Zum Interpretieren von Architektur
Theorie des Interpretierens

12. Jg., Heft 2, Dezember 2008

 

___Matthias A. Amann
Dresden
  Werk ohne Nutzung

 

   

inde ferunt, totidem qui vivere debeat annos,
corpore de patrio parvum phoenica renasc
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Ovid

 

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Abbildung 1:
Werk ohne Nutzung
(Leipzig-Lindenau), 2007
 
  Leer stehende, so genannte ‚ungenutzte’ Gebäude stellen einen gewöhnlichen Bestandteil unserer Städte dar. Wir haben uns an sie gewöhnt, wenn sie nicht in solch großen Massen auftreten, dass wir sie als Zeichen eines allgemeinen Niedergangs der Wirtschaft, eines intakten Gemeinwohls und folglich der Stadt deuten[1]. Doch auch einzelne Gebäude, die ungenutzt sind, bergen einen Quell tiefer Verunsicherung. Sie als Werke der Architektur zu interpretieren – und damit ist auch gemeint: zu begreifen –, konfrontiert den Interpreten, wenn er nicht die Perspektive des Historikers einnimmt, mit einem theoretischen Problem.

Seit Vitruv im dritten Kapitel des ersten Buches seines Architekturtraktats ‚De Architectura Libri Decem’ beiläufig drei Anforderungen nannte, die ein Werk der Architektur gleich welcher Art zu erfüllen habe, herrscht unter den Nachgeborenen weitestgehend Einmütigkeit darüber, dass utilitas eine conditio sine qua non des Architekturwerkes darstelle.[2] Ein Gebäude, dessen utilitas so wenig greifbar scheint, dass kurzerhand der Abriss des Gebäudes erwogen wird, dessen Existenzberechtigung durch sein Ungenutztsein offenbar jeder Grundlage beraubt scheint, hat also, dieser Schluss liegt nahe, schon vor seinem physischen Verschwinden aufgehört, ein Werk der Architektur zu sein. „Als ob man nur von dem reden könne,“ so Georges Perec angesichts seiner Unfähigkeit, sich einen funktionslosen, überflüssigen Raum vorzustellen, „was voll, nützlich und zweckmäßig ist.[3]

Man könnte tatsächlich auf die Idee kommen, dass die Dinge so einfach liegen, wenn das ökonomische, politische, soziokulturelle und technische Kräftefeld bedacht wird, innerhalb dessen Architekturwerke entstehen, obsolet werden und verschwinden. Die erstaunliche Wichtigkeit, die der Anforderung der utilitas in unseren Tagen zukommt, legt nahe, dass sie sich längst aus der Vitruvschen Trias gelöst hat und zum willfährigen Argument einer alles dominierenden wirtschaftlichen Zweckrationalität geworden ist.[4]

In der Tat hat sich der Deutungsspielraum des Begriffs utilitas über die Zeit als überaus dehnbar erwiesen – wohlgemerkt trotz Vitruvs eigener Auslegung und trotz der Erläuterungen, die er in den Büchern drei bis sechs zur utilitas einzelner Bauaufgaben folgen lässt.[5] So lassen allein die mannigfaltigen Übersetzungen des auf den Punkt gebrachten Anforderungsprofils der Architektur erahnen, welch glitschigen Fisch der Urahn aller Architekturtheoretiker seiner Zunft damit vermachte – und bezeugen, dass utilitas mehr als die beiden übrigen Komponenten der Vitruvschen Trias zum Gegenstand zeitbestimmter Bedeutungsbeugung wurde: Während Festigkeit und Schönheit (wahlweise Anmut) zeitlose Gültigkeit beanspruchen durften, gesellte sich ihnen bald Nutzbarkeit (August Rode), bald Zweckmäßigkeit (Curt Fensterbusch), Nützlichkeit (Erik Forssman) oder Nutzen (Carolus Lorentzen) hinzu.

Im Folgenden soll, um dem Wirrwarr historischer Auslegungen zu entgehen, die Rede von ‚Brauchbarkeit’ als der etymologisch plausibelsten Bedeutung von ‚utilitas’ (hergeleitet von ‚uti’, gebrauchen und ‚utilis’, brauchbar) sein. Wenn zuweilen auch die Begriffe ‚Nutzung’ und ‚Nutzer’ zur Anwendung kommen, so geschieht dies in Anerkennung der zeitgenössisch gängigen Ausdrucksweise im Zusammenhang mit Architektur und aufgrund der Feststellung, dass der Nutzer diejenige Person ist, die ein Objekt gleich welcher Art gebraucht. Wenn das Problem des interpretatorischen Zugriffs auf ‚ungenutzte’ Gebäude als ein Auslegungsproblem der Brauchbarkeit eines Architekturwerkes beleuchtet werden soll, so ist mit diesem Vorgehen die Hoffnung verbunden, dem Fallstrick der Zweckrationalität zu entgehen, die laut Grimmschem Wörterbuch „in der älteren Sprache“ noch nicht mit dem Wortfeld ‚brauchen’ verbunden war: Während das Tätigkeitswort den Umgang mit Dingen zunächst im Sinne von ‚benötigen’, ‚tätig gebrauchen’, ‚üben’, ‚(Worte) wählen’, ‚anwenden’, ‚verbrauchen’, ‚sich einer Sache bedienen’ usf. beschrieb, floss später erst „aus der Vorstellung des Nutzens [...] die des Bedarfs“.[6] Damit aber, mit dem Ableiten eines Anspruchs aus dem „Ertrag“, der einem zu Gute kommt, dem „Vortheil“ oder „Gewinn“, war der Grund bereitet für eine rationale Betrachtung der Brauchbarkeit innerhalb einer Zweck-Mittel-Kategorie.

So wäre also die Frage zu stellen, ob ein Gebäude, das, wie man sagt, ‚nicht genutzt wird’, überhaupt brauchbar ist. An der Beantwortung dieser Frage hängt nicht weniger als die Legitimation eines ungenutzten Gebäudes als Werk der Architektur. Diese Schicksalsfrage gemahnt an jene nach der Zugehörigkeit der Architektur in den Bereich der freien, autonomen Künste trotz ihrer Gebundenheit an den praktischen Gebrauch, die noch hilfreiche Hinweise liefern wird.[7] Doch hoffen wir, müheloser zu einer Salvationsklausel zu gelangen als diejenigen, die im 19. Jahrhundert mit verstrickten Argumentationslinien für eine autonome Architekturkunst stritten.

Um nicht nur begrifflich vor den Fallstricken historischer Konstruktionen einer architektonischen utilitas gefeit zu sein, sondern auch hinsichtlich ihres schillernden Bedeutungsfeldes, lohnt es sich, zunächst zu klären, was sich hinter dem Potentialis der ‚Brauchbarkeit’ verbirgt. Man könnte drei Erklärungsmodelle konstruieren, um dem auf die Spur zu kommen, was für den Menschen brauchbar ist.


Brauchbarkeit als theoretische Konstitution

Man könnte einen Gegenstand als ‚brauchbar’ charakterisieren, wenn er theoretisch vom Menschen gebraucht werden kann und, um der ethischen Komponente, die dabei mitschwingt, gerecht zu werden, ihm zum Guten bzw. zum Nutzen gereicht. Folgt man dieser Argumentationslinie, so gelangt man bald auf einen Katalog von Minimalanforderungen, denen ein Gegenstand entsprechen müsste, um in den menschlichen Gebrauch eingebunden werden zu können. Diese Anforderungen beziehen sich unmittelbar auf Eigenschaften und Fähigkeiten des Menschen: in erster Linie auf seine physischen und physiologischen Eigenschaften wie seine Größe und seinen Körperbau, seine Bewegungsfähigkeit und die Funktionsweise seiner Organe, eingeschlossen sämtliche Voraussetzungen, die ihm erlauben, mit der ihn umgebenden Umwelt zu interagieren, angefangen von der Sinneswahrnehmung bis hin zur Fähigkeit, Werkzeuge zu gebrauchen. Denn darum geht es letztendlich in einem Nutzungszusammenhang: um die Einbindung eines Gegenstandes in das menschliche Handeln.

Trotz des großen Interpretationsspielraums, der mit der positiven Ausrichtung auf den Nutzen des Menschen gegeben ist – die im Extremfall aber einfach als Selbsterhaltungstrieb gedeutet werden könnte – dürfte nachvollziehbar sein, dass die Brauchbarkeit eines Gegenstandes diesem Erklärungsmodell nach vom menschlichen Belieben unabhängig gegeben ist. So argumentiert Platon im Theaetet, dass „die Begriffe des Nutzen und des Nützlichen auf eine teleologische Ordnung verweisen, und damit auf etwas, das nicht mehr Gegenstand von Konventionen ist.[8] Man könnte dieses Modell, das ausschließlich auf der Potenzialität des Gebrauchs beruht, und die Voraussetzung dafür schafft, dass theoretisch nichts der Einbindung eines Gegenstandes in den menschlichen Gebrauch entgegensteht, als ‚Konstitutionsmodell’ bezeichnen. Nicht die tatsächliche, durch den Gebrauch erprobte und empirisch evaluierbare Brauchbarkeit eines Gegenstandes wird dabei betrachtet, sondern exklusiv die positiven Voraussetzungen (die Konstitution) auf Seiten des Subjektes und des Objektes, die durch den Gebrauch in eine Relation eingebunden werden könnten.


