|
|
1.
thick and thin conceptions of morality
Mit thin
and thick conceptions of morality werden in der Moralphilosophie zwei
in vielen Punkten gegensätzliche Konzepte bezeichnet, die eine ab Mitte
des 20. Jahrhunderts bis in die 1980er Jahre vor allem im angelsächsischen
Raum stattfindende Debatte prägten. Dabei werden mit den Begriffen dicke
und dünne Moral nur die beiden gegensätzlichen Hauptströmungen der Argumentation
benannt. Innerhalb der beiden Hauptrichtungen vertritt jeder Autor unterschiedliche
Auffassungen zu Teilbereichen und z. T. Zwischenpositionen, so dass eine
ganz exakte und scharfe Trennung nicht möglich ist. Eine genaue Analyse
bleibt philosophischen Spezialuntersuchungen überlassen und ist hier nicht
intendiert. Im Folgenden sollen nur die großen Linien der Argumentation
der thin and thick conceptions of morality nachgezeichnet werden,
um dann eine Analogie zu diesen Konzepten für die Architektur und deren
Interpretation vorstellen zu können.
1.1 thin conceptions of morality
Unter thin conceptions of morality wird eine bestimmte Art ethischer
Argumentation verstanden, die vor allem im angelsächsischen Raum zur Mitte
des 20. Jahrhunderts starken Einfluss hatte. Als Vorläufer dieses Konzeptes
kann man D. Hume, I. Kant und J. St. Mill bezeichnen. Prägende Autoren
aus jüngerer Zeit sind beispielsweise R. M. Hare, der in der Tradition
des Utilitarismus argumentiert, B. Russell oder G. E. Moore, die als Väter
der analytischen Philosophie gelten, oder G. Ryle mit seiner Position
eines philosophischen Behaviorismus.[1]
Die als „dünn“ bezeichneten Konzepte der Moral stehen inhaltlich vor
allem in einer (weit verstandenen) kantischen Tradition mit Betonung der
Vernunft und einem klassischen Freiheitskonzept der Wahlmöglichkeit. Charakteristisch
ist das logisch-positivistische Ideal der (Natur)Wissenschaftlichkeit,
das auch für die Ethik angestrebt wird.
Das moralische Leben des Individuums wird gesehen als eine Serie von
offenen Wahlmöglichkeiten, die alle in genau spezifizierbaren Situationen
stattfinden. Ein moralisches Urteil ist gestützt durch rationale und intersubjektiv
nachvollziehbare Gründe, die für jeden in der gleichen Situation gelten
würden. Innere psychologische Prozesse spielen eine untergeordnete Rolle,
da wir die moralische Qualität der Handlungen eines Menschen nur durch
dessen Verhalten beurteilen können.
Moralische Aussagen sind Empfehlungen oder Verbote, die begleitet werden
durch eine objektive Beschreibung der Situation, die kommunizierbar und
nachvollziehbar ist. „Objektiv“ impliziert, dass die Schilderung der Tatsachen
wertneutral formuliert sein muss. Fakten und Werte müssen strikt getrennt
werden, um den universalen Anspruch der Ethik aufrechterhalten zu können.
Moral besteht aus Sicht der thin conceptions darin, Entscheidungen
vor einem Hintergrund von Fakten anhand bestimmter Regeln zu treffen.
Die Fakten sind dabei objektiv und so genau wie notwendig beschreibbar,
allen zugänglich und intersubjektiv kommunizierbar. Die Regeln sind universal
gültig, da sie sich nicht auf partikulare Tatsachen beziehen, sondern
von allgemeiner Art sind. Das einzelne moralische Problem wird durch die
Anwendung der universalen Regeln lösbar. Moral[2]
und vor allem Ethik werden so rational und (natur-)wissenschaftlich.
Die Methode, nach der die Vertreter der thin conceptions of morality
vorgehen, ist eine linguistisch-analytische. Die Sprache wird untersucht,
um eine zugrunde liegende Struktur der Wirklichkeit aufzudecken. Nur die
Wörter „gut“ und „sollen“ werden dabei als basale ethische Wörter akzeptiert.
Alle anderen moralischen Wörter werden als Ableitungen aus diesen angesehen.
Es wird versucht, moralischen Wörtern definierte faktische Kriterien für
die Anwendung zu geben, ohne Bezug auf transzendente Entitäten oder Bewusstseinszustände
zu nehmen.
So genannte dicke moralische Begriffe, die – zumindest oberflächlich betrachtet
– eine Einheit von Fakten und Werten ausdrücken, werden analysiert als
aus einer deskriptiven und einer präskriptiven Komponente bestehend. Als
Beispiel sei ein Wort wie „feige“ oder „grausam“ genannt, das gemäß der
dünnen Konzeption aus der wertneutralen Beschreibung einer Tatsache und
einer Handlungsanweisung bzw. einem Gebot oder Verbot besteht.
Gründe für eine Handlung können von einem Menschen mittels seiner Ratio
gewonnen werden, d. h. er kann kraft seiner Vernunft zu der gebotenen
Handlung motiviert werden. Bernard Williams spricht in diesem Zusammenhang
von externen Gründen.
Ein weiteres Merkmal der dünnen Moralkonzepte ist eine stark ausgedünnte
Axiologie. Im Extremfall umfasst diese nur einen einzigen Wert. Im Utilitarismus
ist dieser zentrale Wert beispielsweise die Leidensminimierung bzw. die
Nutzenmaximierung. Die thin conceptions leiten von einem oder einigen
wenigen zentralen Werten ihre Normen her und versuchen, sie rein rational
und allgemein verbindlich, unabhängig von Raum und Zeit, zu begründen.
Weitere Werte werden abgelehnt oder als sekundär betrachtet.
