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Autor: Ebe, Gustav
In: Deutsche Kunst und Dekoration - 9 (1901 - 02); S. 267 - 274
 
Versuche in moderner Bau-Ornamentik
 
Den Schwester-Künsten ungleich, Malerei und Skulptur, setzt die Architektur für ihre Schöpfungen keine Natur-Vorbilder voraus, wenigstens nicht im gleichen Sinne wie jene, vielmehr bildet der architektonische Raum mit seinen wesentlichen Gliederungen von Wand, Frei-Stützen und Decke eine freie Erfindung des Menschen-Geistes, die einzig durch die Festigkeit der Bau-Stoffe und die Wirkungen der Schwerkraft in ihren Abmessungen beschränkt wird. Zugleich aber macht sich in jedem Architektur-Werke von monumentaler Bedeutung ein geistiges, vom Urheber hineingelegtes Element geltend, nämlich der mit unaufhaltsamer Notwendigkeit wirkende künstlerische Gestaltungs-Trieb. Gleich einer Ahnung von dem strengen, weltbauenden Gesetze, welches geheimnisvoll die ganze Materie durchdringt, ist der Drang zum Formen der Menschen-Seele unauslöschlich eingeimpft. - Alles Körperliche in der Natur zeigt das Bestreben, namentlich im Übergange vom flüssigen zum festen Aggregat-Zustande, sich nach zu einander in mathematischen Verhältnissen stehenden Achsenbezügen und Maßen zu ordnen, welche sowohl die Schwerkraft als die zur Kugel-Form drängende Attraktion der Moleküle besiegen. Im Unorganischen können wir diesen Vorgang in unzähligen Fällen, von der Schneeflocke bis zu den Basalt-Säulen und zu dem regelmässigen, die Gebirgs-Massen durchsetzenden Gegitter verfolgen; im Organischen finden wir die lebende Zelle, welche jedem Aufbau pflanzlicher oder tierischer Art zu Grunde liegt. In dieser bei jeder gegebenen Möglichkeit der Umformung hervortretenden Nötigung des Stoffes zur Annahme einer geregelten Form, waltet ein ebenso unumstössliches Natur-Gesetz, wie das von der Erhaltung der Kraft, und ist vielleicht noch höherer Ordnung als dieses, da es Geist und Materie gleichzeitig angeht, beide zu einer Einheit verknüpft und für den Menschen zur Ursache des Kunst-Schaffens wird.

Ebe_Bau-Ornamentik1.gif (107246 Byte) C. M. REBEL-BERLIN. »Ritter auf Wacht«

Die Unabhängigkeit von einem Natur-Vorbilde, welche für das eigentliche Bau-Gerüst ersichtlich ist, erleidet allerdings eine Ausnahme in der baulichen Ornamentik, welche die Bestimmung hat, den Gliederungen Ausdruck und Sprache zu verleihen, und deshalb keineswegs als ein beiläufiger, rein zum Ergötzen des Auges dienender Schmuck aufgefasst werden darf. Wenn nun das Bau-Ornament grösstenteils seine Motive aus der Natur entnimmt, so erleiden dieselben doch stets, und vorzugsweise in den Blüte-Zeiten der Kunst, eine starke Umbildung oder Stilisierung, welche sie erst ganz geeignet macht, den Forderungen der Monumentalität zu entsprechen; sie erstreben eine scheinbare Natur-Wahrheit. - Die Notwendigkeit, dem Auge ein auch in grösserer Entfernung deutlich erkennbares Bild zu liefern, fordert vor allem einen vergrösserten Maßstab des darzustellenden Gegenstandes; der für die Ausführung gewählte gröbere Bau-Stoff und ebenso die harmonische Einfügung in das Architektur-Bild verlangt zugleich die Unterdrückung mancher Einzelheiten. Zweifellos ist es dem Bildner, namentlich dem plastischen, unmöglich, die Feinheit einer Blüte, ihren Farbenschmelz, ihre Staubfäden, die Zartheit des Rippengewebes eines Blattes, das weiche Gefieder eines Vogels, die Behaarung eines Tier-Körpers oder gar die wechselvollen Übergänge der Epidermis des Menschen in der Nachbildung zu erreichen; aber mit solchen Mitteln will der Künstler auch gar nicht wirken; er gibt zwar nur eine Abkürzung der Natur-Erscheinung, verbindet sie aber mit gedanklichem Inhalt und erhebt sie in das Reich dauernder Stimmung und Schönheit. Man darf wohl sagen: je näher das Ornament dem Scheine der Wirklichkeit kommt, desto mehr verfehlt es seinen Zweck, als Symbol einer Idee oder als Verkörperung für den Ausdruck des Spieles statischer Kräfte erschöpfend dienen zu können.

