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Autor: Boetticher, Carl
In: Wiener Allgemeinen Bauzeitung; Berlin (1846); (gedruckt bei J. Petsch; im Verlag von L. Förster in Wien); S. 2 - 29
 
Das Princip der Hellenischen und Germanischen Bauweise hinsichtlich der Übertragung in die Bauweise unserer Tage
 
hinsichtlich der Uebertragung in die Bauweise unserer Tage.
Rede an der Geburtstagsfeier SCHINKELS am 13. März 1846,
im Kreise der Festversammlung gelesen von Carl Boetticher.

Es bedarf hier nicht erst der Bevorwortung dass wir unter Wissenschaft der alten Baukunst keineswegs die Kenntniss ihrer überkommenen Werke und Kunstformen schlechthin verstehen, sondern, dieses vielmehr schon vorausgesetzt, nur in die Erkenntniss des Wesens und ursprünglichen Begriffes der in diesen Bildungen Körper und Kunstform gewonnen hat, einzig und allein das Kriterion ihrer Wissenschaft setzen können. Wenden wir aber den Blikk auf Wohlthaten die uns durch die schaffende Thätigkeit Schinkels geworden sind, so wird es sich von selbst verstehen dass jedes Mal da wo man sich derselben erinnert stets auch derjenigen Edlen nachrühmend gedacht werden müsse durch deren Geist vordem der seinige genährt, gebildet und gezeitigt wurde. Unter diesen werden wir insbesondere dankbar den Namen jenes hochsinnigen Staatsmannes und Gelehrten nennen dürfen der einst zur Zeit der höchsten Noth ein Hort Schinkels ward, ihn uns für das erhielt wozu er berufen war und durch sein Wohlwollen allein ihm den Pfad bereitete auf dem er unbeschwert von der Bürde weltlicher Sorge seinen Genius in ungetrübter Lauterkeit und Freiheit entfalten konnte. Solchen bereits hinübergegangenen Männern wie einem Wilhelm von Humboldt, Hirt, Niebuhr und Anderen gilt die Spende des Dankes auch heute. Endlich werden wir uns auch bei der Betrachtung solcher Verhältnisse aller eingeschränkten Vorliebe für den grossen Künstler so enthalten müssen wie es seiner Würde als eines Mannes entspricht der ein Moment in der Kunstgeschichte dasteht; auf dass man uns nicht der Parthei oder der Kurzsichtigkeit zeihen und dereinst sagen dürfe: weil in einer einseitigen Erkenntniss seiner das Urtheil der Zeitgenossen befangen gewesen, sei das folgende Geschlecht genöthigt worden erst die veruntreuete Kunstgeschichte in ihrer Integrität wiederherzustellen, um den Standpunkt zu unbefangener und gerechter Würdigung des Mannes aufzufinden. Um daher historischer Seits der Wahrheit die Ehre zu geben, würden wir hier vor Allem auch gedrungen sein auf einen Namen hinzudeuten dessen Träger zum Heile des Vaterlandes noch heute dieselbe Frucht des Kunstsegens im Geschlechte verbreitet die er vordem durch Schinkels Hand in jenen Werken ausstreuete in welchen ein fürstlicher Sinn selbst der sterilen ländlichen Natur das Siegel des Edelschönen aufprägte und eine Wüstenei zu hesperischen Gärten umschuf. Den Urheber dieser Werke, von dem Schinkel selbst das denkwürdige Wort sprach „dass er Ihn, wenn ein solches Verhältniss hätte statt finden können, als den ersten lebenden Architekten würde anerkennen müssen" — würden wir zu nennen gezwungen sein, wenn anders nicht eine höchste Ehrfurcht dem Munde jetzt noch ein schikkliches Schweigen darüber auferlegte. Und doch sind es allein diese Schöpfungen deren Gedanken die strenge Kunst Schinkels werkthätig bewogen den andern Rhythmus anzustimmen, in welchem sie vom Kothurne herabsteigend zur Idylle, zu Hirtenstab und Syrinx griff, um in dem überraschten Wandrer dem dort neben Hippodrom und Piscina, unter dionysischen Laubschirmen am Springquell die Labesitze glükklicher Lebensruhe entgegenwinken, das Verlangen zu erregen: es möchte ihm wohl vergönnt sein hier gleich jenen glükklichen Lotophagen Homers, der Heimkehr ins süsse Vaterland zu vergessen und die Tage in einem ewigen dolce far niente sanft und linde vorüberfliessen zu sehen. Führten uns Schinkels Werke ernsten Styles zur Ahnung der hieratischen Weise hellenischer Baukunst, so haben uns diese Werke welche den Geist virgilischer Georgiken athmen, zuerst jene Wunderwelt römischer Urbanen und Rustiken, die bis dahin nur in schriftlicher Ueberlieferung, Sagen gleich lebten, in Wirklichkeit schauen und kennen lehren. Und zu welcher Stufe der Erkenntniss alten Lebens in der Kunst sind wir nicht durch sie in drei kurzen Decennien geführt worden? Was hat aber die Kunst auch für eine höhere Aufgabe als dass sie die Pulse des Lebens durchdringe und die Sehnsucht nach dem Edlen und Schönen im Geschlechte erwekke? Erst dann wird das Werk des Künstlers zum Mittel der Ethik. Spricht sich schon im Bedürfnisse die Stufe der sittlichen Höhe, der Bildungszustand eines Geschlechtes aus, so giebt das Werk der Architektur welches dieses Bedürfniss erfüllt, der Nachwelt ein Zeugniss von der Bildung des Baumeisters und vom Geiste seines Gründers. Und wenn der Mann unser Lob gewinnt der in seinem Werke dem Bedürfnisse der Zeit genügte, so ist derjenige vor allen zu rühmen der in solchem Werke sich noch über dieses hinaus erhob, mit seinen Gedanken der Zeit voranging und Edleres vorbildend das Geschlecht zu diesen mit hinanzog. Darum sind auch Dichter und Künstler hienieden nicht gesandt damit sie der gemeinen Wirklichkeit fröhnen und in deren Kreise verweilen sollen, sondern sie sind erwählt zu solchem höheren Dienste, in welchem sie unbekümmert um den Beifall oder Tadel der kurzsichtigen Menge das hinausführen müssen was ihnen die Gottheit in das Herz geschrieben. Findet nun jedes grosse Werk der Kunst seinen Ursprung in der Veranlassung, diese aber nur ihren Ursprung in dem Willen dessen der sie setzen konnte, so sind die Werke der Kunst recht eigentlich ein Ruhmesmal und ein bleibendes Zeugniss von dem Geiste ihres Gründers, des Grossen, des Fürsten, der weisen Entschlusses voll so edle Werkzeuge erwählte um den Geist seines Volkes zu erheben und ihn aus dem Kreise des niedern Lebensbedürfnisses zum Edlen und Erhabenen hinan zu führen. An diejenigen nun welche in unseren Tagen den Sinn der Vorzeit zugewendet und die Erkundung des Lebens und Schaffens vergangener Geschlechter in der Kunst als Vorwurf ihrer Thätigkeit erkannt haben, an diese wird so oft von der andern Seite, von den Männern der Zeit oder denen die nur der Gegenwart und ihren Interessen allein leben, die Frage gerichtet: wozu eine solche Thätigkeit führen solle? Was dieses Zurükkwenden zu einer vergangenen Kunstwelt, diese Anknüpfung und Aufnahme ihrer Traditionen, dieses Einleben in dieselben wohl nütze? Ob wohl die grösseste Entdekkung die dort gemacht, der wichtigste Kunstaufschluss der da gewonnen werde, den Nutzen aufwiegen könne den die Lösung und Erfüllung des geringfügigsten Vorwurfes von heute gewähre? Ganz insbesondere aber betreffen solche Einwürfe die Forschungen in der Kunst welche man die Mutter der zeichnenden Künste nennen darf, die Baukunst; und vornemlich diejenige ihrer Weisen die wir unter dem Namen der hellenischen begreifen, die aber in der That nur die gereifte Frucht, das ausgeklärte Resultat aller Bauweisen ist welche, wenn man die Anfänge des Bogenbaues in der römischen Weise ausnimmt, die vorchristlichen Völker insgesammt entwikkelt haben. Man ist geneigt das Zurükkwenden zum Ursprünglichen für eine einseitige oder gelehrte Liebhaberei am Alterthümlichen, das Einleben in seine Traditionen für einen Rükkschritt zu halten der nur gethan werde aus Mangel an eigener Fähigkeit Neues, Zeitgemässes, so zu sagen im fortschreitenden Sinne Gedachtes erzeugen zu können. Seit der Zeit besonders wo sich bei uns die Ansichten über antike und mittelalterliche Bauweise so schroff einander gegenüberzustellen anfingen; hat man über die Frucht und den Nutzen des Studiums dieser beiden sehr verschiedene Urtheile an den Tag gelegt. Gleichwohl sind hierbei nie die Grundursachen berührt worden von denen allein ein jedes Urtheil und ein jeder Vergleich ausgehen kann; denn alle Ansichten für oder wider eine Weise bewegten sich nur um die äussere Schale, um das Schema der baulichen Kunstformen in denen man das Prinzip einer Bauweise zu sehen glaubte. Auf das Wesentliche dagegen im eigentlichen Sinne, auf das woraus die Kunstformen sowie die unterscheidenden Physiognomien aller Bauweisen überhaupt erst entspringen, auf das statische Prinzip und die materiellen Verhältnisse einer jeden ist man niemals recht eingegangen. Und doch kann Letzteres allein nur massgebend für jede Kritik sein. In was für unfruchtbaren und dem eigentlichen Wesen der Sache ganz fern bleibenden Ansichten man sich bis jetzt hierüber ergangen hat ist bekannt. Indem von der einen Seite daher das Schema der antiken Bauweise als das Ideal, als der Gipfelpunkt aller tektonischen Thätigkeit bezeichnet wurde über den hinaus sich keine Kunstweise jemals erheben könne, schloss man die mittelalterliche Bauweise, namentlich die welche das Spitzbogengewölbe bezeichnet, als eine germano- barbarische von ihrem wohlerworbenen Rechte aus und übersah den gewaltigen Schritt den letzteres von der Materie frei gewordene System weitgespannter Raumdekken statischer