Praktische Potentialität

Demgegenüber, oder genauer, in Ergänzung zum ersten Modell könnte man etwas als brauchbar charakterisieren, das auch praktisch gebraucht werden kann. Dieses Modell setzt einen historischen, zumindest aber beobachtenden Blick auf geschehene bzw. geschehende Nutzungsrelationen voraus. In der Tat umreißt dieses Verständnis von Brauchbarkeit das gängige Modell gesellschaftlichen Handelns. Dies ist vor allem darin begründet, dass die reine Potentialität des Konstitutionsmodells durch die Mittel der Empirie kulturell bzw. politisch (oder, wenn der distanzierte Beobachtungsposten des Anthropologen eingenommen wird: behaviouristisch) verengt werden kann. Es ist einsehbar, dass die dem ersten Modell zugrunde liegenden theoretischen Voraussetzungen nicht automatisch zur Konstitution einer Gebrauchsrelation führen. Dass eine solche zustande kommt, hängt weitgehend von tatsächlicher menschlicher Aktion ab – und von einem ‚Mehr’, das damit verbunden ist. „Denn vom Standpunkt des bloßen Nutzens ist“, wie Hannah Arendt bemerkte, „Handeln nur Ersatz für die Anwendung von Gewalt, die sich immer als wirksamer erweist, so wie das Sprechen vom Standpunkt der bloßen Information eine Art von Notbehelf ist, mit dem man sich nur so lange abfindet, als eine Zeichensprache nicht erfunden ist.[9]

Mit Begriffen wie Sitte, Brauch, Gewohnheit, Konvention usf. bezeichnet man Muster menschlichen Handelns, die deshalb als Muster erkennbar sind, weil sie sich wiederholen und damit historisch werden – ganz gleichgültig, ob ihnen ein freier Wille zugrunde liegt oder nicht. Ein guter Teil der Aktionsmuster, die unter den genannten Begriffen subsumiert sind, bezieht sich auf Nutzungszusammenhänge. Und auch die Gegenstandsseite hat sich zu wahrnehmbaren Mustern gefestigt, denn bestimmte Gegenstände sind mit wiederkehrender Häufigkeit in menschliche Handlungen involviert. Man hat solche Muster ‚Typen’ genannt.[10] Folglich zeichnet sich ein Nutzungszusammenhang durch eine beobachtbare Relation zwischen Mustern menschlichen Handelns und Gegenstandsmustern aus.

Freilich lassen sich solche Relationen wiederum als Muster begreifen, und sie bezeichnen wir in unserem Alltag mit Begriffen, die beide Seiten der Nutzungsrelation beinhalten: ‚kartoffelschälen’ zum Beispiel oder ‚sprechen’, aber auch komplexe Nutzungsscharen wie ‚wohnen’ oder ‚arbeiten’. An den letzten beiden Beispielen dürfte deutlich werden, dass sich die Begrifflichkeit weitgehend von dem Anspruch gelöst hat, die beiden Seiten einer Nutzungsrelation zu charakterisieren.[11] Entsprechend mühsam gestaltet sich in diesen Fällen die Suche nach den Konstituierenden von Brauchbarkeit.

Das Erkennen von Nutzungsmustern erlaubt es, relativ leicht Aussagen über mögliche zukünftige Nutzungszusammenhänge abzuleiten. Zudem kann der homo faber Gegenstände so auswählen oder gestalten, dass sie nicht nur seiner physischen und physiologischen Konstitution entsprechen, sondern auch sinnvoll in seine Handlungsmuster eingebunden werden können. Und natürlich können auch diese sich dabei verändern oder gar neue Muster entstehen.

Nicht alle Nutzungsrelationen lassen sich so leicht und zwangsläufig auf einen Werkzeuggebrauch herunter brechen wie das ‚Kartoffelschälen’. Die Brauchbarkeit eines Kartoffelschälers, etwa des Schweizer Traditionsmodells ‚Sparschäler REX’, den Alfred Neweczeral 1947 patentieren ließ, hat sich über Generationen als gut erwiesen, weil er sowohl der empirisch erfassten durchschnittlichen Stärke der Kartoffelschale gerecht wird als auch der physischen Notwendigkeit, bei seiner Benutzung mit zwei Händen auszukommen, und der Konvention, dass es nicht als unschicklich gilt, während des Schälvorgangs Teile der Schale statt kontrolliert ins Spülbecken auf den Fußboden zu befördern. Insofern er ein Werkzeug ist,  beruht der Sparschäler auf einer Zweck-Mittel-Kategorie. So ist ihm, wie Hannah Arendt zeigte, beschieden, nach seiner Herstellung, die seinem Hersteller als Zweck diente, seiner Tätigkeit ein Ende zu setzen, seinen Nutzen immer wieder unter Beweis stellen zu müssen, indem er einem neuen Zweck dient, etwa dem Gebrauch beim Schälen von Kartoffeln, oder dem Zweck, als Tauschmittel in der Warenzirkulation zu fungieren.[12]

Die Gefahr ist offensichtlich, über die Betrachtung einer Nutzungsrelation in die Aporie des konsequenten Utilitarismus zu geraten, „der die eigentliche Weltanschauung des Homo faber ist“. Denn „alles was ist, an seinem Nutzen zu messen und in seiner Zweckdienlichkeit zu beurteilen, liegt im Wesen des Herstellens“. Und so diagnostiziert Hannah Arendt dem Homo faber „eine ihm inhärente Unfähigkeit [...], den Unterschied zwischen dem Nutzen und dem Sinn einer Sache zu verstehen, den wir sprachlich ausdrücken, wenn wir dazwischen unterscheiden, ob wir etwas im Modus des ‚Um-zu’ oder des ‚Um-willen’ tun.[13]

Die unerlässliche Bedingung für die Verankerung des Nutzens in der Zweck-Mittel-Kategorie des konsequenten Utilitarismus ist aber seine Historizität. Ein Gegenstand ist brauchbar, wenn sich herausgestellt hat, dass er praktisch gebraucht werden kann. Die Rahmenbedingungen dieses Modells werden durch konventionelle Kriterien, die einem historischen und lebensweltlichen Erfahrungsschatz entlehnt sind, gestellt. Gewohnheit sichert seine Funktion. Genau genommen ist dieses Modell ein konservatives, da es auf erprobten und in Sitten, Konventionen etc. festgeschriebenen Mustern beruht. Jede Neuerung auf Seiten des Gebrauchsgegenstandes ist zunächst spekulativ in Bezug auf seine Brauchbarkeit. Sie muss erst in einer Gebrauchsbeziehung evaluiert werden, und es ist nicht vorhersagbar, ob die Gebrauchsrelation positiv beurteilt wird oder nicht. Tritt letzteres ein, wird der Gegenstand modifiziert werden müssen; sonst verschwindet er unter Umständen aus dem kulturellen Überlieferungsbestand.

So lässt sich in diesem Modell Brauchbarkeit nur in Abhängigkeit von einem Beobachterstandpunkt außerhalb des Nutzungszusammenhangs denken. Es haben sich mannigfaltige Kulturtechniken entwickelt, mit deren Hilfe sich dieser Standpunkt beziehen lässt. Weil sie es erlauben, die Brauchbarkeit eines Gegenstandes quasi im Trockenen, also ohne ihre Aktualisierung in einem Nutzungszusammenhang ‚in actu’ zu bestimmen, ist in diesem Brauchbarkeitsmodell die ihm inhärente Potentialität bezüglich nichtkonventioneller Tätigkeiten oder Gegenstände weitgehend eingedämmt. Was uns stets darüber hinwegtäuscht, dass sie unauslöschlich gegeben ist.