Die Vorteile dieses Ethikkonzeptes liegen zum einen darin, dass es so
möglich wird, Ethik als „reine Wissenschaft“ zu betreiben, ohne über innere
psychologische Prozesse zu spekulieren. Zum anderen präjudiziert dieses
Ethikkonzept eine bestimmte Anthropologie, in der der moralisch Handelnde
frei, verantwortlich und rational ist, was dem alltäglichen Empfinden
entspricht.
Die Kernpunkte der dünnen Konzepte sind also zusammenfassend folgende[3]:
-
Eine
sprachanalytische Methode, die versucht, mittels Untersuchung der Sprache
eine zugrunde liegende Struktur der Wirklichkeit zu entdecken.
-
Eine
strikte Dichotomie von Fakten und Werten: Moralische Urteile stützen sich
auf Werte und erfolgen vor dem Hintergrund objektiver Fakten. Moralische
Begriffe, die eine Einheit von Fakten und Werten ausdrücken, lassen sich
in eine deskriptive und eine präskriptive Komponente aufteilen.
-
Eine
Universalisierbarkeit moralischer Urteile aufgrund ihrer objektiven Struktur.
Somit ergibt sich die Möglichkeit einer Ethik, die mit naturwissenschaftlicher
Strenge betrieben werden kann.
-
Eine
stark ausgedünnte Axiologie. Die Handlungen und die Normen orientieren
sich an einem zentralen Wert oder einigen wenigen Werten.
-
Eine
Anthropologie in kantischer Tradition, die den Menschen als rational,
verantwortlich und frei sieht. Freiheit wird dabei im üblichen Sinn verstanden,
als Möglichkeit, sich innerlich zu distanzieren, die Fakten zu bewerten
und sich dann zwischen zwei Alternativen zu entscheiden.
-
Eine
behavioristische Behandlung innerer psychologischer Phänomene bzw. deren
Nicht-Beachtung.
1.2 thick conceptions of morality
„Quand
on n'a pas de caractère, il faut bien se donner une méthode.”
(Albert Camus, La
Chute)
Diesen Satz stellt Bernard Williams (1929-2003) seinem 1985 erschienenen
Buch „ethics and the limits of philosophy“ voran. Der bedeutende englische
Moralphilosoph ist einer der Autoren, die den Mainstream der philosophischen
Meinung zur Ethik in den 1950er Jahren scharf und scharfsinnig angreifen.
Daneben sind Autoren wie Philippa Foot, John McDowell, Iris Murdoch oder
Elizabeth Anscomb zu nennen, die wichtige Beiträge zu dieser Diskussion
mit jeweils unterschiedlichen Akzenten geleistet haben. Den oben beschriebenen
Ansatz einer Ethik bezeichnen diese Autoren teils explizit, teils zumindest
der Idee nach als „dünne Konzepte der Moral“ und setzen ihm einen eigenen
„dicken Ansatz der Moral“ entgegen. Frei übersetzt mit „Wenn man keinen
Charakter hat, muss man sich eine Methode geben" bezeichnet der
Satz von Camus sehr gut das Problem, das mit Hilfe der dicken Konzepte
kritisiert wird. Es geht darum, zu zeigen, dass die Versuche die alltägliche
Moral in einer Ethik zu systematisieren und zu rationalisieren letztlich
zum Scheitern verurteilt sind. Die alltäglich gelebte und praktizierte
Moral ist demnach zu vielschichtig bzw. eben zu „dick“, um sie auf eine
logisch-positivistische Theorie mit naturwissenschaftlicher Methodik reduzieren
zu können. Die thick conceptions betonen die Existenz und Bedeutung
von so etwas wie moralischer Sehkraft bzw. Charakter. So wird verständlich,
warum Bernard Williams den Satz von Camus seinem Buch, in dem er die vorherrschenden
Moralphilosophien einer fundamentalen Kritik unterzieht, voranstellt.
Der Charakter bzw. die moralische Sehkraft oder Intuition ist demnach
primär; erst wenn sie fehlt, muss man gemäß dem Satz von Camus auf die
rationale Moral-Theorie – die Ethik – als Methode zurückgreifen.
Die dicken Konzepte erinnern mit den Ideen von einem quasi artspezifischen
spontanen moralischen Wissen an aristotelische Gedanken, während die dünnen
Konzepte der Moral mit Betonung der Reflexion und Rationalität in kantischer
Tradition stehen.
Einer der Hauptkritikpunkte an den thin conceptions ist aus
Sicht der Vertreter „dicker“ Konzepte die Dichotomie von Fakten und Werten.
Die Ethik beginnt in den dünnen Konzepten mit der Bewertung der Tatsachen
aufgrund bestimmter von ihnen unabhängiger Werte. Für die Vertreter der
thick conceptions erfolgt dieser Ansatz zu spät, da die fundamentale
ethische Kategorie die Wahrnehmung sei. Bernard Williams erläutert dies
mit seinem Diktum des „one thought too many“. Dieser berühmte Vorwurf
an Kant meint, dass der normale Mensch in moralischen Entscheidungssituationen
wie dem drohenden Ertrinken einer Person nicht erst reflektieren und prüfen
muss, ob seine rationalen Gründe für oder gegen eine Rettung sprechen.
Demnach können wir niemals wertneutral wahrnehmen. Entscheidend ist nicht,
wie wir uns entscheiden, sondern wie wir die Welt sehen.
In der dünnen Konzeption erscheinen moralische Unterschiede als Unterschiede
durch eine verschiedene Wahl vor dem Hintergrund der gleichen Fakten.
