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Eine Wohnbauanalyse im wissenschaftlichen Sinn hätte die Aufgabe, faktisches
Wissen über das jeweilige Wohnbauobjekt zu eruieren und die Ergebnisse
in nachvollziehbarer, überprüfbarer Form zu präsentieren. Und welchen
Zweck hätte eine Wohnbau-Interpretation? Gemäß ihrer ursprünglichen Vermittler-Funktion[1]
läge dieser wohl darin, die aus der Analyse gewonnenen Fakten zu "übersetzen",
d. h. zugänglich und verständlich zu machen, womit schon deutlich wird,
dass es nicht sinnvoll wäre, Analyse und Interpretation voneinander zu
trennen, sondern dass sie vielmehr erst in Kombination miteinander ein
praktikables und verständliches Instrumentarium ergeben.
Eingangs sei folgende Prämisse dargestellt: Da der Wohnbau von allen Bauaufgaben
am stärksten und am direktesten mit dem menschlichen Wesen verknüpft ist,
muss auch eine Analyse, die an den Kern der Wohnbauaufgabe gelangen soll,
eine ganzheitlich humanwissenschaftliche Ausrichtung aufweisen. Das bedeutet,
ein Wohngebäude nicht bloß als solitäres Bau- oder Designobjekt zu betrachten,
sondern stets im Gesamtkontext, in Verbindung zum jeweiligen Wohnumfeld
und vor allem zum Menschen selbst (mit all den psychologischen, soziologischen,
physiologischen Facetten), also das "Gesamtsystem" Mensch-Wohnung-Umfeld
samt internen wie externen Wechselwirkungen und Zusammenhängen zu berücksichtigen.
Doch wie kann eine solche Methodik der Wohnbauanalyse aussehen? Welche
Kriterien und Parameter lassen sich definieren? Und wie vermittelt / interpretiert
man die Ergebnisse einer solchen Wohnbauanalyse?
Als Einleitung zwei wichtige, grundsätzliche Orientierungsfragen:
1. Was ist/kann/bringt eine Interpretation?
Wenn, wie vom Duden[2]
festgestellt, "Interpretation" einerseits gleichzusetzen ist
mit 'Auslegung, Erklärung, Deutung' oder andererseits auch 'Auffassung',
dann liegt der Schluss nahe, dass dort, wo es wenig oder nichts auszulegen
oder zu erklären gibt (oder nicht erklärt werden kann), diese Lücke mit
Auffassungen oder – pointierter ausgedrückt – mit Meinungen aufgefüllt
werden muss. Diese sind naturgemäß stark individuell geprägt und sagen
daher oft mehr über die Person aus, die diese Auffassung formuliert bzw.
vertritt, als über das Objekt, zu dem dieselbe geäußert wurde. Sie sind
also, wenn man Informationen bzw. Erkenntnisse zu einem bestimmten
Objekt (z. B. einem Wohnbauobjekt) erhalten will, nur wenig aufschlussreich.
Eine Interpretation, die glaubt, auf analytische Vorarbeiten bzw. auf
eine wissenschaftliche Basis verzichten zu können, kann noch so plausibel
und überzeugend ausformuliert werden, der Erkenntniszugewinn über das
Objekt bleibt minimal, denn man erhält letzten Endes lediglich subjektive
Eindrücke und individuelle Auffassungen der interpretierenden Person.
So scheint eine derartige Interpretation in vielen Fällen eher eine kathartische
Funktion für den Interpretierenden zu erfüllen als einer Informationsvermittlung
zu dienen.
Eine Auslegung, Erklärung oder Deutung hingegen intendiert eine vorausgehende
analytische Beschäftigung mit dem Objekt – ist also stärker objektorientiert
und darauf ausgelegt, Informationen über das Objekt zu erlangen bzw. aus
dem Objekt selbst heraus zu generieren, was wiederum das Wesen einer analytischen
Herangehensweise darstellt.
2. Was ist/kann/bringt eine Analyse?
Eine "Analyse" bezeichnet eine "systematische Untersuchung
eines Gegenstandes oder Sachverhaltes hinsichtlich aller einzelnen Komponenten
oder Faktoren, die ihn bestimmen."[3]
oder steht für eine "Zerlegung, Zergliederung eines Ganzen in
seine Teile, systematische Untersuchung eines Sachverhalts unter Berücksichtigung
seiner Teilaspekte."[4]
Im Zentrum einer Analyse befindet sich das jeweilige zu untersuchende
Objekt; sie ist demnach vom Prinzip her objektorientiert und versucht,
von Meinungen oder individuellen Präferenzen unabhängig zu bleiben. Dies
bedeutet, dass unabhängig von der Person bei einer Analyse des gleichen
Gegenstandes gleiche oder zumindest ähnliche Resultate herauskommen sollten.