Ontologische Bestimmtheit

Schließlich könnte man in einem dritten Modell beschreiben, was brauchbar ist: Es ist brauchbar, was gebraucht wird. Ein Gegenstand, der nicht in einen Nutzungszusammenhang eingebunden ist – etwa ein Kartoffelschäler, der in der Schublade liegt – ist letztlich nur hypothetisch brauchbar, denn die Gründe, aus denen er gerade nicht gebraucht wird, können auch solch gravierende umfassen, die mit der Kategorie ‚brauchbar’ in Widerspruch stehen. Es ist unmittelbar einsehbar, dass dieses Modell mit unseren wirtschaftlichen Vorstellungen konfligiert, denn schließlich werden Waren – mit Ausnahme von Gegenständen der Kunst – ausschließlich aufgrund der Hypothese produziert, dass sie gebraucht werden können.[14] Im unmittelbaren Vorgang des Gebrauchs mögen Konventionen, Sitten, Gewohnheiten und Erfahrungen konstitutiv beteiligt sein – dennoch zählt ausschließlich der Gebrauch in der Verlaufsform des Präsens, um zum Urteil ‚brauchbar’ zu kommen. Und in letzter Konsequenz leuchtet ein, dass ausschließlich das gebrauchende Subjekt in der Lage sein kann, dieses Urteil zu fällen. Ein Urteil, das freilich während des Gebrauchs gefällt wird, um dann langsam in den Bereich der Erfahrung zu wandern: Ich habe den Kartoffelschäler gebraucht, er hat sich als brauchbar erwiesen, und so gehe ich davon aus, dass er auch das nächste Mal brauchbar sein wird.

An diesem Punkt wird deutlich, dass dieses Modell von begrenzter Relevanz ist, wenn Nutzungsrelationen wie ‚Kartoffelschälen’ damit beschrieben werden. Zu groß ist die Macht der Gewohnheit, zu hilfreich die intuitive oder bewusste Erinnerung an erlebte Gebrauchszusammenhänge, als dass man sein ‚brauchbar’-Urteil über einen bewährten Gegenstand stets vom aktualisierten Gebrauch abhängig machen würde.

Seine Berechtigung erhält dieses Modell im existentialistischen Extremfall. „Das Wohnen ist die Weise, wie die Sterblichen auf der Erde sind“, schreibt Heidegger in seinem berühmten Vortrag Bauen Wohnen Denken. Und: „Wir wohnen nicht, weil wir gebaut haben, sondern wir bauen und haben gebaut, insofern wir wohnen, d. h. als die Wohnenden sind.[15] Der Gebrauch des substantivierten Partizip Präsens verdeutlicht unmissverständlich, dass es hier um einen stets sich aktualisierenden Handlungs- oder Seinszustand im Hier und Jetzt geht. Als Sterblicher, der man auf der Erde ist, kann man nicht anders als wohnen. Die Verbindung der Menschen mit den Dingen wird über das Wohnen hergestellt, und zwar indem „die Sterblichen die wachstümlichen Dinge hegen und pflegen“ und indem „sie die Dinge, die nicht wachsen, eigens errichten.[16] Es ist eine Nutzungsrelation, die Heidegger hier entwirft, und er illustriert diese am Beispiel des Handwerks, „das selber dem Wohnen entsprungen, seine Geräte und Gerüste noch als Dinge braucht“.[17]

Heidegger weiß um die Sperrigkeit seiner unkonventionellen ontologischen Perspektive auf das Wohnen, die er 1951 einer Darmstädter Hörerschaft im Wiederaufbaufieber zumutet, und begibt sich kurzfristig auf den Standpunkt des Historikers, wenn er erläuternd schreibt: „Der Hinweis auf den Schwarzwaldhof [...] veranschaulicht an einem gewesenen Wohnen, wie es zu bauen vermochte.[18] Dieses Exempel aber dient explizit nicht der Anknüpfung an verloren gegangene Konventionen des Wohnens. Die Brauchbarkeit der Wohnung ermisst sich allein aus der Weise, wie die Sterblichen auf der Erde sind – in der Verlaufsform des Präsens.

Die Wohnungsnot der Nachkriegszeit, auf die der Philosoph in einer Schlussbemerkung eingeht, zeichnete sich durch ein Missverhältnis von zu vielen Menschen, denen zu wenige Wohnstätten gegenüberstehen, aus. Dieser Umstand verleiht Heideggers überindividueller[19] Abhandlung, die gleichermaßen den konventionell in einer Wohnung Hausenden wie den Obdachlosen in der Notunterkunft im Blick hat, eine integrierende Wirkung. Alle, alle müssen sie „das Wohnen erst lernen“.[20] Die Frage nach der Brauchbarkeit ist der Heideggerschen Projektion in ganz ähnlicher Weise eingeschrieben wie der Vitruvschen: als notwendige Anforderung an das zu Erbauende. In diesem Punkt treffen sich der Idealist und der Empiriker.[21]

Dass sich das zahlenmäßige Missverhältnis von Menschen zu Wohnstätten in Zeiten der schrumpfenden Städte in sein Gegenteil verkehrt hat, ändert an der Bestimmung des menschlichen Daseins durch das Wohnen nichts. Wohl aber hat sich mit dem Phänomen großflächigen Wohnungsleerstandes der Blick auf die Wohnung und das Haus gewandelt. Es liegt auf der Hand, dass die Forderung, ein Werk der Architektur müsse ‚brauchbar’ sein, angesichts eines Wohnungsbestandes, der offensichtlich nicht gebraucht wird, durch die Brille ontologischer Bestimmtheit betrachtet, fatale Folgen hat. Denn wie könnte die Brauchbarkeit eines leer stehenden Hauses nachgewiesen werden außer in Hypothesen?

Bevor wir daran gehen wollen, ungenutzte Gebäude hinsichtlich ihrer Brauchbarkeit genauer zu befragen und zu untersuchen, ob es aus dem geschilderten Dilemma wirklich keinen Ausweg geben kann, ist es gewiss hilfreich, die Mechanismen unter die Lupe zu nehmen, die dem zweiten Brauchbarkeitsmodell seine unbestreitbare Vorherrschaft sichern.


Approximierte Brauchbarkeit

Heideggers Betrachtung zielt auf die Verankerung des Wohnens im Bauen ab. Seine Überlegungen beziehen sich auf den Zustand, der herrscht, bevor ein Gebäude überhaupt errichtet wird. Somit sind seine Ausführungen, wie wir gesehen haben, auf die pragmatischen Notwendigkeiten des deutschen Wiederaufbaus gemünzt: Es galt zu bauen. Mit einem ontologischen Taschenspielertrick gelingt es dem Philosophen, die vorgebliche Ursache-Wirkung-Beziehung zwischen Bauen und Wohnen schlichter Hand umzukehren und damit Zeit zu gewinnen: Zeit, über das Wohnen nachzudenken, bevor zur Schaufel gegriffen wird. Und wie nebenbei hebelt er damit die Logik der Zweckrationalität aus.

Ist ein Gebäude erst einmal aufgerichtet – und diese Situation ist uns heute vielleicht vertrauter –, ist der Zug abgefahren. Für die faktische Nutzung eines Gebäudes ist mit dessen Bestehen allerdings überhaupt erst die Voraussetzung geschaffen. Damit man ein Gebäude praktisch nutzen kann, muss ein Gebäude da sein.

Für den Architekten oder Planer eröffnet sich daraus ein Grundkonflikt seiner Tätigkeit. Was den Nutzungsaspekt betrifft, kann er nicht anders als hypothetisch entwerfen. Erst wenn das Gebäude errichtet ist, kann es genutzt werden, und erst dann wird sich herausstellen, wie es genutzt wird. Die qualitative Evaluation der Brauchbarkeit kann nur durch den Gebrauch selbst vorgenommen werden. Hätte Dr. Edith Farnsworth geahnt, dass sie sich auf „diese glatte, oberflächliche Sophisterei[22] einließ, als sie ein Ferienhaus bei Mies van der Rohe in Auftrag gab, sie hätte sich die Investition wahrscheinlich einmal mehr durch den Kopf gehen lassen. Der Extremfall – und es gibt in der Geschichte des Bauens mehr als dieses eine Beispiel zu seiner Illustration – vermag zu verdeutlichen, wie fein gewirkt das Fangnetz der Konventionen ist, das verhindert, dass er zum Normalfall wird. Trotz der weichen Federung aber ist das Grunddilemma unausräumbar gegeben. Der Planer kann die Brauchbarkeit des Geplanten nur behaupten. Ist das Geplante erst realisiert und wird genutzt, kann aus dem Urteil des Nutzers über die Brauchbarkeit wiederum nur hypothetisch eine Verbesserung derselben abgeleitet werden. Oft geschieht dieser Approximationsprozess des architektonischen Werkes an die, wie man sagt, Bedürfnisse der Nutzer (die nichts anderes bedeuten als ‚Brauchbarkeit’), mit den Mitteln nicht der Planer, sondern der Nutzer. Das ärgert den Architekten dann, wenn er sieht, dass ‚dekoriert’ wurde, weil die Einrichtung des Nutzers vorgeblich dem ästhetischen Konzept des Hauses widerspricht. Dabei bestünde der triftigere Grund für den Ärger des Planers in der Einsicht, dass er mit seinen Mitteln die Forderung der Brauchbarkeit nicht erfüllen konnte. Ein sinnloser Ärger, denn wie viel flexibler und geeigneter für die Annäherung durch ‚trial and error’ sind die Mittel des Nutzers, verglichen mit der Maschinerie der Bauwirtschaft.[23] Ohne den Weg der Annäherung aber, der ein historisch bedingter ist und unter Umständen ein Generationen übergreifendes Projekt, wird der Brauchbarkeits-Forderung nicht nachzukommen sein. Und ohne den Gebrauch in der Verlaufsform des Präsens kann nicht einmal ein Urteil über die Brauchbarkeit gefällt werden.


