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Autor: Eitelberger von Edelberg, Rudolf
In: Deutsche Bauzeitung - 6 (1872); S. 10 - 12
 
Die Renaissance in Wien
 
Aus der Neuen freien Presse.*

*) Wir entnehmen den als Glaubensbekenntniss eines der ersten Wortführer der Wiener Renaissance interessanten Artikel der Neuen freien Presse, selbstverständlich ohne damit die Ausführungen desselben vollständig zu vertreten. Wir wollen vielmehr durch den Abdruck zunächst Gelegenheit gewinnen, bei einer Besprechung desselben Themas unserseits an dieses Schriftstück anknüpfen zu können.

D. Red.


"I m  e i g e n e n  H a u s e  a u f  e i g e n e n  F ü s s e n!"  Von diesen Worten nahm Direktor v. Eitelberger in einem bei Eröffnung der Vorlesungen im neuen Museumsgebäude gehaltenen Vortrage den Ausgangspunkt zunächst zu einer eingehenden Besprechung des heutigen Zustandes der Kunstgewerbe in Oesterreich, die sich sowohl bei der dekorativen Ausschmückung dieses ihrer Förderung gewidmeten Gebäudes, als in der gleichzeitig eröffneten Ausstellung in glänzender Weise entfaltet und als fast vollständig auf eigenen Füssen stehend erwiesen haben. Auf eigenen Füssen, und zwar als eine Frucht selbstständigen künstlerischen Schaffens, steht jedoch, wie weiter entwickelt wurde, nicht nur das Kunstgewerbe in Oesterreich, sondern auch der wichtigste Zweig der bildenden Künste, die Architektur, welche berufen ist, die Schwesterkünste Malerei und Skulptur und das Kunstgewerbe zur Mitwirkung an ihren Werken heranzuziehen und vereint mit ihnen den Eindruck vollendeter Kunstwerke hervorzurufen. Die Stadtanlagen des modernen Wien sind die glänzendste Frucht einer selbstständigen geistigen Arbeit der Kaiserstadt; sie haben keinen fremdländischen Charakter, sie sind spezifisch wienerisch: sie haben etwas von dem heiteren, leichtlebigen und genusssüchtigen Wienerthum an sich. An manchen dieser Bauten haben viele Nichtwiener, auch Ausländer gearbeitet; fremdartige Gedanken, Berlinisches, Münchnerisches, selbst Französisches klingt hie und da durch; aber im Ganzen und Grossen dominirt der lokale Typus, und die Architekten, die von auswärts gekommen sind, waren bald genötigt, sich dem eigenartigen Kunstgenius zu fügen, der unsere Donaustadt baulich dominirt. Damit soll nicht gesagt sein, dass Alles gut ist, was hier geschaffen wurde, auch nicht verschwiegen werden, dass von auswärts glänzende Ideen hereingebracht worden sind: es soll damit nur angedeutet sein, dass die Kraft, die eigenen Impulsen folgt, hier keine geringe ist, und dass ein grosser Theil derjenigen, welche als Künstler baulich schaffen sich, seiner Zielpunkte klar bewusst ist. Die Renaissance hat hier entschieden gesiegt, aber in ganz anderer Richtung, als es in Berlin und Paris der Fall ist.

