffen einzelner genialer Köpfe einer neuen selbstständigen Entwickelung die Bahn wies. Aber so glänzend auch diese Entwickelung sich gestaltete und wie herrliche künstlerische Schöpfungen ihr zunächst gelangen, so vollzog sich mit ihr doch gerade auf architektonischem Gebiete eine beklagenswerthe Spaltung der schöpferisch thätigen Kräfte und der ihnen obliegenden Aufgaben. Eine Kluft zwischen Handwerk und Kunst, welche die Welt in diesem Sinne noch nicht gekannt hatte, that sich auf. Während das erstere die fremdartigen, nur zu bald dem Einflusse der Mode unterworfenen Grundsätze künstlerischer Gestaltung nur ungenügend zu bewältigen vermochte, sonderte sich die dem Beispiele der tonangebenden Meister folgende Künstlerschaft als eine eigene Kaste ab, welche schnell die engere Fühlung mit dem Volke verlor. Die Zerrüttung, welche die verheerenden Religionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts in dem Wohlstande der meisten europäischen Völker erzeugten, und jener Untergang so vieler alter Gemeinwesen thaten ein Uebriges. So wurde nach verhätnissmässig kurzer Zeit die Kunst als eine Luxuspflanze fast allein noch an den Höfen der Fürsten und in den Bauunternehmungen des Klerus pflegt. Ihres alten Mutterbodens beraubt - zum Theil ein Spielball der Willkür, zum Theil eingezwängt in die verknöcherten Regeln eines akademischen Schemas, obwohl in ihrer praktischen Ausübung dennoch eines bestimmten  S t i l b e w u s s t s e i n s  niemals entbehrend - verfiel sie mehr und mehr in Entartung. Das für die Bedürfnisse des Volkes sorgende Handwerk dagegen sank nach und nach bis zu einer fast barbarischen Rohheit und Nüchternheit herab. Das war der Zustand der Baukunst und annähernd auch derjenige der übrigen bildenden Künste, als vor etwa 100 Jahren jene neue Renaissance begann, in der wir uns noch heute befinden oder doch bis vor kurzem befunden haben. Indem man der entarteten Kunst den Spiegel der im engsten Zusammenhange mit der Natur entwickelten hellenischen Kunst vorhielt, gab man ihr aufs Neue ein Gesetz und eine Tradition, an denen sie sich aufzurichten vermochte. -

Unvergänglich bleibt der Ruhm der Männer, denen diese That gelungen, denen es zu danken ist, dass wiederum ein neues Kunstleben sich entwickeln konnte. Und doch hiesse es blind sein, wenn man darüber die Schwäche und Kränklichkeit dieses Kunstlebens verkennen wollte, das seinen Ursprung in der Studirstube der Gelehrten zu deutlich an der Stirn trägt. Es war ein für jene Zeit sehr entschuldbarer, aber verhängnissvoller Irrthum, dass man vermeinte, die Reform der Kunst auf dem Wege der hohen Theorie, durch eine einseitige, belehrende Einwirkung auf Künstler und Publikum vollbringen zu können, während man auf die thatsächliche Stellung der Kunst zum Leben des Volkes einen viel zu geringen Werth legte. Ja, die idealistische Auffassung des privilegirten Künstlerthums von Gottes Gnaden, das sich unter den zumeist mit amtlichen Würden und akademischen Ehren bekleideten Vertretern der Baukunst hier und da in philosophischer Selbstbetrachtung entwickelte, musste nothwendig dazu beitragen, die Kluft zwischen Künstler und Volk noch mehr zu erweitern. Die Baukunst wird ja in diesen Kreisen noch heute wie eine Art himmlischer Offenbarung angesehen. Man hält es für genügend, wenn das profane Volk den von der Hierarchie baukünstlerischen Kultus vollzogenen Opfern in stummer Ehrfurcht aus der Ferne zusieht, und hat es noch vor Kurzem wie eine unumstössliche Wahrheit verkündet, dass die Baukunst, welche das subjektive Verhältniss von Mensch zu Mensch nicht zum Ausdruck bringen könne, welcher die Leidenschaft fehle, unpopulär sein  m ü s s e. Unter dem Einflusse derartiger Kunstphrasen gelangte man zu einer höchst  v o r n e h m e n,  auf einsamer Höhe des Ideals thronende Kunst, die nach innerer Neigung wie nach äusserem Zwange fast nur mit den Aufgaben des Monumentalbaus sich abgab. Denn es war nur ein verschwindend kleiner Theil des Volkes, der sich für die im Uebrigen durchaus verdienstvollen und ehrenwerthen Bestrebungen dieses Künstlerthums zu erwärmen vermochte, während die grosse Masse desselben sich nach wie vor an das Handwerk hielt, auf dessen ärmliche Bestrebungen die Künstlerschaft mit Verachtung herabblickte. Die Nachtheile solcher Zustände, welche die Baukunst einerseits der nothwendigen materiellen Unterstützung berauben, sie aber auch andererseits zur Unfruchtbarkeit verdammen, liegen offen zu Tage. Namentlich das letztere Moment kann nicht entschieden genug betont werden. Ich lege nur beiläufiges Gewicht auf den grossen Abstand zwischen Ideal und Wirklichkeit, der sich gerade bei uns Deutschen daraus ergab, dass die grosse Mehrzahl der Architekten aus  B a u b e a m t e n  bestand, die häufig ohne wirkliches Kunsttalent, in oberflächlicher Weise vorgebildet und bei der relativen Seltenheit der Aufgaben nur ungenügend geübt, in der Regel kaum auf einen bescheidenen Grad von künstlerischem Dilettantismus Anspruch erheben konnten. -

