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Autor: Auer, Hans
In: Allgemeine Bauzeitung - 48 (1883); S. 65 - 68; S. 73 - 74
 
Die Entwicklung des Raumes in der Baukunst
 
Hans Auer, Architekt (Hiezu Tafeln Nr. 51 - 52)

Die göttlichste Kraft, die des Menschen Geist bewegt und treibt, ist seine Phantasie. In hohem Fluge hebt sie ihn über Zeiten und Räumlichkeiten und vor ihrem Zauber lösen sich alle irdischen Schranken. In dem Augenblicke aber, wo die Gebilde der Phantasie in's Leben treten und Wirklichkeit empfangen, wo ihre Schöpfungen verkörpert werden sollen - da muss sie in die engen Grenzen physischer Gesetze zurückkehren und sich ihnen unterordnen. Die Ausführung der kühnsten Ideen, welche unser geistiges Auge träumt, wird beschränkt durch die vorhandenen Mittel und Stoffe, ebenso wie durch die Fähigkeit, mit der wir diese zu verwerthen im Stande sind. Die völlige Beherrschung der verfügbaren Mittel, die von schwungvoller Phantasie beseelt, vom Geschmack geleitet wird, die Aufgabe im höchsten Sinne erfasst, heisst:  K u n s t,  und sofern sie sich auf den Zweck bezieht, Räume zu schaffen: die  B a u k u n s t. In der Entwickelung des menschlichen Geistes hat keine der Künste den Menschen so stufenweise zu immer höheren Zielen und immer höheren Erfolgen emporgeführt, wie die Baukunst; und keine hat selbst eine so gleichmässige Entwickelung und Weiterbildung erfahren, auf gleichem Schritte mit der Kultur, wie die Fähigkeit, geschlossene Räume künstlich und künstlerisch zu gestalten. Denn die architektonischen Ideale, welche der Phantasie vorschweben, hängen jederzeit genau mit dem Stande des technischen Könnens, des praktischen Wissens zusammen. Einem Volke z. B., das kein Gewölbe kennt, kann ein solches auch nicht zum Ideal werden; - es kann nur die überlieferte und geübte Technik vervollkommnen und weiterführen. Diese Fortschritte, im Einzelnen immer sehr klein, sind die Resultate der Veränderungen des Kulturzustandes. Jede soziale oder kulturelle Epoche, jedes Glaubensbekenntniss, jedes politische Prinzip hat andere räumliche Bedürfnisse, welche durch das Bauhandwerk zu lösen sind. Die künstlerische Fähigkeit der Bauleute wendet sich nach der neu eingeschlagenen Richtung; nach und nach, aber immer erst im Verlaufe von Jahrhunderten, integrirt sich aus den zahllosen kleinen Differenzialien von neuen Erfahrungen und Kenntnissen der neue Styl heraus. Jeder Baustyl erfüllt eine andere Seite der Bedürfnisse und Aufgaben des menschlichen Geschlechtes und auch die Baugeschichte ist wie eine grosse Fuge, in der nach und nach die verschiedenen Ideale der Menschheit ihre Stimmen erheben. Die höchsten Leistungen im Gebiete der Baukunst, speziell der Raumesgestaltung fallen jederzeit mit den Perioden hoher Kulturentfaltung zusammen. Nur in solchen Glanzepochen waren mit den Bedürfnissen nach mächtigen Räumen auch die erforderlichen Mittel und die technischen Fähigkeiten in reichlichem Maasse vorhanden. Von den grossartigen Monumenten, welche uns als Zeugen solcher hervorragenden geschichtlichen Epochen erhalten geblieben sind, die daher das ganze technische und künstlerische Können und Wissen, den Styl ihrer Zeit in vollendetster Durchbildung verkörpern, sind auf Taf. Nr. 51-52 die Grundpläne in dem Massstabe von 1 : 1000 zusammengestellt, wodurch eine deutliche Uebersicht der relativen Leistungsfähigkeit der bezüglichen Zeiten gewonnen wird. Wenn nun in diesen Denkmälern früherer Kulturepochen ein Fortschreiten, eine Entwickelung der räumlichen Gestaltung erkannt werden soll, so muss zunächst untersucht werden, in welcher Richtung eine solche vor sich geht, welche Tendenzen sie angestrebt und erreicht hat? Die natürlichen physischen Eigenschaften des Materials, seine Gebrechlichkeit und Zerdrückbarkeit zwingen uns, sobald ein Raum eine gewisse beschränkte Dimension der Breite überschreitet, zur Unterstützung der Decke eine Anzahl von Pfeilern oder Säulen im Raume aufzustellen. Nach der praktischen und ökonomischen Seite musste das Bestreben der Konstrukteure darauf gerichtet sein, diese raumbeengenden Stützen in möglichst geringer Zahl und in möglichst schlanken Verhältnissen aufzubauen. Ihre Anordnung kann wohl manche Schönheit mit sich bringen, aber für den Zweck sind sie unter allen Umständen störend. Die Untersuchung aller alten Monumente zeigt uns auch, dass nie mehr Säulen aufgestellt wurden, als absolut nothwendig, und dass sie stets so weit von einander entfernt waren, als unter den gegebenen Verhältnissen möglich war. Dieser eigentlich selbstverständliche Umstand muss betont werden, weil in der modernen Baukunst ein anderes, höheres künstlerisches Gesetz an die Stelle von jenem getreten. Dieses rein ökonomische Motiv war bei der Bildung der Räume jedoch nicht allein massgebend, sonst würde die Baukunst niemals aus den Holzkonstruktionen hinausgekommen sein und wir würden uns noch heute mit Zelten und Holzschupfen behelfen. Es tritt zu jenem ein zweites, viel mächtigeres und höheres Gestaltungsprinzip, das sich, wie jenes, in erster Linie allerdings nur auf die Konstruktion bezieht - aber durch diese ihren unmittelbaren Einfluss auf die Raumentwickelung ausübt. Wenn Völker oder Fürsten den Bau solcher Monumente unternahmen, mit denen sie stets alles vorher Dagewesene zu überbieten trachteten, so war damit auch die Absicht verknüpft, ihr Werk der Nachwelt zu überliefern - zum Zeugniss ihrer Macht und Fähigkeiten. Aus diesem Grunde und weil sie zur Erkenntniss gekommen, dass die wahrste Oekonomie doch nur in der grössten Festigkeit liegt, wurden diese Bauten durchaus in soliden, der Zeit und den Elementen trotzenden, Materialien und Dimensionen