Repräsentierte Brauchbarkeit

Für die historische Perspektive stellt die Einsicht, dass in letzter Konsequenz die Nutzung eines Gebäudes im Präsens die einzige Möglichkeit ist, zu einem verlässlichen Urteil bezüglich dessen Brauchbarkeit zu kommen, eine nicht qualifizierbare Tatsache dar. Daher kann die präsentische Nutzungserfahrung ausschließlich als Voraussetzung für das Erheben historisch verwertbaren Datenmaterials betrachtet werden. In der Logik konventionalisierter Brauchbarkeit kommt der Handlung im Präsens nur ein Wert als zukünftiger Vergangenheit zu. Doch nicht allein der konsequente Utilitarismus unterhöhlt die Möglichkeit, Brauchbarkeit als Seinszustand zu begreifen, auch die Stellung des architektonischen Werkes in einem Kommunikationsmodell bedarf, wie wir sehen werden, der historischen Perspektive, da, wie Umberto Eco verdeutlicht, das „Gebrauchsobjekt [...] unter dem Gesichtspunkt der Kommunikation das Signifikans desjenigen exakt und konventionell denotierten Signifikats [ist], das seine Funktion ist.[24] Mit dem Begriff der ‚Funktion’ aber verbindet sich in der Tradition des erkenntnistheoretischen Rationalismus des frühen 18. Jahrhunderts die Notwendigkeit, diese zu kennen, oder genauer, erkannt zu haben. Im Gegensatz zum Begriff der ‚Nutzung’, der die Einbindung eines Objektes in einen personalisierten Handlungszusammenhang beschreibt, der abgesehen von positiven Rahmenbedingungen weitgehend indeterminiert sein kann, wird mit dem Begriff ‚Funktion’, der mit Carlo Lodoli in den architektonischen Sprachgebrauch Eingang fand, eine objektivierte Beziehungsrationalität ausgedrückt.[25] Ecos Definition offenbart auf einen Schlag, dass im architektonischen Funktionsbegriff keinerlei Spielraum für Unbestimmtheiten vorhanden ist. Das erklärt seinen Erfolg in der Praxis der Planer, die sich nie damit abfinden konnten, dass sich ihre Mittel zur Erzielung der Brauchbarkeit als sehr beschränkt ausnehmen. Es verwundert daher kaum, dass sie sich angesichts der ausweglosen Lage immer wieder mit Kunstgriffen zu helfen wussten, um dem geschilderten Dilemma zu entgehen.

Zunächst lässt sich feststellen, dass sich die Gegenstandsmuster, die wir Typen genannt haben, nicht nur aus den physischen Voraussetzungen, die einen Gebrauch ermöglichen, und der beobachteten Häufigkeit ihres Eingebundenseins in einen Nutzungszusammenhang konstituieren. Darüber hinaus scheint ihnen ein auf die Brauchbarkeit hindeutender Verweischarakter zuzukommen. So haben wir längst geahnt, dass der Kartoffelschäler, der ungenutzt in der Schublade liegt, dennoch zum Gebrauch taugt. Bei genauem Hinsehen befindet sich der Schäler, während er in der Schublade lagert, sozusagen in Bereitschaft. Wie die Stereoanlage, die im Standby-Modus signalisiert, dass sie bei Bedarf ohne Umschweife ihren Dienst tun wird, und dabei viel Strom verbraucht – man könnte diesen Energieeinsatz als Beweis ihrer Brauchbarkeit deuten: auch wenn sie nicht gebraucht wird, steht sie in Gebrauch –, wie alles Lagergut, das in geordneter Weise still liegt, um irgendwann ausgelagert zu werden, liegt auch der Kartoffelschäler in der Schublade, um bei reifer Zeit dort wieder gefunden zu werden. Die Brauchbarkeit eines Gegenstandes umfasst also sein zur-Verfügung-Stehen. Etwas in Gebrauch zu haben, bedeutet folglich in erster Linie, es in ein persönliches oder konventionelles Ordnungssystem einzufügen, das den unmittelbaren Gebrauch überhaupt erst ermöglicht. So könnte man zwei Arten des Gebrauchs unterscheiden, wobei der Übergang unter Umständen fließend ist: einen mittelbaren Gebrauch und einen unmittelbaren. Dabei beschreibt der mittelbare Gebrauch den Aktionsradius, innerhalb dessen wir potentiell in der Lage sind, Gegenstände unmittelbar zu gebrauchen. Das Ferienhaus in den Alpen, das für genau drei Wochen im Jahr aufgesucht wird, steht also in ständigem Gebrauch, wenngleich überwiegend in mittelbarem.

Angesichts der überwiegenden Quantität mittelbarer Nutzungsrelationen, die in einem lebensweltlichen Zusammenhang gleichzeitig stattfinden, scheint es geradezu einer Notwendigkeit zu entsprechen, dass die Gegenstände auf den unmittelbaren Nutzungszusammenhang, aus dem sie ihre Seinsberechtigung schöpfen, hindeuten. Dieses Hindeuten liegt freilich nicht in den Gegenständen selbst, sondern wird ihnen in der Regel vermacht. Die Art zu beleuchten, wie dies geschieht, würde den gegebenen Rahmen bei weitem sprengen[26]. Es soll hier lediglich bemerkt werden, dass die auf den Gebrauch verweisende Bedeutung eines Gegenstandes – wie alle Komponenten in einem semiotischen Prozess – in einem kulturellen Bezugssystem gründet oder, wie Roland Barthes sagt, „sobald es eine Gesellschaft gibt, wird jeder Gebrauch zum Zeichen dieses Gebrauchs[27]. Was die Architektur betrifft, so erfüllen vor allem reale Gegenstände die Funktion eines Zeichens.

Der Verweis auf die Brauchbarkeit eines Gegenstandes kann folglich in die Konfiguration eines realen Gegenstandes einwirken und in ihm Spuren hinterlassen. Die körperliche Gestalt des Gegenstandes – bleiben wir beim Beispiel des Sparschälers – transportiert jenseits der Anforderungen der unmittelbaren Nutzung (‚kartoffelschälen’) und der mittelbaren Nutzung (‚in der Schublade lagern’) eine zusätzliche Bedeutungsebene: Er wird erkannt als einer, der zum Kartoffelschälen gemacht ist. Die persönliche bzw. konventionelle Ordnung, die ihn als mittelbar in Gebrauch Stehenden kennzeichnet, wandert unter Umständen in den Gegenstand und prägt seine Gestalt. Es lässt sich beobachten, dass diese Bedeutungsebene als verlässlich betrachtet wird, und dass die Erwartungen hinsichtlich der Brauchbarkeit eines Gegenstandes zu einem guten Teil von ihr abhängig gemacht werden. Denn damit kann das hypothetische Moment einer Brauchbarkeit vorbehaltlich des tatsächlich stattfindenden Gebrauchs bis zu einem gewissen Grad verkleinert werden.

Genau darauf zielen die Kniffe der Planer ab: Brauchbarkeit zu prädisponieren. Sie haben sich für diese Aufgabe einen umfangreichen Werkzeugkasten zusammengestellt und haben darüber hinaus erreicht, dass der fachgerechte Gebrauch der Werkzeuge als hinreichendes Indiz für die Brauchbarkeit des damit bearbeiteten Gegenstandes zählt. So ist es zu erklären, dass der architekturtheoretische Diskurs über Brauchbarkeit bzw. Nutzung seit seinem vehementen Aufflammen im 18. Jahrhundert sich beinahe ausschließlich auf der Ebene der Repräsentation von Nutzung abspielt.