Seits gemacht hatte, im Vergleiche zu dem statischer Seits dagegen beschränkten Systeme der hellenischen Steinbalkendekke, die an einen gewissen Materialwuchs, an geringe Spannweiten und einseitige Planformen gebunden ist. Von der anderen Seite wurde wie gesagt die hellenische Weise eine fremd eingebrachte genannt, die unseren baulichen Verhältnissen durchaus nicht entspreche und unserem Gefühlskreise so wenig eingänglich sei dass wir ihre Kunstformen gar nicht zu verstehen vermöchten. Aber man ging noch weiter, man legte die Hand auf das Herz und sagte: wir sind nicht Heiden mehr, wie dürfen wir das Sacrilegium begehen und unsere Heiligthümer durch die Formen jener Kunst profaniren? Die Formen für ein christliches Bewustsein hat uns das Mittelalter allein vorgebildet, sie sind es die dasselbe erfüllen, diese nur verstehen wir, dazu sind sie auf unserem Boden erwachsen und unserer Väter Brauch. Als ob in der Kunst Formen in denen eine ewig gültige Wahrheit für alle Geschlechter dieser Erde ausgesprochen ist, jemals bloss heidnische oder christliche, hellenische oder germanische sein könnten! Wurde solchermassen nur eine Weise als die allein wahre und gültige hingestellt, die andere aber negirt, und somit von beiden Seiten her je eine Hälfte der Kunstgeschichte aufgehoben, so bezeugte dies offenbar dass man weder zur Erkenntniss derjenigen die man annehmen, noch zur Erkenntniss der anderen die man ausschliessen wollte gekommen sei. Man übersah dass Beide, wenn sie sich uns auch als Gegensätze darstellen, doch nur Gegensätze sein können die nicht gedacht und geschaffen worden sind um sich gegenseitig aufzuheben oder zu vernichten, sondern Gegensätze die sich einander ergänzen sollen und deshalb in der grossen Geschichte der Kunst nur mit einander gedacht sind. Es bezeichnen beide nur zwei Entwikklelungsstufen die erst vorangehen und ihren vorgezeichneten Kreis erfüllen mussten bevor eine dritte Weise an das Licht treten kann welche keine der vorigen negirt, sondern vielmehr nur auf Beider Resultate sich gründen könne um eine dritte und höhere Stufe der Entwikkelung einzunehmen als irgend eine von jenen erstiegen hatte; eine dritte Weise zu deren Erzeugung die uns folgende Zeit schon der geschichtlichen Nothwendigkeit nach berufen ist und zu deren Beginn unsere Zeit in der That auch schon angehoben hat den Grund zu legen. Was also diese beiden eben berührten Ansichten betrifft so ist es klar dass eine Entscheidung welche von Beiden die rechte und gültige für die Erledigung unserer Vorwürfe sei, weder von der einen noch von der andern Seite möglich werden konnte. Denn wenn man Beide genauer erwägt so stellt sich unläugbar Folgendes heraus. Gäbe man der einen Ansicht Raum so würde die antike Weise als ein Erstorbenes und auf sich Beruhendes völlig aus unserem Kunstkreise zu entfernen sein; erkennte man aber mit demselben Rechte die Forderung der anderen Meinung an, so würde die germanische Weise ebenfalls als eine völlig gültige ausgeschieden werden müssen. Als Resultat bliebe uns demnach nichts mehr übrig, wir ständen plötzlich in einer ungeheuren Leere allein da und hätten allen historischen Boden verloren den die Vergangenheit uns und der Zukunft als einzige Basis gelegt hat auf welcher eine Weiterentwikkelung möglich ist. Hieraus ergiebt sich aber folgerecht Zweierlei für uns. Erstlich dass wir, um nicht das Positive zu verlieren was wir einmal besitzen, das direkt Ueberlieferte zunächst festhalten müssen. Und in der That ist auch eine Abweisung oder Negation desselben ebensowenig möglich als es eine Abweisung der Geschichte überhaupt wäre; denn selbst in den ephemeren Gebilden welche einige sogenannte originelle Geister in jüngster Zeit dann und wann an uns vorübergeführt haben und in denen sie sich als von aller Ueberlieferung befreit manifestiren wollten, erblikkten wir in dem was daran etwa noch die Spuren der Wahrheit trug, nur die unverstandenen und gemissbrauchten Formen der Tradition, weiter nichts. Umgekehrt dagegen sehen wir grossartig gedachte Monumente vor uns die sich im Kreise der Tradition bewegen, welche deshalb und weil sie zugleich das zeitige Bedürfniss was sie entstehen hiess erfüllen, ein Bleibendes in der Geschichte sein werden. Zweitens aber folgt daraus dass wir auch das Ueberlieferte nicht blos als solches im Brauche behalten können, sondern wissenschaftlich forschend in die geistigen und werkthätigen Verhältnisse desselben eindringen müssen um so zur Erkenntniss seines Wesens, zum Begriffe seiner Bildformen zu gelangen, bevor wir entscheiden können was in der Tradition blos der Vergangenheit angehöre, für diese allein gelte und von unsrer Zeit mithin abzuweisen sei, oder aber was in ihr als ewig Wahres und für alle kommenden Geschlechter Gültiges demnach auch von uns aufgenommen und festgehalten werden müsse. Dies würde der wahre, der geistige Eklekticismus, der Eklekticismus des Wesens sein der in der Geschichte waltet und durch welchen die Natur das Wesen jedes Dinges stufenweise in einer immer mehr sich erhöhenden Entfaltung seiner endlichen und höchsten Bestimmung entgegenführt. Indess begegnen wir ausser jenen beiden noch einer dritten Ansicht welche zu einer Vermittelung und Vereinigung beider Extreme räth. Diese Ansicht hätte allerdings das Rechte auf ihrer Seite gehabt, wenn sie sich nicht wiederum nur auf der Oberfläche gehalten und gleicherweise auf Negationen gebaut hätte. Und zwar auf die Negation derjenigen Dinge in beiden Weisen die ganz unantastbare Eigenschaften derselben sind. Die Ansicht ging nemlich auf nichts Anderes als darauf hinaus: dass man mit den Kunstformen der hellenischen Weise das statische Gliedergerüst der germanischen Weise überkleiden und überhaupt so dem Bogensysteme eine sogenannte ästhetische Ausbildung verleihen solle. So wollte man also das in sich vollendete Gewächs einer ehrwürdigen Kunst in dem das künstlerische Bewustsein und werkthätige Vermögen eines grossen Geschlechtes aufgegangen und offenbar geworden ist, gleich einem Modelle gebrauchen um es versuchsweise und nach Belieben zu kostümiren! Dieses war daher auch der abenteuerlichste und ärmste Gedanke, es war der Eklekticismus auf der niedrigsten Stufe, der auch da wo er in der Geschichte erscheint, stets den Rükkfall eines Geschlechtes von einer höhern Stufe der Tradition herab ins Bewustlose und Willkürliche bezeichnet. Denn während man so der einen Weise das An- und Mitihrgeborne, für ihr Wesen allein Charaktervolle entzog, verstümmelte man sie schmählich, indess man der andern die ihr im Wesen als Gegensatz dasteht, durch Aufzwängen eines widernatürlichen Gewandes die bitterste Gewalt anthat und sie mittleidslos zu einem Popanze moderner Kunst herabzog. Und, kann man fragen, würde die alte Weise die man beibehielt durch dieses Anthun eines neuen Gewandes wirklich zu einer neuen in der das Wesen beider aufgegangen wäre gewandelt worden sein? Hätte man damit eine ursprüngliche Erfindung, ein neues statisches Bausystem ans Licht gebracht, oder würde dadurch nur ein Bastardgebilde erzeugt worden sein welches väterliche und mütterliche Abkunft unwürdig hätte verläugnen müssen? Wohl hätte man so Neues erzeugt, aber auch Unerhörtes! Wohl ein der Form nach mögliches Werk, aber ein wesenloses, ein todtgebornes Ding. Denn wären die hellenischen Kunstformen die rechten und erfüllenden für die germanische Weise gewesen, wie würde es dann gekommen sein fragen wir, dass der Bogenbau, ohnerachtet er doch mit ihnen beginnt und uranfänglich in ihrem Gewande auftritt, sich dennoch allmälich mit der steigenden Entfaltung seines Wesens davon loszuringen sucht und dasselbe mit Ausnahme sehr geringer Ueberlässe endlich da ganz von sich wirft, wo er die Grenze der Selbständigkeit erreicht und sich als vollendeter Gegensatz manifestirt? Sind zwei Bauweisen zur vollendeten Entwikkelung und Entäusserung ihres Wesens gelangt und stellen sie sich in diesem relativ als Gegensätze dar die einander diametral gegenüberliegen, wie ein solches Verhältniss thatsächlich zwischen der hellenischen und germanischen Weise stattfindet, so kann jede eklektische Uebertragung der Kunstformen von einer auf die andere, weil sie eben aus einer Bewusstlosigkeit des Wesens beider hervorgeht, wiederum nur bewustlose Formengebilde erzeugen, welche überdies durch die Widersprüche die sie in sich enthalten einander gegenseitig vernichten. Ein solches Beginnen ist daher von der Geschichte selbst als ein Auflösungsprozess alles dessen bezeichnet was eben die Architektur zur Kunst macht. Es bekundet jedes Mal da wo es in einer Bauweise erscheint, das schon erfolgte Ableben des Gedankens der Formen. Dreimal ist bereits ein ähnlicher Prozess aufgetreten, dreimal hat er eine solche Folge herbeigeführt, jedes Mal hat er das Geschlecht welches zu diesem Auskunftsmittel griff von der Höhe die die ihm überkommene Tradition schon gewonnen hatte, herabgestürzt auf die niedrigste Stufe alles Bildens, in den Zustand in welchem der Zufall anstatt der Nothwendigkeit, die Willkühr an Stelle des Gesetzes waltet.