Eine Analyse ist jedoch abhängig von der durchgeführten Methodik samt
den zugehörigen Bewertungskriterien und Parametern. Je besser, d.h. unmissverständlicher
und eindeutiger diese ausformuliert sind, desto objektiver und nachvollziehbarer
wird die Analyse respektive deren Evaluation.
Um ein kurzes Zwischenresümee zu ziehen, bringt eine Analyse im wissenschaftlichen
Sinn prinzipiell Resultate, die überprüfbar (verifizierbar/falsifizierbar)
sind. Im Gegenzug kann sich eine Wohnbau-Interpretation einerseits dort
als sinnvoll erweisen, wo streng wissenschaftliche Kriterien nicht mehr
greifen, wo analytische Untersuchung ins Leere fassen, z. B. in allen
Belangen, die sich mit der subjektiv emotionalen Wirkung eines Gebäudes
beschäftigen.
Eine rein selbstbezogene Interpretation kann – da es an analytischem respektive
theoretischem Hintergrund fehlen würde – kaum zur fundierten Beurteilung
von Wohnbauten, zur Bewertung der Wohnqualität einer Wohnung oder einer
ganzen Wohnanlage herangezogen werden.
Sekundär (und das ist ein wichtiger Punkt) kann das Interpretieren aber
auch dort Sinn machen, wo es um die Vermittlung von sachlich-nüchternen
Analyse-Resultaten geht, um auf die eigentliche und ursprüngliche Vermittlungs-Funktion
der Interpretation zurückzukommen.
Objekte der Analyse sind in diesem Kontext Wohnbaustrukturen (dieser
Begriff steht hier stellvertretend für Wohnungen, Wohngebäude, Wohnanlagen
samt Umfeld) respektive das System, mit dem sie vernetzt sind (=Habitatsystem,
s. u.). Was ist generell bezüglich Wohnbaustrukturen nach wissenschaftlichen
Kriterien analysierbar und was nicht?
Zum einen sind dies, wie bei jedem anderen Gebäude auch, bauphysikalische
und hochbautechnische oder auch baubiologische, -ökologische sowie wohnmedizinische
Faktoren und Eigenschaften eines Gebäudes, die untersucht und z. T. auch
gemessen werden können (dazu gibt es bereits eine Reihe bewährter Verfahren,
auf die hier jedoch nicht näher eingegangen werden soll, da sie thematisch
nicht im Vordergrund stehen.)
Eine andere Situation zeigt sich wiederum bei baustilistischen sowie gestalterisch
formalen Themen. Dafür kommen eher beschreibende, dokumentierende oder
vergleichende[5]
(im kunsthistorischen Sinn) Verfahren in Frage.
Doch wie sieht es mit dem eigentlichen Kern der Wohnbauaufgabe aus, der
von menschlichen, humanwissenschaftlichen Faktoren bestimmt wird? Dazu
zählen in diesem Zusammenhang vor allem Umwelt- und Wohnpsychologie, Wohnsoziologie,
Anthropologie so wie auch wohnphysiologische Faktoren.
Und wie steht es um den theoretischen Überbau, sprich um die wissenschaftstheoretischen
Aspekte? Damit wären beispielsweise systemtheoretische (oder auch feldtheoretische)
Ansätze und vor allem die daraus abgeleiteten systemstrukturellen Konsequenzen
(bez. Wohnbaustrukturen) gemeint.
Nun stehen die hier genannten Termini für ganze wissenschaftliche Fächer,
die in ihrer Gesamtheit zu umfassen, ein bei weitem zu komplexes und ausuferndes
Unterfangen darstellen würde, um damit eine praktikable Wohnbauanalyse
durchführen zu können. Daher sollen (und müssen) aus all den humanwissenschaftlichen
und wissenschaftstheoretischen Facetten vor allem jene herausgefiltert
werden, die folgende Kernthemen erfassen und erklären können:
- die
Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen dem Menschen und seiner Wohnumwelt
sowie die Art und Intensität der Interaktionen bzw. die Interaktionsmöglichkeiten
auf allen Ebenen (physio-, sozio- oder psychologische etc.)
- und
allen voran die spezifisch wohnungsbezogenen Bedürfnisse des Menschen.