ausgeführt. Die Wände, die Säulen und Pfeiler, wie auch die Decke erhielten die kräftigsten, möglichst stabilen Verhältnisse. Dieses Prinzip äusserst monumentaler und dauerhafter Konstruktion steht nun jenem ersten diametral gegenüber, das dahin ging, den Raum möglichst gross und frei zu gestalten, und  d i e  h ö c h s t e  A u f g a b e  u n d  d a s  e i g e n t l i c h  t r e i b e n d e  u n d  f ö r d e r n d e  M o m e n t  i n  d e r  E n t w i c k e l u n g  d e r  B a u k u n s t  w a r:  d i e  V e r m i t t l u n g  z u  f i n d e n  d i e s e r  G e g e n s ä t z e,  z w i s c h e n  m ö g l i c h s t  g r o s s e r  u n d  f r e i e r  R a u m e n t w i c k e l u n g  u n d  g l e i c h z e i t i g e r  m ö g l i c h s t e r  M o n u m e n t a l i t ä t  u n d  W e t t e r b e s t ä n d i g k e i t. Die Vereinigung dieser beiden einander widerstrebenden, um die Herrschaft kämpfenden Tendenzen wird nun durch ein drittes Moment modifizirt, respektive stets nach der einen oder anderen Seite hingedrängt: durch die vorhandenen materiellen Mittel und Kräfte, mit denen der Bau geführt wurde. Da zeigt sich naturgemäss, dass in jungen, noch nicht konsolidirten, sozialen Organismen die grössere räumliche Ausdehnung auf Kosten der Dauerhaftigkeit vorgezogen wird, wie bei den Persern und Griechen und im Anfange des Christenthums, während in den Zeiten, wo die Bauprojekte von absoluten weltlichen oder geistlichen Herrschen alt bestehender, fest gegründeter Staaten ausgehen, stets die grösste Monumentalität angestrebt und erreicht wird - wie in Aegypten, Babylon, unter den römischen Imperatoren und zu gewisser Zeit unter dem Papstthume. Doch war es nur jenen Zeiten vorbehalten, den glücklichsten Ausgleich zu finden zwischen den Anforderungen der Dauerhaftigkeit und möglichst günstiger Raumesausnützung, in welchen eine grössere Gleichmässigkeit der sozialen Stände herrschte, in welchen bescheidenere Mittel zum Aufgebote aller Energie zwingen und in welchen die Kunst zum Gemeingute des Bürgerthums geworden war: im Mittelalter und in der Renaissance. Dieses sind die  t e c h n i s c h e n  Bedingungen, welche die Entwickelung des Raumes begründen. Jedem Fortschreiten liegt ja stets ein natürliches, rein praktisches Ziel zu Grunde. Wir wissen heute auch, wie die Entwickelung aller Organismen, die Veränderung ihres Baues durch verschiedene Gattungen und Arten nur dem natürlichen, eminent materiellen Zwecke ihrer Anpassung an bestimmte gegebene Verhältnisse dient, dem Zwecke ihrer Ernährung und Fortpflanzung, zur Unterstützung im Kampfe um's Dasein.  D i e  B a u g e s c h i c h t e  h ä n g t  m i t  d e r  E x i s t e n z  d e s  h ö c h s t e n  G e b i l d e s  d e r  S c h ö p f u n g  s o  i n n i g  z u s a m m e n,  d a s s  a u c h  a u f  s i e  d i e  E n t w i c k e l u n g s g e s e t z e  d e r  o r g a n i s c h e n  W e l t  i n  g e w i s s e m  S i n n e  A n w e n d u n g  f i n d e n,  und sicher ist, dass die Style keine so gewaltigen Mannigfaltigkeiten aufweisen würden, wenn eben nicht durch die wechselnde Kultur, durch die verschiedenen Klimata das Bedürfniss dazu getrieben hätte. Es darf nun aber nicht ausser Acht gelassen werden, dass die Werke der Baukunst nicht blos handwerksmässige Leistungen von Konstrukteuren sind, sondern dass wir es hier mit Schöpfungen der Phantasie zu thun haben, die sich an die Seele des Menschen wendet, und müssen uns erinnern, dass die Phantasie nicht blos von den technischen Fähigkeiten begrenzt, sondern auch vom künstlerischen Geschmack geleitet werden muss. Die Baukunst hat zwei Seelen: die eine hängt sich an die Erde und ist dem praktischen Zwecke untergeordnet, die andere erhebt sich als freie Himmelstochter in höhere Regionen und indem sie der reinen Schönheit dient, ist sie sich selbst genug. Dieser Dualismus zeigt sich auch in der Ausbildung des Raumes; die Form seiner Grundfläche, die Länge und Breite ist dem praktischen Erfordernisse gemäss angeordnet und wird unmittelbar vom Zwecke bestimmt; - aber die Höhe geht weit über die menschlichen Bedürfnisse hinaus und sie ist es, welche angenehm, imponirend, erhebend und überwältigend auf die Seele des Eintretenden wirkt. Je mehr die Heiligkeit eines Raumes betont werden wollte, um so höher wurde er zu allen Zeiten zu machen gesucht. - Im Verhältnisse der Höhe zur Ausdehnung liegt eines der schönsten künstlerischen Momente der Raumgestaltung, dem die Architekten der Antike, wie der Renaissance sogar durch Aufstellung bestimmter Zahlenverhältnisse nahe zu kommen gesucht haben. Durch die Thätigkeit des ordnenden Menschengeistes und unter dem Zwange der praktischen Nothwendigkeit werden die im Raume erforderlichen Säulen und Pfeiler in Reihen und rhythmischer Regelmässigkeit gruppirt. Der Raum erhält dadurch seine Gliederung, seine proportionale Theilung, wie jedes andere Werk der Kunst und der Natur. Es entsteht jene malerische Schönheit, jener perspektivische Reiz, jene Mannigfaltigkeit in der Beleuchtung, kurz jene Fülle und jener Reichthum der inneren Gestaltung, der den Raum zum wahren Kunstwerke zu stempeln vermag, für welchen die Bezeichnung der  P o ë s i e  d e s  R a u m e s  gefunden wurde. Indem nun der Raum aus den erwähnten Faktoren durch die künstlerische Thatkraft geschaffen wird, wobei die Anforderungen des  Z w e c k e s,  der  K o n s t r u k t i o n  und der  S c h ö n h e i t  ihren vollkommen gleichwerthigen Einfluss ausüben, so dass keines dieser Elemente über das andere dominirt, prägt er gleichzeitig seiner Hülle, nämlich der äusseren Erscheinung des Baues, eine bestimmte Gestalt auf. D e r  R a u m  i s t  d i e  S e e l e  d e s  B a