Das neue Gebäude der k. k. Kunstakademie auf dem
Belvedere in Prag.
vom Architekten V. Rostlapil.
Monumentalität und moderne Baukunst.
Schnitt durch das
Gebäude der k. k. Kunstakademie in Prag
In der zumeist recht trüben Flut der Polemik, die sich aus
Anlaß des Museumswettbewerbes
in den Spalten der öffentlichen Presse ergossen hat, fand sich
doch ab und zu der helle
Silberfaden eines wertvollen Gedankens. Dazu ist auch die Frage zu
zählen, die durch
C a m i l l o S i t t e in dem
Feuilleton: "Monumentalkunst und
Sezession" *) aufgerollt wurde, nämlich die Frage nach dem
Begriffe Monumentalität
in der Kunst, im besonderen der Baukunst.
*) Neues Wiener Tagblatt.
S i t t e seinerseits setzt diesen Begriff eigentlich
als gegeben voraus. Er fragt nicht nach seiner ästhetischen
Wurzel, nicht darnach, ob
dieser Begriff ein feststehender oder wie so viele Begriffe in der
Ästhetik ein
entwicklungsmäßiger ist, sondern wendet ihn
lediglich an, um zu zeigen, daß der
modernen Baukunst - die hierbei unter dem Generaltitel "Sezession"
zusammengefaßt wird - das Merkmal des Monumentalen mangelt. Ich
will nun versuchen, das Wesen des Monumentalen festzustellen, und
mich dabei
einerseits an die diesem Begriffe adäquate Vorstellung der
künstlerischen Praxis halten,
anderseits aber auch jede uneigentliche, gleichsam in diesen Begriff
hineingeschmuggelte
Nebenvorstellung zu bannen trachten. Zunächst: Unterschätzen
wir nicht die
Popularvorstellung irgend eines Wortes, indem wir
vergessen, daß die sublimste wissenschaftliche Definition
eines Begriffs nichts als eine
verknöcherte, der Entwicklung unfähige, tote Formel
ist. Nirgends mehr als auf dem
Gebiete des menschlichen Schaffens, zumal der Technik gilt dies. Ein
Beispiel für viele
mag das Gesagte erläutern. Was ist eine Stiege?
Bauwissenschaftlich kann man ja sagen:
Eine Konstruktion des Hochbaues, die den Verkehr
übereinanderliegender Geschosse
vermittelt. Gut. Aber diese Definition war genau so lange zutreffend
bis - der Lift
erfunden wurde. Nach der Erfindung des Lift, noch mehr nach dessen
allgemeiner Einführung
muß jene Definition der Stiege eine Abänderung, eine
Einschränkung erfahren (die
freilich jedermann leicht treffen wird), mit einem Wort, gilt sie nicht
mehr, ist sie
entwicklungsgeschichtlich überwunden. Eine solche durch die Zeit
herbeigeführte Widerlegung wir nun
stets nur die
wissenschaftliche Definition, niemals die Popularvorstellung treffen,
die ja unbekümmert
um "Inhalt" und "Umfang" eines Bergriffs einfach stillschweigend das
anschauliche Objekt, und zwar ganz konkret und einzeln
gefaßt, begreift. Das ist zweifellos eine Überlegenheit der
Popularvorstellung
gegenüber der
wissenschaftlichen Definition, die wir nicht unterschätzen
dürfen. Und ich möchte daher
zunächst und an dieser ersten Stelle festlegen, daß
- populär genommen -
Monumentalität durchaus im Sinne von Großartigkeit
vorgestellt wird. Eine tiefergehende
Unterscheidung dieser beiden Worte kennt der gewöhnliche
Sprachgebrauch nicht. In diesem
Sinne sagt man: Ein monumentales Werk, - und man kann dabei ebensogut
an ein Werk
konkreter als abstrakter Art, an ein Kunstwerk, an ein
wissenschaftliches Werk denken, ja,
wer wollte uns hindern, z. B. selbst Bismarcks Schöpfung des
Deutschen Kaiserreiches
zutreffend ein monumentales Werk zu nennen? Was wir aber damit und in
zahllosen anderen
Fällen sagen wollen, ist nichts weiter, als daß wir
das in Rede stehende Ding großartig
finden. Also monumental in populärem Sinne ist solcherart gar
vielerlei. - Beethovens
Eroica und Kants Kritik der reinen Vernunft: Goethes Faust und
Helmholtz Tonlehre:
Hannibals Alpenübergang und Bismarcks Schöpfung u. s.
w. Neben der Popularvorstellung eines Begriffs scheint mir
zuvörderst von Wichtigkeit seine
rein sprachliche Bedeutung zu sein. In diesem Sinne bedeutet monimentum
alles, was das
Andenken einer Person oder Sache enthält: monitio das
Erinnern: monitus die Erinnerung:
monimentarius das Denkmal: moneo ins Gedächtnis bringen.