Ebe_Bau-Ornamentik (456272 Byte) CARL MAX REBEL-BERLIN. »TRISTAN UND ISOLDE«. ÖL-GEMÄLDE
Ebe_Bau-Ornamentik(229789 Byte) CARL MAX REBEL-BERLIN. »DER SIEGER«. (1901)
Ebe_Bau-Ornamentik (99519 Byte) CARL MAX REBEL-BERLIN. »Der Ritter Zendelwald«

Aus den oben angeführten Gründen wird es verständlich, weshalb die sich dem Stilisieren so bequem darbietenden sogenannten Lotus- und Akanthus-Formen eine durch Jahrtausende dauernde, von einem Volke zum anderen übertragene Herrschaft in der pflanzlichen Monumental-Ornamentik bewahren konnten. Jedenfalls war es eine Verschlechterung des Geschmackes und ein Zeichen des abgeschwächten Gefühls für echte Monumentalität, wenn seit der hellenistisch-kleinasiatischen Epoche Wein-Laub mit Trauben und dergl. in naturalistischer Wiedergabe plastisch an den Friesen und den Kapitellen der Säulen und Pfeiler erschienen.

Ebe_Bau-Ornamentik(440562 Byte) CARL MAX REBEL-BERLIN. »ANDANTE«. ÖL-GEMÄLDE

Erst die fortgeschrittene Gotik, welche den pflanzlichen Schmuck nicht mehr mit der Kern-Form der Gliederung unlöslich verband, sondern denselben rein äusserlich angeheftet zeigte, - besonders auffallend an den Blatt-Kränzen der Kapitelle - konnte, unbeschadet der monumentalen Wirkung, einer mehr naturalistischen Richtung huldigen, und wählte nun als Vorbilder die naheliegenden heimischen Pflanzen-Formen. Bald aber brachte das Bedürfnis einer derberen, malerischen Schatten-Wirkung zur Belebung der starren Architektur-Linien die kräftig herausgetriebenen Bossen hervor, welchen dann das Blatt nur noch zur leichten Umhüllung diente, und welche dann endlich den Karakter des pflanzlichen Ursprungs der Verzierung fast ganz verwischten. - Die nordische Renaissance ergab sich mindestens im Schmuck der neutralen Flächen einem ungezügelten Naturalismus, während sich die italienische Renaissance in diesem Punkte mässiger verhielt, und allenfalls im Anschlusse an die Antike bogenförmig geschlungene Gehänge von Blumen und Früchten, die sogenannten Festons, mit Vorliebe anordnete. Eine Form der nordischen Renaissance, namentlich in der von den Niederlanden ausgehenden Auffassung, fand einen Ersatz für die verloren gegangene architektonische Strenge in der Verknüpfung des Pflanzen-Ornaments mit scharf geschnittenen, an Metall-Bleche erinnernden, durchsteckten und an den Ecken aufgerollten Rahm-Teilen, in dem sogenannten Beschläge-Ornament. In Verfolg derselben Richtung entstand die Kartusche als neue Rahm-Form, anfangs mehr den harten Holz-Formen ensprechend, später, im Barock-Stil, von vornherein Leder-Karakter annehmend. Schliesslich erfand das Rokoko den selbständigen, keinen Inhalt umschliessenden Rahmen und schmückte denselben mit schilfartig langgezogenem Akanthus-Blattwerk, Muscheln und tropfsteinartigen Gebilden, aber auch mit Blumen und Blättern, die bei aller Naturtreue doch immer noch einen gewissen Grad von Stilisierung zeigen. Der ausgeprägte Naturalismus tritt erst im Stil Ludwigs XVI. auf, allerdings nur in der Flächen-Dekoration der Innen-Räume.