u e s,  die den Körper ausfüllt und nach aussen charakterisirt. Wie aber die Seele an den Leib gebunden ist und ebenso der Leib an die Seele, beide von einander abhängig, so wirkt auch der Raum nicht nur auf die äussere Erscheinung des Baues, sondern ist seinerseits von dem inneren konstruktiven Organismus bedingt. Von der gewählten oder traditionell vorgeschriebenen Bauart hängt sowohl die Physiognomie des Raumes ab, wie auch die gesammte äussere Erscheinung bis ins kleinste Détail. Die Einzelformen sind die äusserlich charakterisirenden Merkmale der verschiedenen Baustyle und werden daher von der allgemeinen Baugeschichte, welche die Style trennen muss, in erster Linie hervorgehoben. Von unserem Standpunkte sind sie aber nur die Konsequenzen der inneren Konstruktion und organischen Unterschiede, sowie die Bildung des Gesichtes und des Körpers bei den verschiedenen Racen nur der Ausdruck der inneren physischen und psychischen Verschiedenheit ist. Wenn, wie im Vorliegenden, mehr auf den Kern, auf das Wesen der Baukunst und auf ihre Aufgaben zurückgegangen wird, so findet man in der  R a u m g e s t a l t u n g  u n d  i n  d e n  i h r  z u  G r u n d e  l i e g e n d e n  T e n d e n z e n  d i e  E i n h e i t,  d e n  Z u s a m m e n h a n g  a l l e r  S t y l e,  von den ersten Anfangen bis zur Gegenwart; es zeigt sich dabei zur  E v i d e n z,  dass sie nicht getrennt neben einander bestehen, sondern sich aus einander entwickelt haben und dass jeder nach Einer Seite hin eine konstruktive oder praktische Vervollkommnung mit sich geführt hat, die ihn über den vorhergegangenen heraushebt. Zur näheren Begründung dieser einleitenden Bemerkungen sollen nun die bedeutendsten Räume der verschiedenen Style zunächst in chronologischer Folge in Bezug auf ihre innere Gestaltung untersucht werden, um sodann die Beziehungen der einzelnen Style unter einander auf Grund ihrer verwandten räumlichen Anordnungen nachweisen zu können. Die ältesten Monumente der Baukunst - aber schon Zeugen hoch entwickelter Technik - sind die Ueberreste jener gewaltigen Tempelbauten in Unter-Aegypten. Vor einem kleinen, nach aussen vollständig abgeschlossenen Heiligthume lag eine Reihe von theils offenen, theils gedeckten Vorhöfen, von denen der grössten einer, der sogenannte  h y p o s t y l e  S a a l  von  K a r n a k  zunächst unsere Aufmerksamkeit fesselt. Es ist ein Saal von 100 Meter Länge und 50 Meter Tiefe, der in zwei niedrige Seitenhallen von 15 Meter Höhe und eine mittlere Durchgangshalle von 24 Meter Höhe sich theilt. Die Decke des ganzen Raumes ist aus 1•36 Meter dicken Steinplatten konstruirt, welche in den Seitenhallen von 122 Säulen von 2•81 Meter Dicke und 14•6 Meter Länge (Monolithen) getragen werden, während im mittleren Durchgänge die Säulen eine Stärke von 3•57 Meter bei einer Höhe von 21 Meter haben. Die Säulen stehen in möglichst weiten Abständen, denn in den Seitenhallen müssen die Steinplatten eine Länge von 5•46 Meter, in der Mittelhalle sogar von 9•20 Meter überspannen. Da die Mittelhalle, wie erwähnt, die Seitentheile an Höhe überragt, konnten in der oberen Seitenwand der ersteren die Fensteröffnungen angebracht werden. In dieser Halle ägyptischen Styls -  d e m  P r o t o t y p  d e r  B a s i l i k a,  sehen wir auf Grund der absoluten hierarchischen Despotie das Prinzip solidester Monomentalität in unerreichbarer Grossartigkeit und Massenhaftigkeit durchgeführt. Der Bau ist eine technische Leistung, wie sie nie mehr, auch nicht unter den römischen Imperatoren sich wiederholte; - aber wenn wir diesen Raum betreten, so wird es uns schwer, von der ausserordentlichen Grösse desselben auch nur einen annähernden Begriff zu bekommen. Wir finden uns in einem Walde von Säulen, in einem von geheimnissvollem Dunkel erfüllten Labyrinthe von Felsenkolossen, die unseren Schritten und Blicken überall im Wege stehen. Hunderte von Menschen können sich gleichzeitig darin aufhalten, ohne dass der Eine den Anderen sieht. Die Wirkung des Raumes als solchen ist der Monumentalität vollständig geopfert - oder vielmehr: der  S i n n,  d a s  G e f ü h l  f ü r  e i n e n  g r o s s e n,  f r e i e n  R a u m  w a r  n i c h t  v o r h a n d e n,  war nicht bekannt. Vom Thale des Nil wenden wir unsere Blicke zu den ebenso alten Kulturstaaten, die sich an den Ufern des Euphrat und Tigris ausbreiten. Auf mächtigen, künstlichen Terrassen, von fabelhaft dicken Mauern umgeben, erhoben sich hier die Paläste von  B a b y l o n  und  N i n i v e  u. s. f. Trotz der riesigen Dimensionen ihrer Trümmer finden sich im Inneren doch keine Räume von irgend welcher hervorragenden Bedeutung. Die Paläste dieser Gegenden bestanden aus schmalen, 7-9 Meter, breiten, aber sehr langen, unzweifelhaft gewölbten Hallen, die durch 3-4 Meter dicke Mauern getrennt waren und sich um grosse Höfe gruppirten. Wir haben es hier mit einem Volke zu thun, das sein Baumaterial aus dem Schlamme, aus dem Alluvium des Euphrat und Tigris gewann, aus ungebrannten Ziegeln die Paläste seiner kriegerischen Despoten aufführte: darum die übermässig dicken Mauern, die geringe Spannweite der Gewölbe, welche noch keine weitere Gliederung des überspannten Raumes gestattete. In diesen Palästen findet sich ein ganz analoges Missverhältniss zwischen dem enormen Aufwande an Baumaterial und dem kleinen gewonnenen Raume, wie in jenen ägyptischen Hallen - in beiden fehlt noch der Sinn für einen freien, weiten Raum. Indem wir nun das Reich betreten, das jener assyrisch-babylonischen Welt den Untergang bereitete - Persien - finden wir hier in einigen erhaltenen Palast-Ruinen die Tendenz nach ausserordentlicher Grossräumigkeit, die indessen