Auch wenn man hiervon ganz absieht und nur die   b e s t e n  architektonischen Leistungen der letzten Periode sich vergegenwärtigt, wird man dieselbe von einer gewissen Unfruchtbarkeit nicht frei sprechen können. Wir rühmen mit gerechtem Stolz eine Reihe glänzender Namen, wir haben eine Anzahl bedeutender Werke zu verzeichnen: aber wahrhaft  s c h ö p f e r i s c h e  Gedanken sind in diesen doch nur in sehr geringem Maasse entwickelt worden. Ist es uns doch, seitdem die reflektirende Aesthetik den in der Zopfzeit noch erhaltenen, letzten Rest  l e b e n d i g e n  Stilgefühls vertilgt hat, trotz alles "Schweisses der Edlen" noch immer nicht gelungen, einen entsprechenden Ersatz hier zu finden. Noch immer bewegen wir uns in dem alten Kreislaufe der zu künstlichem Leben galvanisirten historischen Stile, auf dem Boden der  S t i l e x p e r i m e n t e.  Den Anhängern des alleinseligmachenden Hellenismus sind demnächst die Verfechter der alleinseligmachenden Gothik gegenüber getreten. Gegenwärtig ist es wiederum die ältere römische Renaissance, welche von der Mode als alleinseligmachend gepriesen wird und von deren Wiederbelebung man Thaten erwartet, die sie doch selbst in den Zeiten ihrer frischesten Kraft nicht hat vollbringen können. -

Auch dass wir in die Erkenntniss der den stilistischen Gestaltungen zu Grunde liegenden Gesetze eingedrungen sind, dass durch mehre ausgezeichnete Männer eine  W i s s e n s c h a f t  d e s  S t i l s  begründet worden ist, hat uns in der künstlerischen Praxis verhältnissmässig nur wenig gefördert. Die von kühnen Heisspornen als nothwendige Folge dieser Stil-Wissenschaft verheissene neue Aera der Baukunst lässt wenigstens noch immer auf sich warten. -