٭٭ Zum ersten Male giebt hiervon Zeugniss jene indische Weise des Höhlenraumbildens welche nach der Blüthe der hellenischen Kunst erscheint; die man aber nicht einmal mit dem Namen einer Baukunst belegen kann, indem sie ohnerachtet des gigantischen Kraftaufwandes im Werkthätigen doch so arm an Erfindung im Geiste ist, dass sie nicht im Stande war ein statisches freigegliedertes Bausystem zu erzeugen, sondern sich blind, geistig energielos, dem zufälligen Bestande der rohen gewachsenen Materie anheimgab. Betrachtet man jene vasten, freudelos gebildeten Höhlenräume deren monolithe Flächen statische Glieder- und Kunstformen der hellenischen Bauweise als todte, bizarr verzerrte Schemata überziehen, so muss man gestehen dass die Geschichte diese Werke als ein warnendes Beispiel vor Augen gestellt habe, wie ein ganzes Geschlecht welches entweder nicht zum Bewusstsein gelangt oder dessen Bewusstsein zerrüttet und verloren war, so weit unter das Bewusste herabsinken kann. Und doch hat man geglaubt in dieser indischen Weise einen ursprünglichen Anfang aller Kunstweisen zu sehen aus dem sich das Bewusste einer hellenischen Weise könne erzeugt haben. Zum anderen Male erscheint ein solcher Verwandlungs-Prozess in der Bauweise der Araber. Nicht fähig die in Besitz übernommene antike Weise im Wesen zu durchdringen, entnimmt diese phantastische Kunst von letzterer nur dasjenige Räumliche was der Begierde nach Lebensgenuss fröhnen könne; dagegen vernichtet sie deren Kunstformen und überkleidet anstatt ihrer teppichartig und in geometrischen Schematen das statische Gliedergerüst mit den ihr eigenen Formen der Pflanzenwelt, so mit einer prunkenden aber nichtssagenden Hülle ihre Werke überziehend. Zum dritten Male tritt sie während des Erlöschens der germanischen Kunst in der Epoche der sogenannten Renaissance auf, wo unverstandene antike Kunstformen übernommen wurden Werke germanischer Weise zu staffiren. Welche wesenlosen und bizarren Formengebilde sie hier am Ende zu Wege gebracht habe ist zu bekannt und zu unerfreulich um sich über ein Kriterion solches gehaltlosen Formenschwulstes zu verbreiten. Man kann bei dieser, nur im Dienste einer fürstlichen Vergeudung stehenden Luxuskunst blos bedauern, wie sich in den ausserordentlichen materiellen Mitteln welche für die in der Intention oft grossartigen Bau-Anlagen aufgewendet worden sind, kaum etwas Anderes ausspricht als eine entnervte Begierde nach hohlem Genusse die das Vermögen des Geistes überdauerte. Also auch die dritte Ansicht die zur Vermittelung rieth um eine neue Weise zu bilden, hielt sich gleichfalls auf der Oberfläche der Erscheinungen. Es war auch ihr nicht bewusst wie der Ursprung aller besondern Bauweisen nur ins der Erwirkung eines neuen statischen Kraftprinzipes aus der Materie beruhe, welches allein die Bildung eines neuen Raumdekkensystemes möglich macht und hiermit zugleich die einer neuen Kunstformenwelt hervorruft. Indessen beweisst auch sie nur zur Genüge dass man es wenigstens noch anerkannte der Tradition zu bedürfen, wenn auch bloss in einer äusserlichen Zusammensetzung ihrer Schemata. Aus aller dieser Willkühr mit der man Eines setzte oder aufhob, folgte mithin im Ganzen nur eine Verweisung unserer an die Tradition; wir wurden genöthigt zur Annahme und Erkenntniss dieser selbst zu schreiten. Und es liegt wohl auf der Hand dass man erst das eigenthümliche statische Prinzip eines ganzen Bausystems sowie den Begriff jeder einzelnen seiner Kunstformen gewonnen haben müsse, ehe man dessen Ergebnisse als Mittel zum Ausdrukke eigener Gedanken gebrauchen, geschweige denn ein absolutes Gesetz für den Gebrauch seiner Kunstformen aufstellen könne. Anders dagegen verhielte sich die Sache wenn wir beide zuerst berührten Ansichten gelten liessen dabei aber keine Negation gestatteten, so dass beide Kunstweisen hinsichts der Formen in ihrem wohlerworbenem historischen Rechte unangetastet bestehen könnten. Dies würde aber nur soviel heissen als die Tradition fortführen und da gebrauchen wo sie nur irgend dienen könne die unserer Zeit entspringenden Vorwürfe zu erfüllen, und zwar sie so lange fortführen bis sich im Schoosse dieser Zeit einst eine neue erfüllendere Weise erzeugt habe die dann an Stelle des Uebelieferten treten könne. Und dies würde der historische entwikkelungsfähige Gang der Kunst sein und ist es auch deutlich nachweisbar.

٭٭ Wie entsteht aber überhaupt jede neue Bauweise und wodurch charakterisirt sie sich in Hinsicht ihres Prinzipes? Das Wesen jeder eigenthümlichen Bauweise spricht sich in dem Systeme aus nach welchem die Raumdekkung in Glieder oder statisch wirkende Körpereinheiten gegliedert und räumlich gefügt ist. Denn nur um die Möglichkeit der Dekkung bewegt sich die Möglichkeit eines geschlossenen Raumbaues, von dem Schema ihrer Gliederung hängt die allgemeine Form des Planes, hängt seine besondere Einrichtung ab; sie ist in allen Bauweisen das Moment welches das System so wie den statischen Formenschnitt der Stützen, die besondere Anordnung und Gliederung der raumumfangenden Wände hervorruft, sie bedingt endlich die Kunstformen aller dieser auf sie bezüglichen Theile. In der Dekke zeigt sich mithin das statische Prinzip jeder Bauweise, es ist in ihr das bauliche Kriterion derselben geborgen. In jeder Bauweise handelt es sich daher zuerst um die Entwikkelung einer statischen Kraft aus der baulichen Materie welche als wirkendes Prinzip in das System der Dekkung eingeführt wird. Drei statische Kräfte sind es nur welche baulich genutzt werden können und, wie es die technische Sprache bezeichnet, als absolute, relative und rükkwirkende Festigkeit oder als Resistenz gegen Zerreissen, Zerbrechen und Zerdrükken in der Materie eingeschlossen liegen. Dieses Geheimniss der statischen Dynamis in der Materie aber hat seinen Grund in der Textur derselben, in dem Gesetze ihrer atomischen Fügung; auf dieser beruht der Grad ihrer Cohärenz der sie zu einer baulichen Verwendung fähig macht. Jede dieser Kräfte ist im formlosen Zustande der Materie todt und latent; sie wird erst erwekkt und zur statischen Kraftäusserung genöthigt, sobald man ihr eine solche körperliche Form verleiht welche ihr analog ist und sie zugleich geschikkt macht den baulichen raumbildenden Dienst zu erfüllen zu dem sie bestimmt ist, oder mit anderen Worten: sobald man ihr die Form baulicher Glieder giebt. Diese Glieder sind die einzelnen Kraftmomente auf welche das Dekkensystem, also überhaupt das ganze bauliche System seine Existenz gründet. Nicht jeder Materie aber wohnt eine jede der drei Kräfte in gleichem Maasse inne. Es muss daher in derjenigen welche zur baulichen Verwendung werkthätig aufgenommen wird, die in ihr eingeschlossene Kraft so wie deren Grad prüfend erkannt werden. Dieser Erkenntniss folgt aber auf dem Fusse auch das Gesetz in welche Form sie gefügt sein wolle um baulich den Dienst zu verrichten den man ihr vorbedingt habe; es ist hiermit die statische Form des baulichen Gliedes gewonnen, die Natur der Materie besiegt und dienstbar gemacht worden. Durch einen solchen Prozess hat sich die hellenische Weise die relative Festigkeit der Materie als wirkendes Prinzip ihres Dekkensystems gewonnen, der Gewölbebau dagegen die rükkwirkende.