ebenfalls noch zu keiner reicheren Raumesgliederung gelangt. Die berühmte Halle, welche Xerxes während seiner glänzenden Regierung in  P e r s e p o l i s  bauen liess und von deren Pracht noch heute 10 Marmorsäulen Zeugniss ablegen, war ein Saal, dessen Decke von 36 ebenfalls gleichmässig im Raume vertheilten Säulen von 1•58 Meter Stärke und 19.5 Meter Höhe (12 ½ Durchmesser) getragen wurde. Aber die Decke, von der jede Spur verschwunden ist, war nicht von Stein, sondern von Holz, vielleicht in assyrisch-persischer Weise mit Goldblech überzogen. Wenn wir uns nun in diese 61 Meter lange und ebenso breite Halle denken, zwischen diese übermässig schlanken Marmorsäulen, welche 8•72 Meter weit von einander entfernt stehen, so würden wir uns im Gegensatze zu jenem düsteren und plumpen ägyptischen Inneren an den eleganten und luftigen Verhältnissen, an den lichten und freien Durchblicken ebenso erfreuen, wie an der hier unzweifelhaft glänzenden Ausstattung und kaum daran denken, dass diese ganze räumliche Herrlichkeit auf Kosten der Solidität der Decke hergestellt wurde, die bei dem nächsten Elementar-Ereignisse, bei einem zufällig oder absichtlich herbeigeführten Brande, zu Grunde gehen und damit den Untergang des ganzen kostbaren Baues verursachen musste. Die Entstehungszeit dieses Palastes berührt nun beinahe die Blütezeit  g r i e c h i s c h e r  B a u k u n s t,  deren konstruktive Elemente einerseits an die ägyptische, andererseits an die orientalische Baukunst sich anlehnen. Auch hier finden sich steinerne Decken, von nahezu eben so starken Säulen getragen, wie in Aegypten; Steinbauten, die reichlich genügend dauerhaft gewesen wären, um unsere Zeit zu erreichen und zu überdauern, wenn nicht seither leider das Schiesspulver erfunden worden wäre. Daneben über weiter gespannten Räumen die Holzkonstruktion. Die räumliche Gliederung des Inneren aber hat durch zwei neue Motive eine Bereicherung und Steigerung erfahren (siehe den Grundplan des Parthenon). Hier findet sich nicht mehr die  g l e i c h m ä s s i g e  Vertheilung der Säulen, sondern, weil der Zweck der Aufstellung des Götterbildes im Tempel dies nothwendig machte, ein breites Mittelschiff, umgeben von schmalen Umgängen, getrennt durch die Säulenreihen, welche zur Unterstützung der Decke nothwendig sind. Anstatt jedoch diesen Säulen die ganze Höhe des Raumes zu geben, wie dies die Aegypter gethan, wodurch die Säulen so übermässig dick wurden, zogen es die von feinerem Gefühle beseelten Griechen vor, im Inneren zwei kleinere Säulenordnungen  a u f  e i n a n d e r  z u  s t e l l e n.  Dadurch wurde das Innere in schönerer, mehr harmonischer Weise belebt. Dieses griechische System der Raumestheilung pflanzte sich nun durch alle folgenden Style fort, gelangte aber durch die Fortschritte in der Holzkonstruktion zu immer weiteren Spannungen, zu einer immer mehr dominirenden Gestaltung des Mittelschiffes. In der römischen Basilika, dem Zentralraume des geschäftlichen Verkehres und der Rechtspflege, findet sich dieselbe Theilung wieder, nur vergrössert und erweitert durch mehrere Seitenschiffe, über denen zur weiteren Ausnützung des Raumes noch Galerieen angeordnet waren. Als Beispiel einer solchen sei das letzte und glänzendste Werk der griechisch-römischen Baukunst angeführt, die  B a s i l i k a  U l p i a,  in der die Mittelhalle eine Breite von 25 Meter erreicht und nach der Tradition mit bronzebekleideten Balken überdeckt ward, während die Seitenhallen durch vier Reihen von je 18 Säulen von 1•03 Meter Durchmesser begrenzt waren. Auch in der christlichen Basilika wiederholt sich dasselbe Prinzip, doch sind hier die Säulenreihen des oberen Geschosses ersetzt durch eine volle Mauer, in welcher die Fensteröffnungen angebracht sind, und das ganze Innere ist in Beziehung zu dem bedeutenden Chor und zum Altar gebracht. In dieser Gebäudeform - der altchristlichen Basilika - ist das Verhältniss des überdeckten Raumes zu dem Aufwande an Material, zu den darin aufgestellten Säulen so überaus vortheilhaft und es wurde dadurch mit relativ geringen Mitteln eine so unvergleichlich grossartige und stimmungsvolle Raumwirkung erzielt, dass sich diese über ein Jahrtausend fast unverändert erhielt und über die ganze christliche Welt ausgedehnt hat. In diesen letztgenannten Raumanlagen trugen die durch schlanke, durchsichtige Säulenreihen gestützten Mauern eine hölzerne Decke. Dadurch wurde die grosse Spannweite, die freie, schöne Entwickelung des Inneren ermöglicht, aber zugleich die leichte Zerstörbarkeit und Vergänglichkeit des Baues bedingt. Wohl ist die erste in diesem Jahrhunderte abgebrannte Basilika S. Paolo Fuori wieder aufgebaut - aber wie viele andere kostbare Bauten mit unersetzlichen Kunstwerken sind auf diese Weise, durch die ungenügende Sicherheit der Deckenkonstruktion zu Grunde gegangen! Darum fand mit der steigenden Kultur, mit den erweiterten Kenntnissen und Erfahrungen eine Konstruktionsart in der Baukunst Aufnahme, welche ihren Werken in höherem Grade die Unvergänglichkeit sicherte: nämlich das Gewölbe. Die Römer schufen wohl schon in frühesten Zeilen mächtige Nutzbauten, Brücken, Kanäle, Wasserleitungen, Stadtthore, wo sie überall genöthigt waren, von der Gewölbe-Konstruktion Gebrauch zu machen. Doch dieses waren Steinbauten und dürften kaum in Zusammenhang zu bringen sein mit den grossen gewölbten Sälen der Kaiserzeit, die aus Backstein und Gussmaterial aufgeführt wurden. Für diese haben wir die Quelle im Orient zu suchen, in jenen Städten, die Alexander auf seinem Siegeszuge gründete und die ihrerseits nur eine alte Ueberlieferung von den Bauten Mesopotamiens aufnahmen und fortpflanzten. Von