Die französische Renaissance-Bewegung ist spezifisch national; sie ist geistreich durch und durch: in Paris selbst ist sie begünstigt durch das eigenthümlich reiche, prachtvolle Baumaterial, das sich in der nächsten Nähe von Paris in grosser und vorzüglicher Masse befindet; aber sie hat keine Elemente in sich, um das Volk für ideale Aufgaben der Kunst zu erziehen; sie fördert wenig die Malerei und die Skulptur und ist selbst in ihren reinsten Formen nicht frei von einem barocken Beigeschmacke. Sie nimmt daher in der Geschichte der europäischen Zivilisation, insbesondere der italienischen Renaissance gegenüber, eine untergeordnete Stellung ein. Daher haben sich auch alle hervorragenden Architekten der Gegenwart, deren Organ feinfühlig genug war, um das geistige Gewicht der verschiedenen Renaissance-Richtungen zu messen, von der Nachahmung der französischen Renaissance ferngehalten: die besseren deutschen Architekten fast insgesamt, welche dem Zuge der humanistischen Bildung des deutschen Volkes folgend, entweder nach Griechenland oder nach Florenz ihre Augen richten. In Berlin ist die Renaissance moderirt durch die Nachklänge der Schinkel'schen Schule. Berlin ist beherrscht durch die Traditionen des modernen Klassizismus, wie ihn Schinkel künstlerisch ausgebildet, Bötticher theoretisch formulirt hat. Dieser tritt im griechischen Gewande auf und will die Formen der griechischen Architektur nicht nachgeahmt, wohl aber dem modernen Leben angepasst haben. Diese Vertiefung in den Geist des Hellenenthums geht Hand in Hand mit den Bestrebungen der gelehrten Humanisten Deutschlands. So lange Schinkel lebte, war diese griechische Renaissance auf deutschem Boden von einem poetischen Hauche durchdrungen. Denn Schinkel wollte nicht, dass die griechischen Formen nachgeahmt, sondern, dass dieselben künstlerisch nachempfunden werden; er wollte kein Geschlecht von Kopisten erzeugen, sondern zu eigener poetischer Schöpfung anregen, und damit dies möglich werde, hat er und seine Schule sich gewissermaassen von der antik-römischen Architektur emanzipirt, die doch selbst nur auf Nachahmung und Verarbeitung griechischer Formen beruhte, und hat die Geister auf die reine Schönheit der griechischen Formen, als den Urquell der Kunst hingewiesen. Aus der Vertiefung in den Geist der griechischen Baukunst sollte die Regeneration der modernen Architektur emporwachsen. Seine Nachfolger gehen zwar noch auf den Wegen Schinkel's, aber ihnen fehlt der Genius, die grosse künstlerische, treibende Kraft des Meisters. Der Purismus der heutigen Berliner Architektur ist schulmässig trocken. Man sieht es den Bauwerken deutlich an, dass sie nach Regeln gemacht sind. Die Nüchternheit, die sich über die Architektur der Kaiserstadt an der Spree ausbreitet, drückt wie ein Alp auf die gesammte Kunst und Kunst-Industrie und kontrastirt stark mit den lebendig bewegten Formen der Renaissance-Bauten in Wien. Ist hier zu wenig Schule, so ist dort zu viel. Wird dort zu wenig versucht, so gehen hier die architektonischen Versucher sehr häufig über die Grenze des Erlaubten. Das poetische Element, die Berechtigung des einzelnen Subjektes wird durch die Regel der Schule in Berlin in den Hintergrund gedrängt, während sie in Wien ihr volles Recht in Anspruch nimmt.

Wir können es daher jeden Tag von ausländischen Architekten, welche unsere Kaiserstadt besuchen und den Bestrebungen unserer Baukünstler in viel höherem Grade gerecht werden als diese selbst, hören, wie poetisch angeregt sie sich durch die bewegten Formen der Wiener Architektur fühlen, wie wohl es ihnen thut, künstlerischen Individualitäten zu begegnen, und wie vortheilhaft Wien sich in dieser Beziehung von Paris und Berlin unterscheide; denn in Berlin und Paris arbeiten die Architekten schablonenhaft, dort nach den Rezepten des modernen Klassizismus, in Paris nach den Schablonen der französischen Renaissance früherer Jahrhunderte. In Wien allerdings droht gegenwärtig auch das Schablonenwesen durch die Baugesellschaften hereinzubrechen; denn mögen diese es auch für sich als einen Vorzug beanspruchen, dass sie schnell Häuser bauen, grosse Stadtviertel mit monströsen Zinshäusern bedecken, so lässt sich nicht leugnen, dass die Architektur als Kunst durch sie auf höchst gefahrvolle Bahnen gelenkt wird. Indem sie fabrikmässig pruduziren, machen sie die ganze jüngere künstlerische Generation gewissermaassen zu geistigen Dienstmännern, die mit Hochdruck arbeiten für Aktionäre, welche so wenig als möglich künstlerische und so viel als möglich pekuniäre Erfolge erzielen wollen. Wo diese baugesellschaftliche Architektur in Wien waltet, sind die Bauten um kein Haar besser, als die Haussmann'schen Boulevards in Paris, ja im Gegentheile noch schlechter. Denn ist die Architektur in Paris in diesen neuen Stadttheilen monoton, ist doch wenigstens vom Standpunkte der Baupolizei viel besser gesorgt, als es bei uns vielleicht der Fall ist. Die Wiener Renaissance im allgemeinen hat, wie gesagt, wenig Schule, aber viel Talent, und dort, wo sie nicht durch die eben charakterisirte Einflussnahme der Baugesellschaften gehemmt ist, liebt sie Gelegenheit zur Entwickelung von Individualitäten. Die Wiener Renaissance lehnt sich grösstentheils an die italienische Renaissance an, hie und da, allerdings sehr vereinzelt und nie ohne fremdartigen Beigeschmack, an altgriechische Kunst. In diesem Anlehnen an Italien und Griechenland folgen unsere Künstler einem gesunden Instinkt, und wir können nur wünschen, dass sie sich in dieser Richtung nicht irre machen lassen.