Man kann die schöpferische Kraft auf künstlerischem Gebiete eben nicht auf dem Wege wissenschaftlicher Erkenntniss hervorrufen, ebensowenig wie der homunculus in der Retorte sich fabriziren lässt. Die erwarteten neuen Gestaltungen werden erst dann eintreten, wenn Theorie und Reflexion sich bescheiden, der künstlerischen Praxis wieder die erste Stelle einzuräumen, wenn es gelingt, die in der Volksseele schlummernde Kraft des  n a i v e n  G e n i e s  zur Mitarbeit zu gewinnen. Und nicht anders ist dies möglich, als wenn der Baukunst das breite Fundament wiedergegeben wird, das sie einst in dem Zusammenhange mit dem Volksthume besass - wenn die natürliche Wechselwirkung hergestellt wird zwischen einem Volke, das die Sprache seiner Künstler versteht, und Künstlern, deren Stolz es ist, aus den Anforderungen ihrer Zeit heraus für ihr Volk zu schaffen. Auf dieses Fundament allein und nicht auf individuelle Experimente und Künsteleien am Dachstuhle des Gebäudes kommt es an. Nicht von oben herab, sondern  n u r  v o n  u n t e n  h e r a u f -  nicht von aussen, sondern nur von innen kann der Baukunst geholfen werden. Mit jener vornehmen Auffassung der Kunst, als einer gleichsam in den Lüften schwebenden göttlichen Wesenheit die sich herablässt, die Erzeugnisse der banalen Technik mit einen Abglanze ihrer Herrlichkeit zu verklären, muss allerdings ein für alle mal gebrochen werden. Man muss zurückkehren zu der alten Anschauung, die einen prinzipiellen Gegensatz zwischen den Aufgaben der Kunst und denen des Handwerks gar nicht kannte, für welche die Kunst nichts anderes bedeutete, als die höchste Stufe der Entwickelung, welche der gestaltende Trieb der von der Befriedigung des rohen Bedürfnisses zu immer vollkommeneren Formen fortschreitenden, mit der Zweckmässigkeit  z u g l e i c h  die Schönheit erstrebenden Menschenhand erreicht hatte. -

In Betreff eines anderen Gebietes, dem der sog. Kleinkünste oder des  K u n s t g e w e r b e s,  hat man die Richtigkeit dieses Grundsatzes ja bereits rückhaltlos anerkannt und bemüht sich mit allen Mitteln, eine innige Verbindung der Kunst mit dem Handwerk wieder herbei zu führen. Und diese gegenwärtig im Vordergrunde des Tages-Interesses stehenden, von den meisten Nationen aufgenommenen Bestrebungen, zu denen die Anregung gegeben zu haben Semper's hohes Verdienst ist - sie haben einen derartigen Einfluss doch wohl nur deshalb erlangt, weil man in ihnen das glücklichste Mittel sieht, um das gesunkene Kunstverständniss des Volkes wieder zu heben, seine Freude an der Kunst zu beleben und ihm die künstlerische Gestaltung seiner Umgebung allmählich wieder zum Bedürfniss zu machen. Warum scheut man sich, hiervon eine entsprechende Nutzanwendung auch auf das Gebiet der Baukunst zu übertragen, wo sie doch nicht minder nahe liegt? Sträubt man sich dagegen, weil man fürchtet, der Würde der Baukunst und ihrer akademischen Stellung unter den   h o h e n  Künsten etwas zu vergeben? Als im vorigen Jahre Sachverständige zur Vorberathung eines Gesetzes über den Schutz der bildenden Künste berufen worden waren und die Stellung der Architektur zu diesem Gesetze in Frage kam, betonte ein Maler als Eigenthümlichkeit derselben, dass bei keiner anderen Kunst der Uebergang zum Handwerk so unmerklich sei, wie gerade bei ihr. Er hat damit in den Kreisen unserer Fachgenossen gewaltig angestossen, während doch dieser Sachverhalt nicht allein unbestreitbar ist, sonders auch für eine Auffassung, wie die von mir vertretene, zugleich die erfreuliche Gewähr giebt, dass es verhältnissmässig nicht so schwer ist, die  W i e d e r g e b u r t  e i n e r  v o l k s t h ü m l i c h e n  B a u k u n s t  einzuleiten. Denn es handelt sich einzig darum, jenes Verhältniss in geschickter Weise dazu zu benutzen, um dem Handwerk allmählich mehr und mehr Boden abzugewinnen, bis schliesslich ein Gegensatz zwischen diesem und der Kunst nicht mehr besteht, weil das Handwerk wiederum zur Kunst emporgehoben ist. -

Die natürlichen Quellen für die Volksthümlichkeit der Baukunst sind heut nicht minder ergiebig, als sie es jemals gewesen sind. Welche Kunst steht wohl in engerer Beziehung zu allen Verhältnissen des menschlichen Lebens? Welcher Künstler tritt in so nahe Verbindung mit allen Klassen des Volkes, wie gerade der Baumeister, den schon Homer mit dem Seher und dem Arzte zu des wesentlichsten Förderern des Gemeinwohls rechnet und dem er daher neben jenen und dem Sänger allein bedingungslosen Zutritt über jede Schwelle gestattet wissen will? Mit den Leistungen welcher Kunst beschäftigt sich das Publikum wohl lebhafter, bei welcher sucht es tiefer in die künstlerische Technik einzudringen, als es bei der Baukunst der Fall ist. -