Alexandrien, dem Emporium der alten Welt, lernte Rom und holte von dort den Sinn und die Technik für die grossartigen öffentlichen Bauten, deren es in seiner hohen politischen, weltbeherrschenden Stellung bedurfte und denen es eine ewige Dauer zu geben beabsichtigte. Während das sparsame, noch mit bescheidenen Mitteln kämpfende Christenthum sich der einfachen, weiträumigen, aber holzgedeckten Basiliken bedienen musste, schufen fast zu gleicher Zeit die römischen Imperatoren jene unerreichten Thermen und Basiliken, in denen die Kühnheit der Konstruktion, wie die Grösse und Schönheit der Räume und die Pracht der Ausstattung gleich bewundernswerth waren. Durch die Einführung des Gewölbes gewinnt die Gliederung des Raumes eine ungleich reichere und mannigfaltigere Gestaltung. Im Gegensatze zu dem einfachen Typus der horizontalen Decke, wo jede Säule unabhängig von der anderen wirkt, tritt nun ein kombinirtes System von untergeordneten und dominirenden Massen und Räumen auf, die in innerem organischen Zusammenhange stehen, so zwar, dass jeder Pfeiler durch die anderen gestützt ist. Im Raume bilden sich stärkere Pfeilermassen, die weitere Oeffnungen zwischen sich frei lassen, und naturgemäss, schon durch die Konstruktion bedingt, ein breiteres, hohes Mittelschiff, umgeben von schmäleren, niedrigeren Seitenschiffen. Die uns erhaltenen grossen bis 41 Meter hohen Säle der Thermen und der Konstantinischen Basilika sind nur die grossartigen Lösungen des technischen Problems, Räume von 23 bis 25 Meter Weite ohne Stütze, monumental, elementarsicher zu überdecken. Die mächtigen Säulen vor den Pfeilern im Inneren dieser Säle, auf welchen die Decke zu schweben scheint, sind scheinbar zur Zierde, zur architektonischen Ausstattung und Gliederung des Raumes angefügt - in Wirklichkeit sind sie aber ein ebenso schönes als sinnreiches Mittel, um die Spannweite des Gewölbes zu verringern und die Breite des Widerlagers zu vergrössern, ohne dadurch den Raum zu verengern. In der  B a s i l i k a  d e s  M a x e n t i u s  erreicht das Verhältniss der Pfeiler zur Grundfläche eine bisher noch nicht dagewesene, seither auch unerreichte Kühnheit und Leichtigkeit; - sie besass unzweifelhaft das durch die Weiträumigkeit grandioseste Intérieur  a l l e r  Zeiten. Den höchsten Triumph feiert aber der Raum vorläufig im  P a n t h e o n,  dessen Wölbung eine Kreisfläche von 43 Meter Durchmesser frei überspannt. Die Last der Kuppel ist auch hier auf einzelne Pfeilermassen übertragen, die im Inneren sichtbar und zur herrlichsten architektonischen Gliederung des Raumes benützt sind, indem Säulenstellungen sie verbinden, welche scheinbar die Kuppel tragen: die ersten Säulen, die nur dekorative Zwecke haben und nur die Schönheit der Raumesgliederung erhöhen sollen. Die Technik des Gewölbebaues gelangt von Rom nach Byzanz, wo in der  S o p h i e e n k i r c h e  ein an räumlicher Entfaltung und Höhe alle weströmischen Bauten weit überragendes Intérieur ersteht. Ein ungemein folgewichtiger Fortschritt lag darin, dass die 28 Meter weite und 50 Meter hohe Kuppel nur auf  v i e r  Pfeilern schwebt, die im Vierecke angeordnet sind, nicht mehr auf dem kreisförmigen Plan. Mit dieser Erfindung wird der Gewölbebau der praktischen Verwerthung erst recht zugänglich gemacht und erschliesst sich damit wieder das Abendland. Unter diesem Einflusse ersteht in romanischer Epoche das unübertroffen schöne Intérieur der  M a r k u s k i r c h e  i n  V e n e d i g,  deren fünf im Kreuz angeordnete Kuppeln ebenfalls auf je vier Pfeilermassen ruhen, die durch kleinere Bogen in zwei Etagen durchbrochen sind. Die rein konstruktive Gruppirung des Inneren und die naive Einfachheit und Naturwüchsigkeit der architektonischen Gliederung verbinden sich mit der höchsten Schönheit der räumlichen Verhältnisse. Wir gelangen nun an jene interessanteste Epoche in der Raumesentwickelung, wo das Gewölbe sich mit jenem alten christlichen Basilikensysteme verbindet, die horizontale Decke nach und nach verdrängt, eine Epoche, die wie keine andere Zeugniss ablegt für die Thatsache, dass der Fortschritt in der Baukunst, die Umwandlung der Style in erster Linie in praktischen Ursachen liegt, dass hiebei stets die Erfüllung irgend eines technischen Problems verfolgt wird, das die Zeitverhältnisse aufgestellt haben. Die häufige Zerstörung der holzgedeckten Basiliken durch elementare Ereignisse veranlasst die Bauleute, nach und nach Versuche zu jene wagen, hölzernen Decken durch das Gewölbe zu ersetzen, zunächst und in der Nachahmung der alten bestehenden Rundbauten über der Vierung, dann über den Seitenschiffen und endlich auch im Mittelschiffe. Es kann hier auf den durch Viollet le Duc nachgewiesenen Prozess nicht weiter eingegangen werden*). Das Resultat dieser über ein Jahrhundert dauernden Versuche war zunächst der  r o m a n i s c h e  S t y l.  Hier finden wir wegen der Gewölbe einen schmalen Mittelraum, statt der Säulen mächtige Pfeiler, wodurch das Innere eine viel schwerfälligere und weniger durchsichtige Anordnung erhält. Es ist darum nur ein Uebergangsstadium. Unwiderstehlich drängen die eingangs angeführten Tendenzen dahin: die Pfeiler immer schlanker und feiner zu machen, zu diesem Zwecke die Last der Gewölbe möglichst zu vermindern, die Widerlager ganz ausserhalb des Raumes zu legen, mit Einem Worte: den inneren Raum so durchsichtig, licht, luftig und frei als möglich zu gestalten. Dieses Ziel führt nach Verlauf eines weiteren Jahrhundertes unaufhaltsam zur  G o t h i k,  in der endlich das Problem gelöst war:  m i t  m ö g l i c h s t  d ü n n e n  S t ü t z e n  d i e  e l e m e n t a r s i c h e r e  D e c k e  z u  v e r b i n d e n.