Dem wird die Auffassung von der grundlegenden Wichtigkeit der Wahrnehmung
entgegen gesetzt. Iris
Murdoch, eine weitere wichtige Vertreterin der dicken Konzepte, schreibt
zu den Unterschieden: „Here [in den dicken Konzepten] moral
differences look less like differences of choice, given the same facts,
and more like differences of vision, in other words, a moral concept seems
less like a movable and extensible ring, laid down to cover a certain
area of fact, and more like a total difference of Gestalt. We differ not
only because we select different objects out of the same world but because
we see different worlds.”[4]
Die Grundannahme,
dass die Wahrnehmung moralisch fundamental ist, hat weit reichende Konsequenzen,
und allen Hauptüberzeugungen der Vertreter der dünnen Moralkonzepte werden
so von den Protagonisten der dicken Konzepte eigene Positionen entgegen
gesetzt. Das behavioristische Bild, das innere psychologische Vorgänge
ausschließt, wird mit der Beobachtung der tatsächlichen Entscheidungsvorgänge
der Menschen, die wesentlich komplexer und vielschichtiger ablaufen, gekontert.[5]
Auch die strenge Wissenschaftlichkeit und Objektivität der Ethik, die
die dünne Konzeption erreichen will, ist für die dicke nicht haltbar,
da unsere Wahrnehmung prinzipiell nie rein objektiv erfolgen kann[6].
Aus der Annahme der Fundamentalität der Wahrnehmung ergeben sich auch
entscheidende Konsequenzen für die Anthropologie und insbesondere für
den Freiheitsbegriff. Der (neo)kantianische Freiheitsbegriff lässt sich
nicht halten. Wenn bereits in unserer Wahrnehmung Wertungen enthalten
sind und wir uns niemals von diesen befreien können, ist eine völlige
innere Distanzierung und eine folgende Entscheidung aufgrund einer Wertung
von Fakten und des eigenen Willens nicht mehr möglich. Freiheit wird z.
B. von Murdoch eher als aufmerksame und akkurate Wahrnehmung der Wirklichkeit[7],
die zu richtigem Handeln führt, verstanden. Die Autoren der dicken Konzepte
betonen, dass unser moralisches Leben zu vielfältig, zu individuell, kurz
zu „dick“ sei, als dass es von einer verallgemeinernden und abstrahierenden
Theorie der Moral – einer Ethik – adäquat beschrieben werden kann.
Die Methode der dicken Konzepte lässt sich eher als phänomenologisch beschreiben.
Es wird versucht, das tatsächliche Erleben und moralische Leben der Menschen
zu beschreiben. Auf der sprachlichen Ebene betonen die Vertreter der dicken
Konzepte, dass eine strikte Trennung von Fakten und Bewertungen weder
in der tatsächlich gelebten Moral erfolgt noch auf der theoretischen Ebene
möglich sei. Ebenso wird die Möglichkeit einer Trennung „dicker Ausdrücke“,
wie z.B. „feige“, „stolz“, „mutig“ oder „grausam“ in einen präskriptiven
und einen deskriptiven Teil bestritten. Es gibt in dieser Sichtweise keine
solchen Begriffen zugrunde liegende Struktur der Wirklichkeit[8].
Als Gründe für Handlungen werden – zumindest von B. Williams – nur so
genannte interne Gründe akzeptiert. Das heißt, motivierend können nur
diejenigen Gründe sein, die einen Bezug zum motivationalen Set (Wünsche,
Intentionen etc.) eines Menschen haben.
Auch die Sichtweise der Axiologien ist in den dicken Konzepten der Sichtweise
der dünnen entgegengesetzt. Sie sind wie die Menschen vielschichtig, individuell
verschieden und flexibel.
Die Vorteile der dicken Konzepte liegen darin, dass sie dem normalen moralischen
Erleben eher entsprechen als die reflektierten rationalen dünnen Konzepte.
Allerdings wird diese Annäherung an das alltägliche Erleben der Moral
erkauft mit dem Verlust der möglichen Universalisierbarkeit und dem wissenschaftlich-exakten
Anspruch ethischer Positionen.[9]
Die Kernpunkte der dicken Konzepte lassen sich folgendermaßen charakterisieren[10]:
-
Eine
eher phänomenologische Methode, die versucht, die Realität zu beobachten.
Es wird nicht versucht, auf eine hinter der normalen Sprache liegende
wirkliche Struktur zu stoßen, sondern die normale Sprache zu beobachten
und für real zu nehmen.
-
Keine
strikte Dichotomie von Fakten und Werten. Die Möglichkeit einer strikten
Trennung von Fakten und Werten wird bestritten: Moralische Urteile stützen
sich auf eine schon moralische gefärbte Wahrnehmung der Welt. Moralische
Begriffe, die eine Einheit von Fakten und Werten ausdrücken, sind unteilbar
und drücken mehr aus als mit einem deskriptiven und einem präskriptiven
Teil gesagt werden kann.
-
Keine
Universalisierbarkeit. Moralische Urteile sind aufgrund ihrer subjektiven
Struktur nicht universalisierbar und somit kann Ethik nicht mit naturwissenschaftlicher
Strenge betrieben werden.
-
Die
Axiologien sind vielgestaltig, individuell und flexibel. Die Handlungen
und die Normen orientieren sich an diesen dicken Axiologien.
-
Die
Anthropologie der dünnen Konzepte wird kritisiert als Wunschbild, das
nicht von der Wirklichkeit gestützt wird.
-
Innere
psychologischer Phänomene werden als wichtig auch für die Moral anerkannt.
2. thick and thin conceptions of architecture
Die
vorgestellte moralphilosophische Debatte lässt sich als Analogie sowohl
für die Architektur als auch für ihre Interpretation verwenden. Üblicherweise
würde man Fragen der Architektur in der Ästhetik diskutieren, da es aber
traditionell und inhaltlich eine große Nähe zwischen ästhetischen und
ethischen Fragen gibt, scheint es aussichtsreich, die ethische Debatte
um dicke und dünne Konzepte (analog) auch auf den Bereich der Architektur
und der Architekturinterpretation zu übertragen.[11]
Für die Entwicklung einer Analogie in der Architektur sollen zwei Elemente
der Diskussion um die dicken und dünnen Moralkonzepte herausgegriffen
werden, zum einen die vielgestaltigen oder ausgedünnten Axiologien und
zum anderen die behauptete oder abgelehnte Dichotomie von Fakten und Werten
in der Sprache.