Die Leitfrage dazu lautet: Welche Rolle spielen Wohnbaustrukturen (um
deren Analyse und Interpretation es hier letzten Endes geht) in Bezug
auf das jeweilige Umfeld bzw. den jeweiligen Umweltausschnitt, in dem
sie errichtet wurden, und in Bezug auf den wichtigsten Faktor, den wohnenden
Menschen selbst?
Wie bereits erwähnt, nimmt die Wohnung in zweierlei Hinsicht eine Sonderstellung
in der Beziehung zwischen dem Menschen und seiner Umwelt ein. Dazu gilt
es anzumerken, dass der Begriff "Umwelt" nicht nur die natürliche,
sondern auch die bauliche, architektonische oder soziale Umwelt umfasst.
Sie bezeichnet "die Gesamtheit der Faktoren eines Lebensraumes,
die auf ein Lebewesen einwirken und auf die ein Lebewesen einwirkt".[6]
Erstens kann die Wohnung als ein spezieller Ausschnitt der Umwelt betrachtet
werden, der mit den jeweiligen Bewohnenden in einer besonders intensiven
Beziehung steht. Dieser Umweltausschnitt umfasst dabei nicht nur das Wohnungsinnere,
sondern auch die der Wohnung zugeordneten Freibereiche (Terrassen, Balkone,
Grünflächen etc.), das unmittelbare Wohnumfeld, Erschließungsflächen,
Vorbereiche etc. Eine Wohnung samt Umfeld bildet nicht nur eine Projektionsfläche
für die Wünsche, Vorstellungen und Bedürfnisse des Menschen, sondern sie
determiniert auch die Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten des Menschen
in seinem eigenen Lebensraum.
Zweitens bildet die Wohnung gleichsam ein Bindeglied zwischen dem wohnenden
Menschen und seiner Umwelt, d. h. die wohnbauliche Hülle und die Wohnung
selbst bestimmen in entscheidender Weise die Wechselwirkungsprozesse zwischen
Innen und Außen, zwischen den Bewohnenden und ihrer Wohnumwelt; sie filtern
nicht nur die Einflüsse von außen und prägen die Wirkung nach außen, sondern
sie determinieren auch die Kontakt- und die Interaktionsmöglichkeiten,
die Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten u. v. a. m.
Um all die o. g. wohnbaulichen Faktoren erfassen zu können, ist eine ganzheitliche,
systemische Konzeption unerlässlich. Das bedeutet aber auch, dass ein
Bezugsrahmen hergestellt werden muss, ein terminologisches und systemisch
verknüpftes Netzwerk, das alle relevanten Facetten integrieren kann, seien
diese psychologischer, soziologischer, physiologischer oder auch systemtheoretischer
Art. Wodurch diese Facetten nicht nur wissenschaftlich definierbarer,
sondern auch analytisch fassbarer werden sollten – eine entsprechende
Methodik vorausgesetzt.
(A) Systemische
bzw. systemtheoretische Konzeption
Diese Konzeption bildet das wissenschaftstheoretische Grundgerüst, an
das die einzelnen Facetten angeknüpft werden können:
Aus
systemtheoretischer Sicht liegt einer Struktur stets ein systemischer
Zusammenhang (sprich ein System) zugrunde. So "... kann eine Wohnbaustruktur
als materielle, bauliche Manifestation eines Mensch-Wohnung-Umfeld-Systems
bezeichnet werden."[7]
Ein Habitatsystem (bzw. Mensch-Wohnung-Umfeld-System), das auch als
ökobehaviorales System[8]
gesehen werden kann, definiert sich kurz gefasst "... über (a)
seine Hauptkomponenten Mensch, Wohnung und Umfeld, (b) die Beziehungen
und Wechselwirkungen zwischen diesen Komponenten und (c) das Austauschverhältnis
und die wechselseitigen Einflüsse zwischen dem Habitatsystem und seiner
Umwelt."[9]
Oder um mit E. Jantsch zu sprechen:
"Als Struktur bezeichnet man die Manifestation einer bestimmten Ordnung
in einem vorgegebenen Bezugsrahmen." "Jeder Bezugsrahmen führt
nicht zu beliebigen, sondern zu einer bestimmten Vielzahl von Strukturen.
Das Studium der zulässigen Strukturen vermittelt oft erst die Möglichkeit,
über den Bezugsrahmen selbst Aussagen zu machen."[10]
... womit wiederum eine Überleitung zur Analyse von Wohnbaustrukturen
gegeben wäre.
