Den Schwester-Künsten ungleich, Malerei und
Skulptur, setzt die Architektur für ihre Schöpfungen
keine Natur-Vorbilder voraus,
wenigstens nicht im gleichen Sinne wie jene, vielmehr bildet der
architektonische Raum mit
seinen wesentlichen Gliederungen von Wand, Frei-Stützen und
Decke eine freie Erfindung
des Menschen-Geistes, die einzig durch die Festigkeit der Bau-Stoffe
und die Wirkungen der
Schwerkraft in ihren Abmessungen beschränkt wird. Zugleich
aber macht sich in jedem
Architektur-Werke von monumentaler Bedeutung ein geistiges, vom Urheber
hineingelegtes
Element geltend, nämlich der mit unaufhaltsamer Notwendigkeit
wirkende künstlerische
Gestaltungs-Trieb. Gleich einer Ahnung von dem strengen, weltbauenden
Gesetze, welches
geheimnisvoll die ganze Materie durchdringt, ist der Drang zum Formen
der Menschen-Seele
unauslöschlich eingeimpft. - Alles Körperliche in der
Natur zeigt das Bestreben,
namentlich im Übergange vom flüssigen zum festen
Aggregat-Zustande, sich nach zu
einander in mathematischen Verhältnissen stehenden
Achsenbezügen und Maßen zu ordnen,
welche sowohl die Schwerkraft als die zur Kugel-Form drängende
Attraktion der Moleküle
besiegen. Im Unorganischen können wir diesen Vorgang in
unzähligen Fällen, von der
Schneeflocke bis zu den Basalt-Säulen und zu dem
regelmässigen, die Gebirgs-Massen
durchsetzenden Gegitter verfolgen; im Organischen finden wir die
lebende Zelle, welche
jedem Aufbau pflanzlicher oder tierischer Art zu Grunde liegt. In
dieser bei jeder
gegebenen Möglichkeit der Umformung hervortretenden
Nötigung des Stoffes zur Annahme
einer geregelten Form, waltet ein ebenso unumstössliches
Natur-Gesetz, wie das von der
Erhaltung der Kraft, und ist vielleicht noch höherer Ordnung
als dieses, da es Geist und
Materie gleichzeitig angeht, beide zu einer Einheit verknüpft
und für den Menschen zur
Ursache des Kunst-Schaffens wird.
C. M.
REBEL-BERLIN. »Ritter auf Wacht«
Die Unabhängigkeit von einem Natur-Vorbilde,
welche für das eigentliche Bau-Gerüst ersichtlich
ist, erleidet allerdings eine Ausnahme
in der baulichen Ornamentik, welche die Bestimmung hat, den
Gliederungen Ausdruck und
Sprache zu verleihen, und deshalb keineswegs als ein
beiläufiger, rein zum Ergötzen des
Auges dienender Schmuck aufgefasst werden darf. Wenn nun das
Bau-Ornament grösstenteils
seine Motive aus der Natur entnimmt, so erleiden dieselben doch stets,
und vorzugsweise in
den Blüte-Zeiten der Kunst, eine starke Umbildung oder
Stilisierung, welche sie erst ganz
geeignet macht, den Forderungen der Monumentalität zu
entsprechen; sie erstreben eine
scheinbare Natur-Wahrheit. - Die Notwendigkeit, dem Auge ein auch in
grösserer Entfernung
deutlich erkennbares Bild zu liefern, fordert vor allem einen
vergrösserten Maßstab des
darzustellenden Gegenstandes; der für die Ausführung
gewählte gröbere Bau-Stoff und
ebenso die harmonische Einfügung in das Architektur-Bild
verlangt zugleich die
Unterdrückung mancher Einzelheiten. Zweifellos ist es dem
Bildner, namentlich dem
plastischen, unmöglich, die Feinheit einer Blüte,
ihren Farbenschmelz, ihre Staubfäden,
die Zartheit des Rippengewebes eines Blattes, das weiche Gefieder eines
Vogels, die
Behaarung eines Tier-Körpers oder gar die wechselvollen
Übergänge der Epidermis des
Menschen in der Nachbildung zu erreichen; aber mit solchen Mitteln will
der Künstler auch
gar nicht wirken; er gibt zwar nur eine Abkürzung der
Natur-Erscheinung, verbindet sie
aber mit gedanklichem Inhalt und erhebt sie in das Reich dauernder
Stimmung und
Schönheit. Man darf wohl sagen: je näher das Ornament
dem Scheine der Wirklichkeit
kommt, desto mehr verfehlt es seinen Zweck, als Symbol einer Idee oder
als Verkörperung
für den Ausdruck des Spieles statischer Kräfte
erschöpfend dienen zu können.