Gemeinsam ist allen diesen
Begriffen eines: Nämlich, daß sie sich auf etwas
Bleibendes, die Zeit Überdauerndes
beziehen, daß in ihnen das Gedenken über das
Vergessen obsiegt und, in monimentarius,
daß, diesen Sieg ausdrücken, ein Sinnbild gesetzt
wird. Kurz gefaßt also ließe sich
Monument mit Merkzeichen des Dauernden, des Überzeitlichen
definieren, monumental aber
bedeutete darnach das solchem Überzeitlichen
eigentümliche Wesen. Monumentalität
endlich ist bloß die substantivische Umbildung des
Merkmalbegriffs. Zusammengehalten mit der Popularvorstellung, zeigt
sich sofort eine
Verwandtschaft des
Sprachbegriffs: denn allem Großartigen ist wohl unbestritten
wesentlich, daß es - bis zu
einer gewissen Grenze wenigstens - auch den Wandel der Zeit
überdauert, daß es, wie man
zu sagen pflegt, "unvergänglich" ist. Wir werden
demnach, den
Vorstellungsinhalt des Popularbegriffs und des Sprachbegriffs
zusammenfassend, wohl sagen
können: Monumental ist ein Ding, daß durch seine
Großartigkeit - seine Bedeutung,
seinen Wert - Dauer erlangt, in unserer Erinnerung bleibt,
unvergänglich ist:
Monumentalität aber ist das einem solchen Dinge zukommende
Wesen.
Das neue
Gebäude der k. k. Kunstakademie auf dem Belvedere in Prag. Vom
Architekten V. Rostlapil
Modell des Kaiser
Franz Joseph-Stadt-Museums samt der Platzanlage. Vom Architekten k. k.
Baurat Fr. Schachner
Was uns hier interessiert, ist nun die Anwendung des also gefundenen
Begriffs
Monumentalität auf das Gebiet der Baukunst. Deutlicher gesagt,
die Untersuchung,
inwieferne auch auf diesem Gebiete ein Monumentales zum Unterschiede
und im Gegensatze zu
einem Nichtmonumentalen als bestehend angenommen werden kann.
S i t t e sucht
- in dem eingangs citierten Feuilleton - diesen Gegensatz zwischen
Monumentalem und
Nichtmonumentalem in dem Gegensatz zwischen der hohen Baukunst (wozu er
bloß den
Kirchenbau gezählt wissen will) und der Kleinkunst: - in der
Tat ist damit zwar nicht der
Gegensatz schlechtweg aber wohl einer der Gegensätze
bezeichnet. Wir brauchen uns ja
bloß des Merkmals der Dauer zu erinnern, um sofort
einzusehen, daß alles, was Kleinkunst
ist, dieses Merkmals entbehrt. Freilich nicht, als ob
Gegenstände der Kleinkunst, also
vor allem des Kunstgewerbes von - rein physisch genommen - kurzer Dauer
sein müßten. Im
Gegenteil, wir wissen, daß die Überbleibsel z. B. in
der Keramik sogar zu den ältester
aller erhaltenen zählen. Aber diese Dauer ist eben hier nicht
gemeint. Dauer in unserem
Sinne kommt doch wohl einem Kunstgegenstande nur zu, der in
Übereinstimmung mit seiner
Umgebung bleibt, nicht aber, losgelöst von ihr, ein sozusagen
bloß museales Dasein
fristet. Dauer also trägt als Merkzeichen z. B. ein Bauwerk an
sich, das, Jahrhunderten
trotzend, sich neben - ja oft trotz seiner geänderten Umgebung