In seinem 1832 erschienenen Dictionnaire historique de l’architecture fasst Quatremère de Quincy den Tenor der Debatten des vergangenen 18. Säkulums in der Feststellung zusammen, es gehöre zur Verantwortung des Architekten, dafür Sorge zu tragen, dass die Bestimmung (franz.: destination) eines Gebäudes ablesbar sei.[28] Die Nutzung eines Gebäudes wird als gleichbedeutend mit der vom Architekten intendierten Nutzung (franz.: destination, usage) erachtet. Dies bringt mit sich, dass ein Architekturwerk, bevor es überhaupt genutzt werden kann, schon anzeigt, wie es genutzt werden soll – beispielsweise im Bedeutungssystem der Architekturzeichnung. Wie Lily H. Chi in ihrem instruktiven Aufsatz in Erinnerung ruft, avancieren mit dem Ende der französischen Revolution ‚programme’ und ‚caractère’ zu den Schlüsselbegriffen der professionellen Debatten über die Nutzung eines Gebäudes. In deren Vordergrund steht die Frage der Ablesbarkeit der Gebäudenutzung im Ausdruck der architektonischen Form. Dieses Verständnis gründet auf der Annahme, dass es einen fühlenden und moralisch denkenden (und das heißt: in eine Sprachgemeinschaft eingeweihten) Betrachter gibt, dem durch den Ausdruck eines Gebäudes Anweisungen übermittelt werden, wie er sich in diesem zu bewegen habe. Die Konstruktion dieses ethisch verantwortungsbewusst handelnden Betrachters wird allein durch ein konventionell verbindliches Rollenschema ermöglicht, und es ist kein Zufall, dass in diesem Zusammenhang zuweilen die Theateranalogie bemüht wird. Für den Architekten ist dieser Betrachter aber im Grunde genommen nicht von Belang, und im 19. Jahrhundert wird er vollends aus dem Diskurs verschwinden. Denn Brauchbarkeit beschränkt sich für den Planer auf die symbolische Form, die einem Kontext entlehnt ist, der mit praktischer Nutzung nichts zu tun zu haben braucht – und in der Regel nichts zu tun hatte.[29] Das Nutzungsprogramm, das weniger die Bedürfnisse eines tatsächlichen Nutzungszusammenhangs beschreibt als vielmehr die von Architekten intendierte bzw. vom Architekturlehrer im akademischen Kontext vorgegebene Nutzung, hat folglich vor allem die Bewandtnis, als Maßstab zu dienen, mit dem das formale und symbolische Thema (franz.: sujet, motif) eines Gebäudes beurteilt werden kann.[30]

Dieses ethisch veräußerlichte Konzept der Ablesbarkeit hallt noch im 20. Jahrhundert nach, wenn Roman Ingarden (in der Tradition eines Schelling und Hegel) schreibt, das architektonische Kunstwerk sei „auch in seiner reinen künstlerischen Konstruktion diesem seinem praktischen Charakter angepasst und gewinnt dadurch einen besonderen Sinn, ohne welchen es im Grunde unverständlich ist.“ Und weiter: „Erst die Kenntnis des praktischen Verwendungszweckes des Gebäudes und seiner verschiedenen möglichen Funktionen, die es im menschlichen Leben ausübt bzw. ausüben kann, ermöglicht uns, nicht bloß seinen praktischen, sondern auch seinen künstlerischen Sinn zu verstehen.[31] Der praktische Verwendungszweck aber, den der Betrachter kennen muss, um Zugang zum architektonischen Werk zu erhalten, hat mit dem vom Architekten intendierten Gebrauch zu korrelieren.

Schon im 19. Jahrhundert werden andere Mittel herangezogen, um Muster menschlichen Handelns und Gegenstandsmuster, in diesem Fall körperlich-geometrische Muster, in eine Relation zu setzen. Das Vertrauen in die moralisch begründeten Handlungsmaximen weicht gleich zu Beginn des Säkulums der Konstruktion einer vom Verstand und der Natur sanktionierten ahistorischen und akulturellen Form, die der vorgesehenen Nutzung eines Gebäudes zwangsläufig entsprechen musste. Vor diesem Hintergrund entwickelt Jean Nicholas Louis Durand seine typologisch geordnete Architektursprache. Der Materialismus des frühen 20. Jahrhunderts besinnt sich dann darauf, das menschliche Handeln mit den gleichen Mitteln zu beschreiben, die bis dahin ausschließlich der Beschreibung der Objektseite zur Verfügung gestanden hatten (Descartes war davor noch zurückgeschreckt). So taucht es als mathematisch bestimmbare Spur in den Versuchen zur Nutzungsoptimierung ‚funktionaler Räume’ auf. Diesen Spuren wird unterstellt, sie enthielten Aussagen über die Brauchbarkeit architektonischer Gegenstände, eine Brauchbarkeit, die sodann quantitativ optimiert werden kann.

Auf die Lesbarkeit oder Erkennbarkeit dieser Nutzerspuren im architektonischen Werk legen Hannes Meyer, Moisej Ginsburg und die materialistischen Funktionalisten[32] wenig Wert. Eines der erklärten Ziele der Architekturwissenschaftler, die ‚Minimalwohnung’, lässt keinen Zweifel daran, dass die Nutzungsrelationen in Tuchfühlung mit der untersten Brauchbarkeitskategorie gestaltetet werden sollten: Unterhalb der ‚Frankfurter Küche’ konnte nur noch gar keine Küche kommen.

Während Brauchbarkeit von Francesco Milizia im 18. Jahrhundert bis Ernst Neufert im 20. Jahrhundert in graphischen Repräsentationen evaluierbar wird und nach und nach mit der graphischen Repräsentation von Architektur zusammenfällt, wird dadurch die Vorstellung befeuert, Nutzung ließe sich ausschließlich aufgrund geometrischer Tatsachen bewerten. Dass diese Vorstellung nur vor dem Hintergrund konventioneller Nutzungsrelationen greift – und somit das originelle Werk der Architektur, das mit diesen Konventionen bricht, auf dem Papier, auf dem es konzipiert wird, nichts als Spekulation bezüglich seiner Nutzbarkeit zulässt – verdrängt man beflissentlich. Doch jenseits der einst statistisch evaluierten Nutzungskonzeptionen fehlen schlicht die Daten. Im Bann der Zeichentheorie scheint der Planer vergessen zu haben, dass man es auf dem Papier nicht mit der Nutzung selbst, sondern mit der Repräsentation der Nutzung zu tun hat, die vor allem den Regeln der Repräsentation gehorchte. So wirkt Roland Barthes’ semiologische Argumentation wie Baldrian für den Architekten, der sich in den 60er Jahren auf der Suche nach neuen Nutzungskonzepten befindet: „[...] da unsere Gesellschaft nur standardisierte, normalisierte Gegenstände erzeugt, sind diese Gegenstände zwangsläufig die Realisierungen eines Modells, die Worte einer Sprache, die Substanzen einer signifikanten Form; um einen unbedeutenden Gegenstand zu finden, müsste man sich ein absolut improvisiertes Gerät vorstellen, das in nichts einem existierenden Modell ähnelt (Claude Lévy-Strauss hat gezeigt, dass sogar die Bastelei Suche nach Sinn ist): eine Hypothese die sich in gleich welcher Gesellschaft kaum realisieren lässt.[33] Die originelle Raumlösung für eine Nutzung (der revolutionäre Grundriss etc.) ähnelt immer einem existierenden Modell: Sie besteht ja nur aus Linien auf Zellstoff. Dass aber die Handlungskonventionen, die mit dem Begriff ‚wohnen’ gemeint sind, so vielfältiger Natur sind, dass die schmerzlose Ableitung von Handlungsmustern aus Konventionen nicht ohne Weiteres gewährleistet werden kann, daran vermögen aufs Amüsanteste Jacques Tatis Filme Mon Oncle (1958) und Playtime (1967) zu erinnern. Die Überwindung von Handlungskonventionen – einschließlich solcher der Nutzung – kann nicht geplant werden.

Auch ein weiteres Werkzeug aus des Planers Sammlung, das Modell der Nutzermitbestimmung oder partizipatorischen Architektur[34], kann nichts weiter bewirken, als über die unausräumbare Potentialität intendierter Nutzungen hinwegzutrösten. Was seit den späten 1960er Jahren als verlässliche und noch dazu demokratische Methode gilt, die Brauchbarkeit eines herzustellenden Objektes im Vorhinein sicherzustellen, hat sich wie die zeichnerische Repräsentation eines Architekturwerkes als ideologisches Konstrukt[35] erwiesen, das einzig dem Zweck dient, den professionellen Planer von der Verantwortung des Planens von Brauchbarkeit zu entbinden, das jenseits der Konventionen überhaupt nicht möglich ist – egal, wer es versucht.