Es thut wahrlich Noth, dass wir reuig an unsere Brust klopfen, wenn wir bedenken, in welcher Weise dieser Neigung des Volkes von unserer Seite zumeist entgegen gekommen wird. Man kann es ja täglich hören, wie unbequem den Architekten eine derartige Betheiligung des Publikums erscheint und wie sie enrüstet darüber Klage führen, dass jeder Hinz und Kunz etwas vom Bauen verstehen und in dieses hinein reden wolle. Wir sind also in unserer Isolirung bereits so weit gelangt, dass wir nicht für das Volk und nicht für den Bauherrn, sondern nur um unserer abstrakten Kunst-Ideale willen oder allenfalls noch für unsere Fachgenossen zu bauen gewöhnt sind und dasjenige als unberechtigte Anmaassung entrüstet zurück weisen, was doch nur dem natürlichen Interesse des Volkes für unsere Kunst entspringt und richtig geleitet, zu einem Quell des Segens für dieselbe werden könnte. Und in Verbindung hiermit steht dann noch eine andere, leider zu häufige Schwäche - jene souveräne Gleichgültigkeit, mit der viele Architekten sich auch über die praktischen Bedingungen einer Aufgabe, oder die ihnen zur Disposition gestellten materiellen Mittel hinwegsetzen, wenn dies ihrem künstlerischen Belieben entspricht. In welchem Maasse sie durch ein derartiges Verhalten sich und ihr Fach schädigen - dass sie dem Volke nicht sowohl Freude an der Kunst als vielmehr häufig eine heilige Scheu vor deren Vertretern einimpfen und es von sich hinweg in die Arme des Handwerks zurückjagen, ist wohl vielen nicht zum klaren Bewusstsein gelangt. -

Auch die Klage, dass dem Volke jeder Sinn und jedes Verständniss für die Leistungen der Baukunst fehle, ist in diesem Umfange durchaus nicht gerechtfertigt - ganz abgesehen davon, dass sie ebenfalls lediglich einen Vorwurf gegen die Künstler selbst enthält, denen es doch obgelegen hätte, jenen Sinn besser zu pflegen. Erhellt nicht aus zahlreichen Symptomen der Beweis, dass ein nicht geringer Theil unserer gebildeten Klassen den Mangel an baukünstlerischem Verständniss bereits schmerzlich empfindet, dass er demzufolge selbt den Versuch nicht scheut, sich dasselbe auf dem Wege theoretischer Studien zu erwerben, und dass er mit Begier und Dankbarkeit jede Gelegenheit wahrnimmt, sein Urtheil in baukünstlerischen Dingen bilden zu lassen. Ich erinnere an den grossen Erfolg der populären, zum Theil sehr verdienstvollen, kunstwissenschaftlichen und kunsthistorischen Litteratur. Ich erinnere an das Interesse, das die Vorbereitung jeder neuen Bau-Ausführung erregt, an den eifrigen Besuch, den jede Ausstellung von Konkurrenz-Entwürfen aufweist, an die zahlreichen Berichte, welche die Presse dem künstlerischen Theile der Bauthätigkeit widmet. Wohl ist es wahr, dass die letzteren ihrem Zwecke nur selten entsprechen, weil sie meist ohne genügende Kenntniss der thatsächlichen Verhältnisse und zuweilen auch wohl ohne jede Kenntniss auf technischem und baukünstlerischem Gebiete abgefasst sind. Aber das würde weniger der Fall sein, wenn es die Architekten nicht leider gar zu sehr liebten, ihr Schaffen in den Schleier des Geheimnisses zu hüllen, statt dem berechtigten Interesse, welches das Publikum an ihren Bauten nimmt, freiwillig entgegenzukommen. Und trifft nicht in letzter Linie der gesunde und natürliche Sinn des Volkes bei Beurtheilung eines Bauwerks dennoch zumeist das Richtige? Einzelheiten der künstlerischen Technik, die stilistischen Experimente, auf welche der Architekt vielleicht den grössten Werth legt, kommen ihm freilich nicht zum Bewusstsein, aber der Wirkung des echt und wahrhaft Schönen ist es noch immer mit Begeisterung entgegen gekommen. Während ein gespreiztes und verfehltes Bauwerk noch niemals allgemeine, geschweige denn dauernde Sympathie gefunden hat, giebt es eine ganze Anzahl von Werken, welche gleichmässig die Bewunderung aller Zeiten erregt haben und im besten Sinne populär genannt werden können. -