Der gesamte wohnungsbezogene
Lebensraum (= das Habitat) eines Menschen stellt folglich keine bloße
Aneinanderreihung von baulichen oder räumlichen Elementen dar, vielmehr
stehen diese in einer sich wechselseitig beeinflussenden Beziehung zueinander
und zu den Bewohnenden selbst. Es kann also von einem System Mensch-Wohnung-Umfeld
(oder kurz von einem „Habitatsystem") gesprochen werden, dessen Komponenten
auf mehreren Ebenen miteinander verknüpft sind.
Diese systemische Konzeption ist insofern sinn- und wertvoll, als dass
sie einen Menschen oder eine Wohnung nicht mehr als solitäre Einheiten
sieht, sondern stets eingebettet in das jeweilige Umfeld und geprägt von
den internen wie externen Beziehungen, Interaktionen oder Wechselwirkungsprozessen
wie auch von den funktionalen und operationalen Zusammenhängen. Je besser
und umfassender all diese erfasst und definiert werden können, desto eher
können auch fundierte und aufschlussreiche Analyseergebnisse generiert
werden.
(B)
Das terminologische Netzwerk
Dieses dient der thematischen sowie logisch argumentativen Verknüpfung
der Hauptbegriffe, die sich einerseits von den menschlichen Wohnbedürfnissen
ableiten lassen und andererseits auf das systemtheoretische Grundgerüst
(s. o.) aufbauen. Sie bilden daher zugleich auch die Hauptkriterien einer
Analyse von Wohnbaustrukturen.
Eingangs sei hier angemerkt, dass die nachfolgend aufgelisteten Begriffe
keine singulären Phänomene bezeichnen, sondern jeweils stellvertretend
für einen ganzen Themenbogen stehen (dessen Komplexität und Vielschichtigkeit
in diesem Rahmen natürlich nur angedeutet werden kann):
- Protektion,
die Schutzfunktionen des Wohnbaus:
Die Erfüllung bzw. Wahrung der Schutzbedürfnisse bilden aus menschlicher,
anthropologischer Sicht die Basisfunktionen jeglichen Wohnbaus und verteilen
sich über mehrere Bereiche: Ausgehend von den sensorischen und physiologischen
Schutzbedürfnissen, dem Schutz vor aggressiven oder invasiven "Elementen"
über den Schutz der Privat- und Intimsphäre bis hin zur Bewahrung des
Wohlbefindens u. v. a. m. ergibt sich eine äußerst breite Palette an
unterschiedlichen Schutzaufgaben für einen Wohnbau bzw. für Wohnbaustrukturen.
Generell lassen sie sich zu drei Aufgabengebieten zusammenfassen, und
zwar im Sinne einer Sicherung und Bewahrung
1. des (Über-)Lebens eines Menschen, (human shelter) – die archaische
Schutzfunktion;
2. des Lebensraums einer Person und ihrer Angehörigen (private space)
– die "klassische" Wohnbauaufgabe; und
3. der wohnbaubezogenen Lebensqualität bzw. des Wohlbefindens (personal
wellness) – die moderne/zivilisatorische Schutzfunktion.[11]
Im Zuge einer Wohnbauanalyse gilt es festzustellen, inwieweit die unterschiedlichen
Schutzfunktionen erfüllt werden oder nicht bzw. ob und inwieweit diese
überhaupt erfüllbar sind.
- Isolation,
die Hauptgefahr jeglicher Abschottung und ihre Folgen:
Der ganzheitliche Ansatz definiert den Menschen aus mehreren Perspektiven,
z. B. (a) als ein biologisch-physiologisches Wesen, das durch permanente
Wechselwirkungen und Austauschprozesse mit seiner Umwelt verbunden ist,
(b) als ein wahrnehmendes Wesen, das fortlaufend Informationen aus seiner
Umwelt aufnimmt respektive "Nahrung" für seine Sinne benötigt,
(c) als ein aktives, gestaltendes, handelndes Wesen, das stets mit seiner
wohnlichen Umwelt bzw. dem Wohn-Umfeld interagiert und
(d) als ein kommunikatives Wesen, das auf Interaktionen mit seinem sozialen
Umfeld angewiesen ist.[12]
Ungewollte, unerwünschte Isolation bringt demnach auf allen Ebenen menschlichen
Daseins Einschränkungen mit sich. Sie kann nicht nur die Interaktionsmöglichkeiten
eines Menschen stark oder gänzlich einschränken, sondern auch, je nach
Art, Dauer und Ausmaß seine aktuelle Befindlichkeit beeinträchtigen,
sie kann ihm sowohl in psychischer als auch in physiologischer Hinsicht
erheblichen Schaden zufügen und in extremer Ausformung sogar sein (Über-)Leben
gefährden.