Wenden wir
uns zunächst den Axiologien zu. Man kann sagen, dass die wichtigsten Architekturtheorien
des 20. Jahrhunderts ein „dünnes Konzept von Architektur“ vertraten, insofern
ihre Axiologien stark ausgedünnt und vereinfacht sind. Diese betonen einen
bestimmten Aspekt bzw. ein kleines Set von Aspekten der Architektur. Welcher
Aspekt bzw. welcher Wert dies ist, unterscheidet sich von Autor zu Autor.
Als Beispiel sei der Modulor von Le Corbusier genannt. Mit Hilfe dieses
Maßsystems bestimmte Le Corbusier ideale Maße z. B. für die Höhe von Wohnräumen
und baute nach diesen theoretisch ermittelten Maßen z. B. die Unité
d'Habitation in Marseille. Dies ist insofern eine dünne Konzeption,
als nur ein Aspekt bzw. ein Wert, der für die Höhe eines Raumes von Belang
sein kann, berücksichtigt wird. In diesem Fall ist es eine Entsprechung
zum theoretisch entwickelten Maßsystem. In anderen Fällen ist es ein kleines
Set von Werten, das als wichtig definiert wird. Im Fall von Le Corbusier
ist für die gesamte Architektur deren soziale Funktion von zentralem Interesse.
So kann er in seinem Buch „vers une architecture“ auch zu dem Schluss
kommen, dass die Lösung großer gesellschaftlicher Konflikte von der Architektur
abhängt: „Zusammenfassung: Es handelt sich um ein Problem unserer Zeit.
Mehr noch, um DAS Problem unserer Zeit. Das Gleichgewicht unserer Gesellschaft
hängt ab von der Lösung des Bauproblems. Fassen wir das Dilemma mit der
Formulierung Baukunst oder Revolution zusammen; diese Formulierung ist
vertretbar."[12]
Einschränkend muss man an dieser Stelle hinzufügen, dass Le Corbusiers
Theorie nicht so eindimensional ausgerichtet war, wie es jetzt vielleicht
erscheint. An verschiedenen Stellen betont er z. B. das „poetische Gefühl“,
das Baukunst benötigt[13].
Insgesamt hebt Le Corbusier in seiner Theorie aber einige wenige Aspekte
der Architektur besonders hervor, und somit kann seine Konzeption mit
Recht als dünn bezeichnet werden.
Weitere wichtige architekturtheoretische Entwürfe im 20. Jahrhundert
lassen sich als Reaktionen auf die in der einen oder anderen Hinsicht
ausgedünnten und stark hierarchisierten Axiologien der Architektur-Moderne
interpretieren. Selbst die Forderung von Robert Venturi nach Komplexität
in der Architektur[14]
kann angesichts der einseitigen Betonung der kunstgeschichtlichen Aspekte
der Architektur entgegen dem anders lautenden Titel als dünne Konzeption
der Architektur verstanden werden. Genauso kann die Hervorhebung des geistigen
Gehalts und der philosophischen Funktion der Architektur durch Peter Eisenman
oder der Gültigkeit von ewigen unveränderlichen Prinzipien der Gestaltung
bzw. der Schönheit durch Architekten wie Oswald Mathias Ungers oder Aldo
Rossi als „dünnes Konzept“ im geschilderten Sinn verstanden werden. Auch
die so genannte grüne Architektur stellt mit Nachhaltigkeit oder Ökologie
einen bestimmten Wert in den Mittelpunkt.[15]
Insofern Architektur eine Aufgabe ist, die eine Vielzahl von wichtigen
Aspekten zu berücksichtigen hat, kann man Konzepte, die diese Vielzahl
von Aspekten radikal beschneiden oder zumindest in eine starre Hierarchie
bringen, als dünne Konzepte der Architektur bezeichnen.
Wichtig erscheint es an dieser Stelle zu betonen, dass mit der Bezeichnung
„dünnes Architekturkonzept“ keineswegs per se eine negative Kritik verbunden
ist, im Gegenteil. Die Architekturgeschichte hat gezeigt, dass eine gewisse
Radikalität der Theorie und der praktischen Entwurfshaltung, verbunden
mit dem Willen, einen Aspekt besonders zu betonen, für die Entwicklung
der Architektur wichtige Impulse liefert.[16]
Von dünnen Konzepten in der Architektur zu reden, ist nur sinnvoll, wenn
sich als Gegenstück auch die dicken Konzepte beschreiben lassen. Analog
zur Beschreibung in der Philosophie würden diese keinen bestimmten Aspekt
betonen, sondern versuchen, Architektur umfassend zu konzipieren. Sie
beachten gleichermaßen Aufgabe und Ort, Konstruktion und Funktion, Ästhetik,
Materialität, Haptik, Umweltverträglichkeit und vieles mehr. Darüber hinaus
zeichnen sie sich durch einen hohen „geistigen Gehalt“ aus und sind von
einem hohen Reflexionsgrad geprägt. Dicke Architekturkonzepte sind vielschichtig,
tiefgehend und reflektiert, wenn auch nicht unbedingt spektakulär und
logisch. Theoretisch sind diese Konzepte sehr viel schwerer zu fassen
als die dünnen, da ihnen das zentrale, prägende Element fehlt, um das
die Vertreter der dünnen Konzepte ihre Theorie aufbauen. Eher noch lassen
sich gebaute Beispiele nennen, die weniger durch ihre außergewöhnliche,
besondere oder spektakuläre Konzeption auffallen als durch ihre Ausgeglichenheit.