Fassen wir zusammen. Es leuchtet sofort ein, dass für die Interpretation eines architektonischen Werkes der Aspekt der Brauchbarkeit eine entscheidende Rolle spielt. Allerdings stellt uns vor ein Problem, dass die Kategorie der Brauchbarkeit immer eine handelnde Subjekt- und eine Objektseite bedingt, dass im architektonischen Werk, das als Referenzgröße sinngebenden Verstehens dient, aber de facto nur die Objektseite präsent ist. Wir haben uns daher drei Modelle von Brauchbarkeit vergegenwärtigt und daraus die Einsicht gewonnen, dass die Subjektseite auf verschiedene Arten in einem architektonischen Werk repräsentiert sein kann. Zunächst im Sinne theoretischer Barrierefreiheit oder elementar-physischer Bedingungssetzung. Da die Beschränktheit dieses Modells aufgrund seiner extremen Potentialität offensichtlich wurde, haben wir die Subjektseite in historischen Konstruktionen aufgespürt. Dieses Modell haben wir als wesentliches unserer lebensweltlichen Nutzungserfahrungen erkannt; allerdings kommt der Vorteil der Disponierbarkeit subjektiver Brauchbarkeit nur auf Kosten der Verdinglichung der Subjektseite und einer daraus folgenden Konventionalisierung von Brauchbarkeit zum Tragen. Daher wurde in einem dritten Modell der ontologische Extremfall einer Brauchbarkeit beleuchtet, die nur in der Verlaufsform des Präsens tatsächlich gegeben ist. Dieses Modell kommt ohne die Festschreibung der Subjektseite in Konventionen aus – was gleichzeitig seine Stärke wie seine Schwäche ist, denn Brauchbarkeit würde in diesem Modell zur unveräußerlichen Handlungsmaxime.[36] Realistischerweise ist einzusehen, dass konventionelles Handeln auch in diesem Modell seinen Platz (als Handlungsbedingung in einem gesellschaftlichen Umfeld) und seine Berechtigung hat. Ihm fällt aber eine Rolle zu, die außerhalb der unendlichen Zweck-Mittel-Kette liegt – als identifikationsstiftendes Moment. „Schließlich ist“, wie Feldtkeller beiläufig bemerkt, um das Streben nach Gebrauchstauglichkeit schmackhaft zu machen, „Identifikation mit der baulichen Umwelt nicht der Zweck des Bauens; sie ist nur das rückbindende Moment, das die im Interesse der Gebrauchstauglichkeit sich ergebende Innovation erträglich, ja in dieser Rückgebundenheit reizvoll macht.[37]


Ungenutzt genutzt?

Was nun die Interpretation ungenutzter Gebäude betrifft, dürfte in Folge des bisher Gesagten deutlich sein, dass es im Rahmen des zweiten Brauchbarkeitsmodells, das wir als gängiges Modell gesellschaftlichen Handelns erkannt haben, keine Rolle spielt, ob ein Gebäude ungenutzt ist oder genutzt. Die Anforderung der Brauchbarkeit ist dem realen Gegenstand, der die Seinsgrundlage des architektonischen Werks bildet, objektiviert eingeschrieben und kann eventuell aus diesem herausgelesen werden – egal, ob er in einen Nutzungszusammenhang eingebunden ist oder nicht. Wenn (Kunst-)Historiker ein Gebäude hinsichtlich seiner utilitas interpretieren, beziehen sie sich ausschließlich auf die gebaute Geometrie und finden unter Umständen in schriftlichen, gemalten usf. Zeugnissen, etwa der Schilderung des Alltagslebens zur Zeit der Errichtung des Gebäudes, eine Bestätigung ihrer Vermutungen.

Dieser Sachverhalt wird dadurch ein wenig verkompliziert, dass die sichtbaren Folgen des Ungenutztseins in die Repräsentation der intendierten Nutzung eingreifen, sie überlagern und ihr widersprechen. Neben blinden Fensterscheiben, Verwitterungserscheinungen am Dach und an der Fassade, dem Bewuchs der Dachrinne etc. kommen die Zeichen des Ungenutztseins im konventionellen Sinne nicht nur durch das Ausbleiben menschlicher Handlung und die Abwesenheit eines Nutzungszusammenhangs auf das Gebäude, sondern paradoxerweise auch durch mehr oder weniger konzertierte Aktionen, die ihre Spuren im Gebäude hinterlassen – Spuren, die die Eigenschaft von Zeichen besitzen: Fenster und Türen sind verbarrikadiert worden, Schilder, die die Absicht des Besitzers signalisieren, das Gebäude zu verkaufen, sind angebracht worden; Randalierer und Plünderer, die auf unkonventionelle Weise in das Gebäude eingedrungen sind, haben Fensterscheiben eingeworfen oder die Scheiben samt Rahmen ausgebaut. Im Ergebnis ist ein komplexes Zeichen entstanden, das einerseits eine funktionale Anforderung an den Zeichenträger, also das Gebäude, bezeichnet, die wir ‚intendierte Nutzung’ genannt haben, gleichzeitig aber bezeichnet, dass diese Anforderung nicht erfüllt wird.

In diesem Zusammenhang ist interessant, dass der Innenraum, der traditionell als der Bereich gilt, in dem konventionelle Nutzungsrelationen sich vorwiegend vollziehen[38], an Bedeutung für die Identifikation von Brauchbarkeit verliert. Zwar hängen in den Schaukästen der Makler nach wie vor die Grundrisse der längst verlassenen Gebäude und warten auf eine konventionengestützte Ausdeutung durch potentielle Mieter oder Eigentümer, doch das reale Gebäude gibt nur seine Außenseite zur Qualifizierung von Brauchbarkeit preis, die traditionell als ‚Gesicht des Gebäudes’ dessen ‚Charakter’ repräsentiert. Was das Gesicht eines ungenutzten Gebäudes ausdrückt, wurde soeben skizziert.

Was aber bedeutet es für die Brauchbarkeit eines Gebäudes, dass es nicht betreten werden kann? Der Unterschied zu einem genutzten Gebäude, dessen Zugänglichkeit durch Konventionen eingeschränkt ist, scheint für den, der keinen konventionellen Grund zum Betreten des Gebäudes hat – der also kein Einbrecher ist, sondern dort wohnt, arbeitet, etwas erledigen muss, jemanden besuchen will usf. – kaum erkennbar. Wenn alle gesellschaftlichen und sozialen Gründe zum Betreten eines Gebäudes, das einem nicht gehört und für dessen Nutzung man nicht das Einverständnis des Eigentümers besitzt, wegfallen, dann gehen die verhärteten Raumgrenzen des Gebäudes eine unlösbare Liaison mit den Eigentumsgrenzen ein. Im Falle einer konventionellen Nutzung sind diese durch die selektiven Abschirmungen der materiellen Bauteile, also der Wände, Türen, Fenster etc. repräsentiert.[39] Deren repräsentationale Funktion kann durch soziale Interaktion gleichsam kontrolliert ausgeschaltet werden: Die Türe wird geöffnet, man wird eingeladen, das fremde Haus, die fremde Wohnung zu betreten usf. Diese Möglichkeit entfällt, sobald ein Gebäude leer steht. Seine Raumgrenzen markieren die Grenzen dessen, was vom Gebäude wahrgenommen werden kann.

Die Frage nach der mittelbaren Brauchbarkeit eines leer stehenden Gebäudes, dessen geometrische Eigenschaften die Deutung zulassen, dass es im Rahmen der gültigen Konventionen gebraucht werden könnte, stellt sich dem Historiker nicht. Auch nicht, wenn (wie etwa in Teilen Ostdeutschlands) selbst bei größtem Optimismus die Möglichkeit, dass ein ungenutztes Gebäude wieder genutzt werden könnte, so gering ist, dass ihm lediglich Bedeutung in einem mittelbaren Nutzungszusammenhang zukommen könnte. Um festzustellen, ob es mittelbar genutzt wird – wie das Ferienhaus in Davos, das den größten Teil des Jahres leer stehen zu lassen man sich leistet, weil man es sich nicht leisten kann, das ganze Jahr dort zu verbringen – müsste man, wie wir gesehen haben, das Ordnungsprinzip identifizieren, innerhalb dessen es zum Gebrauch zur Verfügung steht. Die Antwort markiert die Grenzen der Reichweite einer Werkinterpretation, denn sie verweist auf ein wirtschaftliches Prinzip und variiert je nachdem, wer Eigentümer des ungenutzten Architekturwerkes ist. Für den Blick des Historikers, der sich auf Zeichen und Konventionen der Brauchbarkeit stützt, um ein ungenutztes Gebäude hinsichtlich seiner Brauchbarkeit zu interpretieren, ist der Rahmen abgesteckt.


Die Partitur der Stadt

Bleibt die Frage, wie weit die Möglichkeiten des dritten Brauchbarkeitsmodells reichen, das Brauchbarkeit ausschließlich im präsentisch stattfindenden Nutzungszusammenhang anerkennt. Das Dilemma der Interpretation eines architektonischen Werkes ohne Nutzung kann, so scheint es, nur mithilfe eines übergeordneten Kontexts verdeckter Nutzungen, die das ungenutzte Gebäude als Werk der Architektur qualifizieren, aufgelöst werden. Denn obschon konventionell ungenutzt, fällt ein Gebäude nicht aus dem Kontext der Dinge, die das menschliche Sein begleiten und prägen, die in erster Linie aber selbst durch das menschliche Sein bestimmt werden. Folglich sind die verdeckten Nutzungszusammenhänge in Bereichen zu suchen, die durch das menschliche Sein determiniert sind.