Denn all unser künstlerischer Fortschritt beruht darauf, dass die geistig reinigende Atmosphäre, die aus Toskana und Hellas zu uns herüberstreift, immer mehr sich verbreitet. Viele Erscheinungen in der Wiener Renaissance klingen noch an mittelalterliche Formen an, und dieses Anklingen an mittelalterliche Formen verleiht einigen Erscheinungen einen ganz eigenen romantischen Reiz, während die selbstständige Gothik in Wien mit dazu beiträgt, den Reichthum der Bauformen zu erhöhen und die Eintönigkeit der Strassen und Plätze zu unterbrechen. Aber der Entwickelung und Fortbildung der Wiener Architektur stehen zwei grosse Hemmnisse entgegen. Eines derselben kommt aus den Kunstkreisen selbst, das andere aus der Gesellschaft. Von Seite der Gesellschaft droht der Kunst Gefahr durch den übertriebenen, oft unverständigen Luxus, der sich mit äusserem Glanz und Schimmer an Stelle reeller, durch Echtheit des Materiales und Schönheit der Formen werthvoller Leistungen begnügt. Dieser Kunst des leeren Scheines wird viel zu viel Geld geopfert; Werke, die nur glänzen aber nicht befriedigen, sind am allerwenigsten geeignet, eine Generation von Handwerkern und Künstlern zur wirklichen Kunst heranzuziehen. Die Schäden, welche der Kunst durch die sozialen Strömungen der Zeit geschlagen werden, muss sich dieselbe übrigens gefallen lassen. Sie sind die Gewitter der geistigen Atmosphäre. Anders ist es mit jenen Schäden, welche unserer Kunstentwickelung durch die Kunst selbst geschlagen werden. Da treten wir aus dem Kreise der sozialen Nothwendigkeit heraus, da gibt es allerdings ein Gebiet, das man beherrschen, das man regeln und leiten kann. Wenn wir in unserem Bau- und Kunstleben die Renaissance wollen, so müssen wir auch die Bedingungen herbeizuführen bemüht sein, unter denen die Renaissance-Bewegung allein einen gedeihlichen Einfluss auf das gesammte Kunstleben ausüben kann. Eine Renaissance aber ist ohne bedeutende Skulptur und Malerei, ohne eine künstlerisch und technisch vollendete Ornamentik ganz haltlos. Bei Renaissance-Bauten kommt es nicht blos darauf an, dass in den Formen der Renaissance gebaut wird, sondern es müssen auch der Bildhauer und der Maler von den Prinzipien und dem Geiste der Renaissance lebendig durchdrungen sein. Sie müssen, das zeigt uns der neue Museumsbau, sich ihres Künstlerthums bewusst sein und geistig schaffend an dem Werke mitarbeiten. Unsere Maler und Bildhauer aber sind, mit geringen Ausnahmen, weit weg von dem, was in einer Zeit, welche die Renaissance will, Maler und Bildhauer leisten sollen. Die hervorragendsten Leistungen der modernen Kunst sind, wie die alljährlichen und die grossen Weltausstellungen zeigen, auf dem Gebiete der Landschaft und des Genres zu suchen: die Renaissance aber braucht Maler, welche die volle menschliche Gestalt beherrschen, die es sich zur Lebensaufgabe machen, in die Geheimnisse ihrer Schönheit einzudringen und die Gestalt, die Schönheit der Linien und der Form zu studieren.