erhält. Dauer kommt einer
Dichtung, einem schriftstellerischen Werke im allgemeinen zu, das trotz
des Wechsels des
Geschmacks, ja selbst der Gesamtkultur, Sprache und lebenden
Völker sich in der Literatur
erhalten hat. Dauer hat auch eine historische Tat erlangt, die vor dem
Urteile der
Geschichte auch nach Jahrhunderten noch bestehen kann. Also diese Dauer, die geschichtliche Dauer oder die Dauer des geistigen
Wesens eines
Dinges ist gemeint, wenn ich sage, daß eben sie die
Monumentalität dieses Dinges
teilweise bestimmt. Und in diesem Sinne können wir denn auch
mit S i t t e
sagen, daß die gesamte Kleinkunst - unbeschadet
ihres sonstigen artistischen Ranges
- auf das Merkmal des Monumentalen keinen Anspruch hat. Allein, ich
glaube nicht, daß
damit schon ein erschöpfender oder gänzlich
einwandfreier Begriff für das Monumentale
gefunden ist. In der Tat: Monumentalkunst bloß synonym mit
großer Baukunst gebraucht,
schränkt unseren Begriff einesteils willkürlich ein
und erweitert ihn andernteils zu
sehr. Denn wahrhaftig, wie vieles, das nicht der großen
Baukunst angehört, ist dennoch
monumental, und wie vieles in der großen Baukunst, wiewohl es
selbst in dem oben
dargelegten Sinne von Dauer sein mag, ist nicht monumental. Niemand
wird z. B. behaupten,
daß Werke wie die große chinesische Mauer zur
großen Kunst gehören, und doch sagen
alle, die diese Mauer gesehen haben, daß sie in hohem
Maße den Eindruck dessen macht,
was man monumental nennt. Und wiederum: Die Trümmer des
Heidelberger Schlosses, die bis
vor kurzem in ihrem Urzustande wohlerhalten waren, also Jahrhunderte,
"mit ihrer
Umgebung im Einklange", überdauert haben und gewiß
der großen Baukunst angehören,
können - bei aller künstlerischen Schönheit
- wohl nicht eigentlich zu den monumental
wirkenden Werken gezählt werden.
Das
Gebäude der k. k. Kunstakademie auf dem Belvedere in Prag. Vom
Architekten V. Rostlapil
Woran liegt das? Da muß wohl etwas dazukommen, das in dem
Begriffe große Kunst nicht
enthalten ist. Bleiben wir einen Augenblick bei den gewählten zwei Beispielen
der Baukunst stehen: der
chinesischen Mauer und dem Heidelberger Schlosse. Außer ihrer völligen Ungleichheit in der
künstlerischen Wertigkeit wird uns wohl
zweierlei auffallen. Einesteils die Verschiedenheit im
Maßstabe ihrer Verhältntisse,
anderseits in dem Grade der Detaildurchbildung. Dort nichts als die
ungegliederte rohe und
in ihrer Schlichtheit im Maßstabe riesig anwachsende Masse,
hier die überreich
skulpturierte, feine und in ihrer Formenfülle zierlich
wirkende Architektur. Dann wieder:
Dort eine einzige, große, ruhige, sozusagen Himmel und Erde
trennende Linie: hier ein
Gewirr von Linien, vom Größeren ins Kleinere, vom
Kleineren ins Kleinste führend.