Auf solchen Fundamenten kann wohl mit Aussicht auf Erfolg weiter gebaut werden. Es bedarf nur einer  g r ü n d l i c h e n  S c h u l u n g des Volksgeschmackes und  e i n e r  s y s t e m a t i s c h e n  k ü n s t l e r i s c h e n  E r z i e h u n g des Publikums, um unser Ziel zu erreichen. -

Soweit diese künstlerische Erziehung in einem allgemeinen Rahmen sich zu bewegen hat, habe ich dieselbe hier nur flüchtig zu berühren. Wir müssen lebhaft wünschen, dass die Bestrebungen derjenigen einen glücklichen Fortgang nehmen, welche sich bemühen, ein richtiges Verständniss der formalen Schönheit wieder zu einem vollberechtigten Faktor der allgemeines Bildung zu erheben. Wir werden jedes Mittel, welches hierzu dienen kann, vor allen also eine ausgedehntere Berücksichtigung des bisher arg vernachlässigten Zeichenunterrichts in der Schule, nach Kräften zu unterstützen haben. Daneben handelt es sich jedoch noch um eine Schulung des  V e r s t ä n d n i s s e s  f ü r  b a u k ü n s t l e r i s c h e  Z i e l e  im Besonderen. Diese wird und kann nicht anders erzielt werden, als auf dem Boden der baukünstlerischen Praxis, und zwar - wie schon angedeutet - vorzugsweise auf jenem Gebiete, das im engsten und unmittelbarsten Zusammenhange mit dem Volksleben steht, auf jenem bisher fast ganz dem Handwerk verfallenen Felde der sogenannten "bürgerlichen Baukunst" - des  P r i v a t b a u e s.  Hier, an den einfachen, dem Interesse und Verständniss jedes Einzelnen zugänglichen Aufgaben des Tages wird sich der Sinn für die Bedeutung der künstlerischen Form und ihre innere Beziehung zu dem Zwecke des Werkes, wird sich die Freude an künstlerischen Gestaltungen am Sichersten entwickeln und pflegen lassen. Von dieser Grundlage aus wird dann allmählich auch ein richtiges Verständniss und die volle Sympathie für die idealen Aufgaben der Baukunst sich herausbilden. Wenn ich demnach als Kern- und Hauptpunkt aller Mittel zur Wiedererlangung einer volksthümlichen Baukunst empfehle, ein grösseres, ja zunächst sogar das Hauptgewicht auf die künstlerische Durchbildung des Privatbaues zu legen, so möchte ich um Alles nicht dahin missverstanden werden, als sei ich über die  m a a s s g e b e n d e  Bedeutung des Monumentalbaues im Zweifel, als unterschätzte ich seinen Einfluss auf die Stellung der Kunst im Volke und als wollte ich seine Pflege vernachlässigt wissen. Wie der Monumentalbau den Gipfel jeder architektonischen Entwickelung bezeichnet, so kann das Ergebniss dieser Entwickelung auch nur in ihm seinen vollkommensten Ausdruck finden; ebenso regt er das Interesse weiterer Kreise nachhaltiger auf, als dies der Privatbau jemals vermag. Man wird nicht ablassen dürfen, die Ausführung öffentlicher Bauten in jeder Weise zu fördern. Möge man nur dafür sorgen, dass dieselben stets in die  r i c h t i g e n,  d. h. in die besten Hände gelangen, wozu es kein geeigneteres Mittel giebt, als den Weg einer  e i n s i c h t i g  g e l e i t e t e n  K o n k u r r e n z,  die zugleich dem Werke die möglichst grösste Theilnahme des Volkes zuführt. Aber die Führung auf dem Wege zur Wieder-Erlangung einer volksthümlichen, in sich gesunden Baukunst kann ich dem Monumentalbau und seinen gegenwärtigen Vertretern schon um deshalb nicht zugestehen, weil es im Interesse jener organischen Gesundheit der Kunst dringend geboten ist, dass das Verhältniss des Monumentalbaues zu dem Privatbau ein anderes werde, als es seit 3 Jahrhunderten gewesen ist. Nicht als der schwächliche Absud und Abklatsch des Monumentalbaues darf der Privatbau erscheinen, sondern der erstere soll als die reife und schöne  F r u c h t  aus der  B l ü t h e  des letzteren hervorgehen. Bedenken wir, dass uns neben der künstlerischen Schulung und Erziehung des Volkes vorläufig auch noch eine bessere  S c h u l u n g  d e r  B a u k ü n s t l e r  Noth thut, dass dieselben, um ihrer Aufgabe genügen zu können, einer ganz anderen Einsicht in die Bedingungen, einer ganz anderen Herrschaft über die Mittel ihrer Kunst bedürfen, als ihnen im Durchschnitt bisher zu eigen war. -