CARL MAX
REBEL-BERLIN. »TRISTAN UND ISOLDE«.
ÖL-GEMÄLDE
CARL MAX
REBEL-BERLIN. »DER SIEGER«. (1901)
CARL MAX
REBEL-BERLIN. »Der Ritter Zendelwald«
Aus den oben angeführten Gründen wird es
verständlich, weshalb die sich dem Stilisieren so bequem
darbietenden sogenannten Lotus-
und Akanthus-Formen eine durch Jahrtausende dauernde, von einem Volke
zum anderen
übertragene Herrschaft in der pflanzlichen
Monumental-Ornamentik bewahren konnten.
Jedenfalls war es eine Verschlechterung des Geschmackes und ein Zeichen
des
abgeschwächten Gefühls für echte
Monumentalität, wenn seit der
hellenistisch-kleinasiatischen Epoche Wein-Laub mit Trauben und dergl.
in naturalistischer
Wiedergabe plastisch an den Friesen und den Kapitellen der
Säulen und Pfeiler erschienen.
CARL MAX
REBEL-BERLIN. »ANDANTE«.
ÖL-GEMÄLDE
Erst die fortgeschrittene Gotik, welche den
pflanzlichen Schmuck nicht mehr mit der Kern-Form der Gliederung
unlöslich verband,
sondern denselben rein äusserlich angeheftet zeigte, -
besonders auffallend an den
Blatt-Kränzen der Kapitelle - konnte, unbeschadet der
monumentalen Wirkung, einer mehr
naturalistischen Richtung huldigen, und wählte nun als
Vorbilder die naheliegenden
heimischen Pflanzen-Formen. Bald aber brachte das Bedürfnis
einer derberen, malerischen
Schatten-Wirkung zur Belebung der starren Architektur-Linien die
kräftig
herausgetriebenen Bossen hervor, welchen dann das Blatt nur noch zur
leichten Umhüllung
diente, und welche dann endlich den Karakter des pflanzlichen Ursprungs
der Verzierung
fast ganz verwischten. - Die nordische Renaissance ergab sich
mindestens im Schmuck der
neutralen Flächen einem ungezügelten Naturalismus,
während sich die italienische
Renaissance in diesem Punkte mässiger verhielt, und allenfalls
im Anschlusse an die
Antike bogenförmig geschlungene Gehänge von Blumen
und Früchten, die sogenannten
Festons, mit Vorliebe anordnete. Eine Form der nordischen Renaissance,
namentlich in der
von den Niederlanden ausgehenden Auffassung, fand einen Ersatz
für die verloren gegangene
architektonische Strenge in der Verknüpfung des
Pflanzen-Ornaments mit scharf
geschnittenen, an Metall-Bleche erinnernden, durchsteckten und an den
Ecken aufgerollten
Rahm-Teilen, in dem sogenannten Beschläge-Ornament. In Verfolg
derselben Richtung
entstand die Kartusche als neue Rahm-Form, anfangs mehr den harten
Holz-Formen
ensprechend, später, im Barock-Stil, von vornherein
Leder-Karakter annehmend.
Schliesslich erfand das Rokoko den selbständigen, keinen
Inhalt umschliessenden Rahmen
und schmückte denselben mit schilfartig langgezogenem
Akanthus-Blattwerk, Muscheln und
tropfsteinartigen Gebilden, aber auch mit Blumen und Blättern,
die bei aller Naturtreue
doch immer noch einen gewissen Grad von Stilisierung zeigen. Der
ausgeprägte Naturalismus
tritt erst im Stil Ludwigs XVI. auf, allerdings nur in der
Flächen-Dekoration der
Innen-Räume.