Diese Bauten balancieren die vielen verschiedenen Anforderungen an Architektur
souverän aus, ohne eine bestimmte zu betonen. Fast wie in John Rawls berühmtem
reflective equilibrium[17]
halten sich Intuition und geistige Konstruktion hier die Waage. Als Beispiel
sei die Villa Mareia (1938/39) von A. Aalto oder die Markuskirche (1956/60)
von S. Lewerentz genannt. Analog zur Ethik könnte man davon sprechen,
dass diese Architekturen sowohl gefühlt als auch gedacht sind. Diese Entwürfe
folgen keiner beherrschenden theoretischen Maxime, sondern sind Ausdruck
der Meisterschaft eines Architekten, die darin besteht, Denken und Fühlen,
rationale Überlegung und Intuition harmonisch auszubalancieren. Sie antworten
direkt und ohne zuviel Reflexion im Sinne eines „one thought too many“
auf Bedürfnisse des menschlichen Seins als Wohnen in der Welt[18].
Auch die Dichotomie von Werten und Fakten lässt sich in der Architektur
finden. Die philosophische Diskussion bezieht sich rein auf sprachliche
Ausdrücke. Doch was kann als Ausdruck in der Architektursprache verstanden
werden? Kann es in dieser Sprache überhaupt wertende Aussagen geben? Müsste
dann nicht mit einem bestimmten Material oder einer Form als Ausdruck
der Architektursprache ein bestimmter Wert verbunden sein? Doch wie soll
eine Form oder ein Material per se einen Wert ausdrücken? Hier ist die
Dichotomie von Fakten und Werten im Sinne einer Nicht-Existenz von dicken
Ausdrücken nahe liegend, ganz unabhängig davon, ob sich solche Ausdrücke
in eine präskriptive und eine deskriptive Hälfte trennen lassen. Im Normalfall
wird ein Ziegelstein ein Ziegelstein sein, ohne dass damit ein Wert verbunden
ist. Aber es lassen sich durchaus Situationen denken, in denen der Architekt
oder der Bauherr durch ein bestimmtes Material, eine bestimmte Form oder
die spezielle Verbindung der beiden einen Wert ausdrückt. Dies ist z.
B dann der Fall, wenn man die gebaute Form oder das verwendete Material
als Kommentar zur Umgebung verstehen kann. Als Beispiel sei das Schröder-Haus
(1924) von Gerrit Rietveld in Utrecht genannt, das am Ende einer Reihe
stilistisch traditioneller Reihenhäuser steht und durch seine Form ein
starkes Werturteil im Sinne einer Bejahung neuer Formen und auch der damit
verbundenen sozialen bzw. der philosophischen-weltanschaulichen Werte
der De-Stijl-Bewegung darstellt. Hier könnte man mit Recht von implizit
wertenden Tatsachen reden.[19]
In Bezug auf Materialien lassen sich ähnlich gelagerte Fälle konstruieren:
Die demonstrative Verwendung von Sichtbeton in einem traditionell durch
Holzbau geprägten Umfeld drückt bereits eine bestimmte Werthaltung aus.
Für die Analogie zur Moralphilosophie bleibt die Frage, ob sich eine solche
Aussage in einen deskriptiven und einen präskriptiven Teil trennen lässt.
Hier könnte ein Vertreter der dünnen Konzepte argumentieren, dass weder
das Material noch die Form an sich schon Träger von Werten sein können
und sich insofern das Werturteil von den Tatsachen trennen lässt, als
das Werturteil in einem architektonischem Ausdruck vom Architekten zu
der Tatsache der Form und des Materials quasi dazugelegt würde, das heißt,
ein architektonischer Ausdruck wäre teilbar in einen deskriptiven Teil
– ein Material oder eine Form an sich – und in einen präskriptiven Teil
– eine wertende Aussage zur Umgebung oder zur eigenen Entwurfskonzeption
durch den Architekten.
Ein Vertreter der dicken Architektur würde dagegen halten, dass es das
Material bzw. die Form an sich in der Realität nicht gibt, sondern nur
konkrete Situationen, in denen z. B. Beton in einer bestimmten Form in
einem bestimmten Kontext verwendet wird. Dementsprechend gehen aus Sicht
der dicken Konzepte Fakt und Wert eine untrennbare Verbindung ein, und
Architektur ist insofern auch immer eine wertende Aussage.
Somit lässt sich auch in der Architektur die Dichotomie von Fakt
und Wert dick oder dünn konzipieren. Dabei muss man anmerken, dass die
detaillierte Ausbuchstabierung der Analogie hier eher akademischer Natur
ist. Wichtig scheint aber die grundsätzliche Feststellung, dass auch in
der Architektur mit Gebäuden oder Bauteilen wertende Aussagen gemacht
werden können, und dass man von Bauteilen als dicken Begriffen sprechen
kann, unabhängig davon, ob eine Teilung in deskriptiv und präskriptiv
möglich ist.
3. thick and thin conceptions of interpreting architecture
Auch für die
Interpretation von Architektur lässt sich eine Analogie zur Moralphilosophie
finden. Auf der sprachlichen Ebene versuchen dünne Konzepte der Architekturinterpretation,
Bauten zunächst rein objektiv zu beschreiben und davon getrennt zu werten.
Da sich dicke Begriffe dafür nicht eignen, wird ihre Verwendung vermieden.
Dicke Interpretations-Konzepte können dagegen Architektur als „feige“,
„stolz“ oder „erhaben“ bezeichnen und so Beschreibung und Bewertung zusammenfassen.
Dies hat den Vorteil, dass eine dicke Sprache alltagsnäher ist und insofern
besser verstanden wird bzw. mehr Nuancen transportieren kann als eine
„objektivierte“ Sprache, die eventuell Schwierigkeiten hat, Stimmungen
oder Atmosphären adäquat auszudrücken. Der Nachteil dieser Konzeption
ist gleichzeitig der Vorteil der dünnen Konzepte: die fehlende bzw. gegebene
Anschlussfähigkeit an eine Wissenschaftlichkeit mit ihren zentralen Forderungen
nach Universalisierbarkeit und intersubjektiv nachprüfbaren und kommunizierbaren
Aussagen.
Auf inhaltlicher
Ebene interpretieren die thin conceptions of interpretation ein
Bauwerk bzw. Architektur hinsichtlich eines bestimmten Kriteriums oder
eines relativ kleinen Sets von Aspekten, die als wichtig angesehen werden.