Die einseitige Vorliebe, mit der man auf Grund jener vornehmen Auffassung der Kunst die Ausbildung des Architekten vorzugsweise auf dem Felde der Monumental-Baukunst und an hochfliegenden akademischen Aufgaben ersten Ranges angestrebt hat, trägt sicher die Mitschuld daran, dass unsere architektonische Erstwickelung nur geringe Fortschritte macht, dass wir uns aus den Banden eines konventionellen Schemas nur so schwer loszuringen vermögen. Die eigenartigen Aufgaben und die fortlaufende praktische Kunstübung des Privatbaues sind nicht nur geeigneter, die  s e l b s t ä n d i g e  Erfindungskraft des Künstlers zu schulen, sondern es thut auch Noth, dass das Feld, auf welchem dieser sich bewegt, dem wirklichen Bedürfnisse und dem künstlerischen Vermögen des Einzelnen entsprechend,  e i n g e s c h r ä n k t  werde. Bei der verhältnissmässig geringen Zahl derjenigen, welche überhaupt zur Schöpfung monumentaler Werke ersten Ranges berufen sind und in Wirklichkeit berufen werden können, ist es gewiss erspriesslicher, von vorn herein nicht sowohl die höchsten Resultate zu erstreben, als vielmehr dafür zu sorgen, dass Jeder dem Wirkungskreise, dem er sich später widmet, auch  g a n z  und  v o l l  gewachsen sei. Genies und bedeutsame Talente, denen eine eigenartige höhere Entwickelung zu Theil werden muss, werden sich aus der Masse der Uebrigen schon ganz von selbst herausheben, während es ein thörichtes Beginnen ist, die Gesammtheit nach der Schablone der Genies zu schulen und sich damit zu trösten, dass die Minderbegabten für den Kreis der geringeren Aufgaben allenfalls noch immer zu verbrauchen seien. -

Doch es mag genug sein mit diesen Andeutungen, welche auszuführen hier nicht der Ort ist, die aber angesichts der Umgestaltungen, welche gegenwärtig wiederum auf dem Felde des bautechnischen und baukünstlerischen Unterrichts angebahnt werden, vielleicht nicht ganz überflüssig waren. -