٭٭ Diese statische Bewältigung der Materie in der die Werkthätigkeit aller Baukunst wurzelt, ist es eben was diese Kunst vor Skulptur und Malerei voraus hat und welche ihr einen höheren Standpunkt werkthätiger Selbständigkeit verleiht als diese beiden inne haben. Denn während sie erst statisch ringend die Materie besiegt und ohne ein äusserlich gegebenes Vorbild dafür zu besitzen ein bauliches und raumerzeugendes Körpersystem geschaffen haben muss, ehe sie zu Malerei und Skulptur greifen kann um diesem Kunstformen aufzuprägen, so schreiten Skulptur und Malerei unverweilt zur Darstellung ihres Gedachten durch Herzuziehen bereits vorhandener Analogien der Sinnenwelt. Und wenn Winkelmann und Schelling bewiesen haben wie es sehr wohl möglich sei das Gesetz und innerste Wesen beider Letzteren zu durchdringen ohne selbst werkthätiger Künstler zu sein, so bezeugte der Verfasser der "Baukunst nach den Grundsätzen der Alten" und mit diesem alle dem ähnlichen Schriften, wie es Niemandem möglich ist zum materiellen Principe dieser Kunst zu dringen so wie die Ursache und Bedeutung ihrer Formen zu erklären, ohne die Schule des Werkthätigen in der Baukunst durchlaufen und dessen völlige Kenntniss gewonnen zu haben. Ein jedes werkthätige Geschlecht das einer neuen Bauweise Ursprung gegeben, hat mit diesem Bewältigungsprozesse der Materie beginnen, mithin vom Ursprünglichen, Anfänglichen ausgehen müssen. Jedes Geschlecht hingegen welches nicht dahin zurükkehrte und von hier aus begann, sondern sich mit der Tradition einer schon vollendeten fertigen Weise begnügte, hat keine neue Weise erfinden können. Dieses Wiederbeginnen beim Ursprünglichen und Anfänglichen alles Bildungsprozesses schwebt als ewiges Gesetz über jedem Geschlechte welches berufen ist eine neue Weise zu schaffen, es kann sich demselben nicht entziehen. Ist es auch Anfangs bewustlos in ihm wirkend und weitertreibend, so wird es erkannt und bewusst sobald, es zur Thatsache geworden, das heisst aus dem blossen Gedanken in die Wirklichkeit getreten ist. Jedes erwählte Geschlecht muss also werkthätig wieder zu diesem Anfänglichen zurükkehren, es muss den statischen Entwikkelungsprozess der Materie die es als bauliches Moment in seine Weise aufnimmt von Neuem wieder beginnen. Nicht aber die Entwikklung derselben Kraft die bereits entwikkelt ist wird wiederholt, sondern die Auswirkung einer anderen welche noch unentwikkelt in der Materie ruht; sonst würde der Mensch gleich dem Sisyphos der alten Sage zu ewiger fruchtlos wiederholter Arbeit verdammt sein ohne das Ziel der Mühen erlangen zu können. Deshalb haben ihm eben Geschichte und Tradition in den Monumenten das Prinzip jeder Bauweise als Ergebniss der vorhergegangenen Prozesse aufbewahrt, auf dass es mit werkthätiger Wissenschaft forschend erkenne was schon vorhanden und entwikkelt sei, um dieses als Frucht für sich zu erwerben; deshalb hat auch die gütige Natur ganze Kunstweisen bis auf die Dinge vernichtet in denen die Keime zu einem Neuen, Höheren enthalten sind, alles andere dagegen was nur für die Vergangenheit allein gültig war, mit einem schwer durchdringbaren Schleier bedeckt. Damit wollte sie das folgende Geschlecht nur nöthigen selbstthätig zu sein, in den hinterlassenen Spuren des Vergangenen das Wesen desselben zu lesen und somit nicht blind vorwärtstastend, sondern mit Bewustsein das ihm noch Vorbehaltene, Verborgene zu erkennen und durch analogen Prozess der Bewältigung für seine Weise dienend zu besiegen. Und das sind eben die Segnungen der Tradition. Denn wenn das Hellenische allein das Erfüllende für die Geschichte gewesen wäre, so würde das Mittelalter nicht erschienen sein; wäre aber Letzteres dasjenige was die Entwikkelung beschlösse, so würde das Menschengeschlecht zum Ende seiner Tage gelangt sein. Es müsste uns aber mit einer wahrhaften Wehmuth erfüllen sollten wir uns auf ein Mal aller der geistigen Schöpfungskraft beraubt sehen die den vorhergegangenen Geschlechtern in so vollem Maasse verliehen worden war, wenn nicht die Geschichte dem forschenden Auge zeigte wie eine innere Kraftthätigkeit andauernd und stets neu schaffend fortwirke, wie sich der Entwikkelungsprocess der in den Hellenen für eine Seite der Baukunst erkennbar hervortritt, im Mittelalter nach einer entgegengesetzten hin fortgepflanzt, und in einer synthetischen Weise von der kommenden Zeit weiter geführt werden müsse. Aber nur das Geschlecht welches Kraft hat die Mühen der Forschung und die Pein der Materie zu tragen, kann durch dieses Beides zur Lust ihrer erfüllten Besiegung, zur Wonne eines Neugeschaffenen gelangen; wenn es aber energielos solche Pein meidet und nur einem sinnlichen Genusse fröhnend sich auf der Lust des Ueberlieferten träge bettet, so ist ihm in Wahrheit nur der Schemen schöpferischer Wonne übrig die das vergangene Geschlecht kraftthätig abgenossen hat, es bleiben ihm nur noch die Schlakken aus denen der Gehalt des edlen Metalles längst ausgeschmolzen ist. Kann denn das ein eigen Erworbenes genannt werden was nur ein Raub an fremdem Geiste, ein mühelos Entwendetes ist? Wie kann der von schöpferischer Erfindung reden der von einem Vollendeten, Fertigen nur die Hülle der Formen abzieht? Dieses Verhältniss bleibt sich ganz gleich möchte man blos die Schemata der Kunstformen, oder die statischen Systeme und Raumformen der Tradition eklektisch gebrauchen und beliebig verwenden; es wird keines dieser Experimente jemals den Gedankenmangel verdekken der unter solchem Beginnen sich zu verbergen strebt.

٭٭ Ganz entgegengesetzt solchen elektischen Afterkunstweisen deren eben gedacht ist, trat schaffend das energische Geschlecht auf welches von der Geschichte auserkoren war eine neue Weise der hellenischen gegenüber zu stellen, ein neues statisches Kraftprincip aus der Materie zu erzwingen und mit diesem ein Raumdekkensystem zu schaffen welches das der Hellenen bei Weitem überflöge. Dies Geschlecht war dasjenige welches in der römischen Kunst den Bogen oder das Gewölbe begann, und in der germanischen dessen Entfaltung zum Ende hinausführte. Dies Geschlecht kehrte zu jenem anfänglichen Prozesse der materiellen Entwikkelung zurükk und begann ihn von Vorn, es hat die Pein der Materie getragen, es hat sich aber auch zur Lust ihrer Besiegung durchgerungen. Unfähig eine erfüllende Kunstform für das neue statische Prinzip zu finden welches sich unter ihrer Hand eben erst aus dem Keime emporrichtet, verwendet die römische Weise die bereits überkommenen hellenischen Kunstformen zur Darstellung desselben und hält sie für ihr Bogendekkensystem schematisch fest. Aber diese konnten ihren neuen Zwekk nicht erfüllen, sie waren hier mit Ausnahme der nicht auf die Raumdekke bezüglichen Formen ein Widersprechendes. Denn wenn im Dekkensysteme mit monolithen Balken nur die relative Festigkeit allein wirkt, wenn diese durch die hellenischen Kunstformen der Epistylia und oberen Balken auf das Schärfste und Entsprechendste versinnlicht ist, so mussten diese Kunstformen die nur relative Kraftthätigkeit charakterisiren für den vielkeiligen Bogen ein Widerspruch sein, da in diesem nur das Wesen der rükkwirkenden Festigkeit lebt, da nur dieses allein seine Kunstform vorbedingt und in derselben entsprechend versinnlicht werden kann. So führte sich das hellenische Schema in diesen Theilen zwar traditionell fort, jedoch völlig begriffswidrig; es verschwindet daher auch nach und nach immer mehr aus ihnen, bis endlich die heranreifende Kunst als sie dem Gipfel statischer Entäusserung zustrebte es gänzlich aus ihrem Wesen ausstiess. Nur in dunkeln Spuren findet sich das hellenische Element noch an den Gliedern der germanischen Weise, deren Wesen es zulässt, erhalten. Ob aber diese Weise, während sie sich mit der Emancipation von der Materie auch von der Natur und Sinnenwelt zurückzog, an Stelle jener Kunstformen andere eben so gültige gesetzt habe, ist eine Frage die wir nur mit Nein beantworten können. Was überhaupt die Erkenntniss der Kunstweise anbetrifft, so war es ein Anderes mit dem Mittelalter und ein Anderes mit der Antike. Die Werke der christlichen Bauweise stehen noch vor unserm Angesichte, sie dienen noch zu demselben Zwekke wie zur Zeit ihrer Gründung, ihre sittliche und zwekkliche Erklärung hat für uns keine Dunkelheiten; ihr statisches System aber in allen seinen Entwikkelungsstufen und Varietäten liegt uns gleichfalls vor Augen, wir bedürfen nur des Sehenwollens um erkannt zu haben. Ganz anders verhält es sich mit der Antike; von dieser sind uns nicht allein nur eine sehr geringe Anzahl Werke, und diese selbst in kaum erhaltenen und schwer erkennbaren Resten überliefert, sondern es ist das Eigentliche und Besondere ihrer räumlichen Zwekkverwendung bis jetzt noch mit einem dichten Schleier verhüllt. Die hellenische Kunst als solche können und wollen wir auch nicht zurükkführen, denn das hiesse um mindestens zwanzig hundert Jahre zurükkfallen; eben so wenig aber können wir die germanische Kunst wiedererwekken und ihr neuen Lebensodem einhauchen. Beide Weisen als solche weiterbilden wollen hiesse ein Fertiges überfertigen; beide sind gewesen und werden in ihrem vorigen Sein auch nie wiederkehren. Aber eine andere Kunst in der ein anderes statisches Princip den Grundton angiebt der noch viel herrlicher