*) Ueber den Zusammenhang des Querschiffes der alten Basilika mit der romanischen Kreuzform siehe die interessante Studie von N.  G r a f:  Opus francigenum.


Von diesem Endresultate, in dem die  S t e i n -Technik an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angelangt war, konnte kein Weiterschreiten mehr möglich sein. Als daher durch die Literatur die Neigung zum Alterthume wieder erwachte, wirft sich auch die Baukunst auf das Studium der Ueberreste der alten Monumente. Es entsteht im äusserlichen Anlehnen an dieselben und mit Einbeziehung der Errungenschaften des Mittelalters unter dem Einflusse neuer Aufgaben jene unter dem Namen der  R e n a i s s a n c e  bekannte Kunstrichtung, die nun seit vier Jahrhunderten ununterbrochen, nur in verschiedener Auffassung in der Anlehung an verschiedene Vorbilder, fortbesteht. Durch die italienische Renaissance, in welche noch jene gewaltigen Trümmer der Thermen und Basiliken hineinragen, kommt, genährt durch das herrliche Klima, durch die Fülle von Licht und Wärme, die Weit- und Grossräumigkeit wieder zu Ehren. Die Architekten dieser Zeit legten aber nicht blos auf die Grösse, sondern auch auf die Verhältnisse des Raumes ein ganz besonderes Gewicht. Bramante und seine Nachfolger wussten, dass ein Raum schon durch seine blosen Proportionen schön wirken müsse. Später wurden die Regeln Vitruv's auch hiefür maassgebend. Besonders in Palladio's Werken finden wir jene verkörpert. Das unvergleichliche, erst in jüngster Zeit leider durch Einbauten verdorbene  R e f e k t o r i u m  von S.  G i o r g i o  entspricht genau der Angabe, dass die Höhe gleich sei der halben Summe von Länge und Breite (20 Meter, 30 Meter und 10 Meter); doch konnte dieses Gesetz nur für gewölbte Räume gelten. Auch in der Gruppirung und Aneinanderreihung der Räume wird eine gewisse Abwechslung grosser und kleiner Säle und eine rhythmische Regelmässigkeit angestrebt, wie sie sich in den Grundrissen der Alten findet. (Vergleiche hiefür die Villen Palladio's. In der Villa Rotonda gehen überdies die kleinen Zimmer durch ein halbes, die grösseren durch ein ganzes Stockwerk und die Mittelhalle durch zwei, so dass jedem Raume im Verhältnisse zur Fläche die entsprechende Höhe zukommt.)

(Schluss folgt)


DIE ENTWICKELUNG DES RAUMES IN DER BAUKUNST
Von Hans Auer, Architekt (Hiezu Tafeln Nr. 51 - 52)
(Schluss)

Gleich zu Anfang der Renaissance beginnt unter der Herrschaft der mächtigsten geistlichen Gewalt ihr bedeutendstes, unerreichtes Werk: die  P e t e r s k i r c h e.  Es wird gesagt, dass dem  B r a m a n t e  beim Entwurfe derselben die Idee vorschwebte, auf den Friedenstempel (die Basilika des Maxentius) das Pantheon zu setzen, also die beiden kolossalsten Bauten der Römer zu vereinigen. In der That erscheint die Kirche in ihren Dimensionen als eine Kombination dieser beiden Bauten, denn die Gewölbe, welche die Kuppel tragen, haben nahezu dieselbe Spannung - 23 Steter Weite, bei 44 Meter Höhe, während die Kuppel bis auf einen Meter dem Durchmesser des Pantheons nahekommt (42 Meter). Doch übersteigt sie die Summe der Höhe jener beiden antiken Bauten um ein Beträchtliches, denn, beide auf einander gesetzt würden nur 82 Meter ergeben, während die Kuppel ohne die Laterne im Innern 101 Meter Höhe erreicht, so dass also die Thürme der Wiener Votivkirche bequem darin untergebracht werden könnten. Diese vergleichenden Höhenmaasse und der Grundplan beweisen, dass die räumliche Ausdehnung dieses Baues alles vorher Dagewesene weit übertrifft. - Wohl sind die Pyramiden von Gizeh, der Thurm von Babel noch höher gewesen und auch die grössten gothischen Thürme überragen die Spitze dieser Kuppel, aber jene waren nur Denkmäler, Symbole einer Idee und bestimmt, diese nach  a u s s e n  weithin zu verkünden; diese Kuppel ist aber nicht blos eine äusserlich wirkende gewaltige Masse, sondern im Gegentheile der Ausdruck eines überwältigenden Innern, eines Raumes, dessen unerreichte und unerreichbare Heiligkeit durch die Alles überragenden Maassverhältnisse symbolisirt wird. Keine Macht der Welt hat ihre Autorität durch einen solchen Repräsentationsraum zum Ausdrucke zu bringen vermocht. - In dem Plane Michel Angelo's, der alle früheren Projekte, selbst Bramante's, an Einfachheit und Klarheit weit übertrifft, ist, wie in der Markuskirche, der sie am nächsten steht, die Erstwickelung der Nebenräume wieder nur die unmittelbare Konsequenz der Mittelkuppel, welche ohne jene gar nicht existiren kann, so dass hier als Abschluss einer langen Entwickelung das Ideal des Kuppelbaues in der knappsten Form seine Lösung gefunden hat. - Ob die spätere Zufügung des Langschiffes zum ursprünglich projektirten Zentralbaue von Vortheil oder Nachtheil für das Innere war, wird jeder nach eigener Ansicht verschieden beantworten. Thatsache ist, dass durch Jahrhunderte das Langschiff mit der Kuppel über der Vierung das allgemein angestrebte Ideal aller Kirchenbauten blieb, weil es eben dem praktischen Bedürfnisse, dem Kultus der Altäre entsprach. Unter dem Eindrucke dieses Baues kommt nun in der Spätrenaissance der Sinn für grossräumige Entwickelung und zugleich für reiche malerische Wirkung des Innern zu einer noch nicht dagewesenen Geltung. Keine Zeit - mit Ausnahme der römischen Antike - weist in ihren Durchschnittsschöpfungen, in ihren Kirchen und Palästen so grandios angelegte Intérieurs auf, wie diese. Dieser Tendenz waren selbst die von nicht mehr