Ergo sollte der Grad bzw. das Ausmaß an Isolation auf all den o. g.
Ebenen bei einer Wohnbauanalyse unbedingt bewertet werden.
- Regulation:
Der Begriff "Regulation" umfasst die Kontroll- und Regulationsmöglichkeiten
des Menschen über Ausmaß, Art und Intensität der Beziehungen und Wechselwirkungen
zwischen ihm und seinem wohnlichen Umfeld (inklusive der Wohnung selbst)
bzw. über Einflüsse/Einwirkungen unterschiedlichster Art aus der Umwelt
oder dem unmittelbaren Umfeld auf ihn selbst sowie auf seine Wohnung
/ seinen Lebensraum.
Sie gliedert sich dabei in
(a) aktuelle Regulation, um dem aktuellen Wohlbefinden[13]
gerecht zu werden und auf kurzfristige oder tageszeitliche Veränderungen
reagieren zu können,
(b) habituelle Regulation, um dem habituellen Wohlbefinden[14]
gerecht zu werden und betrifft langfristige Änderungen und entsprechende
Adaptionen des Lebensraums,
(c) soziale Regulation, die Ort und Zeitpunkt von sozialen Interaktionen
bzw. den Kontakt zu anderen Individuen bestimmt,
(d) physiologische Regulation, die alle Maßnahmen umfasst, um Einfluss
auf physiologische Faktoren nehmen zu können.
Die Konzipierung von Wohnbaustrukturen sollte darauf abzielen, das Regulations-
und Adaptionspotential zu maximieren, denn diese bilden zugleich auch
die Vorraussetzung dafür, dass Wohnzufriedenheit entstehen bzw. erhalten
werden kann, und zwar, indem unterschiedliche regulative oder adaptive
Maßnahmen ermöglicht werden, durch die eine Person sowohl auf die eigenen
aktuellen Anforderungen und individuellen Gemütslagen reagieren, als
auch längerfristige, die gesamte Lebenslage betreffende Anpassungen
vornehmen kann.
Im Zuge der Regulation wird der architektonischen Hülle eines Wohnbaus
eine Filterfunktion zuteil (bzw. Regulationsfunktion vor allem in physiologischer,
baubiologischer, aber auch in psycho-sozialer Hinsicht),
indem über Materialwahl, Raumgliederung und Konstruktionsart die unterschiedlichen
Umwelteinflüsse gefiltert werden; die Regulation geschieht teils autark
(also ohne menschliches Zutun), teils sollte sie jedoch auch durch die
Bewohnenden selbst steuerbar (also regulativ) sein, um unerwünschte
Einwirkungen abzuschirmen und erwünschte durchzulassen, um gewollten
Kontakt herstellen und ungewollten vermeiden zu können.[15]
Das
Erkennen und Einschätzen des Regulationspotentials (und Adaptionspotentials)
in all seinen Facetten bildet einen wichtigen Bestandteil einer Wohnbauanalyse.
- Offenheit
als Planungsmaxime für menschengerechte Wohnbaustrukturen[16]:
Diese besagt, dass zwar alle erforderlichen Schutzfunktionen erfüllt
werden müssen, danach jedoch ein Maximum an "Offenheit" anvisiert
werden soll und dies in mehrerlei Hinsicht: um die Isolation
(s. o.) der Bewohnenden zu minimieren, um den Erlebens- und Wahrnehmungsraum
zu erweitern, um Prozesse der Aneignung (im umweltpsychologischen Sinn)
ablaufen zu lassen etc.
Offenheit kann im erweiterten Sinn auch als ein Anbieten oder Eröffnen
von Möglichkeiten gesehen werden, von Möglichkeiten zur Gestaltung,
für Handlungen, Nutzungen und Interaktionen aller Art.
Die
Maße bzw. Grade an Offenheit auf all diesen Ebenen stellen weitere grundlegende
Analyse-Kriterien dar.
-
Beziehungen und Interaktionen:
Jede Beziehung zwischen den Bewohnenden und ihrer Wohnumwelt
basiert auf einer Reihe unterschiedlicher Kontaktprozesse, wie z.B.
soziale Interaktion oder Kommunikation, aber auch das Wahrnehmen der
Umwelt, das Gestalten von Teilen derselben etc. Erst über die diversen
Kontakt-, Interaktions- und Austauschprozesse wird jegliche Weiterentwicklung
des Menschen vorstellbar (sei es in physiologischer, in psychomentaler
oder sozialer Hinsicht).