Dies birgt die Gefahr eines Zirkelschlusses: Wenn ein Gebäude G hinsichtlich
der Werte oder Aspekte A B C als gut beurteilt wird, erfordert dies eine
Definition von guter Architektur, die an den Werten A B C festgemacht
wird. Wenn man sich bei dieser Definition wiederum exemplarisch auf das
Gebäude G bezieht, das ein Beispiel für gute Architektur sei, weil A B
C erfüllt seien, ist der Zirkel perfekt. Wenn der Zirkel vermieden wird,
verschiebt sich das Problem um eine Ebene. Es ist dann zu zeigen, was
gute Architektur ist, und diese Definition ist zu begründen. Die Analogie
zur Moralphilosophie ist wiederum offensichtlich: Es muss begründet werden,
was das Gute ist, in der Architektur oder in der Moral. Egal, wie die
Definition ausfällt: Der Vorwurf der dicken Konzepte wird immer lauten,
dass das Gute in der Ethik oder in der Architektur zu komplex, zu vielschichtig
oder mit einem Wort zu dick sei, als dass es in das Korsett einer systematisierenden
allgemeinen Theorie passen würde. So ist es nicht erstaunlich, dass die
thin conceptions of interpretation die Kritik einer Ausdünnung
der Architektur auf sich gezogen haben[20].
Dicke Konzepte würden demgegenüber betonen, dass eine Kritik eines Entwurfs
anhand des Sets A B C von Werten leicht andere wichtige Aspekte wie D
bis X der Architektur ins Hintertreffen geraten lässt.
Hinsichtlich
der Methode der Interpretation würde dem umfassenden Ansatz der dicken
Konzepte ein Vorgehen in phänomenologischer Manier entsprechen, während
der eher partikulare Ansatz der dünnen Konzepte durch das angestrebte
streng (natur)wissenschaftliche Vorgehen unterstützt wird.
Dies würde
für eine dicke Interpretation bedeuten, dass man sich in phänomenologischer
Manier an ein Gebäude herantastet, es gedanklich umkreist, versucht, sein
Wesen darzustellen. Architektur würde dabei, wie Kunst, nicht eindeutig
einer rein geistigen oder körperlichen Sphäre zugeordnet verstanden, sondern
als eine quasi prä-descartes’sche Einheit verstanden. Insofern eine Architektur-Interpretation
als wissenschaftlicher Text eine rein rationale Angelegenheit ist, bleibt
bei Interpretationen dieser dicken Art allerdings ein unüberbrückbarer
Hiatus zwischen der Welt der Ratio und der Welt der Emotion, des Gefühls
und der Körperlichkeit. Aufheben ließe sich diese Trennung nur in literarischen
Texten, die als Kunstwerk selbst sozusagen eine Einheit von Geist und
Welt sind. Als Beispiele lassen sich für den Bereich der Ethik die literarischen
Arbeiten von Iris Murdoch, für den Bereich der Architektur-Interpretation
das Buch „Die unsichtbaren Städte“ von Italo Calvino[21]
nennen.
In den
Architekturkritiken der Feuilletons wird meist eine dicke Konzeption der
Architekturinterpretation vertreten. Als Beispiel seien die Besprechungen
des neuen Opernhauses in Oslo von Snøhetta in der „Zeit“ und in der „Süddeutschen
Zeitung“[22]
genannt. Die Sprache dieser Artikel ist durchsetzt von Begriffen, die
wertend beschreiben. Offenbar ist es so, dass diese „dicken“ Ausdrücke
für die Beschreibung von Architektur gut geeignet sind, und dass diese
auch im Zusammenhang mit Architektur verstanden werden. Auch inhaltlich
geht die Tendenz hier zu den dicken Konzepten der Architektur und somit
dahin, die Gebäude hinsichtlich verschiedenster Aspekte zu beurteilen.
Im Gegensatz
dazu finden sich in Fachpublikationen zur Architektur bzw. zur Kunst-
oder Architekturgeschichte meist Texte, die analog zum Vorgehen der dünnen
Konzepte in der Moralphilosophie konzipiert sind. Gebäude werden zunächst
rein objektiv vorgestellt und erst am Schluss des Artikels wird, wenn
überhaupt, ein Urteil gefällt. Dem dünnen Konzept entsprechend erfolgt
das Urteil hinsichtlich eines bestimmten, für den Autor zentralen Wertes.
So kann ein Gebäude als hervorragend beurteilt werden, weil einige Aspekte
sehr gelungen sind, obwohl andere Aspekte schlecht oder gar nicht gelöst
sind. Trotzdem bleiben derlei Interpretationen in sich schlüssig, weil
vorher ein Set von Werten definiert wurde, die „gute Architektur“ ausmachen
sollen.
So fällt
eine Diskrepanz zwischen Texten der Fachpresse und den Feuilletons der
Tageszeitungen auf. Die Gründe für diese Diskrepanz liegen in der Wissenschaftlichkeit,
die eine Fachzeitschrift nach allgemeinem Empfinden anstreben muss. Artikel
in Tagszeitungen dürfen dagegen feuilletonistisch sein. Das heißt, sie
können – ganz im Sinne einer dicken Konzeption – Architektur vermitteln
wie in einem normalen Gespräch unter gebildeten, reflektierenden Menschen.
Dies beinhaltet, dass Ausdrücke wie „kühn aufragend“ im Zusammenhang mit
der Beschreibung von Baukörpern verstanden werden. Und es erlaubt außerdem,
verschiedenste Aspekte von der Konstruktion, der Materialwahl, der Form
der Baukörper, der Konzeption bis hin zur Brauchbarkeit im Alltag differenziert
zu beurteilen.