Ebe_Bau-Ornamentik(105873 Byte) CARL MAX REBEL-BERLIN. »In Sehnsucht«
Ebe_Bau-Ornamentik (475688 Byte) CARL MAX REBEL-BERLIN. »FRANCESCA DA RIMINI« (1899)

Aus den obigen kurzen Andeutungen lassen sich immerhin einige wichtige, das Verhältnis der künstlerischen Darstellung zur Natur-Nachahmung betreffende Schlüsse ziehen. Ersichtlich will die Kunst der besten Perioden den Anschein der Natur-Wirklichkeit, die sie ja doch, wie schon oben gesagt, in ihrer Feinheit und Ausführlichkeit niemals erreichen könnte, absichtlich vermeiden, und setzt an Stelle derselben den Ausdruck einer Idee. Ein treffendes Beispiel für dieses Bestreben gibt der Gegensatz einer zum Kunst-Werk erhobenen Erz- oder Marmor-Statue zu einer das Leben umfassenden, bemalten Wachs-Figur. Ebenso wie die Plastik hat sich die Malerei eine eigene Sprache erfinden müssen, um das körperlich Runde und die Raum-Verhältnisse mittelst Linien und Pigmenten auf die Fläche zu bannen; sie tritt schon wegen dieser Abstraktion in einen bewussten tiefen Gegensatz zur Natur-Erscheinung, abgesehen von dem Ideen- und Stimmungs-Gehalt. Um den Unterschied einer künstlerischen Darstellung von der Nachahmung des realen Lebens, und die Vorzüge jener vor dieser zu begreifen, ist allerdings ein feinerer Sinn erforderlich, der nicht immer vorhanden ist, und schon im Altertume gelegentlich gefehlt zu haben scheint, wie es einerseits die altägyptischen bemalten Kalkstein-Figuren mit den eingesetzten Krystall-Augen und bronzenen Wimpern und andererseits manche von den Schriftstellern der Antike überlieferte Historien beweisen, u. a. die von der Belebung einer Marmorstatue durch ihren Bildner, Pygmalion. Kommen wir nun zu der modernen Richtung in der Bau-Ornamentik, welche hier eigentlich zur Erörterung steht, so kann man zunächst die Bemerkung nicht unterdrücken, dass es eine Art von Armuts-Zeugnis für die abendländische Erfindungs-Kraft bedeutet, wenn der Umschwung zum Neuen nur durch Anlehnung an ostasiatische, speziell japanische Formen erreicht werden konnte, wie das thatsächlich der Fall gewesen ist. Man war wohl im Rechte, wenn man die ewigen Wiederholungen der rollenden Akanthus-Ranke sowie der Palmen-Schauhäuser müde geworden war und ebenso gerne auf den weiteren Gebrauch der für das moderne Verständnis nichts bedeutenden antiken Fabel-Tiere, der Greifen, Sphinxe und Meerwesen, auch der so oft an unrechter Stelle angewendeten Satyr-Fratzen, Löwen-Masken u. a. verzichten wollte. -

Was jedoch ein Bedenken gegen die allgemeine Richtung der neuen Ornamentierungsweise hervorrief, war der allzu häufige Verzicht auf den Ausdruck statischen Lebens in den stützenden und getragenen Bau-Gliedern, der sich stets in den antiken und den von diesen abgeleiteten späteren Bau-Stilen findet. Die diesem Zwecke vorzugsweise dienenden Lotus- und Akanthus-Formen an den Kapitellen, Hals-, Bogen- und Architrav-Gliederungen, sowie an den gürtenden und bekrönenden Gesimsen fanden keinen genügenden Ersatz durch die von der »Moderne« eingeführten Formen. Ein Serpentin-Tanz bizarrer Linien, ein Anheften naturalistisch gebildeter Baumzweige an willkürlich gewählten Stellen oder die Wiedergabe der aus dem altnordischen Formenschatze hervorgesuchten, für uns ebenfalls bedeutungslosen, fantastischen Band- und Tier-Geschlinge, kann nicht für die verloren gegangene monumentale Ausgestaltung der Schmuck-Formen entschädigen.

(Schluss folgt)


Ebe_Bau-Ornamentik4_1(62890 Byte) CARL MAX REBEL-BERLIN: »Schiffe in der Abend-Sonne«