Ich kann damit dem Ende meiner Ausführungen zueilen. Das Ziel, das ich im Auge habe, der Weg, der mir am natürlichsten zu demselben zu führen scheint: ich glaube sie Ihnen in genügender Klarheit entwickelt zu haben. Ob ich mit meiner Ansicht angestossen habe, ob man mir von gewisser Seite vielleicht vorwerfen wird, ich redete Bestrebungen das Wort, welche angeblich zwar das Handwerk als einen Faktor baulicher Erfindung beseitigen sollen, in Wirklichkeit aber die Baukunst zum Handwerk herabziehen würden - es soll mich wenig kümmern. Was mir zur Seite steht, ist ja vor allen Dingen der  s i c h t b a r e  Z u g  d e r  Z e i t.  Denn, um meine Darstellung in scharfen Konturen halten zu können, habe ich bisher absichtlich gesprochen, als wären noch die Zustände in Geltung, wie sie vor etwa einem Vierteljahrhundert in unserem Vaterlande bestanden haben. In Wirklichkeit hat dagegen die Reform, deren Nothwendigkeit ich hier aus allgemeinen Gründen betont habe, schon längst begonnen und bereits die erfreulichsten Erfolge geliefert. Ueberall spriesst in der Baukunst neues frisches Leben, überall sind die Verhältnisse, unter denen sie früher zu schaffen hatte, in der Umwälzung begriffen, überall drängt und treibt es nach neuen Gestaltungen. Der Kreis der Aufgaben, das Bedürfniss des Volkes nach künstlerischer Durchführung und Ausstattung seiner Wohnungen, seiner öffentlichen Gebäude, ist in stetiger Erweiterung begriffen. Gleichzeitig hat sich die Zahl der künstlerisch gebildeten Baumeister in ungeahnter Weise gesteigert; ein neues Geschlecht derselben ist im Aufblühen begriffen. Nicht Baubeamte und akademische Lehrer sind es mehr, welche allein die Baukunst üben: sondern ihnen steht zur Seite eine rüstige Schaar freier Architekten, deren Thätigkeit dem Privatbau gewidmet ist, welche diesem den wesentlichsten Theil ihrer künstlerischen Ausbildung verdanken. Und es ist angesichts vieler Leistungen der neuesten Bauthätigkeit, angesichts der meisten Wettkämpfe, welche in jüngster Zeit auf dem Gebiete baukünstlerischer Erfindung stattgefunden haben, die Behauptung wohl nicht zu kühn, dass der Kern künstlerischer Kraft, - auch soweit diese die Gestaltung des Monumentalbaues zum Ziele nimmt - bereits auf diesen Theil der Architektenschaft übergegangen ist. Gleichzeitig regt es sich auch in den Kreisen des Handwerks, dessen bisherige Organisationen in Auflösung begriffen sind; es ist kein kleiner und sicherlich der beste Theil desselben, welcher von dem Bedürfnisse nach baukünstlerischer Bildung tief durchdrungen ist und das Heil der Zukunft lediglich darin erblickt, dass je der Bauende, soweit er aus den Kreisen der werkthätigen Arbeiter heraustritt, gleichzeitig ein Künstler sei. So gilt es vielleicht keine neuen Bewegung einzuleiten, sondern lediglich eine schon vorhandene in richtiger Weise weiter zu entwickeln und zum Abschlusse zu bringen, um das Ziel zu erringen, das ich zum Ausgangspunkte meiner Erörterungen genommen hatte - um in stetigem Fortschritt die Bedingungen für volksthümliche Baukunst wieder zu schaffen. In der Zuversicht, dass dies in nicht allzu ferner Zukunft gelingen werde, mag uns vor allen Dingen die Wahrnehmung bestärken, dass auch im Leben des Volkes selbst - unabhängig von den Gebieten, auf welche wir direkten Einfluss ausüben können - sich die Verhältnisse in einer Weise umgestaltet haben und täglich weiter umgestalten, die unsern Wünschen durchaus günstig ist. Nicht nur äusserlich, durch die sichtliche Hebung des allgemeinen Wohlstandes, sondern auch in geistiger Beziehung. -

Was wollen alle die Jeremiaden über unsere angeblich so materielle Zeit gegenüber der Thatsache besagen, dass wiederum ein  w i r k l i c h e s  Volksleben, eine Betheiligung des  g a n z e n  Volkes an allgemeinen Angelegenheiten, ein Streben nach idealen Zielen im Entstehen begriffen ist - dass sich aus Kampf und Streit allmälich neue Formen der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung abklären, welche der ruhigen Entwickelung der geistigen, namentlich der künstlerischen Kräfte endlich wiederum die unentbehrliche  s i c h e r e  Grundlage verheissen. Für das Fortschreiten dieser Entwickelung zu einem wirklichen Volksthume giebt es wohl kein besseres Anzeichen, als das in seltsamer Verblendung so oft beklagte Zurücktreten jenes einseitigen Individualismus, als das Seltenwerden der meteorartigen Genies gegenüber dem gewaltigen Anwachsen  a l l g e m e i n e r  Einsicht und Bildung. -

Lassen Sie uns darum vertrauungsvoll in die Zukunft blicken - uns alle, die wir den Wunsch hegen, dass die Baukunst einst wieder volksthümlich werde. Und ob wir der Kunst mit verschiedenen Mitteln dienen und unsere Gedanken in verschiedener Form zum Ausdruck bringen: seien wir versichert, dass wir gleichzeitig mit jenem Ziele auch ein anderes und höheres erreichen werden. Wenn die Baukunst wirklich wiederum volksthümlich geworden ist, so wird es wiederum auch nur  e i n e  Baukunst geben. -