Mit
jeder geglückten Kontaktaufnahme (im o. g. Sinn) bzw. Interaktion, mit
jedem menschlichen Wirken, das in seinem wohnlichen Umfeld auch erfahrbar
wird, steigt zugleich die emotionale Verbundenheit mit diesem Ort. Geschieht
dies in gesteigerter, gehäufter Form, so setzt ein Prozess der Identifikation
ein, d. h. die Bewohnenden beginnen, sich nach und nach mit ihrem Wohnort
zu identifizieren (–
eine personenbezogene Ortsidentität entsteht).
Bei einer Analyse ist demnach darauf zu achten, wie sehr eine Wohnbaustruktur
diese Interaktionen ver-/behindert, zulässt oder sogar fördert.
- Kongruenz
als
Resultat und Ziel:[17]:
Diese steht einerseits für das Ziel (bzw. den Versuch), die gegensätzlichen
Paarungen der Protektion und Isolation sowie der regulativen Optionen
und baulich fixierten Strukturen in Einklang zu bringen (– Synomorphie
zwischen physischen und behavioralen Strukturen herzustellen). Andererseits
bildet sie letztendlich – in welcher Form auch immer – das Resultat
einer jeglichen Mensch-Wohnumwelt-Anpassung.
Von einer Kongruenz kann dann gesprochen werden, wenn die wohnbaulichen
Gegebenheiten mit der Lebensweise der bewohnenden Menschen übereinstimmen.
Dies kann prinzipiell auf mehreren unterschiedlichen Ebenen zustande
kommen: Eine handlungs- und nutzungsstrukturelle Kongruenz stellt sich
z. B. dann ein, wenn die Handlungsweisen der Bewohnenden und die Raumnutzungsstrukturen
mit den baulichen Rahmenbedingungen konform gehen. In enger Verbindung
dazu steht die quantitative Kongruenz, die auf die optimale räumliche
Ausdehnung der Wohnräume abzielt, welche je nach Nutzungsvorstellungen
und Anzahl der Bewohnenden stark variieren kann. Die physiologische
Kongruenz wiederum nimmt Bezug auf baubiologische, ergonomische oder
auch wohnmedizinische Parameter; bei einer gestalterischen Kongruenz
kommen wiederum die formalen und ästhetischen Vorstellungen der Bewohnenden
mit den realen Wohngegebenheiten zur Übereinstimmung. Die Veränderlichkeit
oder Adaptierbarkeit von Wohnbaustrukturen in Verbindung zum zeitlichen
Faktor, nämlich zu den verschiedenen Lebensphasen und Veränderungen
im Leben der Bewohnenden, bildet die wesentlichste Voraussetzung für
das Zustandekommen einer Entwicklungskongruenz, während eine soziolokale
Verhaltenskongruenz vor allem die Zusammenhänge zwischen örtlich gebundenen
menschlichen Verhaltensmustern und den jeweiligen räumlichen Umweltbedingungen
in den Mittelpunkt stellt.
"Aus welchem Blickwinkel auch immer man es betrachten mag, eine
Mensch-Umweltbeziehung zielt stets in Richtung Kongruenz, sei es zum
Vorteil oder zum Schaden des Menschen, sei es indem das wohnliche Umfeld
den menschlichen Bedürfnissen angepasst werden kann oder sei es indem
sich der Mensch den Umweltgegebenheiten anpassen muss. Die unterschiedlichen
Strukturen (seien sie baulicher, sozialer oder mentaler Art) eines Mensch-Wohnung-Umfeld-Systems
weisen damit stets eine adaptive Tendenz zur gegenseitigen Angleichung
(in Richtung Synomorphie) auf."[18]
Das Feststellen bzw. Einschätzen der verschiedenen Formen der Kongruenz
bildet einen entscheidenden Beitrag einer humanwissenschaftlichen Wohnbauanalyse.
(C)
Theorie – Analyse – Interpretation
Um etwas analysieren zu können, braucht es einen wissenschaftlichen theoretischen
Hintergrund (in diesem Fall wurde dieser mit Punkt (A) und (B) kurz aufskizziert).
Wenn dieser klar definiert und ausformuliert ist, ergeben sich in nächster
Konsequenz nicht nur systemstrukturelle, bauliche Prämissen, sondern auch
die entsprechenden Analysekriterien.