Während also dort dem Auge und dem durch das Auge bestimmten
Gemüte ein Bild von
höchster Einfachheit geboten wird, wird ihm hier ein Bild von
größter Mannigfaltigkeit
vorgeführt. Während dort eine einzige
Parallelempfindung, aber diese mit aller Wucht, in
der menschlichen Seele ausgelöst wird (welcher Art sie ist,
bleibe unbezeichnet), wird es
hier eine ganze Reihe von Parallelempfindungen. Und nun ist es ein
Eigentümliches des
menschlichen Geistes, daß er lediglich den einzelnen starken
Eindruck, nicht aber eine
Summe im einzelnen schwächerer, wenn auch in der Gesamtheit
gleich starker Eindrücke als
etwas spezifisch Großartiges empfindet, als etwas, das ihn,
je nachdem es angenehme oder
unangenehme Mittöne bei ihm auslöst, begeistert oder
zerschmettert, erhebt oder
erdrückt. Es ist hier nicht der Ort, den Gründen
dieser psychologischer Tatsache
nachzuspüren: aber erinnern wollen wir uns dafür hier
des eingangs Gesagten, wonach die
Popularvorstellung von Monumentalität wesentlich mit der von
Großartigkeit
zusammenfällt, und wir werden einsehen, daß - da die
Empfindung der Großartigkeit, wie
wir eben erkannten, ihrerseits durch das Einfache vornehmlich
ausgelöst zu werden pflegt
- auch alle Monumentalität wesentlich mit Einfachheit
verknüpft sein wird. Zu den Begriffsbestimmungen großartig und dauernd kommt somit
als dritte die der
Einfachheit hinzu, und wir können, was das gegenseitige
Verhältnis dieser drei
Bestimmungen betrifft, wohl sagen, daß die beiden letzteren
der ersteren subordiniert
sind, d. h. das Großartige wesentlich eben durch die zwei
Merkmale des Dauernden und
Einfachen zum Monumentalen wird. Die Untersuchung unseres Begriffes haben wir bisher ganz
unabhängig davon geführt, wie
er sich zu dem in der Ästhetik so viel umstrittenen
Grundbegriff des Schönen oder des
Künstlerischen verhält. Mit gutem Grunde. Denn
abgesehen davon, daß das Schöne - oder
wie wir uns synonym zu sagen getrauen wollen: das
Künstlerische - zu den trotz Ästhetik
und Kunstphysiologie noch undefinierten Begriffen gerechnet werden
muß - abgesehen davon
leitet uns das Gefühl, daß das Monumentale kein dem
Kunstgebiete ausschließlich
Eigentümliches, vielmehr ein einem weiteren Bereiche
Angehöriges ist. In der Kunst
freilich wird es häufig auch mit dem "Schönen"
verbunden sein: aber nicht als
ein aus diesem selbst Abgeleitetes, sondern vielmehr als ein neben dem
Schönen
Bestehendes. Monumentalität und Schönheit
schließen somit lediglich einander nicht aus
- ja gewiß nicht; aber Schönheit schließt
Monumentalität weder in sich, noch wird sie
selbst von ihr eingeschlossen. Diese Feststellung erscheint mir von Wichtigkeit; von Wichtigkeit
insbesondere deshalb,
weil dadurch Monumentalität aus den Fesseln einer gewissen
Subjektivität, die trotz
allem und allem den Schönheitsbegriff oder den Begriff dessen,
was man als künstlerisch
bezeichnet, umfangen, befreit erscheint. Ganz deutlich werden wir das
empfinden, sobald
wir unseren Begriff auf die Baukunst anwenden oder eigentlich aus ihr
zu abstrahieren
suchen. - Gleich auf den ersten Blick: Welcher Fülle von
Monumentalität ohne Kunst oder
Schönheit (in ästhetischem Sinne) begegnen wir hier!
Jeder Damm, der einen brausenden
Strom in sein Bett bannt - ein Monument: jede Brücke, die in
hohem Bogen oder
langgestrecktem Gitterträger zwei Ufer verbindet - ein
Monument: ein Monument auch - ganz
zweifellos - der Eiffelturm: ein Monument die Pyramiden; ein Monument
noch so vieles,
vieles andere - das doch, seien wir nur besonnen - ins Reich des
"Schönen"
einzubeziehen, vorerst eine Unbedachtsamkeit und Übereilung
wäre. Monumentalität hat also, das wird wohl als feststehend gelten
können, an und für sich
mit Schönheit nichts zu tun. Ihre Wirkung auf das
Gemüt, so groß sie ist, kann nicht
als eine Auslösung dessen angesehen werden, was wir
ästhetisches oder schönes Empfinden
nennen.
Modell des Kaiser
Franz Joseph-Stadt-Museums samt der Platzanlage. Vom Architekten k. k.
Oberbaurat und Professor Otto Wagner
Aber, wird man wohl einwenden, was soll dann das Monumentale in der
Kunst? Ist es in ihr
noch berechtigt, ja überhaupt noch zuständig? - Und
nun weiß ich wohl, daß ich vor
einem Paradoxon stehe, wenn ich es so hinstelle: In der Kunst ist das
Schöne nicht der
Anfang, sondern das Ende, nicht das Erste, sondern das Letzte. In der
Kunst ist nicht das
oder das so oder so, weil es, um "schön" zu sein, so sein
muß; nicht ein
objektives Etwas, das irgendwo (im Wolkenkuckucksheim) ist, soll in der
Kunst
"erreicht" werden, und nicht ist die Kunst mehr Kunst, indem sie diesem
Etwas
näher kommt, und weniger Kunst, indem sie ihm ferner bleibt.