Gemeint sind Situationen, innerhalb derer das Werk der Architektur sich als brauchbar bewährt, weil es in einen Nutzungszusammenhang eingebunden ist, der sich unter der Voraussetzung konstituiert, dass das Gebäude nicht betretbar ist (was nicht seltsamer ist als ein Drinnen von einem Draußen zu unterscheiden und anzunehmen, der Mensch ‚nutze’ vor allem einen Innenraum – privat in seiner Wohnung, öffentlich im Museum usf.). Der Natur der Sache entsprechend, kann an dieser Stelle nicht die Bestrebung stehen, solche Nutzungszusammenhänge allgemeinverbindlich zu beschreiben und in typologische Muster zu fassen. Es scheint angemessener, lediglich mit wenigen Worten einen Rahmen zu skizzieren – einen dinglichen Rahmen, der das menschliche Dasein, wie Heidegger es wohl ausdrücken würde, im Geviert realisiert, als ein Wohnen zwischen den Werken der Architektur und mit ihnen.

Stellt sich die Frage, ob das nun für denjenigen, der ein Werk der Architektur unter Berücksichtigung seiner Brauchbarkeit interpretiert, und ihm damit Sinn geben wollte, hieße, die Augen vor einem großen Teil des Werkes, seinem Inneren nämlich, zu verschließen. Es würde für ihn wohl eher bedeuten, die Nutzung eines konventionell ungenutzten Werkes aus Zusammenhängen zu erschließen, in die es eingebunden ist, als Teil eines großen Zusammenhanges etwa, den wir ‚Stadt’ nennen. Er würde automatisch die gewohnten Relationen umkehren und das Äußere eines Gebäudes nicht als Spiegel eines unbewohnten Inneren verstehen, sondern als Bestandteil der Straße, die er entlanggeht, als Bestandteil des Hofes, in dem er sich aufhält, als Teil des Gartens, den er durchwandert. So wird er dem Äußeren wie dem Inneren eines Gebäudes, das er kennt (weil es so ist wie viele andere Gebäude), oder erahnt, oder das ihm verschlossen bleibt (wie der unaufgeräumte Schrank dem lieben Besuch), einen Sinn geben können. Um diesen Sinn im Rahmen der Interpretation eines konventionell ungenutzten Werkes zu erschließen, bedarf es, so scheint es, einiger Hilfsmittel. Sie wollen wir als eine Phänomenologie der Straße, des Hofes, des Gartens und bald als eine Phänomenologie der Stadt – deren Bestandteil konventionell ungenutzte Werke der Architektur bleiben – bezeichnen. Im Vergleich mit demjenigen, der sich die Brauchbarkeit eines Architekturwerkes durch sein Bewohnen eines Innenraumes erschließt, nimmt sich die Konstruktion dieser Hilfsmittel als Notbehelf aus. Denn zu unkonventionell erscheint das erweiterte Verständnis der Brauchbarkeit eines architektonischen Werkes, als dass es fraglos der konventionellen Nutzung gleichgestellt werden könnte, obwohl wir in beiden Fällen unbestritten Interpreten einer Partitur sind, die, so Ingarden, „zugleich ein Ausdruck und ein Ergebnis des Zusammenlebens des Menschen mit der Welt der Materie“[40] ist.
 


Literatur:

Arendt, Hannah: Vita activa oder vom tätigen Leben, München 2006.

Barthes, Roland: Elemente der Semiologie, Baden-Baden 1983.

Bohning, Ingo: „Autonome Architektur“ und „partizipatorisches Bauen“. Zwei Architekturkonzepte, Basel 1981.

Bonta, Juan Pablo: Über Interpretation von Architektur. Vom Auf und Ab der Formen und die Rolle der Kritik (Werkstadt 6), Berlin 1982.

Brandl, Anne: Schrumpfung – Niedergang oder Neuschöpfung des Städtischen? Plädoyer für eine Erweiterung des Stadtbegriffs, in: Das Ende der Urbanisierung? Wandelnde Perspektiven auf die Stadt, ihre Geschichte und Erforschung, herausgegeben von Karsten Borgmann, et al. (Historisches Forum 8), Berlin 2006, S. 33-47.

Chi, Lily H.: On the Use of Architecture: The Destination of Buildings Revisited, in: Chora 2. Intervals in the Philosophy of Architecture, herausgegeben von Alberto Pérez-Gómez, Stephen Parcell, Montreal 1996, S. 17-36.

Eco, Umberto: Einführung in die Semiotik (Uni-Taschenbücher 105), München 1994.

Evans, Robin: The Projective Cast. Architecture and its Three Geometries, Massachusetts 2000.

Feldtkeller, Christoph: Der architektonische Raum: eine Fiktion. Annäherung an eine funktionale Betrachtung (Bauwelt Fundamente 83), Braunschweig 1989.

Fritz, Hans-Joachim: Vitruv. Architekturtheorie und Machtpolitik in der römischen Antike, Berlin/Hamburg/Münster 1995.

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 1: Einleitung in die Philosophie der Religion. Der Begriff der Religion (Philosophische Bibliothek Band 459), Hamburg 1993.

Heidegger, Martin: Sein und Zeit. Erste Hälfte, Halle/Saale 1931.

Heidegger, Martin: Bauen Wohnen Denken, in: Vorträge und Aufsätze, Pfullingen 1954, S. 145-162.

Ingarden, Roman: Untersuchungen zur Ontologie der Kunst. Musikwerk – Bild – Architektur – Film, Tübingen 1962.

Jormakka, Kari: Geschichte der Architekturtheorie, Wien 2006.

Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft, Frankfurt/Main 1996.

Kruft, Hanno-Walter: Geschichte der Architekturtheorie. Von der Antike bis zur Gegenwart, München 2004.

LeBlanc, Sydney: Moderne Architektur in Amerika. Ein Führer zu den Bauten des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1998.

Perec, George: Träume von Räumen, Frankfurt/Main 1994.

Quatremère de Quincy, Antoine: Chrysostôme: Dictionnaire historique de l’architecture, Paris 1832.

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Philosophie der Kunst, Darmstadt 1990.

Schrumpfende Städte, Band 2 (Ausstellungskatalog zur Ausstellung Schrumpfende Städte. Internationale Untersuchung 2004-2006, Berlin; Halle/Saale; Galerie für zeitgenössische Kunst, Leipzig) Ostfildern-Ruit 2005.

Vitruv: Baukunst. Reprint der Übersetzung durch August Rode (1796), Zürich/München 1987.

 



Abbildungsnachweis:


Abb. 1:  Matthias Albrecht Amann: Werk ohne Nutzung (Leipzig-Lindenau), 2007.

 

Anmerkungen:

[1] Vgl. dazu Brandl 2006, S. 35f.

[2] Der Einwand Schellings, wonach es „Gattungen der Architektur [gibt], wo das Bedürfnis, die Nützlichkeit ganz hinwegfällt“, ist nicht zu halten. Das legt schon das Beispiel nahe, das er dafür anführt, nämlich Tempelräume („Tempel der Vesta nach dem Bild der himmlischen Umwölbung“). Schelling 1990, S. 220.

[3] Perec 1994, S. 43.

[4] Dieser Zweckrationalität entzieht sich im Übrigen auch die internationale Untersuchung „Shrinking Cities“ nicht, was sich an den Vorschlägen ausdrückt, die im Rahmen der Studie zum Umgang mit ungenutzten Gebäuden gemacht werden. Als Allheilmittel werden „temporäre Nutzungen“ oder „Zwischennutzungen“ gehandelt, die der Initiator der Untersuchung, Philipp Oswald, auch in jüngster Zeit mit dem Planungskollektiv ‚Urban Catalyst’ propagiert. (Urban Catalyst [Philipp Misselwitz, Philipp Oswald, Klaus Overmeyer, Nina Brodowski], Open-Source Urbanismus. Vom Inselurbanismus zur Urbanität der Zwischenräume, in: Archplus - Zeitschrift für Architektur und Städtebau, No. 183, 2007, S. 84-91.) Wo es aussichtslos erscheint, neue (konventionelle) Nutzungen für ungenutzte Gebäude anzuregen, verwahrt man sich gerne gegen jede Brauchbarkeit, indem man sie unter der Kategorie ‚Kunst’ abbucht – den Autoren ist dabei offensichtlich entgangen, dass durch die Anstrengungen von Schelling, Ingarden und anderer Werke der Architektur längst beides sein können: Kunstwerke und Gebrauchsobjekte.

[5] Zum historischen Entstehungs- und Bedeutungszusammenhang des Vitruvschen Werkes und zur Bedeutung der utilitas darin, siehe Fritz 1995, insbes. S. 46-49 und Kapitel II.

[6] Grimm, Wilhelm und Jacob: Deutsches Wörterbuch. Bd. 2. Leipzig 1860, Sp. 315-320.

[7] Wir werden uns aus diesem Grund an einigen Stellen auf Versuche zur Beantwortung dieser Frage beziehen. Mit Schellings Philosophie der Kunst soll ein umfassendes philosophisches System als Referenz herangezogen werden und mit Ingardens Untersuchungen zur Ontologie der Kunst steht das Werk eines Denkers zur Verfügung, der sich um einen phänomenologischen Zugang zur Kunst bemüht hat.

[8] Jüssen, Gabriel: Stichwort ‚Nutzen, Nützlichkeit’, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 6, herausgegeben von Joachim Ritter und Karlfried Gründer, Basel 1984, Spalte 994.