klingt denn der jener beiden, wird sich aus dem Schoosse der Zeit losringen und Leben gewinnen; eine andere Weise die erst geboren werden konnte nachdem jene ihre Ergebnisse geliefert hatten, wird an das Licht treten. Diese aber, weil sie nur mittelst derselben erzeugt werden kann, weil sie sich nur auf deren Principe gründet, kann auch keines der beiden ausschliessen, sondern nimmt beide vielmehr in sich auf und lässt sie als dienende Mittel in sich vereint wirken. Ist es nun wohl möglich dass ausser jenen beiden Weisen der Tradition noch eine andere neue, unserem Geschlechte ursprüngliche entwikkelt werden könne in deren Dekkensysteme eine andere statische Kraft als Prinzip wirke denn bei jenen? Und welche Kraft würde hier das wirkende Prinzip sein? Auf das eben Vorausgeschikkte hinsehend wird sich auch diese Frage beantworten lassen ohne eben der Gabe des Hellsehens zu bedürfen. Wie bei jeder Bezeichnung eines erst werdenden Zustandes, so kann auch hier nur von Andeutungen die Rede sein; jedoch liegen die untrüglichsten Indicien davon bereits vor unseren Augen, es sind die Anfänge schon zur realen Thatsache geworden. Abgesehen davon dass nicht ein einzelnes Individuum eine Kunstweise vorschlagen könne, sondern nur ein ganzes Volk ihr Ursprung geben und eine geraume Zeitepoche ihre Entwikkelung hinauszuführen vermag, so kann es damit seine Bewandtniss nur also haben. Dass, wie oben gezeigt, die Dekke das Moment sei welches jede eigenthümliche Weise bestimme und ihr Ausgang gebe, ist eine Wahrheit welche die Monumente aller Bauweisen thatsächlich bezeugen. Eine andre nicht minder nachweisbare Wahrheit ist die, dass von den rohesten Versuchen, von den ersten Anfängen ab eine Dekke aus Stein zu fügen bis zum Gipfelpunkte der Spitzbogendekke, ja selbst bis in unsre Zeit hinein, alle Weisen auf welche dies Material irgend nur statisch gegliedert und gefügt werden könne um ein sich freitragendes Dekkensystem zu erwirken, dass alle diese Weisen die Anwendung des Steines bereits völlig erschöpft haben. Ein neues statisches System welches eine höhere Stufe einnähme, kann aus ihm allein nicht mehr erbildet werden. Sowohl das Moment der rükkwirkenden als das der relativen Festigkeit des Steines ist völlig erschöpft. Ein neues noch nicht dagewesenes Dekkensystem, das natürlich auch sogleich ein neues Reich der Kunstformen nach sich ziehen würde, kann daher nur in die Erscheinung treten sobald ein bis dahin nicht sowohl ungekanntes als vielmehr nur für eine solche Anwendung noch nicht als leitendes Princip genutztes Material beginnt Aufnahme zu finden. Und zwar müsste dieses ein Material sein welches, statisch gefasst, bei einem leichteren zugleich ein weiter sich spannendes und doch zuverlässigeres Dekkensystem ergäbe als es bei der ausschliesslichen Anwendung des Steines möglich ist; raumbildend und konstruktiv gefasst aber müsste es jede denkbare dem Lebensbedürfnisse irgend entspringende Plan- und Raumform zu erfüllen im Stande sein. Zugleich würden bei einem Minimum von materiellem Aufwande für die umfangenden Wände, insbesondere jene gewaltigen Massen von Widerlagern mit welchen sich die Steinbogensysteme so sehr beschweren, völlig erübrigt werden müssen. Es würde endlich die ganze Lastung des Dekkensystems nur auf einen lothrechten Drukk, mithin auf die rükkwirkende Festigkeit der Wände und Stützen zurükkzuführen sein. Damit ist natürlich nicht gesagt dass die mittelbare Anwendung des Steingewölbes, namentlich die des Rippen- und Sternkappenschema im Dekkensysteme ausgeschlossen sein könne, indem dieses vielmehr in seiner umfassendsten Ausdehnung wird Anwendung finden können; sondern es soll nur an Stelle derjenigen Theile auf welchen die Existenz des ganzen Dekkensystems beruht, ein anderes Material treten, durch welches es möglich wird die bauliche Funktion derselben durch andere Glieder in denen ein anderes Kraftprincip wirkt zu ersetzen. Hierbei ist es gleichviel ob jene auszuschliessenden Glieder nun Widerlager, oder ob sie dekkentragende Glieder, Rippen, Gurte und dergleichen seien. Ein solches Material aber ist in der That das Eisen mit dessen Nutzung in diesem Sinne unser Jahrhundert bereits begonnen hat. Es ist das Eisen bestimmt mit der steigenden Prüfung und Erkenntniss seiner statischen Eigenschaften in der Bauweise der kommenden Zeit als Grundlage des Dekkensystemes zu dienen und dasselbe, statisch gefasst, einmal so weit über das hellenische und mittelalterliche zu erheben als das Bogen- Dekkensystem das Mittalter über das monolithe Steinbalkensystem der alten Welt erhob. Sieht man ab von der leicht zerstörbaren hölzernen Dekke, die überhaupt hier gar nicht zum Vergleiche herangezogen werden kann, und drükkt das eben Bemerkte mathematisch aus so kann man sagen: dass es in der That das Eisen sei welches auch die letzte bis dahin als Princip noch ungenutzte der drei statischen Kräfte in die Baukunst einführe; nämlich die absolute Festigkeit, und zwar diese in jenen Ankerbändern welche an Stelle der Widerlager und Streben gesetzt werden wodurch eben die absolute Kraft als leitendes Princip des Dekkensystemes eingeführt wird. Wenn also in der antiken Steinbalkendekke nur die relative, in der Bogendekke dagegen nur die rükkwirkende Festigkeit als Princip des ganzen Systemes waltet, so kann das System der gewölbten Steindekke mit eisernen Rippengliedern nur die rükkwirkende Festigkeit aus der Bogenbauweise entlehnen, muss aber dabei, und zwar als Kriterion desselben, noch die Nutzung der absoluten Festigkeit in den Ankerbändern hinzufügen. Die relative Festigkeit des Steinbalkensystemes kann durch stellvertretende eiserne Balken nur eine sehr mittelbare und untergeordnete Rolle spielen; denn ein eisernes Balkensystem an Stelle des hellenischen Steinbalkensystems setzen, hiesse in der That nur das Material tauschen nicht aber das statische Prinzip erhöhen. Es würde dies nur ein einseitiger und höchst bedingter Fortschritt sein der für grössere Spannweiten eben so wenig zureichend wäre als wie das Steinbalkensystem. Wird also vom Bogenbaue das statische Kraftprincip entlehnt und zu einem ganz neuen ungekannten Systeme gestaltet, so wird auf der anderen Seite hinsichtlich der Kunstformen des neuen Systems das Formenprincip der hellenischen Weise aufgenommen werden müssen: in den Gliedern die statischen Kräfte, ihren Zusammenhang und raumbildenden Gedanken kunstvoll zu versinnlichen. Und dies nur kann der wahre Vermittelungssatz, die rechte Synthese der beiden vorangegangenen Bauweisen sein. Denn in welcher Weise und durch welche Kunstformenhülle sich in diesem neugegliederten Dekkensysteme das statische und raumbildende Wesen versinnlichen lasse, ist eine Frage deren Beantwortung für den Denkenden unschwer zu geben sein würde. Es bedarf auch keiner Bevorwortung technischer Seits dass das in seinen statischen Formen zubereitete Eisenmaterial mittelst einer Verzinnung oder einer chemischen Verkupferung nicht allein vor jeder Zerstörung durch Oxydation absolut geschützt werden könne, sondern dass diese Hülle dasselbe auch in einer solche Stärke überfange als sie nöthig ist die Kunstformen in ihr auszuprägen welche jedem Gliede der Dekke zukommen. Wenden wir uns wieder zur Sache zurükk, so war nicht das Negiren sondern das Annehmen und Fortführen der Tradition als der historische und einzig rechte Weg bezeichnet worden den die Kunst nehmen könne. Und in der That wirkt ein hierhinwärts drängender Geist im Geschlechte, der aller äusserliche subjektiven Spekulation entgegentretend dasselbe auf diesem Wege der Tradition erhält und es dem Ziele entgegenführt an welchem aus der Tradition einst ein Neugebornes, Eigenes und Ursprüngliches hervorgehen wird. Als Antwort auf jene Eingangs berührten Einwürfe: warum wir noch an der Tradition hangen und nicht vielmehr eine eigene von ihr unabhängige Weise zu erbilden streben, bedarf es in der That auch keines Weiteren als der ganz einfachen Hinweisung auf unsere heutigen Kunstzustände, um zu beweisen dass diejenigen welche jene Hingebung an die Tradition in Frage stellen konnten oder höchstens zur äusserlichen Vermittelung riethen, am wenigsten wohl berufen seien dieselbe zu entkräften und Vorbahner einer neuen Kunstära zu sein. Blikken wir ringsum in unserer Kunstthätigkeit, so ist alles Tradition und nur Tradition, sei es die Tradition der alten Welt, oder die der sogenannten christlichen. Eigenes was sich über die Tradition erhöbe, sowohl in Hinsicht auf ursprüngliche Kunstformen als auf statische Systeme, nehmen wir noch nirgend wahr; es sei denn dass man die ersten Anfänge des Eisendekkensystems schon in Betracht ziehen wollte. Alle unsere Kunstbegriffe und Kunstformen wurzeln nur in der Tradition, wir haben dieselbe thatsächlich angenommen, sind in ihren Kreis eingeschlossen und bewegen uns in demselben ohne uns dessen oft kaum deutlich bewust zu sein. Wohl möchte, wem das von der Geschichte gegebene Positive eine Fessel ist, sich davon befreien und die Ueberlieferung vernichten, allein noch ist nicht gewonnen was man an ihre Stelle setzen könnte; im Gegentheile trat neben allen Versuchen unserer Zeit in denen ein des Wesens der Kunst unkundiger Geist die Tradition zu negiren gedachte, diese in ihrer Grösse und Hoheit erst recht herrlich hervor.