skrupulosen Baukünstlern geschaffenen Räume noch zu klein; mit Hülfe der Malerei suchte man das Innere in's Unendliche zu erweitern, eine Absicht, die auch im Alterthume bestand und den sogenannten pompejanischen Wandmalereien zu Grunde lag. Bevor wir in die Gegenwart heruntersteigen, soll noch einmal ein Blick auf den Entwickelungsgang zurückgeworfen werden. Betrachten wir diesen nach dem inneren konstruktiven Organismus und der dadurch gewonnenen Raum-Disposition, so  e r k e n n e n  w i r  z w e i  v o n  e i n a n d e r  g e t r e n n t e  E n t w i c k e l u n g s - P r o z e s s e,  die, von verschiedenem Ursprunge ausgehend, unter verschiedenen klimatischen und kulturellen Bedingungen neben einander fortschreiten und beide stets unter derselben Tendenz nach immer grösserer und freierer Raumentwickelung bei Wahrung der grössten Dauerhaftigkeit des Baues endlich zu ganz verschiedenen Endzielen gelangen. Der erste Raumentwickelungsprozess beginnt im  N i l t h a l,  wo in der Säulenhalle, in der die Säulen nach jeder Richtung in gleichen Abständen aufgestellt waren, ein erstes Stadium der Raumgestaltung getroffen wurde. Die zweite Phase bildet die Gliederung des Raumes in ein breites, höheres Mittelschiff und schmale, niedrigere Seitenschiffe, die durch Säulenreihen getrennt sind, und endlich werden diese Säulenreihen bei der Aufnahme des Gewölbes in der Decke durch Pfeiler ersetzt, die zu immer schlankeren Dimensionen zusammengezogen werden.  D i e  Z u s p i t z u n g  d i e s e s  e r s t e n  R a u m g e s t a l t u n g s - P r o z e s s e s  i s t  d e r  K ö l n e r  D o m. Ein  z w e i t e r  U r s p r u n g  der Raumeskunst lag in der  m e s o p o t a m i s c h e n  T i e f e b e n e,  wo an den Gestaden des Euphrat und Tigris der Gewölbebau seine ersten Entwickelungsstadien über schmalen, langen Räumen durchmachte. Von Babylon gelangt er über Alexandrien nach Rom, wo ein grosses Gewölbe im Mittelschiffe von den Seitenhallen getragen wird. Der Kuppelbau führt dann nach Byzanz und von hier nach Rom zurück, wo endlich durch die Einbeziehung aller der im Mittelalter gewonnenen Erfahrungen als Abschluss des zweiten Gestaltungsprozesses die  P e t e r s k i r c h e  entstand. Der erste Entwickelungsprozess beruht auf der  S t e i n - Architektur, er führt in allen Stylen, die er durchschreitet, zur künstlerischen Ausbildung des Details, der architektonischen Formensprache; - der andere geht vom  T h o n e  aus, seine Kunstformen sind äusserliche Bekleidung, vom Steinstyle erborgt, aber in ihm vollzog sich die mächtige und freiere Raumesgestaltung; - jene schuf die  F o r m,  diese den  R a u m.  Jener entwickelt sich unter bescheidener zugemessenen Mitteln, gehegt und gepflegt von dem Volke, das seine ganze künstlerische Energie, die sinnreichsten Erfindungen und Erfahrungen darauf verwendet, das Steinmaterial zum weit gespannten, solid gedeckten Raum zu verwenden, und kommt unter der Ungunst des nördlichen Klimas zu den abschliessenden Resultaten; - dieser, der Backsteingewölbebau, wird grossgezogen an den glänzendsten Höfen der Welt, immer in unbeschränkten Ueberflusse, und stets unter der Gunst des herrlichsten Klimas. Beide neben einander gehenden Bauweisen berührten sich wohl, nahmen gegenseitig einzelne Elemente auf, z. B. verbindet sich in Rom und in der Renaissance der Gewölbebau mit der Säulenarchitektur, wie später die Basiliken mit dem Gewölbe und zuweilen wird die Kunstform auch dem Backsteine als Surrogat für Stein aufgeprägt, während mit dem Steine gewölbt wird; - aber im grossen Ganzen lassen sich doch die beiden neben einander laufenden Prozesse, deren Anfänge und Ziele konstatiren. Es ist von Interesse, einen vergleichenden Blick auf diese beiden genannten Endresultate zu werfen. Das Mittelschiff des Kölner Domes hat dieselbe Höhe, wie das Langschiff von St. Peter, und beide sammt ihren Seitenschiffen annähernd dieselbe Breite. Und die ersten zwei Travées der Peterskirche sind gleich dem vorderen Theile des Kölner Domes bis zur Vierung, so dass wir also zwei nahezu kongruente Räume vergleichen können. Im Kölner Dome stehen in demselben 24 Säulenbündel, in St. Peter vier Pfeiler: die Fläche eines der ersteren ist nicht ganz 2 Quadrat-Meter, eines der letzteren 32 Quadrat-Meter, so dass die Summe der vier Pfeiler in St. Peter noch fast dreimal so gross ist, als die Summe der 24 Säulenbündel. Ein Pfeiler von St. Peter füllt ein Interkolumnium des Kölner Domes, aber der Bogen dort überspannt die doppelte Weite der Zwischenräume hier und das Schiff des Kölner Domes ist nur halb so breit, wie dasjenige von St Peter. - Also dort, im Kölner Dome die freiere Raumesgestaltung erreicht, durch zahlreiche, aber möglichst schlanke Säulenbündel, hier durch wenige aber mächtige Pfeilermassen und um so grössere Interkolumnien. So blicken wir staunend zurück auf die Fortschritte, welche im Laufe von drei Jahrtausenden in ununterbrochener Entwickelung, unter dem Einflusse stetig erhöhter und erweiterter Erfahrungen, der Sinn für die Raumesgestaltung gemacht hat, und unwillkürlich drängt sich die Frage auf: Was nun? Kann es nach solchen Erfolgen noch einen Fortschritt geben? Wir leben scheinbar in einem Chaos von Kunstbegriffen, in einer Verwirrung verschiedenster Kunstanschauungen, wie sie wahrscheinlich noch nie bestanden hat. Dieser Zustand charakterisirt unsere Zeit als  U e b e r g a n g s s t a d i u m.  