4. Schluss
Diese Ausführungen sollten nicht missverstanden werden als Plädoyer für
ausschließlich dicke Konzepte in der Architektur und der Architekturkritik.[23]
Wie in der Moralphilosophie haben beide Konzepte ihren Platz und ihre
Berechtigung.[24]
Dies gilt sowohl für die Architektur wie auch für ihre Interpretation.
Sowohl die Unité d’habitation in Marseille von Le Corbusier als
auch die Markuskirche von Lewerentz sind herausragende und bedeutende
Gebäude. Und sowohl die objektive Analyse einer Architektur mit anschließendem
Urteil als auch der feuilletonistische Streifzug durch ein Gebäude können
wichtige Erkenntnisse über Architektur vermitteln. Ebenso kann aber auch
sowohl eine allzu nüchterne Untersuchung wie auch ein ausuferndes feuilletonistisches
Elaborat darin fehlgehen, Wesen und Bedeutung eines Gebäudes adäquat zu
kritisieren. In der Architektur ist eine reine „Kopfgeburt“ in den seltensten
Fällen herausragend gute Architektur genau so wenig, wie ein x-beliebiges
Haus, das nur auf diffusen Gefühlen des Architekten errichtet wurde. Für
sich genommen ist dies eine Erkenntnis, die nicht sehr hilfreich ist.
Was allerdings sowohl für einen Architekten wie für einen Autor nützlich
sein kann, ist, sich über den Standpunkt eines Entwurfes oder eines Textes
im Spannungsfeld der Pole, die mit der Analogie zu den thick and thin
conceptions of morality hinsichtlich des Konzepts der Architektur
und der Interpretation beschrieben wurde, klar zu werden, und sei es nur,
um als Autor eines Gebäudes oder einer Interpretation einen Mittelweg
zu gehen oder sich bewusst auf die eine oder die andere Seite zu schlagen.
Der Autor dieses
Beitrages wird durch ein Stipendium der
Deutschen Bundesstiftung Umwelt DBU finanziert.
Literatur:
Calvino, Italo, Die
unsichtbaren Städte, München 101999.
Chappell,
Timothy, Bernard Williams, in: Zalta, Edward N., The Stanford
Encyclopedia of Philosophy, Spring 2006.
Führ, Eduard, Bauen
und Wohnen. Martin Heideggers Grundlegung einer Phänomenologie der Architektur,
Münster 2000.
Foot,
Philippa, Natural Goodness Oxford, 2003.
Foot,
Philippa, The Grammar of Goodness, In: Harvard Review of Philosophy XI
(2003), p. 32-44.
Le Corbusier, 1922.
Ausblick auf eine Architektur, 4. Aufl., Nachdr. 1995; Braunschweig,
Wiesbaden 1982.
Murdoch,
Iris, Metaphysics As A Guide To Morals, New York, London 1992.
Murdoch,
Iris, The Sovereignty of Good, London, New York 1970.
Murdoch,
Iris, Existentialists And Mystics, New York, London 1998.
Murdoch,
Iris, The Fire And The Sun: Why Plato Banished The Artists, Oxford
1977.
Murdoch,
Iris, The Sovereignty of Good over other concepts, Cambridge 1967.
Murdoch,
Iris, Acastos – two platonic dialogues, New York 1987.
Pahl, Jürgen,
Architekturtheorie des 20. Jahrhunderts, München, London, New York
1999.
Rawls, John, Gerechtigkeit
als Fairness, Frankfurt 2003.
Ricken, Friedo,
Allgemeine Ethik, Stuttgart, Berlin, Köln ³1998.
Spector,
Tom, The Ethical Architect, New York 2001.
Trampota, Andreas,
Autonome Vernunft oder moralische Sehkraft? Das epistemische Fundament
der Ethik bei Immanuel Kant und Iris Murdoch, Stuttgart 2003.
Trampota, Andreas,
Wahrheit ohne Tugend? Oder: Setzt eine adäquate Wahrnehmung der Wirklichkeit
Tugend voraus?, in: zur debatte, 7/2003 S. 38-39, 33. Jahrgang, München
2003.
Venturi, Robert,
Komplexität und Widerspruch in der Architektur, (unveränderter Nachdruck
der Ausgabe von 1978); Basel, Gütersloh 2003.
Williams, Bernard,
Ethik und die Grenzen der Philosophie, Hamburg 1999.
Anmerkungen:
[1]
Vgl. zur Charakterisierung der dünnen Konzepte der Moral an dieser
Stelle und im Folgenden: Murdoch 1998, p. 77.
[2]
Es sei darauf hingewiesen, dass in der Literatur unterschiedliche
Bezeichnungen von „Moral“ und „Ethik“ verwendet werden. Unter „Moral“
verstehe ich in Anschluss an Ricken [Ricken ³1998, S. 14] ein allgemeines,
zunächst unreflektiertes Gefühl für die Sitten und Gebräuche einer
Gesellschaft. Im Gegensatz dazu bezeichne ich mit „Ethik“ die wissenschaftliche
Untersuchung der Moral.
[3]
Es sei angemerkt, dass diese Beschreibung eine starke Vereinfachung
darstellt, die als Zusammenfassung der Haupttendenzen nicht alle Feinheiten
einzelner Positionen abdeckt.
[5]
Dazu schreibt Murdoch: „When we apprehend and assess other people
we do not consider only their solutions to specifiable practical problems,
we consider something more elusive which may be called their total
vision of life, as shown in their mode of speech or silence, their
choice of words, their assessments of others, their conception of
their own lives, what they think attractive or priseworthy, what they
think funny: in short the configurations of their thought which show
continually in their reactions and conversation. These things, which
may be overtly and comprehensibly displayed or inwardly elaborated
and guessed at, constitute what, making different points in the two
metaphors, one may call the texture of a man’s being or the nature
of his personal vision.” [Murdoch 1998, S. 82]
[6]
„Moral philosophy cannot avoid taking sides,
and would-be neutral philosophers merely takes sides surreptitiously.”