٭٭ Aller Fortschritt des Geistes kann nur geschehen durch Erkenntniss des schon Vorhandenen, und während das Geschlecht mit einem Blikke vorwärts strebt muss es den andern rükkwärts senden zum Vorhandenen, zum schon Gewordenen, um aus ihm die Erkenntniss einer neuen Wahrheit, die das Bestehende aufnimmt und in einer weitern höhern Entwikkelung fortsetzt, zu gewinnen. Darum hat Raphael Sanzio auch da wo er die christlichen Tügenden malt das Bild der Wahrheit gezeichnet mit doppeltem Antlitze, mit einem jugendlichen blühenden, welches im Abspiegel der Dinge sich selbst und die Erscheinungen der Gegenwart zu erkennen strebt, und mit einem alten greisen, das rükkwärts schauend zum Ursprunge, zur Vergangenheit gewandt ist, von wannen alles das gekommen was im Bilde der Jetztzeit erscheint und eine Vorahnung seines künftigen Seins in sich enthält. Hatten wir also die Tradition der Baukunst bereits thatsächlich angenommen und damit deren Unabweisbarkeit anerkannt, so versteht es sich von selbst dass wir nicht bei dem Schema stehen bleiben und bloss dieses entlehnen dürfen, denn das hiesse nur äussere Hülle nicht aber den innern lebendigen Geist derselben weiter tragen, sondern dass wir trachten müssen ihr ursprüngliches Wesen zu gewinnen. Um aber zu ihrem ursprünglichen Wesen zu gelangen können wir auch nicht bei dem letzten Gliede derselben stehen bleiben, sondern müssen von diesem zum vorhergehenden und so weiter aufsteigend nach und nach zum ursprünglich ersten Gliede, zur Quelle vordringen aus der ihre Gedanken ausflossen. Wenn es nun eine Wahrheit ist dass die Bauweise des Mittelalters, der Bogenbau überhaupt, schon die zweite Stufe aller architektonischen Entwikkelung sei, die erst werden konnte nachdem die Antike vorangegangen war, wenn der Ursprung ihres statischen Systemes in der römischen Welt zu suchen ist, die Anfänge ihrer Kunstformen aber durchaus in der hellenischen Weise wurzeln, so können wir demnach nicht bei der Tradition des Mittelalters verweilen sondern werden uns zunächst zur römischen Weise wenden um hier die Ursprünge ihres statischen, des Gewölbesystemes aufzufinden, sodann aber von dieser wiederum weiter hinauf zur hellenischen. Kann also das Verständniss des Römischen nicht erfolgen ohne das Verständniss des Hellenischen, so kann auch die Erkenntniss vom Wesen des Mittelalters nicht erlangt werden bevor nicht die der hellenischen Weise ihrem Wesen nach vorangegangen ist. Nur die Erkenntniss der Letzteren wird uns alsdann erst zeigen worin die germanische Weise die hellenische überflügelt habe oder worin sie ihr nachstehe. Wir sind in unseren Betrachtungen auf dem Punkt angelangt wo für den leitenden Gedanken derselben nun der Mann ein bedeutendes Gewicht in die Schaale der Entscheidung legt, dessen Name den heutigen Tag bezeichnet. Schinkels Schöpfungen sind es die von der Vorsehung bestimmt waren das Geschlecht auf den rechten Pfad der Kunstentwikkelung zu leiten; ja man darf es als den wichtigsten Theil der Sendung zu der er berufen war ansehen, dass er uns über die Tradition des Mittelalters hinweggehoben und zum Ursprünglichen geführt hat. Nur er war fähig zur Erkenntniss hinzuleiten, weil sein Streben selbst nur nach Erkenntniss ging und sich nicht in bloss sinnlichen Eindrükken verlor; auch er, von den grossartigen Monumenten der romantischen Zeit ergriffen, hat romantisch geschwärmt und romantisch gebildet, er hat das Mittelalter mit der Wärme seines Geistes durchlebt, aber er hat es auch mit dem Geiste durchdrungen. Das beweisen seine Erfindungen aus dieser Zeit. Aber auch er konnte nicht bei dieser Phase verweilen, sein ahnender Genius drängte ihn zum Ursprünglicheren hinan. Und als ihm die Zeit der Erkenntniss gekommen, als er durch diese Phase hindurchgegangen war erkannte sein geläuterter Sinn dass die Weihe aller Kunst nur aus der Quelle kommen könne aus der auch das Mittelalter entsprungen war.

٭٭ War man gleich schon vor Schinkel durch die Mittheilungen solcher Männer wie Stuart, Mazois und Andere zur Kunde der hellenischen Monumente gekommen, so war dennoch nur Schinkel das Werkzeug der Geschichte welches zur eigentlichen Erkenntniss dieser Kunstweise führen sollte. Dies aber hat seinen Grund nur darin dass er uns in denjenigen seiner Bauwerke die sich im hellenischen Schema bewegen, diese Weise räumlich und körperlich vor Augen geführt hat. Denn darin unterscheidet sich eben die Baukunst von den beiden anderen Künsten dass ihre Werke nicht blos in einem graphisch auf der Fläche Ausgebreiteten ihre Erfüllung finden, wie das Bild in der Malerei, auch nicht blos in einem körperlich Geschlossenen welches nur von aussen geniessbar ist, wie das Werk des Plasten, sondern dass sie beides zugleich nutzt um ein Raumgehäuse zu bilden. Indem nun das Eigenthümliche ihres Wesens darauf beruht den Gedanken in einem solchen Körperlich-Räumlichen auszubreiten und hierin allein den Vorwurf fassen und erfüllen zu können, so kömmt es eben dass ihr Werk folgerecht dem auch nur in solchem Zustande, also räumlich angeschaut und genossen werden wolle wenn anders es dem wahrnehmenden Sinne völlig zugänglich und erkennbar sein soll. Dieser Eindrukk kann aber weder durch eine graphische Darstellung noch durch ein andeutendes Modell, sondern nur durch die Darstellung des Werkes in wirklichem Maasstabe selbst völlig erreicht werden. Dass also nur durch Schinkels Werkthätigkeit der hellenischen Tradition auf unserem Boden eine neue Heimath bereitet wurde ist eine vor Augen liegende Thatsache. Geschah es hierdurch nun dass er einer Seits für sich das besondere Ziel erreichte welches er bei der Erfüllung seines Vorwurfes zunächst im Auge hatte, so wirkte er anderer Seits für uns durch seine Werke belebend und unterweisend auf die Kunstforschung zurükk, indem er uns drängte auf die so vor Augen gestellte Kunstweise einzugehen und kritisch forschend ihrer Principien und ihres ursprünglichen Wesens uns bewust zu werden. Denn in Wahrheit gestanden konnten wir uns auch mit dieser reproduktiven Uebertragung deshalb noch nicht begnügen, weil damit weder ihr statisches Princip erklärt noch der Begriff ihrer Kunstformen wiedergegeben und erschlossen worden war, sondern das Verhältniss dieser Dinge uns nach wie vor dunkel blieb. Es konnte sich daher der denkende Geist dabei noch nicht beruhigen dass selbst ein so grosser Bildner gerade diese Weise als die rechte erkannt habe, sondern er muste nach Grund und Ursache fragen die Schinkel bewogen hatten uns dieselbe als die Gesetzliche und Gültige zu bezeichnen. Direkt aus seinen Werken nun können wir dies noch nicht erfahren; ja wir können nicht einmal beurtheilen ob Schinkel da wo er sich Abweichungen vom antiken Schema erlaubte, dies im Gesetze der alten Kunst gethan habe oder nicht. Auf eine andere Weise aber, wissenschaftlich erklärend durch Wort oder Schrift, hat sich Schinkel gerade hierüber niemals ausgesprochen, sondern er hat die antiken Formen schlechthin nur in unseren Gesichtskreis gerükkt; denn das Einzige was wir von ihm Lehrendes hierüber besitzen, jene Abhandlung in den Vorbildern für Kunsthandwerker, berührt nicht im Entferntesten das Wesen des Gegenstandes. Es ist dieses Dokument seiner Tendenz und auch den eigenen Aeusserungen Schinkels nach, ein blosser Versuch das bauliche System der Hellenen in der Zusammensetzung aller einzelnen Theile nur dem Bauhandwerker anschaulich zu machen; aber auch selbst hierfür liefert es noch nicht einmal die Aufschlüsse die aus der Monumentenkunde bereits damals zu entnehmen waren. Indem uns also in allem diesem noch kein weiterer Aufschluss geworden ist so können und dürfen wir dabei nicht verweilen, sondern müssen uns auch von Schinkel hinweg zur ursprünglichen Quelle wenden aus der er schöpfte um am Unmittelbaren selbst die Erkenntniss zu gewinnen. Diese Nothwendigkeit aber steht ganz unabweisbar vor uns. Denn wenn uns Schinkels Werke auch über die Lüge des Formeneklekticismus im Allgemeinen hinüber gehoben haben, so haben sie uns über den Eklekticismus im Besonderen, im Hellenischen, noch nicht hinüber geführt. Die Thatsachen in den jüngsten Bauwerken im Allgemeinen bezeugen aber dass bereits der Eklekticismus eine hohe Stufe erreicht habe, dass das schöne Maass und der richtige Takt der in der Schinkelschen Anwendung der Formen durchgängiger Grundzug ist, seinen leitenden Einfluss bereits verloren habe. Vereinigen sich mit Letzterem nun sogar lehrende Stimmen welche den Grundsatz aufstellen: aus blossem Respekt vor der antiken Kunst nur die Formen derselben getrost nachzuahmen und zu gebrauchen auch wenn uns ihr Verständniss nicht geworden, so ist die Richtung der jüngern Kunst und Kunstlehre wohl unschwer zu verkennen. Wohin aber wird eine solche nur aus den Fingern quillende Thätigkeit zuletzt führen wenn nichts mehr zu eklegiren da sein wird, wenn die Formen der Schinkelschen Werke, wenn die der alten Monumente abgezogen und verbraucht sein werden? Vielleicht zu einer wiederholten Renaissance! Meine man nicht: warum forschend sich mühen, wem es gegeben werden soll dem kommt es auch über Nacht. Allerdings, aber nur denen die da schon haben wird gegeben werden, und ein anderes Wort sagt: wer seine Leuchte nicht vorbereitet hat wird auch den Bräutigam nimmer schauen. Nur der Erkenntniss folgt die Empfängniss, nur die geistnährende Forschung erwekkt Gedanken und Erfindung.