Diese Künstler sind aus unseren Kunstschulen, aus den Lehrsälen der Akademien, aus den Ateliers der grossen Maler, aus den Salons der Ausstellungen fast völlig verschwunden. Die menschliche Gestalt als solche ist im Sinne der alten Renaissance kaum mehr ein Gegenstand des Studiums der Maler von heute. Selbst die Historienmaler studiren kaum mehr die menschliche Gestalt, wie die Maler des sechzehnten Jahrhunderts. Ihre Geschichtsmalerei ist zumeist Kostüm-Malerei. Sie huldigen gleichfalls einer gewissen Art von Naturalismus, sie gleichen jenen Politikern, die in  e i n e m  Athem mit allen Parteien einen Ausgleich anzustreben gewillt sind, mit den Naturalisten und den Koloristen, den Romantikern und den Anhängern des Klassizismus. Aber mit diesen Ausgleichsmalern ist der Renaissancekunst nicht gedient, sie vor Allem braucht Maler einer entschiedenen Schule, und eben diese Schule fehlt fast in ganz Europa. Die heutige Schule erzieht die Künstler zu allem Anderen eher, als zur Kunst des historischen Stiles, zum Kultus der Schönheit, der Verklärung der menschlichen Gestalt. Die kleinen Liebhaber, der Markt, üben dominirenden Einfluss auf unsere grossen Schulen: die Sprache der Monumente geht verloren. Noch trauriger steht es in der Skulptur. In dieser selbst ist in Wien dasjenige beinahe verschwunden, was man überhaupt Schule nennt. Hier schwanken wir zwischen Stilisten der romantischen Schule und zwischen einem namenlosen Naturalismus, der hie und da Routine, aber fast nirgendwo poetische Begabung und entschiedenes Wollen zeigt. Nur einige jüngere Bildlauer machen davon eine Ausnahme und sind bemüht, der Bildhauerei Freunde, der Plastik eine Stellung im Wiener Kunstleben zu erwerben. Und so steht die heutige Renaissance-Architektur ziemlich vereinsamt da. Malerei und Skulptur gehen ihre eigenen Wege und nicht immer die besten. Die Schule selbst lässt sie im Stiche. Nur einige wenige jüngere Maler lehnen sich mit klarem Bewusstsein an die moderne Renaissance-Strömung an. Aber heute empfinden es alle besseren Geister lebhaft, dass die Kunst der Zukunft förmlich gedemütigt und degradirt wird, wenn sie nicht wieder den grossen Stil zum Ausgangspunkte der Kunststudien macht; dass es ganz unmöglich wird, eine Renaissance durchzuführen, so lange wir eine Maler-Generation haben, die in den geistigen Bestrebungen nicht weiter geht, als es jene sind, die seit Jahren schon auf den internationalen Ausstellungen zum Ausdrucke kommen. Bei allem Aufwande von Geist werden die modernen Renaissance-Bauten nicht jenes freudige Echo in unserer Brust hervorrufen, als es bei den Bauten des 15. und 16. Jahrhunderts der Fall ist, so lange nicht die Schwesterkünste Malerei und Skulptur in gleicher Höhe mit auf dem Schauplatze eintreten. Darum muss unser Augenmerk unverwandt auf jene grosse Kunst blicken, welche die menschliche Gestalt, den Kultus der Schönheit in Form und Linien zu ihrem Prinzipe erhebt. In dieser Beziehung ist die Herstellung grosser monumentaler Bauten von eminenter Bedeutung, und da die Stadterweiterung Wiens jetzt bis zu dem Punkte gediehen ist, wo grosse monumentale Hof- und Staatsbauten in Angriff genommen werden können, so blicken wir mit Spannung in die Zukunft. So lange die österreichische Monarchie existiert, ist das Kunstleben Wiens nie vor einer hoffnungsreicheren Aera gestanden. An den Neubau der Akademie der bildenden Künste wird bereits Hand angelegt, die Hofmuseen und das Hoftheater werden neu gebaut, der Stadthausbau ist gesichert, für den Universitätsbau werden demnächst die Detailpläne gearbeitet - sämmtlich Bauten, an welche die höchsten Anforderungen gestellt werden müssen. Die hervorragendsten Künstler deutsch-oesterreichischer Nation sind bei diesen Bauten betheiligt; keines von diesen Gebäuden ist ein Bedürfnissbau im gewöhnlichen Sinne des Wortes; nirgendwo ist eine Ueberstürzung nöthig, überall eine stilgerechte Durchführung Grundbedingung des Gelingens des Baues. Darum dürfen wir hoffen und erwarten, dass Malerei und Bildhauerei bei diesen Bauten nicht als Nothbehelfe hinzugezogen werden, sondern dass man den besten Bildhauern und den besten Malern Gelegenheit geben wird, zum Schmucke dieser Monumentalbauten Werke im grossen Stile zu schaffen.