Nein: zuerst ist die Kunst -
aber um keines "Schönen" willen ist sie, das selbst noch gar
nicht
"ist", sondern sich bildet als Reflex des menschlichen Geistes auf die
Kunst:
das Schöne ist somit das Letzte. Dieses Schöne ist
auch kein objektives Etwas von
irgendwoher, kein Ziel und Zweck v o r unserem
Auge, sondern der Niederschlag
dessen, was hinter uns den Weg bezeichnet, den wir
zurückgelegt. "Schön" ist
also das Objekt der Kunst nicht a parte ante oder von vornherein,
sondern a parte post
oder rückschauend betrachtet; schön ist nicht ein
feststehender "Grenzwert",
den, wenigstens annähernd, zu "erreichen" die Aufgabe
(sozusagen die verfluchte
Pflicht und Schuldigkeit) der Kunst ist, sondern schön ist ein
der Kunst immanentes, mit
ihr sich entwickelndes, sich abwandelndes Etwas, ein beständig
Wechselndes und keineswegs
Feststehendes. Ich kündigte vorhin an, eine paradoxe
Behauptung aussprechen zu müssen.
Aber in der Tat ist sie garnicht so paradox: heute, da der
Entwicklungsgedanke unsere
sämtlichen Vorstellungen so tief und nachdrücklich
umgestaltet hat! Aber freilich: die
Ästhetik als absolute Wissenschaft muß abdizieren:
die Ästhetik darf sich nicht länger
mehr einbilden, ein Kanon aller Zeiten zu sein. Sie muß
vielmehr einsehen, daß sie nicht
Wissenschaft (oder Lehre) vom Schönen überhaupt ist,
daß es eine solche gar nicht gibt,
sondern daß es nur gibt z. B. eine Ästhetik des XV.
Jahrhunderts und dann wieder eine
des XX. Jahrhunderts, und daß diese Wissenschaften oder
Lehren sich genau ebenso
voneinander unterscheiden, genau ebenso auf teilweise neuer Grundlage
ruhen als die Kunst
in diesen zwei Jahrhunderten. Wenn wir nur einmal einsehen - und die
Geschichte sagt es
uns ja mit tausend Stimmen - daß die anthropologische
Grundlage zu allem dem, daß,
einfach gesprochen, der Mensch selbst ein beständig im Wechsel
begriffenes Wesen ist,
daß der Mensch des Cinquecento ein teilweise ganz anderer
war, als es der des XX.
Jahrhunderts ist - wie wollen wir dann noch einen Augenblick an der
Fiktion festhalten,
daß unbeschadet dieses Wandels dennoch der Begriff des
Schönen heute und im XV.
Jahrhundert ein und derselbe sein muß? Freilich, wenn dieser
Begriff ein transcendenter,
im Himmel schwebender wäre (so eine Art Gottbegriff, dem
beständig sich zu nähern das
traurige Los der Kunst wäre), dann vielleicht, aber nur dann
enthält der Gedanke, daß
dieser Begriff heute noch genau derselbe ist wie im XV. Jahrhundert,
keinen Widerspruch
(das Schöne wäre nämlich heute genauso
unerreichtes Ideal, als es dies im XV.
Jahrhundert war). Sobald wir aber inne werden, daß diese
ganze Vorstellung eines
Transcendent- Schönen, eines nicht in der Kunst selbst
liegenden, sondern außerhalb ihr
schwebenden Begriffes eine tolle Fiktion ist, sobald wir inne werden,
daß, wie ich oben
sagte, das Schöne bloß der psychische Niederschlag
des Wirklichen, des Gewesenen oder
doch des Gesetzten in der Kunst ist: dann können wir keinen
Augenblick länger zweifeln,
daß das Schöne ein historisch sich abwandelndes
Etwas ist, das - und hier berühre ich
wieder unser Hauptthema - nicht v o r, sondern
lange, ja lange n a c
h dem Monumentalen in der Kunst entsteht.