Dazu sei an dieser Stelle eine kurze stichwortartige Auswahl dargelegt
- unter der Leitfrage: Was kann in Anlehnung an (A) und (B) überhaupt
analysiert werden?
(a)
"Grade / Ausmaße":
- Bezüglich
Protektion: Grad der Erfüllung der verschiedenen Schutzfunktionen,
- Grad
der unterschiedlichen Formen der Offenheit,
- Ausmaß
an Isolation auf all den o. g. Ebenen,
- Grad
und Art der Kongruenz (s. o.).
(b) "Potentiale / Möglichkeiten":
-
Regulationspotential bzw. Adaptionspotential,
-
Entwicklungspotential,
-
Möglichkeiten
- zur Gestaltung / physische Interaktion,
- zur Wahrnehmung / sensorische Interaktion,
- zur sozialen Interaktion / Kommunikation,
-
Handlungs- und Verhaltensmöglichkeiten,
-
Möglichkeit zur Selbstbestimmung (regulative Kontrolloptionen).
(c)
"Muster / Verknüpfungen / Strukturen"; die systemstrukturellen
Konsequenzen:
-
operationale, logistische, funktionale Zusammenhänge und Verknüpfungen,
-
Zonierungen: die Definition der unterschiedlichen Zonen/Bereiche (vom
persönlichen bis zum öffentlichen
Raum,
vom Intimitäts- bis zum Extimitätsbereich)
etc.,
- das
Verhältnis zwischen Bewohnerstruktur und baulicher Struktur,
-
Attraktionsmuster,
damit
werden in diesem Kontext die wahrscheinlichsten respektive die bevorzugtesten
möglichen Verhaltens- und Benutzungsmuster beschrieben, die sich in
einer baulich-räumlichen Struktur ausbreiten können.
(Dies
wäre im Prinzip bereits ein Erweiterungsschritt der Analyse in Richtung
Prognostik.)
Bei dieser überblicksmäßig zusammengefassten Auflistung darf nicht außer
Acht gelassen werden, dass diese Kriterien sich z. T. noch in zahlreiche
Untergruppen aufgliedern lassen bzw. aufgegliedert werden müssen, um untersucht
werden zu können (vgl. A und B).
Und zum Zweiten muss angemerkt werden, dass sich die unterschiedlichen
Ebenen (psychologische, physiologische, soziologische, handlungs- und
nutzungsbezogene, systemstrukturelle etc.) durch all die oben aufgelisteten
Punkte hindurchziehen. Sie schaffen somit gleichsam Querverbindungen,
sodass dadurch insgesamt ein matrixartiges Netzwerk gebildet wird, mit
welchem die wichtigsten humanwissenschaftlichen und systemtheoretischen
Wohnbauaspekte gut abgedeckt sein sollten.
Es kann abschließend
festgehalten werden, dass sich ein klarer methodologischer Zusammenhang
zwischen Theorie, Analyse und Interpretation erkennen lässt:
(1) Zuerst müssen die theoretischen Grundlagen, die wissenschaftlichen
Zusammenhänge ausfindig gemacht werden; d. h. die theoretische Konzeption
muss möglichst klar, ergiebig und praxisnah ausformuliert werden.
(2) Dann müssen
daraus Analysekriterien und Parameter deduziert werden, die (a) tatsächlich
an einem Wohnbauobjekt untersucht/festgestellt werden können und die (b)
auch einen Zugewinn an Erkenntnissen über das Objekt einbringen können.
(3) Und schließlich
nach erfolgter Analyse müssen die Ergebnisse noch evaluiert, veranschaulicht
und vermittelt werden können, was uns zur
Interpretation der Ergebnisse der Wohnbauanalyse führt bzw. generell zum
Sinn und Zweck des Interpretierens: Denn es hätte gemäß seiner "Mittler-Funktion"[19]
die Aufgabe, aus den gesamten, meist sehr komplexen und eventuell nicht
selbst erklärenden Analyseergebnissen die Quintessenz herauszufiltern
und möglichst anschaulich, nachvollziehbar und plausibel zu kommunizieren.
Die Interpretation hätte die bedeutsame Funktion, die wichtigsten Problempunkte
zu definieren und somit eine Basis für mögliche Lösungsansätze zu bieten.