٭٭ Müssen wir sonach auf die Tradition in ihrer Unmittelbarkeit eingehen, so werden wir hierbei neben einer zergliedernden Betrachtung der Monumente sowohl in Absicht auf das Material, also statischer und konstruktiver Seits, als auch von Seiten der blos künstlerischen Ausstattung, alle Hülfsquellen zu gewinnen und zu nutzen suchen müssen welche sich irgend noch in den Ueberlieferungen der alten Literatur für diese Forschung erhalten finden. Denn weil die Baukunst in jeder ihrer verschiedenen Weisen und Formen nur ein Ausfluss vom Kunstbewustsein des werkthätigen Geschlechtes ist welches sie erschuf, dabei aber wie alle zeichnende Kunst nur eine stumme Manifestation dieses Bewustseins, so müssen auch die Thatsachen in der literarischen Tradition die sich hierauf beziehen, mit diesen eben gewonnenen Aufschlüssen übereinstimmen; es muss auch durch den Mund der Alten bezeugt werden dass die Bedeutung welche man diesen Formen den Monumenten nach zu Grunde legt, ihnen wirklich und nur so von den Alten selbst ursprünglich untergelegt worden sind. Aus diesem Grunde muss zur Prüfung Gefundenen die Ueberlieferung von beiden Seiten her zusammengefasst und verglichen werden, ja es muss sogar aus dem Einen das im Andern Fehlende zu ergänzen sein.

٭٭ Abgesehen von der Art und Weise wie das Räumliche werkthätig erbildet worden ist, wird sich die Forschung zuerst nun mit dem Gedanken zu beschäftigen haben welcher in die räumliche Ausbreitung des baulichen Gehäuses gefasst und eingeschlossen worden ist. Dass hierüber die Geschichte des religiösen und sittlichen Lebens der Hellenen allein die Aufschlüsse geben könne, bedarf keines Beweises; es beginnt die Erkenntniss der überlieferten Werke nur mit den Quellen dieser Geschichte. Wie will man in der That auch die räumliche Form und Einrichtung des Tempels erklären wenn man nicht das Schema des Kultes weiss zu dessen Ausübung er bereitet, wenn man nicht die Heiligthümer kennt zu deren Aufnahme der Raum gegliedert wurde? Kann man aber sagen dass bis auf diesen Augenblikk irgend andere Aufschlüsse hierüber gegeben worden sind als solche die sich nur in den Grenzen, der alltäglichsten Vermuthung halten? Die Bestimmung der innern und äussern Einrichtung des Hieron ist bis auf diesen Augenblikk noch mit einem dichten Schleier verhüllt. Wie will man andrer Seits die Bestimmung der wohnlichen Räume des Hauses gewinnen wenn man nicht die häusliche Lebensweise und Sitte erkundet hat deren die Bewohner hier pflegten? Wie weit aber bis heute die Erkenntniss dieses Gegenstandes gediehen ist, beweist dass man noch nicht einmal gesichert hat welches Verhältniss zwischen Atrium und Cavaedium, was doch den Hauptraum des Hauses betrifft, statt finde.

٭٭ Zum Andern wird die Kenntniss des Werkthätigen in der Baukunst hier eintreten, um die dieser Seite allein angehörigen Verhältnisse zu ergründen; es ist das Princip der Statik und Construktion, das Gesetz und die Form eines jeden Theiles vom statischen Gliedersysteme welches eben die Bauweise charakterisirt, zu gewinnen. Ist aber dieses erkannt so ist damit auch der Schlüssel zum Räthsel der Kunstformen gewonnen welche diesen Gliedern als erklärende Hülle verliehen worden sind; denn da jene Körper nur erbildet waren um statisch dienend ein Räumliches herzustellen, so können alle Formen welche ihnen ausserhalb jenes materiellen Dienstes weiterhin angebildet sind, nur gedacht worden sein um dieses Wesen an ihnen charaktervoll zu versinnlichen, um den Begriff des Statischen und Raumbildenden der in ihrem rein statischen Formenzustande unwahrnehmbar sein würde, für die Sinne wahrnehmbar zu vollenden; daher sind sie auch in dem Vorgedanken mit dem statischen Gliede nur Eines und mit dessen Form zugleich gedacht. Wenn demnach das ganze bauliche System in jenem statischen Formen-Zustande seiner Theile nur ein Produkt des Handwerklichen war, so erhält es durch diese vollendeten Formen das Siegel eines Kunstwerklichen. Gehörte nun das statische Werk bloss der erfindenden Geistesthätigkeit allein an, hatte es kein Vorbild in der Aussenwelt, so sind die Kunstformen dagegen, obgleich sie ebenfalls vom Geiste vorbedingt sind, doch nur in dem Vorhandenen der Aussenwelt allein gegeben. Und hierin, in Hinsicht auf die Erzeugung solcher Kunstformen, geht die Architektonik mit der historischen Skulptur und Malerei nur von einer Wurzel aus und verfährt nach gleichem Principe mit diesen; jedoch nur erst dann sobald sie das Materielle statischer Seits erfüllt und ein raumbildendes System erfunden hat, tritt sie in die Reihe der blos darstellenden Kunstthätigkeit zu jenen Beiden. Beide können sich nun ihrer Gedanken und vorgedachten Begriffe nicht anders entäussern als durch das Mittel der vergleichenden Bildersprache, indem sie sich Bildzeichen oder Kunstsymbole gewinnen die sie an Stelle des Begriffes setzen. Denn es kann in der zeichnenden Kunst kein Begriff an sich selbst dargestellt werden, sondern die Kunst muss ihn in ein solches Symbol fassen und ihn unter demselben zu verkörpern suchen. Gleicherweise verfährt die Architektur, indem sie ihre Symbole oder Kunstformen nur denjenigen vorhandenen Gebilden entlehnt in deren Körperlichkeit ein ganz entsprechender Begriff als wie der ist welcher in den Gliedern des baulichen Systemes gesetzt wurde, bereits ausgewirkt erscheint. Ein Begriff für den sich daher kein Analogon in der Sinnenwelt auffinden lässt, kann überhaupt nicht von der zeichnenden Kunst also auch nicht von der Architektonik dargestellt werden. Dies ist eben die Wechselwirkung zwischen Gedachtem und Vorhandenem, zwischen Erfindung und Nachahmung, worin das Wesen alter zeichnenden Kunst und ihr Verhältniss zur Natur beruht.