CARL MAX
REBEL-BERLIN. »In Sehnsucht«
CARL MAX
REBEL-BERLIN. »FRANCESCA DA RIMINI« (1899)
Aus den obigen kurzen Andeutungen lassen sich
immerhin einige wichtige, das Verhältnis der
künstlerischen Darstellung zur
Natur-Nachahmung betreffende Schlüsse ziehen. Ersichtlich will
die Kunst der besten
Perioden den Anschein der Natur-Wirklichkeit, die sie ja doch, wie
schon oben gesagt, in
ihrer Feinheit und Ausführlichkeit niemals erreichen
könnte, absichtlich vermeiden, und
setzt an Stelle derselben den Ausdruck einer Idee. Ein treffendes
Beispiel für dieses
Bestreben gibt der Gegensatz einer zum Kunst-Werk erhobenen Erz- oder
Marmor-Statue zu
einer das Leben umfassenden, bemalten Wachs-Figur. Ebenso wie die
Plastik hat sich die
Malerei eine eigene Sprache erfinden müssen, um das
körperlich Runde und die
Raum-Verhältnisse mittelst Linien und Pigmenten auf die
Fläche zu bannen; sie tritt
schon wegen dieser Abstraktion in einen bewussten tiefen Gegensatz zur
Natur-Erscheinung,
abgesehen von dem Ideen- und Stimmungs-Gehalt. Um den Unterschied einer
künstlerischen
Darstellung von der Nachahmung des realen Lebens, und die
Vorzüge jener vor dieser zu
begreifen, ist allerdings ein feinerer Sinn erforderlich, der nicht
immer vorhanden ist,
und schon im Altertume gelegentlich gefehlt zu haben scheint, wie es
einerseits die
altägyptischen bemalten Kalkstein-Figuren mit den eingesetzten
Krystall-Augen und
bronzenen Wimpern und andererseits manche von den Schriftstellern der
Antike überlieferte
Historien beweisen, u. a. die von der Belebung einer Marmorstatue durch
ihren Bildner,
Pygmalion. Kommen wir nun zu der modernen Richtung in der Bau-Ornamentik, welche
hier eigentlich zur
Erörterung steht, so kann man zunächst die Bemerkung
nicht unterdrücken, dass es eine
Art von Armuts-Zeugnis für die abendländische
Erfindungs-Kraft bedeutet, wenn der
Umschwung zum Neuen nur durch Anlehnung an ostasiatische, speziell
japanische Formen
erreicht werden konnte, wie das thatsächlich der Fall gewesen
ist. Man war wohl im
Rechte, wenn man die ewigen Wiederholungen der rollenden Akanthus-Ranke
sowie der
Palmen-Schauhäuser müde geworden war und ebenso gerne
auf den weiteren Gebrauch der für
das moderne Verständnis nichts bedeutenden antiken
Fabel-Tiere, der Greifen, Sphinxe und
Meerwesen, auch der so oft an unrechter Stelle angewendeten
Satyr-Fratzen, Löwen-Masken
u. a. verzichten wollte. -
Was jedoch ein Bedenken gegen die allgemeine Richtung der neuen
Ornamentierungsweise
hervorrief, war der allzu häufige Verzicht auf den Ausdruck
statischen Lebens in den
stützenden und getragenen Bau-Gliedern, der sich stets in den
antiken und den von diesen
abgeleiteten späteren Bau-Stilen findet. Die diesem Zwecke
vorzugsweise dienenden Lotus-
und Akanthus-Formen an den Kapitellen, Hals-, Bogen- und
Architrav-Gliederungen, sowie an
den gürtenden und bekrönenden Gesimsen fanden keinen
genügenden Ersatz durch die von
der »Moderne« eingeführten Formen. Ein
Serpentin-Tanz bizarrer Linien, ein Anheften
naturalistisch gebildeter Baumzweige an willkürlich
gewählten Stellen oder die
Wiedergabe der aus dem altnordischen Formenschatze hervorgesuchten,
für uns ebenfalls
bedeutungslosen, fantastischen Band- und Tier-Geschlinge, kann nicht
für die verloren
gegangene monumentale Ausgestaltung der Schmuck-Formen
entschädigen.
(Schluss folgt)
CARL MAX
REBEL-BERLIN: »Schiffe in der Abend-Sonne« |