(4) Feedback: Die hier dargelegte Reihenfolge Theorie (oder besser
gesagt: theoretische Konzeption) – Analyse – Interpretation darf und soll
jedoch nicht als Einbahnstraße verstanden werden. Denn die Analyse
bzw. deren Ergebnisse haben stets eine Rückwirkung auf die theoretischen
Grundlagen, indem sie immer auch eine Überprüfung der Theorie darstellen,
und indem sie diese bzw. einzelne Facetten daraus bestätigen oder in Frage
stellen (verifizieren / falsifizieren). Die Interpretation wiederum hat
eine Rückwirkung auf die Auswahl der Analysekriterien und Methodiken.
Denn es macht letztendlich nur Sinn, Analyseergebnisse zu generieren,
die auch brauchbare und vermittelbare(!) Erkenntnisse über das jeweilige
Objekt mit sich bringen, d. h. sie müssen in diesem Sinne "interpretierbar"
sein, wodurch sich wiederum ein Feedback auf die Analysemethodik und in
weiterer Folge auch auf die theoretische Konzeption ergibt. Denn schließlich
muss die Interpretation den Kontakt zu den Interessentinnen und Interessenten
bzw. Klientinnen und Klienten herstellen, mit ihnen kommunizieren, ihnen
brauchbare und möglichst aufschlussreiche Erkenntnisse vermitteln.
Eine Interpretation zum reinen Selbstzweck wäre ebenso sinnentleert wie
eine Analyse bzw. Theorie zum reinen Selbstzweck.
Quellenverzeichnis:
[1] gemäß
dem lat. interpretare ... dolmetschen, (erklärend) übersetzen,
erklären, auslegen, verstehen; oder interpres ... Vermittler,
Erklärer, Übersetzer.
[2]
Duden, Das Große Fremdwörterbuch;
S. 639, Hg.: Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion, Dudenverlag,
Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich, 2003.
[3] Duden,
Das Große Fremdwörterbuch;
S. 95, Hg.: Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion, Dudenverlag,
Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich, 2003.
[4] Bibliographisches
Institut & F. A. Brockhaus AG, 2007.
[5] vgl.
Lexikon der Kunst Bd. 7, S. 594, Hg: Harald Olbrich et al.,
E. A. Seemann Verlag, Leipzig 2004, 2. Aufl.
[6] Lexikon
der Psychologie, S. 506;
Bertelsmann Lexikon Verlag GmbH, Gütersloh, 1995.
[7] aus
"Die Psycho-Logik von Wohnbaustrukturen", Die Beziehung
Mensch-Wohnung-Umfeld und ihre systemischen Grundlagen, S.16, Harald
Deinsberger, BoD Verlag, Norderstedt, 2007.
[8] vgl.
Alwin Engemann "Systemtheorie" in "Ökologische
Psychologie", S. 106, Hg.: Kruse/Graumann/Lantermann, Psychologie
Verlags Union, Weinheim, 1996.
[9] "Wohnbau
und Umweltpsychologie" in IBOmagazin 3/07, S. 27, Harald
Deinsberger, Verl. u. Hg.: IBO - Österreichisches Institut für Baubiologie
und –ökologie, Wien, 2007.
[10] in
"Handlexikon zur Wissenschaftstheorie", S. 326, Hg.:
Helmut Seiffert u. Gerard Radnitzky; dtv, München, 1994.
[11] vgl.
"Die Psycho-Logik von Wohnbaustrukturen", Die Beziehung
Mensch-Wohnung-Umfeld und ihre systemischen Grundlagen, S. 30ff, Harald
Deinsberger, BoD Verlag, Norderstedt, 2007.
[12] vgl.
"Die Psycho-Logik von Wohnbaustrukturen", Die Beziehung
Mensch-Wohnung-Umfeld und ihre systemischen Grundlagen, S. 203, Harald
Deinsberger, BoD Verlag, Norderstedt, 2007.
[14] nach
Peter Becker, "Theorien zum habituellen Wohlbefinden"
in "Wohlbefinden: Theorie, Empirie, Diagnostik", S. 19ff;
Hg: Andrea Abele u. Peter Becker; Juventa Verlag, Weinheim, München,
1991.
[15] vgl.
"Die Psycho-Logik von Wohnbaustrukturen" Die Beziehung
Mensch-Wohnung-Umfeld und ihre systemischen Grundlagen, S. 83ff, Harald
Deinsberger, BoD Verlag, Norderstedt, 2007.
[19] interpretieren
... "den Mittler machen" gem. lat. interpretari;
Duden, Das Große Fremdwörterbuch; S. 639, Hg.: Wissenschaftlicher
Rat der Dudenredaktion, Dudenverlag, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich,
2003.
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