Entwurf
für eine einfache Kirche auf dem Lande. Vom Architekten Hans Mayr
Also monumental kann etwas sein, das deshalb noch nicht schön
zu sein braucht. Ich nannte
schon etliche Beispiele, die dies belegten. Haben wir aber einmal
erkannt, daß
Monumentalität unabhängig ist vom
Schönheitsbegriff, haben wir erkannt, daß
Monumentalität diesem Begriff voraufgeht, daß sie
sozusagen psychisch tiefer, primärer
gelagert ist als Schönheit, so werden wir auch ruhig die
unmittelbar sich daraus
ergebende Folgerung aussprechen: Monomentalität ist
unabhängig von einem bestimmten
Kunststil. Denn was ist Stil? Doch nur das Schöne im einzelnen
Kanon - das kanonisierte
Schöne. Ist aber Monumentalität vom Schönen
im allgemeinen unabhängig, dann gewiß
auch vom im einzelnen Kanon gebannten Schönen. - O, wie
unscheinbar, wie
selbstverständlich ist diese Folgerung! - Aber, man merkt doch
wohl, daß damit ein
ganzes, großes Gebiet erobert ist? Von wem erobert? Und
welches Gebiet? - Von der
modernen Kunst und das Gebiet der modernen Technik! Das war ja der
Vorwurf, der beständig
den Errungenschaften der modernen technischen Konstruktionen gemacht
wurde, daß sie nicht
schön sind, mit der "Kunst" nichts zu tun haben. Aber freilich
sind sie das
nicht! Sie sind es nicht, wenn wir (wieder einmal) Schönheit
im Sinne unserer Ästhetik
als transcendentalen Grenzbegriff auffassen und zugleich - wie
widerspruchsvoll - an die
Formen vergangener Kunststile denken, als die bereits anerkannt
"schönen". Aber
fragen wir lieber gar nicht mehr darnach, ob schön oder nicht
schön, katzbalgen wir uns
nicht mehr mit dem albernen Unbegriff - sagen wir es doch einfach und
gerade heraus:
Monumental im stärksten Maße sind alle diese
großartigen technischen Konstruktionen,
der Eiffelturm und die Brücken, die Dämme und Hallen
und was sonst noch auf dem Gebiete
unserer Ingenieurkunst entstanden ist. Und wahrlich, damit ist eine
tiefere, primärere
Empfindung unserer Seele ausgelöst, eine kräftiger
tönende Saite unseres Gemüts
angeschlagen, als es je das "Schöne" oder
"Künstlerische" im Sinne
unserer historischen Vorstellung dieser Begriffe vermöchte. Indem
also die moderne Technik der Baukunst das Gebiet des Monumentalen
erschlossen hat,
braucht uns - uns ängstlichen Philisterpriestern im Tempel der
Stilschönheit - um das
Schöne und Künstlerische nicht bange zu sein. Es wird
sich einstellen. Es wird sich so
gewiß einstellen, als es nichts anderes ist als die
Ratifikation des einmal Gesetzten
(des Gewordenen) durch den daran erbildeten Geschmack, nichts anderes
als der psychische
Reflex auf eine Anzahl nach und nach zu festen Empfindungen
verdichteter neuer Reize, -
vulgo: die Anerkennung des Gewohnten. So hätten wir denn erkannt,
indem wir in der
Monumentalität ein dem festgelegten
Schönen, dem Schönen im stilistischen oder
historischen Sinne voraufgehendes Merkmal der
Baukunst aufdeckten, daß es einerseits ebensosehr falsch ist,
für die Stilkunst
Monumentalität als eines ihrer Privilegien in Anspruch zu
nehmen, als es anderseits
gewiß ist, daß jede Kunst - und also auch die
moderne - den Keim des Monumentalen in
sich schließt - in sich schließt, soferne nur jene
Elemente in ihr gelegen sind, die wir
als die Grundlage der Monumentalität wahrnahmen. Ganz
besonders sogar werden wir die
Prognose der modernen Kunst dahin stellen können,
daß ihr - ihren Elementen nach zu
schließen - Monumentalität in hohem Maße
eignet. Aber freilich wollen wir, dies
einzusehen, nicht vergessen, daß in der Baukunst
stärker vielleicht als auf einem
anderen Gebiete menschlichen Schaffens das
Entwicklungsgemäße, Werdende ihres Wesens den
Ausschlag gibt, daß mit dem Fertigen das Kommende, mit
Gewordenem das Werdende messen,
dieses nach jenem beurteilen zu wollen, ein verhängnisvoller
Fehler ist, der Ungereimtes
anstrebt und uns an die sonderbaren Kapriolen jenes Mannes erinnert,
welcher sich
abmühte, seinen Schatten gegen das Licht zu werfen.
F. v. Feldegg |