Die überlieferten Bauweisen haben ihre Aufgaben gelöst; mit ihrer Hülfe allein kann die Raumeskunst keine neuen Wege gehen. Wir leben heute aber schon in einer Phase, in der ein neuer Styl sich bildet unter dem unwiderstehlichen Einflusse eines Materials, das mit eherner Faust an allen Traditionen der Vergangenheit rüttelt: nämlich des  E i s e n s.  Wir leben in einem jener Momente, wo gesteigerte Bedürfnisse neue Anforderungen an die Technik stellen, wodurch immer, wie oben erwähnt, eben ein neuer Styl vorbereitet und geschaffen wird. In unserem Jahrhunderte hat die Gewinnung und Bereitung des Eisens einen solchen Aufschwung genommen, dass bedeutende soziale Umwälzungen durch dasselbe hervorgerufen worden sind. Im Zusammenhange damit sind auch solche Aufgaben an die Baukunst gestellt worden, welche nur mit Hülfe des Eisens gelöst werden können. Es hat nicht nur überall festen Fuss gefasst, sondern schreitet von Sieg zu Sieg, so dass schon die meisten modernen Bauten mehr oder weniger verhüllt den Stempel des eisernen Jahrhundertes an sich tragen. Wenn man daran zweifeln wollte, ob der Einfluss des Materials auf die Entwickelung der Style so ausschlaggebend ist, so braucht man sich nur zu erinnern, dass die beiden oben dargestellten Entwickelungsprozesse nur aus der Verschiedenheit des Materials, das ihnen zu Grunde lag, hervorgingen; oder man denke sich das Eisen als Baumaterial in irgend eine frühere Epoche eingeführt, z. B. in jene Zeit, wo die Holzdecken der christlichen Basiliken durch Gewölbe ersetzt worden sind. Ist es wohl denkbar, dass ein romanischer, ein gothischer Styl entstanden wäre, wenn damals die Eisenkonstruktionen in unserem Sinne bekannt gewesen wären? Man hätte, wie es heute geschieht, einige Gitterträger über das Schiff gelegt und die ganze Weiterentwickelung der Steinarchitektur hätte aufgehört. Ganz natürlich, das Eisen erfüllt die beiden höchsten Anforderungen der Bautenkonstruktion: möglichst wenig, möglichst dünne Stützen und solide, wetter- und feuersichere Decke, in unübertroffener Weise; alle grösseren Probleme werden mit Hülfe des Eisens spielend, in leichter und solider Ausführung verwirklicht. Besonders der Raumesentwickelung kommt das Eisen zugute, wenn auch leider gesagt werden muss, nicht in dem architektonischen oder künstlerischen Sinne, den wir in heiliger Pietät an alte Traditionen in einer schönen rhyrthmischen Theilung oder in einer poësievollen Gliederung des Raumes finden. Abgesehen davon, dass es fast jeder Formensprache entbehrt, führt die dominirende Anwendung des Eisens zu jenen weiten, nüchternen Hallen, deren ungegliederte Oede um so unerfreulicher wirkt, als die Höhenentwickelung weit hinter der Flächenausdehnung zurückbleibt. Die Bahnhöfe, die modernen Einfahrtsthore der Städte dehnen von Jahr zu Jahr sich mehr in die Breite und Länge und haben schon Spannungen von über 60 Meter erreicht, und ein Bespiel, wie man sogar eine Kreisfläche von 105 Meter mittelst des Eisens frei überspannen kann - leider auch ein Beweis, dass selbst die unschönste Idee sich verkörpern lässt - besitzen wir in Wien in der Rotunde im Prater. Der künstlerische Blick wendet sich von solchen Vorläufern der Zukunftstechnik weg. Es genügt ihm, vorläufig noch die grossen Vortheile des neuen Materials  n u r  i n  V e r b i n d u n g  m i t  d e n  a l t ü b e r l i e f e r t e n  Bauweisen auszunützen. Diesen Weg weisen auch die neuen Monumentalbauten, wo die Grossräumigkeit des Inneren erreicht ist durch die verhüllte eiserne Deckenkonstruktion, wo aber im Aufbaue der Wände und Stützen an der Tradition der Steinarchitektur festgehalten wird. Als charakteristisches Beispiel hiefür sei der  n e u e  B ö r s e n s a a l  erwähnt, eines der grössten Intérieurs moderner Baukunst, wo dieselbe Breite wie in den oben erwähnten grossen Bauten der Antike (26 Meter) mit elementarsicherer Decke überspannt ist - also die wichtigsten und maassgebendsten Anforderungen aller Baustyle mit verhältnissmässig sehr geringem Aufwande an Zeit und Mitteln erfüllt sind. Das Eisen gestattet wieder die Anwendung der horizontalen Decke und der damit zusammenhängenden Style im Monumentalbau, - anderseits macht es den gewölbten Raum möglich, ohne zu den mächtigen Widerlagern und Nebenräumen zu zwingen. So sei es uns ein willkommenes Hülfsmittel zur Vergrösserung, zur Sicherung unserer Räume; im Uebrigen sollten ihm wohl die Pforten der monumentalen Kunst noch verschlossen bleiben. Allerdings - wie lange noch? Wer kann das sagen? Auch diese Zeit wird kommen und mit vielem Anderen dazu beitragen, dem dreitausendjährigen Reiche der alten Kunst ein Ende zu bereiten. Vorläufig aber finden wir in dem Anschliessen an die Traditionen der Vergangenheit das Gegengewicht gegen die gefährlichen Fortschritte der Technik, welche die Kunst und künstlerischen Sinn so gern ignoriren möchten und die uns befreien möchten von jenen wohlthätigen Fesseln, mit denen die beschränkteren technischen Mittel früherer Jahrhunderte die künstlerische Phantasie in geheiligten Banden hielten.


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Die Entwicklung des Raumes in der Baukunst
von Hans Auer, Architekt
a. Entwicklung auf Basis der Steinconstruction

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Die Entwicklung des Raumes in der Baukunst
von Hans Auer, Architekt
b. Entwicklung auf Basis des Backsteinbaues

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