٭٭ Was die Kunstformen überhaupt anbetrifft so würde deren Bedeutung bereits auf Grund des allgemein wahren Bildungsgesetzes aus dem auch in der Natur alle Körperform hervorgeht erklärt, und kraft dessen auch dargelegt werden können wie dieselben in den baulichen Monumenten nur diesem Gesetze analog erbildet worden seien; allein weder der erstere Erweis ihres Wesens, der aus der Natur, noch der letztere der aus den Kunstwerken fliesst, kann kritisch genommen eine allseitige Gültigkeit haben; denn es kann Gedanken geben die zwar Wahrheiten in sich sind, aber dennoch nicht in jener Sache enthalten sein dürften der man sie grade unterlegt. Ergiebt sich aber durch Vergleich mit den Ueberlieferungen der Schrift dass beide nur für Eines sprechen, dass die Bedeutung der Formen wie sie aus den Bauwerken erkannt ist als solche von der alten Literatur bestätigt wird, ergiebt es sich dass alle Thatsachen der Letzteren, selbst die spätesten schon an das Bewustlose streifenden Nachrichten eingeschlossen, nur hierauf hinausgehen und jenes Ergebniss beweisen, so ist das Gewonnene auch historisch als das Rechte dokumentirt und demnach zur unumstösslichen Wahrheit geworden; es hat der Forschende das frohe Bewustsein gewonnen nichts in die Sache hineingetragen zu haben. Selbst die grösseste andersdenkende Autorität wird alsdann diesem Resultate nicht den geringsten Eintrag mehr anzuthun vermögen. Denn indem die Forschung solcher Weise aller subjektiven Ansicht entrükkt und auf die feste Basis der Wissenschaft versetzt ist, so kann sie allein nur von dieser entweder als ungültig erwiesen, oder blos berichtigt, oder aber verstärkt und als eine ausgeklärte Wahrheit anerkannt werden. Eine blosse Negation dieses Resultates schlechthin ist nicht mehr möglich. Wohl giebt es eine Richtung die die Wissenschaft nicht zur Freundinn und lieb gewonnen hat, welche ohne dieselbe mühelos zum Zwekke zu kommen vermeint und entweder blos mit der Kenntniss des Handwerklichen oder höchstens mit dem recipirten Schema das Reich der Kunstgedanken erobert zu haben glaubt. Diese Richtung möchte freilich die Wissenschaft nicht allein aus dem Kreise der Erkenntnissmittel so viel als möglich hinausdrängen, sondern sie viel lieber gänzlich negiren. Denn die Wissenschaft ist ihr als ein dämonischer Wächter der das Positive hütet nicht allein höchst unbequem, sondern deshalb sogar eine gefährliche Feindinn weil sie ihren Annahmen, die sich natürlich nur im Kreise der baaren Hypothese bewegen können, stets widerspricht und die Phantasieflüge einer künstlerischen Imagination stets am Boden der schalen Thatsachen halten will. Allein die Männer dieser Richtung welche die Dinge so nur halb sehen, gleichen in der That jenen einäugigen Arimaspen der alten Sage die fortwährend mit den apollinischen Greifen um die goldenen Schätze des Musengottes im Kampfe begriffen sind, aber niemals ihrer Meister werden und zum Besitze des Verborgenen gelangen. Dass wir auf dem Wege der Forschung zum Ziele gelangen, kann bereits mit den untrüglichsten Zeugnissen belegt werden. Aber es könnte jeden Zweifel hieran auch schon ein Blikk auf die Zeit unmittelbar vor Schinkels Wirken beseitigen; eine Zeit in der die Grösse des Baumeisters nur nach der Fähigkeit gemessen wurde mit welcher es ihm gelungen war durch die bereits in der Fremde schon zum Uebergenusse abgebrauchten aber den äusserlichen Menschen erregenden Facaden- und Planmotive italienischer und französischer Meister, zusammensetzend zu wirken, und es ist fürwahr ein Zeugniss der hohen und bewusten Tugend dieses Mannes dass er solche Mittel stets verschmähte durch welche man die Sympathie der gewöhnlichen Menge so sehr gewinnt, dass er niemals zu dem sogenannten malerischen Elemente in der Architektur griff um seine Werke auszustatten; ohnerachtet er dasselbe doch in einem unübertreffbaren Grade besass und auch bei Vorwürfen wo es galt Schauarchitekturen und Bühnendekorationen zu dichten, in seinem ganzen Rechte auftreten liess. Eingedenk aber jener ethischen Beschränkung in den Mitteln welche die Hellenen die Sophrosyne in der Kunst heissen, fühlte er dass dem Kunstwerke in welchem der geläuterte Gedanke allein unversehrt in die Form übergehe, schon die höchste Erfüllung geworden sei, wo jede Zuthat von Form die darüber hinausstrebe nur vom Uebel und ein leerer Schein sein könne. Dass aber dieser Genius in Schinkel hätte entzündet und befruchtet werden können wenn nicht die Offenbarungen der Wissenschaft vorangegangen wären, das können wir nur verneinend beantworten. Müssen wir nicht bekennen dass uns Winckelmanns Wissenschaft die alte Bildkunst überhaupt wiedergeboren habe? Oft genug hat Schinkel es selbst bekannt welcher geistige Schatz ihm allein in Hirts kunstgeschichtlichen Forschungen geworden sei. Also nur wenn die völligste Kunde baulicher Werkthätigkeit, sich vereint mit der Kunde des Wesens der wissenschaftlichen Ueberlieferungen, wird die Wahrheit gewonnen; eine der beiden Thätigkeiten allein kann nicht zum Ziele führen. Wird von einer Seite die wissenschaftliche Forschung allein die Brükke sein die uns hinüberführt zur Erkenntniss des Geistes der in den Typen der überlieferten Werke ausgeprägt ist, so wird von der anderen Seite nur die völlige Kenntniss werkthätigen Schaffens den Grund und die Ursachen aufschliessen können aus denen das bauliche System der Hellenen werkthätig entsprungen ist. Haben wir aber auf diese Weise die Tradition im Wesen durchdrungen, so ist Bildungsprincip, Gesetz und Begriff ihrer Formen dem Bewustsein auch sogleich wiedergegeben, der todte Eklekticismus vernichtet und die Quelle ursprünglicher Kunsterfindung wieder geöffnet; es wird dann an Stelle einer unbewusten Verehrung jener idealen Kunstformen die blos auf der sinnlichen Empfängniss ihrer Schönheit beruht, die bewuste Erkenntniss treten welche zur Ursache jener Schönheit gelangt ist. Mag sich ein oberflächlicher Sinn in unsern Tagen andersdenkend auch noch so sehr dagegen auflehnen, so ist doch die Zeit nicht mehr fern die sich zum Rechten bekennen und es wird annehmen müssen. Darum, weil die literarische Hinterlassenschaft des alten Volks-Geistes die heilige Schrift seiner Kunst ist, darum soll mit der Werkthätigkeit bei uns stets die Wissenschaft Hand in Hand gehen, um durch die Lehren die aus ihren Forschungen fliessen das zu ergänzen was dem werkthätigen Manne ohne sie zu gewinnen nicht möglich ist. Denn nur wenn Werkthätigkeit und Wissenschaft sich vereinen, kann nach dem Worte eines grossen Denkers eine wissenschaftliche Werkthätigkeit daraus hervorgehen, und eine solche allein nur ist Kunst. Dafür nun bürgt uns eben der Genius und die That Schinkels, und ich kann nicht anders als das Wort wiederholen das ich vordem ein Mal an den Freundeskreis unsres Architekten-Vereins richtete: Die alte Kunst gleicht einem herrlichen Instrumente das einst ein grosses Dichtervolk sich gebildet, um durch den Wohllaut seiner Klänge schlummernde Naturkräfte zu wekken und sie zu einer neuen Ordnung, zu einem höheren Sein zu vereinen. Ein Instrument bei dessen Klängen, wie die Sage geht, die Heiligthümer und Mauern der siebenthorigen Thebe von selbst sich fügten, Stein an Stein, rhythmisch nach Maass und Form, das aber Jahrhunderte lang verstummt lag weil mit dem Heimgang jenes Geschlechtes die Weise seiner Berührung vergessen war. Kömmt aber nach langer Zeiten Dauer ein dem alten geistverwandtes Geschlecht das des Instrumentes Brauch und Wesen erkundet und bewust anschlägt der Saiten volle Klänge, so fügen sich ihm wiederum bildsam die rohen Kräfte des Gesteines und zwar zu neuen herrlichern noch nie gesehenen Bildungen. Und wie man sagt dass des Memnon Bild jedes Mal die Wiederkehr seiner Erzeugerin Eos laut erklingend begrüsse, so begrüsste für Germaniens Geschlechter der Hymnus Schinkels die wiederkehrende Morgenröthe jener ursprünglichen Kunst, zu einer neuen Weise ihres Seins. Halten wir daher fest an dem was Schinkel gewollt, halten insbesondere die welche durch grosse geistige Gaben und freundliches Glükk den schönen wenn auch mühevollen Beruf gewonnen haben an der Spitze unserer künstlerischen Werkthätigkeit zu stehen, halten sie fest die Bahn im Auge die er mit seinem Schritte vorgewandelt hat, so werden sie ebenso ein Vorbild geistiger Nacheiferung sein wie er, und durch ihr Beispiel und ihre Werke das ihnen folgende jüngere Geschlecht noch mehr im Guten erleuchten als alle, selbst die aufopferndste Hingebung der blossen Kunstlehre und Kunsterziehung es vermag. Damit — gleich wie die Hellenen sagten dass die Nachtigallen nirgends lieber nisteten und reizender sängen als um die Stätte wo das Aschenmal ihres Orpheus stand — damit die Deutschen einst sagen mögen: dass man nirgends würdiger baue und edler bilde als in der Stadt die das Ehrengrab ihres Schinkels einschliesst.