[9] Arendt 2002, S. 219.

[10] Vgl. dazu die Definition eines architektonischen ‚Type’ in Quatremère de Quincy 1832. Eco gebraucht den Begriff der „typologischen Codes“, Eco 1994, S. 326. Ingarden erwähnt einen „Typus der Gestalt“, einen „Typus der architektonischen Dekoration“ oder spricht vom „architektonischen Ganzen einer bestimmten Art“, Ingarden 1962, S. 264. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Bedeutung der ‚objets type’ in der puristischen Malerei Le Corbusiers.

[11] Dabei lässt sich konstatieren, dass zum Beispiel ‚arbeiten’ etymologische Wurzeln aufweisen, die eine ganz klare Zuordnung der Subjekt- und Objektseite zulassen. So bedeutete Arbeit im Althochdeutschen  ‚Dienstbarmachung der Natur’,  vgl. Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin 1963, Stichwort ‚Arbeit’, S. 29.

[12] Arendt 2002, S. 182.

[13] Arendt 2002, S. 182f.

[14] Vgl. die Argumentation Kants, mit der die Werke der Kunst von vornherein aus der utilitaristischen Zweck-Mittel-Kategorie ausgenommen werden, indem konstatiert wird, „das Wohlgefallen, welches das Geschmacksurteil bestimmt, ist ohne alles Interesse“. Kant 1996, S.116. Schelling knüpft in der Philosophie der Kunst daran an, wenn er schreibt, „für die Architektur als schöne Kunst ist die Nützlichkeit und die Beziehung auf das Bedürfnis selbst nur Bedingung, nicht Princip.“ Schelling 1990, S. 219.

[15] Heidegger 1954, S. 148f.

[16] Heidegger 1954, S. 152.

[17] Heidegger 1954, S. 161.

[18] Ebenda.

[19] Die durchgängige Rede von überindividuellen ‚Sterblichen’ und vom wesentlichen ‚Menschen’ in Heideggers Text entspringt der streng ontologischen, idealistisch gefärbten Argumentation. Heidegger würde aber damit übereinstimmen, dass jedes Individuum durch seine tatsächliche Existenz die Wesenheit des Sterblichen aktualisiert, indem es wohnt. Zum Konflikt Realismus – Idealismus in Heideggers Denken vgl. eine Passage in ‚Sein und Zeit’, Heidegger 1931, S. 207ff.

[20] Heidegger 1954, S. 162.

[21] Laut Fritz ist die geistige Atmosphäre des augusteischen Rom von der stoischen Philosophie der Empirie geprägt, was zu einem gewissen Grade erklärt, welche Bedeutung Vitruv der utilitas beimisst: „Entscheidend ist vor allem, dass diese starke Betonung der utilitas [bei Vitruv, MAA] dem klassischen Symmetriebegriff vor allem insofern widerspricht, als dass sie sich ganz konkret auf die lebendige Wirklichkeit und die daraus an die Architektur gestellten Forderungen bezieht, und nicht etwa auf ein im Unsichtbaren waltendes Gesetz, das Intellegible oder Ideelle.“ Fritz 1995, S. 49.

[22] Le Blanc 1998, S. 88.

[23] Für den Planer gehören spontane Änderungswünsche des Bauherrn während einer Baubegehung zu den Schreckensszenarien und beschwören immer wieder einen Konflikt der Kompetenzen zwischen den Parteien hinauf. Für den Planer stellt sich die Annäherung an die Brauchbarkeit eines architektonischen Werkes als Frage der Berufserfahrung dar, und die Wahrscheinlichkeit, dass die Brauchbarkeit des zweiten und dritten Museums, das er plant, größer ist als die des ersten, ist durchaus gegeben und spiegelt sich in der Struktur gängiger Präqualifizierungsverfahren für die Auftragsvergabe großer Projekte wider. Dagegen scheint der Schock angesichts einer gänzlich leeren Wohnung, in welcher der Bauherr jetzt wohnen soll, zu den anthropologischen Konstanten zu gehören. Er legt sich in der Regel spätestens mit dem Einräumen seiner mobilen Habe.

[24] Eco 1994, S. 306.

[25] Feldtkeller meint mit Funktion „die Funktion im Nutzungszusammenhang“ und bezeichnet diese als “primäre Funktion“ eines Gebäudes. Feldtkeller 1989, S. 71. Ingarden bezieht sich in seiner Ontologie der Kunst auf den Ursprung des architektonischen Funktionsbegriffs in einer biologischen Analogie, und weist auf die limitierte Brauchbarkeit des Begriffs hin, wenn er schreibt: „Man sagt zwar manchmal, dass das Gebäude oder gewisse Teile von ihm diese oder jene „Funktion“ ausüben. [...] Man hat dabei auch lediglich eine bestimmte Rolle oder praktische Verwendung der einzelnen Teile des Gebäudes (wie z. B. „Eingang“, „Vorhalle“, „Empfangszimmer“, „Badezimmer“ usw.) im Auge oder diese oder jene Rolle, die ein bestimmter Teil der Masse des Gebäudes [...] im Ganzen seiner architektonischen Gestalt spielt. Diese Rolle oder diese künstlerische Bedeutung sind natürlich keine Funktion im Sinne einer Tätigkeit, die von einzelnen Teilen (Organen) eines Organismus ausgeübt wird [...]. Im Gegensatz zum realen Gebäude, in welchem verschiedene Prozesse stattfinden (wie z. B. die Erschütterungen, denen das Gebäude beim Vorbeifahren schwerer Wagen unterliegt, oder der Erwärmung der Mauer im Sommer usw.), gibt es im reinen Werke der Architektur keine derartigen realen Vorgänge, obwohl in seinem Innern manche Vorgänge von den Einwohnern vollzogen werden können.“ Ingarden 1962, S. 285f.

[26] Siehe dazu etwa Eco 1994, S. 296ff. und S. 306ff.

[27] Barthes 1983, S. 36.

[28] Quatremère de Quincy 1832, S. 307.

[29] Jormakka 2006, S. 157.

[30] Vgl. Chi 1996, insbes. S. 23-28.

[31] Ingarden 1962, S. 303f. Notwendigerweise billigt Ingarden dem Ausdruck und insbesondere dem Ausdruck einer praktischen Nutzung größte Bedeutung zu, erlaubt er doch elegant, die Nutzung in den Gegenstand der Beurteilung, der „eine nicht-reale Gegenständlichkeit, und insbesondere ein rein intentionales Gebilde zu sein“ (S. 257) habe, mit einzubeziehen.

[32] Vgl. Bohning 1981, S. 159-168. Bohning leitet in seiner Untersuchung die Charakteristik des partizipatorischen Bauens aus einem funktionalistischen Architekturverständnis her. Aus diesem Grund widmet er dem architektonischen Funktionsbegriff große Teile seiner Studie.

[33] Barthes 1983, S. 36.

[34] Siehe dazu Bohning, der – ähnlich wie Feldtkeller – im funktionalen Moment der Architektur die Verbindung zum Leben wittert. Während Feldtkeller in der Konzentration auf die Funktion das Künstlerische der Architektur abhanden kommt, kann Bohning es in einem sozialen Kunstbegriff verankern. Bohning 1981, S. 159-168.

[35] Vgl. Evans 2000, der in seiner umfassenden Studie an mehreren Stellen auf den Einfluss von Ideologien auf die Mittel geometrischer Repräsentationen von Architektur hinweist.

[36] Die Voraussetzung dafür aber ist das Vorhandensein eines realen Gebäudes. „Erst dann, wenn das Gebäude so gestaltet wird, dass es im konkreten Material zu der Verkörperung der künstlerischen Idee des Architekten kommt, wird das Werk der Architektur wirklich „realisiert“, „geschaffen“, während es vorher – wenn etwa bloß Pläne der Kathedrale vorhanden waren – nur intentional gedacht oder gar anschaulich vorgestellt, aber noch nicht wirklich „realisiert“ wurde.“ Ingarden 1962, S. 266f.

[37] Feldtkeller 1989, S. 80.

[38] So schreibt Schelling: „Das, was an der Architektur sich eigentlich auf das Bedürfnis bezieht, ist das Innere, an dieses aber wird die Forderung der Schönheit auch bei weitem zufälliger gemacht, als an das Äußere.“ Schelling 1990, S. 220. Ingarden sieht das ähnlich: „Die praktische Bestimmung eines architektonischen Werkes betrifft vor allem dessen Inneneinrichtung [...].“ Ingarden 1962, S. 295.

[39] Feldtkeller, der „selektive graduelle Abschirmungen“ ins Zentrum seiner funktionalen Betrachtung des architektonischen Werkes stellt, behandelt diese sozialen Anforderungen ausschließlich in objektivierter Weise. Feldtkeller 1989, insbes. S. 83-94.

[40] Ingarden 1962, S. 301.


 


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