[Murdoch
1967, S. 2] Das heißt für Murdoch aber keinesfalls, dass Ethik irrelevant
wäre, weil sie nicht neutral sein kann. Im Gegenteil, sie hält ausgefeilte
ethische Überlegungen und Diskussionen für elemetar für das menschliche
Leben, was sich nicht nur in ihren philosophischen Schriften, sondern
auch in ihren literarischen Arbeiten zeigt.
[7]
Wichtig in diesem Zusammenhang ist Murdochs Verständnis von Wirklichkeit
und Realität. Gemeint ist nicht die sichtbare Welt der Dinge und Gegenstände.
Murdoch geht eher von einer platonischen Welt aus, in der den Ideen
höchste Realität zukommt und die Dinge bloße Abbilder der Ideen sind.
Ziel der Moralphilosophie muss es demnach sein, die Idee des Guten
zu erkennen. Dies geht wiederum nur, indem man ständig seine Sicht
der Welt verbessert und im platonischen Sinn versucht von den Erscheinungen
zur Realität zu gelangen. Murdoch redet von einer just vision,
die Ziel eines moralischen Lebens sein muss. Das ist bemerkenswert,
da normalerweise richtiges Verhalten als Ziel des moralisch
guten Lebens gilt. Murdoch ist aber der Meinung, dass eine richtige
Sicht der Welt richtiges Verhalten hervorruft.
[8]
Andreas Trampota verdanke ich den Hinweis auf eine Anekdote, die Philippa
Foot in einem Interview als Schlüsselerlebnis für ihre Philosophie
bezeichnet. Sie berichtet von einem
Gespräch mit ihrer Lehrerin Elizabeth Anscombe, in dem diese die Trennung
von Fakten und Werten in Frage stellte, was für Foot wohl einem revolutionärem
Erlebnis gleich kam.
"After lunch in college, we’d sit down and talk philosophy.
She’d propound some topic, and though she hardly ever agreed with
what I said, she was always willing to consider my objection, and
to wonder why I had made it. At one crucial moment, I remember saying
of some sentence that it must have a mix of descriptive and evaluative
meaning. And she said, “Of what? what?”
And I thought, “my God, so one doesn’t have to accept that distinction!
One can
say
what?!"
[Foot 2003,
p. 34].
[9]
Neuere Tendenzen in der Moralphilosophie versuchen die beiden geschilderten
Konzepte miteinander zu versöhnen. Vgl. z. B.: Trampota 2003.
[11]
Die Ähnlichkeit von Moral und Kunst ist allerdings nicht völlig unstrittig.
Iris Murdoch nimmt häufig Bezug auf Kunst und setzt ethische Fragen
in Analogie zu ästhetischen bzw. künstlerischen Problemen.
In
ihrem Essay Vision and Choice in morality schreibt sie dazu:
„Some people stress the dissimilarity between art and morals because
they want to insist that morality is rational, in the sense of legislating
for repeatable situations by specification of morally relevant facts.
Other people stress the similarity between art and morals because
they want to insist that morality is imaginative and creative and
not limited to duties of special obligation.”
[Murdoch
1998, S. 86] Zweifellos gehört Murdoch zu denjenigen, die die Ähnlichkeit
von Kunst und Moral betonen. Wohingegen Bernard Williams auf die Unterschiede
hinweist, wenn er zwei grundsätzlich unterschiedliche Sphären der
Erkenntnis beschreibt. Der eine Pol wird von ihm mit „das Naturwissenschaftliche“
bezeichnet, den anderen Pol nennt er „das Ethische“ und besteht darauf,
dass dieser Bereich nicht mit dem Ästhetischen gleichgesetzt wird.
"Die grundlegende Differenz besteht zwischen den Bereichen
des Ethischen und des Naturwissenschaftlichen. […] Der Bereich wird
nicht »das Wertende« genannt, weil darunter zumindest noch das ästhetische
Urteilen fällt, das seine eigenen Fragen aufwirft." [Williams
1999, S. 190].
[12]
Le Corbusier 1982, S. 200.
[13]
Le Corbusier 1982, S. 154.
[15]
Dabei sei darauf hingewiesen, dass Ökologie und Nachhaltigkeit im
Gegensatz zur überwiegenden Meinung der Architektenschaft keinesfalls
das gleiche meinen. Das Konzept der Nachhaltigkeit stellt im Kern
eine Gerechtigkeitskonzeption dar, deren besonderes Merkmal eine Ausweitung
der Gerechtigkeit in Raum und Zeit darstellt. Die Forderung nach inter-
und intragenerationeller Gerechtigkeit lässt sich philosophisch völlig
unterschiedlich begründen und ausformulieren. Somit ist eine Forderung
nach nachhaltiger Architektur allein völlig nichts sagend, weil schlichtweg
alles darunter subsumiert werden kann, wenn man nur die richtige Begründung
wählt.
[16]
Dies gilt dabei sowohl für ein teleologisches als auch für ein nicht-teleologisches
Verständnis der Architekturgeschichte.
[17]
Vgl. Rawls 2003, S. 59ff.
[18]
Vgl. dazu M. Heideggers Aufsatz „Bauen-Denken-Wohnen“ und die diversen
Interpretationen dazu in Führ 2000.
[19]
Das Beispiel lässt sich auch quasi umgekehrt konstruieren, wenn z.
B. eine neoklassizistische Villa in moderner Umgebung errichtet wird,
könnte man dies als eine faktische Aussage werten, die auch eine Wertaussage
enthält.
[20]
Vgl. z.B. Spector 2001.
[22]
„Süddeutsche Zeitung“ Nr.86 vom 12./13. April 2008, „Die Zeit“ Nr.
16 vom 10. April 2008.
[23]
Spector 2001, p.118ff. wendet sich beispielsweise ganz explizit gegen
die dünnen Konzepte und argumentiert bzw. plädiert für dicke Konzepte
der Architekturinterpretation.
[24]
Dies wird zumindest in der Ethik zunehmend erkannt. Vgl. dazu: Trampota
2003.
|